Tuesday, July 31, 2007

OPER: THEMEN-NEUHEIT "THE SHOPS" VON THE OPERA GROUP

Christoph Schmalhans (Darren Abrahams links mit Brille) steht gleich zu Beginn vor Gericht, bevor seine Lebensgeschichte rückgeblendet wird ...

... während seine Freundin (Anna Dennis mit Kamera) die Museumsleute ablenkt, klaute er ...

... denn er ist wie jeder Mensch von heute beziehungsunfähig und dafür kauf- und sammelsüchtig. (Fotos © Alastair Muir)


WERKSTATTBÜHNE - BREGENZER FESTSPIELE JOHN FULLJAMES INSZENIERT DIE BRANDNEUE, THEMATISCH ORIGINELLE OPER THE SHOPS VON THE OPERA GROUP DYNAMISCH, ABER OHNE GLANZPUNKTE

Wenn die britische Oper in einem vorbildhaft sein kann, so ist das die Motivation von Autoren und Komponisten, neue Werke zu schreiben, während in Europa bzw. Österreich der Repertoirepflege bei unterschiedlicher Regie gehuldigt wird. Die Themen junger Urheber wie von The Opera Group sind dabei neu, was auch eine neue Werkform bedingt. Während sich die Oper in früheren Zeiten um Liebe und Macht drehte, treten Beziehungen und Politik in den Hintergrund, um innerpsychische und wirtschaftsmanipulative Vorgänge des Individuums zu durchleuchten. - So wird die Oper zur direkten Antwort auf die Probleme unseres heutigen Alltags, wo nicht mehr für das große Gemeinsame gelebt wird, sondern ausschließlich für die eigene maßlose, objektbezogene Befriedigung. Das zeigt die Koproduktions-Uraufführung mit den Bregenzer Festspielen The Shops in der Regie von John Fulljames in der Werkstattbühne allzu gut.

Phänomenologische Ausgangsbasis

Mit der Konzentration auf das Phänomen der Kaufmanie und Sammlerbesessenheit bis zum Diebstahl in wissenschaftlicher Herangehensweise gibt die in Bern geborene Librettistin Dagny Gioulami die verdichtende Struktur für Musik, Bühne und Ästhetik vor: die Musik des 35-jährigen Briten Edward Rushton ist typische Neue Musik, wo die der Erzählung untergeordneten Sänger als teamorientierte Ensembleleistende eher in einer Tonhöhe atonal sprechen als singen, unterbrochen durch wenige, dramaturgisch bedingte, beschwingt-harmonische Gruppennummern, die ironisch zur Andeutung einer psychischen Kollektivdeformierung eingesetzt werden. Durchgehend präsente Rieseneinkaufstüten auf der Bühne stehen zeitgleich für die Schauplätze Museum, Gerichtssaal/Gefängnis, Laden und Zuhause des Diebes Schmalhans. Einerseits hat Soutra Gilmour damit einen witzig-grotesken Eyecatcher gefunden, andererseits ermöglicht das permanente Bühnenbild schnelle Ortswechsel und Handlungssprünge in Vor- und Rückblenden auf parallelen Schauplätzen, sodass der Erzählrhythmus dynamisch und kompakt ist.

Alle Menschen als kommerzverseuchte Sammler

Gezeigt werden sechs Hauptfiguren, die alle etwas sammeln und miteinander verstrickt sind: Christoph Schmalhans (Darren Abrahams) ist ein Briefmarken-sammelnder Dieb mit gezielter Jagd auf die "Blue Honolulu", dem die dem Kleiderkaufrausch verfallene Francesca hilft, indem sie für ihn die Museumswärter ablenkt, wonach er sie mit Geld bezahlt, sodass sie sich wieder Kleider kaufen kann, wissend: "Die Kleider befriedigen mich nur im Geschäft, und nachher kann ich sie nie tragen." Gleich anfangs steht Schmalhans vor Gericht, im Rückblick wird er im Museum auf frischer Tat ergriffen, da ihm ein Journalist (Paul Reeves) in Pension auf der Spur war, der in manischer Ehrfurcht ein kaum gelesenes Special-Interest-Medium namens "Wasserzeichen" führt, das er viel mehr liebt, als die Medien zu seinen Broterwerbszeiten. Schmalhans´ Mutter ist eine Hausfrau, die Müllsäcke und dergleichen kauft und die Briefmarken ihres Sohnes ins Klo schüttet, als sie erfährt, dass er verhaftet wurde. Die Kriminalpsychologin Cordula Wagner (Louise Mott) neigt dazu, vorschnell psycholgische Ateste für Schmalhans Klaugründe zu stellen - worauf er meint: "Und für diesen Scheiß werden sie so gut bezahlt?" Und sie: "Jetzt kaufe ich mir gleich eine Tasche, denn ich habe sie mir verdient." - Womit auch der Wert eines anerkannten Jobs und das Gefühl von Befriedigung dabei hinterfragt werden. Und schließlich wird Schmalhans ein echter Sammler gegenüber gestellt, der die Kunstwerke seines sammelnden Vaters übernommen hat und den Ablauf von Kaufen und Verkaufen wie ein Investmentbanker betreibt. - Was wiederum die Debatte von Kunst und Museen als Ware eröffnet.

Subtiler Witz in britischem Understatement

Sehr subtil und unterhaltsam genau gemacht ist die nicht zu unterschätzende Choreografie von George Lamb. Die erste Szene, wo alle Figuren als unisono aufgereiht singen und plötzlich wie zufällig eine einheitliche, superkurze Fußbewegung machen, ist mit britischem Understatement zum Schießen komisch und sagt doch alles über die verbindenden Obsessionen, die alle Menschen im Kapitalismus-Zeitalter eint. Selbstironisch nimmt sich der Librettist nicht aus, indem er einen Darsteller - die Theaterillusion brechend - einen Brief vortragen läßt, worin er zugibt, für diese Geschichte geklaut und gekauft zu haben, wonach er dem Publikum vor der Pause wünscht: "Und jetzt kaufen auch Sie sich etwas Schönes an der Bar." Der Unisono-Aufruf zur moralischen Selbsthinterfragung, "Glaubst du, du könntest alle deine Besitztümer Menschen geben, die nichts haben?" als harmonische, herausgegriffene, rhythmisch choreografierte Liednummer hat schließlich als Höhepunkt doppelbödigen Charme, indem sie einerseits schwungvoll unterhält, andererseits betroffen macht.

Obwohl das alles griffig und schlüssig durchgearbeitet ist - einschließlich der ambitionierten musikalischen Wiedergabe von Dirigent Patrick Bailey und seines zehnköpfigen The Opera Group Ensembles mit fünf Klarinetten, drei Streichern und Percussion -, geht dieses Werk dennoch nur als besserer Durchschnitt durch - da kein Moment künstlerisch und emotional herausragend wirkt. e.o./j.o.


DAS URTEIL NEUES THEMENFELD INNERHALB DER OPER. WITZIGE STORY MIT BRITISCH INTELLEKTUELLEM HUMOR. IN SICH GESCHLOSSENE, RHYTHMISCHE UND DICHT VERWOBENE HANDLUNG UND MUSIK. ABER OHNE KÜNSTLERISCHES HOCH-MOMENT.

Saturday, July 28, 2007

OPER: PHILIPP HIMMELMANNS EXPERIMENTAL-BLOCKBUSTERFILM "TOSCA"

Das Stilelement Auge bindet formal als ästhetisch Ganzes und erklärt psychologisch die Vorgänge, ...

... worin die eifersüchtig besitzergreifende Diva Tosca (links) den Maler Cavaradossi liebt, weshalb ihn der machthungrige Polizeichef Scarpia (rechts) verhaften lässt ...

... denn er will wiederum Tosca besitzen - die ihm bei all seinen Handlungen ganz starr im Blick sitzt.















So starr, wie es die Politik eines Polizei- oder Kirchenstaates ist. (Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster)



SEEBÜHNE AM BODENSEE - BREGENZER FESTSPIELE EINE FILMISCHE OPER, DIE DANK EXPERIMENTALFILMS MEHR ALS NUR SPEKTAKEL IST. JEDES DETAIL HÖRBAR UND VERSTÄNDLICH SCHLÄFT HIER NIEMAND EIN ...

Nach der Seebühnen-Oper Tosca der Bregenzer Festspiele 2007 stellt sich aus mehreren Blickwinkeln die Frage, wo die Kunst beginnt, wo das Event endet. Zweifellos ist diese Oper die technisch effektivste; sie ist dabei aber keinesfalls billig. - Selbst wenn man sich dazu hinreißen lassen könnte, es aufgrund vordergründiger Wahrnehmungsmuster so zu empfinden.

Vom Blockbuster zur Kunst

Das beginnt mit dem Anblick auf ein Riesenauge, das dem Zuschauer als tiefenlose Wand zweidimensional und plump entgegenstarrt, erstreckt sich über eingesetzte Stunts, wo Menschen in schwindelerregender Höhe singen und ins Wasser stürzen, und setzt sich mit der Dolby-Surround-Akustik fort, wobei die verstärkte Musik der Wiener Symphoniker unter dem Dirigat von Ulf Schirmer aus vier Richtungen, durch Geräusche betont, an die Filmmusik eines B-Blockbuster-Movies im Kino erinnert. Dass dies aber nur die ersten Verführungsschritte darstellt, um sich als Zuseher in die Geschichte hineinfallen zu lassen, zeigt sich sehr bald, indem die Technik zwar tatsächlich bombastisch bleibt, jene aber ästhetisch immer tiefer, dreidimensionaler und künstlerischer wird: sei es, dass sie mit der Musik atmet oder für exakte, subtil-dramaturgische Deutung steht. Denn sie bedient sich im Bereich des Filmgenres nicht mehr des Spielfilmstils, sondern jenes des experimentellen Films, der aus der Bildenden Kunst kommt.

