Tuesday, April 24, 2007

THEATER: NICOLE DELLE KARTH INSZENIERT NICHT-"VERSTEHEN?! HANNAH ARENDT IM TRIALOG"














Tania Golden, Karola Niederhuber und Florian Carove haben viel Text herunter zu leiern - alle Achtung! (Foto © Stefan Smidt)



3RAUM-ANATOMIETHEATER DIE SPANNENDE, POLITISCHE THEORETIKERIN HANNAH ARENDT ALS SCHICKER KLANGTEPPICH

Also, die Ingredienzen zu diesem Theaterabend hörten sich gut an: Regisseurin Nicole Delle Karth hat bei den jüngsten sommerlichen Shakespeare-Produktionen in der Rosenburg mitgearbeitet - Der Widerspenstigen Zähmung war unterhaltsam und stimmig. Die drei Darsteller Karola Niederhuber, Tania Golden und Florian Carove haben mit Barrie Kosky im Wiener Schauspielhaus gewerkt - das muss einfach für sie sprechen. Und die Person, die hier thematisiert wird, ist eine spannende Theoretikerin mit ebenso spannender Biografie: Als Jüdin und Eichmann-Prozeß-Autorin sorgte sie für Kontroversen unter Anklägern und Verteidigern der NS-"Geschädigten" (= Tätern und Opfern).

Trotz dieser Zutaten wurde das Stück Verstehen?! Hannah Arendt im Trialog trotzdem nichts. Wenn Theater heißt, intellektuelles Gefasel von drei "Hannah"-Leuten im Eiltempo gleich einer Schallplatte abzuspulen, dann werden wir nächstens von unseren Sitzen aufstehen und dazu tanzen. So machte der Klangteppich wenigstens Sinn. Einzelne Gedankenfetzen vermögen es zwar, sich im angestrengt Zuhörenden festzufressen, wie "das Böse ist immer an der Oberfläche" oder "am Anfang steht die Wahrheit, dann folgt das Denken, und nicht umgekehrt" oder "dass man zu verstehen versucht bis zum Tod" - die "bleiben" aber auch nur "erleuchtend", wenn man sie sich aufschreibt.

Das einzige, was hier also tatsächlich leuchtet, ist die Logik. Die wird bis ins schick reduzierte Bühnenbild (saubere Ästhetik: Maren Greinke) durchgezogen. Weiße Wände, die für die verbarrikadierten Gehirne der Schauspieler - sprich der dreifachen Hannah - stehen und die sich sukzessive lichten, bis sie am Ende vor dem offenen Fenster ins Freie blicken. Wollte die Regisseurin, die auch das Buch zu dieser Produktion geschrieben hat, eine Hannah- Ignoration schaffen, indem sie Hannah Arendt als wissenschaftliche Persönlichkeit grundsätzlich infrage stellt, dann hat sie das geschafft. Denn die politische Theoretikerin kommt in diesem Stück weder intelligent rüber, noch eloquent. Eher verkappt und ängstlich, nicht mehr des Durchblicks fähig. Da sie aber immerhin von 1906 bis 1975 lebte und an verschiedenen Universitäten unterrichtete, wird sie wohl mitteilend gewesen sein. Schade um die vertane Chance für einen guten Stoff. a.c.


DAS URTEIL EINE AKUSTISCHE BLEIWÜSTE, DIE NIE ZU WASSER KOMMT. ANSTRENGEND UND MÜHSAM.

THEATER Verstehen?! Hannah Arendt im Trialog * Von: Nicole Delle Karth * Mit: Karola Niederhuber, Tania Golden, Florian Carove * Ort: 3raum-anatomietheater, Beatrixgasse 11, 1030 Wien * Zeit: bis 5.5. (täglich außer Montag): 19h30

Wednesday, April 18, 2007

MODERNES BALLETT: HOFFNUNGSVOLLE ENTDECKUNGEN IM KONSERVATORIUM IN "ballett/modern/tanzt #2"

Die Basis eines jeden überzeugenden Modernen Balletts ist die Beherrschung der Klassik - auch da gibt es aber formschöne Uraufführungen mit raffinierten grafischen Bewegungen, nicht nur Klassik-Standards: leicht versetzt choreografiert etwa Leslie Hughes Zweimal Bach mit Virginia Eckleben und Julia Greibich

Das überzeugendste eigenchoreografierte Solo: sandsibility von Alexandra Mlineritsch

Choreograf Giorgio Madia zeigt im Quincy Jones -Jazz-Stück die Ballettschülerinnen als einerseits folgsam, schritt-schwierig tanzende, heitere Mädchen ...

... andererseits als freche Girls, die liebend gern - und dennoch unschuldig - in die (Erwachsenen-)Revue-Welt hineinschnuppern, wo die Haltung auch mal weniger steif sein kann - und dennoch Linie hat.

















Tanzt alles mit glaubwürdiger innerer Freude, die ansteckt: Victoria Nurek




THEATER AKZENT DIE BALLETTABTEILUNG DES KONSERVATORIUMS DER STADT WIEN ZEIGTE IN ballett/modern/tanzt #2, DASS WIEN DURCHAUS ZU MODERNEM BALLETT IN DER LAGE WÄRE. - DIE BASIS DAFÜR HEISST KLASSISCHES BALLETT. HIER EINIGE TALENTE UND TOLLE CHOREOGRAFIEN

Professionelle zeitgenössische bzw. moderne Ballettaufführungen sind in Wien (Österreich?) kaum zu sehen. Und wenn, dann nur so, dass man sie sich eigentlich lieber nicht angesehen hätte - Stichwort: Ballett der Wiener Staats- und Volksoper in der Volksoper! Das liegt weniger an den Tänzern - weil das Internationale sind - als an den Choreografen. Wie auch immer hier "welche" Leute dazu kommen, etwas inszenieren zu dürfen - es wird wohl wie bei fast allem in Österreich eher an Protektionen und Freundschafts-, wenn nicht sogar Politdiensten liegen als an künstlerischer Qualität. Und da man mit solchen Darbietungen nun mal keine geradlinig aufnehmende Jugend begeistern kann, tanzen folglich immer weniger junge Leute "freiwillig" Ballett. (Außer die Mutter schickt ihr Kind.)

