... während seine Freundin (Anna Dennis mit Kamera) die Museumsleute ablenkt, klaute er ...
... denn er ist wie jeder Mensch von heute beziehungsunfähig und dafür kauf- und sammelsüchtig. (Fotos © Alastair Muir)
WERKSTATTBÜHNE - BREGENZER FESTSPIELE JOHN FULLJAMES INSZENIERT DIE BRANDNEUE, THEMATISCH ORIGINELLE OPER THE SHOPS VON THE OPERA GROUP DYNAMISCH, ABER OHNE GLANZPUNKTE
Wenn die britische Oper in einem vorbildhaft sein kann, so ist das die Motivation von Autoren und Komponisten, neue Werke zu schreiben, während in Europa bzw. Österreich der Repertoirepflege bei unterschiedlicher Regie gehuldigt wird. Die Themen junger Urheber wie von The Opera Group sind dabei neu, was auch eine neue Werkform bedingt. Während sich die Oper in früheren Zeiten um Liebe und Macht drehte, treten Beziehungen und Politik in den Hintergrund, um innerpsychische und wirtschaftsmanipulative Vorgänge des Individuums zu durchleuchten. - So wird die Oper zur direkten Antwort auf die Probleme unseres heutigen Alltags, wo nicht mehr für das große Gemeinsame gelebt wird, sondern ausschließlich für die eigene maßlose, objektbezogene Befriedigung. Das zeigt die Koproduktions-Uraufführung mit den Bregenzer Festspielen The Shops in der Regie von John Fulljames in der Werkstattbühne allzu gut.
Phänomenologische Ausgangsbasis
Mit der Konzentration auf das Phänomen der Kaufmanie und Sammlerbesessenheit bis zum Diebstahl in wissenschaftlicher Herangehensweise gibt die in Bern geborene Librettistin Dagny Gioulami die verdichtende Struktur für Musik, Bühne und Ästhetik vor: die Musik des 35-jährigen Briten Edward Rushton ist typische Neue Musik, wo die der Erzählung untergeordneten Sänger als teamorientierte Ensembleleistende eher in einer Tonhöhe atonal sprechen als singen, unterbrochen durch wenige, dramaturgisch bedingte, beschwingt-harmonische Gruppennummern, die ironisch zur Andeutung einer psychischen Kollektivdeformierung eingesetzt werden. Durchgehend präsente Rieseneinkaufstüten auf der Bühne stehen zeitgleich für die Schauplätze Museum, Gerichtssaal/Gefängnis, Laden und Zuhause des Diebes Schmalhans. Einerseits hat Soutra Gilmour damit einen witzig-grotesken Eyecatcher gefunden, andererseits ermöglicht das permanente Bühnenbild schnelle Ortswechsel und Handlungssprünge in Vor- und Rückblenden auf parallelen Schauplätzen, sodass der Erzählrhythmus dynamisch und kompakt ist.
Alle Menschen als kommerzverseuchte Sammler
Gezeigt werden sechs Hauptfiguren, die alle etwas sammeln und miteinander verstrickt sind: Christoph Schmalhans (Darren Abrahams) ist ein Briefmarken-sammelnder Dieb mit gezielter Jagd auf die "Blue Honolulu", dem die dem Kleiderkaufrausch verfallene Francesca hilft, indem sie für ihn die Museumswärter ablenkt, wonach er sie mit Geld bezahlt, sodass sie sich wieder Kleider kaufen kann, wissend: "Die Kleider befriedigen mich nur im Geschäft, und nachher kann ich sie nie tragen." Gleich anfangs steht Schmalhans vor Gericht, im Rückblick wird er im Museum auf frischer Tat ergriffen, da ihm ein Journalist (Paul Reeves) in Pension auf der Spur war, der in manischer Ehrfurcht ein kaum gelesenes Special-Interest-Medium namens "Wasserzeichen" führt, das er viel mehr liebt, als die Medien zu seinen Broterwerbszeiten. Schmalhans´ Mutter ist eine Hausfrau, die Müllsäcke und dergleichen kauft und die Briefmarken ihres Sohnes ins Klo schüttet, als sie erfährt, dass er verhaftet wurde. Die Kriminalpsychologin Cordula Wagner (Louise Mott) neigt dazu, vorschnell psycholgische Ateste für Schmalhans Klaugründe zu stellen - worauf er meint: "Und für diesen Scheiß werden sie so gut bezahlt?" Und sie: "Jetzt kaufe ich mir gleich eine Tasche, denn ich habe sie mir verdient." - Womit auch der Wert eines anerkannten Jobs und das Gefühl von Befriedigung dabei hinterfragt werden. Und schließlich wird Schmalhans ein echter Sammler gegenüber gestellt, der die Kunstwerke seines sammelnden Vaters übernommen hat und den Ablauf von Kaufen und Verkaufen wie ein Investmentbanker betreibt. - Was wiederum die Debatte von Kunst und Museen als Ware eröffnet.
