Sunday, January 28, 2007

OPER: GIL MEHMERTS UND RICHARD DÜNSERS POLITICAL KORREKTER "RADEK"

Das ist der "Dank": Der Einsatz für verschiedene Kommunismus-Ideologien - wobei Stalin kurz auch mal mit Hitler paktiert -, bringt den opportunistischen Fanatiker Radek ins sibirische Gefängnis. Foto ©andereart


NEUE OPER WIEN, MUSEUMSQUARTIER RICHARD DÜNSERS OPER RADEK - EIN PORTRÄT DES JÜDISCHEN DEMAGOGEN ZWISCHEN LINKS UND RECHTS - IST BEI GIL MEHMERT EIN KONVENTIONS-STATEMENT DER ANKLAGE UND BEDAUERUNG

Was bleibt, ist die Sicht auf einen politisch-radikalen Menschen, wie wir ihn gelernt haben zu sehen, oder besser, zu bewerten. Diese Sicht dominiert das ganze Stück über. Kein Verständnis für den Fanatiker Karl Radek. Selbst wenn zwischen 1900 und 1945 viele Leute zum Fanatismus neigten und dafür Beachtung fanden. Diese Tatsache wird in der Kammeroper Radek nach dem Libretto von Thomas Höft vernachlässigt. Obwohl nur über sie verständlich würde, wie ein Mensch so leidenschaftlich für Überzeugungen leben und manipulieren kann, wobei ihm der Einsatz und das "Machen" vordergründig wichtiger zu sein schienen, als die Sache selbst.

Im Grunde suchte dieser Karl Radek Erfolg. Genauso wie es jeder anerkannte Business- bzw. Werbemensch unter uns tut, wenn er heute "die" Marke und morgen jene der Konkurrenz zum Absatzrenner pusht. Dafür bekommt er Geld, Applaus, Frauen und den nächsten Auftrag. Er ist also ein großer Mann. - Auch dieses Verhalten ist Politik, nur wird es nicht als solches erkannt.

Ideologe mit Wendehalsbiografie

Karl Radek (eigentlich Karl Sobelsohn) machte sich als galizischer Jude - 1885 in armen, kleinbürgerlichen Verhältnissen geboren - zuerst für die Sozialisten stark. Dafür kam er 1905 ein Jahr ins Gefängnis. Von der SPD wurde er zwei Jahre später in Deutschland ausgeschlossen. 1914 fand er eine neue geistige Heimat: bei Lenin. Er gründete zusammen mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die KPD. - Eine Wende, die viele hoffnungsvolle Freigeister eingeschlagen hatten. - 1922 war Radek Mitglied der Kommunistischen Partei in Moskau, wovon er 1924 wegen Unterstützung Trotzkis ausgeschlossen wurde. Und dann folgte 1929 das, was man ihm heute - charakterlich gesehen - am meisten ankreidet: Radek unterwarf sich Stalin. Dafür wurde er begnadigt. Im Zuge des Pakts zwischen Stalin und Hitler, warb Radek folglich für Hitler und die Nationalsozialisten. 1937 wurde er im 2. Moskauer Schauprozess zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Doch schon 1939 starb er im sibirischen Lager - ermordet.

Wendehals wie heutige Welchselpolitiker

Karl Radek gilt als Wendehals sondergleichen. Wie es heutige Wechselwähler oder Wechselpolitiker sein mögen... Für Juden war das in vielen (kommunistisch gewordenen) Ländern Europas bis lange nach dem 2. Weltkrieg (!) allerdings eine Frage des Überlebens. - Etliche jüdischen Filme handeln in bitterer Selbstironie davon. Aber bei diesem Opern-Radek, der bei den Bregenzer Festspielen 2006 uraufgeführt wurde, bleibt nichts als Anklage. Die gut durchdachte a- und tonale Musik des Vorarlberger Komponisten Richard Dünser ist mit musikalischen Zitaten bekannter Musikstücke und -genre dem Geschehen in puristisch-surrealer Regie Gil Mehmerts untergeordnet.

Rückblenden aus dem Gefängnis

Die ganze Geschichte spielt 1937 im sibirischen Gefängnislager auf karger Bühne, wo Radek mit den Gefangenen sein Leben inszeniert. Als Kind ist Karl ein Außenseiter, mit dem niemand spielen möchte, weil er immer alles umhaut. Die familiäre Armseligkeit ist ihm "zu klein, das ist kein Leben", sagt er, "ich bin der Messias". - "Du bist krank", antwortet seine Mutter.

