Sunday, December 10, 2006

MODERNES BALLETT: MARK MORRIS MIT AUSGEREIFT GUTEN "MOZART DANCES"

Zwei soziale Außenseiter: Eine so kleine Ballerina (mit roten Locken) hat man wahrscheinlich noch nie gesehen: bei Morris wird sie zur Solistin.

Ein schwarzer Ballerino mit zuviel Körper-Kraft: bei Morris bekommt er den Leading-Part. Denn Ausgrenzung ist das Thema dieses Auftragswerks. Foto: © Stephanie Berger


NEW CROWNED HOPE MARK MORRIS VERSETZT DAS MUSEUMSQUARTIER IN EUPHORIE: DANKBAR SIND DIE ÖSTERREICHER FÜR SO VIEL MODERN DANCE IN MOZART DANCES. DENN MODERNES BALLETT BEKOMMEN SIE HIER JA NICHT MEHR ZU SEHEN

Wieder ein Auftragswerk für New Crowned Hope, und wieder geht es um Ausgrenzung von Minderheiten. Der amerikanische Choreograf Mark Morris hat dieses menschlich-tierische Ausschlußverhalten in die Welt des Balletts übertragen. Seine Mozart Dances sind in drei Teile geteilt. Es begint mit Eleven zum Musik-Konzert für Klavier und Orchester Nr. 11, übrigens wie alle Morris-Aufführungen mit live-Musik (hier: Camerata Salzburg mit Klaviersolo von Emanuel Ax, exakt dirigiert von Louis Langrée):

Ausgegrenzte Frau

Eine ungewöhnlich kleine, rothaarige Frau tanzt das Solo. Sie ist ob ihrer körperlichen Nicht-Entsprechung bei proportional auch noch zu kräftigen Beinen im Ballett eine Außenseiterin, so gut sie auch tanzen mag. Die großen, kräftigen Frauen in Grau machen ihr das Tänzerdasein schwer, ihr, dem unangepaßten "Klavier", dessen Melodie sie notensynchron modern tanzt. Ein schwarzer Pinseltupfer als Bühnenbild unterstreicht optisch ihren eigenwilligen Standpunkt. Manchmal wirkt sie recht komisch - so drollig wie eben sehr kleine Menschen automatisch wirken. Und doch, nach langer Auseinandersetzung mit der Gruppe, gelingt es ihr manchmal, die großen Gleichgesinnten an der Nase herum zu führen, sie zu manipulieren. Wirkt sie also aufgrund ihrer Form nicht sofort attraktiv, so bekommt sie von einem zumindest gleich mehr zugeschrieben: individuellen Charakter.

Ausgegrenzter Mann

In Double zu Mozarts Sonate in D für 2 Klaviere, wobei Emanuel Ax von Yoko Nozaki unterstützt wird, ist nun ein energiegeladener Schwarzer, mit zuviel männlicher Kraft und Oberkörpereinsatz, das Ausschlußobjekt. Im schwarzen Frack strebt er nach Aufnahme bei den gewohnt zierlich-athletischen Tutti-Männern in Grau, so wie sich an der Bühnenrückwand, schwarze Tupfer an grauen Farbflächen anhängen. Während jene Männer auch Frauen zu tanzen bekommen, entschwindet dem Schwarzen die Partnerin wieder. Trotzig schreitet er davon. Und kommt wieder, um von Neuem zu versuchen, aufgenommen zu werden. Die Männer bilden eine Kreisformation, jeder von ihnen kann auf die Stütze des anderen zählen, falls einer fällt, wird er aufgefangen. Nur der Schwarze findet in diesem Kreis nicht gleich Entgegenkommen. Morris findet für diesen Gedanken ungewohnt harmonische Konstellationen, schöne, überraschend neue Tanzbilder. Doch gegen Ende kann der Schwarze die Gruppe dann doch auch überzeugen, sodass er sie sogar einmal anführen darf.

Glückliches Paar

Der letzte Teil Twenty-seven im Konzert für Klavier und Orchester Nr. 27 ist vor roter Pinselrückwand schließlich der Paarbildung mit dem anderen Geschlecht gewidmet. Haben sich Mann und Frau innerhalb ihres eigenen Befindens und sozialen Umfelds erst einmal positioniert - ja, wenn die beiden vormaligen Außenseiter jetzt in der Gruppe tanzen, fällt ihre äußerliche Andersartigkeit tänzerisch und schritttechnisch gar nicht mehr auf -, können sie sich auch der Liebe widmen. Es läge nahe, zu denken, dass sich die beiden vielleicht finden, sie treffen sich aber nur kurz; denn der und die Richtige liegt für beide in der anatomischen Entsprechung (also ausgerechnet da, wodurch sie sich von den anderen unterscheiden!): die Frau springt in konventionellen Paarschritten mit einem zarten, dunklen, nicht allzu großen Partner über die Bühne, der Schwarze findet sich eine ebenfalls recht kräftige schwarze Partnerin. Dass diese Sprünge sämtlicher Paare etwas lange dauern, liegt leider an der Musik Mozarts, der sich zu oft wiederholt. Der lange Ausklang kann der reif durchdachten, fließend-formschönen Gesamtarbeit aber nichts anhaben. e.o.


DAS URTEIL EIN INHALTLICH UND FORMAL SCHÖNES WERK, WO SICH BEIDES BEDINGT; WO KEINE TYPISCH PERFEKTEN BALLETTKÖRPER SCHÖNSTE BALLETTBILDER UND MENSCHLICHE URFRAGEN TRANSPORTIEREN. DIE TANZCHOREOGRAPHISCHE BESONDERHEIT LIEGT IM MITTELTEIL.

BALLETT Mozart Dances * Choreografie: Mark Morris * Orchester: Camerata Salzburg * Dirigent: Louis Langrée * Tanz: Mark Morris Dance Group * Ort: Halle E/ MQ * Zeit: 10.12., 20h

Saturday, December 09, 2006

MUSICAL: ESTHER MUSCHOL MACHT AUS "A GOOD MAN" SCHLECHTES JUGENDTHEATER


A Good Man - schrecklich hausbackene Regie (was auch das "Vorstadttheater"-Bühnenbild zeigt), gute charismatische Sänger: Cedric Hayman, Stephen Shivers, Alvin Le Bass, Lerato Sebele, Carole Alston, Amber Schoop, Foto © Christian Husar


WIENER KAMMEROPER NACH DEM SENSATIONELLEN AIN´T MISBEHAVIN´ IM LETZTEN JAHR IST DAS DIESJÄHRIGE AFRO - AMERIKANISCHE MUSICAL A GOOD MAN GERADEZU SCHLECHT - ZUMINDEST WAS DIE REGIE ANBELANGT.

Vor zwei Jahren startete die Wiener Kammeroper mit einer Musical-Schiene, die primär durch starke schwarze Interpreten besticht. Wo auch immer diese Sänger und Tänzer ihr Charisma und ihr Talent herhaben - eines ist auf alle Fälle klar: mit diesen Darstellern geht nichts schief. Da mag die Regie noch so dilettantisch sein, wie etwa heuer von der Münchnerin Esther Muschol. - Was soll das sein: ein Kinderstück, ein Vorstadttheater für amusische Bauersleute, ein Schwank für Analphabeten?

Nach dem schlicht inszenierenden Alonso Barros bei Avenue X, dem glamourös sexy und augenzwinkernd dynamisch regieführenden Giorgio Madia bei Ain´t Misbehavin´, ist die Welturaufführung von A Good Man nun der enttäuschende Schuß nach hinten. Vielleicht liegt es ja nur an der banalen Geschichte, die in Mississippi um 1946 spielt, und die von Ray Leslee und Philip S. Goodman 2002 geschrieben und in den letzten Jahren in diversen Workshop-Produktionen "weiterentwickelt" worden ist. - Diesen Workshop-Charakter, den merkt man leider.

Nichtsdestotrotz: die Darsteller singen blendend, sodass sich Geschichte und naiv-dumme Regie phasenweise vergessen lassen. Erstaunlich ist Carole Alston als alte "Granny": den Fake erkennt man zwar sofort, aber dass Alston die Altennummer durchzieht - ja selbst "alt" singt - das ist innerhalb der schlechten Verkleidungsidee doch erstaunlich gut. Als einzig interessanter Charakter kommt Alvin Le Bass rüber: "Hardway" gerät im allgemeinen schwierigen Kampf der schwarzen Bevölkerung um Selbstbehauptung auf die schiefe Bahn und endet im Opportunismus. Alle anderen Darsteller sind reine schwarze Klischeetypen, keine echten Charaktere.

Eine interessante Wandlung gegenüber letztem Jahr machte nur der musikalische Leiter Michael Schnack durch. Nach der Fats-Waller-Klavier-Jazzmusik kommt er heuer mit ein paar Musikern des Wiener Kammerorchesters als Blues´n´Rock´n´Roller daher. Diese Musik hat Schmiß und fetzt Gott-sei-Dank schnell durch den zweieinhalbstündigen Abend.
Übrigens Schnack leitet im Jänner die konzertante Operette The Gondoliers u.a. mit zwei Top-Sängern aus Ain´t Misbehavin`: Aisha Lindsey und Previn Moore! a.c.


DAS URTEIL GUTE SÄNGER, BANALE REGIE: SCHADE UM DIESES ALLJÄHRLICHE AFROAMERIKANISCHE MUSICAL-HIGHLIGHT.

MUSICAL: A Good Man * Musik: Ray Leslee * Buch: Philip S. Goodman basierend auf einer Novelle von Jefferson Young * Musikalische Leitung: Michael Schnack * Regie: Esther Muschol * Mit: Amber Schoop, Lerato Sebele, David Durham, Quintin Gray, Carole Alston, Stephen Shivers, Cedric Hayman, Alvin Le Bass, Charlie Hensley * Mit: Orchester der Wiener Kammeroper * Ort: Wiener Kammeroper * Zeit: 12., 14*., 16., 19*., 21.12., 19h30

OPERETTE: The Gondoliers * Von: William Gilbert und Arthur Sullivan * konzertant * Musikalische Leitung: Michael Schnack * Mit: Previn Moore, Aisha Lindsey, u.a. * Ort: Wiener Kammeroper * Zeit: 6.,8.1.07, 19h30

MUSIK: SANFTER VOGEL MARIA SCHNEIDER IN "CERULEAN SKIES"

Maria Schneider ist ungewöhnlich: sanft und sinnlich führt sie ihr Musikerheer durch vogelreiches Gezwitscher. Etwas Feuer hätte dem Abend im Wiener Konzerthaus aber auch nicht geschadet. Foto: © David Korchin.