Die mitreißende Technik zum Staunen ist es nicht allein, warum diese Tosca unter der Regie Philipp Himmelmanns letztendlich zum ergreifendsten Seeopernstück seit Festivalbestehen wird. Auch die digitalen Dialog-Titel, links und rechts der Szenerie, machen das Geschehen genau verfolgbar, sodass die Oper in Originalsprache gesungen werden kann. Man versteht alles und noch mehr, ohne zuvor auch nur einen Satz einer Inhaltsangabe gelesen zu haben. Sollte es also Menschen geben, die bei Musik leicht einschlafen, so kommt es hier mit Sicherheit nicht dazu. Denn man lebt als Zuseher mit den Agierenden mit - ganz wie im Film.

Herausragender Sänger Brandon Jovanovich

Die Festspiele achten auch immer auf überdurchschnittliche Sänger und Gesangspartien, damit auch der ausschließliche Musikfreund auf seine Kosten kommt. Heuer sorgte einer der Cavaradossi-Darsteller, Brandon Jovanovich, dafür. Er verleiht der Maler-Figur mit seiner berückend hellen und doch vollen Bariton-Tenor-Stimme ein warmes Temperament und intoniert so innig in der Kerkerszene, dass es zu einem jener Momente wird, warum man überhaupt Oper und Liederabende liebt. Ein ausgezeichneter Sänger-Darsteller ist wie gewohnt Martin Winkler als Mesner, der eine intelligent lustige Note einbringt, wenn er mit den über des Malers Werke staunenden Kindern singt. Walküren-Stimmen haben die Tosca-Besetzungen - also nicht jedermanns Sache. Peter Sidhom liefert als Polizeichef Scarpia beste Routine.

Kammerspiel mit Hauptdarsteller "Auge"

Dass dieses dramaturgische Kammerspiel aus Liebe, Macht und Religion, das im Grunde nur aus drei Hauptfiguren besteht, auf der großen Seebühne überhaupt funktioniert, liegt aber am Hauptdarsteller der Inszenierung: dem Auge. Das, was anfangs so platt wirkt, steht für den besessenen Blick, den alle Figuren in diesem Überwachungsstaat haben: Cavaradossi, der die Augen aus reinem Schönheits- und Romantiksinn malt; Tosca, die als Bühnendiva keine andere Frau neben sich ertragen kann und überall Konkurrenz wittert; und Scarpia, der die Liebe der Tosca erzwingen will, indem er ihren Körper besitzen und sie hintergehend ihren Geliebten Cavaradossi ermorden lässt. Es handelt sich hauptsächlich um sein Auge, das da blutdurchtränkt, in Mustern aufgelöst, immer verengend-dunkler wird, und sich vom Augapfel löst, wenn die böse Absicht, das Glück der anderen zu zerstören, wahr wird. - Im Grunde ist Scarpia in seiner entschieden harten Absichtlichkeit dem Charakter der ihn erstechenden Tosca viel näher als der naive Cavaradossi. Toscas letzte Worte gelten (sinngemäß) deshalb auch dem Polizeichef, bevor sie sich in die filmische Tiefe des Auges stürzt: "Vor den Augen Gottes werden wir uns verantworten."

Neben den politischen Seitenvermerken, mit totalitärem Kirchenstaat gegen demokratische Freiheit, ist die Inszenierung in kompakten zwei Stunden also mehr als nur ein Event geworden. - Ein Weg, tiefenpsychologische Vorgänge mittels Filmeinsatz zu demonstrieren und dabei wegweisend in Sachen Freiluft-Oper. e.o./j.o.


DAS URTEIL DER FILM REVOLUTIONIERT DIE SEEOPER: IM STIL DES BLOCKBUSTER-KINOS, UND VOR ALLEM DES TIEFENPSYCHOLOGISCHEN EXPERIMENTALFILMS: SPANNEND, INNOVATIV UND GERADE WEGEN DES TECHNIKSPEKTAKELS KUNST.

OPER Tosca * Von: Giacomo Puccini * Regie: Philipp Himmelmann * Dirigent: Ulf Schirmer * Bühnenbild: Johannes Leiacker * Mit: Wiener Symphoniker * Mit: Brandon Jovanovich (Zweitbesetzung), Martin Winkler, Peter Sidhom * Ort: Seebühne Bregenz * Zeit: bis 19.8.2007 und im Sommer 2008: 21h15

Thursday, July 26, 2007

TANZTHEATER: SIDI LARBI CHERKAOUI WIEDERHOLT SICH IN "MYTH"

Unheimliche Schatten, die den Menschen bekämpfen und sich verbiegen wie Yoga-Genie Sri Louise, ...

... die hier links unten zu sehen ist. - So wird das mythische Leben zu einem der Wiederholungen.(Fotos © Koen Broos)


VOLKSTHEATER - IMPULSTANZ MYTH ERSCHÖPFT SICH IN WIEDERHOLUNGEN - ETWAS LANGWIERIGE PRODUKTION VON SIDI LARBI CHERKAOUI

Ein Sidi Larbi Cherkaoui ist immer an einem Sidi Larbi Cherkaoui zu messen. Was das anbelangt, ist Myth rhythmisch und im Handlungsverlauf monoton wiederholend und langatmig geraten. Außerdem erinnert es, - obwohl gesangstechnisch besser - mit den mittelalterlichen Klängen sehr an das Vorjahresstück bei Impulstanz, D´avant: Letztes Jahr hatten Cherkaoui und seine drei Mittänzer christliche Motetten und Choräle selbst gesungen - was aber durch den gleichzeitigen Tanz verblüffte -, während heuer das italienische Spitzen-Ensemble Micrologus die Geistesmusik, angereichert durch Dudelsack-Sound und Hirtenflöte, virtuos noch einmal in höhere Sphären trug.

D´avant hatte mehr Charme

Dass D´avant dennoch mehr Charme hat, lag an den realen Alltagsbezügen einer heutigen Freundschaft unter "Männern von nebenan". In Myth findet das Mittelalter - das für die Archaik steht - Abstraktion im Horror- bzw. Science-Fiction-Genre. Das mag zunächst originell sein, es ist im ähnlichen Zugang und in der dramaturgisch steigerungsarmen Umsetzung aber vorhersehbar geworden. Trotz allem hohem Anspruch, den Cherkaoui in seinen Arbeiten generell an den Tag legt, ist dieses Stück ermüdend (verstärkt durch die sommerliche Hitze im Theater). Mitverantwortlich dafür ist die politische Überkorrektheit, die Myth allzu brav zur Arbeit eines spannungslosen "Vorzugsschülers" macht: Das beginnt mit dem durchgehend religiösen Touch, wobei zwei Menschen mit Down-Syndrom mittanzen, und reicht bis zur inhaltlichen Aussage des guten Menschen mit bösem Schatten, den jener Zeit seines Lebens zu bekämpfen hat. Und die Figur des schwarzen, witzelnden Transvestiten, der - sich in seiner Existenz zwischen Mann-Frau hinterfragend - alles auflockern sollte, ist ein allzu gängiges Stereotyp in der Ausstrahlung eines schwulen Tänzers.

Fantastische Bewegungen

Die unheimlichen Schatten, die grunzen wie wilde Monster, tanzen aber ausgesprochen gut. Mit der Biegsamkeit einer Yoga-Spezialistin Sri Louise, die hier höchstpersönlich eine der schwarzen "Amöben" mimt und dabei alle in ihren Bewegungsweisen beeinflußt, ist das ein akrobatisch exaktes Gekrieche und Gewurme musischer Undefinierbarkeiten. Diese Wesen winden sich unter Reifröcke und in Menschen hinein, sodass sie zwischen Zwillingsharmonie und spontaner Abwehr entrückende Bilder schaffen. Auch mancher Gag schleicht sich ein, wie dass eine Frau plötzlich überlange Beine bekommt oder ein anderer Mensch überhaupt nur noch aus Rumpf oder auch ohne Rumpf existiert. Nur wiederholen sich die Bewegungsweisen auch bei den Schatten allzu oft ...

Erklärung des Lebens

Schön ist die Doppelbedeutung des Bühnenbildes: denn diese My(s)t(h)ik spielt in einer Bücherei - einerseits ein Verweis auf die mittelalterlichen Priester-Überlieferungen und damit auf die immergültige Erkenntnis der Bipolarität des Menschen, wegen der moralischen Sünde bis zum Selbsthass zerrissen zu sein, andererseits eine Kritik, die die wissenschaftlichen Erkenntnisse als unzureichend anklagt, um die Menschenseele mit ihren Abgründen erklären zu können. "Vergiß nicht, dass du nie alleine bist", "Wir wissen nichts von der wahren Geschichte von Männern und Frauen" schweben als Schlagsätze über dem Geschehen, und Anspielungen wie der "Zauberer von Oz" und "Jesus mit schleppendem Kreuz" sind Versuche, durch Religion und Phantasie die unheimliche Ungreifbarkeit des dauerpräsenten Irrealen zu moralisieren bzw. zu verstehen. - Und auch damit kämpft der Mensch in Myth, sobald er als Mann oder Frau geboren wird: mit seiner Mutter, seinen Schatten und sich selbst. Am Ende zählen nur die individuellen Erfahrungen, die jeder macht, manch einer wird dadurch zum Leader, aber auch der bleibt auf jeden Fall immer mit seinem Schatten allein. e.o./m.t.


DAS URTEIL DER MENSCH HAT EINEN BÖSEN SCHATTEN - UNTER DIESEM MOTTO VERDREHT SICH DAS STÜCK RHYTHMISCH ZU SPANNUNGSLOSEN WIEDERHOLUNGEN. TROTZ ERSTKLASSIGEM BEWEGUNGSZAUBER UND SCHÖNER MUSIK ZU MONOTON.

TANZTHEATER Myth * Regie: Sidi Larbi Cherkaoui & Toneelhuis * Mit: Ensemble Micrologus * Dramaturgie: Guy Cools * Mit: Sri Louise, Damien Jalet, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 26.+27.7.2007: 21h

Tuesday, July 24, 2007

TANZ: WIM VANDEKEYBUS VERFÜHRT MANN UND FRAU IN "SPIEGEL"

Stampfende Männer, vor denen Frauen und andere Männer reflexartig ausweichen ...

