Friday, December 28, 2007

OPER: "HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN" FANTASIEMONOTON VON PEER BOYSEN

Hoffmann (Sergej Khomov) liebt Stella (Doris Hindinger mit Rücken in Gelb) unterbewußt als Amour Fou, die ein Sammelsurium aus seinen früheren Lieben ist, unter anderem zu Sängerin Antonia (Glanzleistung des Stücks: Kristiane Kaiser); verdoppelt stehen für diese Liebe auch die Liliputanerin Walther (Elisabeth Walther) und unterm Bett seine als Freund verkleidete "Muse" Niklaus (Eva Maria Riedl) ...

... denn Hoffmanns Liebe soll nur der Kunst gehören, so wie auch die erste Liebe Olympia (Daniela Fally) letztlich als Frau selbst nur eine beängstigend puppenhafte Kunstfigur ist. (Fotos © Dimo Dimov / Volksoper)


VOLKSOPER WIEN HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN IST EINE DER FANTASTISCH DOPPELBÖDIGSTEN OPERN - PEER BOYSON HAT SIE LYRISCH EINDIMENSIONAL BESCHNITTEN

Bedeutet, ein großes Artistengenie zu sein, Verzicht auf die harmonische, langfristig erfüllte Liebe? - Warum diese Frage viele Künstler beschäftigt, mag an der engen Verbindung von größter Hingabe und größter Distanz liegen, was jedes große Werk auszeichnet. Und nicht alle Menschen, die zu Liebesfähigkeit jenseits ihrer selbst fähig sind, schaffen es, sich von ihrem aktuellen Liebespartner zu distanzieren, weshalb sie (un)bewußt ihre Liebe(sbeziehung) zerstören müssen: um sich so (wieder) zur Gänze ihrer noch größeren Liebe, dem Kunstschaffen, widmen zu können. Was letztendlich der puren Liebe zu sich selbst entspricht, indem sich die Konzentration nur auf das eigene Innenleben zu richten hat. Das ist intensiv und buddhistisch, Meditation in höchster Klarheit. Wie einfach ist es also, um diese nicht zu trüben, jede Schuld des zwischenmenschlichen Liebestrugs, der Liebesverhinderung, auf den Partner zu schieben; und so zu tun, als würde man "als Künstler" leiden. - Das liegt in der Strategie des E.T.A. Hoffmann, dem Dichter, über den Komponist Jacques Offenbach seine phantastische Oper Hoffmanns Erzählungen geschrieben hat. Die rauschhafte Poesie in Hoffmanns trunkenem Kopf gleicht einer Traumreise voller episodenhafter Schauplatzwechsel; sie quält sich am wiederholten Scheitern des immer wieder (hoffend) neu liebenden Hoffmann, der mit jedem Liebesrückschlag ein bißchen mehr stirbt. Denn er sucht sich stets unerreichbar dämonenhafte Frauen (Sängerinnen = damit selbst Künstlerinnen), bis er gänzlich zerstört ist (sich umbringt). - Seine Liebeswahl gleicht so dem Selbsmord von sich selbst als Mann, jedoch nicht als Künstler.

Eher zu wenig (fantastisch) wirr

Das hat Regisseur Peer Boyson mit klarem Nachdruck in seinen neuen Hoffmanns Erzählungen an der Wiener Volksoper heraus gearbeitet. Unverständlich sind insofern die Publikumssager während der regie-ausgebuhten Premiere, die ihrerseits von "Unverständlichkeit" und "Verwirrtheit" sprachen. Eindeutiger läßt sich Symbolik kaum ausdrücken als auf diese Art, sie ist so eindeutig, dass es schon fad ist. Denn auf der statischen Bühne, wo auch die (nicht unbedingt geschmackvoll kombinierten) Grundfarben ganz reduziert für etwas stehen, tut sich nichts. Der Verlauf ist in durchgezogener Ästhetik mit dem ersten Eröffnungsbild festgelegt, ihr stur gehorchend wird jeder weiteren Überraschung entsagt. Die Symbolik erstreckt sich konkret und kurz aufgezählt über die Reduktion der fünf Frauenfiguren auf eine, indem sie alle dieselbe Frisur und großteils gelbfarbene Kleider tragen. Das geht von der aktuellen Flamme Hoffmanns, Sängerin Stella, aus, die die "Rahmenliebe" zu seinen vergangenen amours fous mit "Puppe" Olympia, Sängerin Antonia und Kurtisane Giulietta bildet, wobei die im Rückblick erzählte Handlung mit ihnen jeweils auf demselben Guckkasten-Bühnenbett in der Bühne (wie die Kostüme auch von Boyson) spielt; nur die als Freund Niklaus verkleidete Muse von Hoffmann, Eva Maria Riedl, trägt das Stella-Kleid in der Farbe Blau. Und Hoffmann verbleibt rot im schwarzen Bühnenrest. Ansonsten geht noch ein Liliputaner-Paar als Repräsentant der allgemein-menschlichen Beziehungsmuster solcher Liebesprojektionen zwischen Sehnsucht und Zerstörung auf der Bühne herum, wobei die "Liliputaner" wohl eine Art von Jahrmarkt-Unheimlichkeit in Liebe und Kunst verströmen sollen - diese Atmosphäre gelingt nicht wirklich, sondern bleibt eher als schaler Nachgeschmack in der Erinnerung hängen. In Erinnerung bleibt aber auch, dass sich am Ende jeder glücklosen Liebesepisode der ursprünglich echte Erzähler in Hoffmanns eigenständigen Erzählungen umbringt: Nathanael (Wolfgang Gratschmaier) sowie Antonias Vater Crespel (Einar Th. Gudmundsson). Man weiß also: der erzählende Künstler erlebt diese Gefühle als echt und profitiert dennoch als Künstler von ihnen.

Verschrieben dem Gesang, nicht der Dramaturgie

Als Erkenntnis bleibt nun: Lassen sich - wie in diesem Fall - Liebe zum Partner und zur Kunst nicht vereinen, ist es schlüssig, dass die mehr der Kunst als der Partner-Liebe verschriebenen "Künstler" überdurchschnittlich singen: allen voran Kristiane Kaiser als Antonia. Daniela Fally gibt ihren Part mit Mut zur Häßlichkeit vor allem witzig-theatral - auch wenn Olympias Koloraturen ansonsten von anderen Sängerinnen schon puppenhaft brillanter zu hören waren. Sergej Khomov zeigt in seinem Hoffmann-Debut zumindest individuell menschlichen Charakter. Einen Glanzgesang legt Jochen Schmeckenbecher als Dapertutto hin. Und würde man Hoffmanns Erzählungen nicht schon viel doppeldeutiger zwischen Fröhlichkeit und Trauer, zwischen Sarkastik und Leichtigkeit gesehen haben - etwa in der fantastisch-schönen Regie von Jerome Savary - dann könnte man diese Inszenierung ingesamt als passabel durchgehen lassen. Da aber die von allen ersehnte, liebenswerte Zwergennummer vom Klein Zack, die ausgleichend-schönen Chorteile und das in diesem Stück an sich so stimmig erwartete Ballett entweder verkümmerten oder durch plumpe Statisten ersetzt wurde (das Ballett), ist sie eher eine Enttäuschung. Wobei auch Dirigent Leopold Hager das Orchester der Volksoper Wien eher eindeutig lyrisch, als jüdisch-zweideutig (sprich fröhlich-wehmütig) durch den Abend führt. e.o.


DAS URTEIL EINIGE SÄNGER(INNEN) WIE KRISTIANE KAISER SORGTEN FÜR AKUSTISCHE STERNSEKUNDEN. DIE DRAMATURGISCHEN STERNE BLIEBEN AUS.

OPER Hoffmanns Erzählungen * Von: Jacques Offenbach * Text von Jules Barbier, In deutscher Sprache * Regie und Ausstattung: Peer Boysen * Dirigent: Leopold Hager * Mit: Daniela Fally, Kristiane Kaiser, Adrineh Simonian, Doris Hindinger, Eva Maria Riedl, Sergej Khomov, Wolfgang Gratschmaier, Einar Th. Gudmundsson, Jochen Schmeckenbecher * Ort: Volksoper Wien * Zeit: 2., 7., 12., 14., 21., 30.1. + 3.2. 2008: 19h

Thursday, December 20, 2007

PERFORMANCE: "LE SACRE DU PRINTEMPS" VERFÜHRT "DIRIGENT" XAVIER LE ROY

Vor zwei Jahren reduzierte Xavier Le Roy ein zeitgenössisches Abendkonzert in Mouvement für Lachenmann - ohne Ton - auf seine theatralen Bewegungen. Das war schon lustig ...

In Le Sacre du Printemps bewegt er sich nun selbst als Dirigent, und da er eine charakterlich-theatral wunderbar selbstironische Note hat, verdoppelt sich das zu einem "sehr, sehr lustig", das zudem noch analytisch erkenntnisreich ist. (Fotos © Vincent Cavaroc)




TANZQUARTIER DER FRANZÖSISCHE MOLEKULARBIOLOGE XAVIER LE ROY WIDMET SICH DER GENETISCHEN STRUKTUR VON SIR SIMON RATTLES ORCHESTERPROBE VON LE SACRE DU PRINTEMPS

Das mußte ja so kommen. Nachdem sich der performende Doktor der Molekularbiologie, Xavier Le Roy, 2005 in Mouvement für Lachenmann mit der Theatralität eines Orchesters bzw. von Musikern auseinander gesetzt hat, nimmt er sich 2007 jener des Dirigenten an. "Spielten" damals Musiker ohne Instrumente, so dirigiert Le Roy jetzt höchstpersönlich ohne Musiker, oder besser gesagt, das Publilkum-"Orchester", das dabei nichts zu tun hat, als ihm - wie immer - von der Tribüne aus frontal ins Gesicht zu blicken. Neben einer Portion unschlagbaren Witzes verbirgt sich hinter seiner Analyse von Neuem ein Haufen an tanz- und musikwissenschaftlichem Theoriewissen, das der Franzose als Meister der Ironie ganz bewußt den - fast so konzentriert wie er auf die Musik hörenden - Zuschauern vermittelt. Und so leicht, lustig und verspielt das wirkt, so viel Kraft kostet es ihn, sodass er am Ende der Darbietung im Wiener Tanzquartier sichtlich erledigt ist. Im Klartext: Le Roy ist nach "seinem" Dirigat von Strawinskys Le Sacre du Printemps so fertig, wie es für gewöhnlich echte Dirigenten sind, wenn sie sich mit jeder Faser ihres musikalischen Wesens ihrer Aufgabe hin gegeben haben. - Meist sind das dann auch die akustisch ergreifendsten Konzerte.