Zeitsprung: Über eine Doppelfigur schaut sich Karl Radek (ambitioniert: Georg Nigl) selbst zu, wie er vom sozialen Lebensumfeld (der KZ-Aufsicht?) gedemütigt wird. Lichter leuchten zu seinen politisch geschrieenen Ideologien, die ihm als Halt dien(t)en, "Krieg, das ist gut!", scheint ihm die nötige Konsequenz zu sein. Doch ein Koffer steht symbolisch für die Durchläufigkeit seiner Gesinnung und der Kriege.
Privat verläßt Radek indessen seine Ehefrau Rose für die Politik, wegen der er wiederum später selbst von seiner Geliebten Larissa verlassen wird.

Dann der entscheidende Moment, der bis heute verwundert: Radek singt: "Was ist Deine Revolution? Braune marschieren durch Berlin. Sind die Braunen nicht auch Sozialisten?" So kommt es, dass er in jiddischer Propaganda fidelt, während Hitler mit deutscher Nazi-Fahne und Stalin mit kommunistischer Fahne wedeln. Beide Führer grüßen mit ihren jeweils typischen Handzeichen, begleitet vom dirigierenden Radek und verdoppelt durch das Echt-Dirigat Walter Kobéras hinter Radeks Rücken. Da es ihm so am besten zu gehen scheint, mausert sich Radek also zum guten Freund Stalins (Stefan Cerny mit Countertenor-Stimme), indem er zu Jazz-Samba-Rhythmen mit ihm Schach spielt. Währendessen wird sein einstiger Freund Trotzki (auf Auftrag Stalins, was allerdings chronologisch erst viel später geschah) erstochen, der zuvor geplant hatte, Stalin ermorden zu lassen.

Zeitsprung: Radek wird des Vaterlandsverrats verurteilt und nimmt das Urteil an. Sein verworrenes Gedankengebäude fällt als Steinschlag in sich zusammen. "Es ist kalt hier", sind die letzten Worte des Opportunisten. e.o.


DAS URTEIL POLITICAL KORREKTE NEUE OPER, DIE GENAU DAS BILD VON KARL RADEK ZEIGT, DAS SICH EIN EUROPÄER ERWARTET. DIE MUSIK UNTERSTREICHT DIE HANDLUNG UND IST EBENFALLS POLITICAL KORREKT - ALSO EHER UNAUFFÄLLIG.

OPER Radek * Kammeroper von Richard Dünser * Regie: Gil Mehmert * Musikalische Leitung: Walter Kobéra * Mit: Georg Nigl, Rebecca Nelsen, Anna Clare Hauf, Bernhard Landauer, Manfred Equiluz, Stefan Cerny * Wiener Concert-Verein * Ort: MuseumsQuartier, Halle E * Zeit: 25.-29.1.07, 20.00 h
* Ort: Nederlands Kameropera Festival in Zwolle/NL * Zeit: 18.4.2007

Thursday, January 25, 2007

THEATER: RUDOLF FREY UND MARTIN HECKMANNS KONGENIAL - IN "DAS WUNDERVOLLE ZWISCHENDING"

Wie hält ein Künstlerpaar sein Sexleben spannend? - Es dreht einen Film und macht es dabei mal in der Badewanne statt im Bett: Johannes Krisch (Johann), Stefanie Dvorak (Anne), Foto © Georg Soulek / Burgtheater

Wie integriert ein Künstlerpaar den Mann vom Amt (Roland Kenda) in den Film? - Er wird zum Gegenspieler seiner Liebe und darf als neuer Patschenmann zu Anne (Stefanie Dvorak) ins Haus. Das macht Johann (Johannes Krisch) sauer, aber es ist ohnehin nicht "echt" - oder doch?, Foto © Georg Soulek / Burgtheater


BURGTHEATER
REGISSEUR RUDOLF FREY VERSTEHT MIT SEINEN JUNGEN JAHREN ERSTAUNLICH VIEL VON BEZIEHUNGEN. ODER AUTOR MARTIN HECKMANNS HAT ES IHM NUR SCHLAU UND EINFÜHLSAM EINGESAGT


Da trifft ja mal ein ausnehmend guter Regisseur auf ein ausnehmend gutes Stück! - Der erst 24-jährige Rudolf Frey hat Das wundervolle Zwischending des Deutschen, Martin Heckmanns (35), im Burgtheater-Vestibül verstanden und interpretiert. Intelligent interpretiert. Heckmanns´ Text entschachtelt sich durch Wortspiele. Frey betont sie puristisch verspielt durch mehrdeutige, symbolhafte und vielfach verwendbare Bühnendetails. Eingerichtet von Vincent Mesnaritsch, der genau das richtige Maß an erträglicher Requisitenfülle für den schwierig zu gestaltenden barocken Raum gefunden hat. Um zu betonen, dass sich jeder Zuschauer angesprochen fühlen darf, stehen anfangs auf der Bühnenseite Zuschauerstuhlreihen spiegelverkehrt zum Zuschauerraum, verstärkt durch einen Spiegel an der Rückwand.