... das steht für das Elementare der erotischen Offenheit und des Reaktionsvermögens von Mann und Frau (hier Manuel Ronda und Laura Aris)...

... und überhaupt für guten Sex. (Fotos © Jean-Pierre Stoop)


VOLKSTHEATER - IMPULSTANZ BELGIER WIM VANDEKEYBUS ERFINDET DIE BEZIEHUNG VON MANN UND FRAU NEU, INDEM ER SIE AUF IHRE ELEMENTARE ANZIEHUNG ZURÜCKFÜHRT. SPIEGEL IST REDUZIERT AUF DIESE EINE WESENTLICHE AUSSAGE

Ja, da ist die Männerwelt noch in Ordnung. - Bei Wim Vandekeybus scharren die Männer wie Stiere mit ihren Hufen, sie sind aggressiv wie galoppierende Hengste, und sie messen sich in Geweihkämpfen wie Hirsche. Sie tanzen stampfend wie Torreros und lassen die ihnen willenlos ergebenen Frauen aus zwei Meter Höhe fallen wie leblose Mehlsäcke. Dabei zeigt gerade das, wie stark sie einander brauchen, er, der nur so tut, als hätte er alles im Griff, sie, die ihm die Illusion lässt, alles im Griff zu haben. Ein Spiel mit Regeln, die beide einhalten und genießen - aus Liebe, aus Begehren, aus Urvertrauen. Vor allem sie vertraut ihm: denn spannte sie die Muskeln an, würde sie sich sämtliche Knochen brechen. - So wie der Frau das männliche Eindringen beim Geschlechtsverkehr Schmerzen verursacht, wenn sie sich verkrampft. Dieser Tanz steht für das Elementare der Sexualität.

Männer wie Tiere

Das Fallen-Lassen ist allerdings nur kurz und neben der Einleitung bei kaltem, elektronischen Maschinengedröhne nicht die stärkste Szene von Vandekeybus´ Tanztruppe Ultima Vez beim Gastauftritt von Spiegel im Volkstheater, dem Madley mit den bekanntesten Szenen ihrer zwanzig-jährigen Tanzgeschichte, die stimmig und aufbauend zu einem neuen Ganzen verwoben wurden. Vielmehr sind es die Leidenschaftstänze zwischen Mann und Frau, die anmuten wie der spanische Name der Company "Ultima Vez": "das letzte Mal". Die Spannung beginnt schon mit der Streich- und Zupfmusik von David Byrne, wo die Frauen zunächst eine abstrakte Art von Verführungstanz untereinander absolvieren, während ein Mann auf einem von der Decke baumelnden Stuhl verkehrt herum zusieht - er verliert sozusagen den Boden unter den Füßen, sobald er das Objekt seiner Begierde wahrnimmt.

Daraufhin folgt ein aus dem Stand gesprungener Männer-Rivalitätskampf, wobei sich die Burschen in ihren Sakkos um eine Frau im roten Kleid matchen, die nichts dafür tun muss, damit sie das überhaupt tun. Ihr Anblick genügt, sowie das Messen-Wollen der Kräfte. Und doch sind das keine reflektionslosen Tiere, diese Männer, das zeigt der selbstfragende Tanz zum Songtext "Watch out boy, they gonna take your sole". Dann ist es soweit: die Frau nimmt zwar nicht die Seele eines dieser Männer, sondern sein Sakko. Und ein mitreißender, kraftvoll brutaler Tanz beginnt, unter anderem zwischen der Spanierin Laura Aris und Italiener Manuel Ronda, der in seiner charismatisch-männlichen Bewegung und Erscheinung an den jungen Vandekeybus erinnert. Hier geht es um Fleisch und Körper, und doch um mehr. Am Ende wird das Sakko ins Publikum geworfen, damit es sich auch animiert fühlen soll.

Frauen wie Männerenergie

Der berühmte Ziegeltanz aus What The Body Does Not Remember ist daraufhin nach wie vor atemberaubend: Männer und Frauen werfen sich wie Volleyballer Ziegel zu, im Sprung und in blinder Übergabe, was in Ablauf und Rhythmus von größter Musikaliät und Virtuosität ist. Der Takt wird immer schneller, sodass es der Zuschauer mit der Angst bekommt. Aber, das lebensnotwendige Agieren aus Reflex und Negieren des zu langsamen Gehirns, schützt die Spieler. - Während nun die Bühne gereinigt wird, unterhält Ronda sich - eine Feder in die Luft blasend - mit dem Publikum; er verlangt das Sakko zurück, der ganze Saal lacht, einschließlich anwesender Kinder. Nun ist auch die vierte Wand gefallen. Das Vertrauen ist allseits da.

In flimmerndem Halbschimmer ziehen sich ein paar Kerle nackt aus, sie bewegen sich und mimen wie bei einer Waschung. Als reinigten sie sich für ein neues Leben, eine neue Liebe. Orangen werden auseinander geschnitten, wonach sich Paare je nach Übereinstimmung der Hälften in ihren Händen finden und verlieben - so wie es die genetische Natur bestimmt. Ein verzögerter Tangotanz setzt ein, die Paare verharren kurz vor dem Kuss. Und ein weiterer Tanz folgt, wo es wieder stürmischer und konfrontativer wird. Bis der hintere Vorhang herabfällt und eine rote Steinwand zum Vorschein kommt. Wieder scharrt ein männlicher "Zweibeiner" mit den Hufen. Und nackte Menschen verschwinden im Dunkeln. e.o.


DAS URTEIL EIN KRAFTVOLLES PLÄDOYER FÜR DIE LIEBE: VON RICHTIGEN MÄNNERN; UND FRAUEN, DIE SICH DER MÄNNLICHEN ENERGIE BEUGEN. - SEXY WIE GUTER SEX!

TANZ Menske * Choreographie: Wim Vandekeybus * Mit: Ultima Vez / Wim Vandekeybus (BE) * Ort: MuseumsQuartier Halle E * Zeit: 21., 23.7.2008: 21h

Friday, July 20, 2007

PERFORMANCE: ALAIN PLATEL MIT SEINEM RÜHRENDEN LACH-SCHOCKER "NINE FINGER"

Der afrikanische Soldatenjunge (Benjamin Verdonck) ist ein spontaner, liebenswerter Mörder und Vergewaltiger ...

... was das leblose Objekt (Fumiyo Ikeda) bestens zeigt. (Fotos © Herman Sorgeloos)

Doch das Objekt wird dann zum kleinen Mädchen, das wie der Bub vergewaltigt wurde: beide schreien sie ihren Schmerz übers Mikro hinaus.


SCHAUSPIELHAUS - IMPULSTANZ BENJAMIN VERDONCK RÜHRT ALS UNGERÜHRTES KIND, FUMIYO IKEDA DIENT IHM IN DIENERLOSER AURA, ALAIN PLATEL SITZT MIT SEINEM WITZ IN BEIDEN

Wer das Vergnügen hatte, mit Alain Platel einmal persönlich zu sprechen, wird dessen eigentümlichen Schalk sofort in Benjamin Verdonck wieder entdecken, der in Nine Finger im Schauspielhaus als afrikanischer Soldatenjunge in unschuldiger Kindeslust zwischen Schocktherapie und Hoffnung irrt. - Irrsinn gepaart mit "Wahn" sind hier nicht nur im Sinne von Entsetzen, sondern auch - und darum geht´s - mit freudiger Neugierde am abnormen Exzess ausgestellt. Und sollte es Psychologen geben, die sagen, Künstler neigen in der Regel mehr zur Hysterie als zur Depression, dann lässt sich das am Künstlercharakter des Alain Platel bestätigen. Seine Wahnsinns- und Behinderungssprachen sind genial, weil sie eben nicht "echt", sondern aus lachender Leidenschaft heraus, nachgeahmt sind: in übersteigerter und als übersteigerte Realität.

Zwischen Tabubruch und Rührakt

Grenzen des Aussprechens realer Mißstände und Abgründe kennt Platel nicht. Klar, er ist ja neben dem Künstler ausgebildeter Psychologe und Behindertenpädagoge. - Sein Interesse daran als Drang zur Erkenntnis der Menschheit ist spürbar echt. Ohne Tabu, ohne Angst, Grenzen eben zu überschreiten. Wenn sein kongenialer Schauspiel-Performer Verdonck sich also zuerst als Afro-Kriegsjunge, zur insgeheimen Tarnung aus Scham für die begangenen Greueltaten, schwarze Farbe ins Gesicht geschmiert hat und nach der zerstörten "Zukunft" ruft, von seinen Verfolgungsgefühlen wie "Ich fühle als wären Insekten auf meinem ganzen Körper" spricht, sowie Existenzängste wie "Ich habe Hunger!" durchblicken lässt; er danach doch mehr mit kindlichem Stolz als aus Reue brüllt, "und ich haue dir in den Bauch, sodass Blut herausspritzt, und ich springe auf deinen Kopf, denn du bist nicht meine Mutter"; und er dabei, unberechbar reflexartig, abwechselnd in Tänzerin Fumiyo Ikeda und auf eine Matratze eindrischt, sodass es nur so knallt; - so ist das einerseits grausamer, dokumentarischer Thrill, andererseits eine berührend-sensible Psychostudie voll von ungeschminkter Naivität. Denn dieser Junge ist mit seiner Spontaneität total lieb, ganz nach der Weisheit: "Denn sie (Kinder) wissen nicht, was sie tun." - Was auch der Grund ist, warum Zehnjährige in Afrika aus ihren Familien entführt und zum Kriegführen gezwungen werden: sie schießen einfach drauflos, ohne geringstes Mitleid zu empfinden. Und dass sie damit beginnen, dafür sorgen sexuelle Nötigung und Androhung gegenüber ihren Familien.

