Sunday, September 30, 2007

THEATER: MITREISSENDER "DREIER OHNE SIMONE" VON KARSTEN DAHLEM

Wer ist der Vergewaltiger von Simone (Mareen Hafer) oder doch eher schwul? - Kai (Michael Pöllman), Sven (Markus Hamele) oder Andreas (Michael Stange)? Foto © Agnes Burkhardt, Dschungel Wien


DSCHUNGEL WIEN IM RASEND AGGRESSIVEN KREUZVERHÖR DURCH DIE GEFÜHLSWELT HETERO- UND HOMOSEXUELLER: KARSTEN DAHLEM HAT MIT DREIER OHNE SIMONE EINE STARKE REGIEARBEIT GELEISTET

Wie schön, dass man die Jugendzeit hinter sich hat. - Das denkt man sich während des Stücks Dreier ohne Simone im Dschungel Wien, dem dramatischen Erstling (1999) von Berlin-Kroate Kristo Šagor, geb. 1976. Denken lässt sich so etwas aber nur, wenn ein Stück es vermag, den Betrachter gefangen zu nehmen, so sehr, als befinde er sich selbst wieder in seinen Jugendjahren. - Eine grossartige Leistung des 31-jährigen Regisseurs Karsten Dahlem. Er hat rasend zwingende Aufführungstricks auf Lager, damit das geschieht: Bei der Jugend funktioniert´s sowieso, bei den Älteren eben auch. Inhaltlich mag sich dagegen nicht jeder sofort angesprochen fühlen. Denn die "Homosexualität" war - wie in diesem Stück - nicht zu jeder Zeit das (Haupt)thema - so etwa auch nicht in den 80-ern -, dafür aber die Frage und Suche nach dem ehrlichen Gefühl, nach der ehrlichen Begierde, nach dem passenden Partner. Um das zu erfahren, muß der Mensch höchst wahrscheinlich durch mehrere oberflächliche Aufreißereien und Fehlamouren tappen, er wird betrogen werden und andere betrügen. Die Elefanten im Porzellanladen sind ein Merkmal der Adoleszenz. Manch einer trampelt auch noch in der Erwachsenenzeit weiter...

Versteckte Gefühle im aggressiven Tumult

Wie die Jugend nun mal ist, so geht hier alles drunter und drüber. Es redet, oder besser schreit, jeder über jeden hinweg. Die Zuseher sitzen im Zentrum des Bühnenraums bei und neben den Schauspielern, eingezäunt durch eine schwarze Wand mit durchgehendem Querfenster, wohinter die Akteure streckenweise spielen und um die Zuseher herum rennen. Die vier Darsteller (alle um Mitte zwanzig) provozieren sich gegenseitig in hemmungsloser Sprache. Denn angeblich ist "Simone" vergewaltigt worden. Und die drei Jungs - Kai, Andreas und Sven - sind in Verdacht. Zusammen bilden sie eine Clique, wo jeder jedem näher kommt. Sie beschuldigen sich mit cool-gebrülltem "er war´s!", um neben dem Geständnis ihre - für einander - viel wichtigeren, wahren Gefühle zu erfahren. Es trifft zunächst Kai, den attraktiven Michael Pöllmann, mit Burschensprüchen wie "Fick die Henne!", oder "Sag doch! Wir sind unter uns!" (mitten in der Zuschauer-Menge, was manchen Teenager mitfiebernd protestieren lässt), bis Sven irgendwann ruft: "Du hattest noch nie was mit ner Frau, nicht?" - Und Kai: "Vielleicht." Sven: "Du bist aber nicht schwul?"

Angst vor der Homosexuellen-Bekenntnis

Damit ist das Thema eingeläutet. Schwul ist paradoxerweise der anfangs stärkste und militanteste Angreifer: Andreas (am energisch mitreißendsten: Michael Stange). Er küßte schon erfolgreich Kai, nachdem es mit Simone sexuell nicht klappen wollte. Bemerkenswert ist der Aufschrei "wäähh" der Zuschauer, als der Satz "Andreas steht nicht auf Frauen!" fällt, und Sven sich vor Ekel übergeben muss. Im Endeffekt zählt hier jedoch, ob jemand Vertrauen verletzt hat, indem er ein Geheimnis verriet. Die unschuldige Simone wird von ihrem aktuellen Freund, Sven, darin beschuldigt, um Andreas zum Bekenntnis - mit plötzlich rotem Lippenstift - zu zwingen, während sie in Wahrheit, wegen des Schocks nach der eigenen Erkenntnis, lange nichts sagte.

Als Vergewaltiger kommt demnach nur noch Sven, "das Weichei", in Frage. Und obwohl Simone (mädchenhaft-cooler Blickfang: Mareen Hafer) gesagt hat, "ich brauch jemanden, der nicht stärker ist als ich", sie aber Grimassen zieht, wenn Sven romantisch von ewiger Liebe zu ihr spricht, wird er immer unberechenbar angriffslustiger (Markus Hamele macht dabei eine glaubwürdig überraschende Männlichkeitssteigerung durch). Sodass er von Andreas als Retourkutsche eine Flasche voll Ketchup an die Brust geworfen bekommt.

Nach unterweltsartigen Saufliedern, beklemmenden Videoeinspielungen in Realzeit, unterhaltenden Zeitlupenbewegungen und Pop-Singerei zwischen den Sprachgefechten, nach dem plötzlichen Ernst im überschäumenden Kräftemessen, fallen schließlich mit ohrenbetäubendem Knall zwei Wände um, womit die Wahrheit endlich offenbart scheint: Simone wurde nie vergewaltigt; alles was zählt ist die Frage: Was wollen Frauen, was Männer? Und: "Bist du jetzt schwul?" - Denn das scheint auch für einen betroffenen Mann nicht immer ganz endgültig zu sein ..., wobei stets hinzu kommt, dass er Angst vor der Ablehnung der Umwelt hat, wenn er sich dazu bekennt. e.o.


DAS URTEIL EIN JUGENDSTÜCK, DAS GENAU IN DER SPRACHE DER HEUTIGEN JUGEND SPIELT. AGGRESSIV, KONFRONTATIV, VOLLER EFFEKTE, DYNAMISCH, UNGEWÖHNLICH. - EINE LEIDENSCHAFTLICHE WAHRHEITSSUCHE DER GEFÜHLE.

Demnächst:
Schwimmer im Treibsand * ab 16 Jahre * Produktion: Theaterfoxfire & Kaserne Basel (CH) & Dschungel Wien * Von: Benedict Thill nach Raymond Carver * Regie/Konzept: Corinne Eckenstein * Ort: Dschungel Wien * Zeit: 24., 25.10.2007: 10h30; 24., 25., 26., 27.10.2007: 19h30

Saturday, September 29, 2007

THEATER: "WITTGENSTEINS NEFFE" MIT ALOIS FRANK IN ROSA REGIE AICHINGERS

Das Genie in Minze Thomas Bernhard (Alois Frank) macht seinen toten Freund Paul Wittgenstein mit Klopapier "sauber": inhaltlich fragwürdig, trotz geschickten rosa Fadens. Foto © Frank / Aichinger


THEATER SPIELRAUM ALOIS FRANK SPIELT IN WITTGENSTEINS NEFFE THOMAS BERNHARD: LEIDER IN DEN FARBEN VON REGISSEURIN RENATE AICHINGER

Das ist gutes altes Theater, gespielt in guter alter Schauspielmanier, ohne große rhythmische, noch handlungsbezogene Abstraktion. Mehr braucht es eigentlich nicht, wenn man einen guten Schauspieler für einen außergewöhnlichen Monolog hat. Wittgensteins Neffe stammt als Prosa-Erzählung von Thomas Bernhard und wurde 1991 erstmals in Paris zur Einmann-Theaterfassung umgeschrieben. Bis Ende September war das Stück im Theater Spielraum Wien zu Gast, übrigens ein sehr nettes intimes Etablissement. Das Stück erzählt auf normverachtende und doch versteckt liebenswerte Weise von der psychischen Welt zweier Eigenbrötler, die sich im gemeinsamen Auftreten gegenseitig ihr verkanntes Genie zusichern: Der Erzählende, Literat "Thomas Bernhard", und der bereits Verstorbene, Mathematiker und Lebenskünstler Paul Wittgenstein, Neffe des Philosophen Ludwig Wittgenstein. Sie feiern ihre Genialität, zwischen Größenwahn und Selbstmitleid, in leiser Abschottung am Wilhelminenberg, Baumgartnerhöhe, auf einer Bank, wo sie sich in der Mitte des Weges treffen - der manisch-depressive Paul vom Pavillon "Ludwig" kommend, der psychiatrischen Heilanstalt Steinhof, der lungenkranke Thomas vom benachbarten pulmulogischen Krankenhaus, Pavillon Hermann. Vieles der Schilderung ist autobiografisch, weshalb der Text echt und rührend kommt. Mit all dem Weltschmerz, der großen Lust am Masochismus, wozu nur Österreicher fähig sein können, indem sie wiederholt das tun, was sie hassen.

Unsentimental-rührender "Schauspiel-Clown"

Vor einem Computer auf rosa Tischchen sitzend, das das rosa Gesicht seines verstorbenen Freundes zeigt, sinniert nun Alois Frank mit krank-weiß bemaltem Gesicht und roten Lippen als lungenkrankes Überbleibsel über seine Freundschaft zum toten Paul nach. Er blickt, scheinbar gefaßt, unsentimental und in festem Stimmsitz, zurück auf ihr erstes Kennenlernen bei Irena, wo sie über eine Konzert-Diskussion, worin er Karajan liebte, Paul jenen haßte, ihre charakterliche Nähe entdeckten. Er denkt an ihre - wegen Paul - verrückt-exzentrischen Begegnungen, ihre Übereinstimmungen von Seltenheitswert (Zitat: "Wir haben uns beide gegen alles gestellt" Und: "Die meisten Leute sind Erdäpfelköpfe"). Er denkt an ihre gemeinsam erlebten, wahnwitzigen Abenteuer, wie die erfolglose Jagd nach der Zürcher Zeitung (Zitat: "Österreichische Zeitungen sind täglich erscheinende Klosettpapiere"). Und er kommt darauf, was Paul letztendlich von ihm unterschied: "Er ist an seiner krankhaften Welt- und Selbstüberschätzung zugrunde gegangen... Er ist an seinem Denkvermögen explodiert, weil er mit dem Herauswerfen des Denkvermögens nicht nachgekommen ist." Paul, der Exzentriker, der mit endgültigem Ausbruch seiner Manie das Geld des Familienvermögens verschenkte, weiße Fracks schneidern ließ, die er nicht kaufte, der 400 Kilometer fuhr, um den Freund für ein paar Minuten zu besuchen und sogleich wieder nach hause zu fahren: Denn auf der Autofahrt sei man am glücklichsten, anzukommen sei schrecklich. - Eine Empfindung, die beide wieder eint.