Analytischer Ironiemeister

Bei all dem einfachen äußeren Charme der Performances Le Roys ist es immer wieder erstaunlich, was für außergewöhnlich komplexe Ideen und eigenständige Zugänge ihnen zugrunde liegen. Le Roys Kreativität und angesehener Ruf im internationalen Konzepttanz fußt zweifellos auf genau diesen Geistesblitzen, die sich zu allererst aus seinem großen Witz gegenüber der ansonsten allzu ernsten zeitgenössischen Szene speisen. Doch da dieser Choreograf wie sie auf Basis der Semantik, der Zeichensprache im Tanz, arbeitet, wirkt er letztendlich genauso ernst zu nehmend intelligent, nur eben um vieles sympathischer. Jede Geste, jede Mimik, jeder Stillstand hat zu jeder Sekunde einen tieferen Sinn, selbst wenn ihn eine Lachwolke umgibt. Alles dient der im ausgleichenden Humor endenden Erkenntnis, sodass es - am Beispiel des Sacre du Printemps - sogar Leute wie den deutschen Medienphilosophen Dieter Mersch zu einem Essay animiert.

Dieter Mersch mit Le-Roy-Theorie

Spricht Mersch Le Roy als Prototyp des Performance-Künstlers "ein ständiges Changieren, ein ständiges Verrücken der Grenzen des Tanzes gegenüber anderen Kunstgattungen" zu, wo die Medienreflexion naturgemäß beginnt, so gründet das für ihn auf dem Faktum, inwiefern sich Le Roys Frühlingsopferung bezüglich früheren Inszenierungen unterscheidet: Die Erzählung des Opfertanzes des Jungfrauenkörpers unter (alten) Männern fällt weg, wofür nun die Botschaft über die philosophisch definierte Begegnung von Objekten und Wortbildern läuft, sprich Musik und Gestik, sodass dem "Tanz", der "Bewegung", selbst narrative Bedeutung zukommt. Das Besondere an Le Roy sei, dass er einen "nur scheinbaren Dialog" mit dem "Publikumorchester" halte, während er in einer eigenen Welt weile, wo die Musik in Wahrheit (immer schon) da ist. Die Rhythmen folgen dem Körper "Musik", und dieser Körper läßt sich nicht kontrollieren: "Dennoch schafft es Le Roy, durch seine "Dirigat-Befehle", die Zuschauer zu Akteuren zu machen, indem sie der Musik in ihre Details folgen müssen. Hören erscheint als Sehen, und Sehen als Hören." Das Kollektiv von Simon Rattles Filmdokumentation zur Le Sacre-Probe mit den Berliner Philharmonikern - die Inspiration des Choreographen für diese Performance - verwandle sich demnach zu Le Roys Solo, und werde mit den Zuschauern wiederum zu kollektivem Hören. "Somit führt Le Roy zum körperlichen Erleben der Musik der Zuschauer und von seiner selbst, was er durch individuelle Fantasiegesten unterstreicht. Und damit führt er das Stück auf seinen Kern zurück: auf den Körper."

Die Theorie in der Praxis

Wie nachvollziehbar Merschs Analyse ist, merkt man an Le Roys "Dirigat" tatsächlich, wenn er anfangs leicht zu spät hinter der Musik zum Einsatz auffordert, er mit leidenschaftlicher Gesichttheatralität einzelne Töne aus dem Klangteppich heraus zu ziehen scheint, sodass sie der Zuschauer bewußt hört. Die Miniboxen unter den Zuschauerstühlen füllen den akustischen Raum, als gingen die Töne wirklich von den Zuschauern aus. Zwischendurch spielt Le Roy den trockenen, resignierenden Clown, der still hält, während die Musik vom Tonband auch ohne ihn "richtig" weiterspielt. Manchmal tut er so, als wäre die plötzlich unterbrochene Stille von ihm befohlen, da sie dann aber wieder von selbst einsetzt, wird das sogleich revidiert. Gleichzeitig sorgt jede unerwartete Unterbrechung für erneute Spannung in der Performance selbst. Und würde Le Roy am Ende nicht nur erschöpft sein, sondern zusammen brechen, könnte man meinen, er hätte sich als Dirigent selbst statt der Jungfrau zum Opfer erklärt. Zum Opfer einer eigenen Illusion, da es den Dirigenten im Orchester letztendlich gar nicht zu brauchen scheint. - Eine Assoziation am Rande, die allerdings nur auf Le Roys echte Selbstironie zurück zu führen wäre; in Wahrheit ist dieser Ansatz in jeder Hinsicht die Offenbarung der theatralen Notwendigkeit eines Dirigenten - nicht nur für sich selbst, sondern für die Motivation des Orchesters, den Klang der Musik. e.o.


DAS URTEIL XAVIER LE ROY IST DER GEISTREICH-LUSTIGSTE PERFORMANCE-KÜNSTLER, DEN DER INTERNATIONALE ZEITGENÖSSISCHE TANZ HAT - SEINE LE SACRE-IDEE IST AUSSERGEWÖHNLICH.

PERFORMANCE Le Sacre du Printemps * Konzept und Performance: Xavier Le Roy * Musik: Igor Stravinsky * Aufnahme: Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Sir Simon Rattle * Künstlerische Mitarbeit: Berno Polzer, Bojana Cvejic * Produktion: in situ productions (D) und Le Kwatt (F) * Koproduktion: Centre chorégraphique national de Montpellier Languedoc-Roussillon (Xavier Le Roy ist Associated Artist 2007/08), Les Subsistances / Residence - Lyon, Tanz im August - Internationales Tanzfest 2007 - Berlin, PACT Zollverein Choreographisches Zentrum NRW - Essen

Sunday, December 16, 2007

THEATER: "SCHÖNE BESCHERUNGEN" FALSCHWITZIG VON PATRICK SCHLÖSSER

So lustig ist Weihnachten: Schriftsteller Clive (Till Firit), Onkel Bernard (Marcello de Nardo) und dessen Frau Phyllis (Beatrice Frey) und Neville (Günter Franzmeier) hauen sich mithilfe von viel Alkohol ab ...

... denn fängt erst mal Onkel Bernard mit seinem witzlosen Weihnacht-Puppenspiel an, hat nicht nur der militante Harvey (Rainer Frieb) das Gefühl, mit diesem trockenen Leben brechen zu müssen ... Leider gibt´s in dem Stück aber keinen trockenen Humor. (Fotos © Gabriela Brandenstein)


VOLKSTHEATER BRITISCHES STÜCK OHNE BRITISCHEN WITZ: ALAN AYCKBOURNS SCHÖNE BESCHERUNGEN UNTER DER REGIE VON PATRICK SCHLÖSSER

Da hat man einen britischen Humor, dessen Humor ohne britische Trockenheit naturgemäß kaum funktionieren wird, und was macht der deutsche Regisseur Patrick Schlösser daraus? - Einen feucht-fröhlichen Durchschnittsschwank deutschösterreichischer Durchschnittsmentalität ohne jeden Esprit. Schade um das zeitlich gut am Volkstheater angesetzte Schöne Bescherungen von Alan Ayckbourn, das - so wie es umgesetzt ist -, kaum über die Weihnachtsfeiertage hinaus interessant für das österreichische Publikum sein wird. Denn mit Kunst hat das alles nichts mehr zu tun, sondern nur noch mit der Aufgeregtheit vor und während der Bescherungszeit.

Feuchte statt trockene Biederkeit

Aus der biederen Lustigkeit in biederem Bühnenbild (Etienne Pluss) noch das Beste machen als biedere Schauspieler: Rainer Frieb als Ex-Wachmann Harvey, der mit einer Portion "Nazicharakter"- Sauberkeitsfanatismus mißtrauisch hinter allem und jedem Schlechtes sieht und seine Nichten und Neffen mit Waffen beschenken will, damit sie gegen das Leben gewappnet sind. Betrice Frey rettet als Phyllis in ruppig bodenständiger Natur, die mit Ihrer in mancher Hinsicht überein zu stimmen scheint, manch halblustige Lach-Konstruktion mit Schauspielern, die an sich gut sind, in diese Inszenierungsweise aber nur schwer hinein passen. Allen voran Till Firit - mit seiner spannend geheimnisvollen Art an-sich der Lieblingsschauspieler am Volkstheater von intimacy: art -, der als Schriftsteller Clive trotz seiner außenseiterisch darüberstehenden Rolle, zu sehr in die Provinzmentalität dieser Weihnacht-feiernden Alltagsfamilie gedrängt wird. Etwas mehr Distanz als Charakter hätte ihm und dem Stück gut getan, um den Kontrast einer anderen Lebenseinstellung transparent zu machen. Dennoch wäre das Stück ohne Firit wahrscheinlich überhaupt zum Vergessen gewesen, weil dann wirklich jede Eleganz und jedes Geheimnis gefehlt hätten. Angenehm und leger wirkt "Neville" Günter Franzmeier, der als weit blickender, sich nicht aus der Ruhe bringender Ehemann von Belinda trotz seines fast-Hörner-aufgesetzten Status keinen Abbruch als Charakter nimmt. - Seine Frau (Susa Meyer spielt passend) fühlt sich von Clive magisch angezogen... was denn auch für die eigentlichen "nichts-geschehenden" Turbulenzen im Weihnachtstrubel sorgt.

Landpomaranze für Wiener Landpomaranzen

Den Inhalt dieser Geschichte nach zu erzählen lohnt sich ansonsten kaum, denn sie ist so blöd (doch möglicherweise aus dem Familienleben heraus betrachtet so lebensecht) wie die Geschichte, die Onkel Bernard, Phyllis' Mann, Marcello de Nardo, am Weihnachtsabend den Kindern mittels Schweinchen-Puppentheater erzählt - leider hat auch er das Alles nicht trocken genug, sondern fast naiv hysterisch gegeben, so wie es möglicherweise ein echter, frustrierter, untalentierter, alter Mann tun würde. Der Witz dieses Stücks wurde somit in Grund und Boden gespielt, was nicht an den Schauspielern liegt, sondern an der visions- und abstraktionsunfähigen Regie Schlössers. Andererseits stellt sich die Frage, ob das nicht wegen des Durchschnittspublikums im Volkstheater geschieht, das im Altersschnitt von 65+ und bei kleiner Lust zum Intellektualismus, kaum etwas anderes als tantigen Realismus akzeptieren würde. Doch man sollte zumindest in kleinen Schritten versuchen, seine Sicht auf die Dinge in ein städtisches Niveau zu lenken. Damit die Wiener Bürger nicht "bleiben" wie Belindas peinliche Schwester Rachel, gespielt von Claudia Sabitzer als altjungfräuliche Landpomaranze, die Sex und "gute" Literatur (Clive) haben will, aber nie bekommt und bekommen wird. e.o.


DAS URTEIL TROCKENES STÜCK OHNE TROCKENEN WITZ - SCHADE!