Makabre Kinderpoesie

Dieser Bub erzählt, während er sich mit einem Taschentuch selbst befriedigt, dessen Geräusch dann in Stereo durch den Raum verstärkt weiter getragen wird, begleitet von akustischem Magenknurren und Vogelgezwitscher, wie er vergewaltigt wird: "Ich mag es nicht wenn K. mich sehen will, weil danach mein Unterleib ganz furchtbar brennt." Ins makaber Groteske kehrt sich sein Schicksal, als Fumiyo Ikeda zur Regenzeit einen Afrotanz als Erinnerung an sein(e) Heim(at) tanzt, und er - im Regenmantel verhüllt - wie ein schutzbedürftiger kleiner Zwerg dahinter steht. Zum Schluß kriecht sie unter seinen Mantel - und jetzt erzählt auch sie, die nun kein untermalendes Veranschaulichungsobjekt mehr für seine Erklärungen, sondern zu einem kleinen afrikanischen Mädchen geworden ist, was man "ihr" angetan hat: "Gute Soldaten..., ich muß Soldaten gehorchen und meine Kleider ausziehen..." Das Mikrofon in seinen und dann in ihren Händen, dient ihnen als Waffe, sich über ihre Erfahrungen zu behaupten, sie hinaus zu schreien und ist gleichzeitig Effektmittel, um entsetzlich laute Schlaglaute zu produzieren.

Wunde fürs Leben

Sie fragt jetzt: "Bist du dumm?" Und während sie bitter-kühl singt, lugt aus der großen (Spielzeug-)Kiste, die durchgehend auf der Bühne steht, sein Kopf mit Bärenmaske hervor. Ab und zu wirft er im Takt einen leeren Sack in die Luft, als wäre das ihr poetischer Traum von der verlorenen Kindheit, den er sich daraufhin symbolisch über den Kopf zieht. Dazu der Satz: "Du bist nichts." Und doch hat der Junge noch Träume: vielleicht will er einmal ein Weihnachtsbaum, ein Doktor oder ein Auto werden. Er träumt noch, obwohl er kein Kind mehr ist und seine Taten bereuen muss: "Du wirst denken, ich sei ein Tier oder der Teufel. Und ich bin´s. Ich bin´s. Doch ich hatte einmal eine Mutter. Und sie liebt mich." Er sagt weiter zum fragenden Mädchen: "Ich werde wieder eine Mutter haben", worauf wiederum das hilflos einsame Mädchen antwortet, wissend, dass solche geschädigten Kinder ewig in ihren Erfahrungen eingeschlossen bleiben und kaum Aufmerksamkeit gegenüber anderen aufbringen können: "Aber wie denkst Du über mich?" e.o.


DAS URTEL EIN RÜHREND-AUFDECKERISCHES DOKUMENTAR-SPIEL ÜBER EIN AFRIKANISCHES KINDERSOLDATEN-SCHICKSAL, UND DABEI ABER GROSSE KUNST: IN BILDERN, RHYTHMUS, ATEM, HYSTERIE UND KINDLICHER POESIE.

Alain Platel ist jetzt neu im Gespräch zusammen mit Susanne Linke und Fabrizio Cassol in intimacy: art / artists / vision zu hören und zu lesen

Thursday, July 19, 2007

OPER: LAURENT PELLY MACHT MOZART SOMMERLICH-LEICHT - "LA FINTA SEMPLICE"

Rosina (Isabel Rey) übertölpelt schauspielerisch-choreographisch gut den frauenhassenden Sturkopf Don Cassandro (brillanter Grantler: Bruno Praticò), ...

... indem sie ihn gegen seinen Bruder aufbringt und eifersüchtig macht: denn beide sind bald in sie verliebt. Da fällt die geordnete Kastelwelt der Brüder in sich ...













... zusammen, die hinter der verliebten Giacanta (Silvia Tro Santafé) weggeräumt wird. So wird der Blick auf die Liebe für drei Paare frei. (Fotos: © Armin Bardel)



THEATER AN DER WIEN SCHAUSPIELERISCH INTENSIV UND IRONISCH, KONZEPTUELL MINIMALISTISCH UND DICHT, INSZENIERT LAURENT PELLY MOZARTS LA FINTA SEMPLICE ALS LEICHTE SOMMERMUSE

Was aus einer Zwei-Familien-Geschichte machen, aus der einander je ein Bruder Fracasso und eine Schwester Giacinta heiraten wollen, "ihre" älteren, über "sie" bestimmenden Single-Brüder aus Frauen-Aversion aber dagegen sind, sodass "seine" Schwester Rosina die griesgrämigen Brüder umstimmen muss: indem sie die beiden alten Junggesellen - der eine, Don Cassandro, belesen und knurrig, der andere, Don Polidoro, kraftlos naiv - in sie verliebt macht? - Nun, der französische Regisseur und Kostüm-Entwerfer Laurent Pelly zieht die verstrickte und doch handlungsmusterhafte Liebes-Oper La Finta Semplice des zwölfjährigen Komponisten Mozart im Theater an der Wien als fließende Unterhaltung auf. Mit der Offensichtlichkeit, sich am Libretto zu orientieren. Denn der mit dem feinen und temperamentvollen Sprachwitz Carlo Goldonis bespickte Text motiviert zu schauspielerischer Ironie, während die Musik nur stimmige Untermalung bietet. - Die hält Dirigent Fabio Luisi aber mitsamt Wiener Symphonikern und Cembalo exzellent betont in Schwung.

Sommerlaune statt Geniestreich

Es zeigt sich hier alles-in-allem weniger der überraschungsreiche Geniestreich als eine anregende Sommerlaune (die das Opernhaus am Naschmarkt ab heuer durch Mozart-Opern verbreitet), sodass sich manches Liebespaar im Publikum von der Liebe auf der Bühne anstecken lassen wird. Denn dieses Stück ist für die Zuschauer gemacht, als ästhetisch edler und doch leichter Geistesgang. Der fängt mit der Bühnen-Arithmetik von Barbara De Limburg an, deren logische Folge auf einem blass-türkis-austapezierten Raum basiert, dessen Blumendekor für die "natürlich-offene" Liebe der Liebeslustigen steht. Kontrastiert durch den Raum aus schwarz-grauen Linien und Quadern, worin die engstirnigen Brüder mit kleinen Kästen hausen, entsteht das reizvolle Spiel der Gegensätze.

Bis der graue Raum mit dem Eindringen der Liebe(slist) von Schwester Rosina aufbricht: im zweiten Akt liegen sämtliche Möbel verstreut umher, als hätte ein Sturm sein Unwesen getrieben. Und tatsächlich: Rosina, mit ihrer umfwerfenden Selbstironie in Spiel und Gesang - denn Isabel Rey ist gewinnend allürenfrei - dringt in die emotionale Welt der beiden Brüder ein, wie es die rote Farbe ihres Kleides suggeriert, so dass nach Liebesentzündung ihr gegenüber der Eifersuchtswirbel unter ihnen aufkommen muss. Wer kann auch schon einer ausnehmend klugen Rosina widerstehen, die agiert wie sie sagt: "Mit Worten, nicht mit Gefühlen gewinnt man die Herzen."

Klug-überzeichnet motivierte Schauspiel-Sänger

Rosina ist jedoch nicht die einzig überzeugende, weil fast satirisch gestaltete Figur. Und das ist der guten Besetzungshand von Laurent Pelly zuzuschreiben. Er holt aus den Darstellen mehr als nur die erforderlichen Typen heraus, indem er schauspielerisch und körperlich im Detail arbeitet, sie darüberhinaus aber ironisch bzw. überzeichnet interpretiert. Am stärksten motiviert er darin Bruno Pratico als Don Cassandro, dessen südländisch-italienisches Temperament im Stil des widerspenstig-zu-Zähmenden hochkommt, sodass er sich nach der Liebesüberrumpelei etwa den Blutdruck messen muss. In Wort, Geist und in seiner Männlichkeit aus-"gebildet", erhält er konsequenterweise die Hand Rosinas. Pelly lässt ihn insgesamt so führen, dass er sogar die Bühnenillusion zerstören darf, indem er einmal mit Dirigent Luisi einen kurzen Dialog als Darsteller abhält, als hätte er gerade vergessen, in welcher Oper er sich befindet. Auf der Bühne hat jeder andauernd etwas zu tun, so wird weder dem Zuschauer fad, noch sind dramaturgische Zusatzhandlungen nötig. Und damit geht der minimalistische, in-sich geschlossen intensive Umsetzungsansatz auf.

Am Ende ist die Bühne leer, denn die drei Paare haben sich gefunden. Die Liebe sorgt in Pellys Augen wohl für klare Sicht. Die als Fracasso ebenfalls geziert-sensibel verfremdete, überzeichnet-liebestolle "Prinzenfigur", Topi Lehtipuu, bekommt eine puppenhafte Giacanta (Silvia Tro Santafé), und in der Dienerschaft findet sich ebenfalls Eros ein. Und das alles in einer überdurchschnittlichen Gesangsweise, für die das Theater an der Wien mittlerweile bekannt ist. Dr. Wild/e.o.


DAS URTEIL DICHT UND FLÜSSIG ERZÄHLT, TREFFEND DURCHDACHT UND MIT IRONISCHEN SÄNGER-DARSTELLERN BESETZT. IN BEKANNTEM UND DAHER ÜBERRASCHUNGSLOSEM HANDLUNGSVERLAUF KEIN GENIESTREICH, DAFÜR EINE KLUG GEMACHTE SOMMERUNTERHALTUNG.