Subtiler Witz in britischem Understatement
Sehr subtil und unterhaltsam genau gemacht ist die nicht zu unterschätzende Choreografie von George Lamb. Die erste Szene, wo alle Figuren als unisono aufgereiht singen und plötzlich wie zufällig eine einheitliche, superkurze Fußbewegung machen, ist mit britischem Understatement zum Schießen komisch und sagt doch alles über die verbindenden Obsessionen, die alle Menschen im Kapitalismus-Zeitalter eint. Selbstironisch nimmt sich der Librettist nicht aus, indem er einen Darsteller - die Theaterillusion brechend - einen Brief vortragen läßt, worin er zugibt, für diese Geschichte geklaut und gekauft zu haben, wonach er dem Publikum vor der Pause wünscht: "Und jetzt kaufen auch Sie sich etwas Schönes an der Bar." Der Unisono-Aufruf zur moralischen Selbsthinterfragung, "Glaubst du, du könntest alle deine Besitztümer Menschen geben, die nichts haben?" als harmonische, herausgegriffene, rhythmisch choreografierte Liednummer hat schließlich als Höhepunkt doppelbödigen Charme, indem sie einerseits schwungvoll unterhält, andererseits betroffen macht.
Obwohl das alles griffig und schlüssig durchgearbeitet ist - einschließlich der ambitionierten musikalischen Wiedergabe von Dirigent Patrick Bailey und seines zehnköpfigen The Opera Group Ensembles mit fünf Klarinetten, drei Streichern und Percussion -, geht dieses Werk dennoch nur als besserer Durchschnitt durch - da kein Moment künstlerisch und emotional herausragend wirkt. e.o./j.o.
Wenn die britische Oper in einem vorbildhaft sein kann, so ist das die Motivation von Autoren und Komponisten, neue Werke zu schreiben, während in Europa bzw. Österreich der Repertoirepflege bei unterschiedlicher Regie gehuldigt wird. Die Themen junger Urheber wie von The Opera Group sind dabei neu, was auch eine neue Werkform bedingt. Während sich die Oper in früheren Zeiten um Liebe und Macht drehte, treten Beziehungen und Politik in den Hintergrund, um innerpsychische und wirtschaftsmanipulative Vorgänge des Individuums zu durchleuchten. - So wird die Oper zur direkten Antwort auf die Probleme unseres heutigen Alltags, wo nicht mehr für das große Gemeinsame gelebt wird, sondern ausschließlich für die eigene maßlose, objektbezogene Befriedigung. Das zeigt die Koproduktions-Uraufführung mit den Bregenzer Festspielen The Shops in der Regie von John Fulljames in der Werkstattbühne allzu gut.
Phänomenologische Ausgangsbasis
Mit der Konzentration auf das Phänomen der Kaufmanie und Sammlerbesessenheit bis zum Diebstahl in wissenschaftlicher Herangehensweise gibt die in Bern geborene Librettistin Dagny Gioulami die verdichtende Struktur für Musik, Bühne und Ästhetik vor: die Musik des 35-jährigen Briten Edward Rushton ist typische Neue Musik, wo die der Erzählung untergeordneten Sänger als teamorientierte Ensembleleistende eher in einer Tonhöhe atonal sprechen als singen, unterbrochen durch wenige, dramaturgisch bedingte, beschwingt-harmonische Gruppennummern, die ironisch zur Andeutung einer psychischen Kollektivdeformierung eingesetzt werden. Durchgehend präsente Rieseneinkaufstüten auf der Bühne stehen zeitgleich für die Schauplätze Museum, Gerichtssaal/Gefängnis, Laden und Zuhause des Diebes Schmalhans. Einerseits hat Soutra Gilmour damit einen witzig-grotesken Eyecatcher gefunden, andererseits ermöglicht das permanente Bühnenbild schnelle Ortswechsel und Handlungssprünge in Vor- und Rückblenden auf parallelen Schauplätzen, sodass der Erzählrhythmus dynamisch und kompakt ist.