THEATER Schöne Bescherungen * Von: Alan Ayckbourn * Regie: Patrick Schlösser * Mit: Beatrice Frey, Heike Kretschmer, Susa Meyer, Claudia Sabitzer, Raphael von Bargen, Till Firit, Günter Franzmeier, Rainer Frieb, Marcello de Nardo * Ort: Volkstheater * Zeit: 11., 19., 27., 28.3., 5., 6., 14.4.2008: 19h30-21h55

Monday, December 10, 2007

PERFORMANCE: MEG STUART UND PHILIPP GEHMACHER IN "MAYBE FOREVER"-ROMANTIK

Im poetischen Liebesabschied: Meg Stuart und Philipp Gehmacher finden eine sperrige, doch innerlich gelebte Ausdrucksweise...













... sodass ihr weiblicher und sein männlicher Körper (ausnahmsweise bei den Zeitgenossen auch einmal) sinnlich wirkt. (Foto © Dieter Hartwig)


TANZQUARTIER MEG STUART UND PHILIPP GEHMACHER LERNEN GLAUBWÜRDIG ZU FÜHLEN, UND DAS AUCH NOCH AUF SPANNEND ABARTIGE UND NEUE WEISE - IN IHREM GEMEINSAMEN PROJEKT MAYBE FOREVER

Das ist ja jetzt mal etwas ganz Neues. Zeitgenössische Tänzer, die tatsächlich in ihrem Körperinneren etwas fühlen und sogar imstande sind, das auszudrücken. Der Romantische Konzeptualismus erobert demnach nicht nur das Ausstellungswesen der Bildenden Kunst, sondern auch die Performance-Szene. Das ist schön, das ist wichtig, das tangiert das Publikum. Ganz besonders wenn es um das Thema Verlust und Abwesenheit geht. So spannend war schon lange nichts mehr im Tanzquartier. Die eigenartige Künstlerkombination aus der psychoschüttelnden Amerikanerin mit Company Damaged Goods in Belgien, Meg Stuart, mit dem österreichischen Minimalgestikulierer Philipp Gehmacher setzt mit diesem Duo einen neuen Maßstab, nicht nur als Tanzkunst an sich, sondern auch für ihre jeweils individuellen Tänzerprofile. Es ist erstaunlich, wie gut die Beiden harmonieren, wie spannend sie sich ergänzen, wie bereichernd sie einander weiter bringen.

Neue Erzählweise im zeitgenössischen Tanz: das Liebesdrama

Neu ist auch der Weg, das Thema zu transportieren. Im Grunde verläuft er über die Erzählung eines klassischen Liebesdramas. Durch die Abstraktion in der Form, wo neue Zeichen und Gesten für etwas Bekanntes stehen, bekommt jenes aber eine geheimnisvolle Dimension. Verstärkt wird sie durch die Erzählweise, die nicht chronologisch ist, sondern in doppeldeutigen Abschnitten aus realen bzw. scheinbaren Rückblenden, Introspektionen, Monologen erfolgt; und doch ist sie insgesamt wieder linear. Das Bühnenbild von Janina Audick wirft ein weiteres Rätsel auf. Es zeigt eine halbrunde Bühne mit seitlichen Vorhängen und Kinoleinwand in der Mitte - was für literarisch erzählte Geschichten steht, für das Theater, und damit für das eigene Theater, das sich jeder Mensch aus seiner eigenen Liebesgeschichte macht. Poetisch wird irgendwann das Bild einer Pusteblume eingeblendet, die den Raum mit wehmütiger Vergänglichkeit füllt.

Poesie trotz Konzeptualismus und Trauer

Poesie dominiert daher, obwohl Meg Stuart, so cool wie sie ist, mit tiefer und fester Stimme ins Mikrofon spricht, sie habe eine Postkarte geschrieben, worin sie gesagt habe, sie könne nicht ohne "ihn" leben. - "Ich nehme es zurück." Sie meinte, es sei heute unnötig, romantisch zu sein. - "Ich nehme es zurück." - Ihre Arme gleiten angewinkelt zur Seite. - Sie wollte ihn (sein), obwohl er gar nicht ihr Typ war. - "Ich nehme es zurück." - Ihre Arme rucken parallel nach oben. - Sie hätte Angst vor der Nähe gehabt. - "Ich nehme alles zurück." Die Poesie dominiert, weil bereits zuvor ihre aneinander geschmiegten Körper, jener des Mannes, jener der Frau, mit wiederkehrender Abweisung kämpften, Körper, deren Inneres expressive und doch subtile Emotion fühlten, und die ein kalter Wind und Glockenklänge in Dröhnsound umwehte, als sie endgültig auseinander gegangen waren. Ausgeläutet hatte ihre Beziehung der sehr professionell-stimmige, fast duchgehend auf der Bühne präsente Brüsseler Singer-Songwriter mit Elektrogitarrenspiel Niko Hafkenscheid. Er sang: "It may be forever." - So auch der Titel der Performance, Maybe Forever, selbst wenn dessen Sinn nur noch als Utopie für die Zukunft in anderer Paarkonstellation gelten kann, denn tatsächlich haben sich diese Liebenden ja verloren.

Zwischen Erinnerung und Zukunft

Obwohl sie momentweise als Körper wieder zusammen kommen, scheint das doch in Abwesenheit des Anderen statt zu finden, als Bild ihrer Sehnsucht nach ihm, seiner nach ihr, während sie sich gegenseitig langsam, jeder für sich allein, von einander lösen. Die sperrigen Haltungen stehen für den psychischen Kampf ihrer Beziehungsunmöglichkeit. Zielen ihre beiden Arme synchron nach oben, steht das aber doch wieder für deren insgeheim erhoffte Möglichkeit, selbst jetzt noch, wo es aus ist. In den Momenten, wo die Gesten zum Takt der Gitarre harmonieren, scheint auch alles zuversichtlich, trotz des offensichtlichen Schmerzes. Auch wenn der Sänger einen Walzer ankündigt, der dann keiner ist. Und dann zieht Meg ihre Schuhe aus, läßt sie als Erinnerung für "ihn" (Philipp) auf der Bühne zurück, während sie hinter den Vorhang geht, aus seinem Leben geht, aus ihrer beider Liebesgeschichte.

Die Jahreszeiten ziehen vorbei, und sie kommt wieder zurück, denn manchmal holt sie beide die frühere Abhängigkeit ein. Sie versuchen gemeinsam zu fliegen, mit schwachen, eingeknickten Flügelarmen. Zwischen Todesgedanken und lautstarker Eigenmotivation eines erzwungenen Ausrufs von "next, next, next...". Und so verblaßt das "Zurück" irgendwann endgültig gegenüber dem "Nach Vorne". "Du hast mir den Beginn meiner Geschichte gegeben", sagt Meg, und sie findet im roten Glitterkleid ihre neue, echte, passende Liebe (im Singer-Songwriter), und "Ich bin bereit ....", sagt Philipp im schwarzen Anzug, während seine Finger eine Geste des "... zu gehen" zeichnen. e.o.


DAS URTEIL DAS IST ROMANTISCHER KONZEPTTANZ MIT NACHWIRKUNG - ENDLICH ZWEI ZEITGENOSSEN, DEREN KÖRPER EIN INNENLEBEN HABEN! ENDLICH WIEDER MAL WAS GUTES IM TANZQUARTIER.

Unser nächster Tanztipp im Tanzquartier
Le Sacre du Printemps * trockene Studie übers Dirigieren (möglicherweise auch zum Lachen) * Von und mit: Xavier Le Roy (F) * Ort: Tanzquartier / Halle * Zeit: 13.-15.12.2007: 20h30

MUSIK: ERNST KOVAVIC ALS PIAZZOLLA-GENIE IN "DIE ACHT JAHRESZEITEN"

Das hätte Astor Piazzolla sicher gefreut, wie treffend radikal und aggressiv-freudig ihn Violonist Ernst Kovacic zu spielen weiß (Foto © Manfred Klimek)


THEATER AN DER WIEN AUS VIVALDIS UND PIAZZOLLAS VIER JAHRESZEITEN WURDEN DIE ACHT JAHRESZEITEN

Nach dem Piazzolla-Schwerpunkt kürzlich im Wiener Musikverein mit dem Tonkünstler Orchester Niederösterreich unter dem Dirigat von Rossen Gergov, kommt man beim leider nur einmal gespielten Vivaldi-Piazzolla-Konzert im Theater an der Wien zu einer interessanten Vergleichsmöglichkeit. Mit der Gewißheit: Was wir in unserer Kritik über Gergov sagten, können wir noch einmal unterstreichen. - Piazzolla ist und bleibt gespielt von einem Kammerensemble einfach das Originalbeste! Besonders wenn es von einem temperamentvollen Geiger wie Ernst Kovacic angetrieben wird. Genau genommen, ist er es allein, von dem wir sagen müssen: als Piazzolla-Interpret macht er seine Sache noch besser als Gidon Kremer, da er unglaublich roh, radikal und hart an sie heran geht. Sodass man gar nicht bewußt merkt, dass zu dieser Unmittelbarkeit auch die begleitenden Barockinstrumente samt Cembalo beitragen, die eigentlich die adäquaten Instrumente zu Vivaldis barocken Vier Jahreszeiten aus dem Jahr 1725 sind. Zu diesen hat Piazzolla als Antwort seine Vier von 1964-70 hinzu komponiert, lauter Stücke, die - mit Bandoneon oder Klavier gespielt - an sich bekannt sind, selbst wenn man vorher nicht wußte, dass sie eigentlich als Las Cuatro Estaciones Porteñas zusammen gehören.

Eine Eins fürs Temperament

Obwohl die Akustik im Musikverein für ein kleines Orchester bestimmt besser ist, und die Schauspielerin Petra Morzé einen biederen Mantel durch ihre nach jedem Stück zu früh eingesetzten, unpassend maniriert gelesenen Gedankenzitate Piazzollas und Vivaldis (auf Italienisch mit unerträglichem, französischem R!) um die aggressiv-tollen Klänge legte, war das doch ein gigantisch schönes Erlebnis. Und zwar wirklich wegen den Piazzolla-Teilen: mit kratzigem Jazz, wildem Bass, den gezogenen Tönen, den geklopften Saiten, mit der verspielten Freude der Musiker, all die Widersprüche tatsächlich von ihrer Substanz her spüren zu wollen.

Vivaldi dagegen nahm mit dem Frühling einen etwas zu zaghaften Anfang und einen ebensolchen Mittelweg des Herbsts, selbst wenn Frühling und Herbst an sich die ruhigeren Kompositionen in Vivaldis Jahreszeiten-Empfinden sind, wo der Komponist Vögelrufe in Violinen-Gezwitscher verwandelt und das Schlafen der Bauern nach der Ernte neben dem Streit der Nachbarn illustriert. Energischer und wieder unglaublich rasant von Kovacic erlebt, erklangen dafür Sommer und Winter, genauso freudig und lebensbejahend, wie sie gehören, selbst wenn die Violoncelli manchmal ein wenig zu spät einsetzten, das Cembalo ein-, zweimal kleinlaut tschepperte, und insgesamt vielleicht ein wenig Klangfülle in den Beschleunigungspartien fehlte. Das Temperament aber stimmte, und dafür bekommt das Ensemble von uns eine unterstrichene Eins, schon weil man live erst merkt, wie schwer diese allseits bekannte Genialklassik eigentlich zu spielen ist! e.o./r.r.