NEW CROWNED HOPE KOMPONISTIN MARIA SCHNEIDER BRINGT WEIBLICHKEIT IN DEN JAZZ. ALS SINNLICHER ENGEL TÄNZELT SIE VOR IHRER BIG BAND "MARIA SCHNEIDER ORCHESTRA" DURCH EIN SANFTES FLÜGELSCHLAGEN UND GEZWITSCHER IM AUFTRAGSWERK CERULEAN SKIES

Jazz ist Kopfmusik und deshalb männlich. Wurde dieses Klischee inzwischen erfolgreich aufgebrochen, indem Frauen als Jazz-Musikerinnen und - Sängerinnen bewiesen, dass auch sie durchaus intellektuell veranlagt sein können, so lenkt Maria Schneider den Vorbehalt noch einmal in die andere Richtung: Sie reichert den Jazz emotional an. Nun gab es auch das schon mittels Milonga, sprich Brasilianischem Jazz. - Wurde das aber schon von einer Jazz-Big-Band gespielt? - Kaum.

Emotionale Kompositions- und Dirigiertechnik

Die Emotionalität erreicht Maria Schneider in der Komposition über individuelle Orchestrierung: ein blumiger Klangteppich aus Akkordeon, Frauenstimme (die wie ein Instrument ausschließlich summt), Perkussion-Naturtönen und Flöten ist bei ihr mindestens genauso präsent wie das obligatorische Saxophon, die Trompete, Klarinette, Posaune und das Schlagzeug. Dämpfer auf dem Blech führen ihre Big Band - übrigens mit ungewöhnlich vielen Frauen besetzt - zur leicht-beschwingten, gefühlvollen Muse.

Unterstrichen wird diese Kompositionstechnik noch einmal durch den Dirigatstil - was bei Schneiders einmaligem Konzert während des New Crowned Hope Festivals im Wiener Konzerthaus live zu erleben war. Wer die belgische Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker in ihrem Solo Once sah, muß sich wahrscheinlich beim Anblick der dirigierenden Maria Schneider mit einem Déjà Vu beschäftigen: Die zierliche Rothaarige hat die Anatomie und den Ausdruck der Tänzerin und gibt den Takt hauptsächlich mit ihrem Körper vor. Auch ohne Arme könnte sie ihr Musikgefolge mühelos durch den Abend führen, denn das Grundtempo schwingen ihre Hüften, die durch den schenkelhohen Rückschlitz am Rock auf das Publikum zusätzlich sinnlich wirken. Was das Publikum nicht sieht, ist allerdings das Gesicht der Musikerin, mit geschlossenen Augen transportiert sie Farben und Stimmungen, die die Musiker ungewöhnlich oft in ihrem Gesicht abzulesen scheinen.

Ein Abend, dem der Teufel fehlt

So selbstvergessen sie dirigiert, so bewußt gesetzt sind die Lieder, die sie gegensätzlich "plappernd" anmoderiert. - Auch das entspricht eigentlich dem herkömmlichen Klischee einer "kommunikativen Frau". Sie erzählt beim ersten Lied von der Brasilien-Nähe, beim Zweiten von der Rhythmischen - auf Perkussion mit den Händen geschlagen - zu Peru, beim Dritten von der Spanien-Nähe mit geklatschtem und sanft gerasseltem Flamenco sowie zärtlichen Querflöten, aber mit irrem ruckartigen Finale - denn der Rhythmus stammt jetzt aus Afrika. Den Abschluß vor der Pause bildet ein Werk mit Solo der Trompeterin Ingrid Jensen.

Und dann kommt, worauf alle gewartet haben: Das Auftragswerk für New Crowned Hope, Cerulean Skies. Schneider dachte bei dieser Kompostion an eine spezielle Art von blauem Vogel, die wie viele andere Arten aus aller Welt jährlich im Central Park zusammen treffen. - Als fröhliches Get Together "zwitschern" hier Flöten, Trommeln und Streicher um ein Saxophon-Solo herum, den Übergang "piept" das Akkordeon begleitet vom Klavier, die Musiker ziehen Tücher hervor, mit denen sie Flügelschläge imitieren - was Leos Janacek für die Klassik ist, ist daher Schneider für den Jazz. Nur die Musik dazwischen scheint ein wenig einfach und Mainstream-verloren, sodass das Ganze nicht wirklich einzuschlagen vermag.

Plötzlich schießt dem Zuhörer die Fernseh-Serie Unsere kleine Farm in den Kopf. Es muß vom Klangbild der "naiven, mitfühlenden, heilen Welt" herrühren. Und Schneider hat auch bis zum Schluß keine richtigen Sorgen. Ohne Eile, lediglich etwas melancholisch spaziert sie in einem abermals um ein Saxophon-Solo gelegten, sanften Werk sowie einem Brasilianisches Lied ins Finale, getoppt durch ein Zugabe-Werk, das Schneider einst einer an Brustkrebs verstorbenen Freundin gewidmet hatte: Steve Wilson spielt darin das Saxophon-Solo. r.r.


DAS URTEIL MARIA SCHNEIDER LIVE ZU SEHEN, IST ZUNÄCHST BEWUNDERSWERT NEUARTIG: SANFT, WEIBLICH, TÄNZERISCH FÜHRT SIE ENGELSGLEICH IHRE BIG BAND AN. NUR SCHADE, DASS ALLE KOMPOSITIONEN GLEICH UM SOLO-AUFTRITTE GEBAUT SIND. DIE LIEDER SANFTELN DAHIN, RUHIG, MEDITATIV, BESCHEIDEN, BIS SICH DER "MENSCH" FRAGT: KOMMT NUN BALD MAL DER TEUFEL?

Thursday, November 30, 2006

THEATER: PETER MISSOTTEN VERTECHNISIERT HEINER MÜLLERS "QUARTETT"

Unter dieser Vier-Leinwand-Konstellation und den agierenden zwei Männern auf der Platte in der Luft, sitzen die angestrengten Zuschauer und sehnen sich das Ende herbei. (Foto © N. Mangafas / Schauspielhaus)


SCHAUSPIELHAUS WIEN EIN ANSTRENGENDES VIDEO - VIER - LEINWAND - SYSTEM ÜBER DIE EROTIK-MENAGE-A-TROIS GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN NACH HEINER MÜLLERS QUARTETT: DIE TECHNIKFREUDE IST MIT REGISSEUR PETER MISSOTTEN SICHTLICH DURCHGEGANGEN

So wenig erotisch hat man einen sinnlichen Stoff noch nie erlebt: Brecht-Nachfolger Heiner Müllers Theaterversion Quartett des Romans Gefährliche Liebschaften: Der Zuschauer sitzt mit steifem Nacken auf sich bewegenden weichen Gummipolstern und starrt an die Decke. Dem Zeltfreund und Wiesensitzer mag das gefallen, kultivierten Menschen weniger. Ganz zu schweigen von der Geißelung des Körpers, die der Zuschauer an allen Ecken und Enden spürt.

Wenn sich da oben, auf der Platte, die von der Decke baumelt, nun wenigstens etwas abspielen würde, könnte er sich von den Schmerzen vielleicht ein wenig ablenken lassen. Aber nein, zwei junge Männer (Karel Tuytschaever, Jonas Leemans) imitieren mit lüsternen, wulstigen Lippen lediglich zwei Frauenstimmen (Vivien Löschner, Barbara Horvath), die alle drei Figuren sprechen. Diese Synchronität ist recht treffend und über live-gefilmte Nahaufnahmen überdimensional auffällig - aber reicht das auch, um einen Abend zu füllen?

Wenn es nun wenigstens um die Liebe zweier schwuler Juden ginge - denn beide tragen Kippa und Peikeles - könnten wir von der Verfremdung etwas Überbegriffliches ableiten. Aber nein, das soll die Verfremdung Brechts, bzw. Heiner Müllers, per se bedeuten, steht also für nichts als für die Verfremdung an sich. Nein, das ist kein didaktisches Theater. Das ist schlicht Technikverdrossenheit eines Fernseh-Komponenten-Freaks. Wäre wirklich großartig, wenn der niederländische Regisseur Peter Missotten nächstens seine Liebe zum Theater und Geschichtenerzählen miteinbinden könnte. p.m./e.o.

DAS URTEIL ETWAS FÜR MASOCHISTEN. DA NÜTZT DER GANZE INSTALLATIVE BÜHNENAUFWAND NICHTS.

THEATER Quartett * Autor: Heiner Müller * Regie: Peter Missotten * Ort: Schauspielhaus Wien * Zeit: täglich außer Montag bis 6.12., 20h

PERFORMANCE+AUSSTELLUNG: LEMI PONIFASIOS "REQUIEM" IM SCHWARZ DES TODES II

Szene aus dem maniriert-meditativen, dramatisch-dunklen Requiem von Lemi Ponifasio und seinem Tanzensemble MAU: Noch ist das Kind geschützt bei einem Erwachsenen, später wird es blutrot überströmt stehend sterben. (Foto: © Lemi Ponifasio / MAU)

Invisible by Night, 2004 von der Künstlerin und Ausstellungskuratorin im Künstlerhaus: © Lynette Wallworth: Auch hier ist vieles formal-überhöht schön und dunkel. Was es über den Effekt hinaus wertvoll macht, ist die Fragilität: diese Frau berührt und läßt sich durch Glas berühren.


NEW CROWNED HOPE IM SCHWARZBILD SAMOANER LEMI PONIFASIO TANZT MIT SEINER TANZCOMPAGNIE MAU IN REQUIEM STILL UND GEISTERHAFT IN DEN TOD, WÄHREND EIN BLUTROTES KIND STIRBT: SO MANIRIERT SCHÖN, DASS MAN KAUM AN "ETHNOKUNST" GLAUBEN MAG - UND DAS IST AUCH DIE QUALITÄT DER LAUFENDEN AUSSTELLUNGEN EVOLUTION OF FEARLESSNESS UND GREEN FLAME


Lemi Ponifasio dramatisch dunkles Requiem

Eine fast schwarze Bühne, ein dramatisch heller Lichtkegel, ein Häuptling begrüßt die Zuschauer, nonnenhafte Frauen schreiten als kaum sichtbare Geister am Bühnenhorizont entlang. Kräftige Männer üben sich in Gesten wie Waschungen mit reinen weißen Tüchern. Sie alle gedenken der Toten, in ritueller, meditativer Tradition, und auch wieder nicht: Hier ist alles schick, hat der intellektuelle Westen mit aller Wucht zugeschlagen. Mit distanzierter, grafischer Exaktheit und meisterhaftem Licht (Helen Todd).

