Saturday, May 31, 2008

THEATER: ANDREA BRETHs THRILLER "MOTORTOWN" VON SIMON STEPHENS

Danny (Nicholas Ofczarek) nistet sich nach seiner Rückkehr aus dem Krieg bei seinem geistig debilen Bruder Lee (Markus Meyer) ein ...

... der gerne dumm bleibt, genauso wie Dannys Ex-Freundin Marley (Johanna Wokalek). Sie hat studiert und bleibt vom Wesen her dennoch eine Proletin.

So droht Danny der einen, und schlägt er die andere - Teenager Jade (Astou Maraszto) - bis zum Mord. Denn Schule ist heute nur noch fad...

... wo sich perverse Lehrer wie Justin (Udo Samel) herumtreiben und die Schüler zu ebenso perversen Medienmanagern wie Helen (Andrea Clausen) ausbilden. Fotos © Bernd Uhlig


AKADEMIETHEATER ANDREA BRETH PROVOZIERT MIT SIMON STEPHENS´ MOTORTOWN ALS PACKENDEM GRENZGANG DER VERLORENEN JUGEND

Eigentlich könnte Danny genauso gut aus dem Knast heimkehren. Es müßte nicht Basra sein, wo er fürs britische Vaterland gekämpft hat. Knast und Krieg bewirken im Menschen dasselbe. - Diese Assoziation hat Simon Stephens in seinem Stück Motortown aus dem Jahr 2005 in vier Tagen Schreibarbeit, zur Zeit der Explosion der vier Bomben in den Bussen und der U-Bahn Londons, wahrscheinlich beabsichtigt. Und Regisseurin Andrea Breth hat das noch einmal betont. Aber nicht, um den Krieg zu verdammen, sondern die Umstände, warum es zu diesem Krieg und seinen verwirrt-verbohrten Kriegsheroen kommen kann. Danny stammt aus einem niedrigen, bzw. kleingeistigen Milieu, vielleicht auch nur aus der ganz normalen, unsensiblen, "beschränkten" Proletarier- oder Mittelschicht; Nicholas Ofczarek spielt diesen Danny mit roten Haarstoppeln im Akademietheater faszinierend unberechenbar, engstirnig und brutal. So ist es wohl passend, dass seine Wohngegend mit (amerikanisch einwirksamem) Ford-Nummernschild und Reifen auf der zum Rechteck verkleinerten Garagenbühne von Annette Murschetz spielt. Darauf versteht es wiederum Breth, eine packende Handlung in einer rhythmisch-intellektuellen und damit modernen Erzählmethode mit Schauplatz- und Zeitsprüngen bei Schwarzbildern und Toneffekten zu inszenieren.

Der Raum ist begrenzt wie Möglichkeiten und Geist

Im Wohnraum begegnet Danny seinem Bruder Lee (Markus Meyer), den Kostümbildnerin Sabine Volz mit verwachsenen Riesenzähnen, grotesk großer Brille und wildem Bart- bzw. Haarwuchs absichtlich übertrieben "verkleidet" und damit - für den Zuschauer zum distanzierten Nachdenken anregend - verfremdet hat, als Hinweis zur genetischen Debilität dieser Menschen, aber auch zum bewußten Festhalten derselben an ihrem defekten Dasein. Denn es garantiert jenen Menschen innerhalb ihrer Lage eine Zone des Schutzes und der Bequemlichkeit: Der putzende, kochende und bügelnde Lee kann sich und Danny so immerhin eine Wohnung halten. Ähnliches suggeriert Dannys Freundin vor dem Krieg, Marley, die sogar auf der Universität studierte, aber dennoch redet, als käme sie aus der Gosse nie heraus (Johanna Wokalek als "Proletin" in ungewohnter Rolle). Ihre Angst vor Danny ist hysterisch gross, nachdem er ihr aus dem Krieg verstörende Briefe geschrieben hat. Sie will von ihm nichts mehr wissen und meint zwischen Stottern und Weinen, ohne nachzudenken, wie provokant das ist: "Du hast eh keinen hoch gekriegt, und wenn, dann bist du nach zwei Sekunden gekommen!" - Frauen dieser Schicht scheinen Schläge auf diese Weise förmlich "herbei zu sticheln", nur lässt es Breth bei Marley nicht so weit kommen, was wiederum den Schrecken für den Zuschauer umso anhaltender macht, sodass er ständig auf der Lauer liegt.