DAS URTEIL GENAU SO GEHÖRT PIAZZOLLA GESPIELT - WIE VON ERNST KOVACIC!

Unsere nächsten Konzerttipps
Bach-Suiten * Musikalische Leitung: Ton Koopman * Mit: Amsterdam Baroque Orchestra * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 12.1.2008: 19h30
Orfeo di Bregovic * Mit: Goran Bregovic & Wedding And Funeral Band * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 25.1.2008: 19h30

Sunday, December 09, 2007

THEATER: "DER LÖWE IM WINTER" IM YUPPIE-LOOK VON GRZEGORZ JARZYNA

Henry (Wolfgang Michael) und seine Schneekönigin-intrigant-kalte Frau Eleanor (Sylvie Rohrer) züchten sich durch ungerecht polarisierte Liebe verschrobene Söhne heran ...

... sodass etwa Mamas Liebling, der Erstgeborene Richard (Markus Meyer hinten), verliebt in Philippe (Tomasz Tyndyk) schwul, aber ebenso kalt wie die Mutter wird ...

... und Richard nicht nur seine machthungrigen Brüder Geoffrey (Philipp Hauß) und Papa-Söhnchen John (Sven Dolinski) bedroht, sondern am Ende auch den Vater. (Fotos © Georg Soulek)


BURGTHEATER REGIE-NESTROY-PREISTRÄGER GRZEGORZ JARZYNA MACHT AUS DER LÖWE IM WINTER EIN POLNISCH GEFÄRBTES FAMILIEN-WIRTSCHAFTSIMPERIUM AUS DEM HAUSE HENRYS II

Die Atmosphäre ist in Regisseur Grzegorz Jarzynas Burgtheater-Inszenierung Der Löwe im Winter ganz so, als würde man durch die teuren Einkaufsstraßen in Warschau schlendern, wo die Herren über Anzügen lange Mäntel und elegante Hüte tragen, manche junge Neureiche in chiquen, leicht flippigen Silhouetten dazwischen treiben, und die Frauen gestylt als Diven, Kreative oder Sexobjekte trippeln. In Warschau herrscht zweifellos Stilbewußtsein, genauso wie in Mailand oder Paris. Modernen Stil trägt so auch das James Goldman-Historienstück über den Familienkampf des englischen Königs Henry II, umgesetzt vom 40-jährigen Jarzyna, Theaterdirektor des TR Warszawa, der gerade den österreichischen Regie-Nestroy für seine Medea im Kasino am Schwarzenbergplatz bekommen hat. Obwohl man nörgeln könnte, dass seine neue Arbeit für westliche Verhältnisse eigentlich eher unserer Mode der 80-er entspricht, jener von Denver Clan und Dallas, die da auf der Bühne zu sehen ist. Selbst wenn Magda Maciejewskas ausgestatteter "Wohnraum der Familie" - mit Drehtüre und Möbeln, Glaswänden und geradliniger Großräumigkeit - an eine Hotellobby erinnern mag, was dem globalen Jetzt wieder näher wäre als etwa eine "Villa" oder ein "Schloß".

Familienwirtschaftsbonzen als Könige von heute

Äußerlich edles Business - das steht für die weltweite, jetzige High-Class-Menschheitsrepräsentation, die das höchste Ansehen der Geschicke-lenkenden Monarchen und Staatsherren ersetzt. Durchgehend auf der Bühne präsent spielt dazu ein fantastisch virtuoser Pianist (z.Bsp. Leszek Mozdzer) wie ein exklusiv engagierter Privat-Clubmusiker neue bis postmoderne Klassik. Sein angenehmer, untermalender und dramatikbegleitender Klang hebt die vor einander offen praktizierte Zu- und Abneigung einzelner Familienmitglieder auf eine überhöhte, doch scheinheilig distanzierte Ebene, sodass der Schmerz jener, die sich ungeliebt oder weniger geliebt fühlen, über Videomonitore umso heftiger zum Ausdruck kommt. Ein Gefühl einer von Eifersucht getriebenen Eiseskälte, die von der märchenhaften "Schneekönigin" abstrahlt - übrigens ein oft vorkommender Querverweis im polnischen Theater -, deren eisige Silhouette zeitweilig die Gattin Henrys, Eleanor (die auratisch-präsente Sylvie Rohrer), annimmt. Sie ist die Antriebsfeder für den zwischenmenschlichen Gefühlsuntergang dieser Familie, die sprichwörtlich durch sichtbaren Regen und Schneefall wandert. Jedes Vertrauen, jede Liebesbekundung wird mit Mißtrauen und Enttäuschung belohnt. Denn die Macht und Gier scheint die Menschen zu verändern, die anfangs doch nur Liebe wollten und sich am Ende noch immer danach sehnen. Bekommen werden sie sie nie, nach all den Schandtaten voller böswilliger Vorhaben bis zu Mordabsichten, die jedes Vertrauen untergraben haben.

Gier nach Macht, obwohl nach Gefühl

Stellt Vater Henry (starker Charakter: Wolfgang Michael) innerhalb seines dekadenten Erscheinungsbildes mit langen Zotteln einen anarchischen Querdenker dar, so finden wir das in geschwächelter Ableitung auch in seinem jüngsten, leicht hysterischen Sohn Johnny (Sven Dolinski), den er "als schwarzes Schaf der Familie" am meisten liebt: ein "Schaf" in ewig betrunkener Partystimmung, das in Stöckelschuhen nicht zur Jagd gehen will. Ein wenig erinnert das Ganze an Tennessee Williams´ Die Katze auf dem heißen Blechdach, da der älteste, seriöseste Sohn, Richard (Markus Meyer), als natürlicher Nachkomme für die Chefposition vom Vater dafür kaum in Erwägung gezogen wird. Denn er ist der, bis zur erotischen Anziehung erkorene Liebling von Gattin Eleanor, der sie als Erstgeborener einst von ihrem Ehemann entfernte.

Gänzlich auf der Zuneigungsstrecke bleibt das typische Sandwich-Kind Geoffrey (Philipp Hauß), der vergebens um Liebe bettelt und deshalb zum Intrigantesten von allen wird. Der einzig logische Sinn liegt für ihn in der von den Kapitalisten legitimierten "Wirtschaftsheilung", die akustisch verstärkt ertönt: "Gier bringt die Befreiung, um die Firma zu retten." Die Fähigkeit zur Intrige erbte er zynischerweise von seiner Mutter, die ebenfalls von niemandem (außer Geoffrey) geliebt wird, nicht einmal von Richard, der ihr "Medea-kaltes Herz" verachtet und eigentlich schwul ist, nachdem er in Paris als Junge von Vaters Wirtschaftspartner, Philippe, verführt wurde, der wiederum seine Schwester Alias Capet als künftige Braut des herrschenden Nachkommen an die englische Familie verschachert hat. Alias treibt es aber schon seit Teenager-Tagen mit Henry. Brisant dabei ist, dass sämtliche ernste und nur zum-Schein-nach-außen-eingegangenen Liaisonen jedem Familienmitglied klar sind. Die bildliche Vorstellung beim ernstgefühlten Liebesakt wird in den Köpfen der eifersüchtig Außenstehenden umso lebendiger. Sie ist so präsent, akut, sie tut so weh, dass die Söhne irgendwann mit dem Revolver gegen den Vater vorgehen, und der Vater gegen die Söhne - entsprechend Alias´ Worten während eines Wunschmoments der gemeinsamen Zukunft mit "Löwe" Henry: "Du mußt Deine Söhne töten, weil sie sonst dich oder unsere Kinder töten werden."

Polen als globales Opfer

Mit melodiös und subtil eingeflochtenen, visuellen Effekten - wie von einem, sich zwecks neuerlicher Stärkung hantelnden Henry in der Ferne, während Eleanor Richard gegenläufig die Firma verspricht oder akustischem Mix wie kaltem Windgebläse -, werden die einstigen Ziele von Macht und Poesie von Eleanor spürbar, die den Zuschauer mit mikrofon-verständlichen Schauspielern eindringlich und durchgehend gefangen nehmen. Makaber unser Jetzt aufzuwühlen, scheint dabei ausgerechnet Eleanors Satz: "Wir haben alle Waffen, im 21. Jahrhundert sind wir Barbaren. Um Christi Willen sollten wir uns lieben!" Er zeugt für die rare globale, aber polnische Religiosität. Und dass Jarzyna Philippe und Alias sehr bewußt mit zwei akzentsprechenden Polen besetzt - mit der billigblond aufgemotzten, naiven Katarzyna Warnke und dem Yuppie-schwul-gestylten Tomasz Tyndyk - das steht auch für die Angst der Polen, sich an den Westen verkaufen zu müssen, um am Weltmarkt teilhaben zu können. e.o./a.c.


DAS URTEIL EIN EINDRINGLICH ERZÄHLTES, YUPPIE-GEFÄRBTES STÜCK DER GLOBALEN GEFÜHLSKÄLTE IN POLNISCHER MODERNE. GUT VERSTÄNDLICH UND VIRTUOS GEMACHT, SEHR GUT BESETZT, ABER DENNOCH KEINE ABSOLUTE SENSATION.

THEATER Der Löwe im Winter * Von: James Goldman * Neu übersetzt von Susanne Meister * Fassung und Regie: Grzegorz Jarzyna * In Zusammenarbeit mit TR WARSZAWA * Ausstattung: Magda Maciejewska * Musik: Jacek Grudzien * Mit: Wolfgang Michael, Sylvie Rohrer, Markus Meyer, Philipp Hauß, Sven Dolinski, Katarzyna Warnke, Tomasz Tyndyk * Wechselnde Pianisten: Stefan Kallin, Piotr Mania, Leszek Mozdzer * Ort: Burgtheater * Zeit: 117.+25.3.2008: 20h, 11.+15.4.2008: 19h30

Tuesday, December 04, 2007

FILM: "LIEBESLEBEN" VERFILMT VON MARIA SCHRADER NACH SHALEVS SEXROMAN

Jara (Netta Garti) hat einen einfühlsamen Ehemann (Ishai Golan): da sie das Gegenteil noch nicht kennenlernte, weiß sie aber nicht, was das eigentlich wert ist ...

So lässt sie sich vom geheimnisumwitterten, viel älteren Arie (Rade Sherbedgia) auf ein Sexabenteuer der völligen Entmachtung ein ...