NÄCHSTE SOMMER-MOZARTOPER Le Nozze di Figaro * Von: Wolfgang Amadeus Mozart * Regie: Kasper Bech Holten * Dirigat: Graeme Jenkins * Mit: Radio Symphonieorchester Wien, Arnold Schoenberg Chor * Mit: Elizabeth Futral, Adrea Rost, Christopher Maltman, Johan Reuter, u.a. * ort: Theater an der Wien *Zeit: 1., 3., 6., 10., 13., 16., 19.8.2007: 19h

Sunday, July 15, 2007

TANZ: VINCENT DUNOYER UND A.T. DE KEERSMAEKER ALS ENTTÄUSCHTE "SISTER" -s

Eine von Fumiyo Ikedas Posen, die 31 Rosas-TänzerInnen interpretierten, was dann Vincent Dunoyer und Anne Teresa De Keersmaeker in zwei Solos tanzten - inhaltlich kompliziert und am Ende zu simpel. (Foto © Mirjam Devriendt)


VOLKSTHEATER - IMPULSTANZ KEINE GLÜCKLICHE SISTER- URAUFFÜHRUNG VON VINCENT DUNOYER ALS CHOREOGRAF, WORIN ER UND ANNE TERESA DE KEERSMAEKER EIN DUO AUS SOLOS TANZEN

Anstandsapplaus bei vier Verbeugungen. Viele enttäuschte Gesichter im Publikum. Zwei enttäuschte Gesichter auf der Bühne. Als sie merken, dass diese Sister-Uraufführung nicht angekommen ist. In solchen Momenten zeigt sich, wie unbarmherzig das Showgeschäft ist. Dabei können nicht nur Anne Teresa De Keersmaeker und Vincent Dunoyer etwas für diesen Mißerfolg. Sie wurden Opfer einer übertriebenen und falschen Marketingmaßnahme, mit diesem Stück der eigentliche Höhepunkt des heurigen ImpulsTanz-Festivals zu sein. Man wollte sich mit einer Uraufführung bzw. Weltpremiere schmücken, obwohl von Anfang an klar war, dass es sich hierbei um ein intimes Unterfangen handeln würde, fernab von einem Keersmaeker-Stil und -Status.

Dafür hätte ein kleiner Aufführort wie das Schauspielhaus gepaßt, um von vornherein zu suggerieren, dass es sich eben um kein Grossereignis handelt. Abgesehen davon, dass sich Choreograf Vincent Dunoyer für dieses Stück natürlich ein wenig mehr einfallen lassen hätte können, als nur zuerst inhaltlich unzusammenhängende und damit nichts-sagende Schritte und Posen zu tanzen, auf die dann Keersmaeker im Sinne eines gleichen Tanzmaterials ebenfalls in einem Durchgang individuell zu reagieren hat. Der Zuschauer kann weder mit seinem ersten Teil viel anfangen, noch mit ihrem Zweiten, geschweige denn, dass es eine tänzerische Kommunikation zwischen den beiden geben würde. Dunoyers Aussage im Vorfeld, "ich will nicht wissen, wer Anne Teresa ist", scheint mehr als nur ehrlich gemeint zu sein. - Was allerdings positiv auffällt, ist die Tatsache, dass Vincent Dunoyer an-sich ein außergewöhnlich guter Tänzer ist - da er ja auch Ballett beherrscht und lange Solotänzer bei Keersmaeker war -, und Keersmaeker sich selbstverständlich auch zu bewegen weiss.

Hommage mit komplexem Innenleben ...

Eigentlich geht es um eine ungewöhnliche Hommage auf Keersmaekers Compagnie Rosas, worin Dunoyer die Langzeittänzerin Fumiyo Ikeda bat, alle ihre Posen im Laufe der zwanzigjährigen Geschichte auf Foto festzuhalten. Diese ließ er dann von allen 31 Tänzern von Rosas - also auch von jenen, die nicht mehr dabei sind - interpretieren. Diese faßte er wiederum zu seinem Solo - spärlich angereichert durch vier kurze, zum Teil peinliche Videoausschnitte aus diesem Recherchematerial - zusammen (etwa mit einem molligen, sichtlich lange nicht mehr tanzenden Ex-Mitglied). Der tiefere, bedeutungsvolle Sinn ist, die Compagnie-Chefin von ihrer Führungsrolle auf die andere, die Tänzer-Seite zu holen, sie zu zwingen, sich ihrer TänzerInnen zu erinnern, die "viel geben und wieder verschwinden".

... aber keiner Kommunikation

Keersmaeker posiert diesbezüglich anfangs in Stöckelschuhen und damenhaftem Stiftkleid bewußt überlegen, in nachdrücklich verzögerter und bestimmter Bewegung, von oben herab - und auch ein wenig mit dem Sex einer reifen Frau -, bis sie selbsterkennend und demütig gesteht: "Ich habe vergessen, wie es geht." (Allerdings sagt sie das unehrlich vortäuschend.) Das führt zum einzigen, kurzen Miteinander: indem ihr Dunoyer kleinlaut den nächsten Schritt zeigt. Dann zieht sie irgendwann die Schuhe aus, um zu konstatieren: "Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht kenne ich dich von einem Foto. Du hast dich verändert, ich habe mich verändert. Ich habe die Position geändert." Und dann bekommt sie zu ihrem Tanz hinzu endlich Musik, die sie ja ausmacht, ein deutsches Opernlied mit einem Chor, der singt: "Menschen sind uns geneigt und hold... so sollst du nun auch Ruhe haben. ... Leise schleichen wir uns wieder fort." - Das Lied wenigstens war rührend. e.o.


DAS URTEIL VINCENT DONOYER HAT EINE INTIME HOMMAGE AUF ROSAS GESCHAFFEN: DAFÜR HÄTTE ES AUCH EINEN INTIMEN RAHMEN GEBRAUCHT. DOCH SELBST DA HÄTTE ER AN EINEN AUSTAUSCH ZWISCHEN TÄNZER/IN UND CHOREOGRAF/IN DENKEN MÜSSEN, SOWIE DARAN, DASS ES AUCH EIN PUBLIKUM GIBT, DAS TEILHABEN MÖCHTE.

TANZ Sister * Von: Vincent Dunoyer * Mit: Vincent Dunoyer, Anne Teresa De Keersmaeker * Ort: Volkstheater * Zeit: 16.7.2007: 21h

OPER: JOHANNES ERATH FÜR EXZESSIVES WAHNSINNS-"TRIPTYCHON" SCHEDLS

Der Tod lauert im 1. Weltkrieg von außen auf dem Liebespaar Pierre (Alexander Kaimbacher) et Luce (Isabel Marxgut), die zur Schlachtbank kommen wie "Osterlämmer".

Der 2. Weltkrieg hat dem Kontrabass-isten (Gerhard Karzel) seine Frau genommen, sodass er wegen dieser "unheilbaren Wunde" wahnsinnig wird.

Aber auch ohne Kriege werden die Leute aus perverser Lust (an Hitler) wahnsinnig - wie in S.C.H.A.S.. Oder depressiv, wie Komponist Gerhard Schedl. (Fotos © Armin Bardel)


MUSEUMSQUARTIER - NEUE OPER WIEN HABEN DEPRESSION UND SINN FÜR WAHNSINN ETWAS MITEINANDER ZU TUN? - DAS LÄSST DIE BIOGRAFIE DES KOMPONISTEN GERHARD SCHEDL OFFEN, DESSEN TRIPTYCHON JOHANNES ERATH GROTESK INSZENIERT

Es ist interessant, dass Komponist Gerhard Schedl die hoffnungsvollste und dabei aber heimtückischste Oper seines Triptychons, Teil 1 Pierre et Luce, als letztes komponierte: nämlich 1990, während er Teil 3 S.C.H.A.S. 1989, und Teil 2 Kontrabaß schon 1982 geschaffen hat. Und das alles aber zehn Jahre, bevor er sich 2000 nach immer stärker werdender Depression das Leben nahm. Das zeigt doch, dass es in einem zur Melancholie geneigten Leben, immer wieder selbstmotivierte Hau-Rucks zum romantischen Lebenswillen gibt. Und das sollten sich ähnlich Veranlagte ganz groß vor Augen halten: nämlich dass es immer wieder aufwärts gehen kann.

Dass wir das überhaupt erwähnen, soll Künstlern, die sich im irrealen Zustand der Schaffensphase im Detail verlieren - und die damit auch den realistischen Halt, die Sicherheit verlieren -, das Gefühl geben, dass sie für ihren durchlaufenen Psycho-Trip geliebt werden; und was für sie noch viel wichtiger sein wird: dass sie darin auch verstanden werden. Nicht von allen Menschen - denn Leute, die "Ja" sagen, obwohl sie nichts verstehen oder empfinden, sind meist in der Überzahl. Diese Tatsache der realen Anerkennung als Wert, müßte dann auch der Anker sein, an dem sich der Künstler als sinnvolle Existenz innerhalb der Menschheit festmachen kann. Der Trip hat seinen Sinn, doch muß man daraus auch wieder erwachen können.

Kunst und Musik als Hoffnung und Kraftakt im Leben Gerhard Schedls

Die Schaffensreise und der hohe Anspruch an sich selbst sind bei einem Fantasie-Menschen wie Gerhard Schedl (geb: 05.08.1957 - Sternbild Löwe, gest. 30.11.2000) während der Komposition, nachvollziehbar komplex. Denn beides ist an seiner detailreichen, je nach Thema gezielt theatralen Musik zu hören. Wobei Schedl lange visionär zuversichtlich und bestimmt meint: "Dass das Experiment von Anfang an nicht meine Sache war, gebe ich zu, dass dagegen Kunst als utopisches Potential menschlicher Träume und Hoffnungen formuliert wird, dazu stehe ich." Die vorkommenden Gefühle in Triptychon, das als bitterböse Farce endet und als zartes Liebstraumspiel beginnt, erlebt Schedl in sich - wie gesagt - während des Komponierens umgekehrt.