Der Psychothrill kann beginnen

Mit Marleys Abfuhr ist der Psychothriller eingeläutet. Obwohl Danny irritierender Weise auch noch einen spannenden Job bekommt - nämlich Spezialeffekte-Macher beim Film (einem Blockbuster-Musical über den 11. September) -, kauft er bei einem ebenfalls übertrieben-verfremdeten Yuppie-Sandler-Freund aus früheren Zeiten eine Waffe. Dabei deckt der philosophisch angehauchte Weltpessimist Paul (passend zu seinem Typ: Wolfgang Michael) Danny mit einer Nonstop-Nörgelei über die Jugend von heute ein: "Drogen können die Jungen im Supermarkt kaufen, solche, die man heute gar nicht mehr kennt ... Und ihre gespaltene Sexualität leben sie, weil ihre Partnerschaften nicht lange dauern, online aus." Das scheint weniger moralische Anklage als abgefundene Tatsache für den doppelmoralischen Nörgler zu sein, der als Mitfünfziger selbst etwas mit der 14-jährigen Jade (Astou Maraszto) hat. - "Sie langweilt sich in der Schule und geht nicht mehr hin", sagt er über sie. Die Erlebnis-gierige Jade sucht sich zur Unterhaltung also die Gefahr - wobei sie beim aggressiv aufgeladenen Danny gut aufgehoben ist. Nachdem er der bereits wieder vergebenen Marley gedroht hat, "alle ihre Typen umzubringen", geht er mit dem naiv-geilen Teenager auf Spritztour ...

Je schwächer das Opfer, desto besser für den Sadisten

"Das ist das Problem mit der Jugend von heute. Sie weiß nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen soll", frotzelt Danny Jade in einer spannungsgeladenen Mischung aus Sex und überlegener Drohgebärde, sodass sie sich unter seiner (Zuhälter-)Masche, sie zwischen Abscheu und Versöhnung zum unterlegenen, wertlosen Objekt zu degradieren, zunächst noch angezogen fühlt. - Das mag übrigens der Grund sein, warum Frauen bei "Schlägern" bleiben: Weil jene ihnen Stärke nach außen hin weismachen, während sie sie nach innen (also bei ihnen) ausüben. - Er schüchtert das Kind immer mehr ein, indem er ihm befiehlt, sich auf einem Bein stehend zu bücken und nicht zu bewegen. Und während sie gehorcht, drückt er eine Zigarette auf ihr aus, sodass sie sich bewegen muss ... Danny treibt sein sadistisches Spiel, damit er seine (Freude an der) Wut los werden kann. Dass sie eigentlich aus der Kriegszeit kommt, sagt er beiläufig zu seinem Befehl, Jade solle ein Kleidungsstück nach dem anderen ausziehen: "Ich tu mit dir das, was mein Vorgesetzter mit mir gemacht hat." Er überschüttet sie mit Benzin und spielt mit dem Feuer, sodass sie vor Angst nur noch schreit. Doch für ihr Sterben hat er eine andere Lösung, festgehalten in einer trophäenartigen Fotoserie.

Behinderte haben es gut, denn sie wissen nicht, was sie tun

Auf der Heimfahrt, wo die Worte fallen, "die jungen Leute gehen auf die Uni, bekommen kleine Jobs und hoffen, irgendwann Überflieger zu sein", trifft er noch auf ein perverses Paar, den biederen Lehrer Justin (aberwitzig gut: Udo Samel) und die Medienmanagerin Helen im schicken Kostüm (Andrea Clausen), der Dannys Militärvergangenheit besonders imponiert. Sie fordern ihn zum Dreier-Sex auf, weil der Lehrer gerne zusehe, wenn seine Geliebte glücklich sei. Darauf meint Danny nur angewidert: "Meine Ma hat meinen Pa nie so was gefragt. Wird man so, wenn man in den Medien arbeitet? - Ich konvertiere zum Islam, da schützt man sich vor Abschaum, wie ihr es seid!" - Doch damit nicht genug, der Perversität zwecks sozialer "Integrität" kommt selbst Danny in seiner Familie nicht aus: sein staunender, nur nach Behinderten-Instinkten reagierender Bruder - was für die Menschen von heute ohne Gefühl für Recht und Moral stehen mag -, bekommt einen Ständer, während Danny ihn küßt, und er ihm vom Mord erzählt. Das ist nun ihr beider Geheimnis, das nicht nach außen dringen darf und sie eng verschweißt .. Und wahrscheinlich ist das im Leben erst der Anfang vom perversen Terror-Ende, wo man partizipieren muß, um nicht drauf zu gehen. Denn das ist das Resultat einer Weltsicht ohne bestehende - und vor allem lebbare - Ideale. e.o./a.c.