Schrill-biedere statt "groteske" Regie

"Thomas Bernhard" dagegen - hier auf der Bühne, vor unseren Augen - wird als überlebender Stadtfreund für Fremde wohl weiterhin so tun, also sei er ein leidenschaftlicher Spaziergänger, obwohl er in der Natur "nur schnell erschöpft ist", er die Natur haßt. Er wird weiterhin verhaßte Wiener Literaturcafés oder den ebenso verhaßten Bräunerhof besuchen, obwohl er sie noch mehr als "das Sacher" haßt. Denn im Grunde befindet er sich hier in seinem Element, während er als einsames Genie seine Sinnierung durch kurze Dirigatsequenzen mit Kopfhörer unterbricht, selbst wenn er sich jetzt schämt, dass er den Freund zuletzt - wie all die anderen Leute, die Paul stets umschwärmten, solange er noch der Unterhalter war - nicht mehr aushalten hatte können. Weil er sah, dass er fast tot war. Und das, obwohl sie beide die Zählkrankheit teilten, was Alois Frank unter der Regie von Renate Aichinger mittels rosa Klopapierstücken die ganze Erzählung hindurch tut. Bis er in mathemathisch genauer Logik das am Ende damit ausgelegte Schachmuster abspringt. - Jene Handlung, die das Gesagte zu einem Abschluß bringt. Technisch ein schöner Effekt, inhaltlich schießt dessen Interpretation "vom Klopapier" als Quintessenz von allem Geäußerten jedoch weit über das öfter wiederholte "grotesk, grotesk" hinaus. Fast scheint dieser schrille Clown mit weißer Fratze sich selbst ins provinziell Lächerliche zu ziehen. Was schon mit dem mintfarbenen Anzug und den rosa Requisiten anklingt, die Alois Frank und die Bühne (er)tragen müssen. - Sähe das alles anders aus, wäre dieses Kammerstück eine rundum feine, geschmackvolle, klassisch-intensive Theatererfahrung geworden. e.o./m.


DAS URTEIL ALOIS FRANK VERSTRÖMT IN EINEM TOLLEN STÜCK UNSENTIMENTAL STARK GESPIELTE SENSIBILITÄT. SCHRECKLICHE FARBEN IN EINER ETWAS BIEDEREN REGIE DÄMPFEN ALLERDINGS SEINE KRAFT.

Demnächst:
THEATER Lerne lachen ohne zu weinen * Texte von Kurt Tucholsky * Mit: Alois Frank * Ort: Theater Spielraum, Wien 7 * Zeit: 9.10.2007: 20h
THEATER Der Herr Karl * Mit: Alois Frank * Ort: Kleinkunst Brennessel, 1080 Wien * Zeit: 5., 6., 27.10.2007: 19h30

Tuesday, September 25, 2007

FILM: "EIN FLIEHENDES PFERD" VON RAINER KAUFMANN ALS FEINE ÜBERRASCHUNG

Der introvertierte Lehrer Helmut (Ulrich Noethen) scheint nicht mehr zu wissen, was er an seiner Ehefrau Sabine (Katja Riemann) hat ...

... da muss erst Charmeur Klaus (Ulrich Tukur) mit seiner unbefangenen Helene (Petra Schmidt-Schaller) am Urlaubsstrand von Meersburg aufkreuzen ...

... und einiges durcheinander bringen, damit Helmut über seinen phlegmatischen Pessimismus nachzudenken anfängt. (Screenshots © Gate Film 2007)


ÖSTERREICHISCHE KINOS MARTIN WALSERS BESTSELLER EIN FLIEHENDES PFERD ALS INTENSIVE GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT VON RAINER KAUFMANN

Normalerweise sind die österreichischen Fernsehzuschauer deutsche-Schauspieler-verdrossen, da ebenso verseucht. Sie halten sie nicht aus, nachdem sie sie von Kindesbeinen an mit Muttern und Grossmama in hausbackenen Fernsehkrimis - oder noch schrecklicher - in deutschen Schnulzenserien ansehen mußten. Da herrscht nur noch Aversion in resistenter Natur. Deshalb auch das entsprechende, sich schal anfühlende Vorurteil der Ablehnung gegenüber dem gerade in den österreichischen Kinos anlaufenden Film von Rainer Kaufmann, wo allein schon der Titel Ein fliehendes Pferd mit den Schauspielern Katja Riemann, Ulrich Tukur, Ulrich Noethen und Petra Schmidt-Schaller abstößt. - Warum man sich diesen Film dennoch ansehen will, liegt an der gleichlautenden Novellenvorlage des deutschen Bestseller-Autors Martin Walser.

Und siehe da. Es geschehen noch Wunder. Plötzlich sind diese deutschen, perfekt sprechenden, stets steril und äußerlich-oberflächlich wirkenden Menschen interessant. Weil das Buch mit den kontrastartig angelegten vier Charakteren sie als geschlossene Gesellschaft dazu zwingt, intensiv und typenstark zu sein. Der introvertierte, lebenpessimistische, melancholische Lehrer Helmut (Ulrich Noethen) trifft am Bodensee beim Sommerurlaub auf den extrovertierten, hyperreißerischen, unternehmenslustigen "Weltmann-Zocker" Klaus (Ulrich Tukur). Helmut ist lange verheiratet mit der, von ihm sexuell nicht mehr beachteten und daher unbefriedigten Sabine (Katja Riemann), Klaus geht mit der offenherzigen, jungen Pilatestrainerin Helene (Petra Schmidt-Schaller). Und wie es so kommen muss, bahnt sich ein Partnertausch an, um Grundsätzliches der beziehungszermürbenden Routine zu klären.

Da zählen aber nun die feinen Nuancen "wie". - Wie sich Helmut aus der Reserve locken lässt, in subtiler Anspannung und großer Begierde gegenüber dem jungen Mädchen und in immer größer werdender Eifersucht gegenüber dem Charmebolzen Klaus, der sich an seine Frau heran macht. Das Gefühl des Losers treibt ihn zur gewissensquälenden Schandtat, nachdem Klaus als wilder Zorro über die Wiese galoppiert, in stürmischer See das Segelboot lenkt und seine Ehefrau zur Ekstase gebracht hat - und er, Helmut, bei Helene aber nicht wirklich landen kann; denn "ihr geht es eigentlich nicht um Sex", sagt sie. Und es wäre kein guter Film, wenn er sich selbst nicht am besten erklären könnte, deshalb hört die Kritik an dieser Stelle auf. Alles was man sagen kann, ist: anschauen und anfangen, über das eigene Leben nachzudenken ... e.o.


DAS URTEIL EIN WITZIGER UND ZUGLEICH NACHDENKLICHER DEUTSCHER FILM, DER VON SEINEN VIER HAUPTDARSTELLERN ALS GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT LEBT. INTENSIV UND LEHRREICH.

SPIELFILM Ein fliehendes Pferd * Nach der Novelle von Martin Walser * Deutschland 2006 * Regie: Rainer Kaufmann * Mit: Ulrich Tukur, Ulrich Noethen, Katja Riemann, Petra Schmidt-Schaller * Zeit + Ort: seit 21.9.2007 in den österreichischen Kinos

Monday, September 24, 2007

THEATER: "ROMEO UND JULIA" ALS TRAUM-TRAUMA VON SEBASTIAN HARTMANN













Romeo (Sven Dolinski) und Julia (Julia Hartmann) laufen viel vor einander davon und zu einander hin - zuerst noch wie im reinsten Fantasy-Action-Film ...


... doch mit Julia in vierfacher Ausfertigung im hysterischen Kampf mit Vater-Patriarch Capulet (Martin Schwab) kippt das Ganze ins angstvolle Horror-Science-Fiction-Genre ...

... wo Pater Lorenzo (Thomas Lawinky) die toten Kinderkörper von Romeo und Julia wie im Alptraum des Schlafes durch einen Regen aus Körperstummeln trägt. Fotos © Reinhard Werner / Burgtheater


BURGTHEATER SEBASTIAN HARTMANN ÜBT SICH IM FREIEN ASSOZIIEREN: ROMEO UND JULIA WIRD BEI IHM ZUM ALPTRAUM IM GOTHIC-LOOK

Entweder Regisseur Sebastian Hartmann ist ein Mann, der noch nie richtig geliebt hat, oder er ist ein Anhänger des Trash - jener alles zusammen stopfenden Kunstrichtung, die in Deutschland momentan so gefragt ist, Stichwort Jonathan Meese (derzeit in der Sammlung Essl) oder auch bei Polens Künstlerjugend, Stichwort Piotr Uklański (derzeit in der Wiener Secession). Der Trash bildet sozusagen den extremen Gegenpol zur anderen, gerade gehypten Linie: die der ästhetisch streng durchgezogenen Reduktion in stilistischer Dichte. Beide Trends schlagen sich nun also auch im Theater nieder: Hartmann veranstaltet den Trash bei Romeo und Julia im Burgtheater.

Vom Fantasy-Filmtheater zum Horror-Trash

Romeo und Julia sind mit Sven Dolinski und Julia Hartmann (des Regisseurs Halbschwester im letzten Schuljahr - ärger geht´s kaum noch mit der Protektion!) zwei hübsche, blutjunge Stereotype, wie man sie - egal wie (gut) sie spielen - in einem Hollywood-Film besetzen würde. Und tatsächlich denkt man bei Hartmanns Zugang zunächst an einen Fantasyfilm. Die schrille Überzeichnung, wenn Julia als oberflächlich übermütiges Kind ins Publikum grinst und quasselt, macht aber gleich klar, dass hier eine Art von Irrwitz mitschwingt (denn so schlecht kann nicht einmal eine Schauspielschülerin spielen). Hinzu kommt die plötzliche, irreal motivierte Herumspringerei von allen Darstellern. Jedoch auch hier meint man noch, der Regisseur imitiere einfach den Rhythmus des Films, wolle Schnitte und Kamerafahrten simulieren, indem sich ständig etwas oder jemand auf der Bühne bewegt, Geräusche und Musik schlagartig einfallen, sodass permanente Action tobt. Spätestens nun, wenn Julia in vierfacher Ausfertigung auftritt, erfaßt man aber, dass dahinter ein anderer Gedanke liegt. Neben der Bemerkung der generellen Unterdrückung der Frau, indem der Vater (Martin Schwab) Julia autoritär und brutal zwingt, den ungeliebten Paris zu heiraten, verströmen Mutter Capulet (die es heimlich mit dem jungen Tybalt hat: Myriam Schröder), der Geist und die Amme (Kirsten Dene) als "Julias" das wachsende Gefühlsausmaß an Unheimlichkeit, das sich im Geschehen breit macht. Schon der Geist (Mareike Sedl - eindrucksvoll; wäre wahrscheinlich auch eine bessere Julia gewesen), der von Beginn an als kryptische Figur des Schicksals oder Alter Egos verschiedensten Personen deren Sätze abnimmt und alles zu dirigieren scheint, nimmt die Unausweichlichkeit der höheren, grausamen Macht vorweg, die dem Menschen am stärksten in seinen Träumen begegnet. Das wird dem Zuschauer vor Beginn des Theaterabends auch wiederholend (auf Englisch) eingetrichtert: "Alles, was Sie hier sehen werden, ist ein Traum im Traum."