Choreograf und Regisseur Lemi Ponifasio läßt in seiner Réné-Magritte-Illusion schwarze, steife Totenkörper durch den Raum tragen, den zwei mächtige Mittelpfosten stützen. Sie ermahnen unaufhörlich, in allem zwei Ansichten zu bedenken: Tag und Nacht, Leben und Tod. Da zieht jemand unter großer Anstrengung einen Totenkarren, als sei darin während seines ganzen Lebens die Erinnerung an seine Ahnen verpackt. Ein Männergrüppchen trippelt in Schwebe, asiatisch gestikulierend über die Bühne - bewußt recht komisch - denn die Zeremonien im pazifischen Raum sind mit Witz und Satire bespickt. Und doch, es artet direkt und unverblümt in gesungene Klagen aus: gegen Tyrannei und für soziale Gerechtigkeit.

Dann: Ein unschuldiges Kind betritt die Bühne. Erst ist es rein, gesund, regungslos steht es da. Langsam rinnt Blut über seinen nackten Oberkörper. "Kinder - Zerbrecher der Kalebassen - Mit eurem Beitrag und meinem Beitrag Sollen die Menschen genährt und erhalten werden", heißt es, und: "Die Menschheit zeugt, aber die Todesgöttin verbirgt, So wie ein Häuptling stirbt, Wird ein anderer seinen Platz einnehmen." Tücher werden wie Totentafeln auf dem Boden des Raums verteilt, ein Kind nimmt jedes von ihnen einzeln auf: andächtig, in Gedenken und legt sie wieder zusammen.

Wie im Friedhof, wenn irgendwann die Knochen unserer Väter und Mütter zusammen geworfen werden, da die Seelen schon längst in den lebenden Menschen verankert sind. - Traurig und schön, ist diese Performance des Bildererzählens. Und langsam. - Für manchen auch zu schön und langsam ... e.o.

Edle Ausstellungen Evolution of Fearlessness und Green Flame

Viel dramatisches Licht in dunklem Schwarz gibt es auch im Wiener Künstlerhaus in der von der australischen Künstlerin Lynette Wallworth kuratierten Ausstellung Evolution of Fearlessness zu erfahren. Die ausdrucksstärksten, den Titel treffendsten Werke steuert sie selbst bei: im gleichnamigen, interaktiven Video sowie in Invisible by Night berühren die Besucher durch eine Glasscheibe dunkle Frauenkörper - Ängste gegen andersartige Herkunft werden dabei abgebaut, wobei die Ängste auf beiden Seiten, hinter und vor der Scheibe, zu liegen scheinen. Fragile stoffumhüllte Frauenkörper wehen auf der Spitze eines Berges in Standbildern (Damavand Mountain), im Video Still: Waiting 2 ereignet sich ein archaisch-poetisches Naturszenario in vogelreicher Ewigkeit.

Das Schöne an Ponifasios und Wallworths Präsentation ihres sinnlichen Ethnogedankes ist die hohe Qualität der ästhetischen Form. Nicht arm, unbeholfen und schmutzig ist diese Kunst, sondern in jedem Quadratmillimeter durchdacht und strategisch gesetzt. Das ist doch recht wichtig, wenn man im Westen Kunst von "armen" Entwicklungsländern zeigt. Denn nur so werden kapitalistische Wohlstandsbürger zur Anerkennung na(t)iver Völker bekehrt. Das mag arrogant klingen, ist aber wichtig zu erwähnen.

Ebenso formschön sind die Werke von Elias Simes (Web-Gemälde im Stil der Aboriginies) und Julie Mehretus/Stephen Vitiellos (Rauminstallation mit Tontellern und Grafikwand), sowie von Ernesto Novelo, Sergio Pech und Reinaldo Pech im project space, Karlsplatz, kuratiert von der Äthiopierin Meskerem Assegued unter dem Titel Green Flame. r.r.




Weitere Werke von Lynette Wallworth im Künstlerhaus: Intera
ktive Videos der Frauenberührung wie Evolution of Fearlessness, 2006 (© Foto: Rocco Fasano / Courtesy Lynette Wallworth), Still: Waiting 2 (© Foto/Courtesy: Lynette Wallworth), Damavand Mountain und Hold_bowlcu1 aus der Serie Hold: Vessel 1, 2001 (© Foto: Diana Panuccio/Courtesy Australian Centre for the Moving Image)



Weder Wallworths, noch die Kunstwerke von Elias Sime - Filega 2 (Yarn Stiches Construction, 2004, 70 x 80 cm) aus der Serie Mud & Straw - oder Julie Mehretu/Stephen Vitiello - Wandmalerei und Toninstallation: Untitled #2 - machen einen ethnisch-stillosen Eindruck - das ist mit höchster, künstlerischer Ernsthaftigkeit gemacht. Ebenso wie in der Green Flame-Aussstellung in der Kunsthalle wien project space von den Bildenden Künstlern: Ernesto Novelo, Sergio Pech (buntes Bild) und Reinaldo Pech.



DAS URTEIL DIE ETHNISCHE ZAUBERFORMEL FÜR DEN TOD SCHEINT SCHWARZ MIT DRAMATISCHEM LICHT ZU SEIN, SOWIE DIE BRAV AUSGEFÜHRTE KONVENTIONSLINIE DER EMOTION. DAS MAG AUF MANCHEN EIN WENIG ÜBERSTILISIERT WIRKEN - DOCH BRINGT DAS DIE ETHNOKUNST WEG VOM KLISCHEE DER STILLOSEN ALTERNATIVÄSTHETIK.

AUSSTELLUNG: Evolution of Fearlessness / Green Flame * Kuratorinnen: Lynette Wallworth, Meskerem Assegued * Ort: Künstlerhaus / Kunsthalle Wien: Project Space * Zeit: bis 13.12.06 * Eintritt frei

OPER/TANZ: PETER SELLARS "LA PASSION DE SIMONE" IM SCHWARZ DES TODES I

Peter Sellars schwarze La Passion de Simone als gefühlsarmes Kammerstück.


NEW CROWNED HOPE IM SCHWARZBILD PETER SELLARS BETONT IN SEINER REGIE VON LA PASSION DE SIMONE ABERMALS WORT UND MUSIK - DIESMAL IST ES AUCH UNVERKITSCHT ELEGANT: DADURCH ABER NUR EINE NUMMER-SICHER-INSZENIERUNG

Schwarz als Grundtenor der Erinnerung an eine scheinbar selbstlose, tote, französisch-jüdische Mystikerin: Lichteffekte auf den Arnold Schönberg Chor im unteren Drittel der Bühne frontal zum Publikum. Sie betonen innere Gefühlswallungen und Geistesdilemma der auf dem oberen Bühnen-Zweidrittel räumlich eingekapselten Simone Weil. Sie ist gespalten, in eine singende Opernsängerin (sopranstimmlich perfekt Pia Freund) und einen gestisch-reduzierten Tänzer (unspektakulär Michael Schumacher). Kopf und Gefühl der Frau, ihre innere Zerrissenheit und ihre gefühlte Last am Leben werden so doppelt betont.

Im Libretto des in Frankreich lebenden, libanesischen Librettisten Amin Maalouf ist die 1943 im freiwilligen Hungertod Verstorbene ein geschlossenes System an frühkindlicher Selbstverachtung und späterer Liebessuche durch Selbstaufopferung für sozialwirtschaftliche und politische Gerechtigkeit. Leid und Liebe ihrer Nächsten übersah sie allerdings. Von der Fließbandarbeiterin in einer Fabrik zur Krankenpflegerin im spanischen Bürgerkrieg und letztendlich zur - als jüdischer Flüchtling - Zurückkommenden in das Nazi-besetzte Frankreich, und folglich zur Nachkriegs-Wiederaufbau-Arbeitenden Europas, erlebte sie an ihrem eigenen Leib aus Protest die Härte von Lebenssituationen geschundener, benachteiligter Menschen. So ist die Oper gebaut in fünfzehn Kreuzwegstationen, gleich der Lebensgeschichte Jesu: "Es ist ein Privileg wie Jesus am Kreuz zu sterben. Er starb am Kreuz, weil Gott ihn verlassen hatte", singt die Bühnen-Weil. Worauf der Chor feierlich und grell erleuchtet einstimmt: "Er/sie ist wieder auferstanden!"

Visuell sieht der Zuschauer diesen Weg zwar nicht, denn es spielt sich ja alles im Kopf der Frau ab, dessen Gedanken Pia Freund auf französisch ausspricht - weshalb der Zuhörer auch vom Text kaum etwas hat. Er kann nur mitlesen, was auf Dauer zu anstrengend ist: Worte wie, "alles Schlechte auf der Welt reist umher, bis es auf ein reines Opfer trifft. Das Leben ist die Vorbereitung auf den Tod. Schlagen und Geschlagen-werden ist dasselbe", und die enden, wie sie begonnen haben: "Man muß das lieben, was nicht ist."

Peter Sellars hat intellektuell Regie geführt. Es ist ein Kammerspiel, das trotz der rührseligen Worte kaum zu rühren vermag. Selbst die vom Tonband mit Frauenstimmme eingespielten, textlich schönen Originalverse Weils, die bestimmt dramatisch ergreifende Musiknotation mit Dissonanzen und Harmonien der Komponistin Kaija Saariaho, temperamentvoll dirigiert von Susanna Mälkki und ebenso wiedergegeben vom Klangforum Wien, rufen im Zuschauer kein liebevolles Bedauern um die bzw. Miterleben der Frau Simone Weil hervor. Das ist ein nüchternes, sauberes, wenn nicht sogar ein wenig eitles Kammerspiel. e.o.

DAS URTEIL WAR PETER SELLARS IN A FLOWERING TREE ZU BLUMIG, IST ER HIER ZU INTELLEKTUELL. LA PASSION DE SIMONE IST DAHER WAHRSCHEINLICH ETWAS FÜR AUSSCHLIESSLICHE DER-STANDARD-LESER.