DAS URTEIL VOR ALLEM VON NICHOLAS OFCZAREK GRANDIOS GESPIELTER PSYCHOTHRILLER MIT REALISTISCHER AHNUNG VON DEN PROBLEMEN JUNGER MENSCHEN VON HEUTE. BEI MODERNER UND PACKENDER REGIE.

THEATER Motortown * Von: Simon Stephens * Regie: Andrea Breth * Mit: Markus Meyer, Nicholas Ofczarek, Johanna Wokalek, Jörg Ratjen, Wolfgang Michael, Astou Maraszto, Udo Samel, Andrea Clausen * Ort: Akademietheater Wien * Zeit: * Zeit: 12.6.: 18h30, 18.6.: 20h, 29.6.2008: 18h

THEATER: GEORG SCHMIEDLEITNER GEWINNT MIT "GESCHICHTEN AUS DEM WIENERWALD" - FAST




















Spielzeuggeschäftbesitzer Zauberkönig (Michael Schottenberg) möchte, dass seine Tochter Marianne (Katharina Vötter) eine gute Partie macht ...

... doch Marianne will sicher nicht den unberechenbar-doppelmoralischen Metzger Oskar (Robert Palfrader) heiraten, sondern "frei" entscheiden können ...

















... denn in Paradeehen mit "Metzgern" sehen Männer Frauen nur als "Fleisch", wofür im Stück dieses Parallelpaar (Christoph F. Krutzler, Annette Isabella Holzmann) steht, was aber die gesellschaftliche Norm repräsentiert.

Marianne denkt, die Idee eines anderen (Frauenrollen-) Lebens mit Strizzi Alfred (Marcello de Nardo) realisieren zu können; er geht aber zurück zur reichen Pseudofeministin Valerie (Maria Bill). (Fotos © Lalo Jodlbauer)


VOLKSTHEATER WIEN ÖDON VON HORVATH UND GEORG SCHMIEDLEITNER SORGEN SICH UM DIE ROLLE DER FRAU. IHRE GESCHICHTEN AUS DEM WIENERWALD SIND ABER NICHT GANZ REPRÄSENTATIV FÜR DEREN HEUTIGES ROLLENBILD

Vielleicht hat Oberösterreicher Georg Schmiedleitner den Regie-Karl-Skraup-Preis für seine Geschichten aus dem Wienerwald heuer ja verdient - obwohl die virtuose Arbeit von Stephan Müllers Clavigo zumindest gleichwertig und Antoine Uitdehaags urbanreife Leistung bei Wer hat Angst vor Virginia Woolf noch um ein paar Grade besser waren. Immerhin hat das Wiener Volkstheater bei Ödon von Horvaths Mittelschicht-Sitten-und-System-Porträt sein ständiges Ziel - die Kompromißsuche - in diesem Kompromißstil als größten gemeinsamen Nenner zwischen intellektuellem Avantgarde- und angreifbarem Volksstück erreicht.
Darum kann man die Preisentscheidung gelten lassen. Es wirkt am Ende zwischen abstrakt-gerader Raumgrafik und folkloren Weinreben, Geräuschmusik bei rustikalem Spiel, heiligen neben Schlächtersprüchen (Christoph F. Krutzler als Havlitschek: "Weiber gibt´s wie Mist, sie haben keine Seele, sind nur Fleisch ...") auch tatsächlich kontrastartig stark - und das steht für den Spagat "gelebt" und "reflektiert". - Umwerfend einzigartig aber, ist dieses Theaterereignis nicht.