Das Fantasytheater in Videoclipatmosphäre entwickelt sich also mehr und mehr zum Theater-Alptraum aus Horror- und Sciencefictionfilm in blitzschnell ortsdurchspringender Wahrnehmungstäuschung, wobei Bewegung und Personenverdoppelungen für die assoziativen Gedankensprünge der Angst im Schlafzustand stehen. Ab und zu kommt noch eine typisch groteske Shakespeare-Figur vor, wie Sampson (wirklich lustig: Karim Chérif) als geistig angeschlagener Tölpel. Shakespeare-typisch sind auch die in burschenhafter Liebe verbundenden Kumpane, wie der aggressiv schlagende und zotenordinär potente Mercutio (wollüstern und körperpräsent: Markus Meyer), der von Tybalt (Patrick O. Beck) erstochen wird. Die stilistische Verdoppelung kehrt wieder, sooft ein gefährlich nahender Schicksalsschlag droht - beim Giftmischen und -trinken des Pater Lorenzo (Thomas Lawinky) etwa, der bei seinem ersten Auftritt wie das leibhaftige böse Ohmen in schnellem sex- und todesbetontem Körperspiel mit dem Geist die nachfolgende Geschichte von Romeo und Julia einläutet.

Fehlende Disziplin beim freien Assoziieren

Dass all das Böse und die Ängste der Menschen in der Natur ("Mutter Erde") begründet liegen - mag Hartmanns bestimmende und gleichermaßen provokante Logik für seinen Zugang sein. Sie schließt mit ein, dass des Menschen Furcht auch an eine gewisse Lust gekoppelt ist. - Wer würde sich sonst ein todgeweihtes Kinderpaar im Alter von 14 ansehen, das abwechselnd stirbt und wieder erwacht. Eigentlich ist das ja pervers! Pervers ist somit auch in immer schneller werdendem, eskalierendem Wahn, voll von schwarzer Magie im Gothic-Look dieses Stück. Langweilig ist´s mit den Todesengeln und von der Decke fallenden Körperstümpfen auf keinen Fall, rundum gelungen ist es als Inszenierung trotz illusionsreicher Bühnenoptik von Jürgen Bäckmann aber auch nicht. Hätte Hartmann den grafisch-gestischen Körperbild-Stil des ersten Drittels bis zum Ende durchgezogen, hätte er einen fantasievollen Romeo-und-Julia-Neumaßstab gesetzt, der ernst genommen werden hätte können. Denn für die Beständigkeit braucht es ein wenig mehr an Maß und Disziplin - selbst in der freien Kunst. (Obwohl die ungemeine Chuzpe des Regisseurs, auf Konformität und Gefälligkeit - speziell am Bürg(er)theater - zu scheißen, natürlich immens imponiert!) e.o./a.c.


DAS URTEIL ROMEO UND JULIA ALS AUSGEBURT EINER TEENAGER-ASSOZIATIONSFLÜSSIGKEIT IN TRAUMATISCHEN ÄNGSTEN. DYNAMISCH, PROVOKANT, EFFEKTVOLL - UND TROTZDEM NICHT WIRKLICH GUT!

THEATER Romeo und Julia * Von: William Shakespeare * Regie: Sebastian Hartmann * Mit: Mareike Sedl, Sven Dolinski, Julia Hartmann, Markus Meyer, Karim Chérif, u.a. * Ort: Burgtheater * Zeit: 25.5.2008: 18h

Friday, September 21, 2007

TANZ-PERFORMANCE: TRISHA BROWN BRINGT EINEN IN "EARLY WORKS" ZUM PLATZEN

Ein witziges Bild, doch zum Zusehen entsetzlich fad: Trisha Browns Floor Of The Forest, wo zwei Männer - auf einem Seilnetz gespannte - Kleider anziehen, um sich mit der Schwerkraft zu matchen.


TANZQUARTIER TRISHA BROWN IST IN EARLY WORKS SO UNSPEKTAKULÄR FAD - UND DABEI ABER SO SELBSTHERRLICH -, DASS MAN PLATZEN KÖNNTE

Gestern im Tanzquartier - das war mal wieder eine echte Zumutung, sodass man als Zuschauer glaubte, platzen zu müssen. Wie kommt ein Performancekünstler zu dieser maßlosen Selbstüber- und Fehleinschätzung, dass etwas, das ihn selbst beim Machen anregt, reicht, um einem, der zusieht, dasselbe Gefühl zu vermitteln! Man denkt sich - wie so oft in dieser Bewegungsstätte - in was für einer aussichtslos verlorenen Lebensphase diese zwanzig bis fünfzig Zuseher sein müssen, dass sie sich vormachen lassen, ihnen würde hier etwas geboten. Haben sie eine Art von Gehirnwäsche durchgemacht, werden sie erpresst, oder ist der einzige Grund dafür, dass sie in Wahrheit Hobby-Yoga-isten sind, die sich in den Turner auf der Bühne versetzen, um sich denken zu können, "ah, das mache ich beim nächsten Training auch, denn in Wahrheit bin auch ich ein "Künstler"!"?

Trisha Brown - heute besser als in den 70-ern

Nun ist ja die Amerikanerin Trisha Brown nicht irgendwer (war gerade bei der documenta XII). Bei ImPulsTanz 2005 tanzten drei Etoile-Spitzentänzer des Pariser Opernballetts ihre fragil-schöne Choreografie O zlózóny / O composite zu Laurie Andersons spröder Gedichtmusik, deshalb wollte man sich nun im Tanzquartier ihre Early Works von 1970 bis 1974 ansehen. - Was für eine Enttäuschung. Es war schon klar, dass ihr bekannter Stil des "Minimalismus", wo wiederholende Phrasen als Endlosschleife in stetig kleinen Abweichungen etwas mit Konzentration und Bewußtsein zu tun haben, kein großartiges Gefühlsspektakel werden würde - aber so mickrig hätte es nun auch wieder nicht sein müssen. Vielleicht wäre es ja mit etwas dramatischerer Lichtsetzung erträglicher geworden. Doch wenn das Programmkonzept allein schon "nichts" enthält, wird auch das "nichts" mehr nützen.

Zuerst bewegte die junge Sandra Grinberg in Accumulation mit rundem Bauch zu einem Hippiesong repetitiv ihre Hände und Füße - ziemlich fad. Dann kletterten zwei (wenigstens) gut gebaute Männer über ein Seilgerüst in Floor of the Forest, um sich die darauf gespannte Wäsche anzuziehen und so die Schwerkraft zu überwinden - für sie bei etwa 30 Minuten vielleicht abenteuerlich, für die rundum stehenden Zuseher: total fad. Dann wiederholten vier Tänzerinnen in Group Primary Accumulation eine sich allmählich verändernde Unisono-Ballett-Boden-Übung in 360°-Drehung - recht lang und daher lange fad. Die zwei Steckentänze Sticks und Figure Eight sind daraufhin Balanceacts und Vertrauensbeweise an die Partner - da kurz, halbwegs interessant. Und in Spanish Dance schließen vier Tänzerinnen Hintern-wackelnd im Dominoeffekt, nur mit Körper- nicht Augenkontakt am Gruppenrhythmus an - kurz und damit gerade noch erträglich. Alles zusammen: ärgerlich lächerlich! e.o.


DAS URTEIL TRISHA BROWN WAR IN DEN SIEBZIGERN OFFENSICHTLICH NOCH AM ANFANG. EINE DARBIETUNG ZUM SCHREIEN.

TANZ-PERFORMANCE Early Works * Von: Trisha Browon * Mit: TRISHA BROWN DANCE COMPANY (USA) * Ort: Tanzquartier / Halle G * Zeit: 21., 22.9.2007: 18h30 + 21., 22.9.2007: 20h30

Thursday, September 20, 2007

THEATER: VOM "REIGEN" ZUM KREIS VON STEPHANIE MOHR

Alfred (Herbert Föttinger) ist ein Voyeur, der sich gerne von der Putzfrau (Sandra Cervik) "putzen" lässt ... und nachher treibt er es heimlich mit einer verheirateten Frau... (Foto © Sepp Gallauer)


KAMMERSPIELE DOPPELMORAL IN STEPHANIE MOHRS REIGEN - DAS HÄTTE MAN BESSER "KREIS" GENANNT ...

"Reigen" klingt geheimnisvoll verrucht, nach literarischem Karussell der verbotenen Liebe. Noch dazu, wenn es sich auf ein Stück bezieht, das von Arthur Schnitzler stammt. Den von Stephanie Mohr inszenierten Reigen vom Theater in der Josefstadt, was im Zuge der Renovierung des Haupthauses im Zweitspielort, den Kammerspielen, aufgeführt wird, hätte man allerdings besser "Kreis" genannt. Kreis - weil das unliterarisch, wenig musisch nach Alltagskultur und damit nach Sex in Alltagsroutine klingt. Das Geheimnis ist dem Sitcom-Schmäh gewichen.

Somit ist auch dem Stück die Raffinesse verloren gegangen. - Obwohl die Form, wo zwei Schauspieler sämtliche Rollen verkörpern, originell ist, was darüber hinaus eine tiefenpsychologische Neuinterpretation bedingt, die - mit Schnitzlers Traumnovelle vermischt - zum heute tatsächlich wieder erstrebenswerten Plädoyer für die Romantik einer Dauerbeziehung wird. Schnitzlers skandalöses Statement von der prinzipiellen Promiskuität des Menschen zur Jahrhundertwende um 1900 ist 2007 der bürgerlichen Sehnsucht vom Finden des Richtigen zwecks erfülltem Dauersex zu zweit gewichen. Das wird noch unterstrichen, indem die Hauptdarsteller, Herbert Föttinger und Sandra Cervik, auch im tatsächlichen Leben verheiratet sind. Es erhöht die Moral bis zur Biederkeit. Selbst wenn beide starke, sexy Schauspieler-Persönlichkeiten sind, die sich (vor allem sprachlich) gut verwandeln: er wirkt sehr männlich, als Prinzipientreuer und wie ein echter Führer, sie "ist" alles: vom Wiener Prolomädel, über die Prostituierte bis zur Schauspieldiva.

Softporno in provinzieller Stadttheaterprüderie

Schnitzler hatte mit diesem ersten "Softporno" ein Stück über das Sexualleben quer durch alle Gesellschaftsschichten geschrieben, wobei der Sexkreis nun auch in Mohrs Fassung mit der Nutte beginnt, die sich in einer Schaukabine vor einem Soldaten räkelt, der nach ihr eine Luftballonverkäuferin verführt, die danach als Putzfrau von einem verkappten Voyeur und Playboy-Leser ausgezogen wird, der sich wiederum mit einer verheirateten Frau trifft, deren Ehemann an ein Starlett, die an einen Theaterschriftsteller, der an eine Schauspielerin, die an einen Grafen, und der wieder zur Nutte gerät. Bei alledem werden die gesellschaftlichen Muster und Methoden gezeigt, wer warum und mit welcher triebgesteuerten Motivation in Körperkontakt mit dem anderen Geschlecht kommt. Dem Mann geht es meist um den Sex, der Frau auch um mehr, wobei der Mann in höherer Klasse noch nach Selbstbestätigung strebt, wo die Frau am besten noch seine Identität wahrnimmt (oder die Frau umgekehrt "natürlich schön und damit dumm" ist), und Künstler beiden Geschlechts auch bewundert werden wollen. In dieser Interpretation laufen nun den ganzen Reigen hindurch noch zwei Videos, die ein Paar im Ehebett zeigen, das von seinen (sexuellen) Träumen spricht - die sich im Bühnenschauspiel letztenendes bewahrheiten. Und in diesen Träumen kommt es zur Erkenntnis, dass die Suche durch mehrere Körper eigentlich nur der Suche nach der großen Liebe diente; und fand man sie bereits, dient der Seitensprung dazu, sich darin zu bestätigen, den und die Richtige(n) zu "haben".

