Tuesday, October 12, 2010

KABARETT: NIVEAUVOLLERE POLITIKER IN "LASST KREISKY UND SEIN TEAM ARBEITEN!"


Die Siebziger waren eine Zeit der revolutionären Künstler (Arenabesetzung) und der emanzipierten Frauen (hier: Marco Maurer und Nina Tatzber), Sympathisanten der damaligen SPÖ ...

... doch hatte Bundeskanzler Kreisky zeitweilig nicht nur Sympathisanten (hier: Thomas Dapoz und Roman Straka) ...

... in einer Zeit, wo das von Peter Alexander (umwerfend: Roman Straka in der Mitte) besungene Kleine Beisl neben McDonald´s besteht, gibt es eben Gegensätze ...




... , die den revolutionären Roten aber gut taten. Nach dem haushochen Sieg der Partei SPÖ wurden die Parteigenossen mit der Zeit selbstgefällig, was ihnen bis heute schadet.




- Das läßt Helmut Zilk (grandios: Peter Paul Skrepek) erahnen, der seine persönliche Meinung über Bruno Kreisky preisgibt - in einer intellektuellen Art, wie sie im Niveau auch der legendäre Bundeskanzler pflegte. - Etwas, das es heute bei Parteibossen jedweder Couleur nicht mehr gibt. (Fotos © Palais Nowak, Jan Frankl)







PALAIS NOWAK IN "LASST KREISKY UND SEIN TEAM ARBEITEN!" ERFÄHRT MAN, WAS EINEN PERSÖNLICHKEITSSTARKEN POLITIKER AUSMACHT: SEINE SPRACHE.

Es sind die paar TV-Ausschnitte, im Kabarettmusical Lasst Kreisky und sein Team arbeiten!, die selbst für Nach-Siebzig-Geborene erahnen lassen, was für eine souveräne Persönlichkeit Bruno Kreisky gewesen sein muss. Da hat ein FPÖ-Mann Heinz-Christian Strache durchaus recht, wenn er in einer seiner Freiluft-Wahlreden kurz vor der Wiener Gemeinderatswahl mit Kreisky und Helmut Zilk von den letzten SPÖ-Persönlichkeiten schwärmt. - Vom Altbürgermeister kann man das am Kabarettabend übrigens behaupten, weil ihn der Zilk-Darsteller Nummer 1, Peter Paul Skrepek, philosophisch durchtränkt zur Geltung bringt. Kreisky und Zilk eint hier eine Sprache, die eine intellektuelle ist, und von deren Niveau man heute kaum glauben kann, dass es jemals vermochte, Massen zu gewinnen. Heutige Politiker (und auch TV-Medien) glauben, jene nur noch mit der Vorstadtwirtshaussprache überzeugen zu können, indem sie ein abwertendes Bild von der überwiegend vertretenen Arbeiter- und Mittelklasse zu haben scheinen und die gebildeten Menschen überhaupt vergessen. - Oder aber: der Alltagston des Wiener Bürgertums ist tatsächlich so tief gesunken, dass es gar nichts anderes mehr versteht (einschließlich der vielen Ausländer, die kein richtiges Deutsch sprechen). In der Politik wie in der Werbung regiert ja bekanntlich der Grundsatz: "Sprich die Sprache deines Adressaten!".

Kreisky sprach seine Sprache, nicht jene der Gesellschaft

Im besagten Kabarett wird allerdings dann doch deutlich, dass der Ton, den ein Politiker (sprich Bruno Kreisky) früher wählte, einer subjektiven Entscheidung unterlag (oder einfach dem eigenen Ich entsprach), während die Gesellschaft, in der er (Bruno Kreisky) sich befand, eine vielfältige war, voller niederer und hoher Modeströmungen. Gerade die krassen Gegensätze sind es, die das Paradoxon eines komplett widersprüchlichen und damit äußerst kreativen Jahrzehnts aufdecken, was wiederum den Unterhaltungswert des Kabarettstücks von Fritz Schindlecker und Albert Schmidleitner mit einem Beitrag von Peter Paul Skrepek ausmacht. Und ginge die inhaltliche Abfolge in Wort und getanzten Musiknummern nicht so rasant und pop-entschärft schnell, dann wäre das eine richtig böse Satire geworden.