Zugunsten des theatralen Themas pflegte Schedl musikalische Traditionen und brach sie wieder: mit "Lust am expressiven Klang, gesteigerter Dramatik, durchdachter Konstruktion, dem bewußten Experiment mit Zahlen, Intervallen, Symbolen, Techniken und dem plakativen Reiz emotionaler Darstellungsformen". Das zarte Lauschen in der Stille, das ungebändigte Aufschreien, der resignative Abgesang, die großen wilden pathetischen Gesten, die Schönheit des durchdachten Details . . . all das gibt es bei Schedl: "Es treibt mich an und zwingt mich, am weiten Material zeitgenössischer Ausdrucksmittel mich immer wieder neu zu versuchen", sagt er. - Musik, Kunst als Sucht und selbsthinterfragende Qual zugleich: um immer neue Geheimnisse darin zu entdecken, gibt sich dem der Künstler hin und wird sich dennoch immer nur auf eine Entscheidung beschränken können. Darauf, was er für sein aktuelles Werk verwenden kann. Mit der Entscheidung, fällt aber auch das Gefühl für das Große, die Energie auf einen Schlag in sich zusammen. Die Suche scheint viel wichtiger als das Ziel. - Diese Erkenntnis kann zu jener Depression führen, vor der sich alle Künstler fürchten.

Doch je intensiver der Betrachter und Hörer im Werk letztendlich noch die Energie des Antriebs ausmachen kann, desto größer ist wohl die Leistung des Künstlers, und war auch sein Kraftakt im Schaffungsprozeß, zu messen am persönlichen Einsatz, bei all den bewußt wahrgenommenen Möglichkeiten, "präzise" zu sein. - Diese Anstrengung, die bestimmt auch Gehirn und Seele des Menschen strapaziert, ist in Schedls Musik definitiv zu hören und zu spüren.

Triptychon - vom Romantikwillen zur Ohnmacht

Der erst 31-jährige deutsche Regisseur Johannes Erath hat die Trilogie für die Neue Oper Wien als Steigerung in die Ohnmacht angelegt, und das Publikum ist als passiv-sitzender Statist auf der Bühne live dabei. Es ist quasi Besucher eines Cafés an Tischen, wo es sogar Getränke serviert bekommt. Da, wo normalerweise im Museumsquartier, Halle G, die Zuschauerreihen sind, befindet sich die Zweitbühne, sodass der Zuschauer ab und zu auch wieder "Zuschauer" ist, wenn die Darsteller rüberwechseln. Zuerst, im romantischsten Stück Pierre et Luce: Die Osterlämmer, das in einer Art weißer Wolkenlandschaft spielt, mit weißen Kostümen und Tüchern, wo ein - mit verbundenen Augen - einander vertrauendes Liebespaar in Paris im ersten Weltkrieg zu Ostern in einer Kathedrale heiraten will. Nur dass der heranrückende Krieg seine Bombe platziert, womit das Glück von außen zerstört wird. Dementsprechend neigt die Musik zu romantisch-tonalem Klang intim-sphärischer Entrückung und wird darin ständig unterbrochen. So wie der Satz im Dialog des Paares suggeriert: "Vor der Auferstehung kommt das Sterben."

Der Untergang liegt also bereits im Glückszustand in der Luft, er ist nur, bis auf den Knall am Schluß, kaum zu erkennen, weil Isabel Marxgut und Alexander Kaimbacher, umgeben von weißen Vogelfedern, durchgehend hingegeben schwelgen. Das ist dramaturgisch und musikalisch - bei drei Streichern, Oboe, Klarinette, Horn(!) und Harfe(!) sogar ein wenig eintönig. So wie es puristisch-schön aufgemotzter Kitsch nun mal ist. Makabrer Weise.

Kontrabass mit übergroßer Wunde

Im Kontrabass kommt die Spannung in gesteigerter Abnormalität dagegen auf ihre Kosten. Das fängt damit an, dass Schedl typisch detailbesessen für seine jazzig-atonale Rhythmik eine völlig andere Instrumentation benutzt: 6 Vionloncelli, einen Kontrabass und Schlagwerk mit Pauken und Trommeln (Xylophon?). Begann das erste Stück in der Metro (unter den Zuschauern), so steht derselbe Ort nun für ein Bahnhofscafe - zu erkennen an Lautsprecher-Durchsagen -, wo sich das Pärchen Isabel Marxgut und Gernot Heinrich zum Frühstück trifft. Das ist nun schauspielerisch weniger lyrisch wie zuvor, als realistisch - und von beiden wirklich gut gespielt. Besonders Heinrich ist ein echter Sänger-"Schauspieler".

Getoppt wird sein Spiel nur vom diesbezüglich einschlägigen Profi Gerhard Karzel, der sich als Kontrabassist "Silbermann" in fein-säuberlichem Anzug zum jungen Paar setzt, und zwischen Irrsinn und Aufdringlichkeit unheimliche Atmosphäre verströmt. Er bestellt Kaffee für seine "Frau", die er während des zweiten Weltkriegs im Bombenhagel von Dresden verloren hat. Die Jungen halten ihn - bei gezogen-betrunkenen Tönen - für betrunken, begreifen in ihrer Naivität seine "Wunde" nicht, die aber so überdimensional im Raum steht, weil sich plötzlich vier weitere "Silbermanns" - alle mit anderem psychischen und körperlichen Leiden - zu den Zuschauern an die Tische setzen. Selbst die Kontrabassistin des amadeus-ensemble-wien, Caroline Menke, trägt das Kostüm Silbermanns. - Es herrscht in jedem beklommene Stimmung, sodass das Mädchen nur noch verstört weinen, der Junge vor Angst schreien muss.

S.C.H.A.S. als irrwitziges Mißtrauen auf die Menschheit

Im Stil des absurden Theater, wo Nonsense-Texte in rhythmischer Steigerung echte Gefühle ausdrücken, ist S.C.H.A.S. nach dem Gleichnis von H.C. Artmann Erlauben, Schas, sehr heiß bitte! angelegt. Und das ist nun so exzessiv schräg umgesetzt, und von Gernot Heinrich als Kellner so herausragend gelungen wahnsinnig gespielt, dass es schon wieder lustig ist. Selbst wenn anfangs Eugeniy Chevkenov als zigeunerisch-jüdischer Stehgeiger gleich klar macht, dass es hier auch um rassistische Degradierung geht. Wobei dieser Musiker vom Gast "Herr Lackl" (expressiv: Andreas Jankowitsch) im nun Wiener Lokal, als "jüdelach" wie ein Konsumobjekt, gleich dem Getränk "Schas mit Schlag", bestellt wird - Zitat: "Spiel, Jud, a Loch!"

Als nun noch ein Pärchen mit Namensmetaphern für Engel und Teufel herein kommt, eskaliert das Ganze, weil dem unwirschen Gast das Warten auf den Jud zu lang wird und er mit "Dolpherl", seinem Freund, droht, während daneben eine unwirsche Sexszene unter dem Pärchen, Gästen und vielen, wahnsinnigen Kellnern abrennt. - Kellner Josef treibt es etwa mit einer Kloschüssel. - Hitler steht als Ersatz für sexuelle Befriedigung und haltlosen Exzess - als Prinzip für die Schwäche des Menschen. Denn all diese triebgesteuerten Menschen beruhigen sich erst, als sie tatsächlich unisono im Hitlergruß dem Licht in einem Tunnel entgegen steuern: und da kommt dann der erlösende Hitler in Miniaturformat heraus getragen: als infantiles, lächelndes Kind.

Und das erschreckende Fazit nach alledem ist nun aber: je mißmutiger, pessimistischer und wahnsinniger die Musik und das Stück eines Gerhard Schedl wird, desto spannender und unterhaltsamer ist es für das Publikum. Wenn der Preis für diese Originalität aber echte Depression und Selbstmord bedeutet, kann es auch gerne anders laufen ... h.o./e.o


DAS URTEIL KOMPONIST SCHEDL AUF PSYCHOTRIP, ORIGINELL UND ERLEBNISREICH VON JOHANNES ERATH INSZENIERT UND VON STEFAN HEINRICHS AUSGESTATTET, STIMMIG VON WALTER KOBÉRA DIRIGIERT. - EIN UNTERHALTSAMER DEPRESSIONSEXZESS.

Friday, July 13, 2007

OPERETTE: "WIENER BLUT" IN MORBIDEM BUSENLAND VON MAXIMILLIAN SCHELL

Harald Serafin im Busen-Land: ob an jenem von Noemi Nadelmann ...

... oder im Angesicht jenes von Iva Mihanovic, ...

... die (hier mit Sohnemann Daniel Serafin) ja wirklich einen sehr hübschen hat, und die mit rotem Harr obendrein wieder einmal ganz der Typ vom Vater ist ...

... was ihn dennoch nicht daran hindert, in der Busenlaube ein Bruderschaftsschluckerl mit der Anderen zu trinken.


Doch in Zeiten, wo Napoleon durch Europa reitet ...

... sodass Fürst Metternich alles daran setzen muss, um die Fäden in den Händen zu halten, wonach alle Staatsherren - nach Giorgio Madias Choreografie - wie Marionetten tanzen, ...

... sind wahre Gefühle, für die Frau hinter dem Busen wichtiger als äußere Formalitäten. So geht Balduin Graf Zedlau (Rainer Trost) ...











