Wednesday, February 27, 2008

KUNST ODER KOMMERZ II,b: FALCOS "NACHFAHREN" IM U4 ZU DESSEN TODESTAG

Falcos Top-Originalband auf dem Weg zur Bühne (v.li.): US-Karriere-Schlagzeuger Thomas Lang, Bassist Bertl Pistracher, Multi-Instrumentalist Bernhard Rabitsch und E-Gitarrist Peter Paul Skrepek (Fotos © Elfi Oberhuber)
Bandleader Thomas Rabitsch mit Hansi Lang, der ein passabler Sänger von Nachtflug sein mag, aber an die Performance und Ausstrahlung von Falco nie heran kommt.
Der Linzer Skero trifft als Erster die Aura von Falco, und er verleiht Auf der Flucht obendrein eine eigene Note ...
... wozu Peter Paul Skrepek mit außergewöhnlicher E-Gitarren-Vibrierung spielt.
Birgit Denk macht aus Falcos Junge Römer ein weibliches Bekenntnis ...


















... worin Skrepek nicht nur ein starkes Solo gibt, sondern demnächst auch eine eigene, komplett neue Version mit viel Gitarre auf den Markt bringen wird.



U4 WIEN DIE ORIGINAL FALCO-BAND LUD ZU FALCOS 10. TODESTAG ÖSTERREICHISCHE NEWCOMER-INTERPRETEN ZU FALCOS NACHTFLUG EIN - EINE HEITERE CASTING-, FASCHINGS- UND NOSTALGIEPARTY ALS ANLASS ZUR ÜBERLEGUNG: "VON DER MUSIKALISCHEN KURZ- UND LANGFRISTIGKEIT"

Es war nach vergangenem Jahr der zweite Konzertdoppelabend, den die letzte Falco-Originalband um Bandleader Thomas Rabitsch, heuer, am 6. und 7.2.2008, anläßlich des 10. Todestags des legendären, österreichischen Popstars im Wiener U4 gab. Und da Falco nun mal nicht mehr ist, mußten seine größten Hits andere singen. "Andere", wohlgemerkt, und nicht, "der andere"! - Könnte man der österreichischen Musikszene nach diesem Event attestieren, ein neues "Falco"-Kaliber gefunden zu haben, müßte sich über das allseits gelobte "Musikland" Österreich niemand mehr Sorgen machen. Sorgen, die die Zukunft betreffen. So ist es aber nicht. Alles, was man nach dem Konzert sagen kann, ist: da servicierten absolute Spitzenmusiker als gute Väter "von adoptierten Babies" mit ihrem technisch gut gespielten Musiknest. Sie wollten der neuen Generation an Genrevertretern die Ahnung eines Falco-Singularums vermitteln, ohne sich aber sicher sein zu können, ob das heute überhaupt noch von Relevanz ist.

Nur Falcos eigene Songs überleben

Denn die Moden haben sich geändert, mit ihnen der Zeitgeist, und damit die Bedeutung von kurzfristigem und langfristigem Wert. Und obwohl sich heute mehr denn je das kurzfristig und künstlich Aufgeblähte durchsetzt, trifft dieser Mechanismus langfristig gesehen, - nach wie vor und parodoxerweise - ausgerechnet jenen Teil von Falcos Hits, mit denen er Weltruhm erlangte. Wie sich herausstellt, scheinen nicht die kommerziellen Bolland-Lieder wie Rock Me Amadeus zu überleben, sondern jene Singer-Songwriter-Qualitätsstücke wie Auf der Flucht, Der Kommissar von Robert Ponger, Nachtflug von Harald Kloser oder Ganz Wien - Falcos von Musik bis Text einziges komplett selbst-erschaffenes Lied. Damit zeigt sich einmal mehr, dass die kurzfristigen, großen, aber auch vergänglichen Erfolge, die emotionalen Hochs einer Künstlerkarriere wohl durch marketing- und strategiebezogene Fremdeinflüsse hervorgerufen werden mögen - genauso wie sich das ängstliche Individuum zwecks kurzfristiger Entspannung schädigende Fremdkörper einführt, seien es Süßigkeiten, Alkohol, Drogen oder fremde Körperteile.