Unfreie freischaffende Künstler

Warum, das erzählt die einfache Handlung: Ein Pärchen, das seit sieben Jahren zusammen ist, versucht seine einstige Liebe aufzufrischen, indem es sie ab dem ersten Kennenlernen verfilmt. Zeit dazu hat es. Denn es "genügt" ihm, ein vom Sozialamt finanziertes Künstlerdasein zu leben. Was machen da schon die paar Stunden Schneeschippen zwischendurch, ohne das die Gelder gestrichen würden? Oder der Kontrolleur, der als Mann vom Amt wie die Frau Oberlehrer aller Schüleralbträume, das ganze Stück über "fast wortlos" auf der Bühne steht? - Obwohl sich hier also zwei Menschen offensichtlich zugunsten freischaffender Tätigkeit für die Armut und gesellschaftliche Machtlosigkeit entschieden haben, sind sie dennoch nicht "frei": Nicht nur, dass dieser Mann vom Amt durch seine Dauerpräsenz auf Annes (Stefanie Dvorak) und Johanns (Johannes Krisch) Psyche einwirkt, er versucht sie auch zu überreden, öffentliche Förderungen für ihr Projekt in Anspruch zu nehmen. - Die paar kleinen Änderungen in "ihrem" intimen Film als Bedingung dafür - wie "nur mit anderen Darstellern" - sollten "echte" Künstler im hippen Wirtschaftszeitalter doch hinnehmen können! Und darum geht es im Grunde: um die Relevanz der Echtheit in Kunst und Liebe, wobei "diese Künstler" ihre "echte Kunst" aber gar nicht veröffentlichen wollen, sondern als "echte Liebe" für sich behalten wollen.

"Echte" Liebe, "echte" Kunst

Erkennbar wird die Echtheit erst durch Provokationen und Diskussionen, über reflexives und aktives Schaffen: Doch beginnen Anne und Johann schon während des Filmdrehs mit bewußter Manipulation, um die Dramaturgie des Films spannender als die Realität zu machen. Der Mann vom Amt wird kurzerhand als - auch privater! - "Gegenspieler" eingesetzt, indem er den Liebhaber von Anne mimt - was dank Regie und Spiel von Roland Kenda zum Schießen trocken pointiert ist, während er an Johanns Statt neben Anne wie selbstverständlich Hauspatschen anzieht.

Da die Inszenierung dann in gewisser Weise aber auch ins reale Leben überfließt, wird klar: Selbst im "Echten" dominiert die Konstruktion. Nur über sie behält das Leben seinen Reiz. Alles neu oder alt Gelernte wurde ja auch einmal als Inszenierung angeeignet. Und erst durch die Automatisierung bekam es den Wert der Echtheit. Also: die Inszenierung muß immer wieder auf ein Neues passieren, damit das soziale Leben überhaupt stattfinden kann. Am plakativsten geschieht das im Sex:

Die Krux mit dem langweiligen Sex

So konstatiert Johann, nach sieben Jahren mit Anne: "Warum gibt es keine aufregenden Bilder über Treue?" Doch die Beiden sind dann beim Dreh - oder geschieht das nun privat? - so kreativ und leidenschaftlich, dass Anne Johann beim Badewannen-Fick beinahe ertränkt. Später reflektiert Johann: "Ich hasse es, dass ich dich begehre, wenn du dich wie eine Nutte herrichtest", und hat - da ein Mann - Angst davor, eines Tages die Lust an ihr zu verlieren: "Vielleicht werde ich später einmal zum Kinderschänder?" Worauf sie - da eine Frau - an ihrem dauerhaften Glück festhält und sagt: "Gut, dass wir im Alter viel schlechter sehen und nicht erkennen müssen, wie häßlich wir werden." Darauf er: "Ich glaube, wir reden an einander vorbei." In der Altersszene scheint das mit dem Sex dann aber gar nicht mehr so wichtig zu sein, denn Johann sagt nur noch: "Hier bin ich." Und sie: "Willst Du mich retten?" (Eine Frage, die sie ihm schon in jungen Jahren stellte.)

Die ewigen Rätsel sind es, die man liebt

All das Unverständnis und Geschlechter-Typische, das bereits anfangs bestand - indem ihre Bilder von einander weder übereinstimmten, noch dass sie einander durchschauten -, bleibt bis zuletzt erhalten. Genau diese Rätsel sind es, diese "echten Fakes" - ob automatisiert oder inszeniert - die sie zusammen bleiben und sich ergänzen läßt. Und sollte einmal jemand gelangweilt glauben, alles von seinem Partner zu kennen, so muss er nur genauer hinsehen. Denn die liebenswerten Geheimnisse liegen überall als rote Bälle um ihn herum verstreut oder stecken in seinen roten Kleideraccessoires - zumindest bei Anne und Johann ist es so. - Zur Feier dieser Erkenntnis ein Feuerwerk! Denn echt kann die kitschige Liebe sein! Sie immer wieder neu zu "erschaffen", darum muss sich allerdings jeder selbst zuerst bemühen. e.o.