Friday, November 24, 2006

THEATER: CORNELIA CROMBHOLZS ZIRKUSREIFE "YVONNE, DIE BURGUNDERPRINZESSIN"

Yvonne (Silvia Fenz oben links Mitte) ist so makaber häßlich, dass sie der Prinz (Andreas Seifert) aus dekadentem Edelmut heiraten will. Der Prinz wird aber leider von der Häßlichen nicht sexuell erregt, deshalb nimmt er dann doch lieber (brutal von hinten!) die Hofdame zur Frau (Anja Schiffel) (alle Fotos ©Lalo Jodlbauer)
Die charakterstärksten Schauspieler des Abends: König (Rainer Frieb, unten Mitte) und Königin (Beatrice Frey, unten rechts)


VOLKSTHEATER CORNELIA CROMBHOLZ MACHT AUS WITOLD GOMBROWICZS KLUGER MÄRCHENGROTESKE (1934) EIN SCHNELLES ZIRKUSSTÜCK: ANFANGS IST ES GLÜCKLICHERWEISE SENSIBEL

Yvonne, die Burgunderprinzessin - Premiere war am 19.11. im Wiener Volkstheater - ist bis zur Halbzeit ein hochinteressantes Stück. Denn es verkehrt herkömmliche Auslöser der Liebe und Beziehung ins Gegenteil und schält dadurch die wenig politisch korrekten, aber echten Bedingungen für eine anhaltende Verbindung heraus. Am Ende siegen Konvention und Klischee. Doch jedem Menschen werden solche Fehlzündungen unter/bewußt schon passiert sein - wie eben auch Prinz Philippe im Stück.

Die Prinzenrolle steht Schauspieler Andreas Seifert sehr gut. Wie schon im Spiegelgrund ist er auch hier nach außen hin "irr", in Wahrheit aber (zuerst) ein Widerstandskämpfer für Gewissen und Gerechtigkeit innerhalb einer opportunistischen, dekadenten und verlogenen Gesellschaft. Um sich ihr und seinem eigenen, natürlichen Ekel zu widersetzen, will er die häßliche Yvonne heiraten - optisch blendend besetzt mit der viel älteren Silvia Fenz. "Sie ärgert mich dermaßen, dass ich sie heiraten muß", sagt er. Ein Satz, der auch die oft vorkommende Neugier durch Verunsicherung als Liebesmotivation miteinschließt. Doch der Prinz verlobt sich noch mehr "aus Überfluß mit dem gerupften Huhn" und rechtfertigt es (nur) mit "Edelmut". Und der Hof kann sich dem nicht entgegen stellen, denn das wäre ein Skandal.

Häßlichkeit als Spiegel für menschliche Schwächen

Interessant ist aber, dass der Prinz trotz seines vordergründigen Mitleids versucht, Gutes in Yvonne zu finden, um sie lieben zu können. Dadurch verliebt allerdings sie sich in ihn. Der Vergleich liegt nahe, einen Menschen kaum mehr äußerlich zu sehen, wenn man ihn besser kennt. Nur so lassen sich etwa Scheidungen von Fotomodellen erklären. Aber auch glückliche Ehen mit häßlichen Partnern. Letztenendes werden ja auch die Schwächen eines Menschen geliebt, allerdings nur, wenn jene in einem selbst schlummern.
- Und das erleben auch die meisten Leute am Hof, sie müssen ihre dunklen, verborgenen Seiten in Yvonne erkennen: Den zappelnden König (brillant gespielt von Rainer Frieb) erinnert sie an die schmutzige Unterwäsche seiner Frau, was ihn trotz Schreckens sexuell anregt. Die Königin - Beatrice Frey mit der stärksten Schauspielleistung des Abends, als sie sich äußerlich selbst zerstört - entdeckt in der Schreckschraube ihre lesbisch-egozentrischen Anwandlungen, die sie in heimlichen Tagebüchern niedergeschrieben hat.
Nur einer kommt bei Yvonne sexuell überhaupt nicht in Fahrt: der Prinz. Deshalb überfällt er kurzerhand die sexy Hofdame Isa (konventionell: Anja Schiffel), mit der er sich auch gleich neu verlobt, ... Yvonne muß also sterben, damit wieder Ruhe einkehrt und sie in den Leuten kein schlechtes Gewissen mehr auslösen kann.

Leider wird das Stück nach der Pause inhaltlich und regiemäßig (Cornelia Crombholz) zum oberflächlichen, zeitlich durch die Mordplanung gestreckten Klamauk. Lieferte die Groteske zuvor noch überraschende Wendungen, so ist ab diesem Zeitpunkt alles vorhersehbar. Sandy Lopicics Musik im Stil von Max Raabe bindet die Szenen, Tempo und Atmosphäre enden im Zirkus. Selbst wenn das für den Zirkus des Lebens mit einem unverschämt, gestandenen Ja zur Bosheit hinter der Fassade stehen mag, ist das doch ein wenig enttäuschend. Selbst wenn die Menschheit tatsächlich nur ihre Eitelkeit im Gange hält. e.o.


DAS URTEIL DASS MAN NIE AUS MITLEID LIEBEN SOLL - ALLEIN WEGEN DIESER ERKENNTNIS IST DIESES STÜCK POLNISCHEN IRRWITZES SEHENSWERT: NACH DER PAUSE WIRD´S ALLERDINGS FAD.

THEATER Yvonne, die Burgunderprinzessin * Autor: Witold Gombrowicz * Regie: Cornelia Crombholz * Musik: Sandy Lopicic mit Band * Mit: Silvia Fenz, Rainer Frieb, Beatrice Frey, Andreas Seifert, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 27.11, 1., 2.,10.,11.,14.,19.,20.,30.12.: 19h30 + 17.12.: 15h

MUSIK: KRONOS QUARTET VON NULL ZUM EXZESS

Das Kronos Quartet steigerte sich beim New Crowned Hope Festival innerhalb von vier Tagen in den wortwörtlichen "Höhepunkt" (Foto © Elfi Oberhuber)

NEW CROWNED HOPE - DER KONZERTMARATHON DES AMERIKANISCHEN SUPER-STREICHQUARTETS KRONOS ENDETE IM ANSTÖSSIGEN FÜNFER-O(H)RGASMUS

In weiser Voraussicht, dass der erste Abend des amerikanischen Streichquartets Kronos Quartet im Jugendstiltheater, wo es Osvaldo Golijovs Werke spielen sollte, wahrscheinlich nie und nimmer an seine CD-Qualität (Nuevo) heran kommen würde, verschonten wir dieses Konzert mit unserer Anwesenheit. Denn wenn man die dürftigen akustischen Möglichkeiten jener Stätte mit den elektronisch aufwendigen Anforderungen dieses umwerfenden lateinamerikanischen (argentinisch-jüdischen) Komponisten gedanklich kombiniert, kann das nur enttäuschend sein. - Dementsprechend waren auch die Reaktionen der Tageszeitungskritik.

Besser schnitt tags darauf das zweite, eher auf reine Streichermusik bezogene Konzert mit der aserbaidschanischen Komponistin und Pianistin Franghiz Ali-Zadeh ab. Und vom dritten Abend an, mit dem bezaubernd fantasievollen Werk von Terry Riley (2004) sowie einer düster-traurigen Komposition des Polen Henryk M. Górecki, hörten auch wir mit anwesenden Ohren zu.

Akustik-Schwierigkeiten im Jugendstiltheater

Pipa-Starvirtuosin Wu Man: über ihre "chinesischer Laute" balanciert die musikalische Grenzgängerin gleich einer Ballerina (Foto: © Kronos Quartet archive)

Das aus sechs Sätzen bestehende The Cusp of Magic Rileys ist passend zu den kinderbezogenen Titeln The Cusp of Magic, Buddha´s Bedroom, The Nursery, Royal Wedding, Emily and Alice und Prayer Circle ein buntes Klangerlebnis aus vom Band zugespielten Froschgeräuschen sowie von Violonist David Harrington live "gespielten" Indianer-Rasseln und Spielzeugtönen inklusive Lachsack. Harrington hatte diese "Instrumente" aus aller Welt seinem Enkel mitgebracht, was den befreundeten Riley zu dieser Komposition inspirierte. Star des Spiels ist Pipa-Virtuosin Wu Man - und dass Kronos ihr diesen Status überläßt, zeugt für die Souveränität dieses Ensembles: Ihre Finger tanzen gleich einer behenden Ballerina über die Saiten, zupfen so schnell und rhythmisch leicht dahin, dass man ihr jedes Klangmärchen glauben will. Rileys Minimalismus ist in diesem Werk übrigens nur im 4. Satz zu erkennen.

Mehr davon war im kontrastreichen Gegensatz zum ersten Teil zu finden: in Góreckis puristischem, mit Wiederholungen und Einzelnoten langgezogenem Werk Piesni Spiewaja (songs are sung). Dessen simple Struktur ertönt traurig, karg, nackt. Sein Klang scheint nach all dem Unrecht auf der Welt zu fragen.
Und doch: Weder beim ersten, noch beim zweiten Teil, sprang der emotionale Funke, obwohl die Stücke großteils sauber gespielt waren, richtig rüber. Ob Kronos wehmütiger hätte sein sollen, oder vielleicht das Stück selbst der Grund, oder - am wahrscheinlichsten - die Akustik des Raumes Schuld war, alles kann eine Rolle gespielt haben.

Explosion im Radiokulturhaus

Doch zur Explosion kam es am vierten Tag: Im Radiokulturhaus waren sowohl die klanglichen, als auch optischen Bedingungen für Kronos perfekt. Über die verstärkten Geigen steigerten die vier Virtuosen ihr Spiel. Mit Gefühl und Konzentration war jeder Einzelne voll bei der Sache. Inspiriert wurden die vier Musiker vom Gedankengebäude David Barsamians im Gespräch mit Historiker und Dramatiker Howard Zinn. Denn hier fand die legendäre amerikanische Show Alternative Radio - Musik in einer Zeit von Krieg und Hoffnung in zwei Teilen, von 15-18h nachmittags und von 23-1h30 nachts, statt. Im Wechsel von politischem Gespräch und multikultureller Kronos-Musik spornten sich beide Komponenten gegenseitig zu reflexiven Höhen und Tiefen an.