Diese Aussage ist sehr weise. Doch die Atmosphäre des Stücks ist - wie gesagt - zu provinziell, um dafür zu werben. - Wenn man schon immer mit dem- und derselben ins Bett gehen soll, dann muß das mit so viel insgesamtem Stil und Niveau geschehen, dass es auch reizvoll ist. Der Stil steht schließlich für den Wert im Kopf. Dass sich der Wert dann animalisch umsetzen lassen kann, muss man ja nicht unbedingt sehen. (Wobei wir im konkreten Fall aber lieber noch etwas Animalisches gesehen hätten, als diese biederen Ausblendungs-Videopixeln anstatt des Koitus.) Das alles hat die Ausstrahlung von komisch-ländlicher Nudelaug-Prüderie in der Verkleidung von etikettierter Durchsicht eines offenen Stadttheaters. e.o./a.c.


DAS URTEIL TROTZ ZWEIER STARKER, SEXY SCHAUSPIELER UND ORIGINELLEN ZUGANGS ÜBERWIEGT DIE NUDELAUGPRÜDERIE.

THEATER Reigen * Von: Arthur Schnitzler * Regie: Stephanie Mohr * Mit: Sandra Cervik, Herbert Föttinger * Ort: Jetzt im Theater in der Josefstad Wien * Zeit: 23.3.+22.4.2008: 19h30 + 12.4.2008: 14h30

Wednesday, September 19, 2007

THEATER: FRIEDERIKE HELLER BASTELT PAARE IN HANDKES "SPUREN DER VERIRRTEN"

Konventionelle Paarbildungen gibt es genug. Selbst Gruppensex ist das schon: mit Sachiko Hara, Petra Morzé, Philipp Hochmair, Jörg Ratjen ...

Die Paare sind demnach so überholt, dass sie wie der Zeit-Raum individuell von jedem einzelnen Menschen erneuert gehören ...

Philipp Hochmair legt deshalb ein Ei, das neben hoffnungsvollen Zukunftsfedern nur noch männliche Relikte wie einen Heroenhelm enthält. (Fotos © Georg Soulek)


AKADEMIETHEATER GEGEN DIE KONVENTION TANZT PETER HANDKES STÜCK SPUREN DER VERIRRTEN UND INSZENIERT ES FRIEDERIKE HELLER

Genau genommen ließe sich die Aussage von Peter Handkes Spuren der Verirrten am Akademietheater auf fünf Minuten Spiel- und Handlungszeit reduzieren. Man könnte ein Paar zeigen, das heiratet, sich liebt, haßt, streitet, Sex hat, sich vielleicht scheiden lässt, oder auch zusammen bleibt. Und dann könnte man es sagen lassen: "Ich habe nur so mit dir geliebt und gelebt, weil es von außen, "mit den Augen von Dritten", so verlangt wird. Ginge es allein nach uns beiden, wären wir nie so konventionell geendet, sondern hätten uns unsere eigene Idee vom Paar geboren." - Auf diesen Aufruf scheint Handkes Stück hinaus zu laufen, und er ist doch in rebellischem Sinne so sehr Klischee wie im Inhalt eine Illusion. - Man könnte genauso gut sagen: In der Konvention liegt das eigentliche Glück verborgen, sonst hätte sie sich im Laufe der Geschichte kaum durchgesetzt. Wobei aber gar nicht klar ist, was Handke nicht alles unter der Konvention versteht. (Und außerdem leben heute ohnehin die meisten Pärchen unkonventionell zusammen... )

Reiz der Sprache und des Rhythmus

Der Reiz dieses Stücks liegt also nicht so sehr in Handkes Aussage, sondern in seinen fantasievoll schlagfertigen Satz- und Wortwandlungen, in der Musikalität der Textarchitektur und rhythmischen Handlungsform, in der Spannung der kurz angedeuteten Konventionsszenen, sodass das Zuschauerhirn sofort das ganze Umfeld hinzu kombiniert. Das Publikum bekommt geistig sehr viel zu tun, obwohl dieses Theater genauso als Konzert erlebt werden könnte. - Schon weil die anregende Hamburger "In"-Band Kante, mit zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Klavier (Melodica) und Sänger, (fast) durchgehend auf der Bühne weilt und sie das ganze Geschehen rhythmisch zu leiten scheint.

Raum mit Leben

Das soll keinesfalls die Leistung von Regisseurin Friederike Heller schmälern. Sie arbeitet grafisch und rhythmisch detailreich mit den Darstellern, sowie mit einem sehr guten Auge für den Raum, sodass dieser fast so lebendig ist wie ein weiterer Darsteller. Ja, der Raum mit der futuristisch-technisch-kühlen Ausstattung von Sabine Kohlstedt hat ein Leben. Er besteht aus einem schick designten, schiefen Boden mit Karomuster - das wohl das Kästchendenken der Paare andeutet - mit seitlichen Videomonitoren oben, die abwechselnd das Bodenmuster im bewegten Aufbruch und ein Einfamilienhaus mit Auto am Land wiedergeben. An den Seiten stehen noch sechs Stühle, auf denen die Darsteller mit Mikrofonen sitzen: die Männer rechts, die Frauen links. Im Zuge der Handlung fällt der Raum sowie die Geschlechterordnung computerdesign-artig zusammen, sodass die Karos verzerrrt erscheinen, die Decke - den Boden spiegelnd - schräg nach hinten abfällt, und die ganze Raumform vom "Recht-" zum "Tiefeck" geworden ist. So viel zur suggestiven Bühnen-Aufforderung zur eigenen Lebensraum-Gestaltung als Parallele zu jener des "eigenen Paarraums".

Schemenhaftes Paarleben

Während nun ein Darsteller einzelne Paarkonstellationen in Prosa beschreibt, die andere oder er selbst sogleich auf abstrakte Pointe hin reduziert darstellen, steigert sich die wechselnde Perspektive - von Beobachtung zu Handeln, von Zuschauer zu Akteur, vom Dritten zum Paar - zum Kollaps (Zusammenbruch) hin - wie in der guten alten Rockmusik. Die Sprünge von Zuneigung auf Ablehnung sowie von Nähe auf Entfernung, bieten innerhalb der Paarbeziehungen manches erotische Moment, was so viel wie dem Kollaps im Kleinen entspräche. Da es Handke aber ums Prinzip geht, zählt hier der große Pauschalkollaps, der sich selbstverständlich gegen die Zeit richtet, gegen routinierte (Helden-)Väter und Söhne, Mütter und Töchter. Von den überlieferten Bildern und beobachteten Dramen sollen wir zum eigenen, individuellen, nackten (= Philipp Hochmair superkurz am Ende) Leben gelangen, denn die Zeit zur Konventions-Verirrung auf der Erde ist für den einzelnen Menschen zu knapp.

Die Highlights

Obwohl also Band Kante, Raum und Text/form die eigentlichen Stars des Abends sind, kommen auch die Schauspieler ambitioniert rüber. Selbst wenn sie als eigenwillige Typen - von außen (vom Dritten, "konventionell") betrachtet - nicht alle passend gepaart sind. Aber dass sie innerhalb ihrer permanenten Paarbildung (Petra Morzé - Philipp Hochmair, Rudolf Melichar - Bibiana Zeller und Sachiko Hara - Jörg Ratjen) immer wieder andere Paarmuster spielen - so wie ein gleich bleibendes Tanzpaar verschiedene Tanzstile bzw. -schritte umsetzen würde - verlangt ihnen minutenschnelle Verwandlungskunst ab. Und doch tritt jede einzelne Persönlichkeit über die Fülle an Figuren hinter die allgemeine Schemenhaftigkeit zurück. Logischerweise fallen jene positiv auf, die sich gut zu bewegen wissen, wie Sachiko Hara - deren asiatisch-übertriebene Schauspielweise als aggressiv-trotzige Kindfrau ansonsten nicht jedermanns Sache ist - und Philipp Hochmair, der als ei-legender Vogel zwecks Neuanfangs wieder einmal den Vogel höchster Darstellungskunst abgeschossen hat! e.o./r.r.


DAS URTEIL HANDKE IST NOCH IMMER EIN SEHR MODERNER AUTOR, WOMIT AUCH DIE BURG ZUM ZEITGEMÄSSEN BÜRGERTHEATER WIRD. ETWAS FÜR MUSIK- UND TANZTHEATER-LIEBENDE, DIE SICH ZEITWEILIG AUCH MIT SPRACHLICHEN INTELLIGENZBESTIEN UMGEBEN WOLLEN.

THEATER Spuren der Verirrten * Von: Peter Handke * Regie: Friederike Heller * Ausstattung: Sabine Kohlstedt * Musik: Kante * Mit: Philipp Hochmair, Rudolf Melichar, Petra Morzé, Sachiko Hara, u.a. * Ort: Akademietheater * Zeit: 3.4.2008: 20h

Sunday, September 16, 2007

OPER: CARLOS WAGNER FÜHRT IN DIE MASSVOLLE "TEA"-WELT VON TAN DUN

Der Umgang mit Streben und Gefühlen sollte im Leben so maßvoll und bewußt gehandhabt werden, wie die Tee-Zubereitung und -Servierung - das weiss der Mönch Seikyo (Klemens Sander) jetzt ...

... denn er verliebte sich einst in die Prinzessin Lan (Cornelia Horak), die ihr eifersüchtiger Bruder (mit Maske: Alexander Kaimbacher) nicht hergeben wollte ...

... sodass er sich von ihm provozieren ließ, das "echte Buch vom Tee" zu suchen. Auf der Reise begleitete ihn Lan. - Immerhin kommt es dort zum schwindelerregenden Kuss, aber auch zum fatalen Ende! - Fotos © Armin Bardel


SEMPER DEPOT CARLOS WAGNER VERFÜHRT IN DER NEUEN OPER VON TAN DUN, TEA, IN DIE ÖSTLICH-WESTLICHE MEDITATIONSWELT WIDER LIEBE, EHRGEIZ UND EIFERSUCHT

Wenn im Tee die fünf aus der reinen Natur zur Vollkommenheit entwickelten Elemente - Wasser, Feuer, Holz, Metall und Erde - vereint sind, so muss der Tee der Inbegriff der perfekten Harmonie sein. - Das war die Schlußfolgerung des ersten Tee-Literaten bzw. -Wissenschaftlers Chinas und später erkorenen "Teegotts", Lu Yu. Wobei diese Harmonie aber noch einmal durch die "Kultur des Tees" in sich selbst gesteigert wird, da sie erst durch "Einfachheit, Mäßigkeit und besonnenes Gleichgewicht zwischen den Hauptelementen" erreicht wird. - Das sollte man wissen, um die Quintessenz von tea, der Oper aus dem Jahr 2002 des zeitgenössischen Starkomponisten Tan Dun, vollends zu verstehen, die die Neue Oper Wien im Semper Depot unter Carlos Wagners tänzerisch-melodiöser Regie gerade aufführt.