DAS URTEIL EIN FEINES STÜCK ÜBER DIE ECHTHEIT VON LIEBE UND KUNST. MIT SCHÖNEM, INTELLIGENTEM TEXT UND EBENSOLCHER REGIE. UNGEWOHNTER KITSCH, DA MIT TROCKENEM HUMOR VERSEHEN.

Auf intimacy: art (www.intimacy-art.com) in artists / talks ist Autor MARTIN HECKMANNS im O-Ton zu hören und zu lesen!

Theater Das wundervolle Zwischending * Von: Martin Heckmanns * Regie: Rudolf Frey * Mit: Stefanie Dvorak, Johannes Krisch, Roland Kenda * Ort: Burgtheater im Vestibül * Zeit: 15.2.2008: 20h

Monday, January 22, 2007

THEATER: ROMAN PASKA FASZINIERT MIT PROJEKTIONSREICHEM "BEETHOVEN IN CAMERA"

Roman Paska (hier Puppenspieler Gabriel Hermand-Priquet) kreiert die elegantesten, edelsten Puppen der Theaterszene. Sein Gehör-verlierender "Beethoven" ist im aktuellen Stück eine multiple Persönlichkeit, bestehend aus sechs Puppen, die zugleich für Außenwelt-Menschen auf ihrer Lebensreise stehen. Foto: © Mangafas / Schauspilehaus


SCHAUSPIELHAUS WIEN DER NEW YORKER PUPPENKÜNSTLER ROMAN PASKA ZAUBERT EIN ANSPRUCHSVOLLES THEORIEGEBILDE ÜBER BEETHOVENS GEHÖRLEIDEN AUF DIE BÜHNE - ETWAS ZUM NACHDENKEN

Ohne Begeisterung für abstraktes Denken wird man mit Roman Paskas Uraufführung, Beethoven In Camera, im Schauspielhaus Wien nicht viel anzufangen wissen. Dass da ein Stück gespielt wird, das von der Selbstwahrnehmung Beethovens, seinen inneren Kämpfen mit seiner nahenden Taubheit handelt, wird als Wissensgrundlage ebenfalls nicht genügen. Hilfreich ist allerdings, prinzipiell davon auszugehen, dass die Umsetzung von Paskas "Beethoven" über fünf Alter Egi, aufgesplittet auf sechs Puppen erfolgt. Zudem scheinen sämtliche Puppen gleichzeitig für reale Personen in Beethovens Leben, sowie für Projektionen in seine Person aus heutiger Sicht, zu stehen. - Was auch immer Puppenspieler Roman Paska genau ausdrücken wollte, der Theaterabend reizt zum Nachdenken und macht darauf neugierig, Beethovens reales Leiden genauer zu erforschen.

Beethovens Krankheit als zum Kentern verurteilte Meeresreise

Dieser Beethoven bekommt von Paska einen anderen Namen verpaßt: Tom. Ein Tom, der in übergeordnetem Sinne auch noch für jeden Menschen steht. Denn jeder hat in seinem Leben eine Reise zu begehen, mit der Gefahr, jeder Zeit zu Tode zu kommen. In Toms (Beethovens) Fall zu ertrinken, denn seine Reise spielt sich naheliegenderweise auf dem Meer ab, passend zu Beethovens Jahrzehnte langem Gehörleiden an Otosklerose. Unerträgliche, dumpfe Rausch- und Klopfgeräusche begleiteten ihn, während er seine Musik komponierte und dirigierte. Seine Depressionen darüber schrieb er während eines Kuraufenthalts im Heiligenstädter-Testament nieder, das Jahre nach seinem Tod gefunden wurde - neben rätselhaften Briefen "an die unsterbliche Geliebte" - ein Indiz für seinen hinzu kommenden, ewigen Liebeskummer.

Glaubte man lange, dass die Krankheit, des zu seinen Lebzeiten berühmten Komponisten, aufgrund von mit Morphium behandelter Syphilis entstanden war, so scheint heute bewiesen, dass sich Beethoven in jungen Jahren eine Vergiftung durch einen zu hohen Bleigehalt im Trinkwasser zugezogen hatte.