Radikaler Bush-Provokateur Howard Zinn

David Barsamian und Howard Zinn (links) in der Radioshow Alternative Radio – Music in A Time of War and Hope: Zinn ist radikal gegen die Politik George Bushs (Foto: © Richard Termine)

Neben der wandelnden Einstellung der amerikanischen Bevölkerung hinsichtlich Bushs Irakkriegs - mehr als 60% sind jetzt dagegen -, erzählte der 84-jährige, sich zum radikalen Historismus bekennende Universitätsprofessor ("Es gibt keinen neutralen Standpunkt in der Geschichte, weshalb ich meine Studenten dazu ermutige, nicht per se mit der Präsidentenmacht zu kollaborieren, sondern nach der eigenen, gewissenhaften Meinung zu handeln") von der generellen Unmenschlichkeit heutiger Medien-Kriege, die sich nicht mehr gegen Soldaten, sondern zu 70% gegen Zivilisten bzw. Kinder richten würden. Zinn: "Unsere US-Kriegsherren jagen verdächtige Terroristen, wobei jeder politische "Widersacher" (etwa Saddam Hussein) öffentlich mit Hitler gleichgesetzt wird. Sie stieren auf die Waffen Irans, obwohl sie selbst Nuklearwaffen besitzen, die die USA als einziges Land jemals eingesetzt haben. Von der kommunistischen Verschwörung - Zinns Stück Marx in Soho handelt von der Rückkehr Karl Marxs nach Soho in New York, um seinen Namen klar zu stellen) - lenkt es die Hysterie nun auf das Nuklear-Phantom. Man sollte daher eher vom legalen Regierungterrorismus der USA sprechen."

Der Historiker hinterfragt die US-Demokratie, wo die freie Meinungsäußerung tatsächlich nur mit Macht und Geld einher gehe. Die Medien, ebenfalls abhängig von der Industrie, unterschieden nicht zwischen Fikton und Nicht-Fiktion. Nur die Künstler würden echte Probleme eher erfassen, bevor sie andere übernähmen. Als potentielle Macht behindere die Politik jene allerdings. Und hier hakte der künstlerische Leiter des Festivals, Peter Sellars, ein: "Und doch haben es Künstler immer geschafft, an Orten zu sprechen, wo es möglich ist. Können die Kurden nicht im Iran singen, so tun sie es anderswo." Zinn ruft zur Widerstands-Bürgerbewegung mit Bewußtsein für eigene historische Identität auf, insbesondere der Minderheiten: Gerade weil im Fortschreiten der Globalisierung die Nationalisten keine Neuankömmlinge wünschten. Die Amerikaner seien gegen mexikanische Immigranten, obwohl sie selbst alle einmal von irgendwoher gekommen seien: "Insofern ist die Freiheitsstatue eine Lüge", sagt Zinn.
Die weltgrößte Gefahr liege allerdings - von Bush als Junk-Wissenschaft herunter gespielt - in der globalen Erwärmung, da die Langzeit-Konsequenzen zwar erwiesen, tatsächlich aber unsichtbar seien.

"Egal, wer in welchem dieser Bereiche "was" tut, um Widerstand zu leisten", schließt Zinn, "jeder kleine Akt hilft, selbst wenn er im Moment nichts zu nützen scheint. Doch ein Akt führt zum nächsten, bis letztenendes der Prozeß des Widerstands zum Sieg führt."

Orgiastische Stöhnmusik zum Schluß

Tanya Tagaq brachte Hardcore ins Geschehen: barfuß und rhythmisch orgiastisch unter den beschuhten Kronos-Mannen am Ende des Alternative Radio – Music in A Time of War and Hope (Foto: © Richard Termine)

Kronos hüllte die politischen Parolen rhythmisch, orientalisch, leidenschaftlich, elektrisch, fröhlich, temperamentvoll, asiatisch, roma-lebendig in Musik aus Afghanistan, Argentinien, Kanada, China, Äthiopien, Deutschland, Island, Indien, Iran, Irak, Jugoslawien, Libanon, Mexiko, Nubia, Russland, Saudi-Arabien, Schweden, Türkei, USA und Usbekistan. Es toppte einen Höhepunkt durch den nächsten. Und ab der zweiten Hälfte, nachdem es Jim Hendrixs Amerikanische Nationalhymne, gefolgt von Harringtons leidenschaftlichem Violinen-Solo, und dem virtuosen Violoncello-Solo von Jeffrey Zeigler gespielt hatte, fühlte sich der Zuhörer trotz der fortgeschrittenen Mitternachtsstunde hellwach wie im musischen Paradies. Und dass es dort auch Sex geben muß, ist seit diesem Ereignis klar: Die Inuit-Künstlerin Tanya Tagaq (31) schmeißt sich barfuß vom einen Musiker zum anderen. Mit jedem steigert sie sich zwischen Echo und Loop, in sich überschlagenden Stimmlagen, vom langsamen zum schnelleren bis ganz schnellen Hecheln, Röcheln, Stöhnen, vom Inuit-Kehlgesang zur lieblich hohen Wonne. Ihre Stimme imitiert phasenweise einzelne Gesangsmotive der Streichinstrumente und umgekehrt, sie kämpfen im Wettstreit um die größere Lust, Tagaq greift Harrington auf seine Saiten. Wie ein Vieh stampft sie wild auf den Boden: das ist keine Musik mehr, sondern Hardcore. Nur gut, dass frau zu multiplen Orgasmen fähig ist: Und mit jedem der Spieler hat sie einen. Völlig fertig gibt sie schließlich als Letzte auf, sie siegt über die vier Männer. Sie, die Siegerin der Lust. a.c./e.o.

DAS URTEIL DASS DAS KRONOS QUARTET UNTER OPTIMALEN AKUSTISCHEN BEDINGUNGEN ATEMBERAUBEND SEIN KANN, HABEN WIR IN WIEN DES ÖFTEREN ERLEBT. DIE TANYA-TAGAQ-PERFORMANCE TRIEB UNS ABER NUN DIE SCHAMESRÖTE INS GESICHT ... EXTREM SPANNEND!

Wednesday, November 15, 2006

OPER/TANZ: PETER SELLARS INSZENIERT JOHN ADAMS´ "A FLOWERING TREE"

Photo (©George Tsypin): Auf diese wandelbare Bühneninstallation von einem blühenden Baum läßt Peter Sellars Tänzer, Sänger, Orchester und Chor los.


NEW CROWNED HOPE - PETER SELLARS OPERN-URAUFFÜHRUNG ZUR FESTIVAL- ERÖFFNUNG IM MUSEUMSQUARTIER IST EIN NAIVER ETHNISCHER ZAUBER À LA MICHAEL JACKSON

Am 14.11.2006 wurde mit der Uraufführung A Flowering Tree das Mozart-Festival New Crowned Hope eingeläutet. Mit Spannung erwartete man, wie sich das Festivalkonzept eines Miteinanders von alternativer Ethno-Bescheidenheit und feinster Musikklassik wohl auf das Genre Oper auswirken würde. In der Politik ist es ja bis jetzt nicht unbedingt so, dass die Grünen musisch mit höchster Klasse harmonieren würden. Was also im Alltag kaum zustande kommt, sollte in Peter Sellars Regie aufgehen.

Nun, das Endprodukt aus zeitgenössisch-kommerzieller Musik von Komponist und Dirigent John Adams, klassisch-höfischem Java-Tanz, amerikanischem Operngesang und folkloristischem Gospelchor (Schola Cantorum de Venezuela) ist auf jeden Fall interessant. Die ethnische Bescheidenheit zeigt sich im moralischen Kern der erzählten Geschichte und in den leuchtenden, asiatischen Kostümen (Jeans unter goldenen, pinken, türkisen China-Look- Kleidchen), sowie in der zurückhaltenden Regie. Irgendwie erinnert das Ganze atmosphärisch an Michael Jacksons Worldsong (We Are The World).

Zurückhaltender Regiestil

Die Zurückhaltung seitens Peter Sellars ist nicht unbedingt negativ gemeint. Denn ein Mehr an Inszenierung hätte wahrscheinlich die Poesie der Worte erschlagen, sowie auch die großteils freudige, lautmalerische Musik von John Adams überfrachtet. Die Musik ist überhaupt das Hightlight des Abends, wobei das bunt gekleidete Orchester - die mit westlichen und asiatischen Flöten- bzw. Zupfinstrumenten spielende Joven Camerata de Venezuela - durchgehend neben den Darstellern auf der Bühne zu sehen ist. Dass Sellars die zwei Komponenten - Musik und Wort - am wichtigsten waren, liegt wohl daran, dass er als Regisseur und Komponist Adams gemeinsam das Libretto verfaßt haben. Darin wird ein armes Mädchen, zunächst um seiner Mutter zu helfen, zum lukrativen "Baum", gewinnt darüber aber das Herz eines Prinzen. Das Schöne an diesem Bild vom "Baum" ist seine Doppelbedeutung zwischen zwei konträren Polen: positiv steht er für Fruchtbarkeit, Verführung, Entdeckung erster Lust; negativ für Eitelkeit, das Hervorrufen von Neid und Gier - all das, was auch eine Liebe zerstört. Das - und dabei echte und wertvolle Gefühle - über bittere Selbsterniedrigung in einem selbst zu erkennen, darum geht es in dieser Geschichte, die wie ein Märchen über Erzählungen von Sänger Eric Owens transportiert wird.

Sänger und Tänzer als Prinz und Mädchen

Der Prinz und das Mädchen sind doppelt besetzt, durch einen schwarzen US-Tenor (expressiv und stark (da dick): Russell Thomas) und den indonesischen Choreografie-Star (Eko Supriyanto - tatsächlich ein unglaublicher Tänzer von großer Körperbeherrschung und männlicher Ausdruckskraft), sowie durch eine hell singende, weiße US-Sopranistin (Jessica Rivera) und die indonesische Tanzstudentin Astri Kusuma Wardani. Die Mutter und Schwester tanzt die 57-jährige indonesische Tänzerin Rusini Sidi. - Schöne visuelle Bildmomente ergeben sich, wenn der Schizophrenie-Zustand von Gut und Schlecht, Blühen und Verkümmerung (mit Baummaske) über deren Körperverdoppelungen gezeigt werden.
Und ein Kunstwerk ist die Bühne von George Tsypin: eine Rieseninstallation von einem wandelbaren, blühenden Baum, über dessen Äste die Darsteller wandern. (e.o.)

DAS URTEIL EIN FRÖHLICH-TRAURIGES SPEKTAKEL, WO MAN IMMER WIEDER ETWAS UNBEKANNTES FINDET UND STAUNT. DER ZWEITE TEIL ZIEHT SICH ALLERDINGS HIN, TROTZ DER DURCHGEHEND ELOQUENTEN MUSIK VON JOHN ADAMS.