Eine Musik, die Seelen reinigt

Aber auch ohne diese Vorkenntnis lässt sich erahnen: Tan Duns Musik kann Seelen reinigen. Die ganze Welt liegt darin und treibt in parallel laufenden, stilistisch eigenständigen Tonfolgen und -elementen ihr facettenreiches, vielfärbiges Spiel in harmonischer Ganzheit, wo westliche Gefühlsdramatik in wundersamer Symbiose mit gregorianisch-buddhistischem Mönchsgesang und Tempelklängen einher geht. Simpel gesehen schlägt sich die chinesische Herkunft und das New Yorker Lebensumfeld Tan Duns zu gleichen Teilen in seiner Musik nieder; sie ist jedoch "westlicher" als Libretto und Aufführungsatmosphäre des Stücks und schafft es, begeistert gesagt, als eine der ganz wenigen zeitgenössisch-melodischen Mischformen, in atonaler Struktur weder zu geistig-verloren abstrakt, noch zu spekulativ unterhaltend angepaßt zu sein. In sich stimmig ist diese Musik sowohl höchst neu, modern, edel, als auch rhythmisch, lautmalerisch, emotional - weil sie - neben dem Ineinanderfließen von Geschichte, Text und Musik - nach dem, von Tan Dun bezeichneten "organischen" Musikkonzept funktioniert: Im ersten Akt plätschert Wasser (zu Feuer als Gegensatz) zu Dirigent Walter Kobéras exzellentem amadeus ensemble-wien - als Kunde der Wiedergeburt -, im zweiten verbreitet Papier-Wedeln die Kunde des Windes, im dritten Akt bereiten geschlagene Steine und Keramik-Töpfe die Kunde des Schicksals.

Vom Maß der gesunden Liebe

Materie und Geist fließen demnach in die Musik ein, so wie sie als Diskussionsgegenstand im Libretto von Tan Dun und des Chinesen Xu Ying dominieren: im Stil zwischen traditionell westlicher und chinesischer Oper, von No- und Kabuki-Theater verstecken sie sich in der fiktionalen Geschichte vom Geschwisterpaar, der chinesischen Prinzessin Lan (die intelligent und leidenschaftlich schön singende Sopranistin Cornelia Horak) und ihres Bruders (der lyrische Tenor Alexander Kaimbacher), der seine Liebe zu ihr verteidigt, als sich der japanische Mönch Seikyo (Bariton mit Fähigkeit zur Kopfstimmen-Jonglierung Klemens Sander) ernsthaft um sie bemüht. Dass die Geschwisterliebe seitens Bruder bereits das gesunde Maß von "Ausgewogenheit" verloren hat, liegt auf der Hand. Denn er trägt doppeldeutig immer wieder eine chinesische Affenmaske, was einerseits sein krankhaftes Festhalten an die gemeinsame Kinderzeit beim Spielen, andererseits seine aggressive Tarnung ausdrückt. Diese kranke Liebe ist dann trauriger Ausgangspunkt für eine weitere Unmäßigkeit, die selbst Mönch Seikyo ergreift. Denn er provoziert den Prinzen, indem er sagt, "dein Buch vom Tee ist eine Fälschung". - Sonst würde er ja kaum das falsche Maß von Tee (von Liebe) pflegen. - Und Seikyo muss sich aufmachen, um das "echte" Buch zu finden, um ihm das gesunde Maß zu beweisen.

Lan begleitet Seikyo. Auf einer drachenähnlichen Flugzeugsänfte mit zwei Passagierstühlen, wo es auch einen Steward gibt, der ihnen auf überhöhte Weise die Sicherheitsregeln beibringt - die einzige komische Stelle im Stück - reisen sie ins Ungewisse. In immer schneller werdender Drehung wird das aber auch der Platz ihrer ausgelebten Liebe und Leidenschaft. Einblicke auf Busen und Bein Lans und Kussszenen verdeutlichen raffiniert ihre Romantik, während die Windgeräusche lauter werden, und grüne Blätter von der Decke fallen. Kurz erinnert die Musik an Strawinsky als die Liebenden schließlich zur Tochter des Teegottes Lu Yu gelangen, der Ritualistin (Maren Engelhardt - einmal in mythisch-zerzauster, einmal in klerikal-gepflegter Montur), der von ihrem Vater aufgetragen wurde, Seikyo das Buch zu überreichen. Doch Lans, auf einer Liane herein gesprungener Bruder erträgt die Wahrheit nicht und fordert Seikyo zum Schwertkampf auf. In den traditionellen Kampftanz wirft sich Lan. Sie wird dabei von der Klinge getroffen. - Erst ihr Tod bringt die beiden Männer zur Einsicht, doch dem Kaiservater (schöner, bedrohlicher Bass Steven Gallop) bleibt nur die Trauer: "Ohne Dich ist das Leben lebendiger Tod!"

Tee ist der Spiegel der Seele

Zu Harvenklängen und Orchester singen die Mönche rituell und mit gesprochenen Tonspitzen wie "kkkkkkk" oder "sssssss", während sie im Kreis sitzen. Gehen sie, schweben Gesangsfetzen in unterschiedlicher Lautstärke und Betonung an den Ohren der - wie im Amphitheater - aufgereihten Zuschauer vorbei. Der Sandstein kitzelt unter den Füßen der Sänger in nacktschultrigem, weißem Binde- und Kittelgewand (Bühne und Kostüme Christof Cremer); denn der Sand ist die Materie, die zum Ausgleich führt wie der Tee. Beides sagt: Sowohl im ehrgeizen Erkenntnisstreben gibt es den Fanatismus, als auch in der Liebe (Zitat: "... wenn du weniger liebtest..."). Und nur die Natur und der bewußte Umgang mit ihren Elementen kann zur gesunden Ausgewogenheit führen. Die Eifersucht ist meist das erste Signal zum bewußten Erkennen. Man sollte jene nur so weit zulassen, um zu wissen, "man liebt", "man will". Kommen dem Menschen beim Servieren von Tee - wie wahrscheinlich Seikyo zu Beginn und Ende des Stücks - solche Gedanken, so wird er feststellen: "Tee zu servieren, ist das schwerste". Denn bereits hier muss die maßlose Liebe, das maßlose Streben, durch Besinnung unterdrückt werden. Deshalb ist auch der Tee, gleich dem Untertitel der Oper: "der Spiegel der Seele". Also: nicht zu lang ziehen lassen! Ist er bitter, hat die Seele Schrammen - dann wird´s mit Liebe und Beruf sicher nichts! e.o.


DAS URTEIL EINE DURCH UND DURCH BEDACHTE KOMPOSITION SEITENS MUSIK UND LIBRETTO: SEHR PRÄZISE ERARBEITET VOM TEAM, AUFWÜHLEND GESUNGEN. DOCH NUR, WER DIE SYNOPSIS KENNT, WIRD DIESEN SCHATZ ZUR GÄNZE MITBEKOMMEN. SELBST WENN DIE MUSIK ALLEIN VERZAUBERT.

OPER tea * Von: Tan Dun & Xu Ying (Co-Libretto) * Regie. Carlos Wagner * Dirigent: Walter Kobéra * Bühne: Christof Cremer * Mit: Klemens Sander, Cornelia Horak, Alexander Kaimbacher, Steven Gallop, Maren Engelhardt, u.a. * Mit: amadeus ensemble-wien * Ort: Semper Depot Wien * Zeit: 18., 20., 21., 22.9.2007: 20h30

Friday, September 14, 2007

THEATER: CAROLIN PIENKOS GLÜCKSHAND FÜR "DIE ZOOGESCHICHTE"

Der unheimlich-komische Jerry (stark: Daniel Jesch) spricht den zufriedenen Durchschnittsbürger, Verleger Peter (Cornelius Obonya, jetzt ohne Bart), im Park an. - Was will er von ihm?


AKADEMIETHEATER EINE HAND ZUR CHARAKTERFÜHRUNG HAT REGISSEURIN CAROLIN PIENKOS IN DIE ZOOGESCHICHTE VON EDWARD ALBEE

Ganz schön unheimlich. Da sitzt man seelenruhig - wie jeden Sonntag - im Park, auf seiner Lieblingsbank, plötzlich kommt dieser komische Typ daher und will von seinem Erlebnis im Zoo erzählen. Er sagt darüber aber nichts, sondern demontiert viel mehr, sukzessive, Stimmung und Existenz des Wohlgelaunten - des Verlegers Peter (Cornelius Obonya). Zwei Töchter zu haben, sei schließlich nicht dasselbe wie ein Sohn, Katze und Wellensittiche reichten kaum an einen Hund heran, und hat man einen Lieblingsschriftsteller, zählt die Meinung, warum, nichts. Dazu die unheimlichen Horror-Geräusche, die an den zwei Bänken vorbei ziehen und durch die hohen grauen Büsche rauschen, wo die Beiden vor den fremden Blicken geschützt, oder besser... den schützenden Blicken Fremder entzogen sind.

Ein liebeshungriger Irrer geht um

Dieser Jerry (Daniel Jesch) ist Peter nicht geheuer, und dennoch hört er ihn ab, legt sein Buch, das er lesen wollte, beiseite. Er erzählt ihm von seinen Liebeserfahrungen, worin er mit keiner Frau öfter als einmal ins Bett gegangen ist, nachdem er mit 15 schwul gewesen war, weil er es aus reiner Sexsucht, regelmäßig mit einem Jungen treiben mußte. So viel Intimität ist Peter unangenehm. So erzählt ihm Jerry von seinen Lebenseindrücken im herunter gekommenen New Yorker Mietshaus, wo er wohnt, mit der schwarzen Tunte am einen Ende des Ganges und der puertorikanischen Familie am anderen, und der weinenden Frau in der Mitte. Von der hundsgeilen, nach Alkohol stinkenden Vermieterin, die passenderweise auch gleich einen schwarzen Hund mit blutunterlaufenen Augen und ständig erigiertem Glied um sich hegt. "Diese Tatsachen gehören in Romane!", klagt Jerry, sodass man glauben könnte, das alles sei nur ein Trick, um Peter sein Manuskript einzureden. Und Peter fragt nun tatsächlich mißtrauisch: "Warum erzählen Sie mir das alles? Was wollen Sie von mir?"

- Jerry erzählt weiter von seinem Hass gegenüber dem Hund, der ihn anfällt, sobald er das Haus betritt, sodass er ihn schon töten wollte. Er versuchte ihn zu vergiften, was der Hund aber überstand, und durch den an die Substanz gehenden Zweikampf verliebte sich Jerry in das Tier. - Die einzige Gefühlsbindung, die Jerry jemals entwickeln konnte. "Der Mensch ist des Hundes bester Freund", sagt er. Und komme er jetzt nach hause, schaue ihn der Hund nur an, in geheuchelter Gleichgültigkeit. Als hätten sie den Deal abgeschlossen, sich aus dem Weg zu gehen... "Es ist ja auch der Hund der Vermieterin", meint Peter und will jetzt gehen, doch Jerry lässt ihn nicht ... Und ein neuer Zweikampf beginnt, und die Polizei hört Peter nicht, wenn er nach ihr ruft ...