Den langfristigen Erfolg hingegen - und damit die langfristige Zufriedenheit eines Künstlers mit sich selbst - wird die Konzentration auf den eigenen Stil und die eigene Identität bringen. Sie garantiert in ihrer Einzigartigkeit das ausschließlich Unverwechselbare und damit das Echte und wertvoll Überlebensfähige. Selbst wenn das für den Künstler heißt, sein Leben in hohem Maß einsam - oder zumindest in mengenmäßig eingeschränktem Freundeskreis - verbringen zu müssen, und weniger im scheinbar großartigen "Hallo!". Leider leidet unsere derzeitige (Musik-/Kunst-)Wirtschaft aber daran, dass den meisten Akteuren Zweiteres wichtiger ist als Ersteres. Viel Wertloses scheint mehr zu sein als wenig Wertvolles.

Die Top-Band-Musiker hinter action-reichem Falco-Event

Obwohl dieses actionreiche Falco-Event nun beschwingt und unterhaltsam spannend war, da einem für Langeweile einfach zu viele verschiedene Eindrücke geboten wurden, wird man in diesem eigenartigen Synergiekonzept hinsichtlich absolut bravourösen Kunstakts nicht fündig werden. Denn die Voraussetzungen dafür liegen zu diametral, die Absichten zu oberflächlich, egal, von welcher Seite aus man es betrachtet. Da wäre einerseits Falcos Band - heute alles erfahrene, äußerst professionelle Musiker, in den besten Fällen auch mit eigenem Klang wie von Peter Paul Skrepek an der subtil, - selbst im schreienden Hardrock verhalten-romantisch - klar tönenden Elektrogitarre, von Bernhard Rabitsch als vielfältiger Trompeten-Percussion-Instrumentalist, der auch noch singen kann, sowie vom inzwischen international anerkannten Schlagzeugkünstler mit eigens entwickelter Technik Thomas Lang, vom im Hintergrund unauffälligeren, aber exakt spielenden Bassisten Bertl Pistracher, und natürlich, von Thomas Rabitsch am Keyboard, dessen Professionalität als Bandleader, die gerne mit Kommerzialität abgetan wird, erst erkannt wird, wenn man zum Beispiel auf der DVD Falco L.I.V.E, das Niveau seines Standard-Sounds bei Falco-Konzerten in den 90-ern - wie eben 1993 auf der Donauinsel unter Rabitschs Bandleading - mit jenem in den 80ern unter Gitarrist-Bandleader Peter Vieweger vergleicht, dessen E-Gitarrenklang darüber hinaus ebenfalls typisch rock-standardisiert und kaum individuell klingt. - Bis auf Bob Dylans erdiges It´s All Over Now, Baby Blue mit ganz großartigem, echt jazzigem Bernhard-Rabitsch-Trompeten- sowie Otmar-Klein-Saxofon-Solo, klingt keine einzige Falco-Nummer im Stadthallen-Konzert 1986 besser als unter Rabitschs späterer Technik-Perfektion mit ausschließlich lyrischem Elektrogitarren-Solo von Peter Paul Skrepek als Highlight innerhalb des Soundteppichs:
Nur dadurch bleibt Falco mit seinem Gesang die personell gezielt gezeigte Attraktion innerhalb des Akts. - Weshalb er als Sänger auch sehr viel "können" muss: von der theatralen Interpretation des Texts bis zur Sendung einer darüberliegenden auratischen Energie. Falco, der sich aus seinen Idolen Oskar Werner und David Bowie eine widersprüchlich sensible, arrogant-mondäne Mischung für seine Person zurecht gelegt hatte, erfüllte diese Aufgabe mit österreichisch-internationaler Bravour. Und genau dieser Widerspruch, der doch als Einheit so echt kam, weil Falco sich davon auffressen ließ, war und ist das Faszinierende an ihm, das die Zuschauer neben all der musikalischen Rhythmik und Originalität in den Bann zieht.

