Karmen (Vaska Jankovska) wird von zwei barden-duellierenden Trompetern umworben: von Polizei-Blaskappellenchef Emilio (Dalibor Lukic) und von Onkel Fuad Kostic (Bokan Stankovic).
Davon gibt es selbstverständlich eine CD, weil Bregovic selbst auf der Opernbühne ein Konzert-Komponist bleibt, der lediglich inhaltlich fortlaufende Lieder schreibt ...
THEATER AN DER WIEN GORAN BREGOVIC LÄSST IM BÜRGERLICHEN ETABLISSEMENT DIE SAU RAUS UND IST MIT HURE KARMEN UND ZUHÄLTER CEAUSESCU DENNOCH AUF NIVEAUVOLLEM TERRAIN: WEIL ER MIT KARMEN WITH A HAPPY END DIE ZYNISCHE WAHRHEIT UNSERER ZEIT OFFENLEGT
So ein Jux. Ja, Goran Bregovic macht sich einen Jux aus dem Genre Oper, und er hat damit vollkommen recht. Weil das die einzige Art ist, die zu ihm, seiner Musik, seiner Identität paßt, sodass sein kühnes Rockprojekt von der Bizet-Carmen-Adaption mit Titel Karmen With A Happy End als "einzige Oper, die wir Zigeuner haben" auch aufgehen muß. Das bespickt er mit einer höchst persönlichen, bitter-zynischen Kritik bezüglich des jetzigen westlichen Show- und TV-Biz. Hut ab, vor dieser Komplexität an Spott und Ironie, was für einen in unserer Zeit so raren echten und starken Charakter steht. Dass mancher Carmen-Nostalgiker vorzeitig das Theater an der Wien verließ, weil er das alles offensichtlich nicht begreifen wollte, um sich seine Festgefahrenheit zu bewahren, ist umso bedauernswerter. Es beweist in doppelter Sarkastik, dass künstlerische Wahrheit für viele "bessere" Menschen ein von Vormachern geleiteter Wert, wenn nicht ein Fremdwort ist.
Opernverarschung mit Stil
Dennoch blieb das bürgerliche Theaterhaus an der Wienzeile gesteckt voll. Es liegt an den anderen vielen Menschen serbokroatischen Hintergrunds sowie an den vielen Fans, die der "balkaneske Popmusiker" Goran Bregovic seit seiner Emir-Kusturica-Filmvertonung für sich verbuchen kann. Für all jene Besucher ist die profane Art, Oper zu spielen, auch gar nichts Neues, weil sie wahrscheinlich weder je eine sahen, noch kennenlernten. Das, was sie hier sehen, ist für sie "ein gewohntes Balkankonzert aus Liedern", wo einfach eine Nummer nach der anderen eine fortlaufende Geschichte erzählt. Als Spott auf den elitären Theaterverlauf des Opernwestens, umgekehrt aber auch in respektvoll huldigender Anlehnung auf die folkloristische Tradition des östlichen, "zigeunerischen" Mugam, wird die Geschichte verstärkend und einleitend vorab des melodischen Teils von - aus dem Publikum auftretenden und redenden - Musikern aus dem Bregovic-Orchester geschildert. Diese Story hat es in sich, denn sie treibt die vielen Namen, die der Besucher für gewöhnlich in der "akademischen" Oper lesen muss, um überhaupt mitzukommen, samt der obligatorisch verstrickten Handlung, verdoppelnd und verschachtelnd auf die Spitze. - Auf der Übertitel-Tafel steht, dass man sich vor dem Start die Inhaltsangabe durchlesen soll. Das ganze Ereignis ist damit auf doppelbödige Weise reinste Anarchie zulasten kultureller Instititutionsmacht, zugunsten eines erstarkenden Minderheitenbewußtseins, indem jede konventionelle Form parodiert, und die Ausbeutung des armen Volkes demonstriert wird. Dabei wollen "die Armen" über das Zigeunertum hinaus allgemein verstanden werden, sodass sich wiederum jeder Durchschnittbürger dieser Erde angesprochen fühlen kann. Und in diesem gezogenen Bogen - von der kleinen Minderheit zur großen "Bemindert-sein-heit" -, darin liegt die künstlerische Leistung des Goran Bregovic. Abgesehen davon fetzt seine Musik mit sechs Bläsern (darunter der geniale Saxofonist Stojan Dimov), den zwei Trommlern und sporadischem Akkordeon. Sie fährt einfach unter die Haut.