Um dem entgegen zu wirken und zu überprüfen, ob im einen oder anderen Nachwuchs vielleicht doch eigene Motivation schlummern könnte, richten wir einen Blick auf die Jahresaufführung der Studierenden der Abteilung Ballett des Konservatoriums Wien. Auch um so jemand mediale Beachtung für seine Hingabe - seinen reinen Willen zur Kunst - zu schenken. - Und auch den Choreografen, die sich hier als Lehrer ihr täglich Brot verdienen, obwohl sich mancher von ihnen auf österreichischen Bühnen bestens machen würde. Kennt man deren künstlerischen Stil trotzdem von dort, ist darüberhinaus deren Selbstdefinition als Pädagoge interessant heraus zu finden: der Schüler Persönlichkeit herausfeilen, ihnen eine Technik oder einen Standard beibringen oder gar ein Kunstwerk mit ihnen erschaffen zu wollen. Am Ende der Ausbildung kommt es wohl auf alle drei Bereiche an. - Deswegen ist so ein Kunstereignis ein größeres Erlebnis als etwa ein Galaabend eines Wiener Staatsballetts.

Tanzfreude, die von innen kommt: Victoria Nurek

Das betrifft allerdings weniger die klassischen Soli, worin einzelne Schüler ihre technische Fertigkeit beweisen - trotz erkennbarer unterschiedlicher Niveaus zählt das auch für den Betrachter zur Routine -, selbst wenn sauber und brav getanzt wird, einstudiert von Maxim Abzalov (betreut 1.+ 2. Jahrgang Klassisches Ballett) und Jana Reischitz (betreut die 5. Klasse Vorbereitungslehrgang + 3. Jahrgang Klassisches Ballett): von Lisa Liendl die Passage aus Marius Petipas Paquita, Mirjana Srot jene aus Petipas/Perrots Giselle, Laura Fischer eine aus Petipas Don Quixote, Cindy Hickmann eine aus Petipas Le Corsaire. Spannender werden dann wegen des individuellen Zusammenwirkens die klassischen Gruppenausschnitte, wobei sich dabei auch Einzelne ausmachen lassen, die "heraus stechen": Bei Petipas Raymonda bzw. Hans van Manens Lieder ohne Worte ist das wegen ihres strahlenden Gesichts Victoria Nurek aus dem 2. Klassichen Ballett-Jahrgang, deren innere Freude vom Tanzen herrührt und nicht etwa eine erzwungene Grimasse auf einem Körper ist. In der grafisch-klaren Uraufführung Zweimal Bach, versetzt choreografiert von Leslie Hughes, machen sich Virginia Eckleben (3. Jahrgang Ballett Modern) und Julia Greibich (3. Jahrgang Klassisches Ballett) formvollendet professionell. Im ebenfalls von Leslie Hughes anmutig choreografierten Sommerlied zur Musik Gustav Mahlers fällt der exakte Keisuke Nejime auf, einer der raren drei Männer und Student der 4. Vorbereitungslehrgang-Klasse. Er macht sich auch in Hans Tappendorffs klassisch choreografiertem Blauer Vogel gut.

Zukunftstalent: Thien Trang Tran Than

Und Thien Trang Tran Than aus der 5. Klasse Vorbereitungslehrgang (letzter der fünf Jahrgänge für 10-19-Jährige) ist eine sich leicht bewegende und springende Colombine in Jana Reischitz Uraufführung Harlekinade, sowie in Legats Die Puppenfee. Sie ist überhaupt die Person, der man das größte Zukunftspotential zumutet: obwohl sie übermäßig klein ist, sehr dünn, mit Hüften eines Burschen (- weshalb sie wahrscheinlich so behende springt). Vor allem in der modernen Ballett-Choreografie RUSH.IT.illusion - eine Uraufführung von Patricia Mis - mit stilvoll schwarz gekleidet huschenden und quirligen Tänzern, sprüht besagte Thien Trang Tran Than in ungemein erotisch zartem Oberkörperspiel als sinnliche, reife Frau. Jemand wie sie läßt erahnen, dass diese Art von Weichheit und Eleganz wahrscheinlich nur zustande kommt, wenn man eben schon als Kind tanzt. Keine der Bachelor-Studentinnen (15-21 Jahre) hat diese einverleibte Anmut, diese übernatürliche Ausstrahlung.

(Un)stimmigste Choreografie von Patricia Mis

So gelungen jene im Gesamtabend wohl stimmigste Choreografie Patricia Mis ist, so wenig beeindruckend, wenn nicht sogar abschreckend ist ihre zweite Uraufführung mit eigener Klasse (1. Ballett Modern): Der Tod und das Mädchen. Die Tänzerinnen starren im Stil von Haute-Couture-Models widerwillig ins Publikum - das wirkt nun wirklich nicht, wenn man kein Haute-Couture-Model ist. So ereignet es sich also, dass die Sympathie gegenüber einer Person von "angetan" zu "angewidert" wechselt: die in Esther Balfes order of play gerade noch so positiv expressive Rosalie Pirker, die mit ihrem a-typisch kräftigen Körper, doch einer ungewöhnlich eindrucksvollen, von innen kommenden charakterlichen Bedeutsamkeit alle anderen in den Schatten stellt, kippt im Todesthema ins modisch Überexpressive - da hätte es also einer Hand bedurft, die das korrigiert.

Stärkste Eigenchoreografie: Alexandra Mlineritsch

Esther Balfe schöpft werkbezogen harmonischer aus dem Innenleben der Individuen: während des Kommens und Gehens von Einzelnen, Duos und Gruppen in order of play kommt der zweite Mann des Abends gentig und beweglich rüber: Florian Feik. Starke Coolness verströmt danach Alexandra Mlineritsch mit der Eigenchoreografie sandsibility, worin sie mit schlacksiger Workerhose ein tanztheatral wirkungsvolles Solo hinlegt. Femininer ist jenes von Carina Herbst zur Musik von Marylin Manson. - Beide, im Abschlußjahrgang für Modernes Ballett in der Klasse Fabiana Pastorini, wurden für diese Arbeiten ausgezeichnet. Doch Mlineritsch ist es, die dann noch einmal im Duo neben dem dritten begabten Burschen und außerordenlichen Studenten, Isaac Ferriera de Araujo, innerhalb von Pastorinis Uraufführung Los caminos de la passion virtuos auffällt.

