Die Paare sind demnach so überholt, dass sie wie der Zeit-Raum individuell von jedem einzelnen Menschen erneuert gehören ...
Philipp Hochmair legt deshalb ein Ei, das neben hoffnungsvollen Zukunftsfedern nur noch männliche Relikte wie einen Heroenhelm enthält. (Fotos © Georg Soulek)
AKADEMIETHEATER GEGEN DIE KONVENTION TANZT PETER HANDKES STÜCK SPUREN DER VERIRRTEN UND INSZENIERT ES FRIEDERIKE HELLER
Genau genommen ließe sich die Aussage von Peter Handkes Spuren der Verirrten am Akademietheater auf fünf Minuten Spiel- und Handlungszeit reduzieren. Man könnte ein Paar zeigen, das heiratet, sich liebt, haßt, streitet, Sex hat, sich vielleicht scheiden lässt, oder auch zusammen bleibt. Und dann könnte man es sagen lassen: "Ich habe nur so mit dir geliebt und gelebt, weil es von außen, "mit den Augen von Dritten", so verlangt wird. Ginge es allein nach uns beiden, wären wir nie so konventionell geendet, sondern hätten uns unsere eigene Idee vom Paar geboren." - Auf diesen Aufruf scheint Handkes Stück hinaus zu laufen, und er ist doch in rebellischem Sinne so sehr Klischee wie im Inhalt eine Illusion. - Man könnte genauso gut sagen: In der Konvention liegt das eigentliche Glück verborgen, sonst hätte sie sich im Laufe der Geschichte kaum durchgesetzt. Wobei aber gar nicht klar ist, was Handke nicht alles unter der Konvention versteht. (Und außerdem leben heute ohnehin die meisten Pärchen unkonventionell zusammen... )
Reiz der Sprache und des Rhythmus
Der Reiz dieses Stücks liegt also nicht so sehr in Handkes Aussage, sondern in seinen fantasievoll schlagfertigen Satz- und Wortwandlungen, in der Musikalität der Textarchitektur und rhythmischen Handlungsform, in der Spannung der kurz angedeuteten Konventionsszenen, sodass das Zuschauerhirn sofort das ganze Umfeld hinzu kombiniert. Das Publikum bekommt geistig sehr viel zu tun, obwohl dieses Theater genauso als Konzert erlebt werden könnte. - Schon weil die anregende Hamburger "In"-Band Kante, mit zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Klavier (Melodica) und Sänger, (fast) durchgehend auf der Bühne weilt und sie das ganze Geschehen rhythmisch zu leiten scheint.
Raum mit Leben
Das soll keinesfalls die Leistung von Regisseurin Friederike Heller schmälern. Sie arbeitet grafisch und rhythmisch detailreich mit den Darstellern, sowie mit einem sehr guten Auge für den Raum, sodass dieser fast so lebendig ist wie ein weiterer Darsteller. Ja, der Raum mit der futuristisch-technisch-kühlen Ausstattung von Sabine Kohlstedt hat ein Leben. Er besteht aus einem schick designten, schiefen Boden mit Karomuster - das wohl das Kästchendenken der Paare andeutet - mit seitlichen Videomonitoren oben, die abwechselnd das Bodenmuster im bewegten Aufbruch und ein Einfamilienhaus mit Auto am Land wiedergeben. An den Seiten stehen noch sechs Stühle, auf denen die Darsteller mit Mikrofonen sitzen: die Männer rechts, die Frauen links. Im Zuge der Handlung fällt der Raum sowie die Geschlechterordnung computerdesign-artig zusammen, sodass die Karos verzerrrt erscheinen, die Decke - den Boden spiegelnd - schräg nach hinten abfällt, und die ganze Raumform vom "Recht-" zum "Tiefeck" geworden ist. So viel zur suggestiven Bühnen-Aufforderung zur eigenen Lebensraum-Gestaltung als Parallele zu jener des "eigenen Paarraums".