Beethoven war Normalo, Liebender, Punker und sein eigener Mörder

Auf all das spielt Paska in seinem Stück an: eine Puppe in weißem Maßanzug und mit schwarzer Maske steht für die Intrige, das Böse im Leben, und erinnert an die Figur des "Brighella" der Commedia dell´Arte, der rücksichtslos mit Menschen spielt, um die Welt neu einzurichten. Er bringt letztendlich das Boot, auf dem "der neutrale Durchschnittsreisende" fährt, zum Kentern. Davor begegnet jener einer "Frau", die ihn bis zum Meeresgrund verführt. Erst mitten auf der Reise taucht die äußerlich erkennbare Figur des Beethoven auf. Sein Gehörsinn ist ein rockender "Punker", der irgendwann tot im Instrumentenkasten weggetragen wird. - Zuvor gibt er als heutiger Rockstar aber noch eine "Pressekonferenz".
Skalpierungen (Haaraufsetzen und -abnahme) stehen als Parallele zum Verlust von Projektionen und Potenz. Mutationen der einzelnen Puppen und ein Gefecht mit zwei Dirigierstäben zeigen die ständigen psychischen Verlagerungen und verschiebenden Wahrnehmungszustände, ausgelöst von der Krankheit, die alle Puppen (mittels Spritze) befällt. - Dementsprechend verändert sich auch die Musik des Komponisten.
Was Beethoven letztenendes heute ist, scheint ein Resultat aus alledem zu sein, ein ewiges Forschungsfeld, eine Reise, die am Ende von vorne beginnt.

Bestach Roman Paska in seinem letztjährigen Gastspiel Dead Puppet Talk - neben seinen gewohnt wunderschönen, filgranen, edlen Puppen und ebensolchem Requisiten-Design (Donna Zakowska) - durch exakte Bewegung und Rhythmik im Puppenspiel, so geht er heuer hauptsächlich den erzählerischen Weg. Wieder unterbricht er das Spiel durch gelesene Handlungsanweisungen, die Puppen sprechen in anspruchsvollem Englisch (was entsprechende Sprachkenntnisse erfordert) miteinander, begleitet vom filmisch professionellen Soundmix von Paul Prestipino. In schwarzen Fracks und Melonen überlassen er und seine beiden Puppenspieler (Uta Gebert, Gabriel Hermand-Priquet) nichts dem Zufall. e.o./h.o.

DAS URTEIL DIESER ABEND IST INTELLEKTUELL ANSPRUCHSVOLL. EINE STARKE ABSTRAKTION AUS PUPPENSPIEL-THEORIEN, WAS VOR ALLEM FÜR INSIDER DIESES GENRES EIN LECKERBISSEN SEIN WIRD. DER THEATERLIEBHABER WIRD SICH DAGEGEN MEHR KLARHEIT ERHOFFEN. DOCH ALLEIN DIE PUPPEN ZU BEWUNDERN - IST EIN ERLEBNIS.

Theater Beethoven in Camera * Buch, Regie und Spiel: Roman Paska * Puppenspiel: Uta Gebert, Gabriel Hermand-Priquet * Ort: Schauspielhaus Wien * Zeit: bis 4.2., täglich außer Montag, 20h

Tuesday, January 16, 2007

POLITIK+TANZ: DER SCHREI DER MACHTLOSEN ODER WIE RECHT DAS TANZTHEATER HOMUNCULUS IN "WIENER KÜCHE" HAT



Das Tanztheater homunculus zeigte im Stück Wiener Küche, wie sich die meisten Künstler nach dem Regierungspaket unter Bundeskanzler Gusenbauer fühlen: verunsichert und gehemmt. Da kann man nur höchst professionell raufen (schreien) wie Amadeus Berauer und Julian Timmings und findet so zur Kunst, die hoffentlich endlich gehört wird! (Foto © Max Moser)


ZUM SPÖ-ÖVP-REGIERUNGSPAKET ALLES, WAS MAN TUN KANN, IST SCHREIEN - DAS TANZTHEATER HOMUNCULUS HAT IN SEINER WIENER KÜCHE VÖLLIG RECHT GEHABT!

Nach der ersten stummen Erschütterung, erholen wir uns langsam und ringen uns zu einem Kommentar bezüglich des aktuell von SPÖ und ÖVP beschlossenen Regierungspakets durch. Nur auf die Kulturfragen konzentriert, versteht sich; - alle Ergebnisse zusammen zu betrachten, wäre noch immer unmöglich, da schlicht und ergreifend unfaßbar.

Was da heraus gekommen ist, hilft uns nun aber wenigstens, die lange versprochene Kritik zum Stück Wiener Küche des Tanztheaters homunculus nachzureichen. Im Klartext dienen die entsetzlichen politischen Ergebnisse als Erklärung für jene inhaltliche Unlogik im Stück, die bisher nicht zu begreifen war. Doch jetzt, da die Realität die Irrealität bestätigt hat, der Unsinn über den Sinn siegt, wird die Unlogik logisch. Das ist Magie. Das muss also Kunst sein. Dass sie dabei allein aus unserer österreichischen Politik schöpft, gibt allerdings zu denken. - So irr ist Österreich.