OPER/TANZ A Flowering Tree (UA) * Musik, Dirigat, Co-Libretto: John Adams * Regie + Co-Libretto: Peter Sellars * Mit: Russell Thomas, Eko Supriyanto * Orchester: Joven Camerata de Venezuela * Chor: Schola Cantorum de Venezuela * Ort: Halle E, Museumsquartier Wien * Zeit: 16., 18., 19.11., 20h

Monday, November 13, 2006

FILM: DIE NEW-CROWNED-HOPE-REVOLUTION VON GARIN NUGROHO


Filmstills aus Opera Jawa (© N.N): Die verkörperte Fleischeslust: Dieser "Mann" (oben) verleitet die Ehefrau zur Untreue, während der Ehemann sie nur als Heilige sehen will. Im Vagina-Zelt am Meer schlitzt dieser sie deshalb auf, um ihr Herz zu befragen, wen es nun wirklich liebe? - Ein formal absolut interessanter Film für Opern- und Tanzfans.

I Don´t Want to Sleep Alone-Filmstill (© William Laxton): Einer von den Dreien zieht für gewöhnlich den Kürzeren, außer das männliche Objekt der Begierde (Mitte) wäre bisexuell ... immerhin können sie aber zumindest zu dritt schlafen. - Sexszenen und Erotik retten diesen langsamen Film voller Schmutz, Flöhe, Krankheit und Giftgase.


NEW CROWNED HOPE - EINE FORMALE OPERN-TANZ-FILM-REVOLUTION AUS INDONESIEN UND LANG(WEILIG)ATMIGE "BARBARA-ALBERT- FILME" AUS THAILAND UND TAIWAN

Am 14.11. startet offiziell das bis 13.12.06 dauernde New Crowned Hope-Festival. intimacy: art sah alle sieben Filme vorab. Top bleibt Hamaca Paraguaya (für Kritik scroll down), dicht gefolgt von Opera Jawa des indonesischen Regisseurs Garin Nugroho (45). Unsere Begründung: Diese beiden Filme bringen formale Neuerungen in das Filmgenre, wobei Hamaca Paraguaya mit musikalischer Poesie dem Filmwesen näher kommt und wirklich jedem gefallen wird, während Opera Jawa - von Oper/Theater und Tanz geprägt - eher etwas für die Spezialinteressen-Zielgruppe ist. - Aber: Diese "Opernfilm"-Art könnte bei Theater- und Opernübertragungen künftig Sinn machen. Denn "nur abgefilmt", so wie sie bisher sind, drängen sie selbst Theater- und Opernfans (die meist auch Filmfans sind!) reflexartig zum Umschalt-Knopf.

Opera Jawa: zweitschönster Film des Festivals

Opera Jawa ist stilistisch gemacht wie ein Bollywood-Film, nur nicht auf indisch, sondern indonesisch, und - durchgehend gesungen - näher der Oper und dem volkstümlichen Gamelan als dem Musical. Außergewöhnlich sind die vielfältigen, rituellen bis klassischen Tanzszenen von sieben berühmten javanischen Tänzern und Choreografen in abstrakten, von Künstlern geschaffenen Installationen. Das paßt so gut, da es auch in der Geschichte um drei ehemalige Tänzer geht, die einst den Klassiker Ramayana aufführten. Dessen Dreiecksgeschichte von einem Paar und einem Querbrater strahlt nun auf ihr jetziges Leben ab:

Das Töpfer-Ehepaar hat Geldprobleme. Dazu kommt, dass der Mann seine Frau zur Heiligen hochstilisiert, anstatt es ihr anständig zu besorgen. Dabei hätte er doch wirklich die besten Voraussetzungen dazu, wo er sie so reizvoll mit Töpferlehm beschmiert. Sexuell unbefriedigt, zieht es sie alsdann - kaum ist ihr Mann auf dem Markt - über einen endlos langen, lustroten Teppich zum potenten Händler Ludiro. Bei ihm lebt sie ihr Verlangen aus, ohne - wie bei ihrem Mann - Angst haben zu müssen, dafür vom Gegenüber verachtet zu werden. Doch der Sexprotz klagt wiederum: er dürfe nur ihr Fleisch besitzen, nicht ihr Herz. Das beschäftigt ihn so sehr, dass er blutrünstig zwischen Schlachtrind umher tanzt, als befinde er sich auf Hermann Nitschs Orgienfest. Für sie ist wieder das Problem, dass sich diese beiden Männerwelten nicht trennen lassen: liegt sie des Nachts zuhause neben ihrem Mann, kriecht plötzlich dieser Lustteufel unter ihren Rock. So viel Scheinheiligkeit muß daher bestraft werden: der Ehemann schneidet seiner untreuen Ehefrau im Vagina-Zelt das Herz heraus, um sich zu überzeugen, für wen es wirklich schlägt.

Die "Barbara Albert"-Langatmer

Also, für Sang sattawat (Syndromes and a Century) des thailändischen Regisseurs (36) Apichatpong Weerasehakul brauchen Sie einen langen Atem. Erinnert schwer an Böse Zellen von Barbara Albert. Alltagszenen ohne Höhepunkte, keine kontinuierliche Geschichte, scheinbar reale Beziehungsepisoden im Krankenhaus. - Wann läuft diese Mode des Nicht-Erzählen-Könnens endlich aus? Wann gesteht man sich endlich ein, dass die Kunst des Filmens im richtigen Timing und Spannungsaufbau liegt? - Nur für Leute, die absolut nichts zu tun und keine Perspektiven im Leben haben! Alle anderen werden platzen vor dem Gefühl, dass man ihnen die Zeit stiehlt.

Nicht ganz so schlimm ist Tsai Ming-Liangs (49) Hei Yan Quan (I Don´t Want to Sleep Alone). Zwar in genau so langatmigem Schein-Alltags-Realismus gedreht, aber wenigstens mit Konzentration auf drei Menschen. Ein Mann nimmt einen heruntergekommenen Kerl von der Straße mit nach Haus; er wäscht, füttert und bettet ihn neben sich auf der (flohreichen) Matratze. Subtile Erotik liegt in der Luft. Doch als der Aufgenommene gesünder wird, steigt er einer Krankenpflegerin nach, die den ganzen Tag einen klinisch Toten wäscht. Dann ist Giftalarm, und ausgerechnet da wollen die beiden im Halbfreien miteinander schlafen. Mit Gasmasken geht das etwas schwer. Das Ganze endet im Eklat, als der tatsächlich schwule Helfer dahinter kommmt, zu wem sein undankbarer Patient sich hingezogen fühlt. Und doch schlafen sie alle drei gemeinsam ein. - Diesen Film retten die Erotikszenen und die metapherreichen Gegensätze von Leben-Tod. a.c./e.o.


DAS URTEIL WENN MAN SICH NICHT SEHR ÄRGERT, KANN MAN SICH AUCH NICHT SEHR FREUEN: ALSO AM BESTEN ALLE FILME DES FESTIVALS ANSEHEN.

FILM Opera Jawa, Indonesien/A 2006, 120 min, Javanisch * Ort: Gartenbaukino Wien * Zeit: 17.11., 20h * OmeU * Im Anschluss Publikumsgespräch mit Garin Nugroho // Ort: Filmmuseum * Zeit: 30.11., 20h30 * OmdU
FILM Syndromes of a Century, Thailand/A/F 2006, 105 min, Thailändisch * Ort: Gartenbaukino Wien * Zeit: 21.11., 20h30 * OmeU * Im Anschluss Publikumsgespräch mit Apichatpong Weerasehakul // Ort: Filmmuseum * Zeit: 30.11., 18h30 * OmdU
FILM I Don´t Want to Sleep Alone, Taiwan/F/A 2006, 118 min, Malayisch, Mandarin, Bengalisch * Ort: Gartenbaukino Wien * Zeit: 22.11., 20h30 * OmeU * Im Anschluss Publikumsgespräch mit Tsai Ming-Liang // Ort: Filmmuseum * Zeit: 27.11., 20h45 * OmdU

Thursday, November 09, 2006

OPER: MICHAEL STURMINGER BAHNBRECHEND MIT UA "I HATE MOZART" ZUR MUSIK VON BERNHARD LANG


Fotos (© Armin Bardel) aus der Produktion I hate Mozart:
Die kleine, osteuropäische, junge Sängerin Simona Chodovska (Andrea Lauren Brown) beim Vorsingen, und der übermächtige, italienische Dirigent Adriano Morado (Florian Boesch) verliebt sich in sie ...

... dabei ist er doch mit der großen blonden Diva Grace Moor (Dagmar Schellenberger) verheiratet, die sie dann auch aussticht, sowohl in der Rolle als auch in der Liebe.

Dirigent Adriano Morado beim Proben: Er beschimpft das Ensemble, nicht stören zu dürfen, denn nur ihm sei dieses Recht vergönnt, und demütigt den schwulen Tenor (weil er keine Eier hat!).


Am Ende ist der Dirigent doch nur ein kleiner, nackter, unperfekter, müder, unzufriedener Mensch, umgeben von Mozarts Dämonen (Vokalensemble NOVA (Ltg. Colin Mason), die zu viel von ihm verlangen...



THEATER AN DER WIEN EINE HASSLIEBE ZU MOZART, EINE HASSLIEBE ZUR KUNST: BEI I HATE MOZART WERDEN DIE DISCOGEHER DIE OPER STÜRMEN WIE AUCH GROSSE MUSIK-, KUNST- UND THEATERKENNER. UND WIE DIE TOURISTEN. EIN EINSCHNEIDENDES KUNSTERLEBNIS.

Der 8. November 2006 wird schätzungsweise in die Analen der Musiktheater-Geschichte eingehen. Wieder ist mit I hate Mozart ein Stück geschaffen worden, das vom Wesen der Kunst an sich handelt, oder besser gesagt: von der Ohnmacht des schaffenden Künstlers. Schon Shakespeare verarbeitete diesen persönlichen Kampf 1610 in seinem letzten Werk Der Sturm, indem er die Kunst gegen die Natur ausspielte und sie an ihre Grenzen stoßen ließ. Keine noch so gelungene Konstruktion vermag es, der kreativen Idee jemals gerecht zu werden. Es wird alles immer nur eine bessere oder schlechtere Annäherung sein.