Schemenhaftes Paarleben
Während nun ein Darsteller einzelne Paarkonstellationen in Prosa beschreibt, die andere oder er selbst sogleich auf abstrakte Pointe hin reduziert darstellen, steigert sich die wechselnde Perspektive - von Beobachtung zu Handeln, von Zuschauer zu Akteur, vom Dritten zum Paar - zum Kollaps (Zusammenbruch) hin - wie in der guten alten Rockmusik. Die Sprünge von Zuneigung auf Ablehnung sowie von Nähe auf Entfernung, bieten innerhalb der Paarbeziehungen manches erotische Moment, was so viel wie dem Kollaps im Kleinen entspräche. Da es Handke aber ums Prinzip geht, zählt hier der große Pauschalkollaps, der sich selbstverständlich gegen die Zeit richtet, gegen routinierte (Helden-)Väter und Söhne, Mütter und Töchter. Von den überlieferten Bildern und beobachteten Dramen sollen wir zum eigenen, individuellen, nackten (= Philipp Hochmair superkurz am Ende) Leben gelangen, denn die Zeit zur Konventions-Verirrung auf der Erde ist für den einzelnen Menschen zu knapp.
Die Highlights
Obwohl also Band Kante, Raum und Text/form die eigentlichen Stars des Abends sind, kommen auch die Schauspieler ambitioniert rüber. Selbst wenn sie als eigenwillige Typen - von außen (vom Dritten, "konventionell") betrachtet - nicht alle passend gepaart sind. Aber dass sie innerhalb ihrer permanenten Paarbildung (Petra Morzé - Philipp Hochmair, Rudolf Melichar - Bibiana Zeller und Sachiko Hara - Jörg Ratjen) immer wieder andere Paarmuster spielen - so wie ein gleich bleibendes Tanzpaar verschiedene Tanzstile bzw. -schritte umsetzen würde - verlangt ihnen minutenschnelle Verwandlungskunst ab. Und doch tritt jede einzelne Persönlichkeit über die Fülle an Figuren hinter die allgemeine Schemenhaftigkeit zurück. Logischerweise fallen jene positiv auf, die sich gut zu bewegen wissen, wie Sachiko Hara - deren asiatisch-übertriebene Schauspielweise als aggressiv-trotzige Kindfrau ansonsten nicht jedermanns Sache ist - und Philipp Hochmair, der als ei-legender Vogel zwecks Neuanfangs wieder einmal den Vogel höchster Darstellungskunst abgeschossen hat! e.o./r.r.
Genau genommen ließe sich die Aussage von Peter Handkes Spuren der Verirrten am Akademietheater auf fünf Minuten Spiel- und Handlungszeit reduzieren. Man könnte ein Paar zeigen, das heiratet, sich liebt, haßt, streitet, Sex hat, sich vielleicht scheiden lässt, oder auch zusammen bleibt. Und dann könnte man es sagen lassen: "Ich habe nur so mit dir geliebt und gelebt, weil es von außen, "mit den Augen von Dritten", so verlangt wird. Ginge es allein nach uns beiden, wären wir nie so konventionell geendet, sondern hätten uns unsere eigene Idee vom Paar geboren." - Auf diesen Aufruf scheint Handkes Stück hinaus zu laufen, und er ist doch in rebellischem Sinne so sehr Klischee wie im Inhalt eine Illusion. - Man könnte genauso gut sagen: In der Konvention liegt das eigentliche Glück verborgen, sonst hätte sie sich im Laufe der Geschichte kaum durchgesetzt. Wobei aber gar nicht klar ist, was Handke nicht alles unter der Konvention versteht. (Und außerdem leben heute ohnehin die meisten Pärchen unkonventionell zusammen... )
Reiz der Sprache und des Rhythmus
Der Reiz dieses Stücks liegt also nicht so sehr in Handkes Aussage, sondern in seinen fantasievoll schlagfertigen Satz- und Wortwandlungen, in der Musikalität der Textarchitektur und rhythmischen Handlungsform, in der Spannung der kurz angedeuteten Konventionsszenen, sodass das Zuschauerhirn sofort das ganze Umfeld hinzu kombiniert. Das Publikum bekommt geistig sehr viel zu tun, obwohl dieses Theater genauso als Konzert erlebt werden könnte. - Schon weil die anregende Hamburger "In"-Band Kante, mit zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Klavier (Melodica) und Sänger, (fast) durchgehend auf der Bühne weilt und sie das ganze Geschehen rhythmisch zu leiten scheint.