... zurück zu seiner angetrauten Gabriele (Nadelmann), während Fürst Ypsheim-Gindelbach (Harald Serafin) seine Franziska Cagliari (Mihanovic) bekommt. (Fotos © Lichtstark.com)


SEEBÜHNE MÖRBISCH DER VERSUCH, NICHT AUSSCHLIESSLICH GUTE LAUNE ZU VERBREITEN, SORGT FÜR ZWIESPÄLTIGE GEFÜHLE. IM FERNSEHEN ZUMINDEST. MAXIMILLIAN SCHELL IST ALS REGISSEUR ABER SICHER WENIGER SEICHT ALS IN FERSEHSERIEN ALS SCHAUSPIELER

Sex und Morbidität - paßt das zusammen? Natürlich. Bei Visconti zum Beispiel. Aber bei einer Operette, dazu an einem Ort, wo man jene nur als "Feier der gediegenen Lebensfreude" kennt, sodass man erst mal mit dem Bruch der Erwartung zu kämpfen hat? Und noch dazu, wenn man das alles nur im Fernsehen übertragen sieht? - Weshalb der Kritiker sich nun in sein Gefühl als Privatperson zurück versetzt, als die er etwas ansah, ohne sich vorher allzu sehr mit dem Stoff befaßt zu haben:

Das Fernseherlebnis "Wiener Blut"

Ich bin kein allzu großer Maximillian-Schell-Fan. Bisher. Denn wie der Mann in deutschen Serien eingesetzt wird, ist an Banalität und Seichtheit nicht zu übertreffen. Gut, in den frühen Filmen war er ein außergewöhnlich schöner Mann, der darüber hinaus mit großer Leidenschaft spielte. Für seine Rolle als deutscher Anwalt in Das Urteil von Nürnberg (der brüllt wie die Leute aus Nazi-Tagen) hat er den Oscar bekommen, gut. Geschah zwar hauptsächlich wegen der politischen Aussage, wie immer bei Oscar-Verleihungen, es sei ihm jedoch vergönnt. Dass er nun seit Jahrzehnten von diesem Stempel zehrt, ist nicht ihm anzukreiden, sondern stupiden Journalisten, die ihn darauf reduzieren, sowie Marketingstrategen, die ihn damit als Werbe-Zugpferd benutzen. Aber er wird sich darüber schon bewußt sein, so sind eben die Spielregeln.

Nun macht er in Mörbisch mit Wiener Blut seine erste Operetten-Regie. Und da ist der Schell nicht oberflächlich. Er zeigt Lust am Angekränkelten. Bei einer Geschichte zu Metternich-Zeiten, wo ein Graf Zedlau (singt gut: Rainer Trost) aus Liebe geheiratet hat, seine Frau (Noemi Nadelmann) von ihm aber nichts wissen will, weil er angeblich zu langweilig sei, weshalb er bei diversen Mamsellen, Pepi (Renée Schüttengruber) und Franzi (dem Blickfang mit der anmutigen Haltung: Iva Mihanovic) - anfangs in einem außergewöhnlich schönen, zarten Kleid im Empire-Stil, das ihren Busen hervor quellen lässt -, verspielte Amouren in Wiener Atmosphäre auslebt. Bis alle drei Frauen zugleich auftauchen, womit die Geschichte beginnt. Nach dem obligatorischen Hin und Her, wo auch noch zwei andere Herren aus Kameradschaftstreue um die Frauen buhlen (Harald und Daniel Serafin), um kurzfristig Eifersuchtsgefühle zu mildern, warte ich nun gespannt auf das Ende, wer denn wohl mit wem zusammen kommen wird. Denn das mittendrin ist mir so bekannt und fad, weil ich es schon hundertmal in hundert anderen Oper/etten gesehen habe.

Karge Bühne, subtil-theatrale Tanzszenen

In diesem Handlungsdazwischen, fällt mir aber nun die Kargheit der Bühne auf, wie ich sie von Mörbisch her wirklich nicht kenne. Meistens singt ein Mensch alleine im großräumigen Nichts zu einem Zweiten. Umso wichtiger sind die sporadischen, gezielt eingesetzten Menschenmenge-Auftritte. Das Ballett, das sonst hauptsächlich Schmuck und Beiwerk ist, gewinnt so an inhaltlichem Stellenwert, wenn es nicht überhaupt für die atmosphärisch wichtigen Politik-Konnotationen - die kritische Aussage des Werks - zuständig ist. Choreograf Giorgio Madia - der sowohl die üppige Linie, wie die klar-fragile und die ironisch-zweideutige beherrscht - hat also auch für die Mörbischer Festspiele diesmal in den stärksten Szenen theatral-ironisch gearbeitet. Wie in jener Szene, wo Metternich (Freddy Schwardtmann) vor einer Riesen-Europa-Karte als Marionettenspieler die Staatsherren-Tänzer dirigiert, die in ausgeklügelten, disharmonischen Puppen-Bewegungen ein harmonisch-ironisches Ganzes ergeben. Leider stören die Schnitte von Gesichts-Großaufnahmen diese vollendete Abfolge, sodass sich nur erahnen lässt, wie das in Natura ausschauen muss. Ebenso ist es bei einem Tanz mit Taschenlampen, wo man nicht sehen sollte, dass sich da Menschen bewegen, die Kamera jedoch zu nah dran ist.

Sex in Busenlandschaft

Und dann wäre da noch die Erotik, die bei all den verstreuten Phallus- und Sexsymbolen auf der Bühne fast aufkommen muss: ja, ich muss sagen, was da an Subtilitäten, Körperspiel und Begehren abgeht, ist richtig ansteckend. Harald Serafin kommt auf seine fortgeschrittenen Tage noch einmal auf seine Kosten, sei es auf einem Ringelspiel und in einer Aphrodisiakum-Laube, die sich in einem Friedhofsgrab verbirgt. - So viel zur Morbidität von Maximillian Schell. Für diesen Mut, bekommt er meinen vollen Respekt. Ob er das nun auf die historische Zeit von damals oder auf das österreichische Jetzt bezieht? - Wahrschenlich beides. Denn derzeit ist ja das "Wiener Blut" vieler Leute psychisch krank. Morbidität steckt aber auch im Stück selbst, mit Alexander Grills melancholischem Lied, "Des Glick is a Vogerl, es lässt sich schwer fangen, aber weggflogen is´s glei". Und trotz dieser unruhigen Gedanken, in unentschiedener Haltung, ob es mir nun gefällt oder nicht, weil ich Opern-Theater-Fernsehübertragungen prinzipiell mißtraue - ungefähr da, nachdem Napoleon eingeritten ist, schlafe ich ein. Es scheint sich im zweiten Teil irgendwie alles ausgedehnt zu haben, indem gerade wieder nur zwei Leute um einander r/singen.

Und so wache ich am nächsten Morgen mit der Frage auf: wer hat denn nun wen bekommen? Ich schätze der Verheiratete seine Angetraute, die Pepi den Daniel Serafin und Franzi den Harald Serafin - er hat sich als Intendant wahrscheinlich noch einmal seine derzeitige Traumfrau zugeteilt: die Frau mit dem schönen Busen und dem roten Haar: Iva Mihanovic. Wenigstens einer, der sich seine Träume zu erfüllen weiß ... e.o.


DAS URTEIL ALS FERNSEHÜBERTRAGUNG IST WIENER BLUT NICHT SPANNEND GENUG, ALS DASS MAN NICHT IRGENDWANN EINSCHLÄFT. DA WAR VIEL SEX UND MORBIDES, VIEL LANGATMIGES UND DIE SCHÖNSTE TANZSZENE VERSCHNITTEN. AM BESTEN IN NATURA ANSCHAUEN UND SELBST ÜBERZEUGEN!

OPERETTE Wiener Blut * Von: Johann Strauß * Regie: Maximillian Schell * Dirigat: Rudolf Bibl * Choreografie: Giorgio Madia * Ausstattung: Rolf Langenfass * Mit: Harald Serafin, Fritz Hille, Rainer Trost, Christian Zenker, Sebastian Reinthaller, Noemi Nadelmann, Ursula Pfitzner, Jessica Glatte, Freddy Schwardtmann, Margareta Klobucar, Cornelia Zink, Alexander Grill, Iva Mihanovic, Renée Schüttengruber, Wolfgang Gratschmaier, Daniel Serafin, Helmut Wallner * Ort: Seebühne Mörbisch * Zeit: 12.7. - 26.8. 2007: 20h30-23h30

Tuesday, July 10, 2007

MUSIK: THEATRALES KLEZMERHIGHLIGHT - "DANIEL KAHN & THE PAINTED BIRD"

Starkes Bewußtsein für Bert Brecht: the angry, young man: Akkordeon-, Gitarre-, Klavier-, Sänger-Schau-Spieler Daniel Kahn ...

... seine drei Mitspieler im Theater-Gesangs-Epos: Bert Hildebrandt (Klarinette), Michael Tuttle (Upright Bass), Hampus Melin (Schlagzeug).













Daniel Kahn ist die männliche Lotte Lenya mit starkem Bewußtsein für Unrecht in der Welt, Nazis und Judentum. (Foto © Pierre Kamin)



THEATER IM NESTROYHOF - KLEZMORE-FESTIVAL EIN SCHAUSPIELER MIT PERFEKTEM ACTOR-ENGLISH UND BRECHTSCHEM VERFREMDUNGSKLEZMER EROBERT WIEN

Daniel Kahn & The Painted Bird lieferte als berlin-amerikanische Band mit ihrem Chansonnier-Leader die mit Abstand theatral ausdrucksstärkste Performance beim Wiener Klezmer-Festival. Daniel Kahn aus Detroit - ausgebildeter, mehrfach ausgezeichneter Schauspieler, Regisseur, Theaterautor und Poet - entwickelte im Sinne Brechts eine Art "Verfremdungsklezmer": radikales jüdisches Lied gemischt mit Punk-Kabaret, Gothic American Folk, sowie makabrem Klezmertanz. Seine in Berlin gegründete Band mit amerikanischen und deutschen Top-Musikern besteht seit 2005.

So erklärt sich der starke Bert-Brecht-Kurt-Weill-Charakter, direkt auch durch dessen neu interpretierte Lieder. In jedem Song schwingt gleichzeitig das Bewußtsein für die Geschichte der Juden mit. Mit klarer, offener Stimme, singt Kahn im Wechsel innerhalb eines Liedes in gepflegtestem Schauspieler-Englisch und dann wieder im echtesten Shtetl-Jiddisch, sodass seine Textpassagen atmosphärisch jeweils anders authentisch wirken. Nach der CD-Titelnummer The Broken Tongue, anmoderiert als "Hochzeitsmusik fürs Begräbnis", spricht Kahn im Wiener Nestroyhof von der "Ehre, in diesem Theater zu spielen, bzw. im Keller. Sie haben uns im Keller versteckt. Es ist unmöglich, hier nicht an die Geschichte zu denken", worauf ein aufmüpfig-leidenschaftliches Klagelied, in schnell-langsamem Wechsel von Akkordeon und Klarinette, Sprechgesang und Gesangsmelodie einsetzt.