Alle Menschen als kommerzverseuchte Sammler
Gezeigt werden sechs Hauptfiguren, die alle etwas sammeln und miteinander verstrickt sind: Christoph Schmalhans (Darren Abrahams) ist ein Briefmarken-sammelnder Dieb mit gezielter Jagd auf die "Blue Honolulu", dem die dem Kleiderkaufrausch verfallene Francesca hilft, indem sie für ihn die Museumswärter ablenkt, wonach er sie mit Geld bezahlt, sodass sie sich wieder Kleider kaufen kann, wissend: "Die Kleider befriedigen mich nur im Geschäft, und nachher kann ich sie nie tragen." Gleich anfangs steht Schmalhans vor Gericht, im Rückblick wird er im Museum auf frischer Tat ergriffen, da ihm ein Journalist (Paul Reeves) in Pension auf der Spur war, der in manischer Ehrfurcht ein kaum gelesenes Special-Interest-Medium namens "Wasserzeichen" führt, das er viel mehr liebt, als die Medien zu seinen Broterwerbszeiten. Schmalhans´ Mutter ist eine Hausfrau, die Müllsäcke und dergleichen kauft und die Briefmarken ihres Sohnes ins Klo schüttet, als sie erfährt, dass er verhaftet wurde. Die Kriminalpsychologin Cordula Wagner (Louise Mott) neigt dazu, vorschnell psycholgische Ateste für Schmalhans Klaugründe zu stellen - worauf er meint: "Und für diesen Scheiß werden sie so gut bezahlt?" Und sie: "Jetzt kaufe ich mir gleich eine Tasche, denn ich habe sie mir verdient." - Womit auch der Wert eines anerkannten Jobs und das Gefühl von Befriedigung dabei hinterfragt werden. Und schließlich wird Schmalhans ein echter Sammler gegenüber gestellt, der die Kunstwerke seines sammelnden Vaters übernommen hat und den Ablauf von Kaufen und Verkaufen wie ein Investmentbanker betreibt. - Was wiederum die Debatte von Kunst und Museen als Ware eröffnet.
Subtiler Witz in britischem Understatement
Sehr subtil und unterhaltsam genau gemacht ist die nicht zu unterschätzende Choreografie von George Lamb. Die erste Szene, wo alle Figuren als unisono aufgereiht singen und plötzlich wie zufällig eine einheitliche, superkurze Fußbewegung machen, ist mit britischem Understatement zum Schießen komisch und sagt doch alles über die verbindenden Obsessionen, die alle Menschen im Kapitalismus-Zeitalter eint. Selbstironisch nimmt sich der Librettist nicht aus, indem er einen Darsteller - die Theaterillusion brechend - einen Brief vortragen läßt, worin er zugibt, für diese Geschichte geklaut und gekauft zu haben, wonach er dem Publikum vor der Pause wünscht: "Und jetzt kaufen auch Sie sich etwas Schönes an der Bar." Der Unisono-Aufruf zur moralischen Selbsthinterfragung, "Glaubst du, du könntest alle deine Besitztümer Menschen geben, die nichts haben?" als harmonische, herausgegriffene, rhythmisch choreografierte Liednummer hat schließlich als Höhepunkt doppelbödigen Charme, indem sie einerseits schwungvoll unterhält, andererseits betroffen macht.
Obwohl das alles griffig und schlüssig durchgearbeitet ist - einschließlich der ambitionierten musikalischen Wiedergabe von Dirigent Patrick Bailey und seines zehnköpfigen The Opera Group Ensembles mit fünf Klarinetten, drei Streichern und Percussion -, geht dieses Werk dennoch nur als besserer Durchschnitt durch - da kein Moment künstlerisch und emotional herausragend wirkt. e.o./j.o.
DAS URTEIL NEUES THEMENFELD INNERHALB DER OPER. WITZIGE STORY MIT BRITISCH INTELLEKTUELLEM HUMOR. IN SICH GESCHLOSSENE, RHYTHMISCHE UND DICHT VERWOBENE HANDLUNG UND MUSIK. ABER OHNE KÜNSTLERISCHES HOCH-MOMENT.