Wie ein Tanzstück die Regierungsergebnisse vorweg nimmt

Also: Im besagten Stück Wiener Küche wird das Publikum zuerst von den Tänzern in Big-Brother-is-watching-you-Manier durch einen selbstgebastelten "Irrgarten" geführt. Über "Kontrollpersonal", das fragt, ob man Künstler, gerade arbeitslos und beim AMS gemeldet sei, gelangt es ins "Auditorium". Den "Neoliberalismus" angklagend - sprich all das, was Karl-Heinz Grasser darstellt - wird die Tanzgruppe beim "Wiener" Kochen präsentiert, die sich alsdann in eine Jury- und Bewertungsgruppe teilt: die Beurteilten gefallen nur in Mustern internationaler Massen-Markt-Norm wie Strip (à la Chippendales), Standardtänzen (á la Dancingstars bzw. Tango) und Einheitsbewegung. Daneben werden die Tänzer - da sie vom Tanz allein nicht leben können - in ihren Zweitjobs angepriesen: als Masseure und Dienstleister. Doch in stillen Momenten zeigen sich Einzelne von ihnen in schizoiden Tanzisolationen, worin sie traurig und monoton über ihre fehlende künstlerische Individualität nachdenken, um sich sogleich wieder in gruppenhaften Tanzübungsstunden gegenseitig anzupassen. Genau da kommt es aber zum großen Tanzkunstwerk des Abends: als Amadeus Berauer und Julian Timmings in einen Zweikampf geraten. Das ist technisch und theatral so gekonnt, dass der Zuschauer sowohl herzhaft lachen, als auch staunen muss. Die bittere Ironie dabei ist allerdings, dass diese "Kunst" tatsächlich nur zufällig entstehen konnte, nicht im Rahmen der Norm, die zuvor von den (politisch beeinflußten) Juroren als gut befunden wurde. Die echte Kunst bleibt für die Außenwelt unsichtbar, verweilt in intimen, geheimen Momenten verunsicherter Experimentier-Künstler.

Künstlern bleibt nur zu schimpfen und zu schreien

Was uns Kritiker hinsichtlich der Stückbewertung nun so lange schweigen ließ, war der Widerspruch in der politischen Anklage: nicht nur die Tanzbedingungen und -kategorien wurden angeprangert, sondern unkonkret direkt und rigoros die verantwortlichen Politiker aus Stadt und Bund: Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ Wien) und (Ex-)Kunststaatssekretär Franz Morak (ÖVP). Die Beschimpfung über Tonbandrede des Choreografen Manfred Aichinger schien sich in ihrer Sinnhaftigkeit selbst zu entkräften, denn sowohl die Tanzkompagnie homunculus, als auch das Stück Wiener Küche waren von der Wien Kultur und dem Bundeskanzleramt/Kunst subventioniert! Das war also eine Beschimpfung aus reinem Selbstzweck, Schimpfen, nur um zu schimpfen.
- Nachdem das Ergebnis der neuen Bundesregierung aber nun auf dem Tisch liegt - und sämtliche Hoffnungen einer Änderung des generellen Grundtenors einer Kunst jenseits der neoliberalen "creative industries" zerstört sind - muss man sagen: das tanztheater homunculus hat schlichtweg recht gehabt. Man kann als Künstler nur schreien. Denn Versprechen werden in diesem Land nur gegeben, nicht gehalten.

SPÖ versprach und brach

- Die SPÖ sollte zum Beispiel für die Kunstagenden in den Bund kommen und als vollwertiges Kunstministerium Kunststaatssekretär Franz Morak ersetzen, doch niemand "künstlerischerer" als eine hauptberufliche Finanzberaterin ist Bundeskanzler Alfred Gusenbauer dafür eingefallen. Besagte Dr. Claudia Schmied wäre eigenen Angaben zufolge ebenso in ein Finanzministerium gezogen, hätte man es ihr angeboten. Das schließt mit ein, dass ihre Kunstliebe nicht von innen, sondern ausschließlich vom geschmäcklerischen Außen kommen muss - Stichwort: Kunst der PR- und nicht Kritik-Mentalität! - Unser aller künstlerischer Schrei aus Selbstzweck erfüllt daher seinen Zweck. Den Zweck der Enttäuschung und des Rufs nach Wiedergutmachung!