Kurt Weill & Lotte Lenya in Daniel-Kahn-Version

Danach das Weill-Brecht-Lied aus den zwanziger Jahren Denn wovon lebt der Mensch? mit dem Schlagsatz der Armen: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral". Jedes Instrument ist dem theatralen Gedanken unterworfen und "tönt" selbst wie ein weiterer Schauspieler, der mit Kahn ein Stück lebt. Jedes Lied ist eine geschlossene Welt für sich. Und doch ist es schlüssig, wenn das grotesk-schwere Liebeslied plötzlich ganz leicht wird, worin ein Mann als Jude zu einer Frau als Nicht-Jüdin sagt, "ich kann dir mein Lebn nicht vergessn, weil ich hab dich lieb"; oder wenn ein zynisch-makabrer Politsong in langem Vorspiel nur aus A-capella-Passagen besteht, worin sich Kahn als "Vorbeter" und die drei Bandmitglieder als "Antwort-Schar" erweisen, was dann in rhythmisch immer schneller und lustiger werdendem Tempo endet, um den textlichen Sinn zu konterkarieren: "Dem deutschen Keiser dienen ist niet gud, allen Keisern dienen ist niet gud, weil sie tun sich baden in unsrem Blud."

Anregend intelligent und konfrontativ männlich, folgt darauf das metaphorische Lied vom sinkenden Schiff, das der Kaptain bereits verlassen hat, wo nur noch Ratten hausen. Es spitzt sich zu rasend schnellem kurzatmigem Spiel der Klarinette zu, als befände sich auf dem Schiff auch noch ein hüpfendes, hämisch lachendes Teufelchen. - Dieses Konzert ist selbst im Internet nachzuhören, extrem spannend. Als wäre "die männliche" Lotte Lenya wieder auferstanden, deren Stimme im Kampf gegen die Faschisten schrill kreischt: "Ich muss sie (Anm.: die Faschisten) küssen, wo ich sie treffe!" - um zu überleben. e.o./a.c.


DAS URTEIL LOTTE LENYA LEBT IN MÄNNLICHER FORM UND IN VERFREMDETEM KLEZMER WEITER. ABSOLUT HÄMISCH, ABSOLUT STARK!

Wieder live zu hören und zu sehen im Rahmen des Akkordeonfestivals 2008:
KONZERT Daniel Kahn & The Painted Bird * Special Guest: Geoff Berner / Emigrantski Raggamuffin Kollektiv: Rotfront / DJ Yuriy Gurzhy * Im Rahmen des Akkordeonfestivals * Ort: WUK Saal * Zeit: 1.3.2008: 20h (Einlaß 19h)

Zum Nachhören des Festivals gehen Sie auf folgenden Link:
http://emap.fm/klezmore.html

Monday, July 09, 2007

MUSIK: VIRTUOSES KLEZMERHIGHLIGHT - DAS "LERNER Y MOGUILEVSKY DUO"

Marcelo Moguilevsky spielt auf einem Niveau Klarinette, Sopransax, Mundharmonika, Flöte und Maultrommel, dass einem der Atem stockt. Akkordeonist und Pianist Cesar Lerner ist sein exaktes Pendant auf gleichem Niveau. (Fotos © Lerner Y Moguilevsky Duo)


KIRCHE GAUSSPLATZ - KLEZMORE FESTIVAL AN VIRTUOSITÄT VON KEINER KLEZMER-BAND ZU ÜBERBIETEN: DAS LERNER Y MOGUILEVSKY DUO AUS ARGENTINIEN

Ein jazzig-romantisches Piano, eine besinnliche Klarinette beginnen leise und geisterhaft. Klänge der Grandezza - dass hier etwas Konzerthaus-taugliches vor sich geht, erkennt man sofort! Da gehen zwei Spitzenmusiker auf sensibelste Weise aufeinander ein, leiser dann lauter, aber nie laut. - Das argentinische Duo Cesar Lerner und Marcelo Moguilevsky, dessen Eltern einst aus Polen und Russland nach Argentinien einwanderten, wo es sich zur Musik von historischer Dimension mit unnachahmlicher Eigenheit und Fragilität perfektioniert hat.

Vielleicht liegt es ja an der Kirche, hier am Gaußplatz im zweiten Wiener Bezirk, warum diese Musiker so andächtig miteinander umgehen. Selbst wenn sie tatsächlich eher zeitgenössischen Klassik-Klezmer spielen, bestehend aus einem atonalen Klavier, das filmische Atmosphäre verströmt, und einer rudimentär jiddischen Klarinette, die klanglich nie aufbäumend oder schrill wird - wie normalerweise der lebensfreudige Klezmer in seinen Höhepunkten ausartet. Vielleicht ist hier aber auch nur der argentinische Klezmer heraus zu hören, des Landes mit dem Tango.

Klezmer-Cowboy pfeift durch Prärie Argentiniens

Ungewöhnliche Harmonien ergeben gebrochene Melodien mit unerwartenden Übergängen, wenn Moguilevsky zärtlich und leise und doch ganz schnell spielt; Seine Blastechnik ist neu, wenn er mit seiner Holzflöte, Gaita genannt, ein "Vogelgezwitscher" anstimmt. - Eines von zehn Instrumenten, die der schwarzhaarige Intellektuelle spielt, als das ihm auch sein Mund und seine Stimme dienen. Tief flüsternd sagt er: "Wir waren gerade in Buenos Aires, dann in Krakau, jetzt sind wir das erste Mal in Wien."

Er musiziert jetzt mit der Mundharmonika, Lerner begleitet ihn mit seinem Zweitinstrument Akkordeon. Beide beherrschen jedes Instrument gleich perfekt - auch das ist selten. Sie scheinen eine Geschichte aus Noten zu erzählen. Das ist Musik als Sprache für sich selbst. Plötzlich steigert sich Moguilevsky in kurzatmiges Japsen, er saugt wie ein Erstickender Luft gierig-schnell aus und ein. - Ein subtiler KLezmer. Vielleicht ist es der Klezmer eines Cowboy-Argentiniers auf dem Ritt durch die Prärie. Besonders jetzt, wo der dunkelhäutige Kerl auch noch eine Art Spiel mir das Lied vom Tod pfeift, allerdings auf höchstem, akademischem Niveau, unheimlich-leise, jiddisch-sanft, melancholisch, anwachsend zu Wehmut: als die Gaita die Lippen ersetzt, einstimmend zum jazzig-mexikanischen Hirtenflöten-Lied, das wieder in brillant-behutsamem Pfeifen mündet.

Ein verlorener Mensch versteckt sich gerne hinter der Flöte

"Wir improvisieren bei jedem Konzert, um unser Erbe wieder und wieder neu zu erfinden", sagt einer von ihnen, "wir ändern uns mit jedem Konzert, in jedem Ort." Demnach wirkt sich die Kirche also wirklich besinnlich aus. Doch jetzt, beim Spiel der Handtrommel zur Gaita denkt man wieder: Hätten die Indianer Jazz gespielt, dann hätte das wohl so geklungen. Jede Leidenschaft genau kalkuliert, schießt sie Moguilevsky radikal, messerscharf und kurz, plötzlich und präzise durch die Melodie, kein Ton kommt zufällig, bevor der Rhythmus - das einzig Typische für Klezmer - immer schneller wird.

Dann singt der Blas-Gesegnete auch noch zum Klavier, in sanfter, tiefer Stimme - ein argentinisches Lied in spanischer Sprache - die wieder durch Flöte ersetzt wird. - Piano-Flöte, die schönste Instrumentenkombination, auch, als in der folgenden Komposition die Gaita wie eine Panflöte klingt, abrupt wechselnd von extrem stark, schneller, langsam, ganz langsam, durchschnitten von ausgespuckten, harten Tönen, die wieder gezogen und verschmiert in einander fließen. Fast schizophren ist das. Wunderschön. Als versteckte sich da hinter der Flöte ein verlorener, unruhiger Mensch, der sich jedoch sicher ist, was er tut. Weil ihm die Sicherheit zu verlieren in verhaltener Exzentrik gefällt.

Müde Männer in überirdischen Gefilden

"Wir sind schon müde", sagt einer von ihnen nach 45 Minuten, "manchmal wird dir alles zu viel". Viel reden sie nicht. Müssen sie auch nicht. Sie sind so überirdisch eingespielt aufeinander, hören einander mit so großer Einfühlung zu, dass dieser Zauber jedes Wort unwichtig werden läßt. Vielleicht sind sie auch so gut, weil sie gerade so müde sind. Als Kapitulation vor dem Leben, in demütiger Größe.

Mit 1h15 war das wahrscheinlich das kürzeste Konzert: eine Gourmetküche sozusagen. Und anders als sonst, hat man danach keine Lust auf Deftiges, sondern will mehr davon! Das ist selten. Als Dessert gibt es ein extrem schräges Maultrommel-Akkordeon-Spiel, wozu die Bass-Klarinette einsetzt. Sowie ein echtes Klezmer-Stück, mit einer "lachenden" Karinette, beschwingtem Rhythmus als Refrain, und hämisch erzählerischem Mittelteil. Die Reaktion der Gäste: Standing Ovations. - Übrigens das erste Mal in Friedl Preisls Geschichte der Festivalorganisation. e.o.


DAS URTEIL DIE ARGENTINIER SIND NICHT NUR IM TANGO DIE ANSPRUCHSVOLLSTEN MUSIKER, SONDERN AUCH IM KLEZMER - ANBETUNGSWÜRDIG!

Wieder live zu hören im Rahmen des Akkordeonfestivals 2008:
KONZERT LERNER Y MOGUILEVSKY DUO * Im Rahmen des Akkordeonfestivals * Ort: Szene Wien * Zeit: 4.3.2008: 20h

Zum Nachhören des Festivals gehen Sie auf folgenden Link:
http://emap.fm/klezmore.html