DSCHUNGEL WIEN IM RASEND AGGRESSIVEN KREUZVERHÖR DURCH DIE GEFÜHLSWELT HETERO- UND HOMOSEXUELLER: KARSTEN DAHLEM HAT MIT DREIER OHNE SIMONE EINE STARKE REGIEARBEIT GELEISTET
Wie schön, dass man die Jugendzeit hinter sich hat. - Das denkt man sich während des Stücks Dreier ohne Simone im Dschungel Wien, dem dramatischen Erstling (1999) von Berlin-Kroate Kristo Šagor, geb. 1976. Denken lässt sich so etwas aber nur, wenn ein Stück es vermag, den Betrachter gefangen zu nehmen, so sehr, als befinde er sich selbst wieder in seinen Jugendjahren. - Eine grossartige Leistung des 31-jährigen Regisseurs Karsten Dahlem. Er hat rasend zwingende Aufführungstricks auf Lager, damit das geschieht: Bei der Jugend funktioniert´s sowieso, bei den Älteren eben auch. Inhaltlich mag sich dagegen nicht jeder sofort angesprochen fühlen. Denn die "Homosexualität" war - wie in diesem Stück - nicht zu jeder Zeit das (Haupt)thema - so etwa auch nicht in den 80-ern -, dafür aber die Frage und Suche nach dem ehrlichen Gefühl, nach der ehrlichen Begierde, nach dem passenden Partner. Um das zu erfahren, muß der Mensch höchst wahrscheinlich durch mehrere oberflächliche Aufreißereien und Fehlamouren tappen, er wird betrogen werden und andere betrügen. Die Elefanten im Porzellanladen sind ein Merkmal der Adoleszenz. Manch einer trampelt auch noch in der Erwachsenenzeit weiter...
Versteckte Gefühle im aggressiven Tumult
Wie die Jugend nun mal ist, so geht hier alles drunter und drüber. Es redet, oder besser schreit, jeder über jeden hinweg. Die Zuseher sitzen im Zentrum des Bühnenraums bei und neben den Schauspielern, eingezäunt durch eine schwarze Wand mit durchgehendem Querfenster, wohinter die Akteure streckenweise spielen und um die Zuseher herum rennen. Die vier Darsteller (alle um Mitte zwanzig) provozieren sich gegenseitig in hemmungsloser Sprache. Denn angeblich ist "Simone" vergewaltigt worden. Und die drei Jungs - Kai, Andreas und Sven - sind in Verdacht. Zusammen bilden sie eine Clique, wo jeder jedem näher kommt. Sie beschuldigen sich mit cool-gebrülltem "er war´s!", um neben dem Geständnis ihre - für einander - viel wichtigeren, wahren Gefühle zu erfahren. Es trifft zunächst Kai, den attraktiven Michael Pöllmann, mit Burschensprüchen wie "Fick die Henne!", oder "Sag doch! Wir sind unter uns!" (mitten in der Zuschauer-Menge, was manchen Teenager mitfiebernd protestieren lässt), bis Sven irgendwann ruft: "Du hattest noch nie was mit ner Frau, nicht?" - Und Kai: "Vielleicht." Sven: "Du bist aber nicht schwul?"
Angst vor der Homosexuellen-Bekenntnis
Damit ist das Thema eingeläutet. Schwul ist paradoxerweise der anfangs stärkste und militanteste Angreifer: Andreas (am energisch mitreißendsten: Michael Stange). Er küßte schon erfolgreich Kai, nachdem es mit Simone sexuell nicht klappen wollte. Bemerkenswert ist der Aufschrei "wäähh" der Zuschauer, als der Satz "Andreas steht nicht auf Frauen!" fällt, und Sven sich vor Ekel übergeben muss. Im Endeffekt zählt hier jedoch, ob jemand Vertrauen verletzt hat, indem er ein Geheimnis verriet. Die unschuldige Simone wird von ihrem aktuellen Freund, Sven, darin beschuldigt, um Andreas zum Bekenntnis - mit plötzlich rotem Lippenstift - zu zwingen, während sie in Wahrheit, wegen des Schocks nach der eigenen Erkenntnis, lange nichts sagte.