Die Interpreten aus dem Community-Topf

Und darauf hatten in besagtem Konzert nun die Interpreten zu reagieren, die aus dem community- und marketinggenährten Topf von FM4, Castingshows und Wiener-Dialekt-Alternativemusikszene kommen, sowie die zwei Falco-(Zeit)-Begleiter Hansi Lang und Stefan Weber von Drahdiwaberl. Insgesamt geschieht das als eine Faschingsveranstaltung, wo sich Sänger mit mehr oder weniger ernsthaftem Gedenken an Falco verkleiden. Und doch versucht der aufrichtige Musikfreund über seine wiederum eigenen Erinnerungen an Falco und persönliche Jugendzeit hinaus, in diesen Musikern so etwas wie Persönlichkeiten auszumachen. - Kann er das fernab von jedem Community-Vorliebe-Zwang, fällt ihm das, objektiv gesehen, schwer. Schon weil diese Sänger/innen hier nur als Solche auffallen, wenn sie irgendetwas vom Falco-Geist treffen und dennoch ein eigenes Charisma auszustrahlen in der Lage sind.

Es fängt enttäuschend an ...

Hansi Lang repräsentiert mit seinem antiästhetischen Langhaarlook eher das Gegenteil einer Falco-Attraktivität (was die Einspielung von Falco via Monitor während des Konzerts noch einmal betont) - er wird daher trotz drei der besten Nummern wie Verdammt, wir leben noch, Ganz Wien und Nachtflug kaum einen Falco-Fan begeistern. Mieze Medusas Hip-Hop-Monarchy Now hat man nach zwei Sekunden vergessen. Das teuflisch genre-interpretierte Dance Mephisto von Georgij Makazaria im Soldatenanzug ist so sehr Klischee wie es ein Dark-Metal-Song nur sein kann, daher für jeden, der Falco kannte, so wie jener diesen Song theatral-teuflisch Wort-für-Wort erlebte, ein glattes Ärgernis - obwohl der ansonsten unter der Gruppe Russkaja formierte Musiker aus Georgien an-sich einer der profilstärksten und international vielversprechendsten Newcomer der Wiener Szene überhaupt ist.

Die zaghaften Talente hinter Falco

Das erste Aha-Erlebnis stellt sich dafür mit Skero - Martin «Skero One» Skerwald - von der Linzer Hip Hop Band Texta bei Auf der Flucht ein: in zu Falco als Interpretation passendem weißem Anzug verleiht er dem Song über die Abstumpfung der Berliner Freidenker-Szene ein zeitgemäß authentisches Flair, mit viel Eigenprofil und eigenem Klang, zu dem auch Peter Paul Skrepeks Gitarrenspiel bestens harmoniert - zwei Egos, die trotz Generationsunterschied zusammen passen.
Umso reifer und generationsebenbürtig mit den Musikern, die hier am Keyboard, an Elektrogitarre und Trompete jazzige Soli hinlegen, wirkt später als Persönlichkeit Birgit Denk. Die Sängerin, die sonst im Wiener Dialekt zur E-Gitarre singend zwischen Maria Bill und Ostbahn Kurti liegt, macht aus Junge Römer ein verständliches Frauenbekenntnis mit leicht atonaler, aber gekonnter Schrägtönung. Sie ist damit die stärkste Interpretin im ersten Drittel des Konzerts, obwohl sie das im Sound stark klingende Amerika danach ziemlich schwach singt.

Als weibliche Künstlerpersönlichkeit kann es mit ihr an diesem Abend nur Dorretta Carter aufnehmen, nicht, weil jene Emotional besser interpretieren würde, sondern weil jene einfach eine unheimlich starke, schwarze Frauenstimme mit all dem erdenklichen Drive hat, den man sich nur vorstellen kann.
Und eine erfreuliche Überraschung ist außerdem die, in einer der ersten Starmania-Staffeln entdeckte Vera Böhnisch in Hoch wie nie, das sie nach dem etwas hilflos im Doppel mit MADoppelT gesungenen Sound of Musik alleine, sehr individuell interpretiert: in einer leidenschaftlich und sexy ausgelebten Weise, die den Besucher entsprechend gefangen nimmt. Ihre eigenen elektronischen Stereotyp-Sachen unter dem Label L´Enfant Terrible im Stil eines afro-amerikanischen MTV-Abklatschs sehen dagegen ziemlich blaß aus. - Gerade hier zeigt sich, wie negativ sich derzeit die Macht des Musikmarkts auf echte Begabungen auswirken kann. Denn zuvor versuchte man diese junge Frau mit erotischer Ausstrahlung auf den Girl-von-nebenan-Stil einer Christl Stürmer gleich zu trimmen (CD mit irreführendem Titel: Anders) - ohne Erfolg, versteht sich.