Raum mit Leben
Das soll keinesfalls die Leistung von Regisseurin Friederike Heller schmälern. Sie arbeitet grafisch und rhythmisch detailreich mit den Darstellern, sowie mit einem sehr guten Auge für den Raum, sodass dieser fast so lebendig ist wie ein weiterer Darsteller. Ja, der Raum mit der futuristisch-technisch-kühlen Ausstattung von Sabine Kohlstedt hat ein Leben. Er besteht aus einem schick designten, schiefen Boden mit Karomuster - das wohl das Kästchendenken der Paare andeutet - mit seitlichen Videomonitoren oben, die abwechselnd das Bodenmuster im bewegten Aufbruch und ein Einfamilienhaus mit Auto am Land wiedergeben. An den Seiten stehen noch sechs Stühle, auf denen die Darsteller mit Mikrofonen sitzen: die Männer rechts, die Frauen links. Im Zuge der Handlung fällt der Raum sowie die Geschlechterordnung computerdesign-artig zusammen, sodass die Karos verzerrrt erscheinen, die Decke - den Boden spiegelnd - schräg nach hinten abfällt, und die ganze Raumform vom "Recht-" zum "Tiefeck" geworden ist. So viel zur suggestiven Bühnen-Aufforderung zur eigenen Lebensraum-Gestaltung als Parallele zu jener des "eigenen Paarraums".
Schemenhaftes Paarleben
Während nun ein Darsteller einzelne Paarkonstellationen in Prosa beschreibt, die andere oder er selbst sogleich auf abstrakte Pointe hin reduziert darstellen, steigert sich die wechselnde Perspektive - von Beobachtung zu Handeln, von Zuschauer zu Akteur, vom Dritten zum Paar - zum Kollaps (Zusammenbruch) hin - wie in der guten alten Rockmusik. Die Sprünge von Zuneigung auf Ablehnung sowie von Nähe auf Entfernung, bieten innerhalb der Paarbeziehungen manches erotische Moment, was so viel wie dem Kollaps im Kleinen entspräche. Da es Handke aber ums Prinzip geht, zählt hier der große Pauschalkollaps, der sich selbstverständlich gegen die Zeit richtet, gegen routinierte (Helden-)Väter und Söhne, Mütter und Töchter. Von den überlieferten Bildern und beobachteten Dramen sollen wir zum eigenen, individuellen, nackten (= Philipp Hochmair superkurz am Ende) Leben gelangen, denn die Zeit zur Konventions-Verirrung auf der Erde ist für den einzelnen Menschen zu knapp.
Die Highlights
Obwohl also Band Kante, Raum und Text/form die eigentlichen Stars des Abends sind, kommen auch die Schauspieler ambitioniert rüber. Selbst wenn sie als eigenwillige Typen - von außen (vom Dritten, "konventionell") betrachtet - nicht alle passend gepaart sind. Aber dass sie innerhalb ihrer permanenten Paarbildung (Petra Morzé - Philipp Hochmair, Rudolf Melichar - Bibiana Zeller und Sachiko Hara - Jörg Ratjen) immer wieder andere Paarmuster spielen - so wie ein gleich bleibendes Tanzpaar verschiedene Tanzstile bzw. -schritte umsetzen würde - verlangt ihnen minutenschnelle Verwandlungskunst ab. Und doch tritt jede einzelne Persönlichkeit über die Fülle an Figuren hinter die allgemeine Schemenhaftigkeit zurück. Logischerweise fallen jene positiv auf, die sich gut zu bewegen wissen, wie Sachiko Hara - deren asiatisch-übertriebene Schauspielweise als aggressiv-trotzige Kindfrau ansonsten nicht jedermanns Sache ist - und Philipp Hochmair, der als ei-legender Vogel zwecks Neuanfangs wieder einmal den Vogel höchster Darstellungskunst abgeschossen hat! e.o./r.r.
DAS URTEIL HANDKE IST NOCH IMMER EIN SEHR MODERNER AUTOR, WOMIT AUCH DIE BURG ZUM ZEITGEMÄSSEN BÜRGERTHEATER WIRD. ETWAS FÜR MUSIK- UND TANZTHEATER-LIEBENDE, DIE SICH ZEITWEILIG AUCH MIT SPRACHLICHEN INTELLIGENZBESTIEN UMGEBEN WOLLEN.
THEATER Spuren der Verirrten * Von: Peter Handke * Regie: Friederike Heller * Ausstattung: Sabine Kohlstedt * Musik: Kante * Mit: Philipp Hochmair, Rudolf Melichar, Petra Morzé, Sachiko Hara, u.a. * Ort: Akademietheater * Zeit: 3.4.2008: 20h
THEATER Spuren der Verirrten * Von: Peter Handke * Regie: Friederike Heller * Ausstattung: Sabine Kohlstedt * Musik: Kante * Mit: Philipp Hochmair, Rudolf Melichar, Petra Morzé, Sachiko Hara, u.a. * Ort: Akademietheater * Zeit: 3.4.2008: 20h
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