Suggestion von Lehre nach dem Studium: Giorgio Madia

Und Choreograf Giorgio Madia, den wir aus der Wiener Ballettszene als Ex-Ballettdirektor der Wiener Volksoper schätzen, hat schließlich eine klassische Gruppen-Choreografie unter dem Titel demoiselles de paris zur Jazz-Rhythmik von Quincy Jones Les Double Six entwickelt, wobei klar erkennbar ist, wohin er damit wollte: zu einem erotisch-fröhlichen und damit leicht getanzten Mädchen-Reigen, der gleichzeitig anspruchsvolle Tanzschritte und Drehungen zu absolvieren in der Lage ist. Wahrscheinlich bedarf es dafür aber professionellerer und auch lebenserfahrenerer Tänzerinnnen. Die aus drei Tanzteilen bestehende Choreografie hatte ihr Highlight in der Mitte in revueartig-erotisch halbdunkler Lichtsetzung. Im dritten Teil ging einigen der Mädchen allerdings die Kraft und damit die Lust aus. Da nützt das ganze Lächeln nichts. - Doch, das Positive daran ist: So eine Choreografie vermittelt den künftigen Profitänzerinnen, dass sie sich - trotz fortgeschrittener Klassen - noch lange weiter bemühen und herausfordern lassen müssen, um wirklich relevant im harten Tanzgeschäft zu werden. Denn nach der Schule fängts bekanntlich erst an. - Und eines ist sicher: in einigen Jahren werden ihnen auch Giorgio Madias Korsagen besser passen! e.o.


DAS URTEIL MANCHE DIESER DARBIETUNGEN WÜRDE MAN SICH IN PROFI-PROGRAMMEN WÜNSCHEN. BESONDERS DIE CHOREOGRAFIEN MACHEN LUST AUF MEHR. UND TALENTE WIE THIEN TRANG TRAN THAN GEHÖREN FRÜHESTMÖGLICH ZWECKS TECHNIK GEFÖRDERT - DAMIT SIE SICH SPÄTER NUR NOCH AUF DEN AUSDRUCK ZU KONZENTRIEREN HABEN.

Nächste Konservatorium-Aufführung: Don´t Keep It Private * Mit: 10 Jung-ChoregrafInnen der Abteilung Pädagogik für Modernen Tanz (4. Jahrgang) * Leitung: Manfred Aichinger * Ort: Konservatorium Wien, Leonie-Rysanek-Saal * Zeit: 26.-28.4.2007: 19h30

Monday, April 16, 2007

MUSIK: CHRISTINA ZURBRÜGG SINGT AUF IHRER NEUEN CD LEIDER KAUM SCHWIZERDUETSCH










Christina Zurbrügg als Covergirl ihrer neuen CD zurbrügg: jetzt (Foto © Rita Newman). Leider sind auch viele ihrer coolen Nummern "blumiger" und
"synthetischer" geworden: durch Englisch, Hochdeutsch, mehr Schlager und Pop.


CD-PRAESENTATION DIE SCHWEIZER ETHNO- POPERIN CHRISTINA ZURBRÜGG MACHT IHRE FORMVOLLENDETEN SCHWIZERDÜTSCHEN LIEDER AUF zurbrügg : jetzt MASSENTAUGLICH. DAS ERSCHRECKT DEN KENNER IHRER LIEDER. MANCH NEUES IST ABER AUCH IHM EINE FREUDE


Christina Zurbrügg hat schon vor zwei Jahren davon gesprochen, ihr Schwizerdütsch - also das, was sie einzigartig und damit künstlerisch wertvoll macht - ins Hochdeutsche bzw. Allgemeinverständliche übersetzen zu wollen. Einige ihrer selbstgetexteten Lieder, die in Christl´s Wunderwelt (CD 2002) unaufdringlich cool das Bild ihrer Heimat Schweiz transportierten, hat sie dem also nun in der CD zurbrügg: jetzt unterworfen. Aus "Meietag" wurde may remix, aus
"Mängisch": manchmal, aus "Sii wie-ni-i bi": sein wie ich bin, aus "I bi halt": immer die letzte, aus "Bliba oder ga": bleiben oder gehen, aus "Alls ganz anders": anders. Und man muß leider sagen: keines dieser Lieder ist dadurch besser geworden.

Christina setzt auf fremden statt auf eigenen Ethno

Das beginnt beim Text, der eben nur auf Schweizerdeutsch wirklich gute Schreibe ist, während er direkt ins Hochdeutsche übersetzt - und stellenweise auch ins Englische, Französische, Spanische - geradezu klobig, synthetisch und banal wirkt, geschweige denn, dass sich die Wortendungen immer mit dem Musiktakt ausgehen würden. Hinzu kommt, dass die sympathische Sängerin mit teilweise warmherzigem, femininem Timbre auch sprachlich nur in ihrem Heimatdialekt, sowie auf Französisch und Spanisch "echt" rüber kommt. - Einmal mehr wird somit klar: Jedes Wort einer Sprache besitzt neben seiner Sinnzuschreibung nonverbale Bedeutung und Musikalität-an-sich. Ignoriert man das, wird sie der Authentizität beraubt, die in jeder eigenständigen Kunst so wichtig ist.

Nun, möglicherweise haben das die Verantwortlichen, die die Lieder neu mischten, sogar in Erwägung gezogen. Denn sie versuchen, das instrumental zugunsten des Popschlagers auszugleichen. - Ein klares Bekenntnis in Richtung Massentauglichkeit: Vieles wurde verschnörkelt, blumiger, ent-roht, versynthizisert. Sodass man beim Hören an Musikantenstadl denkt, wozu man die Zurbrügg vorher nie gezählt hätte - trotz gekonntem Jodler, Dudler und Quetschn. Es ist schwierig, genau zu beschreiben, was jetzt fehlt, was zuviel ist. Eines ist aber sicher: die Urfassung war besser! Die Lieder haben ihre Sensibilität, beinah ihren Stolz verloren.

Vielleicht aber etwas für Nicht-Schweiz-Kenner

Doch halt! Dazu muss gesagt werden, dass hier jemand urteilt, der die Schweiz aus Kinder- und Jugendtagen bestens kennt: die grüne Landschaft, die Würde dieses wohlhabenden bürgerlichen Landes, das sich nie in seiner Sprache zurecht stutzen ließ: selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird Dialekt gesprochen, nicht versuchtes Hochdeutsch, wie es in Österreich der Fall ist. - Warum macht es also jetzt eine Christina Zurbrügg? Weil sie seit Jahrzehnten in Wien lebt? Weil sie von jenem Charakterzug befallen wurde, den sie in einem Titel ausspricht? - "Gier"? Und das, obwohl sie dabei singt: "Es braucht viel, viel, viel, wenig zu wollen". - Also weniger wäre an dieser Stelle mehr gewesen.