Der Mann, der die Aura eines Falco am stärksten trifft, ist naheliegenderweise der deutsche Falco meets Amadeus-Musicaldarsteller Axel Herrig im Song Out Of The Dark. Er ist neben Dorretta Carter als Einziger in der Lage, den Raum mit seiner ureigenen Energie und zugleich mit seiner Stimme zu füllen.
Und Roman Gregory schafft es danach, die im Zuge des Abends angeheizte enthusiastische Stimmung, zu der es trotz des Nie-Herankommens-an-Falco immerhin kommt, in angenehm niveauvoller Art in Wiener Blut und in einem der besten Songs, Helden von Heute, zum Höhepunkt zu hieven.

Die überhaupt Vergessenen

Alles andere hat unser Wahrnehmungsapparat mehr oder weniger verdrängt: Den hüpfenden Andie Gabauer von Hot Pants Road Club bei Egoist und Männer des Westens, der lediglich noch als Mallorca-Touristen-Animateur vor unseren Augen springt, die sonst deutsch-modekitsch-popschlagernd singende Valerie Sajdik, die ein wenig stimmschwach und dafür zu hoch ihr zierliches Bein in Brillantin' Brutal nahm, und Stefan Weber, der mit seinem Urinkübel eher auf die Bühne des schlechten Geschmacks eines Villacher Faschings gehört als zum von Falco im Bereich Liebes-Krimi bereits genügend doppeldeutig aufgeladenen Epos Jeanny, denn das hat mit punkstarker Anarchie nichts mehr zu tun; ganz zu schweigen von den Friseuren, die aussehen wie Falco ... e.o. / r.r.


Mehr zu Falco auf www.intimacy-art.com / WATCHER, in der Story click!: KUNST ODER KOMMERZ II,a: FALCO SYMPHONIC - THOMAS RABITSCH & PETER PAUL SKREPEK ARRANGIEREN (SICH / NICHT)

Und dazu noch ein exklusives Gespräch auf www.intimacy-art.com / artists / talks / politics zwischen Peter Paul Skrepek und Thomas Lang, in zwei Teilen: Hier gehts zum ersten Teil:
Thomas Lang zu Peter Paul Skrepek 1: „In England und den USA sind die Leute offener für fortschrittliche Musik“


DAS URTEIL WIE SICH DIESE TOP-FALCO-BANDMUSIKER WOHL VORKOMMEN, BEI DIESER FASCHINGSARTIGEN VERKLEIDUNGS-CASTINGSHOW? - ABER WAHRE GRÖSSE KENNT BEKANNTLICH KEINE EITELKEIT, UND EIN PAAR FALCO-INTERPRETEN WAREN JA AUCH NICHT SO SCHLECHT ...

KONZERT Nachtflug - Zum 10. Todestag von Falco * Live on Stage: Die Original-Band & Gäste * Mit: Thomas Rabitsch (Keyboard), Bernhard Rabitsch (Percussion, Trompete), Peter Paul Skrepek (E-Gitarre), Bertl Pistracher (Bass), Thomas Lang (Schlagzeug) * Mit: Hansi Lang, Mieze Medusa, Georgij Makazaria, Skero, Diana Lueger, Andie Gabauer, Birgit Denk, Manuva & dephjoe, Valerie Sajdik, Michael P. Simoner, Die Ter, Stefan Weber, Austrofred, Doretta Carter, MADoppelT, Vera Böhnisch, TNT Jackson, Axel Herrig, Manuva & dephjoe & All, Peter "Fidschi" Vieweger * Ort: U4 Wien * Zeit: 6.+7.2.2008: 22h

KONZERT & THEATER Into the City:
Die Linzer Hip-Hop-Band Texta tritt gemeinsam mit jungen Strafgefangenen aus der Justizanstalt Gerasdorf auf. * Mit: TEXTA * Ort: Augarten Haupteingang-Jahnwiese, Wien 2 * Zeit: 1.6.2008: 20h

FILM Weltrevolution - Dokumentaion über Stefan Weber - Drahdiwaberl * Regie: Klaus Hundbichler * Mit: Stefan Weber, Drahdiwaberl, Hubsi Kramar, Peter Paul Skrepek, Reinhard Nowak u.v.m. * AT 2007, 91 Minuten * Ab 9.5.2008 in den Österreichischen Kinos * Vertrieb: Filmladen * Link: http://www.weltrevolution-derfilm.at/