Amerikanische Antwort auf das absurde Theater

Wo liegt Jerrys Absicht? Und was ist nun mit der Zoogeschichte? - Diese beiden Fragen lassen den Zuschauer bei der Geschichte von Anfang an nicht los, die in Wahrheit ein verzweifeltes Bild von gesellschaftlicher Einsamkeit, Entwurzelung und Scheinheiligkeit in der Großstadt zeichnet. Großartig gespielte, klaustrophobe Charakterstudie der beiden Burgschauspieler Jesch (expressiv viel redend!) und Obonya (impressiv zuhörend!), in dem heute noch aktuellen, lebensnahen Stück Die Zoogeschichte. Obwohl Edward Albee damit 1958 das künstlerisch abstrakte, absurde Theater Europas durch emotionale Spannungssteigerung den amerikanischen Verhältnissen angepaßt hat. (Am 7. Oktober 2007 hat übrigens Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf am Volkstheater Premiere!) Anders wie ein auf 1h 20min gestutzter Sturm von Shakespeare am Akademietheater, ist diese Inszenierung mit derselben Kürze in sich geschlossen vollendet. Ein intensives, expressives Theatererlebnis, sehr fein zugespitzt von Regisseurin Carolin Pienkos. e.o.


DAS URTEIL FÜR FANS DES ABSURDEN THEATERS, DRAMATISCH ERLEBT UND GESPIELT: EIN UNHEIMLICHER PSYCHOTURBO MIT ÜBERRASCHEND BITTEREM SCHLUSS.

Theater Die Zoogeschichte * Von: Edward Albee * Regie: Carolin Pienkos * Mit: Daniel Jesch, Cornelius Obonya * Ort: Akademietheater * Zeit: 19., 28.11.2007: 20h + 2.12.2007: 20h30 + 16.12.2007: 19h

Wednesday, September 12, 2007

THEATER: BARBARA FREY MACHT SHAKESPEARES "STURM" FAST LEBLOS KURZ

Drei sehr gute Schauspieler in mehreren, zum Teil verfremdeten Rollen: Joachim Meyerhoff (u.a. Ariel, Ferdinand), Johann Adam Oest (u.a. Prospero), Maria Happel (Miranda und Caliban) - Foto © Matthias Horn


AKADEMIETHEATER DER STURM KOMMT ALS LEBENS- UND KUNSTBILANZ VON WILLIAM SHAKESPEARE EIN WENIG ZU KURZ. DA HÄTTE SICH DER WELTDRAMATIKER WOHL DOCH MEHR LEBEN ERWARTET

Kennt jemand die Inhaltsangabe von Shakespeares Sturm noch nicht? - Wenn nein, dann gehe er bitte ins Akademietheater und schaue sich die auf 1 Stunde und 20 Minuten geraffte Kurzerzählung von Regisseurin Barbara Frey an. Denn drei Schauspieler erzählen einander, während sie zwischenzeitlich auch mehrere Rollen verkörpern, die Geschichte. Prospero (Johann Adam Oest) macht dann noch klar, dass es bei dem ganzen Stück um Shakespeares Bilanz über die Grenzen und die Relativität der Kunst geht. - Das müßte man normalerweise am Ende vom Schauspielführer lesen. - Also immerhin eine Studienerleichterung.

Bei diesem Zugang handelt es sich aber auch um eine Verfremdung - was die Moral von der Geschicht´ umso stärker betont. Und da das Liebespaar - als Symbol für Friede durch die nächste Generation und Fortschritt der Welt - außerordenlich ironisch und grotesk präsentiert wird (Tochter Miranda ist das Ungeheuer Caliban ist die mollig-starke Maria Happel; Sohn Prinz Ferdinand ist der gefangene Luftgeist Ariel ist u.a. der diesmal ein bißchen kindisch-liebe Joachim Meyerhoff), streift das Ganze auf lustige Weise auch die Shakespeare-Praxis, Frauenrollen mit Männern zu besetzen, nur in etwas veränderter bis verkehrter Form.

Das Stück ist außerdem sprachlich so altdeutsch (bzw. altenglisch) gekürzt, als hätte Shakespeare selbst die Raffung vorgenommen - weshalb es auch einen niveauvollen Grundton hat. Alles in allem, kurz und lehrreich, von drei guten Schauspielern präzise und melodiös gemeistert, insgesamt aber doch eher eine Inhaltsangabe als ein zum Leben erweckter Text. Die Zauberwelt des Theaters wurde gerade nur gestreift. - Hätte sich das Shakespeare so gewünscht? - Wohl kaum. e.o.


DAS URTEIL EIN BISSCHEN ZU KURZ FÜR DIE SHAKESPEARSCHE LEBENDIGKEIT. PASST ABER IMMERHIN ALS GUTE-NACHT-GESCHICHTE, KURZ VORM EINSCHLAFEN.

THEATER Sturm * Von: William Shaekespeare * Regie: Barbara Frey * Mit: Joachim Meyerhoff, Johann Adam Oest, Maria Happel * Ort: Akademietheater * Zeit: 4.10.2008: 20h

Tuesday, September 11, 2007

TANZTHEATER: DIE PANTOMIME LEBT BEI GIL MEHMERT IN "DAS BALLHAUS"

In den 1930ern tummeln sich unter den Tanzgästen "Geschäftsmänner" wie Rainer Frieb (mit Monokel) neben "Diven" wie Beatrice Frey, ewigen "Nein-Sagern" wie Raphael von Bargen, "Mauerblümchen" wie Annette Isabella Holzmann (das in den 80ern zur Punkerin wird) und "Mitläufern" wie Christoph F. Krutzler (der vom Nazi zum Geschäftsmann 2000 wandelt) ...

... neben "Mode-Opfern" wie Susa Meyer, "Falschspielern" wie Marcello de Nardo und dem einzig konstanten No-Person-Mensch, Kellner Thomas Bauer.

Wobei ausgerechnet der Falschspieler (De Nardo mit Heike Kretschmer) ab den 60ern ein so ausgezeichneter Tänzer ist ...














... und er außerdem in den 90ern zu Falcos Kokain-Song "Ganz Wien" unter Dealern und Geschäftsleuten kokst. (Fotos © Lalo Jodlbauer)



VOLKSTHEATER WIEN GIL MEHMERT FÜHRT IN DAS BALLHAUS DIE MENSCHEN IN IHREN GLEICHBLEIBENDEN MUTATIONEN ÜBER DIE JAHRZEHNTE BIS HEUTE VOR: SEHR UNTERHALTSAM UND INNERHALB DER THEATERLANDSCHAFT: FRECH!

Den Unkenrufen auf die saisonale Eröffnungspremiere zum Trotz, wonach das Stück ohne Worte, Das Ballhaus - Tanz durch ein Jahrhundert, nun wirklich nichts am Volkstheater zu suchen habe, folgt hier die Behauptung: "Und ob!" - Denn was zeichnet überhaupt die Schauspielerei aus? - Etwas, das heute schon fast vergessen ist: Die Pantomime. - Nun, die Schauspieler mimen hier nicht nur, sie tanzen auch. Aber auch das gehörte einst zur ganz großen Pflicht legendärer Schauspielikonen, zumindest bis in die vierziger Jahre hinein. Das alles war schon vergessen, sodass man in der Oper nur noch sang, im Theater nur noch sprach und auf der Bewegungsbühne nur noch tanzte. Nur das Musical sollte jener Bereich sein, wo sich alles vereinen kann. Doch ehrlich: Wird darin in der Regel - ganz besonders in Europa - nicht jeder Bereich so kommerzialisiert verwässert, dass kaum noch einer künstlerisch (gekonnt) ist?

Mischformen mit purem Können

In jüngster Zeit schälen sich die einzelnen Bereiche daher in puren, hochwertigeren Neu-Konstellationen heraus: In der Volksoper wird auch schaugespielt (siehe letzte Kritik auf intimacy: art), im Tanzquartier wütet das Kabarett, in Lesungen wird chansonniert, im Theater an der Wien gelesen und musiziert, im Kasino am Schwarzenbergplatz von Schauspielern gesungen. Und mit der französischen Vorlage Le Bal über eine Zeitreise durch Tänze, Moden und politische Umbrüche von den 1920-er Jahren bis heute, wurde nun die "Idee des Gesellschaftstanzes" von Jean-Claude Penchenat am Volkstheater auf Österreich umgemünzt; sodass man in der Neufassung von Volker Schmidt unter der Regie von Gil Mehmert ein Können entdeckt, das in dieser Professionalität eigentlich nur mit Charlie-Chaplin-Stummfilmen assoziiert werden kann. Wohl zeigten auch die Wiener Festwochen in den letzten Jahren immer wieder Performance-Theater, doch arbeiteten jene eher mit Körper-Arrangements im Raum, was in der Regel die Tänzer bei ImPulsTanz besser umsetzten. Am Volkstheater agieren nun wirklich Mimen mit ihren Gesichtern und Körpern, sodass sie in ihren Zwischentönen viel deutlicher sind, als (sprechende) Schauspieler in körper-grafischen Bildern.

Die subtilen Zwischentöne eines großartigen Ensembles

Das inhaltlich Schöne an dem Stück ist, dass es, ohne Worte, gezwungenermaßen mit Impressionen aus dem kollektiven Gedächtnis arbeitet, tanzschritt-modisch von Charleston über Twist und Hulla-Hop bis Flower Power und Punk, politisch von 20-er Offenheit über Nazi-Prüderie und -Widerstand bis zu Kokain-Intellektualismus und kommerziellem Yuppie-Heute mit Terrorismus-Beiwerk. Gleichzeitig macht es die Ausgrenzungen und kleinen Ausschrittversuche in all diesen Strömungen transparent. Und über allem thront die Aussage vom Menschen, der als "Typ" immer gleich bleibt, er sich nur in anderen Verkleidungen zeigt, wobei der äußerliche Gegensatz nach der Nazizeit aber auch in die Irre führen kann. - Das ist überhaupt die feine Subtilität an der Regie und am Buch der Inszenierung.

Am stärksten verkörpert sie das Tanz- und Bewegungsgenie des Ensembles, Marcello de Nardo als "Der Mann, dem man nicht trauen sollte": Gebuckelt schwindelt er sich in den 20ern, sich an der Zigarette festhaltend, durch die Tanzgäste in ihren typisch-schmalen Kostümkleidern, und findet er Geld, steckt er es verstohlen ein. In der Nazikriegszeit taucht er als einziger Mann bei den munitionsgürtelbastelnden Frauen auf und versucht sie durch Spielertricks ihrer letzten Habe zu berauben. Und in den 80-ern ist er kontrastartig ein brillanter Jazz-Dancer und -Choreograf, in den 90-ern ein Kokain-Dealer in der Disco. Auch Rainer Frieb ist ein berückender Körper- und Gesichtsmime, indem er als "Geschäftsmann" durch die frühen Jahre hämisch grinsend, kalt und beinhart, in den 70ern plötzlich zum Intellektuellen der Jazzszene und dann zum Aussteiger in Sandlermontur mutiert. Bei den Frauen ist Susa Meyer als "die Frau, die nach der neuesten Mode gekleidet ist" vor allem in der Körperhaltung, Bewegung und Ausstrahlung immer wieder ein Augenschmaus, wobei sie von der linken Widerständlerin in den 30ern zu den Kriegsgewinnerinnen und dann zur Powerfrau der 90er wird. In Summe ist jedoch das ganze Ensemble unverschämt gut, immer wieder findet man eine Wandlung, die einen zum Lachen animiert oder schlichtweg erinnert, sodass es sogar schmerzt.