Von der grotesken Zuhältergeschichte ...
In dieser Geschichte ist Karmen "eine Hure mit der Stimme einer Jungfrau", die gleichzeitig in der Wahrsagerin Kleopatra steckt, die in einer Fernsehshow Leuten ihr Glück prophezeit - beides besetzt mit Vaska Jankovska, die tatsächlich spielt wie eine dümmlich-naive Hure und die die hell-klare Engelsstimme einer Jungfrau besitzt. Insider kennen sie als Bregovics Haupt-Solosängerin in der Wedding And Funeral Band. Ihr Liebesgegenüber ist der Müllmann Bakia bzw. dessen Trompete-spielende Onkel Fuad (Bokan Stankovic - ebenfalls bekannt aus der Band), den Kleopatra am Telefon als Nena, die Stripperin, verführen will. Kleopatra ist das ganze Stück über auf der Suche nach Bakia und Fuads Musikern, weil sie eine Show mit Fuads Musik machen will. Im Auto reist sie durch Europa. Sie stößt auf das Doppelbegräbnis von Onkel Fuad neben der nicht weit liegenden, an Aids verstorbenen Karmen. Und als Highlight der zynischen Groteske versteckt sich hinter dem Mann, der Karmen eine Karriere als Sängerin versprach, um sie aus ihrem sicheren Job in der Tabakfabrik zu locken und am "Bahnhof" auszunehmen, ein Zuhälter namens Ceausescu: der charismatische und körperlich Höchstes leistende Trommler Alen Ademovic. - Eine klare Anspielung auf (nicht nur künstlerisch) prostituierende Castingshows und parallel eine politische Anklage gegenüber der rumänischen Führungsmacht im Land mit den meisten Zigeunern (Roma).
Goran Bregovic steht selbst auf der Bühne: Er gibt sich den selbstironischen Part des "Brega", Schlagzeuger in Fuads Orchester, der außerdem als Rezeptionist im Bahnhofshotel arbeitet und uns als letzter Einleitungserzähler im edlen weißen Anzug unter all den Müllmännern mit angenehm tiefer Stimme weismacht, der ordinär über "eine-Hure-(Frau)-zu-befriedigen-wie-die-andere" redende Ceausescu habe Karmen geschlagen, weil er sie liebte... Paradoxerweise fruchtet denn auch die Liedzeile von den Huren am Müll über die bunte Welt am Bahnhof : "Die Welt ist eine Kuh. Sie aß alles, was sie besaß, und sie ist immer noch hungrig. Europa, brauchst Du Huren? Hier sind wir, 100 Euro Cash!" Zum Trost folgt darauf der verschärfend "beschwichtigende" Nachsatz: "Wir sind keine Huren, wir sind Prostituierte!" - Na, immerhin!
... zur bekennenden Zigeunerromantik
Weil Bregovic aber prinzipiell zur Lebensfreude steht, siegt am Ende die Liebe. Und zwar auf einen Sprung innerhalb der Geschichte: nach einem Trompetenduell-Bardenbattle der beiden um Karmen duellierenden Männer, kehrt der störend verstörte Polizist Emilio zu seiner früheren Geliebten zurück. Und nach dem offiziellen Ende kommt es in der Zugabe zur Doppelhochzeit, worin Wahrsagerin Kleopatra zu ihrem Angetrauten, Müllmann Bacia, sagt: "Deine sanfte Liebe ist wie ein Zigeunervogel. Manchmal fliegt er allein, manchmal fliegt er mit mir." Karmen therapiert sich als ursprünglich nur ihre Freiheit liebende "Carmen" selbst, indem sie jetzt weiß: "Den Lebenskoffer zu tragen, ist zu zweit leichter." - Und für uns, im Volkspublikum Verbleibende, gibt es noch mal das ermutigende Lied Gas, Gas mit auf den Weg, worin uns gesagt wird, wir sollten aufs Gas treten, "weil Gott sich freut, wenn arme Leute Feste feiern". Das muss man uns nicht zweimal sagen, die sexy Rhythmen begleiteten uns noch lange gut gelaunt Richtung nach haus - denn wer ist heute nicht gerne lieber arm, um sich selbst noch mögen zu können?! e.o.