DVD-Tipp FALCO L.I.V.E - Donauinsel + Stadthalle Wien * Distribution: point music * link: www.point-music.com

Tuesday, February 05, 2008

KUNST ODER KOMMERZ I: "FUSSBALLETT" VON GIORGIO MADIA UND MORITZ EGGERT

Halbsolist András Lukács als Schiedsrichter beim Fußballett des Opernballs: Trotz der geistreichen Choreographie von Giorgio Madia weiß man nicht recht, ...

... ob es sich dabei tatsächlich um freie, zeitgenössische Tanzkunst handelt, da zu viele Interessen damit befriedigt zu werden scheinen. - Selbst wenn sich Ballerina Karina Sarkissova sehr witzig zum Ball eignet.

Anscheinend ist man seitens Staatsoper mit der Meinung aber nicht allein, dass sich die "Allgemeinheit" über den Fußball für den Tanz begeistern läßt: Absolventen des Konservatoriums Wien entwickelten mit 27 Jugendlichen die Choreografie Spielstand, und weitere Fußballtheaterprojekte folgen vom Dschungel Wien nach ganz Österreich und in die Schweiz


STAATSOPER IOAN HOLENDER IST STOLZ AUF SEIN ZEITGENÖSSISCHES AUFTRAGSWERK AN KOMPONIST MORITZ EGGERT, DAS CHOREOGRAF GIORGIO MADIA IN SZENE SETZTE: DAS THEMA FUSSBALL(ETT) MUTET ABER EHER WIE KOMMERZIELLE SPEKULATION AN ...

Nun hat Choreograf Giorgio Madia endlich in die Wiener Oper zurück gefunden, und doch ist der Dank, den man Noch-Staatsoperndirektor Ioan Holender dafür schuldig sein möchte, überschattet. Denn er hat zwar Moderne von Madia - wie man sie seit dessen Volksoper-Ballettproduktionen Alice und Nudo in Wien vermißt - zurück gebracht; das aber doch recht scheinheilig ...

Nachdem Holenders Ruf, während seiner Direktionszeit in Sachen künstlerischen Fortschritts in der Staatsoper nichts bewirkt zu haben, groß ist, wurde er vor und während der Fernsehübertragung des Opernballs nicht müde zu betonen, dass er ein Auftragswerk an den zeitgenössischen deutschen Komponisten Moritz Eggert vergeben hätte, wozu Madia eine schwierige und tolle choreographische Arbeit gemacht habe; und um diesen "Tanz-Fußball"-Aufhänger hatte wiederum der ORF seine gesamte Berichterstattung dramaturgisch gelegt, einschließlich eines Interviews mit Franz Beckenbauer in der ZIB: Mit der "Begleiterscheinung", dass ständig wiederholt wurde, wie mutig und innovativ die Staatsoper mit dieser Wahl gehandelt hätte.

Sollte "zeitgenössisch" nicht auch "frei" bedeuten?

Weder inhaltlich, noch "freiheitsdenkend" künstlerisch ist allerdings das Thema: Es steht für eine klare "Absicht", sprich: für eine "benutzte" Kunstform. Es macht das "zeitgenössische Ballett" einmal mehr zur Nebensache, gerade gut genug für die "Drecksarbeit" innerhalb des Kunstbetriebs, nämlich als "Verbindungsfüller" verschiedener anderer Ingredienzen zu dienen, der darüber hinaus im Zeichen des Fußballs, - und in Wahrheit - im Zeichen der anwesenden Gäste aus Politik, Wirtschaft und Sport, zu stehen hat. 2008, im Jahr der Fußball-Europameisterschaft in Wien, scheint es vor allem Werbemittel zu sein. - Wie sehr es das ist, steckt in der Nachfrage: Warum hat Ioan Holender keine Fußball-Auftragsmusik für seinen nach dem Ballett folgenden Opernsänger, den "Fußball-begeisterten" José Carreras, schreiben lassen?!