Als Vergewaltiger kommt demnach nur noch Sven, "das Weichei", in Frage. Und obwohl Simone (mädchenhaft-cooler Blickfang: Mareen Hafer) gesagt hat, "ich brauch jemanden, der nicht stärker ist als ich", sie aber Grimassen zieht, wenn Sven romantisch von ewiger Liebe zu ihr spricht, wird er immer unberechenbar angriffslustiger (Markus Hamele macht dabei eine glaubwürdig überraschende Männlichkeitssteigerung durch). Sodass er von Andreas als Retourkutsche eine Flasche voll Ketchup an die Brust geworfen bekommt.
Nach unterweltsartigen Saufliedern, beklemmenden Videoeinspielungen in Realzeit, unterhaltenden Zeitlupenbewegungen und Pop-Singerei zwischen den Sprachgefechten, nach dem plötzlichen Ernst im überschäumenden Kräftemessen, fallen schließlich mit ohrenbetäubendem Knall zwei Wände um, womit die Wahrheit endlich offenbart scheint: Simone wurde nie vergewaltigt; alles was zählt ist die Frage: Was wollen Frauen, was Männer? Und: "Bist du jetzt schwul?" - Denn das scheint auch für einen betroffenen Mann nicht immer ganz endgültig zu sein ..., wobei stets hinzu kommt, dass er Angst vor der Ablehnung der Umwelt hat, wenn er sich dazu bekennt. e.o.
Wie schön, dass man die Jugendzeit hinter sich hat. - Das denkt man sich während des Stücks Dreier ohne Simone im Dschungel Wien, dem dramatischen Erstling (1999) von Berlin-Kroate Kristo Šagor, geb. 1976. Denken lässt sich so etwas aber nur, wenn ein Stück es vermag, den Betrachter gefangen zu nehmen, so sehr, als befinde er sich selbst wieder in seinen Jugendjahren. - Eine grossartige Leistung des 31-jährigen Regisseurs Karsten Dahlem. Er hat rasend zwingende Aufführungstricks auf Lager, damit das geschieht: Bei der Jugend funktioniert´s sowieso, bei den Älteren eben auch. Inhaltlich mag sich dagegen nicht jeder sofort angesprochen fühlen. Denn die "Homosexualität" war - wie in diesem Stück - nicht zu jeder Zeit das (Haupt)thema - so etwa auch nicht in den 80-ern -, dafür aber die Frage und Suche nach dem ehrlichen Gefühl, nach der ehrlichen Begierde, nach dem passenden Partner. Um das zu erfahren, muß der Mensch höchst wahrscheinlich durch mehrere oberflächliche Aufreißereien und Fehlamouren tappen, er wird betrogen werden und andere betrügen. Die Elefanten im Porzellanladen sind ein Merkmal der Adoleszenz. Manch einer trampelt auch noch in der Erwachsenenzeit weiter...
Versteckte Gefühle im aggressiven Tumult
Wie die Jugend nun mal ist, so geht hier alles drunter und drüber. Es redet, oder besser schreit, jeder über jeden hinweg. Die Zuseher sitzen im Zentrum des Bühnenraums bei und neben den Schauspielern, eingezäunt durch eine schwarze Wand mit durchgehendem Querfenster, wohinter die Akteure streckenweise spielen und um die Zuseher herum rennen. Die vier Darsteller (alle um Mitte zwanzig) provozieren sich gegenseitig in hemmungsloser Sprache. Denn angeblich ist "Simone" vergewaltigt worden. Und die drei Jungs - Kai, Andreas und Sven - sind in Verdacht. Zusammen bilden sie eine Clique, wo jeder jedem näher kommt. Sie beschuldigen sich mit cool-gebrülltem "er war´s!", um neben dem Geständnis ihre - für einander - viel wichtigeren, wahren Gefühle zu erfahren. Es trifft zunächst Kai, den attraktiven Michael Pöllmann, mit Burschensprüchen wie "Fick die Henne!", oder "Sag doch! Wir sind unter uns!" (mitten in der Zuschauer-Menge, was manchen Teenager mitfiebernd protestieren lässt), bis Sven irgendwann ruft: "Du hattest noch nie was mit ner Frau, nicht?" - Und Kai: "Vielleicht." Sven: "Du bist aber nicht schwul?"