Aber, noch mal halt! Wie gesagt, hier spricht jemand, der die Schweiz in sich trägt. Vielleicht geht es einem, der dieses Land nicht kennt, mit diesen Versionen ja besser. Außerdem: selbst ein Schweiz-Kenner gewinnt einigen der hochdeutschen Lieder auf zurbrügg : jetzt etwas ab, die er zuvor nicht schwizerdütsch kannte. Denn Christina Zurbrügg ist ja nicht irgendwer, sondern kann etwas. Ausgerechnet gier ist eine sehr gelungene Nummer, mit Zurbrügg-Jodlern und -Rap in popigem Setting, was man sich wiederum auf Schweizerdeutsch gar nicht vorstellen möchte. Umgekehrt paßt der Jodler in den hochdeutsch-englischen Titel kleid aus zeit mit originell-gewinnender Englisch-Horn-Begleitung wieder weniger. Seule dans la cuisine wäre durchgezogen französisch bzw. schwizerdütsch besser, wobei die ganze Nummer erst im unglaublich gut blues-verjazzten Schlußakkord erkennen läßt, was eigentlich in ihr stecken könnte. Leider erinnert sie so, wie sie jetzt ist, noch zu sehr an Volksmusik-Schlager, was auch über sommerseelenfroh zu sagen wäre - die unglücklichste "Glücks-Blumennummer". Witzig reduziert ist dafür wieder der puristische Sprechgesang-Popsong: einfach richtig a capella.

Zwei Glanznummern, die alles wieder gutmachen

Und bei zwei Liedern ziehen wir vor Christina Zurbrügg absolut und gerne den Hut: In Ueli - auf Schweizerdeutsch (nur leider mit Englisch-Passagen) erkennen wir die Christina, wie wir sie lieben: sensibel und erdig, während sie über den Tod eines Schweizer Großvaters singt, mit passend echoartigen Folksong-Hintergrundpassagen und Jodleradaptierungen. - Da stimmt wirklich alles. Und Schnee ist ein glorreich-gelungener Jazz-Choral mit Trompeten- und Geigen-einspielungen, sodass sich vor dem geistigen Auge eine Alpenszenerie auftut, mit einer coolen Christina im urbanen Dirndl oben drauf. - Englisch-singen müßte (sollte!) sie aber auch hier nicht wirklich! a.c./e.o.


DAS URTEIL CHRISTINA ZURBRÜGG IST AM BESTEN AUF SCHWIZERDÜTSCH, WOZU AUCH IHRE MUSIK-EXPERIMENTE AM BESTEN PASSEN. SPANISCH UND FRANZÖSISCH GEHEN AUCH NOCH. HOCHDEUTSCH UND ENGLISCH BERAUBEN IHRE MUSIK DER IDENTITÄT. WENN DAS ZIEL DER MUSIKANTENSTADL IST, DANN HAT SIE ES MIT zurbrügg : jetzt GETROFFEN. DOCH ZWEI PERFEKTE NUMMERN ENTZÜCKEN AUCH DEN MUSIKÄSTHETEN ...

CD: zurbrügg : jetzt * Von und mit: Christina Zurbrügg und Michael Hudecek * link: www.zurbruegg.cc
* CD-Präsentation mit Live-Auftritt von Christina Zurbrügg mit Band: * Ort: Radiokulturhaus * Zeit: 24.4.2007: 19h30

Wednesday, April 11, 2007

OPER: RENÉ ZISTERER MIT HIGHLIGHT "DIE KLUGE", ANIARA AMOS MIT NETTER "DIE SPANISCHE STUNDE"

Fotos © Dimo Dimov/Volksoper Wien: In Die spanische Stunde nützt Concepcion (Adrineh Simonian) die Abwesenheit ihres Mannes, um Schäferstündchen mit "Dicken", einem Dichter oder Bankier (rechts: Lars Woldt), abzuhalten. Da taucht Maultiertreiber Ramiro (Morten Frank Larsen) auf ...

... der wird sogleich eingespannt, um die Männer in Uhren auf- und ab zu tragen, bis Concepcion merkt, dass der "Träger" der viel schärfere Liebhaber ist ... - und die "Dicken" nur zum Zahlen gut sind. Das sorgt für Tumult (mit Augenbinde: Jörg Schneider, als Ehemann Heinz Zednik links). - Eine beinahe "zu üppige" Umsetzung.

Noch mehr "Dicke" in Die Kluge - aber genau im richtigen Verhältnis: 2. Strolch Einar Th. Gudmundsson, 3. Strolch Stefan Cerny und 1. Strolch Karl-Michael Ebner singen a capella von ihrer Intrige ... ... die die kluge Bauerstochter Jennifer O´Loughlin (unten) zu übertölpen vermag. - Ihr Mann, der König (Wolfgang Koch unten), fühlt sich übergangen ...

... wo sie doch gerade noch so verliebt Schach gespielt haben. - Er muss sie wegschicken, läßt sie aber mitnehmen, was für sie am wertvollsten ist...


















... er ist es natürlich. - Weshalb sie ihn im Koffer "betäubt" wegträgt: Denn seine Maßlosigkeit bedarf ihrer Maßregelung, so wie der Stößl des Mörsers. - Eine edle Sache, diese Märcheninterpretation!



VOLKSOPER WIEN EINMAL IM JAHR HAT RUDOLF BERGER EINEN KNÜLLER IM PROGRAMM: HEUER IST ES DIE KLUGE IN DER REGIE VON RENÉ ZISTERER. ABER AUCH ANIARA AMOS´ DIE SPANISCHE STUNDE DAVOR IST NETT

Man kann den Direktor der Wiener Volksoper, Rudolf Berger, am Ende seiner Leitungsära mit einem Zugeständnis verabschieden: einmal im Jahr ist es ihm gelungen, etwas sehr Schönes - wenn nicht einen Knüller - auf die Bühne zu bringen: im ersten und zweiten Jahr waren es die Giorgio-Madia-Ballett-Uraufführungen Nudo und Alice, 2006 die Nicholas-Maw-Oper Sophie´s Choice unter Marcus Bothes Regie und jetzt (2007) die Carl-Orff-Märchenoper Die Kluge (UA 1943), neu inszeniert von René Zisterer - wobei auch der Einakter des Doppelabends Die spanische Stunde zur Musik Maurice Ravels (UA 1911) von der Chilenin Aniara Amos ganz nett rüberkommt.