Holender jedoch, schafft es wieder einmal, seine Schandtat als Tugend zu verkleiden, indem er wiederholt: "Das ist tolle moderne Kunst, moderne Musik, ein moderner Auftrag, modernes Ballett; das ist das Wichtigste beim heurigen Opernball. Was Giorgio Madia hier gemacht hat, kann man nicht genug schätzen." Der Glückstropfen dabei ist nur, dass er tatsächlich einmal begabte Fortschrittskünstler engagiert hat, selbst wenn sie für diesen spekulativ eigennützigen Dienst mißbraucht werden. Das Risiko, dass man sie damit als unliebsam "verschachert" verkennt, müssen sie allerdings selbst tragen. - So ist das nun mal mit der abhängigen Kunst von heute. Denn von der allgemeinen Auftragslage in der Szene weiß man, dass es sich derzeit kaum ein Zeitgenosse leisten kann, einen Auftrag abzulehnen, selbst wenn er "als Künstler" geschätzt ist.

(Weitere Trend-Hintergrundinfo: Der Intendant der Bregenzer Festspiele, David Pountney, benutzt das Thema "Fußball" schon länger als Marketingmittel für die Oper. Vom Land der Creative Industries kommend, Grossbritannien, präsentierte er letztes Jahr darüber hinaus die zeitgenössische, satirische Fußballoper:
Playing Away ... Das geschah aber in einem eindeutigen Kunstrahmen...)

Schwierige Bewertung: Fußballett als Kunstwerk

Unterm Strich bleibt nun aber, das Produzierte zu bewerten. Man muß die - für Opernballverhältnisse - lange, fünfzehnminütige Arbeit, Am Ball - Ein Fußballett für 22 Tänzer und 32 Tanzschüler des Balletts der Wiener Staats- und Volksoper, des deutschen Komponisten und des italienischen Choreografen kritisieren, so wie sie sich selbst "als Kunstwerk", sowie innerhalb des in alle Welt übertragenen Opernballs, klassifiziert: Eggerts Musik lebt trotz neumusikalischer Abstraktion von bekannten Musik- bis Walzerzitaten. Sie also schon, ist versucht, Erkennungmomente für die anwesende, großteils nur unterhaltungskunstaffine menschliche Anwesenheit zu schaffen, so dass sie den Neue-Musik-Mantel leichter akzeptieren kann. Dazu schafft nun Madia eine, umso konkretere "Fußballsituation", die mehr mit Fußball zu tun hat als mit Tanz. Das inkludiert die Gefälligkeit, dass sich sämtliche, zuschauende Menschen, die sich - umgekehrt als ursprünglich Madia - im Fußball eher als im Tanz auskennen, auch unterhalten fühlen - und das betrifft am Opernball wahrscheinlich die Meisten.

Ein paar "großzügige" Nur-Tanzliebhaber werden dieses "Schauspiel" indessen als Ironie auf die Europameisterschaft-Hysterie verstehen; für die Mehrheit der Nur-Tanzliebhaber wird es dagegen "zu wenig Tanz", zu wenig abstrakt, und damit: zu wenig zeitgenössische Kunst sein. Selbst wenn der theatrale Tanzwitz gelungen ist: Wenn Halbsolist András Lukács gekonnt ironisch als Schiedsrichter tanzt, sich Solotänzerin Karina Sarkissova grotesk als Ball (überm Kopf) "schießen" und tragen läßt, und Solotänzer Daniil Simkin als frecher Ersatzspieler eintrippelt, während daneben etwas schwerfällig die Fußballikonen Andi Herzog und Herbert Prohaska als Sanitäter ein simuliertes Faul aufdecken. - Das ist doch eine ungewöhnlich "angewandte" Kombination. - Ob das dem erstmals in Wien am Opernball anwesenden Unicredit-Chef Alessandro Profumo besser gefallen hat, als es eine echte zeitgenössische Tanzeinlage getan hätte, stellt allerdings das große Fragezeichen dar. Sein Choreografen-Landsmann Madia wäre der "Echten" jedenfalls mächtig gewesen; nur hätte er sich sein Thema dafür selbst aussuchen dürfen sollen.