So ein Jux. Ja, Goran Bregovic macht sich einen Jux aus dem Genre Oper, und er hat damit vollkommen recht. Weil das die einzige Art ist, die zu ihm, seiner Musik, seiner Identität paßt, sodass sein kühnes Rockprojekt von der Bizet-Carmen-Adaption mit Titel Karmen With A Happy End als "einzige Oper, die wir Zigeuner haben" auch aufgehen muß. Das bespickt er mit einer höchst persönlichen, bitter-zynischen Kritik bezüglich des jetzigen westlichen Show- und TV-Biz. Hut ab, vor dieser Komplexität an Spott und Ironie, was für einen in unserer Zeit so raren echten und starken Charakter steht. Dass mancher Carmen-Nostalgiker vorzeitig das Theater an der Wien verließ, weil er das alles offensichtlich nicht begreifen wollte, um sich seine Festgefahrenheit zu bewahren, ist umso bedauernswerter. Es beweist in doppelter Sarkastik, dass künstlerische Wahrheit für viele "bessere" Menschen ein von Vormachern geleiteter Wert, wenn nicht ein Fremdwort ist.
Opernverarschung mit Stil
Dennoch blieb das bürgerliche Theaterhaus an der Wienzeile gesteckt voll. Es liegt an den anderen vielen Menschen serbokroatischen Hintergrunds sowie an den vielen Fans, die der "balkaneske Popmusiker" Goran Bregovic seit seiner Emir-Kusturica-Filmvertonung für sich verbuchen kann. Für all jene Besucher ist die profane Art, Oper zu spielen, auch gar nichts Neues, weil sie wahrscheinlich weder je eine sahen, noch kennenlernten. Das, was sie hier sehen, ist für sie "ein gewohntes Balkankonzert aus Liedern", wo einfach eine Nummer nach der anderen eine fortlaufende Geschichte erzählt. Als Spott auf den elitären Theaterverlauf des Opernwestens, umgekehrt aber auch in respektvoll huldigender Anlehnung auf die folkloristische Tradition des östlichen, "zigeunerischen" Mugam, wird die Geschichte verstärkend und einleitend vorab des melodischen Teils von - aus dem Publikum auftretenden und redenden - Musikern aus dem Bregovic-Orchester geschildert. Diese Story hat es in sich, denn sie treibt die vielen Namen, die der Besucher für gewöhnlich in der "akademischen" Oper lesen muss, um überhaupt mitzukommen, samt der obligatorisch verstrickten Handlung, verdoppelnd und verschachtelnd auf die Spitze. - Auf der Übertitel-Tafel steht, dass man sich vor dem Start die Inhaltsangabe durchlesen soll. Das ganze Ereignis ist damit auf doppelbödige Weise reinste Anarchie zulasten kultureller Instititutionsmacht, zugunsten eines erstarkenden Minderheitenbewußtseins, indem jede konventionelle Form parodiert, und die Ausbeutung des armen Volkes demonstriert wird. Dabei wollen "die Armen" über das Zigeunertum hinaus allgemein verstanden werden, sodass sich wiederum jeder Durchschnittbürger dieser Erde angesprochen fühlen kann. Und in diesem gezogenen Bogen - von der kleinen Minderheit zur großen "Bemindert-sein-heit" -, darin liegt die künstlerische Leistung des Goran Bregovic. Abgesehen davon fetzt seine Musik mit sechs Bläsern (darunter der geniale Saxofonist Stojan Dimov), den zwei Trommlern und sporadischem Akkordeon. Sie fährt einfach unter die Haut.
Von der grotesken Zuhältergeschichte ...
In dieser Geschichte ist Karmen "eine Hure mit der Stimme einer Jungfrau", die gleichzeitig in der Wahrsagerin Kleopatra steckt, die in einer Fernsehshow Leuten ihr Glück prophezeit - beides besetzt mit Vaska Jankovska, die tatsächlich spielt wie eine dümmlich-naive Hure und die die hell-klare Engelsstimme einer Jungfrau besitzt. Insider kennen sie als Bregovics Haupt-Solosängerin in der Wedding And Funeral Band. Ihr Liebesgegenüber ist der Müllmann Bakia bzw. dessen Trompete-spielende Onkel Fuad (Bokan Stankovic - ebenfalls bekannt aus der Band), den Kleopatra am Telefon als Nena, die Stripperin, verführen will. Kleopatra ist das ganze Stück über auf der Suche nach Bakia und Fuads Musikern, weil sie eine Show mit Fuads Musik machen will. Im Auto reist sie durch Europa. Sie stößt auf das Doppelbegräbnis von Onkel Fuad neben der nicht weit liegenden, an Aids verstorbenen Karmen. Und als Highlight der zynischen Groteske versteckt sich hinter dem Mann, der Karmen eine Karriere als Sängerin versprach, um sie aus ihrem sicheren Job in der Tabakfabrik zu locken und am "Bahnhof" auszunehmen, ein Zuhälter namens Ceausescu: der charismatische und körperlich Höchstes leistende Trommler Alen Ademovic. - Eine klare Anspielung auf (nicht nur künstlerisch) prostituierende Castingshows und parallel eine politische Anklage gegenüber der rumänischen Führungsmacht im Land mit den meisten Zigeunern (Roma).