... und lernt sich selbst und ihre wahren Liebes- und Lebensbedürfnisse kennen. - Der nächste, geeignete Partner wird somit wohl zwischen einem Arie und einem langweiligen Joni liegen. (Screenshots © Filmladen Filmverleih)


JETZT IM KINO SEXUELLE ERNIEDRIGUNG UND MENSCHLICHE ENTMACHTUNG ALS SCHLÜSSEL ZUR BEWUSSTEN LEBENSGESCHICHTE EINER FRAU - MARIA SCHRADER HAT DEN BESTSELLER DER ISRAELISCHEN AUTORIN ZERUYA SHALEV REIZVOLL VERFILMT

Sucht sich eine zunächst noch subjekthafte Frau einen Mann, der sie demütigt, unterwirft, der sie - über die spielerische Schlafzimmer-Ebene hinaus - zum willenlosen Objekt degradiert, dann stimmt mit ihr wahrscheinlich psychisch etwas Fundamentales nicht. Es könnte aber auch sein, dass sie mit ihrem Leben unterbewußt unzufrieden ist, weshalb dieser Mann es gewaltsam zerstören muss. Ihr selbst fehlt dafür wohl der Mut. In direktem Sinne. Dieser Mann muss sie indirekt zwingen, "als Nichts" von Neuem zu beginnen, weshalb "so ein Mann" nur Mittel bzw. Weg sein wird und nicht bleibender Teil des Neuen.
Bei einer sehr jungen Frau hingegen mag diese Machowahl instinktiv begründet sein. Indem Neugierde und Abenteuerlust sie drängen, die äußersten Grenzen der erotischen Hingabe erfahren zu wollen, einschließlich des provozierten Tränenmeers, des Risikos, sich selbst irgendwann abgrundtief zu verachten. Mancher Frau wird das wiederum helfen, um zu begreifen und für die Zukunft auszuwägen, worauf es ihr für "ihre" echte Liebe oder überhaupt "ihre" persönliche Lebensgeschichte tatsächlich ankommt. Manche könnte darüber als Mensch aber auch endgültig zerstört sein.

Abenteuerin und Ausbrecherin in einer Frau

Die im deutschen Raum gefeierte Schauspielerin Maria Schrader hat nun in ihrem Regiedebut mit dem deutsch-israelischen Spielfilm Liebesleben, basierend auf dem gleichnamigen Bestseller der Israelin Zeruya Shalev, beide Frauentypen in einer Figur vereint: Jara repräsentiert durch die Schauspielerin Netta Garti sowohl die instinktive, junge Abenteuerin, als auch die reifere, etwa 30-jährige Romanheldin, die sich bewußt treiben und führen lassend ausbrechen will. Und wundersamer Weise erscheint Jara im Film dadurch samt ihres Abenteuers mit dem ca. 25 Jahre älteren Mann Arie (Rade Sherbedgia) sympathischer, positiver, angenehm anregender als Jara im Roman. Da sich die demütigende Erfahrung als klare, abschnittsbezogene Lehrphase zur eigenen Erkenntnis heraus schält, während sie im Buch unterschwellig zum Ideal eines aufregenden Sexuallebens-an-sich hoch stilisiert wirkt. Dieser Eindruck könnte allerdings auch daher rühren, dass die Leseerfahrung viel ausgedehnter, detaillierter, länger stattfindet, als die Sichtung eines 109-minütigen Spielfilms, selbst wenn zu dessen schöner Atmosphäre eindeutig introspektiv-aufregender Kamera- und Rhythmusstil beitragen.

Der ältere Mann und die Abenteuerin

Dass Laras Leben an der Kippe zum Aufbruch steht, erkennt man zu Beginn, nachdem ihr Arie, der aus Frankreich heim nach Israel gekehrte Jugendfreund ihrer Eltern, über den Weg rennt. Er verwirrt und zieht Lara sofort an; er schürt ihre Neugierde noch, da auch ihre Eltern große Bewunderung für ihn hegen. Mit seiner Anarcho-Selbstshow repräsentiert Arie den intellektuellen und ästhetischen Lebenskünstler, der über den provinziellen, kleinkarierten Menschen in engem Familienverbund steht. Jara studiert an der Universität Vergleichende Religionswissenschaft, mit Aussicht auf eine Assistentenstelle, was jedoch davon abhängt, ob sie ihre Diplomarbeit anfängt. Und wie in ihrem Eheleben mit dem liebevoll-aufmerksamen, aber uninteressanten Joni (Ishai Golan) alles ohne Leidenschaft und Ziel dahin läuft, weiß Lara auch hier nicht, worüber sie schreiben "muss". Sie lässt sich daher ablenken, von Arie, dem sie in einem Modegeschäft, wo sie sich zufällig begegnen, gleich mal in einer Umziehkabine an sein bestes Stück greift, wonach sie ihn in seinem Haus aufsucht, und er sie ohne Vorspiel von hinten nimmt und danach rausschmeißt. "Das war nicht gut für mich!", schreit Jara auf der Straße, und damit beginnt nun das rätselvolle Spiel.

Der Schlüssel zur eigenen Lebensgeschichte

Wie dringend Lara etwas Bestimmtes sucht, zeigt bereits die Szene, in der sie sich egoistisch und verlogen nach dem Unfalltod der geliebten Katze ihrer Freundin verhält, den sie mitverantwortet hat. Sie lässt von ihrem Weg ins Abenteuer keine Sekunde ab, alles, was zählt, sind ihre angstvollen Ohnmachtsvorstellungen in subjektiver Kamera. Jara "will" den Boden unter den Füßen verlieren, obwohl ihr dieser geheimnisvolle Fremde sagt, "bleib bei dem, was du hast". Doch sie lässt sich nicht stoppen und fährt mit Arie über eine einsame Wüstenlandschaft zu einem Hasch-Freund, bei dem Lara zu Dreiersex gedrängt wird - da jener Freund sie als Tochter ihres Vaters erkennt, schämt sie sich zutiefst. Als Anonyme hätte sie das Erlebnis möglicherweise von sich entfernt lustvoller erfahren können, als "Identität" ist es ihr peinlich. - Ein weiteres, negatives Indiz, sich als Selbst mit Wunschgrenzen künftig zu positionieren. Der gelangweilte Arie weiß die ganze (von ihm initiierte) Aktion jedoch nur so zu erklären: "Du bist hungrig, und ich bin satt." Desillusioniert zeigt sich Lara darauf hin eine innere Vison von sich selbst, in der sie blutig überfahren am Straßenrand liegt.

Die Ernüchterung im Entmachtungsrausch zwischen Selbstunsicherheit und Seinswunsch eskaliert, als Arie bei sich zuhause ein Fest organisiert und Laras Eltern einlädt, während er die junge Frau im Schlafzimmer eingesperrt hält, ihr Vater durch einen Zufall aber dennoch registriert, dass sie bei seinem Freund gerade ihren Ehemann betrügt. Und damit wiederholt sich ein Spiel, das seinen Ursprung bereits viel früher nahm. Denn als Höhepunkt der Verletzung muss Lara erkennen, dass es Arie gar nie um sie gegangen ist, sondern um seine "einzig wahre Liebe": Laras Mutter. Sie verließ ihn einst, weil er keine Kinder zeugen kann. Die ganze Affaire erklärt sich somit als religiöses Urthema von der elterlichen Schuld, die sich auf die Kinder übertragt: als traumatisches Erbe. Das ist Schuld und Sühne in Sippendimension. Aber auch psychologisch wahr. - Immerhin weiß Lara am Ende: "Es ist nicht wichtig, dass du mich liebst. Denn ich weiß jetzt, worüber ich schreiben will." In Laras Fall könnte man (im Film) daher durchaus von einem Happy End sprechen ... e.o./a.c.

Regisseurin Maria Schrader ist demnächst im Exklusiv-Gespräch auf intimacy: art in artists / talks zu lesen und zu hören


DAS URTEIL DER FILM IST BEI TOLLER KAMERA WEITAUS ANGENEHMER ZU ERTRAGEN ALS DAS BUCH - AUCH WEIL LARA AUS DEN SEXUELLEN DEMÜTIGUNGEN LERNT UND DAMIT ERNST ZU NEHMEND SYMPATHISCH IST.

FILM Liebesleben * Regie und Co-Drehbuch: Maria Schrader * Roman: Zeruya Shalev * Filmverleih: Filmladen * Produzent: Stefan Arndt, Andro Steinborn, Marek Rozenbaum * Mit: Netta Garti, Rade Sherbedgia, Ishai Golan, u.a. * Deutschland / Israel 2007 * Kinostart in Österreich: 7.12.2007

Saturday, December 01, 2007

KABARETT: VITÁSEKS FÄKALFREUDE BEI SKREPEKS "NDK"-DEMOKRATIE UM R. POHL








Peter Paul Skrepek lud als "Zilk" (Foto © Friedrich Holoubek) in NDK anläßlich von Einen Jux will er sich machen am Volkstheater ...







... Der-Standard-Kritiker Ronald Pohl zum satirischen Gespräch in die Rote Bar, den sich Hauptdarsteller "Weinberl", Andi Vitásek, mittels Brille "aufsetzte" ... (Foto © Lalo Jodlbauer, von uns "Pohl"-bemalt)


ROTE BAR / VOLKSTHEATER ZUCKERBROT UND PEITSCHE. SCHASSAUSRUF. UND WIR ERFAHREN, DASS (VERSCHACHTELTES) KRITIKEN-SCHREIBEN EIN ERUPTIVER VORGANG SEIN MUSS. - AUS DEM LACHKABINETT VON PETER PAUL SKREPEKS NACH DER KRITIK MIT DEM EINEN JUX WILL ER SICH MACHEN -CHARMEUR, ANDI VITÁSEK, ALS RONALD POHL

Umstand der Kritik bei einer Kritik der Kritik zu werden, weil man zuvor kritisierte, mit seiner Kritik unter den besten Kritiken nicht genannt worden zu sein, löst ein zwiespältiges Gefühl aus. Schon weil der Fädelsführer von NDK (Nach der Kritik), Peter Paul Skrepek, uns damit die Pointe vereitelt, künftig bei all seinen heimischen Tageszeitungskritik-Spiegelungen im Volkstheater mit einem revolutionären "Wo war die von intimacy: art?" zu protestieren. Damit aber nicht genug, wir wurden nicht nur erwähnt, sondern - kurzfristig - "als Internetzeitung aus demokratischem Grund" sogar in undemokratisch, willkürlich erzwungenem Stil, zum Sieger aller Kritiker ernannt. Anscheinend hat sich in diesem Moment der Ex-Gewerkschafter über den von ihm in der Show persiflierten Moderator Helmut Zilk gestellt, nachdem er unsere Frage nicht als Rhetorische aufgefaßt, sondern sie bis in ihre Substanz ernst genommen hat. Das gibt es sonst nirgends in Österreich, wenn sich Newcomer schüchtern und spröde, mit im Monatsschnitt steil steigenden täglichen Lesern, aufbäumen! Offenbar sieht Skrepek dieses Medium als "mehr" als nur "weiblich" an, womit wir ihn ab sofort vom letztes Mal titulierten "intuitiven Sexprotz" zum "beschützenden Liebsten" erheben.