Dabei denken wir allein an die Grundsicherung: Kommt sie erst ab 2010, ist beispielsweise mancher von und auf intimacy: art entweder verhungert oder zum hoffnungslos verlorenen Kapitalisten mutiert - und darauf scheint die (neue-alte) Politik zu spekulieren. Zu veräußern gibt es schon jetzt nichts mehr. Wir - und das "wir" steht hier für all die vielen Künstler und Einzelkämpfer außerhalb kreativferner Marktformate - sind nach den kunstfeindlichen letzten Jahren am Ende unserer Vorräte und Kapazitäten. Und dabei haben wir aber den Verdacht, dass es darüber hinaus noch schlimmer kommen wird: Denn der Gradmesser für Kunst lautet weiterhin "creative industries", und damit alles das, was in vorgefestigte Schemata des Markts passen muss. Die Regierung bleibt desinteressiert an authentischer, originärer Kunst.
Es lebe die un-freie Marktwirtschaft!

Realität der Animal Farm

Es ist wohl symptomatisch, dass selbst Andreas Mailath-Pokorny die Position des Kunstministers (bzw. des "abgeschwächten" Unterrichtsministers, der auch für Kunst zuständig ist) im Vorfeld nicht annehmen wollte. Wahrscheinlich erkannte auch er sofort, dass sich unter seinen roten Freunden ähnliches abspielt wie in der Animal Farm. Darin sagen die revolutionierenden "Schweine" (SPÖ) zu den mitstreitenden Farmtieren, während sie gemeinsam die "Bauern" (ÖVP) besiegen: "Alle Tiere sind gleich!" Doch wenig später, nachdem die Schweine mit den Menschen (ÖVP) kooperieren, korrigieren sie sich: "Alle Tiere sind gleich! Aber manche Tiere sind gleicher!"
- So schreien wir verbleibenden ungleichen Tiere (Künstler und unabhängigen Journalisten) also weiter und durch. Denn das scheint die einzig sinnvolle Sprache der Machtlosen zu sein. e.o., a.c., r.r.

DAS URTEIL AUSWÄGENDE UND FRIEDVOLLE MENSCHEN MÖCHTEN IMMER DAS BESTE GLAUBEN. HUNGERT MAN SIE AUS UND HINTERGEHT MAN SIE, FANGEN DIE FRIEDVOLLSTEN ABER AN ZU SCHREIEN. - WO BLEIBT DER VON DER SPÖ VERSPROCHENE STIMMUNGSWECHSEL ZUR AUFWERTUNG VON KUNST, KÜNSTLERN, INNOVATIV-ANDERSDENKENDEN UND SOZIAL SCHWACHEN?

Thursday, January 11, 2007

THEATER: PATRICK SCHLÖSSER MACHT AUS SCHNITZLERS GROSSER "LIEBELEI" EINE KLEINE


Allzeitgültig: Fritz (Till Firit) ist ein grüner Macho-Junge, der am liebsten mit allen Frauen herummacht. Wenn die tief liebende Christine (Jennifer Frank oben) nicht herschaut, vergnügt er sich mit der Prolo-Mizi (Katharina Straßer unten) oder mit einer verheirateten Frau. Fotos © Gabriela Brandenstein


VOLKSTHEATER ARTHUR SCHNITZLER IST DER THEATERAUTOR DER TIEFENPSYCHOLOGIE. SEINE SÄTZE SIND ECHT WIE AUS UNSER ALLER LIEBESLEBEN GEGRIFFEN. PATRICK SCHLÖSSER SUCHT IM DETAIL EINEN NEUZEITLICHEN ZUGANG UND VERGISST DABEI DAS WICHTIGSTE

Bestimmte Sätze, die Mann und Frau in Liebesdingen äußern, sind immer gültig, ob zur vorigen Jahrhundertwende oder heute, im ausgehenden Jahrtausend. Darunter sind die schmerzhaftesten Taten und Worte, die einer ur-vertrauenden Frau widerfahren können, was zuzugeben, sie größte Überwindung kosten wird. Denn das dabei empfundene Gefühl der Demütigung, für den anderen - backfischigen, eitlen Mann - nicht genügend "wert" gewesen zu sein, währt ewig, wenn sie erst einmal enttäuscht stammeln muß: "Ich wäre für ihn gestorben, und er läßt sich für eine andere erschießen."

Am eigenen Leibe in zahlreichen Affairen erfahren, brachte Schnitzler solche wahre Facetten der Liebeständelei auf Papier und Bühne, Sätze von Mann und Frau in ihren typischen reflexartigen Mustern der Liebesbekundung, Liebesangst und Liebesflucht. Mit (Macho-)Männer-Sagern wie: "Schreib einer Geliebten niemals Liebesbriefe! Mach keine konkreten Versprechungen!", und Frauen-Sagern wie: "Ich verstehe sein Verhalten nicht. Verstehst du das?"