Lauter Antihelden, zwei ganz tolle Schauspieler

Sicher, an einzelnen Personen festgemacht, da ist es sogar zum Abhauen gut, denn sie stehen für Volksschauspielkunst vom Feinsten: Michael Schottenberg und Maria Bill befriedigen die Klatschneugierde, sie als vertrautes Ehepaar beim Tete a tete am Strand (obwohl "er" Vater" und "sie" Geliebte eines anderen im Stück ist) in Flagranti erwischen zu dürfen, so wie sie auch - jeder für sich - mit Größe und stark und komisch spielen. Marcello de Nardo schafft es fast, diese Bühnenpräsenz zu halten. Er ist einer der "Antihelden" der in Wien spielenden Handlung, "Strizzi" Alfred, der zuerst mit der selbständigen, viel älteren Trafikantin Valerie (Bill) geht, weil er dadurch für sich selbst größtmöglichen Nutzen und Bequemlichkeit erfahren kann. Ganz nach seinem Motto: "Heute muß man andere für sich arbeiten lassen." Doch dann trifft er auf Marianne (die unscheinbar-androgyne Katharina Vötter, mit sportlich-trainiertem Körper), des Spielwarengeschäft-Besitzers - angedeutet nur mit einem Riesenbär - Zauberkönigs (Schottenberg) Tochter, und die Verlobte des wohlhabenden, von ihrem Vater goutierten Metzgers Oskar. Und siehe da: beide folgen ihrem Gefühl der gegenseitigen Anziehung, zulasten eines nutzenorientierten Opportunismus. Sie entscheiden sich gegen die Feinde ihrer Liebe: neben Valerie, Vater, Oskar, vor allem die pragmatisch-engmaschig denkenden Beeinflusser Alfreds vom Land: Mutter (erschreckend kalt: Beatrice Frey) und Grossmutter (noch erschreckend kälter: Erni Mangold). Der Anstoß zu dieser revolutionären, auf jede Sicherheit verzichtenden Beziehung kommt aber eigentlich von Marianne. Denn auf Alfreds Worte, "ich hab kein Geld", folgert sie mit: "Du bist ein feiner Mensch. Du paßt zu mir."

Gehinderte Feministin

"Fein" findet Marianne Alfred, weil er mit dieser Bekundung adhoc das Gegenteil derer repräsentiert, die sie umgeben. Vor allem bei ihrer Verlobung mit Oskar - eine der gekonnt zynisch eingerichteten, (choreo)grafischen, wiederkehrenden Scheinmoral-Idyllen von Schmiedleitner und Bühnenbildner Stefan Brandtmayr - wird klar, wie es ihr in dieser nostalgischen Badegesellschaft der Jahrhundertwende, und unter all den bunt-fröhlichen Sonnenschirmen bei kitschigen Gitarrenklängen, ergehen würde, wenn sie sich anders entschiede: Sie wäre zwar nach außen hin "ordentlich" versorgt, sodass ihr Vater seine stolzen Reden halten könnte - Schottenberg mit makaber falscher Sentimentalität. Sie müßte dafür aber die Launen ihres Gatten (spielt den "guten Doppelmoralisten" ungreifbar zwiespältig: Robert Palfrader) ertragen, dem sie ausgeliefert wäre. Denn wenn dem von Frauen als Sphinxen und Engel redenden Oskar bei "seinem Engel" plötzlich, aus sexistisch-sadistischem Spaß, die Hand ausrutscht, macht Vater Zauberkönig einfach die Augen zu.
Es geht daher - wie so oft bei Ödön von Horvath (1901 - 1938) - insbesondere um die Situation der Frau, weshalb diese ausbrechende Marianne eine feministische Note hat. Die einzige, (auch heute) lebbare Art von einer Feministin stellt in Wahrheit aber allein Valerie dar, die alles über das Wesen der Frau zu wissen scheint. Ihre Ratschläge und Weisheiten sind so abgeklärt wie stererotyp ("Frauen müssen sich pflegen, bei Männern schaut man auf ihr Inneres"). Deshalb ist sie alles andere als sympathisch. Und damit ist sie - als "wir Frauen"-Sprecherin - auch kein "Role Model" für junge Frauen unserer Tage (obschon solche "Feministinnen" in der heutigen Arbeitswelt natürlich zuhaufe präsent sind).