Skrepeks demokratischer Kulturvorstoß

A propos - (sexy Geistessprung) - "Richard Burton": Vermissten wir dessen erotischen Erguss bei Joesi Prokopetz, so bekommt ihn nun Andi Vitásek von uns verpaßt: Für seine sprühende Reaktion von "des is a Schaß!" bezüglich unserer Bewertung seiner Schauspiel- und Singweise als Nestroys Weinberl. Im Grunde glauben wir allerdings, dass er vor lauter Freude nach unserem zielgeraden Lob so beschämt war, dass er den Schein einer nach außen hin wirkenden geschmeichelten Eitelkeit mit diesem Ausruf einfach abstossen musste. Vielleicht stand der Fäkalausdruck aber auch für die spontane "Schaß"-Antwort des "Ronald Pohl", den "Zilk" diesmal eingeladen hatte, verkörpet durch Vitásek in Personalunion, während er leicht und charmant von sich selbst ein-, aus-, um- und wieder zurückstieg. Als Pohl mit Erkennungszeichen "schwarzer Brille" kann er schließlich kaum einen anderen als besten Kritiker akzeptieren als Pohl allein! So war es denn auch eine strategisch weise Kehrtwendung unseres Zuckerbrot-und-Peitsche-Liebsten Skrepek, den begehrten Preis am Ende doch seiner Langzeitliebe Pohl zu überreichen, schon um einem möglichen Eifersuchtsanfall desselben auszuweichen. Und die offizielle Begründung für die "Auszeichnung", zu Einen Jux will er sich machen gar nichts kritisiert zu haben, sondern stattdessen nach Paris gefahren zu sein, dürfte Pohl anläßlich seiner unbändigen Fähigkeit zur Assoziationsflüssigkeit auch nicht als Beleidigung auffassen.

"Zilks" obligatorisch grausame "Starmania"-Live-Publikumsabstimmung bezüglich der "besten" Kritik (dem Skrepek intimacy: art-Kritikerin e.o. nicht aussetzte, weil sie mit ihrer lieb-bösen Ehrlich-Kritik natürlich ausgeklatscht worden wäre) nahm somit einen überraschenden Schwung, indem die akustische Applaus-Siegerin, die nett-business-as-usual-schreibende-Margarete-Affenzeller, leer ausging. Und an diesem Beispiel sehen wir wieder: Könnte sich die Intuition eines intelligenten, geschmackvollen, gebildeten Jurors immer gegen "demokratische" (= quotenorientierte) Unterhaltungsgeschäftskulturentscheidungen behaupten, gäbe es im allgemeinen Showbusiness viel mehr Herz, Gerechtigkeit, Geist und damit: individuelle Qualität. Eine Massenabstimmung kann immer nur den höchsten gemeinsamen "Durchschnitt" aus einer momentanen Mengenlaune heraus zum Sieger haben. So viel zum Thema "Demokratie aus künstlerischer Sicht", gleichzusetzen mit "Kulturverkaufsgut-Aufschnitt" oder einer "kulturellen Scheibe Wurst".

Vitáseks Weisheit vom Schaß

Nun aber zum Besten des Abends - denn in Wahrheit kommen die Leute wegen dem Skrepek-Zilk und seinem wechselnden Gast in die bummvolle Rote Bar! Weil origineller und persönlicher herzlachen wie zu dieser späten Stunde kann das anwesende Stamm/Publikum sonst nirgends. Der gewitzte Skrepek entwickelt jedes Mal mit größter Umsicht ein exklusives, einzigartiges Bühnenstück, ohne auch nur eine Dublette innerhalb seiner NDK-Serie zu verwenden; es wird höchstens an Früherem aufgebaut, bei Sätzen wie: "Der Tod zieht sich wie ein roter Faden durchs Leben. Aber nur wer stirbt, hat gelebt." Fast könnte man sagen, das ist viel zu viel und viel zu gut, für diesen beiwerkenden Free-Session-Anlass. Doch echt-musische Künstler können wahrscheinlich gar nicht anders, als alles zu geben, und so auch nicht Skrepek und sein Gast-Charmanter, Vitásek. Unter dem Pohl-beeinflußten Motto "Das ganze Leben ist ein Schachtelsatz" vor Schultafel mit Aufschrift "Schuld und Bühne" (worunter Schriftführer "Franz" C.F. Krutzler später schreiben wird: "Das Publikum ist schuld. An allem"), ergießen sich tiefkratzige Diskussionen, basierend auf dem umstrittenen "Großmeister der deutschen Sprache", Ronald Pohl, sobald Skrepek-Zilk seine unvermuteten Peitschenhiebe auf eine Zuseherin losgelassen hat, wie "die Überwachung gehört zum Bürgerrecht - diese Frau wird gerne überwacht!", oder auf den treuesten, sich durchgehend freuendsten Wiederkehrer, "ja, Sie lachen wieder. Sie lachen immer an den unpassendsten Stellen".

Der Standard-Kritiker Pohl, der zuerst erfolgloser Schlagzeuger und Kabarettist war und "von niemandem verstanden wird, wie alle großen Geister", wie Zilk oder wahrscheinlich viel mehr der Pohl-begeisterte Skrepek meint, hat prinzipiell einen fachlichen Feind und zwar seinen Ex-Schwiegervater, Autor Michael Scharang. Und auf ihn weiß Vitásek als Pohl zu sagen: "Des is a Oarschloch." Selbst wenn Vitásek sich an Pohls Wuchtel bezüglich seiner eigenen Person wie "schinkenmäßig durchzogen von einer egomanischen Speckschwarte" erinnert, nimmt er ihn doch in Schutz gegenüber dem "genauso-a-Schaß-schreibenden" Scharang, dem der Ex-Schwiegersohn mit Holzschlapfen in der oberen Wohnung auf den Nervzellen rumtrampelt. Als dann Ausschnitte aus Pohls Buch gelesen werden, denkt sich jedoch wiederum das Publikum, "des is aber jetzt wirklich der größte Schaß".

- Aber wie jeder Mensch weiss, ist selbst das zu produzieren, eine Gabe Gottes, und je weniger er dabei denkt, desto natürlicher (eigenständiger) kommt´s. - Es ist daran zu erkennen, wie erstaunlich fremd einem der eigene Text ist, liest ihn ein anderer vor, weil man dann erst merkt, was für ein eruptiv-körperlicher Vorgang das kreativ-freie Schreiben eigentlich ist. Man kann sich nicht einmal erinnern, wie aus dem Gerüst aus fünf Worten ein zusammen hängender "Sch...-fluß" werden konnte. - Andreas Vitáseks Spontanbezeichnung kann daher in jedem Fall nur als Kompliment verstanden werden. Wir geben es beschämt und ehrfürchtig an die beiden Profi-Akteure zurück, mit tiefer Verneigung vor ihrer scheinbar so leicht entwickelten natürlichen Atmosphäre. e.o. (mit Absegnung von a.c. / r.r.)


DAS URTEIL ZWEI STARKE CHARISMATIKER UND PERSÖNLICHKEITEN, DIE SICH ÖFTER ZUM ZILK-GESPRÄCH TREFFEN SOLLTEN: DER LIEBENSWERTE SADIST PETER PAUL SKREPEK & DER SPRÜHENDE FETISCHIST ANDREAS VITÁSEK. ZWEI LACHGARANTEN!

Nächste NDK-Vorstellung in der Roten Bar / Volkstheater
KABARETT-SATIRE NDK - Nach der Kritik @ Geschichten aus dem Wiener Wald * Kabarett & Satire von und mit Peter Paul Skrepek (als Helmut Zilk) * Mit: Christoph F. Krutzler + special guests: Robert Palfrader und Rudi Roubinek * Ort: Rote Bar / Volkstheater * Zeit: 30.4.2008: 21h30 * Karten: 7 €

Nächste ZILK-HITLER-Aufführung (NDK-Vorläufer) - Das aktualisierte Original im Theater im Rabenhof
KABARETT-SATIRE Überlebenskünstler - Helmut Zilk im Gespräch mit Adolf Hitler * Von: Peter Paul Skrepek * Mit: Peter Paul Skrepek (Zilk), Hubsi Kramar (als Adolf Hitler) * Ort: Theater im Rabenhof * Zeit: 11.3.+1., 20.4.2008: 20h, siehe www.rabenhof.at

Statt NDK-Aufführung, denkBar

GESPRÄCH Ex-Salzburger Nachrichten-CR Ronald Barazon: "Kampf dem Kapitalismus" * Interview von Peter Paul Skrepek mit dem Buchautor gleichnamigen Titels * Ort: Rote Bar/Volkstheater * Zeit: 5.12.2007: 22h, siehe www.volkstheater.at

Peter Paul Skrepek als (Ex-Falco-)Gitarrist zu erleben, in
KONZERT Falco-Band & Gäste * Rhythm & Blues * Letztes Konzert der Falco-Band [Besetzung von 1992 - 1996] * Mit: Thomas Rabitsch, Bernhard Rabitsch, Thomas Lang, Bertl Pistracher und Peter Paul Skrepek - sowie zahlreichen Gästen aus Film, Funk und Fernsehen * Ort: U4, 1120 Wien, Schönbrunnerstraße 222 * Zeit: 6.2.+7.2.2008: 22h00

Andi Vitasek-Kabarett im Volkstheater
KABARETT My Generation * Kabarett von und mit Andi Vitasek * Ort: Volkstheater * Zeit: 8.5.2008: 19h30

Wednesday, November 28, 2007

OPER: UMWERFENDER "ORLANDO PALADINO" VON KEITH WARNER & HARNONCOURT

Der karikierte Antiheld Orlando (Kurt Streit) ist von der Liebe und damit vom geisterhaften Wahnsinn der bösen Unterwelt (die Tänzer) besessen ...