Neue Oper wurde immer verhindert, jetzt bricht sie durch

Wir wollen aber gar nicht wissen, was für euphorische Schaffensbilder sich in Michael Sturmingers Kopf ursprünglich abgespielt haben. Denn von diesem Uraufführungs-Premierenabend am Theater an der Wien konnte man nur restlos begeistert sein. Endlich wird diesem Land eine echt gute zeitgenössische Oper - oder belassen wir es beim historischen Begriff - eine echt gute, zeitgenössische "Opera buffa" beschert, nachdem bedeutende Kulturmacher in doppelmoralischem Machtzirkel seit Jahrzehnten erfolgreich institutionalisierte Neue Oper verhindern. Mit den Chinesen, die gestern ganz spontan unter allen Klassikangeboten Wiens auf diesen Titel setzten, wollen wir jene jedoch nicht eines Besseren belehren.- Da eine Produktion nicht zum Erfolg wird, indem sie Touristen anlockt, sondern allein durch ihre künstlerische Qualität. Und Michael Sturminger erzielte sie durch erlesene Auswahl von sämtlichen beteiligten Komponenten dieser Produktion, allen voran des Komponisten Bernhard Lang, des Dirigenten Johannes Kalitzke sowie des Hauptdarstellers Florian Boesch (der den Dirigenten im Stück spielt).

Wahre Klischees hinter den Kulissen

Geschrieben hat Sturminger das Libretto selbst. Es läßt neben Shakespeare auch Querverweise zu Mozarts Der Schauspieldirektor zu. Denn auch Mozart vertonte einst ein Stück Johann Gottlieb Stephanies´ aus "Hinter den Kulissen", allerdings auf Wunsch des Kaisers, der sich eine Satire auf die Wiener Opernverhältnisse wünschte. Ist hier die Debatte, um dem Publikum zu gefallen, möglichst schlecht zu spielen und auf künstlerischen Anspruch zu verzichten, was die mittelmäßigen Darsteller dann auch noch durch persönliche Rivalitäten forcieren, und nur durch Akzeptanz der bloßen "Imitation" befrieden können, so sind es bei Sturminger die privaten Beziehungen, sexuellen und Liebesbedürfnisse, die die Künstler während der Probenarbeiten begleiten.

Da gibt es jede Menge Klischees, wie die alternde, nicht mehr zu singen fähige Diva Grace Moor, die durch Pressetricks und Intrigen dennoch als Star (Dagmar Schellenberger) gefeiert wird und dabei auch noch ihren Mann, den Dirigenten, von seiner neuen, jungen Liebe fernhalten kann. Dass der Dirigent sich überhaupt in sein junges Talent verliebt - dieses ist bei Sturminger auch noch aus Osteuropa (Andrea Lauren Brown - aufgrund der Optik die einzige wenig glaubwürdige Besetzung). Wie der Tenor (Mathias Zachariassen), der einst unwissend Mezzosopranistin Franziska Zimmer (Salome Kammer) schwängerte, und sich jetzt zum Schwulsein bekennt. Der Agent des Dirigenten (David Pittman-Jennings), der zugunsten geschäftlicher Vorteile zu manipulieren weiß. Und der Intendant (Rupert Bergmann), der eine unscheinbare, oberflächliche Randfigur ohne künstlerischem Sinn ist.

Künstlerischer Anspruch wächst durch Liebeswirren

Paradox ist aber, dass all diese Klischees tatsächlich andauernd vorkommen. Und dass die Gefühlsverwirrungen unterbewußt zugelassen und gelebt werden, muß wahrscheinlich auch sein, damit ein Stück überhaupt emotional wirken kann. Selbst wenn dann jemand, wie der sowohl schauspielerisch als auch sängerisch bestechende Dirigent - übrigens mit umwerfendem (italienischem) Sexappeal - Florian Boesch, trotz äußeren Ruhms noch immer todunglücklich und mit sich unzufrieden sein wird. Denn Mozart, dessen Zauberflöte in diesem Stück im Stück inszeniert wird, ist einfach nie zu meistern: "Süßer als die Erfüllung ist die Sehnsucht" heißt es am Ende, was wohl für den Liebenden wie für den Kunstschaffenden gilt.

Mozart-Anspruch in der Musik erfüllt

Erfüllt wurde in dieser Oper aber tatsächlich der Anspruch an die Musik: Bernhard Lang ist der Mozart unserer Zeit! "Ich habe von Mozart nur seine Neugierde übernommen", sagte er zu seiner Notation. Live-Turntable-Solisten und Samples werden den machmal wie eine Jazz-Bigband, eine Rap-Band und eine Techno-Gruppe klingenden Tonkünstlern zugespielt. Das Vokalensemble Nova begleitet die schwierigen Partien der Sänger. Zuweilen dröhnt auf das Orchester übertragener Syntheziser-Beat neben Neuer Musik durch den Opernsaal. Alle Extras und Zusätze kommen gerade recht: ganz fein und auf einzelne Worte abgestimmt, spielen Instrumente, oder wiederholen sich Rhythmen. Alles lebt zu Geschehen und Wortfluß auf der Bühne. Entspannung und Tempo, Tonalität und Atonalität gehen Hand in Hand, es atmet, manchmal harmonisch und dann wieder irritierend. Doch keine Phrase dauert in den zwei Stunden auch nur eine Sekunde zu lang. Dirigent Kalitzke beweist sein mikroskopisches Gehör, das den ganzen Saal zum Staunen und teilweise auch zum Lachen bringt. - Ja, so pointiert gesetzt hat man Musik selten gehört, und in einer Oper wahrscheinlich noch nie. Diese Musik ist schlichtweg ein Abenteuer!

Regisseur und Autor Sturminger

Dass Michael Sturminger als Regisseur sein eigenes Stück am besten versteht, indem er Momente wie das wortwörtliche "impossibile" oder den beängstigenden Surrealismus bei Mozartvisionen besonders heraus arbeitet, mag adhoc einleuchtend sein. Doch die Praxis zeigt, dass Regisseure, die auch Autor sind - wie so oft in der freien Szene - gegenüber dem eigenen Stück nicht genügend Distanz besitzen, sodass die Regie dann in die Hose geht. Sturminger ist Profi und diszipliniert genug, um hierin nicht zu scheitern. Er brachte diese durchgehend guten Sänger zum gelebten Schauspiel - kaum einer sprach mit Opernstimme. Schlußendlich hat er auch noch fantastisch gute Bühnenbildner gefunden: Renate Martin und Andreas Donhauser. Das Drehen und Spiel mit dem Perspektivenwechsel, das Auf und Ab, Oben und Unten des ganzen Raums ist ein einziger Rausch, so wie das ganze Stück und wie das Künstlerleben. (e.o.)


DAS URTEIL SUPER MUSIK, SUPER LIBRETTO, SUPER REGIE, SUPER DIRIGAT, SUPER ORCHESTER, SUPER HAUPTDARSTELLER FLORIAN BOESCH, SUPER SÄNGER, SUPER AUSSTATTER. DIE NEUE OPER IST IN WIEN ANGEKOMMEN!

OPER I hate Mozart * Libretto und Regie: Michael Sturminger * Musik: Bernhard Lang * Dirigat: Johannes Kalitzke * Orchester: Klangforum Wien * Mit: Florian Boesch, Salome Kammer, u.a. * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 10.+12.11., 20h (Wiederaufnahme geplant)

Monday, November 06, 2006

FILM: DAS NEW-CROWNED-HOPE-JUWEL VON PAZ ENCINA



Drei Filmstills oben aus Hamaca Paraguay: (© N.N): Die Totale auf die Hängematte führt praktisch durch den paraguayischen Film, kaum Schnitte, viel Dialog, aber wunderschön. Im raren Szenenwechsel hört man die inneren Stimmen von "ihr" und "ihm", die sagen, wie sehr sie auf ihren Sohn warten;


Half Moon-Still (© Bahman Ghobadi): Der Film über einen kurdischen Sänger, der im Iran eine Sängerin mitnehmen will - zu singen ist dort aber Frauen verboten.
Darunter: Daratt-Filmstill (© Frank Verdier) Der afrikanische Junge verschont den Mörder seines Vaters dann doch.


NEW CROWNED HOPE - EIN ABSOLUTER TOP-FILM AUS PARAGUAY UND MINDESTENS ZWEI INHALTLICH SCHÖNE FILME ÜBER AFRIKA UND KURDISTAN

Halbzeit der Filmvorschau für die Presse beim New-Crowned-Hope-Festival, kurz vor Festivalstart am 14.11. in Wien. Nach vier gezeigten Filmen - davon holten sich drei Preise bei prestigeträchtigen internationalen Festivals - lautet der absolute Liebling der intimacy: art -Redaktion: Hamaca Paraguaya (Paraguayan Hammock).

Absolut Top: Hamaca Paraguaya

Dieser Film besteht vielleicht aus zehn Einstellungen, die meisten in der Totalen gedreht. Die wenigen vorkommenden Menschen sprechen nicht direkt, sondern nur im Off miteinander. Dank dieser formalen Kargheit kommt das Gesagte umso mehr zu Geltung, der realistische Dialog eines alten Ehepaars, das die schwüle Hitze des Tages auf der Hängematte übersteht, dicht nebeneinander sitzend. Trotz ihrer Nähe sind sie sich anfangs fern, denn beide sprechen nur von ihrem Sohn, der in den Krieg zog und bisher nicht zurück gekommen ist. Sie warten auf ihn, so wie auf den Regen, der nicht durchbrechen will, obwohl es immerzu donnert. Alles erinnert an die letzten Worte des Sohnes: die bellende Hündin, die Orangenplantage, das Haus.

Dann ist der Krieg vorbei und die Mutter erhält Nachricht. Sie akzeptiert sie nicht gleich. Doch wächst mit dem Sterben der Hoffnung auf die Rückkehr des Sohnes ihre Zuneigung gegenüber ihrem kränkelnden Mann im Jetzt. Und als der Film vorbei ist, beginnt es im Off auch endlich zu regnen.

Ein großer Gefühlsfilm ohne Sentimentaliät. Und ein doppeltes Meisterwerk, wenn man bedenkt, dass der paraguayische Film aus einem Land kommt, wo es keine eigene Filmindustrie gibt. Gebaut wie eine Musikkomposition, wo Worte des Alltags zur rhythmischen Totenklage werden, und Bilder von körperlicher Empfindung sprechen. - Grossartiges Spielfilmdebüt mit poetisch-dokumentarischer Note von der Lateinamerikanerin Paz Encina (35).