Für alternative Rollenbilder kein Geld

Valerie (Maria Bill: blond und in sexy pinken Pfeifenröhrenhosen) leidet nicht sehr am Verlust von Alfred. Gemäß ihrer Käufer-Verkäufermentalität fühlt sie sich schon vor seiner Entscheidung für Marianne zum noch viel jüngeren Erich in Uniform (gut: Thomas Meczele) hingezogen, der sich ebenfalls von ihr aushalten läßt. Als ehrenvoller "Nazi" will er aber natürlich "alle Schulden zurück zahlen" ... Dennoch wird es Alfred sein, der am Ende wieder bei ihr ist, nachdem seine Ehe mit Marianne scheiterte, weil sie - eben - kein Geld hatten und sie ihn mit der Geburt ihres Kindes notgetrungen zum "Kosmetikvertreter-Job" überredete. Er kommt in seiner Wandlung darauf, Marianne für dumm zu halten - "und ich hasse Dummheit" -, dass seine Empfindung vom "Reiz" lediglich über "Mitleid" zu "Hörigkeit" mutierte. Damit geht es beiden nur noch ums nackte Überleben. Das Kind wird zu den nachlässigen, hetzenden Großmüttern abgeschoben: und Marianne überlebt als Nackttänzerin auf dem Laufsteg einer Spelunke. - Genau der richtige Ort für Vater Zauberkönig, der sie verstoßen hat und dabei selbst - "als Spezialgeschäftsführer in der EU" - zum konkursreifen Säufer wurde (in Unisono-Flaschentrunk-Gestik mit anderen und dann schlürfend und rülpsend im Publikum). Er schleckt noch unter allen anderen Familienmitgliedern und "Freunden" an seiner mit Ganzkörperschokolade überzogenen Tochter herum, bis es bei einem Wienerlied-singenden, reichen Amerikaner zum Eklat kommt, der sich von der "Nackten" bestohlen fühlt, sodass Marianne ins Gefängnis muss.

Vom Trugschluß der Ausbildungsmöglichkeit für Frauen

Als Begründung für diese Entwicklung fallen nun im Stück die Sätze: Der Frau bleibt "ohne Ausbildung" nur die "Möglichkeit der Hure". - Und in dieser Logik liegt der entscheidende Punkt, warum dieses Stück (diese Regie) auch inhaltlich nicht wirklich großartig geworden ist: Weil Frauen heute zwar ausgebildet sind, zum Gelingen ihres Beziehungslebens aber dennoch "nur ausgehaltene Frauen" sein können. Oder sie werden Frauen, die sich bei einschlägig-dienenden und pragmatischen Aufgaben an die Arbeitswelt (meist mit Körpereinsatz) verkaufen müssen; oder eben zu Frauen wie Valerie, die alles, einschließlich der Männer, kaufen, und nie um ihrer selbst willen geliebt werden.
Damit hat die eingeforderte dritte Rolle die hier gezeigten zwei Rollen um nichts verbessert. Im Gegenteil: In den Frauen wird heute durch lange Ausbildung Hoffnung auf Mehr geweckt, doch lässt sich das in den seltensten Fällen erfüllen. Und wenn, dann ist es wahrscheinlich nur eine Illusion - gemäß dem Status Quo eines reflexionslosen, aber glücklichen Menschen, der sich nie fragt, was er da eigentlich macht (einfaches Beispiel: "Superstar und Mädchen für alles: Mirjam Weichselbraun").
Immerhin - und das stimmt wieder: Marianne bittet Gott ständig um Hoffnung. Doch erfüllt jene sich für sie entgegen ihres Wunsches. Sie muss den Metzger heiraten. Denn ihr Kind hat "Gott" (die Großmütter) sterben lassen. - Und so ist es vielleicht aber wieder (k)ein Wunder, dass den guten alten Ödön für diese Lösung - gesungen im Lied "Wen Gott liebt, den schlägt er" - im echten Leben der Blitz getroffen hat ... (e.o.)



DAS URTEIL IM REGIE-STIL GELUNGENER KOMPROMISS ZWISCHEN ABSTRAKTEM INTELLEKT UND WAHREM LEBEN, ALS EREIGNIS ABER NICHT WIRKLICH AUSSERGEWÖHNLICH. AUSSERGEWÖHNLICH GUT SPIELEN DAFÜR MICHAEL SCHOTTENBERG UND MARIA BILL.