Angst vor der Homosexuellen-Bekenntnis
Damit ist das Thema eingeläutet. Schwul ist paradoxerweise der anfangs stärkste und militanteste Angreifer: Andreas (am energisch mitreißendsten: Michael Stange). Er küßte schon erfolgreich Kai, nachdem es mit Simone sexuell nicht klappen wollte. Bemerkenswert ist der Aufschrei "wäähh" der Zuschauer, als der Satz "Andreas steht nicht auf Frauen!" fällt, und Sven sich vor Ekel übergeben muss. Im Endeffekt zählt hier jedoch, ob jemand Vertrauen verletzt hat, indem er ein Geheimnis verriet. Die unschuldige Simone wird von ihrem aktuellen Freund, Sven, darin beschuldigt, um Andreas zum Bekenntnis - mit plötzlich rotem Lippenstift - zu zwingen, während sie in Wahrheit, wegen des Schocks nach der eigenen Erkenntnis, lange nichts sagte.
Als Vergewaltiger kommt demnach nur noch Sven, "das Weichei", in Frage. Und obwohl Simone (mädchenhaft-cooler Blickfang: Mareen Hafer) gesagt hat, "ich brauch jemanden, der nicht stärker ist als ich", sie aber Grimassen zieht, wenn Sven romantisch von ewiger Liebe zu ihr spricht, wird er immer unberechenbar angriffslustiger (Markus Hamele macht dabei eine glaubwürdig überraschende Männlichkeitssteigerung durch). Sodass er von Andreas als Retourkutsche eine Flasche voll Ketchup an die Brust geworfen bekommt.
Nach unterweltsartigen Saufliedern, beklemmenden Videoeinspielungen in Realzeit, unterhaltenden Zeitlupenbewegungen und Pop-Singerei zwischen den Sprachgefechten, nach dem plötzlichen Ernst im überschäumenden Kräftemessen, fallen schließlich mit ohrenbetäubendem Knall zwei Wände um, womit die Wahrheit endlich offenbart scheint: Simone wurde nie vergewaltigt; alles was zählt ist die Frage: Was wollen Frauen, was Männer? Und: "Bist du jetzt schwul?" - Denn das scheint auch für einen betroffenen Mann nicht immer ganz endgültig zu sein ..., wobei stets hinzu kommt, dass er Angst vor der Ablehnung der Umwelt hat, wenn er sich dazu bekennt. e.o.
DAS URTEIL EIN JUGENDSTÜCK, DAS GENAU IN DER SPRACHE DER HEUTIGEN JUGEND SPIELT. AGGRESSIV, KONFRONTATIV, VOLLER EFFEKTE, DYNAMISCH, UNGEWÖHNLICH. - EINE LEIDENSCHAFTLICHE WAHRHEITSSUCHE DER GEFÜHLE.
Demnächst:
Schwimmer im Treibsand * ab 16 Jahre * Produktion: Theaterfoxfire & Kaserne Basel (CH) & Dschungel Wien * Von: Benedict Thill nach Raymond Carver * Regie/Konzept: Corinne Eckenstein * Ort: Dschungel Wien * Zeit: 24., 25.10.2007: 10h30; 24., 25., 26., 27.10.2007: 19h30
Demnächst:
Schwimmer im Treibsand * ab 16 Jahre * Produktion: Theaterfoxfire & Kaserne Basel (CH) & Dschungel Wien * Von: Benedict Thill nach Raymond Carver * Regie/Konzept: Corinne Eckenstein * Ort: Dschungel Wien * Zeit: 24., 25.10.2007: 10h30; 24., 25., 26., 27.10.2007: 19h30