Tolles Klasse-Stück, lückenhafte Schmuddel-Regie

Wegen dieser tiefenpsychologisch wahren Sätze ist der Besuch von Liebelei im Wiener Volkstheater keine verlorene Zeit. Die Regie des seit 2004 an österreichischen Bundesländer-Bühnen inszenierenden Deutschen, Patrick Schlösser, ist es eher. Denn unklar ist, was dieser Regisseur sagen will, wenn Beliebigkeiten einander abwechseln: Ausstattungsmäßig (Etienne Pluss, Uta Meenen) stehen eine grossräumige Sitzgarnitur und Leuchte der 80-er Jahre für den Yuppie-Status von Fritz und seines Freundes Theodor, während sie zeitlos elegante, schwarze Nadelstreif-Anzüge tragen. Ein billiger, weißer Vorhang an der Rückwand mag für ihren dekadenten Luxus stehen, nur ist das alles zusammen ästhetisch so grauslig arrangiert, dass es nur an die nicht vorhandene Kassa des Volkstheaters für passende Requisiten erinnert.
Vielleicht weiß dies der fantasievolle Besucher aber dennoch zu entschuldigen, indem er in der Zeit-Undefinierbarkeit so etwas wie "Allgemeingültigkeit" abliest. Die plötzlich ertönenden modischen Einlagen, wie wenn Fritz, Theodor und die "Wiener Mädeln", Mizi und Christine, als Teeniegroup Pop singen, müssen schließlich etwas bedeuten. Da dann aber doch wieder werkgetreu das Duell der Satisfaktion aus dem beginnenden letzten Jahrhundert folgt, scheint dahinter nichts als strategischer "Zufall" zu stecken.

Deutsche Sprecher mit Wiener Dialogen

Zusätzliche Irritation liefern - bis auf die expressive Freundin Mizi als wollüsterne Prolo-Göre (Katharina Straßer), die Sex in Mengen wie Schokoladetorten genießt - die nicht-wienerischen Darsteller im wienerischen Dialog. Gut, auch Alain Delon war kein Wiener - und mit ihm wird seit der Verfilmung von Liebelei ("Christine") neben Partnerin Romy Schneider jede Neuinszenierung gemessen. Alain wirkte dennoch "klasse", wovon es bei diesen Darstellern gar nichts zu geben scheint. Vielleicht repräsentieren sie dadurch aber sinnvollerweise wieder unsere heutige "Klassenlosigkeit", wo der Geschmack des Einzelnen nicht mehr persönlich entwickelt, sondern ausschließlich durch Markt, Mode und Wirtschaft aufgedrückt ist.

Konkret haben wir mit Jennifer Frank als Christine wegen ihrer bodenständigen Optik und deutschen Natur ein weniger naives und verletzliches Mädchen als Romy, die aber dennoch suggeriert, wie sehr sich heutige coole Mädchen im sexuell freizügigen Alltag samt widersprüchlich konservativer Erziehung noch "verbrennen" können.

Till Firit hat als egozentrischer Mode-"Fritz", in seiner Eitelkeit bestärkt durch Theodor (Raphael von Bargen), seinen einprägendsten Moment, als er bei Christine vorbei schaut, bevor er sich wegen der Affaire zur verheirateten Frau tödlich duelliert: die ganze Spannbreite zwischen schlechtem Gewissen und Feigheit liegt in seinem Spiel. In seiner letzten Chance, durch Ehrlichkeit Verantwortung zu beweisen, ist er - typisch Mann - zu unreif und zu schwach, Christines Verachtung hinzunehmen, sodass sie sie später gegen sich selbst lenken und sich umbringen wird.

- Bei all den Querverweisen ins Heute, fehlt der Version nun aber ein entscheidender Hinweis: Unsere neuzeitliche "Leistung", dass zwar kein einfühlsamerer Umgang zwischen den Geschlechtern herrscht, dafür aber nicht mehr "ausschließlich" mit Frauen falsch gespielt wird: heute kommen auch die Männer dran! Selbst wenn die Methoden eigennütziger Mädchen und Frauen anders sein mögen ... e.o.


DAS URTEIL DAS STÜCK ARTHUR SCHNITZLERS VON OBERFLÄCHLICHER UND TIEFER LIEBE IST EINE WEISHEIT VON UNSCHÄTZBAREM WERT. DIE INSZENIERUNG VON PATRICK SCHLÖSSER IST ES WENIGER.

THEATER: Liebelei * Autor: Arthur Schnitzler * Regie: Patrick Schlösser * Mit: Jennifer Frank, Till Firit, Katharina Straßer * Ort: Volkstheater * Zeit: 10., 13., 16.4.07: 19h30-21h