Thursday, September 20, 2007

THEATER: VOM "REIGEN" ZUM KREIS VON STEPHANIE MOHR

Alfred (Herbert Föttinger) ist ein Voyeur, der sich gerne von der Putzfrau (Sandra Cervik) "putzen" lässt ... und nachher treibt er es heimlich mit einer verheirateten Frau... (Foto © Sepp Gallauer)


KAMMERSPIELE DOPPELMORAL IN STEPHANIE MOHRS REIGEN - DAS HÄTTE MAN BESSER "KREIS" GENANNT ...

"Reigen" klingt geheimnisvoll verrucht, nach literarischem Karussell der verbotenen Liebe. Noch dazu, wenn es sich auf ein Stück bezieht, das von Arthur Schnitzler stammt. Den von Stephanie Mohr inszenierten Reigen vom Theater in der Josefstadt, was im Zuge der Renovierung des Haupthauses im Zweitspielort, den Kammerspielen, aufgeführt wird, hätte man allerdings besser "Kreis" genannt. Kreis - weil das unliterarisch, wenig musisch nach Alltagskultur und damit nach Sex in Alltagsroutine klingt. Das Geheimnis ist dem Sitcom-Schmäh gewichen.

Somit ist auch dem Stück die Raffinesse verloren gegangen. - Obwohl die Form, wo zwei Schauspieler sämtliche Rollen verkörpern, originell ist, was darüber hinaus eine tiefenpsychologische Neuinterpretation bedingt, die - mit Schnitzlers Traumnovelle vermischt - zum heute tatsächlich wieder erstrebenswerten Plädoyer für die Romantik einer Dauerbeziehung wird. Schnitzlers skandalöses Statement von der prinzipiellen Promiskuität des Menschen zur Jahrhundertwende um 1900 ist 2007 der bürgerlichen Sehnsucht vom Finden des Richtigen zwecks erfülltem Dauersex zu zweit gewichen. Das wird noch unterstrichen, indem die Hauptdarsteller, Herbert Föttinger und Sandra Cervik, auch im tatsächlichen Leben verheiratet sind. Es erhöht die Moral bis zur Biederkeit. Selbst wenn beide starke, sexy Schauspieler-Persönlichkeiten sind, die sich (vor allem sprachlich) gut verwandeln: er wirkt sehr männlich, als Prinzipientreuer und wie ein echter Führer, sie "ist" alles: vom Wiener Prolomädel, über die Prostituierte bis zur Schauspieldiva.

Softporno in provinzieller Stadttheaterprüderie

Schnitzler hatte mit diesem ersten "Softporno" ein Stück über das Sexualleben quer durch alle Gesellschaftsschichten geschrieben, wobei der Sexkreis nun auch in Mohrs Fassung mit der Nutte beginnt, die sich in einer Schaukabine vor einem Soldaten räkelt, der nach ihr eine Luftballonverkäuferin verführt, die danach als Putzfrau von einem verkappten Voyeur und Playboy-Leser ausgezogen wird, der sich wiederum mit einer verheirateten Frau trifft, deren Ehemann an ein Starlett, die an einen Theaterschriftsteller, der an eine Schauspielerin, die an einen Grafen, und der wieder zur Nutte gerät. Bei alledem werden die gesellschaftlichen Muster und Methoden gezeigt, wer warum und mit welcher triebgesteuerten Motivation in Körperkontakt mit dem anderen Geschlecht kommt. Dem Mann geht es meist um den Sex, der Frau auch um mehr, wobei der Mann in höherer Klasse noch nach Selbstbestätigung strebt, wo die Frau am besten noch seine Identität wahrnimmt (oder die Frau umgekehrt "natürlich schön und damit dumm" ist), und Künstler beiden Geschlechts auch bewundert werden wollen. In dieser Interpretation laufen nun den ganzen Reigen hindurch noch zwei Videos, die ein Paar im Ehebett zeigen, das von seinen (sexuellen) Träumen spricht - die sich im Bühnenschauspiel letztenendes bewahrheiten. Und in diesen Träumen kommt es zur Erkenntnis, dass die Suche durch mehrere Körper eigentlich nur der Suche nach der großen Liebe diente; und fand man sie bereits, dient der Seitensprung dazu, sich darin zu bestätigen, den und die Richtige(n) zu "haben".

Diese Aussage ist sehr weise. Doch die Atmosphäre des Stücks ist - wie gesagt - zu provinziell, um dafür zu werben. - Wenn man schon immer mit dem- und derselben ins Bett gehen soll, dann muß das mit so viel insgesamtem Stil und Niveau geschehen, dass es auch reizvoll ist. Der Stil steht schließlich für den Wert im Kopf. Dass sich der Wert dann animalisch umsetzen lassen kann, muss man ja nicht unbedingt sehen. (Wobei wir im konkreten Fall aber lieber noch etwas Animalisches gesehen hätten, als diese biederen Ausblendungs-Videopixeln anstatt des Koitus.) Das alles hat die Ausstrahlung von komisch-ländlicher Nudelaug-Prüderie in der Verkleidung von etikettierter Durchsicht eines offenen Stadttheaters. e.o./a.c.


DAS URTEIL TROTZ ZWEIER STARKER, SEXY SCHAUSPIELER UND ORIGINELLEN ZUGANGS ÜBERWIEGT DIE NUDELAUGPRÜDERIE.

THEATER Reigen * Von: Arthur Schnitzler * Regie: Stephanie Mohr * Mit: Sandra Cervik, Herbert Föttinger * Ort: Jetzt im Theater in der Josefstad Wien * Zeit: 23.3.+22.4.2008: 19h30 + 12.4.2008: 14h30

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