THEATER Geschichten aus dem Wiener Wald * Von: Ödön von Horváth * Regie: Georg Schmiedleitner * Musik (gut!): Karl Stirner * Bühnenbild: Stefan Brandtmayr * Kostüme: Elke Gattinger * Dramaturgie: Hans Mrak * Mit: Marcello de Nardo, Beatrice Frey, Erni Mangold, Maria Bill, Robert Palfrader, Christoph F. Krutzler, Katharina Vötter, Michael Schottenberg, Thomas Meczele, Annette Isabella Holzmann, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 4., 8. 11., 16., 17., 20., 23.6.2008: 19h30-22h20 + 11.5.2008: 15h-17h50

Saturday, May 24, 2008

OPER: FRANK CASTORF NEIGT SICH VOR RIHMS "JAKOB LENZ"

Dichter Jakob Lenz (Georg Nigl) sucht Ruhe bei Pfarrer Oberlin (Mitte: Wolfgang Bankl), wofür er über die Alpen (- ein Schienenfaden -) wandert. Doch die Hoffnung am Glauben verliert er ...

... sowie auch am Freund Kaufmann (Volker Vogel), der Goethe repräsentiert, dessen gesellschaftlich angepaßte Dichtkunst Staat und Volk überzeugt, während jene Lenz - so makaber übergroß (siehe Kostüm) - gar nicht "paßt".

Lenz will über seine "gefühlte Wahrheit" schreiben. Doch selbst seine "Liebe Friederike", die mitsamt den Kreuzen des Pfarrers aus Lenzs Wahrnehmung "geht", "versteht ihn nicht".

Den Rest gibt Lenz seine Unfähigkeit, ein krankes Mädchen zu retten - eine letzte Metapher für den Glauben an sich selbst als fähiger Dichter. (Fotos © Dorothea Wimmer)


MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN FRANK CASTORF HAT SICH ZÄHMEN LASSEN: WOLGANG RIHMS KAMMEROPER JAKOB LENZ NACH BÜCHNERS LENZ HAT OFFENSICHTLICH SEIN GEMÜT BEWEGT ...

Das hat er heuer wirklich toll hin gekriegt. Ohne Schmäh, die (zeitgenössische) Oper steht dem Castorf gut. Das, obwohl er eigentlich die Berliner Volksbühne leitet, "das" Schauspiel-Theater des urbanen Publikums schlechthin. Fakt ist aber auch: Castorfs Inszenierungen (wie letztes Jahr Norden) polarisieren Wiens Gäste. Ganze Zuschauerreihen verabschieden sich für gewöhnlich bei laufender Aufführung im Dreivierteltakt (sodass es jedes Jahr erstaunlich ist, dass zu Stückbeginn trotz offensichtlichen "Zuschauerprotests" alle Plätze ausverkauft sind). Der Takt heuer nun - bei der Kammeroper Jakob Lenz - ließ die Bildungsbürger bis zum Stückende ausharren. Das lag an der Musik Wolfgang Rihms, die zu Castorfs ex-/impressionistischem Stilbruch der Zeitnorm mit textlicher bzw. Handlungs-Wiederholung zwecks Verständnisnachdruck bestens harmoniert, aber auch an Castorfs - den Umständen entsprechend - diesmal doch sehr chronologisch, behutsam und schlüssig erzähltem Zugang.
Es scheint fast, als hätte Castorf beschlossen, - wenn schon Büchner in seinem Urstoff (dieser Fassung von Michael Fröhling) eine Welt ohne Zusammenhang und damit als totales Chaos im "notwendigen Fragment" beschreibt - dieses Chaos nicht auch noch stilistisch betonen zu wollen, selbst wenn das an-sich sein formales Credo ist. Das inhaltliche Chaos bezieht sich konkret auf den steigenden Wahn des Titelhelden "Jakob Lenz", ideologischer Dichter-Jugendfreund des jungen und Kontrahent des späten Goethe (1749-1832), der sich auf Wanderschaft in die Alpen begibt, um beim Pfarrer Oberlin seine Ruhe zu finden. Und so wie die Natur rundum des Gehenden in wirren Apocalypse-Visionen zerfällt, so verliert auch die Zeit ihr Kontinuum zugunsten beängstigender Momentimpressionen. (Büchner selbst starb 1837 als steckbrieflich gesuchter Politflüchtling mit 24 Jahren an Nervenfieber.)