In den jüngsten Inszenierungen verantwortet die mit ausgesprochen ästhetischem Sinn für Schönheit gesegnete Maria-Elena Amos die Ausstattung. Ihre Bühnen und Kostüme verbinden in formalen Details die beiden eigenständigen Opern. - Obwohl bei räumlich völlig unterschiedlichem Ansatz: Die spanische Stunde wirkt imposant "möbliert" zweidimensional, während Die Kluge mit Raumtiefe purisitisch dreidimensional erscheint. - Das hat Auswirkungen auf die Art, wie der Zuschauer die jeweilige Geschichte und Musik rezipiert. So plätschert Ersteres als heiterer Oberflächenschwank dahin, wobei die vielen Gags leider auch Ravels lautmalerisch eloquente Musik zudecken. Dafür gewinnt Zweiteres bei subtilem Witz an reflexivem Tiefgang und läßt Platz für das bewußte Klangerleben von Carl Orffs über lange Strecken auf puren Einzeltönen mit viel Schlagwerk fußenden Rhythmen.

DICKE, INTELLEKTUELL SINGENDE MÄNNER ALS VERBINDUNG

Die besagten Verbindungsdetails sorgen für den Witz: "Dicke Männer", die in beiden Opern Erwin Wurms Figur The Artist, Who Swallowed the World entlehnt sein könnten. In Die spanische Stunde sind das die aufgeblasenen Möchtegern-Liebhaber der Concepcion, der Frau (passable Sängerin Adrineh Simonian) des Uhrmachers Torquemada. Ironischerweise werden somit die Dicken zu jenen, die in Kunst und Wirtschaft generell als "Helden" gelten: Der Dichter Gonzalve (Jörg Schneider) und der Bankier Don Inigo Gomez (Lars Woldt). - Doch alle Figuren, bis auf den Uhrmacher Zednik, singen distanziert intellektuell, fast atonal zur Musik, und nicht den Typen "entsprechend" mit verstellter oder übertrieben verblödelnder Stimme. Das tut der Volksoper gut, deren Sänger sonst zum Extra-Auftragen neigen: wie eben Heinz Zednik.

Der tatsächliche Held steckt indessen in Maultiertreiber Ramiro: Morten Frank Larsen ist - trotz "kleinbürgerlicher" Stellung - ein klassisch-anmutiger Alpha-Mann, der die komischen Passagen mit körperlicher Distanz absolviert, sodass er nie clownesk, sondern überlegen-elegant wirkt. Etwa, wenn er auf Geheiß der umschwärmten Concepcion menschengroße Uhren auf und ab trägt, worin sich die zur sexuellen Befriedigung unfähigen Dicken verbergen. Bis er dann selbst am Liebeszug ist und seine Sache bestens meistert. - Die Dicken werden indessen nur abgezockt, von Concepcion und ihrem Mann ... Und das grafisch-gestische Schlußbild führt dann optimal zur jüngeren, bedacht inszenierten Die Kluge ...

Reduktion als Schlüssel zum Märchen

Der in Innsbruck geborene Regisseur René Zisterer hat bei seinem Zugang dasselbe Rezept gewählt wie Giorgo Madia bei Alice (im Wunderland): das der Reduktion und kargen Symbolsprache. Bei anderen Stoffen könnte das zu wenig sein. Metapherreichen Märchen - wo meist eine gezielte Weisheit enthalten ist -, verleiht es eine umso edlere Note; insbesondere, wenn sie nicht nur für Kinder gespielt werden. Und obwohl Carl Orffs reduzierte Komposition nicht zwingend eine ebensolche Bühnenumsetzung erfordern würde, setzt Zisterer darauf. Eine gute Entscheidung! So geschieht es, dass ausgerechnet das, was im Märchen als Frage offen bleibt - nämlich "warum wohl eine kluge Bauerstochter einen ungerechten Despotenkönig lieben könnte" -, durch Bühnentricks und -objekte im schwarzen Raum beantwortet wird:

Treffen die Beiden erstmals zusammen oder wirft der König seine Frau aus dem Haus, sieht sie ihn "doppelt" - also ihres Mannes weichen Kern hinter der harten Schale. Andererseits steht eine Hypnosekugel für die Art, wie sie "ihn" zu verzaubern vermag. Und auf das viele Schwarz folgt am Ende Farbe - ein künstlerischer, kitschfreier Regenbogen, der abermals für die Liebe steht: jene zwischen dem maßlosen König, den nur eine übermäßig kluge Frau befriedigen kann und umgekehrt. Selbst wenn oder gerade weil sie ihn in seiner Urteilsfähigkeit zugunsten menschlicher Gerechtigkeit maßregelt. - Was sie wiederum wichtig für ihn sein läßt, sodass sie sich gebraucht fühlt.

So klug wie "die Kluge" ist, so singt sie Jennifer O´Loughlin: aus dem Kopf, - leise - sehr schön. Ihr König, Wolfgang Koch, ist ihr im sängerischen Niveau - wie eben auch als Charakter - dicht auf den Fersen. Gesanglich eigenständige Musikpassagen ergeben die wohlklingenden a-capella-Terzette und -Quartette der drei "dicken", verhalten komischen Strolche (Karl-Michael Ebner, Einar Th. Gudmundsson, Stefan Cerny) sowie des Maulesel-Mannes. Diese vielen Alternierungen innerhalb des Ganzen kommen umso überraschender und feiner, da in dieser Oper auch viel gesprochen wird. - Der Verstand kann also gespannt folgen und umso bewußter auf Musik - entsprechend konzentriert dirigiert von Dietfried Bernet und gespielt vom Orchester der Wiener Volksoper - und Nonverbales achten. - Ein dichtes, feinsinnig-musisches Kunstwerk. Bravo! e.o.


DAS URTEIL DIE SPANISCHE STUNDE KÖNNTE EINE SPUR WENIGER ÜBERTRIEBEN LUSTIG SEIN - DANN BEKÄME MAN AUCH MEHR VON MAURICE RAVELS LAUTMALERISCHER MUSIK MIT. WUNDERSCHÖN EDEL IST DAFÜR CARL ORFFS DIE KLUGE UMGESETZT - ÄSTHETISCH KONZENTRIERT DAS HEUER BESTE DER VOLKSOPER!