Und doch zu altmodischer Erzählrhythmus

In den 2 Stunden und 45 Minuten geschieht bei guter Live-Musik von Patrick Lammer und Band so viel, dass keine Langeweile aufkommt. - Wie so oft in ebenso langen Sprechstücken. Und doch hätte der Erzählrhythmus weniger analog und hausbacken sein können, um das Stück insgesamt wirklich modern wirken zu lassen. Inhaltlich ist die Nazizeit - wie immer am Volkstheater - zu lang gestreckt, während die Zeit danach, die auch die Jugend interessieren würde, nur oberflächlich und kurz gestreift wird.

- Ein wenig erscheint dem Volkstheater-Kenner dieses Dramenmuster unter Michael Schottenbergs Intendanz auch wie eine ironisch-trotzige Geste seitens Direktors: denn Schottenberg kämpfte im ersten Jahr mit linken Aufklärungs-Sprechstücken um Zuschauer, im zweiten hatte er den großen Erfolg mit dem gesungenen und getanzten Cabaret, und das ist nun noch einmal eine Steigerung in die absolute Sprachlosigkeit. Sie trifft ironischerweise aber doch genau den Ton unserer Zeit - man denke nur an Dancing-Stars. Nur ist das am Volkstheater aber natürlich viel mehr wert! e.o. (36 Jahre) / n.w. (80 Jahre)


DAS URTEIL EIN PANTOMIMISCH BRILLANTES KALEIDOSKOP DURCH DIE TÄNZE UND POLITISCHEN UMBRÜCHE DES LETZTEN JAHRHUNDERTS. - NUR LEIDER IN HAUSBACKENEM ERZÄHLRHYTHMUS.

Tanztheater Das Ballhaus - Tanz durch ein Jahrhundert * Von: Volker Schmidt nach Jean-Claude Penchenat * Regie: Gil Mehmert * Choreographie: Kurt Schrepfer * Musik: Patrick Lammer mit Band * Mit: Marcello De Nardo, Rainer Frieb, Susa Meyer, Christoph F. Krutzler, u.a. * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 15., 23., 29.11.2007: 19h30

Sunday, September 09, 2007

OPERETTE: HELMUT BAUMANNS "ORPHEUS IN DER UNTERWELT" MIT LACHERN IN DER MITTE

So sieht eine unbefriedigte Eurydike (Jennifer Bird) in der Unterwelt aus: Genauso wie ihr Mann Orpheus im Alltagsleben ihren Sexappeal verkannte, so passiert es ihr mit Pluto: sobald er sie "hat", liegen ihre Reize unverrichteter Dinge brach.

Doch Jupiter (Carlo Hartmann), verheiratet mit Juno, ist umso interessierter. Als Fliege umschwirrt er Eurydike während ihrer Yoga-Übungen, sodass es nur so summt und ooohmt.








Im Grunde ist es ja gut, sowohl einen Teufel, als auch einen Gott zum Liebhaber zu haben. Und hätte jeder beides in sich vereint, müßte vielleicht niemand mehr fremd gehen. - Fahren die Götter im Stück deshalb immerzu per Lift auf und ab? (Fotos © Dimo Dimov/Volksoper Wien)



VOLKSOPER WIEN ROBERT MEYER HÄLT EINSTAND MIT DER OPERETTE ORPHEUS IN DER UNTERWELT UNTER DER ROUTINIERTEN, ZU BUNTEN REGIE HELMUT BAUMANNS

Am Samstag feierte Robert Meyer an der Wiener Volksoper mit Jacques Offenbachs "komischer Oper" Orpheus in der Unterwelt seine erste Premiere und damit seinen Einstand als neuer künstlerischer Direktor des Hauses. Und es läßt sich schon jetzt erkennen, was den Aufbruch auszeichnen wird: Viele Typen, viele Publikumslieblinge, viel mehr Schauspielerei und vielleicht noch weniger Ästhetik. Letzteres ist zunächst nur eine angstvolle Ahnung (wobei schon klar ist, dass man vom Einen nicht aufs Ganze schließen soll). Die drei anderen Charakteristika bedeuten aber einen großen Sprung nach vorn.

Aufgewertete Schauspielerei

So begegnet einem nicht nur auf der Bühne das Who-is-Who der Szene, sondern auch im Premierenpublikum. - Wer da bunt zusammen gewürfelt und gepfercht in einer Loge sitzt, ist fast noch spannender zu beobachten als der Stückverlauf selbst. Anzunehmen, dass künftig auch die "alte Garde" - samt Anhang - vermehrt im Auditorium zugegen sein wird. Ob jene auf den Brettern allerdings Entdeckungen und kulturellen Fortschritt fördert, sei dahin gestellt. - Aus allen (Schauspiel-)Bühnen der Stadt scheinen die Mimen heraus gepickt worden zu sein: Da wäre zunächst Gerald Pichowetz als Cupido, der das Gloria Theater in Floridsdorf leitet. Dass er dort so gut wie immer spielt, kommt jetzt der Volksoper zugute, denn dieser Mann hat das Publikum mit seinem eigenen unwirschen Schmäh sofort im Griff. Es zeigt sich einmal mehr, dass "eine Dauerbeschäftigung" einem Schauspieler in seiner Kunstfertigkeit mehr nützt als schadet. Und wenn er diese auf mehrere Häuser aufteilt, haben außer seinem Stammpublikum auch andere Leute etwas davon. Erni Mangold als "Öffentliche Meinung" war zuletzt am Volkstheater, Peter Matic als "Hans Styx" am Burgtheater engagiert (wo sie möglicherweise zu kleine Rollen bekamen); jetzt sind sie halt in der Volksoper - und da man ihren Stil sehr gut kennt - trotz Fähigkeit, eine Rolle zu tragen -, keine große Überraschung: Die 80-jährige Mangold darf sogar tonal falsch sprechend und singend die Arien der Sänger stören.

Entthronter Gesang, einfallslose Choreografie

Man merkt schon, dass der Gesang ein wenig entthront wird. Aber bei einer Operette ist sein Stellenwert sowieso ein Streitfall. Doch einen Darsteller gibt es, der sowohl gesanglich, als auch schauspielerisch - sowie in der Beweglichkeit trotz immenser Körperfülle - ein ganz großer, künftiger Publikumsliebling sein wird: Carlo Hartmann, der bereits in David Pountneys Der Kuhhandel umwerfend komisch war und jetzt als Jupiter betört. Mit dieser Rolle zeigt er, was wirklich in ihm steckt. Sein Baß ist angenehm und kräftig, sein sichtbarer Humor wirksam lustig! Und sein Auftritt gibt gleichzeitig den Auftakt zum einzigen durch und durch stimmigen Akt des Abends: Er spielt im himmlischen Olymp bei den griechischen Göttern. Da funktioniert der Sprachwitz zwischen Textoriginal und aktueller Neu-Adaption. Da spielen alle Schauspieler "miteinander". Da passen die Effekte (z. Bsp. der Lift, der vom Himmel in die Hölle fährt) und die Tanzeinlagen, weil sie schlichtweg raffiniert sind: Am gelungensten ist die gesungene Tanzszene zwischen Jupiter, Pluto (hübsch: Christian Baumgärtel) und Merkur (routiniert: Wolfgang Gratschmaier), wo die Bewegung konträr zum Text zeigt, wer nun der mächtigere der beiden Götter ist. Der Tanz spricht somit eigenständige Sätze.

Ansonsten ist die Choreografie von Roswitha Stadlmann jedoch nichts als Beiwerk: Die Tänzer der Wiener Staats- und Volksoper wirken in ihren Einlagen platt und einfallslos. Schon die durchgehend gleich bleibenden Kostüme (Uta Loher, Conny Lüders) in Korsetts bei den Frauen und nackten Oberkörpern bei den Männern, verhindern das erotische Spiel mit sich öffnenden Gewändern - was man sich beim berühmten Can-Can aber erwarten würde. Die Schritte sind untermalend, verhalten bekannt und ohne sprühenden Funken erdacht. Das einzige Sexappeal, das in dieser Inszenierung greift, geht von der betrogenen und betrügenden Eurydike (Jennifer Bird) aus, die zuweilen komisch, manchmal sprachlich schrill-nervig, dafür aber wieder schön singend in Straps-Dessous ein voyeuristisches Aufdeckungsritual mit ihrem roten Umhang in der Unterwelt treibt. Dort wartet sie auf ihren Entführer Pluto, der aber - wie zuvor ihr Ehemann Orpheus - nicht kommt, um sie zu befriedigen. So liegt sie also unverrichteter Dinge da, sexy und allzeit bereit.

Überladene Optik wegen der (Kleider-)Regie

Sebastian Reinthallers gestalteter Orpheus ist indessen durchschnittlich gewöhnlich. Das liegt auch am unoriginellen Wortwitz im ersten und im langwierigen dritten Akt (mit Ausnahme der komischen Fliegenszene mit dem verkleideten Jupiter und Eurydike, die sich im Yoga-Oooohm und Ssssssss treffen). In beiden Teilen werkt Regisseur Helmut Baumann mit zu "viel Farbe": Das Geschehen strotzt vor Buntheit, und nichts ist hier neu. Zuerst fällt das Bühnenbild noch angenehm auf: Mathias Fischer-Dieskau hat ein paar schöne Einfälle, wie die Dreiteiliung des Raumes durch simple drei Wandflächen, wohinter sich der kleinbürgerliche Alltag von Orpheus und Eurydike zwischen Blumen und Tapeten verbirgt. Inhaltlich witzig ist da das Auf- und Abdrehen des Blitzes im Hinterhaus, wo der Geliebte Eurydikes, Aristeus, haust, was wiederum nichts anderes bedeutet, als dass "er" Unterwelt-Gott Pluto ist, der Eurydike später entführt. Die Unterwelt selbst scheint dem optischen Klischee eines Vampir-Films entnommen zu sein.

Für eine insgesamt harmonische Ästhetik ist das Stück zu überladen, insbesondere wenn man den Orpheus in der Unterwelt von 1996 in der Regie von Adolf Dresen am Burgtheater in leichtem Pastell und lediglich rot-schwarz-weißen Kostümen in Erinnerung hat, wo auch der Witz subtiler war. (Robert Meyer gab darin den Orpheus.) An der Volksoper hätte man sich nun vielleicht eine musikalischere Version gewünscht, das wurde aber anfangs durch das Volksopernorchester unter Dirigent Florian Ludwig vereitelt: die Flöten klirrten grell, die Musik war dennoch zu dezent. Die Chorgesänge mitsamt dem Solisten-Ensemble ertönen dagegen bezaubernd. Das macht vieles wieder gut. Und ein Satz lässt uns Meyer und Regisseur Baumann gar mit aufklärerischem Fortschritt segnen: "Kein Mann wird als Chauvinist geboren; er wird von seiner Mutter (Anm. Red.: und von seinem Vater) dazu erzogen." e.o. / a.c.