Castorf in Demut und doch klar erkennbar

Das Ziel ist - so oder so - die Darstellung des Gemütszustands der Verzweiflung als artistische Herausforderung und als einzig authentische Sprache zur sozialpolitischen Anklage von Machtstrukturen - denn daran hat sich bis heute nichts geändert. Es scheint Castorf damit so ernst zu sein, dass er diesmal - auf jegliches grenzsprengende Spektakel verzichtend - in Demut verfällt. Und doch hat es noch genug "Saft", dass darin ein Castorf zu erkennen ist. Sich den Satz des Komponisten Rihm zu Herzen nehmend, "Vor allem gilt: der Faden, an dem Jakob Lenz hängt, ist der Strom ins Herz der Hörer", fädelt der deutsche Regisseur mithilfe von Bühnenbildner Hartmut Meyer auch dramaturgisch einen (zweimal sogar glühenden) "Schienenfaden" auf die sehr tiefe, nackte, schwarze Langbühne der Halle E im Museumsquartier. Der Weg auf ihm, wenn die Schauspieler und Sänger phasenweise in drollig-makaber überzeichneten Gnomen-Stereotyp-Riesenuniformen darauf schlafen und balancieren, ist also tatsächlich beängstigend schmal und lang. - Die Metapher von des Wanderers Lenz Gedankenzustand und stellvertretend für die unsicher schwankende Existenz aller Menschen auf Erden, sobald sie über ihr Dasein nachdenken und zwangsläufig zu zweifeln beginnen.

Wenn Freunde und Staat wegschauen ...

Der zweite Autenthaltsort stellt ein Müllwaggon dar, gefüllt mit kaltem (Castorf-typischem) Wasser, worin der arme Lenz (fragile Erscheinung: Georg Nigl) in weißer Unterwäsche und Kniestrümpfen immer wieder "schwimmt" - und "untergeht" in depressiver Ohnmacht vor dem Wust seiner wachsenden Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung über diese Erdenzustände mit immer mehr herein geschobenen Waggons, einer davon mit Kreuzen (Religion) gefüllt. Die zwillingshaften Figuren, Pfarrer Oberlin mit cooler Zigarette (Bass Wolfgang Bankl) und "Freund" ("Freund" Goethe ist das angesagte Dichter-Ideal, während die Welt "ihn=Lenz", der doch nur die Wahrheit schreiben wollte, nicht will) namens "Kaufmann" (in prächtig-rüttelndem Stahlwaggon auf der Schiene einfahrend und gesang-schauspielerisch als zynisch-kalter "Freund" eindringlich überzeugend: Tenor Volker Vogel) sind trotz ihrer gereichten Decke oberflächlich und kosmetisch, gerade wenn sie rufen: "Komm da heraus, Du holst Dir den Tod!", "Komm, ein Tag mit Arbeit gibt Zufriedenheit!" Die als höhere Wahrheit pointiert "gleich" Scheinenden aus dem "gegensätzlich" "schizophrenen" Blickwinkel Lenzs sind im Grunde sogar desinteressiert am Leid des lethargischen Freundes, weshalb sie in seinen Seelenzustand auch nicht einzudringen vermögen, als einziger Anker einer Überlebenschance. Spöttisch bitter wirkt dazu auch noch die potentiell im Leben alternative Hilfe von außen - eine umher getragene Mini-Fahne - die sagt, wie egal auch den Regierungsverantwortlichen der Schmerz außenseiterischer Zweifler ist: im hinteren Teil des Raums winzig klein wehend, kann die Sicht auf den Staat nur noch zynisch sein.

... wenn Glaubens- und Liebesfähigkeit zugrunde gegangen sind ...