OPER Die spanische Stunde / Die Kluge * Von: Maurice Ravel / Carl Orff * Regie: Aniara Amos / René Zisterer * Bühne: Maria-Elena Amos * Dirigat: Dietfried Bernet * Mit: Orchester der Wiener Volksoper * Mit: Adrineh Simonian, Jörg Schneider, Heinz Zednik, Morten Frank Larsen, Lars Woldt, Wolfgang Koch, Sorin Coliban, Jennifer O´Loughlin, Gerhard Ernst, Karl-Michael Ebner, Einar Th. Gudmundsson, Stefan Cerny, Daniel Behle, Daniel Schmutzhard * Ort: Volksoper Wien * Zeit: 12., 15., 19.11.2007: 19h

Monday, April 09, 2007

OPER: NICOLA RAAB INSZENIERT "WHEN SHE DIED" UND "EIGHT SONGS FOR A MAD KING"

Fotos von ©Christian Husar: Die Bühne von Duncan Hayler als Riesenfernseher steht einerseits für die deformierte Massenpsyche des heutigen TV-Volkes, das in When She Died nur noch "dumme" Geschichten projiziert, anstatt selbst zu leben ...

... was die Bühne erst recht betont, wenn sie auch als Hintergrund zu Eight Songs for a Mad King dient, worin der geniale Bariton Martin Winkler von seinem klaustrophoben Geisteswahn in einem Vogelkäfig singt, während die ihn umgebenden Instrumentalisten die freien Vögel darstellen.

Wird in When She Died nur ein außenstehender, fernsehfreier Bettler (Mentu Nubia) zum weisen König ...

... so wird auch der irre König Geoge III in Eight Songs for a Mad King am Ende zum "rückblickenden" Bettler, als er noch - fern von aller Hofes- (Fernseh-)Dekadenz - demütig eingestellt war.


WIENER KAMMEROPER VOM WAHNSINN EINES BRITISCHEN KÖNIGS ZUM HEUTIGEN FERNSEH-IRRSINN DER MASSE - EINE DEMOKRATISCHE STEIGERUNG; EIN GEWAGTER DOPPEL-OPERNABEND DER ZWEI BRITISCHEN KOMPONISTEN JONATHAN DOVE UND PETER MAXWELL DAVIES


Das ist ein hochinteressantes Experiment, was sich die Wiener Kammeroper da leistet: Stünde allerdings der erste Teil, die 2002 von Jonathan Dove komponierte Oper When She Died für sich allein, müßte man sagen, was für ein stupides Stück Musiknarration! Was für ein Armutszeugnis für unsere Zeit! Denn diese "Oper" wurde für das britische Fernsehen (Channel 4) geschrieben; und ist das Fernsehen die heutige Volksbildungsstätte schlechthin, kann sie in diesem Zusammenhang nur "armselig" genannt werden. Das Ärgste daran: der Text. Sätze, die eins-zu-eins den Äußerungen von Passanten vor TV-Kameras auf den Tod Prinzessin Dianas 1997 hin entnommen wurden, verbrochen durch David Harsent, der "auch" fürs Fernsehen schreibt. Und die, fast durchgehend, ausgesprochen guten, anglistisch- australisch- amerikanischen Sänger hatten diesen Mist zu lernen. Das grenzt an sadistische Nötigung!

Dumme Fernseh-Menschen, weise TV-lose Bettler

Inhaltlich hinzu konstruiert wurde dem ein Durchschnittspaar, wovon die Frau (Mezzosopranistin Suzanne Carey) nach London möchte, um der Prinzessin die letzte Ehre zu erweisen - wie es auch die an Kerzendekor vor Dianaporträts rundum der Kammeroper vorbeigehenden Theaterbesucher "müssen" -, der Mann dieser Frau (Bass-Bariton Steven Gallop) aber ausgerechnet da Probleme mit dem Auto hat. Außerdem geht es um die seelisch lädierte, unfruchtbare Annie (Sopranistin Marianne Gesswagner), die vom Tod der schwangeren Diana auf den Kindstod ihres eigenen Babies schließt, sowie um den gestörten Ryan (Tenor Michael Spyres), der eine Diana-Doppelgängerin (stimmlich als Einzige weniger gewinnend: Mezzo-Sopranistin Gisela Theisen) zwecks Sühneopfer-Ritual engagiert, um Diana auf ihrem Himmelsgang von der Last der Sünde zu befreien. Und es geht um einen schwarzen Obdachlosen, der das Geschehen beobachtet und kommentiert.

Die naiven Sätze, die teilweise gebetsartig klingen, dienen wie eine Entschuldigung für die filmisch konventionelle Musik, die das Ganze transportiert, und um die es letztendlich wohl gehen sollte. Dazu ein anspruchsvoller Solistenchor, der ab Mitte des Stücks aus dem Zuschauerraum aufsteht, Leuten Kerzen in die Hände drückt und anfängt zu singen. Als einziger Held erstrahlt der Bettler, Bass Mentu Nubia, der sich als objektiver Außenstehender die Krone aufsetzt (wobei aber auch er unsäglich dümmliche Worte äußert). - Sozusagen als arm, aber weise Gebliebener mit gesundem Menschenverstand.

Vom Irrsinn zum Geniestreich

Diese ausgedachte Interpretation vom "gesunden" Bettler mit der Krone dient dann als Verbindungselement zum zweiten Operneinakter Eight Songs for a Mad King von Peter Maxwell Davies aus dem Jahr 1969. Und dachte man sich zuvor noch, warum hat sich Regisseurin Nicola Raab für When She Died als Inszenierungsform nicht eine komplette Verarschung überlegt, so weiß man ab nun, warum: Warum etwas Schlechtes durch eine Interpretation aufwerten, wenn man seine Schlechtigkeit durch ein brillantes Gegenüber erst recht betonen kann? - Das ist tatsächlich ein gewitzt intelligenter und neuer Ansatz. Das Aberwitzige daran aber ist, dass ausgerechnet beim zweiten Geniestreich die Zuschauer vereinzelt den Saal verlassen. - Und das ist gleichzeitig wieder typisch für Werke, die polarisieren, und gerade deshalb genial sind (selbst wenn prinzipiell auch Nicht-Geniales zu polarisieren vermag... denn es gibt einfach kein Rezept für die Kunst!).