Außerdem ist noch lange nicht gesagt, dass "echte Fußballbegeisterte" nicht auch "echte Tanzbegeisterte" sein können. In diesem Fall bräuchte sich der Tanz dem Fußball auch nicht unterzuordnen. Da selbst alte Philosophen wußten, dass ein "mens sana" nur in einem "sano corpore" stecken kann, dürfte das auch kein Wunschdenken bleiben. Nein, Sport und Kunst gehören definitiv zusammen und müssen demnach auch gleich viel wert, sprich gleich eigenständig, sein. Und je länger man nun über die Dimensionen dieser Aufführung nachdenkt, desto bewußter wird man registrieren, wie sehr man zu Gott und der Welt abtriftet, anstatt am Kunstdiskurs zu verharren, was wiederum an der Dominanz der Umstände rundum dieses Werkes liegen muss, wo zu viel Absicht im Vordergrund steht: es kann daher kaum von einem Kunstwerk die Rede sein.

Nach "Shakespeare"-Tanz zu "Kylian"

Deshalb plädieren wir an dieser Stelle dafür, das nächste Mal doch ein echtes - "sprich freies" - zeitgenössisches Werk zu beauftragen. Dann wären wir auch bereit, Ioan Holender den Status eines fortschrittlichen Kunstdenkers zuzugestehen. Moritz Eggert und Giorgio Madia hätten es sich jedenfalls verdient, in so einem "echten" Rahmen ihre Chance zu bekommen, gerade weil der Opernball ein "Event" für die Masse ist, die unabhängige Kunst von heute kennenlernen w(s)ollte. Denn so erreicht dieses 30 Raffszenen-Miniaturspiel aus Elfmeter, Faul und auf Händen getragenem Schiedsrichter - als "das Fußballfeld - eine Welt" - gerade die theatrale Bühnenmoderne eines Shakespeare. Wo es aber hingelangen sollte, das wäre eine musikalische Tanz-Moderne eines Madia-Eggert-Kylian. e.o.


DAS URTEIL ERST WENN IOAN HOLENDER CHOREOGRAF GIORIO MADIA UND KOMPONIST MORITZ EGGERT ZEITGENÖSSISCH OHNE AUFLAGEN BEAUFTRAGT, WIRD ER SICH INTENDANT DER VISIONEN NENNEN DÜRFEN.

MUSIK & BALLETT Am Ball – Ein Fußballett für Tänzer und Orchester * UA von Komponist Moritz Eggert + Choreograf Giorgio Madia * Ein Auftragswerk der Wiener Staatsoper für den Wiener Opernball 2008 * Eröffnung des Wiener Opernballs, Liveübertragung im ORF * Mit: Opernballorchester + Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper * Ort: Staatsoper Wien * Zeit: 31.1.2008

JUGENDTHEATER match:poesie und Straßentheaer TOR & CHOR * Von: theater.wozek * Im Rahmenprogramm: KICK & STAGE - DIE THEATERACHSE FÜR JUGENDLICHE ZUR EUROPAMEISTERSCHAFT IN DER SCHWEIZ UND ÖSTERREICH * Spielorte auf 14 Bühnen in Städten, von März bis Juni 2008: ZÜRICH – ST.GALLEN – SCHAAN – BLUDENZ – INNSBRUCK – SALZBURG – ST.PÖLTEN – VILLACH – GRAZ – LINZ – WIEN * Mit: 1. Spielort: Dschungel Wien * Zeit: 07.03.2008: 17h+18h

JUGENDTHEATER FIEBERTRÄUME (UA) * Von: Benedict Thill * Koproduktion DSCHUNGEL WIEN und TheaterFOXFIRE * Inhalt: Die Jagd nach dem fiktiven Ball des Lebens * Ort: Dschungel Wien * Zeit: 7.3.2008: 20h, 08.03.:19h30, 09.03.: 18h, 10. 03.: 10h30, 11.03.: 10h30+19h30, 12.03.:10h30+19h30, 13.03.: 10h30+19h30, 14.03.: 10h30+19h30, 15.03.2008:19h30

TANZ SPIELSTAND * Projekt der Konservatorium Wien Privatuniversität, Abt. Pädagogik für Modernen Tanz in Kooperationmit der Neusprachlichen Mittelschule Greiseneckergasse in Wien, 20 und dem Tanzfestival szene bunte wähne * Von: Elisabeth Hofstetter & Clara Wannerer * Mit: los pepinos * Ort: Dschungel Wien * Zeit: 27.2.2008: 10h30 + 18h * link: www.sbw.at