So sind Staats-, Glaubensfähigkeit und gelebtes Berufsideal für Lenz obsolet, es bleibt nur die Hoffnung auf die Liebe. Doch auch da schwant ein Bild der Enttäuschung vor seinen Augen, begleitet von den unerwiderten Gefühlen von "Friederike". Ihr Bild der heiligen Unerreichbaren in Lenzs Kopf erhält für den Zuseher bald die wahre Deutung, wenn der Dichter - jetzt von einem Schauspieler (Georg Friedrich) gemimt - als schnurrender und an Friederike (Schauspielerin Winnie Böwe) zerrender Löwe von jener, ihn wegstoßend, nur mit schnoddrigen Worten bedacht wird wie, "Bist Du bescheuert? - Ich versteh Dich nicht!", um sogleich in eine Erzählerfigur zu mutieren und zu erklären: "Er verstand nicht, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte." Das Verständnis liegt wohl darin: Die Natur des Menschen erfährt die Steigerung der Natur des Tieres, so wie Lenz in seiner Seelenwanderung die Natur der Landschaft sieht; jene ist zunächst so positiv und allmächtig, wie sie mit der Enttäuschung bedrohlich und unerträglich wird. Weshalb Lenz sich die Alpennatur als schweren Pappkarton-Ballast auf die Schultern nimmt und durch einen Kasperlguckkasten über seinen Alpen-Abgang in dritter Person wiederholt: "Er war nicht müde, es war ihm nur unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte." - Und damit schließt sich der Kreis des Gefühls der Unverstandenheit von der Liebenden bis zur Gesellschaft, die "von Natur aus" keinen Sinn für das Unmögliche (Alternativen) haben. Und die Natur des Menschen begrenzt selbst jenen, der diesen Sinn hätte, also Lenz, - weshalb er letztenendes kapituliert. Das, obwohl der keilförmig in den Raum gesprühte Himmelspegel, echt wie ziehende Wolken in den Alpen, noch einmal von einer atemberaubenden Lebensbejahung ist, als zöge gerade der allmächtige Gott über die Bühne.

... braucht es nicht mehr viel, um aus dem Leben zu gehen

Gott steckt als Energiequelle auch immer wieder in der stellengenau dissonant und tonal gesetzten Musik Rihms mit Cembalo innerhalb des Orchesters, weshalb Castorf das einfühlsam und schön von Stefan Asbury dirigierte Klangforum Wien permanent präsent auf der Bühne - je nach momentanem Schutz - unter einem auf und ab fahrenden Dach verweilen läßt. Das Dach verliert seine suggestive Kraft aber völlig, als ein Kameramann ab Mitte des Stücks live den verwirrt-verlorenen Gesichtsausdruck von Lenz mitfilmt, der überlebensgroß auf die Dachplane projiziert wird. Dasselbe passiert mit dem wunderschön klingenden Chor (Barbara Achammer, Sabine Brunke, Selcuk Cara, Tijl Faveyts, Magdalena Anna Hofmann, Maria Weiß), der je nach Bedarf die Zwergen-Gnomgesellschaft, verdoppelte Friederike-Frauen oder Lenz-Alter-Egos verkörpert: durch genau diese Charakterisierung verliert sein Klang die Vertrauenswürdigkeit - und das ist einmal mehr: genial doppelbödig.

Das Aus des Permanentzweiflers Lenz tritt schließlich ein, als er versucht, ein Mädchen zu retten. Seine von Jesus entlehnten Worte, "Steh auf und wandle", gehen nicht auf, sodass das tote Mädchen sich in seiner Wahrnehmung verdoppelt, verdreifacht, jene toten Mädchen mit toten Friederikes zum potenzierten Tod verschmelzen, was in Lenzs Logik die einzig erlösende Erleichterung bringt, indem die "tote" Friederike in seiner Einbildung zu ihm sagt: "Jetzt erst bin ich dein." Gleichzeitig ist Lenzs innerlich immer noch gespürtes Selbstbild, von der allmächtigen Natur "wie der unverstandene Jesus" auserwählt zu sein, zerstört, womit seine "Göttlichkeit als Dichter und Mann" endgültig (im Selbstmord) ermordet wird. Castorf lenkt die Schuld aber auf die Gesellschaft. Mittels vertikal aufgestellten Bettes: es steht für Lenzs Todesruhe nach langem Sterben, verschuldet durch die unverrückbare Schranke des allgemeinen Blicks der passiven Zuschauer ... (e.o.)


DAS URTEIL EINE VIRTUOSE, GEISTREICHE UND SENSIBLE REGIE VON FRANK CASTORF - ER SOLLTE ÖFTER OPERN INSZENIEREN, DA SICH SEIN EXPRESSIONISMUS SO ZÄHMEN LÄSST!

OPER Jakob Lenz * Von: Wolfgang Rihm (Komposition) und Michael Fröhling nach Georg Büchners Lenz * Dirigat: Stefan Asbury * Neuinszenierung * Mit: Klangforum Wien * Mit: Georg Nigl, Wolfgang Bankl, Volker Vogel, Winnie Böwe, Georg Friedrich, u.a. * Produktion: Wiener Festwochen * Ort: Halle E/MQ * Zeit: 17.-22.5.2008