... obwohl das Objekt seiner Begierde Angelica (Eva Mei) in den zart beseiteten Medoro (Bernard Richter) verschossen ist, allerdings nicht so, dass ihre Liebe von vornherein glatt liefe (wie die Tür zwischen ihnen oder die Leiter zeigen)

Der egozentrisch-irrwitzige Pasquale (Markus Schäfer) ist als Mischung zwischen Leporello, Joker und Orlandos doppelagentischem Diener zwar noch weiter von der Liebe entfernt, doch durch einen Zaubertrick findet selbst er noch seinen Deckel. (Fotos: © Armin Bardel)


THEATER AN DER WIEN DIE BAROCKOPER VON JOSEPH HAYDN, ORLANDO PALADINO, WIRD DANK DER TAUSEND SCHICHTEN UND DETAILS VON KEITH WARNER UND NIKOLAUS HARNONCOURT ZUM ERLEBNISKICK

Wenn Hysterie ein Gesicht hat, dann sieht es so aus wie die Inszenierung Orlando Paladino des britischen Starregisseurs Keith Warner im Theater an der Wien. Seit intimacy: art das Geschehen an diesem Haus begleitet, ist diese im wahrsten Sinne des Wortes "wahnsinnige Oper" neben Michael Sturmingers Uraufführung I hate Mozart die bisher einschlagend gelungenste Neuproduktion: Ihr Erfolgsgeheimnis liegt in den theatralen und bühnenoptischen Überraschungen ohne Ende während des gesamten Verlaufs, in den mehrschichtigen Bedeutungsebenen durch die Umsetzung, in der unglaublich guten Besetzung durch die schauspielerisch, charismatisch und sängerisch besten und attraktivsten Darsteller, die es überhaupt zu geben scheint, und natürlich liegt der Erfolg auch im sehr, sehr, sehr feinklanglichen und beschwingten Concentus Musicus Wien mit seinen originalen Barockinstrumenten des sehr, sehr, sehr genial-"hysterischen" Dirigenten Nikolaus Harnoncourt.

Von der Wortwitzverdoppelung ...

Die Synopsis, in der ein liebendes Paar durch einen eifersüchtigen, kampfesheroischen Querbrater gestört wird, sodass eine Zauberin bis zum Gang in die von Charon (Markus Butter) bewachte Unterwelt für Ordnung der Gefühle sorgen muss, klingt eigentlich ziemlich naiv und bis auf die Zauberin auch nach "tausend mal gehört". Was dieses fantastische Team durch verdoppelnde Deutungen aber daraus macht, endet nach mehreren Schichtungen aus Satire, Humor, Brachialwitz im Untergrund in einer grossen Weisheit, und - eben nicht nur konkret am Ende des Stücks - sondern sie schwebt als Big Brother des watchenden Regisseurs Keith Warner über jeder Handlungssekunde. Indem dieser geistreiche Interpret des bereits geistreichen Librettisten Nunziato Porta nach Carlo Francesco Badini und des noch geistreicheren musikalischen Umsetzers Joseph Haydn (1782) (getoppt durch den sicher geistreichsten Harnoncourt) einerseits winzige Details bemerkt und sie heutig ironisch an- und "um"merkt: Sagt zum Beispiel Ritter Orlando, er wolle sich an dieser Quelle erfrischen, so tut er das an einer Schnapsflasche.

... zur Typenumdeutung

Andererseits verfremdet Warner sämtliche klar von einander getrennten "Typen" noch einmal umso klarer: Lobt sich der Kriegsheld Rodomonte (toller Bass Jonathan Lemalu) mit seinen Worten selbst, so zeichnet ihn seine gekonnt witzig-übertriebene Agitation gezielt ins Antiheldentum. Die alles dirigierende Zauberin Alcina (Elisabeth von Magnus) ist Visitenkarten-verteilend in ihrem nüchtern-intellektuellen Kostüm ein unterschwelliges Symbol für die, selbst Gefühle-steuernde Wirtschaftswelt von heute. Der Diener des eifersüchtigen Orlando, Pasquale vermischt sich - der Figur des "Leporello" entnommen - in einem "doppelagentischen" Jokerclown mit weißer Halbmaske. Als solcher hat Markus Schäfer als italienischste und hysterischste Figur (die ganze Oper wird italienisch gesungen) zwei Glanzszenen: Bei Hungergefühlen zeigt er in leicht grindig-sexueller Anspielung seiner späteren Angebeteten beim ersten Kennenlernen die Wurst, bevor er in maßloser Selbstverehrung von seinen Heldentaten prahlt und als Clou unter der Essensglocke einen Heroenhelm findet. Und will er sich bei seiner Geliebten (Juliane Banse) später beweisen, macht er das mittels Dialog mit dem Orchester, indem er sagt, "kein Kastrat singt so schön wie ich", während er sich mit einzelnen Instrumenten matcht, die ihm daraufhin aus dem Orchester - wie etwa die schwarz sonnenbebrillten Bassisten - "antworten".

Und alles umgibt die unheimliche Liebespsyche

Dieser horrende Spaß aus immer wieder neu entwickelter Permanentkarikatur, der vor allem im ersten Teil wirklich durchgehende Spannung hält, wird nun umhüllt von der unheimlichen, übernatürlichen Ebene, die am meisten von Karl Alfred Schreiners subtil und "straight" choreografierten Diener-Tänzern in schwarzen Skeletttricots hervor gerufen wird. Sie steht letztendlich auch für die "Liebe". Denn glatt läuft in diesen Lieben nichts. Nicht einmal die beiden offiziellen Turteltauben, Angelica und Medoro, erleben ihre rosa Wolke. Obwohl Medoro ein - wenn auch sehr hübsches - emotionales "Weichei" (der sehr leidenschaftlich und schön singende Bernard Richter) ist, balanciert ihre jeweils innere Gefühlsharmonie zuerst noch auf Leuchtturm-mit-Leiter-entfernter Probe, sodass sie sich Liebesbriefe per Flugzettel zuschießen müssen.

Wiederkehrende Karrussel- und Hochschaubahn-Verfremdungen im durchgehend originellen, neuartigen - wie die Regie mit viel Britenwitz versehenen - lichtakzentuierten Bühnenbild von Ashley Martin-Davis vermitteln diese Unsicherheit innerhalb der Sehnsucht nach Glanz zusätzlich noch. Und dass Orlando (ebenfalls ein Alpha-Sänger: Kurt Streit) als liebesbesessener Negativtyp irritiert, der eigentlich als absolut männlicher Feschak das typische Objekt der Begierde wäre, liegt auf der Hand. Sämtliche Liebeskandidaten müssen sich ihre Liebe durch mentale Qualen also erst verdienen: durch zweiseitige Türen, in denen sie sich wie im Spiegelkabinett mit sich selbst konfrontieren oder sie sich durch un/passende Türen zwängen.
Das Einzige, was tatsächlich für die pure, erstrebenswerte Liebe steht, steckt durchgehend im Gesang von Angelica, der sicher wundervollsten Sängerin des Abends, mit lyrisch-klarer Stimme: Eva Mei - sie rührt mehrmals bis ins nüchternste Herz. Und ihr Gesang steht am Ende auch für die Weisheit: Treue und Glück bekommen nur die, die wieder lieben, wer sie liebt. e.o.


DAS URTEIL FÜR SOLCHE GLANZMOMENTE LEBT EIN KRITIKER: ETWAS GEISTREICHERES UND KÜNSTERLISCHERES GIBT ES NICHT, ALS DIESE HYSTERISCH-GENIALE, HEUTIGE BAROCK-INTERPRETATION IN HÖCHSTER GESANGS- UND MUSIKQUALITÄT MIT NIE ENDENDEN ÜBERRASCHUNGSDETAILS. EIN ECHTES GESAMTKUNSTWERK!

OPER Orlando Paladino * Von: Joseph Haydn * Regie: Keith Warner * Dirigat: Nikolaus Harnoncourt * Mit: Concentus Musicus * Bühne: Ashley Martin-Davis * Choreografie: Karl Alfred Schreiner * Mit: Kurt Streit, Eva Mei, Bernard Richter, Jonathan Lemalu, Juliane Banse, Markus Schäfer, Elisabeth von Magnus, Bernhard Berchtold, Markus Butter + Tanzensemble * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 29.11.2007: 19h

Tuesday, November 27, 2007

MUSIK: DER FÜR JÄRVI EINGESPRUNGENE ROSSEN GERGOV BEI "ALL THAT TANGO"

Sprang weniger theatral und kontrastrhythmisch als emotional auswägend für Järvi ein: der junge bulgarische Dirigent Rossen Gergov (Foto © Daniele Panato)










Mit dem niederländischen Bandoneon-Spieler und -Komponist Carel Kraayenhof fand er daher zu einer sehr romantikgeladenen Gefühlswelt um Piazzolla (Foto © Carel Kraayenhof)


WIENER MUSIKVEREIN ZUM AUFTAKT DER DREITEILIGEN PLUGGED-IN-SERIE ERSETZTE ROSSEN GERGOV KURZFRISTIG KRISTJAN JÄRVI ALS DIRIGENT DER TONKÜNSTLER NIEDERÖSTERREICH - MIT ZWIESPÄLTIGER QUALITÄT

Das Tonkünstler Orchester Niederösterreich hätte Mitte November eigentlich mit seinem Chefdirigenten Kristjan Järvi die vielversprechende, dreiteilige "Plugged-In"-Serie starten sollen, die Neues mit Tradtionellem verbindet, indem sie nicht nur aus fremden Kulturen schöpft, sondern sich auch musikalisch mit dem Jazz verbindet. Nun, Järvi selbst sagte ab (wieder einmal, da er offensichtlich vorab - auch für Außenstehende klar ersichtlich - zu häufig eingeplant ist!) und schickte dafür seinen Assistenz-Dirigenten, den blutjungen Bulgaren Rossen Gergov (26) unter dem Motto Nummer 1 All That Tango in den Wiener Musikverein. Mit dem Resultat: der Protegé des Musikdirektors der Wiener Staatsoper, Dirigent Seiji Ozawa, meisterte das vielfältige Programm mit vielfältiger Qualität: von erlebt bis verhalten-unpersönlich, somit von sehr gut bis fast schlecht.

Zartes Feingefühl statt Rhythmik im Blut

Abgesehen davon, dass der junge Mann - von noch zarterer und kleinerer Gestalt als Järvi - in Sachen Showleading (Entertaining) noch viel üben muss, damit er an Ausstrahlung gewinnt, geschweige denn, dass seine verbalen Ansagen zu verstehen wären, ist sein visuelles Erscheinungsbild auch beim Dirigieren kaum aufregend. Was an optischer Theatralität fehlt, ist denn auch im musikalischen Wiederhall zu beanstanden, und zwar bei ganz bestimmten Komponisten und Werken: Strawinskis Ragtime fehlte jeder Schalk, jede Erzählkraft, die in diesem genialen Stück so wichtig wäre, damit es auch wirklich stimmig ankommt. Gergov dirigiert es zaghaft und lyrisch, leise und ungebunden, zu sehr aus dem Kopf statt aus dem Körper. (Beispiel für eine gelungene Version wäre dagegen die CD von Kristjan Järvis Vater, Neeme Järvi, mit dem Royal Scottish National Orchestra, Chandos Records, 1994!) - Das war die schwächste Interpretation des Abends, und als sechstes Stück ließ es die Frage offen, ob dieser junge Mann überhaupt noch ins Schwitzen kommen würde, obwohl er Strawiniskis beabsichtigt "halbfalschen" Tango für Orchester mit raffinierter Einzelinstrumentation wie Oboen- oder fünf Klarinetten-Passagen interessant anmuten liess und Frank Zappas Be-Bop Tango mit Pauken-Schlagzeug und Harven-Sensation zivilisiert umgesetzt hatte, sodass immerhin die Musiker lautstark durcheinander lachten und die Trompete unterhaltsam hinein plärrte.