Sehenswert: Half Moon und Dry Season

Niwemang (Half Moon) erzählt die Geschichte eines in Kurdistan berühmten kurdischen Musikers, der nach Saddam Husseins Tod in den Irak reisen will, um dort aufzutreten. Der Sänger will aber nur gehen, wenn er eine iranische Sängerin mitnehmen kann. Sängerinnen sind im Iran aber verboten. Ein kleiner Krimi mit abenteuerlicher Reise im Bus durch Sand, Stein und Schnee in den Bergen, bis die Grenzpolizei die Truppe erwischt. Eine Zeichnung von einem naiven, tollpatschigen, mit der neuen Technik hadernden Volk, das aber Kraft seines Idealismus und seines Glaubens an die kurdische Musik berührt. Mythenreich mit Todesvisionen und doch ernüchternd realistisch - etwa durch einen Kampfhahn, den die Polizei der Vogelgrippe bezichtigt. Vom bekannten kurdisch-iranischen Regisseur Bahman Ghobadi (37).

Daratt (Dry Season) spielt im Tschad 2006, wo der Staat allen Kriegsverbrechern Amnestie gewährt. So schickt ein im Wüstendorf lebender Großvater seinen Enkel mit einem Revolver los, um den Mörder seines Vaters zu töten. Der, jetzt nächstenliebende, Bäcker nimmt den Jungen als Gesellen auf. Als seine schwangere Frau ihr Baby verliert, will er den Jungen adoptieren... Ein lehrreicher Film, weil er Leben und Umgang der Menschen in Afrika zeigt, aber vor allem wegen der Botschaft, dass ein Junge den Befehl der Sühne seines Vorgesetzten mißachtet. Mehr noch: er tut vor dem Großvater nur so, als hätte er den Mörder erschossen ... D.h., er beläßt ihn im Glauben, mit sich den "mordenden, starken" Mann in die nächste Generation weiter gegeben zu haben, leitet jedoch in Wahrheit die "starke, verzeihende" Generation ein. Ein Film von Mahamat-Saleh Haroun (46).

Indifferent: Meokgo and the Stickfighter

Der Film des 32-jährigen populistischen Südafrikaners, Teboho Mahletsi, ist über uns hinweg geschwebt. Da war ein junger Mann, der sich gerade an ein Mädchen heran macht und nicht auf die Gefahr hinter ihm achtet: Ein Reiter versetzt ihm einen Hieb, und entführt das Mädchen (das aber recht glücklich scheint...). Den Film haben wir nicht ganz durchschaut, liegt wohl am Film... (a.c./e.o.)

DAS URTEIL DREI VON VIER FILMEN SEHENSWERT UND EINER DAVON EIN ABSOLUTES MUST - EINE BESSERE BILANZ KANN SICH NEW CROWNED HOPE NICHT WÜNSCHEN...

FILM Half Moon, Iran/Irak/A/F 2006, 113 min, Kurdisch, Farsi * Ort: Gartenbaukino Wien * Zeit: 18.11., 20h30 * OmeU * Im Anschluss Publikumsgespräch mit Bahman Ghobadi// Ort: Filmmuseum * Zeit: 29.11., 20h30 * OmdU
FILM Paraguayan Hammock, F/Argentinien/NL/Paraguay/A/E/D 2006, 76 min, Guarani * Ort: Gartenbaukino Wien * Zeit: 19.11., 20h30 * OmeU * Im Anschluss Publikumsgespräch mit Paz Encina // Ort: Filmmuseum * Zeit: 29.11., 18h30 * OmdU
FILME Meokgo and the Stickfighter, RSA/A 2006, 16 min, Sotho & Dry Season, F/B/Tschad/A 2006, 95 min, Französisch, Tschad-Arabisch * Ort: Gartenbaukino Wien * Zeit: 20.11., 20h30, OmeU * Im Anschluss Publikumsgespräch mit Mahamat -Saleh Haroun // Ort: Filmmuseum * Zeit: 27.11., 18h30 * Omd/eU

Thursday, October 26, 2006

MUSIK/THEATER + BALLETT: GEYER, HOLENDER, BERGER, BUCHBINDER, POUNTNEY, SERAFIN UND FLIMM IM VERGLEICH

David Pountney liebt schwierige Kunstexperimente so sehr, dass er dafür, trotz Intendanz bei den Bregenzer Festspielen, zur Ruhrtriennale fährt, um Die Soldaten zu inszenieren. (© C. + H. Baus)


OPER + BALLETT DIE ÖSTERREICHISCHEN FESTSPIELORTE SIND DRAUF UND DRAN, DEN WIENER TOURISMUSATTRAKTIONEN WIE STAATSOPER UND VOLKSOPER IN SACHEN INTERNATIONALEM MUSIK/THEATER DEN RANG AB ZU RINGEN: ABER EIN KLEINER INNOVATIONSTROPFEN KOMMT NUN VOM NEUEN THEATER AN DER WIEN

Die Präsentation des Jahresprogramms 2007 am neuen Opernhaus Theater an der Wien war eine kleine Freude. Intendant Roland Geyer bringt durch neuere Werke wie Endstation Sehnsucht (UA 1998) und Dead Man Walking (UA 2002) endlich jüngere Oper nach Wien. Denn seitens Staatsoper passiert diesbezüglich ja nichts. Barry Koskys zynische Lohengrin-Umsetzung war zuletzt höchstens ein interessanterer Zugang. Von der Volksoper unter Rudolf Berger ganz zu schweigen, wo in der Saison 05/06 nur Sophie´s Choice so etwas wie internationales, modernes Charisma hatte. Die meisten anderen Inszenierungen erinnern an Musikantenstadl im Barockkleid, sodass der junge Kunstfreund gerade noch lieber in die Staatsoper geht.

Patriarch Ioan Holender zeigt sich großzügig

Fast einen Lacher kostet es aber, dass sich Staatsoperndirektor Ioan Holender - der seine Regisseure derart erniedrigt, dass er am Monatsprogramm nicht einmal ihren Namen zur geschaffenen Inszenierung hinschreibt - pseudomäßig der Kunst gegenüber fortschrittlich gibt, indem er in Kooperation mit der neuen, designierten Belvedere-Direktorin, Agnes Husslein, junge Künstlerinnen zu den Premieren ausstellen läßt. - Wobei er aber nichts ankauft, sondern nur die Materialkosten für die Malerei zahlt, die extra zum Thema der jeweiligen Oper gefertigt werden muß. Wer wird den Künstlerinnen wohl diese Auftragswerke abkaufen?!

Der Tanz schläft auch im Theater an der Wien

Das Theater an der Wien wird außerdem Der Seelen wunderliches Bergwerk von Tobias Moretti & moderntimes heraus bringen, das zwar auf einem etablierten Komponisten-Mix beruht, aber formal und inhaltlich sehr speziell zu sein scheint. Und auch das Kabinetttheater wird ein Stück kreieren - dieses süße Figurentheater sieht man zwar auch im Konzerthaus, aber immerhin, eine nette Geste des formalen Öffnens...

Nur im Tanz ruht sich Geyer ein wenig zu sehr auf John Neumeier aus - als ob es nur diesen einen Choreographen gäbe. Und nichts gegen Anne Teresa de Keersmaeker, die vom geschätzten ImPulsTanz-Team beigesteuert wurde - nun aber auch noch im Winter, nachdem sie fast jeden Sommer in Wien tanzt, das wird doch langsam fad. (Dass sie ihren Fulltime-Job an der Brüsseler Oper verloren hat, darf als Grund nicht genügen.) Vom Ballett der Staatsoper und Volksoper unter dem Ungarn, Gyula Harangozó, wollen wir in diesem Zusammenhang lieber nicht reden ... denn diese Bestellung ist klar ersichtlich eine rein politische!

Neben der Ruhr-Triennale verblasst Wiens Szene

Das Gefühl, dass Wien insgesamt international noch immer hinten nach ist, verstärkt sich trotz der jüngsten Ansätze im Vergleich mit der deutschen Ruhr-Triennale und deren hochprofessionellen Experimenten. Tanzgrößen wie die Trisha-Brown-Company oder Alain Platels Les Ballets C. de la B. kamen zuletzt. Musikgenre-Sprenger wie David Byrne finden hier ihr Publikum. David Pountney, Intendant der Bregenzer Festspiele, inszenierte im Oktober auf technisch abenteuerliche Weise Alois Zimmermanns Die Soldaten (UA 1965) in der Jahrhunderthalle, der Maschinenhalle einer ehemaligen Stahlfabrik. Musikalisch spielen dabei drei Orchesterensembles in mehreren Handlungssträngen über- und nebeneinander, bei verschränkten Jazzelementen mit Barock-Chorälen.

Vorarlberg, Salzburg, Niederösterreich bald/schon innovativer als Wien

- Nachdem Ruhr-Triennale-Intendant Jürgen Flimm seit 1. Oktober nun neuer Intendant der Salzburger Festspiele ist, kann man dem Bundesland nur noch einmal zu dieser zukunftsweisenden Entscheidung gratulieren. Österreich, das bekanntlich viel mehr Liebe und Geld für Kunst übrig hat als andere Länder, wird daher künftig wohl wegen der sommerlichen Bundesländer zum kulturellen Aushängeschild werden. Insbesondere, da nun auch Niederösterreich ab 23.8. bis 9.9.2007 das hochqualitative Musik-Festival Grafenegg unter künstlerischer Intendanz des Pianistengenies Rudolf Buchbinder aus dem Boden stampft. Das elitäre Klassikprogramm will sich später auch dem Jazz öffnen und bei Open-air-Variante für jeden Geldbeutel erschwinglich sein.

Die sommerliche Ausnahme in Sachen Innovation bildet bisher nur Harald Serafin im Burgenland. Aber immerhin hat er für seine Operette nun Maximillian Schell als nächsten Regisseur gewonnen. Der ist zwar manchmal auch schon recht betagt, aber der wunderbar fantasievolle und vielfältige Giorgio Madia wird ihn als Choreograf schon ausreichend inspirieren, sodass es auf eigene Art doch modern sein wird. (e.o.)

DAS URTEIL ZEIGT WIEN NICHT BALD MUT IN SACHEN MUSIK(THEATER)PROGRAMM-GESTALTUNG UND REGISSEURE- BZW. CHOREOGRAFEN-AUSWAHL, WIRD ES BALD VON DEN BUNDESLÄNDERN GESCHLAGEN SEIN: DENN DORT LÄUFT IM SOMMER VERGLEICHSWEISE DAS BESSERE PROGRAMM.