DAS URTEIL BIS AUF DEN ZWEITEN AKT, DER UMWERFEND KOMISCH UND STIMMIG IST, GELANGT DIESER ORPHEUS ÜBER DURCHSCHNITTSALBERNHEITEN NICHT HINAUS. UND DOCH OFFENBART MANCH DARSTELLER DIE VOLKSOPER ALS KÜNFTIGEN HORT DER SCHAUSPIELKUNST: GERALD PICHOWETZ UND CARLO HARTMANN, DER AUCH NOCH SINGEN KANN, SIND GEHEIMTIPPS!

OPERETTE Orpheus in der Unterwelt * Von: Jacques Offenbach * Regie: Helmut Baumann * Mit: Carlo Hartmann, Gerald Pichowetz, Erni Mangold, Jennifer Bird, u.a. * Dirigent: Florian Ludwig * Mit: Chor und Orchester der Volksoper * Mit: Ballett der Wiener Staats- und Volksoper * Bühnenbild: Mathias Fischer-Dieskau * Ort: Volksoper Wien * Zeit: 10., 13., 17., 27.9.2008 + 2., 8., 11.10.2008: 19h + 5.10.2008: 16h30

Friday, September 07, 2007

FILM: ALEXANDER BINDER MIT AKTUELLEM TERROR IN "KEINE INSEL - DIE PALMERS ENTFÜHRUNG 1977"

Fred Zimmermann berichtet 1977 von der spektakulären Entführung des österreichischen Großindustriellen Walter Michael Palmers, für den eine Lösegeld-Summe von 31 Mio. Schilling gefordert wurde. (Fotos: © enkidu 2006)

Eingefädelt wurde die "kriminelle Geldbeschaffungsaktion" u.a. von der Deutschen, Gabriele Rollnik, um als Mitglied der Bewegung 2. Juni (kleine Schwester der RAF), für die politischen Aktionen der militanten Linken Europas Geld aufzustellen

Und um nicht mit der Bewegung in Zusammenhang gebracht zu werden, suchte sie in Österreich einen idealistischen, naiven Jungstudenten, und fand ihn im Vorarlberger Theaterwissenschaft-Lobbyisten Thomas Gratt. Als er verurteilt wurde, schrie er noch immer: "Der Kampf geht weiter!"

Nach abgesessener Strafe machte Gratt als Schriftsteller sofort Karriere und lebte so gut, dass er sich 2006 einen Designeranzug und eine Dachwohnung in Wien leisten konnte. - Offensichtlich waren die Kontakte zum wohlgesinnten Untergrund noch vorhanden, obwohl die RAF ihn bereits in den 90-ern ausgeschlossen hatte: Gratt beging nach Drehschluß Selbstmord.


ÖSTERREICHISCHE KINOS NACH 30 JAHREN SPRECHEN DREI PROTAGONISTEN DER GRÖSSTEN GELDBESCHAFFUNGSAKTION DER MILITANTEN LINKEN EUROPAS IN KEINE INSEL ÜBER DEN ABLAUF DER PALMERSENTFÜHRUNG, MIT DEREN ERPRESSUNGSGELD DIE RAF BIS ZU IHRER AUFLÖSUNG 1998 FINANZIERT WURDE

"Österreich ist keine Insel" war der Ausspruch Bundeskanzler Kreiskys 1977, während in Deutschland seitens fanatischer RAF (Rote Armee Fraktion bzw. kommunistische Befreiungsarmee bzw. antiimperialistische Stadtguerilla nach südamerikanischem Vorbild) und harmloserer, aber auch militanter kleiner Schwester, Bewegung 2. Juni, der Terror umging. Ein Terror der großteils Intellektuellenszene, der sich auf bewaffnete Kriegsnotwendigkeit gegen den Kapitalismus berief und nicht vor Tötung bürgerlicher Parteienvertreter (insgesamt 34 Morde) zurück schrak. Österreich war nun keine Insel, wohl lebten hier aber naive "Insulaner", die im Studentenalter von Anfang zwanzig leicht zu manipulieren waren, insbesondere als Wiener Theaterwissenschaft-Studenten. Der eine war Thomas Gratt, 1957 in einem gutbürgerlichen, katholisch-konservativen Elternhaus bei Bregenz aufgewachsen, der andere Othmar Keplinger, als Sohn eines Lehrers und Bürgermeisters im oberösterreichischen Mühlviertel geboren und in einem Elite-Internat zur Schule gegangen. - Und ausgerechet diese privilegierten Burschen aus sorglosen Verhältnissen sollten - mehr oder weniger - mit der Entführung des Großindustriellen Walter Palmers zu tun haben, für den 31 Mio. ÖS erpresst wurden. Es scheint, als hätten sie sich selbst in einem politischen Heldenepos als Robin Hood besetzt, der den Reichen nimmt, um den Armen zu geben, ohne sich jedoch darüber im Klaren zu sein, dass es sich bei diesen Rollen tatsächlich um "sie" handelt und dass diese linken Terroristen, die einander "Genossen" nannten, keine Engel waren. - Die Gelder (aus Raubüberfällen) wurden immer nur für Terroraktionen gegen die entscheidende Grossmacht benutzt. Doch das Fatale ist, dass die Mitglieder dieser Terror-Einheiten bis heute glauben, sie seien im Recht gewesen. Das sieht man im Dokumentarfilm Keine Insel - Die Palmers-Entführung 1977 von Alexander Binder, mit Interviews der beteiligten Personen aus Österreich (Thomas Gratt, Othmar Keplinger, Reinhard Pitsch) und der Deutschen, Gabriele Rollnik, nur allzu gut.

Die Terroristenideologie als Sucht

Allein Gabriele Rollnik - als Tochter eines Polzisten in Dortmund und Soziologiestudentin unter den Führerinnen der Bewegung 2. Juni, die 1980 aufgelöst zur RAF überging - arbeitet zwar jetzt als Kinder- und Jugendtherapeutin, sie ist aber mit dem ehemaligen RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo liiert und meint noch immer, dass das, was sie damals anstellten, richtig gewesen sei. - Das macht schon mal ihre Arbeit mit der Jugend bedenklich ... Bei beinahe allen "gelisteten Mitgliedern" kann man bis heute den Fanatismus erkennen, der sich als Nostalgie an eine große Ideologie bemerkbar macht. An eine Zeit, wo man in Gleichgesinnung mit den Palästinensern gegen Israelis, CIA und OPEC kämpfte, wo man "wichtig und notwendig" l(i)ebte. - Leider ist diese Form von Liebe - oder besser Selbstbestätigung - aber nur die Illusion von einer Utopie, die durch die Gruppendynamik nach außen hin bestätigend wirkt. Sie funktioniert wie eine Sucht. - Auch Magersüchtige bleiben "als geheilt" immer magersüchtig, da sie sich ständig an ihr lebensgefährliches Dünnmaß bzw. Leichtgewicht erinnern und an ihm messen. Selbst wenn sie wissen, dass jene Ausgezehrtheit schon lange nicht mehr schön war. So krank ist also der Mensch in seinem Streben. Jede Sucht funktioniert wie eine Ideologie, jede Ideologie wie ein Religion. Womit wir beim heutigen Terrororisten-Phänomen wären, wozu sich - wie damals zu RAF-Zeiten - zumeist Akademiker entwickeln.

Der Untergrund stützt auch nach der Haft

Der Wiener Theaterwissenschaftler und Institutslobbyist Thomas Gratt galt als Bauchmensch, der sich schnell auf die "darstellende" Funktion einließ, während sich seine Kumpanen, Keplinger und der Philosoph Reinhard Pitsch, auf die "Vermittler, Zuarbeiter- und Organisationsfunktion" beschränkten. Eingefädelt wurde das Ganze von zwei der vielen militanten, deutschen Frauen der Bewegung 2. Juni, die einen männlichen Österreicher für ihre "kriminelle Geldbeschaffungsaktion" brauchten, um nicht mit ihren politischen Hauptaktionen in Verbindung gebracht zu werden. Gratt zog die Entführung durch, so naiv dilettantisch wie es nur ging: er hinterließ seine eindeutig dialektgefärbte Erpresserstimme am Tonband, fuhr mit Keplinger im auffällig kaputten, der Polizei sofort verdächtigen Auto als Flüchtender über die Grenze, und verabschiedete sich nach der Gerichtsverhandlung, wo er 15 Jahre Haft bekam, mit einem "Der Kampf geht weiter". - Gratt war kein Held, auch wenn er sich im Moment so zu fühlen schien. Und weil er angeblich zu viel über den Fall sprach, wurde er noch in Haft aus der RAF ausgeschlossen. - Nach dem Gefängnis machte er als Schriftsteller Karriere. Er brachte sich dennoch nach dem Interview in Alexander Binders Dokumentarfilm, den er nie sah, um: er rammte sich ein Messer ins Herz. 2006, als der Film noch nicht beendet war. Denn er hatte wegen der Ideologie ein Leben der Illegalität gewählt, wurde von denen, die er als ausschlaggebend für die Ideologie hielt, für seine Selbstaufgabe nach außen hin aber nicht anerkannt. - Interessant, dass er aus dem Untergrund dennoch so viel Rückhalt hatte, um bis zu seinem Freitod ein ziemlich luxuriöses Leben leben zu können. Und doch konnte es ihn emotional nicht befriedigen. Dieses zerstörte, verrannte Leben. e.o.


DAS URTEIL EIN AUFSCHLUSSREICHER DOKUMENTARFILM, DER ZEIGT, WIE DIE GEHIRNWÄSCHE AKTUELLER (DEUTSCHER UND ARABISCHER) TERRORISTEN ABLÄUFT UND ALS SUCHT LEBENSLANG ZUR ILLUSIONÄREN HELDEN-IDEOLOGIE WIRD. - DIE UMKEHRUNG VON SCHLECHT ZU GUT HAT ES SCHON IN DEN 70-ERN GEGEBEN - UND EBENSO IN DER NAZI-ZEIT.

DOKUMENTARFILM Keine Insel - Die Palmers-Entführung 1977 * Regie und Kamera: Alexander Binder * Mit: Interviews mit Thomas Gratt, Othmar Keplinger, Reinhard Pitsch, Gabriele Rollnik, u.a. * Interviews 2006 geführt von: Michael Gartner * Produzent: ENKIDU Filmproduktion Wien * Ort: Österreichische Kinos, in Wien (Votiv, Apollo, UCI), in Feldkirch (Kino Namenlos [ehem. Oscar]), Graz (KIZ), ab 19.10. in Linz (Moviemento) und ab Dezember in Innsbruck (Leokino) * Zeit: ab 28.9.2007

* Premiere: Donnerstag, 27.9., 19h * Ort: Audimax der TU Wien * Anschließend Diskussion: „Terror. Damals. Heute. 30 Jahre Deutscher Herbst, 30 Jahre Palmers-Entführung.“ * Es diskutieren: Alex Binder
(Regisseur), Reinhard Pitsch (Mitbegründer „Arbeitsgruppe Politische Gefangene“, Palmers Entführer), Astrid Proll (eh. Mitglied RAF), Lorenz Gallmetzer (ORF), Moderation Robert Misik (Autor; Falter, Profil)