Dass das Konzert aber dann doch sehr schön wurde, lag nicht an Gergovs rhythmischem und theatralem Schweiß, sondern an seiner Fähigkeit zur gefühlsmäßig-erlebten Wiedergabe. Sie traf sich bestens mit dem Stargast des Abends, Bandoneon- und Piazzolla-Virtuose Carel Kraayenhof aus den Niederlanden. Die Sinnlichkeit von Astor Piazzollas weltberühmten Titeln führten beide - mit auffällig einfühlsamer Unterstützung des Pianisten Sebastian van Delft - in eine Dimension, die die Zuhörer ins (liebes)filmische Erleben bei tiefster Wehmut versetzte. Selbst wenn sich manch einer denken mochte: "Dass Frank Zappa sich zeitlebens ein Orchester für die Umsetzung seiner Rockmusik wünschte, mag stimmen, ob sich das aber auch ein Piazzolla gewünscht hat?" - Denn das Sperrige, Erdige, Rohe seiner widersprüchlichen und variationsreichen Musik ist hier der puren Romantik gewichen. Aber wie gesagt - immerhin sprang ein Gefühl rüber, das von etwas epochal Erzähltem, und das ist bei einem Konzert das Wichtigste! e.o./r.r.


DAS URTEIL AN CHARISMA UND THEATRALITÄT FEHLT´S DEM JUNGEN ROSSEN GERGOV NOCH. WAS ER DAFÜR HAT, IST EIN FEINES EMOTIONALES GESPÜR FÜR ROMANTIK.

Nächste "Plugged-In"-Konzerte:
A Night in Tunisia * Mit: Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, Dhafer Youssef (Gesang und Oud), Wolfgang Muthspiel (E-Gitarre) * Dirigent: Kristjan Järvi * Ort: Musikverein, Großer Saal * Zeit: 7. 2. 2008: 20h30
Jazzland * Mit: Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, James Morrison (Trompete) * Dirigent: Kristjan Järvi * Ort: Musikverein, Großer Saal * Zeit: 9. 4. 2008: 20h30 Uhr

Sunday, November 25, 2007

MUSIK: JULIA KENT UND BEN WEAVER WECKEN VERLORENE GEFÜHLE

Julia Kent, die auch bei Jon Regen spielt, wurde als Solistin mit eigenem Klang im WUK praktisch überquatscht ...

Ben Weaver hatte mit seiner typischen Trendmusik die völlige Aufmerksamkeit des jungen Publikums. - Das wegen der geschäftigen Bewerbungspraxis leider fehlgesteuert wird!


WUK US-CELLISTIN JULIA KENT WURDE EIN OPFER DER BEWORBENEN MASSENBEWEGUNG DER JUGENDKULTUR: WEIL ALLE AUF DEN KANADISCHEN SINGERSONGWRITER BEN WEAVER WARTETEN, ÜBERSAHEN SIE IHRE QUALITÄT

Es ist immer wieder erstaunlich zu entdecken: Je mehr Kunst, Kultur, Theater, Tanz, Musik, ... man besucht und miteinander vergleicht, desto mehr wird man sich bewußt, dass den individuellen Betrachter nicht unbedingt das Kunstfertigste oder in sich geschlossenste Werk am meisten berührt, so dass es danach noch in ihm arbeitet, sondern das, was ihn selbst, einschließlich seiner Schwächen und Erinnerungen des Scheiterns, am meisten entspricht. Ein Kritiker sollte sich deshalb von sich selbst distanzieren und auf Fakten besinnen, weil ihm sonst nur fünf Prozent allen Vorgeführten tatsächlich gefiele: andererseits liest man genau deshalb so viel Abgeschriebenes, rein Beschreibendes oder Gebrauch-Geschriebenes, das im Groben schon mehrmals woanders zu lesen gewesen schien. - Wenn man für´s Kritiken schreiben bezahlt wird, passiert es also aus dem dienenden Rollenverständnis heraus, und so dirigiert letztendlich die "Worthülse" das Geschehen. Weil´s eben auch ein Geschäft ist. Bestes Beispiel dafür zeigen die Ergebnisse bei der Suche nach speziellen Kritiken über Google. Bis man hier eine ehrliche Meinung findet, wird man wahrscheinlich bis Seite 20 gelangen... Gleichzeitig zeigt es, dass zu viele - Slogans von einander kopierende - Kultur-Werbetreibende (ohne echtem Interesse für die von ihnen beschriebene Kunst) tätig sind, die jene, die sich die Mühe machen, sich mit einem Künstler oder Werk tatsächlich auseinander zu setzen, verdecken. Mit einem Wort, im Internet entwickelt sich dasselbe Phänomen wie zuvor in der massenmedialen Print- und Fernsehlandschaft: indem das mengenmächtige Oberflächliche, der Ankündigungsjournalismus, das rare Originäre aussticht.

Wie Werbung edle Einzelgänger aussticht

Beim Ben-Weaver-Konzert im Wiener WUK nun, das von der Solo-Cellistin Julia Kent eingeleitet wurde, erlebt man denselben Effekt auch live. Abgesehen davon, dass hier der Sog der Jugendkultur mitschwingt, wo die oberflächliche Massenbegeisterung gegenüber einer Sache so schnell entsteht wie sie vergeht. Obendrein fällt einem die damit einhergehende Verlogen- und Verlorenheitsatmosphäre der eigenen Jugendzeit wieder ein, die man als Erwachsener längst hinter sich glaubte.

Voraus geschickt sei an dieser Stelle, dass die Kritikerin dieses Konzert primär besuchte, weil sie vom New Yorker Blues-Jazz-Singersongwriter Jon Regen restlos begeistert ist - von der Atmosphäre seiner Persönlichkeit bis zu Musik und Texten - weil er eben - rein gefühlsmäßig - sehr viel mit ihrer Befindlichkeit und Erfahrung gemein zu haben scheint. Weil also in seiner CD Julia Kent die Cello-Begleitung verantwortete, und ihr elektronisches Solo-Spiel nach einem ersten Check auf My Space noch einmal anders und interessant klingt, ging sie auf dieses Konzert (mit der Hoffnung, dass dieser Ben Weaver vielleicht auch etwas vom sehr eigenständigen Jon Regen haben möge).

Die Mode der Jugend-Verlorenheit

Da steht man also, in einem dunklen Raum, während die einsame Julia Kent spielt, erahnt die vielleicht acht Zuhörer, die aufmerksam zuhören und die zwanzig Schatten im Hintergrund, die laut schwatzend stören. Dieser Frau, die hier als Häuflein Elend ihre Nummern herunter spult, weil sie die Ignoranz gegenüber ihres Stils in dieser Stätte total mitkriegt, entzieht das Publikum die Anerkennung, die ihr aufgrund ihres Könnens gebührte. Ein Stil, der nicht nur fachlich anspruchsvoll ist, sondern auch emotional berührend wäre, würde die Haltung der Musikerin mit 0-Show-Effekt nicht mit jedem doch so schön gespielten Ton sagen: "Eigentlich würde ich am liebsten im Erdboden versinken." - Julia Kent ist ein Opfer der massenmedialen Bewerbung dieses Konzerts, die allein Ben Weaver diente, der eine gänzlich andere - jugend-mainstream-akurate - Musik macht. Dabei würde ihre, in der technischen Handhabe aufregend zu beobachtende Musik mit dem klassischen Cello, das mit Elektronik, Loop, Verstärkung und Verzerrung, modern verfremdet ist, in minimalistischen Wiederholungsmotiven und Klang bestens zur Jugend passen. Leider ist die Jugend "als Menge" aber nicht in der Lage, das zu registrieren, weil sie schlichtweg mainstreamorientiert gesteuert ist, was auf nichts anderem fußt, als auf dem emotionalen Drang nach Zusammengehörigkeit.

Alleweltsdarlinge für Alleweltsmenschheit

Nein, die Jugend akzeptiert den Trauerflor des Verlorenseins erst bei Weaver, der mit seiner Band aus Schlagzeug, zwei Streichern (eine davon Kent) und sich selbst an Syntheziser oder Gitarre, etwas Bekanntes zwischen Tom Waits und Leonard Cohen repäsentiert. Zugegeben, seine Show und Freude beim Spielen, nimmt das Publikum gleich gefangen, sodass nun niemand mehr von den jetzt fünfzig Zuhörern quatscht. Und doch spielt sich in der Kritikerin genau das ab, was sie schon als Jugendliche, als sie mit Freunden zu Konzerten ging, erlebte: eine insgeheime Aversion gegen diesen durchgehenden Druck, etwas gut finden zu müssen, weil es scheinbar alle mögen. Selbst wenn es als Musik mit Variationsweisen wie durch ein neuartigstes elektronisches Luftstreichinstrument in sich Qualitäten hat - Weavers Klangfarbe ist so eindeutig einzuordnen, dass es reiner Massenware entspricht. So viel Persönlichkeit und sprachfertig tiefgründige Worte er zu liefern scheint, so reicht es dennoch nicht, sich nach dem Konzert damit näher auseinander setzen zu wollen. Es geht um Liebe, um Orientierungslosigkeit, um Kälte, um Angst. - Jugendgefühle eben. - Das Problem dabei aber ist, dass es ein pauschales Lebensgefühl aus Prinzip zu beschreiben scheint, weil dieser Mensch, Ben Weaver, letztlich als Typ ebenfalls etwas repräsentiert, das man in seiner Jugend als "zu pauschal" kennen gelernt und bereits abgelegt hat.

Es könnte auch sein, dass er als Mann, zusätzlich und ehrlicherweise - obwohl an-sich sympathisch -, unattraktiv auf die Kritikerin wirkt. Das sei vollständigkeitshalber angefügt. Bei diesem Detail merkt man jedoch wieder, was nicht alles bei der U-Musik vom Sänger bis zum Klang mitspielen muss, damit eine Darbietung tatsächlich bewegt ... wobei aber auch dann prinzipiell gilt: einen typischen Alleweltsdarling wird nur der attraktiv finden, wer sich selbst zur Alleweltsmenschheit zählen kann - und als solcher hätte man es wahrscheinlich leichter im Leben... echt mißmutig gesagt (weil es der Vielfalt der Kultur und der Menschheit entgegen läuft)! e.o.


DAS URTEIL INDIVIDUALISTEN BEVORZUGEN JULIA KENT VOR BEN WEAVER - SELBST WENN ER DER SYMPATHISCHERE SHOWMAN IST ALS SIE.

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