Warum jubeln also die verbliebenen Zuschauer beim zweiten Stück, während einige Einzelne gehen? Warum bleiben beim Ersten alle, jubelt aber keiner? - Es liegt an der Musik und Erzählweise, die im ersten Stück harmonisch und analog ist, während im Zweiten beides zumeist disharmonisch, abstrakt ist. - Passend zum Inhalt des Stückes, wo es um die wirren Gedanken des Königs George III geht. - Und da sich der Großteil der Zuschauer in seiner Existenz immer nur bestätigt wissen möchte - finden alle im ersten nichtssagenden, banalen Durchschnitt zumindest einen gemeinsamen Berieselungsnenner, und die Hälfte der Verbliebenen im zweiten Geniestreich echte Herausforderung und Identifikation, die andere Hälfte Grund zum Nachdenken und dazu, sich weiterentwickeln zu wollen. - Denn es gilt ja auch im Volksmund: vom Irrsinn zum Genialen ist es nicht weit! - Das bezieht sich auf die Form der Kunst, bzw. darauf, wie ein Künstler auf eine besondere Form kommt.

Überraschende Erzählweise als künstlerische Überzeugung

In Eight Songs for a Mad King "ist" nun George III tatsächlich auch irr. Darsteller Martin Winkler - der Vorarlberger Bariton - singt, spielt und interpretiert diese Figur wiederum auf geniale Weise. Denn auch er legt die Figur nicht, wie man meinen könnte, in gesteigertem Irrsinn an, sondern in Durchgehendem, im abrupten Wechsel von Kopfstimme-, höfischem (Cembalo-) Schöngesang zu Gekreische, während er sich erst am Ende im Kapitel "Rückblick" - wiederum in die Bettlerkleider des vorigen Darstellers geschlüpft - mental gefestigter gibt. Im Vogelkäfig, worin er zuvor aber gefangen ist, spricht er in Kapiteln wie "Antike Seele", "Die Hofdame", "Auf dem Lande" und "Die Täuschung" Facetten des Zustandekommens seines Geisteszustandes an. Alles scheint ihm feindlich gesinnt. Da bleiben ihm nur die Vögel zum Reden, die im Gegensatz zu ihm, bewacht durch das Schlagzeug, außerhalb des Käfigs als "Streicher" und "Holzbläser" sitzen. Aber auch mit ihnen kommt er auf Dauer nicht aus: Gegen Ende zerschlägt er die Violine.

In beiden Stücken überzeugen Dirigent Daniel Hoyem-Cavazza - neben den ausgezeichneten Musikern des Orchesters der Wiener Kammeroper - und der typisch britische Ausstatter Duncan Hayler durch eine Bühne, die zur Gänze in einen Riesenfernseher verpackt ist, der dann auch noch in den klaustrophoben Geisteszustand des Königs bei anspruchsvoller Musik hinein führt. - Als Symbol für die heutige, freiwillig gewählte "Volksbildung" der Masse bei wiederum banal-berieselnder Musik, die letztlich zu nichts anderem erzieht als zu Wahnsinns-Projektionen wie "Diana". - Zum "König" wird dabei nur, wer sich dem in bescheidener Demut zu entziehen vermag! r.r./e.o.


DAS URTEIL ZUERST MAG MAN SICH DENKEN, WARUM REGISSEURIN NICOLA RAAB DIESE DUMME OPER WHEN SHE DIED NICHT VERARSCHT HAT - DOCH MIT DEM GENIESTREICH EIGHT SONGS FOR A MAD KING WECHSELT DAS ZUM AHA-ERLEBNIS. EIN HERRLICH UNKONVENTIONELLER ZUGANG! MIT EINEM HERRLICHEN OPERN-SCHAUSPIELER MARTIN WINKLER!


OPER When She Died / Eight Songs for al Mad King * Von: Jonathan Dove / Peter Maxwell Davies * Regie: Nicola Raab * Musikalische Leitung: Daniel Hoyem-Cavazza * Mit: Orchester der Wiener Kammeroper * Bühne: Duncan Hayler * Mit: Mentu Nubia, Suzanne Carey, Steven Gallop, Marianne Gesswagner, Bryan Rothfuss, Magdalena Hofmann, Michael Spyres, Gisela Theisen, Martin Winkler * Ort: Wiener Kammeroper * Zeit: 10., 12., 14., 17., 19., 21., 24., 26.4.2007: 19h30

Tuesday, April 03, 2007

THEATER-MUSICAL: MICHAEL SCHOTTENBERG MIT "CABARET" AM ZENIT SEINES SCHAFFENS

Fotos © Lalo Jodlbauer: Sally Bowles (Maria Bill Mitte, neben Annette Isabella Holzmann links, und Andy Hallwaxx, Katharina Straßer rechts) arbeitet als laszive Star-Tänzerin und -Sängerin in einer Berliner Bar Anfang 1930 ...

... Dort lernt sie den amerikanischen, mittellosen Schriftsteller Clifford Bradshaw (Raphael von Bargen) kennen, in dessen kleine Mietwohnung sie einzieht...

... wo die beiden allerdings von der opportunistisch-pragmatischen Wirtin "Fräulein" Schneider (Hilde Sochor) abhängig sind, die ihren jüdischen Verehrer (Heinz Petters) feige fallen läßt, sobald die Nazis an der Macht sind ...

... Dieser psychologische Angstmechanismus dient dann Conférencier Marcello de Nardo als Thema seines Revue-Kabaretts mit einem Affen als "geliebten Juden": eine der intelligentesten und berührendsten Nummern des mitreißenden Abends.


VOLKSTHEATER MICHAEL SCHOTTENBERG HAT ES GESCHAFFT: MIT DEM MUSICAL CABARET HOLT ER ALLES AUS SEINER BÜHNE UND SEINEN SCHAUSPIELERN HERAUS, WAS NUR HERAUSZUHOLEN IST - EIN WAHRLICH BEGLÜCKENDES KUNSTERLEBNIS

Keine Frage - da hat jemand Regie geführt, der jeden Quadratmilimeter des Raumes kennt. Da hat jemand besetzt, der jeder Facette seiner Schauspieler gewahr ist, allen voran der Hauptdarstellerin (die denn auch seine Frau ist) als leuchtender weiblicher Revuestar "Sally Bowles" in Cabaret: Maria Bill. Obwohl nicht groß, macht sie - mit Permanentbetonung ihrer Beine - die beste Figur, obwohl keine Tänzerin, bewegt sie sich am anregendsten, obwohl nicht mehr blutjung, wirkt sie verspielt naiv wie ein kokettes Mädchen, doch da eine Sängerin, singt sie alle anderen an die Wand. Allerdings nur die weibliche Mannschaft: Marcello de Nardo ist es der Bill unter den Männern als Conférencier in jeder Hinsicht: er ist präsent, ein wunderbarer Tänzer und Sänger und obendrein ein wandelbar überzeugender Schauspieler.