Goran Bregovic steht selbst auf der Bühne: Er gibt sich den selbstironischen Part des "Brega", Schlagzeuger in Fuads Orchester, der außerdem als Rezeptionist im Bahnhofshotel arbeitet und uns als letzter Einleitungserzähler im edlen weißen Anzug unter all den Müllmännern mit angenehm tiefer Stimme weismacht, der ordinär über "eine-Hure-(Frau)-zu-befriedigen-wie-die-andere" redende Ceausescu habe Karmen geschlagen, weil er sie liebte... Paradoxerweise fruchtet denn auch die Liedzeile von den Huren am Müll über die bunte Welt am Bahnhof : "Die Welt ist eine Kuh. Sie aß alles, was sie besaß, und sie ist immer noch hungrig. Europa, brauchst Du Huren? Hier sind wir, 100 Euro Cash!" Zum Trost folgt darauf der verschärfend "beschwichtigende" Nachsatz: "Wir sind keine Huren, wir sind Prostituierte!" - Na, immerhin!
... zur bekennenden Zigeunerromantik
Weil Bregovic aber prinzipiell zur Lebensfreude steht, siegt am Ende die Liebe. Und zwar auf einen Sprung innerhalb der Geschichte: nach einem Trompetenduell-Bardenbattle der beiden um Karmen duellierenden Männer, kehrt der störend verstörte Polizist Emilio zu seiner früheren Geliebten zurück. Und nach dem offiziellen Ende kommt es in der Zugabe zur Doppelhochzeit, worin Wahrsagerin Kleopatra zu ihrem Angetrauten, Müllmann Bacia, sagt: "Deine sanfte Liebe ist wie ein Zigeunervogel. Manchmal fliegt er allein, manchmal fliegt er mit mir." Karmen therapiert sich als ursprünglich nur ihre Freiheit liebende "Carmen" selbst, indem sie jetzt weiß: "Den Lebenskoffer zu tragen, ist zu zweit leichter." - Und für uns, im Volkspublikum Verbleibende, gibt es noch mal das ermutigende Lied Gas, Gas mit auf den Weg, worin uns gesagt wird, wir sollten aufs Gas treten, "weil Gott sich freut, wenn arme Leute Feste feiern". Das muss man uns nicht zweimal sagen, die sexy Rhythmen begleiteten uns noch lange gut gelaunt Richtung nach haus - denn wer ist heute nicht gerne lieber arm, um sich selbst noch mögen zu können?! e.o.
DAS URTEIL EIN WAHNSINN DIESER BREGOVIC, FRECH, EIGEN. EINFACH TOLL!
MUSIK/THEATER Karmen With A Happy End * Von: Goran Bregovic (Libretto, Musik & Regie) frei nach Georges Bizets Oper Carmen * Mit: Wedding and Funeral Band: Vaska Jankovska, Bokan Stankovic, Dragan Ristevski, Goran Bregovic, Ljudmila Ratkova-Trajkova, Stojan Dimov, Alen Ademovic, u.a. * die gleichnamige CD (produziert 2007 von Mercury, Universal Music France) gibt´s im Fachhandel
MUSIK/THEATER Karmen With A Happy End * Von: Goran Bregovic (Libretto, Musik & Regie) frei nach Georges Bizets Oper Carmen * Mit: Wedding and Funeral Band: Vaska Jankovska, Bokan Stankovic, Dragan Ristevski, Goran Bregovic, Ljudmila Ratkova-Trajkova, Stojan Dimov, Alen Ademovic, u.a. * die gleichnamige CD (produziert 2007 von Mercury, Universal Music France) gibt´s im Fachhandel