Schottenbergs Anlaufzeit hat sich rentiert

Eigentlich bestechen aber nicht nur die Hauptfiguren, die ebenso durch Raphael von Bargen als Schriftsteller, Hilde Sochor als Wirtin "Fräulein" Schneider, sowie durch Heinz Petters als "Herr Schultz" mehr als nur glaubwürdig verkörpert sind. Nein, es gewinnt das ganze, starke Ensemble, was für die verantwortungsbewußte und zu führen fähige Hand des Regisseurs und Theaterdirektors Michael Schottenberg steht. Mit dieser Inszenierung wird nun klar, was er in der Zusammenstellung seines Hausstabs sah - in vergangenen Stücken war das nicht sofort augenscheinlich. Selbst wenn sich langsam herauskristallisiert, dass einige dieser "Typen", wovon die meisten erst auf den zweiten Blick auffallen, immer spannender werden. Indem der Zuschauer vom einen zum nächsten Mal an ihnen Neues entdecken will - gerade wegen des zweiten Blicks.

Die zur Geduld mahnende Anlaufzeit, bis das Volkstheater mit dieser Inszenierung zur absoluten künstlerischen Reife erblüht ist, hat sich also gelohnt. Für Schottenberg, für das Ensemble, für das Publikum. Das anfänglich "zu Neue" hat sich in Richtung "Vertrautheit" verlagert, nicht im Stil von Showmaster-Schmeicheleien seitens Schauspielern, wie man sie von heimischen Langzeit-Bühnenstars kennt, sondern im Aufspüren-Wollen der Zuschauer bezüglich deren Verwandlungskunst und Vielfalt. Und in Cabaret zeigte sich nun, dass einige von diesen Schauspieler-Typen auch noch ausgesprochen gut singen können: Von Bargen spielt zudem Saxophon, Jennifer Frank Violine.

Ein Cabaret, das in den Bann zieht

Sofort, als der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw - wohinter sich der echte Autor Christopher Isherwood verbirgt, dessen Berliner Erzählungen über die Begegnung mit dem Revuegirl Bowles mit der Musik von John Kander zu einem Musical (Fassung von Chris Walker 1997) zusammen gefaßt wurden - 1930 in Berlin ankommt, ist man als Zuschauer gefangen. Schon, weil die roten Lampen der als Raum im Raum ausziehbaren Revue-Bar, wo Sally singt, in den Zuschauerraum reichen - eine wunderbare Bühnenkreation von Hans Kudlich. Im gefälligen Wechsel zwischen laszivem, von einmalig gutem Orchester begleiteten Gesang und gespielter, kleinbürgerlicher Handlung, worin sich zuerst der Dichter und dann auch Sally bei der Wirtin Schneider einquartieren, wird man plötzlich mit dem politischen Wechsel konfrontiert, als die naiv-arme Gesellschaft zu jener der Nazis mutiert: die Lampen im Raum sind nun Nazi-Fahnen gewichen.

Sensibel gesetzte, reflexive Kontraste

Sehr sensibel und musikalisch weiß Schottenberg mit den Kontrasten umzugehen, ohne etwas auch nur eine Sekunde auszureizen. Und der Tontechniker wechselt dabei kongenial in ebenso virtuoser Exaktheit zwischen Echo und Sprechakustik. Die Text-Bilder werden in entsprechende Visuelle umgesetzt: Will also etwa die Wirtin mit der einsetzenden Nazizeit aus opportunistischen Gründen ihren Verehrer, den Juden Schultz, nicht mehr heiraten, tanzt als Parallele Conférencier Nardo mit einem Affen und singt dabei: "Sähe man sie (den Affen = den Juden) mit meinen Augen, würde die Welt sie anders sehen." Oder es singt Maria Bill als Highlight "Life is a Cabaret" tief und präsent, nachdem zuvor eine hochqualitative Kleszmer-Nummer aus Akkordeon und Klarinette einem ebenso starken - von den Nazis durch ihre für-sich-Beanspruchung "vergewaltigten" - Volkslied-Sängerknaben gegenüber gestellt wurde. - Dieser politische, für die Durchläufigkeit von Gesinnungen stehende Kontrast wird dann am Ende noch einmal durch die Figur des clownesken De Nardo bekräftigt, indem er sich schnell gerafft vom Nazi-Zöllner zum Conférencier und dann zum Mann mit Judenstern wandelt.

Und vor diesem Hintergrund zerbricht auch die dreijährige Beziehung des Künstlerpaars, weil der Schriftsteller seine schwangere Frau nicht mehr auftreten lassen wollte. - Er, der von ihr als "klein" titulierte Schreiber: "Es wird dir niemand nachweinen." Sie, das Kind abtreibend und wieder auftretend: "Ich bin Künstlerin!" - In der Realität wurde der Schriftsteller Isherwood später freilich weltberühmt, während Bowles einen kommunistisch-britischen Journalisten heiratete, Mutter wurde, und vom früheren Sally-Bowles-Vamp nichts mehr wissen wollte. e.o.


DAS URTEIL MICHAEL SCHOTTENBERG HAT MIT CABARET EIN GESAMTKUNSTWERK GESCHAFFEN. SEIN BISHER BESTES STÜCK - NICHT NUR AUF DIE VOLKSTHEATER-ZEIT BEZOGEN. UND DABEI ABER EINE VORZEIGELEISTUG FÜR EIN "VOLKSTHEATER": ALS GROSSARTIGE UNTERHALTUNG, INTELLIGENTE LEHRE. EIN ABSOLUTER PFLICHTTERMIN VON UND MIT TOP-PROFIS!

THEATER (MUSICAL) Cabaret * Von: Joe Masteroff nach dem Stück Ich bin eine Kamera von John van Druten und Erzählungen von Christopher Isherwood, Musik: John Kander, Gesangtexte: Fred Ebb, Fassung: Chris Walker 1997 * Regie: Michael Schottenberg * Bühnenbild: Hans Kudlich * Choreographie: Susa Meyer * Musikalische Einrichtung: Herbert Pichler * Mit: Marcello de Nardo, Maria Bill, Raphael von Bargen, Hilde Sochor, Heinz Petters, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 31.12.2007, , 5., 10., 14., 19., 20.1.2008: 19h30