Frauenemanzipation und Burschenschaften

Ein wiederkehrendes Thema ist die Frauenemanzipation, die vor allem den ersten Teil bis zur Pause bestimmt, wobei die Emanzipation von langhaarigen, intellektuellen Frauen wie Elfriede Jelinek, die eine Bundeskanzlerin nach 2000 (allerdings in Deutschland) voraussagen, letztlich von der Menstruation vereitelt wird. Auf der Männerseite taucht indessen während der Arena-Besetzung eine Gerhild auf, die sich als ehemaliger Gerhard entpuppt. Und im lustig frauengetanzten Alice-Song ruft eine Männerriege dazwischen: "Who the fuck is Alice?" - Gemeint ist Alice Schwarzer. Unterdesssen wird später auf Gesellschaftsebene neben den Bravo-Lesern eine schwangere Schülerin beleuchtet, die im sechsten Monat im Beisein ihrer provinziellen Eltern den ersten Aufklärungsunterricht besucht. Zwei Grafikern ist es dann erlaubt, im Zuge der Sozis-entschärften öffentlichen Pornografie, den blanken Busen auf Fotos zu belassen, während das Zumpferl aber übermalt werden muss. Und in diesem Kontext eröffnet sich noch das heutige Integrationproblem: nämlich als Anliegen der Arbeiter und Bauern, die gerne eine viersprachige Ortstafel hätten. Doch wer sollte das (damals) beschriften? - Frauen, natürlich.

Wiener Gemütlichkeit und Hanf-Intellektuelle

Auch Wirtschafts- und Gesinnungsthemen kommen nicht zu kurz: Neben Bankenkrisenanspielung und Ökodebatten (Autofreier Tag, Atomkraftwerk Zwentendorf) wird das Modewort der heutigen "Weltverschwörung" eingestreut, wobei jedoch die amerikanischen Ölbetreiber, die Kameltreiber und die sozialistischen Verkehrsbetriebe sowieso unter einer Decke stecken würden. Progressive Akademiker-Kiffer schwärmen unter RAF-Einfluß vom Hanfanbau im Weinviertel, denen burschenschaftige CV-Studenten im Girlie-Jazztanz entgegen halten wollen - eine wirklich gelungene Passage! Die allerbeste Nummer gibt dann aber der Peter-Alexander-Interpret Roman Straka mit einer Text-Abwandlung des Kleinen Beisls in unserer Straße, wo am Stammtisch gegen Ausländer gehetzt und am Klo gekotzt wird. - Das schildert das Bild von der "Wiener Gemütlichkeit" schlechthin. Zum "Ausgleich" derselben kommt Fastfooder McDonald´s auf, aufgetischt von einer Cheerleader-Girlie-Group. - Das ist zum Schreien.

Solche Eindrücke sind es, die dem Zuschauer bewußt in Erinnerung bleiben, weil sich die Regie von Victoria Schubert und die Choreographie von Cedric Lee Bradley von den vielen zum Teil ergänzten 80-er Popnummern (u.a. Highway to Hell, A Glockn, Da Hofer, Bobby Brown) unter der musikalischen Leitung von Erwin Bader treiben lassen, sodass auch die musicalgeschulten Sänger und Tänzer zwar eine sehr professionelle Ensembleleistung hinlegen, aber kaum persönlich herausragen.

Ein skrepekscher Zilk für Geist und Nachhaltigkeit

Umso auffälliger sticht am Ende Helmut Zilk (Peter Paul Skrepek) hervor, der dem Ganzen einen autoritätsstarken, zehnminütigen Nachhalt verleiht. Und das aber, ohne sich selbst zu kurz zu kommen, denn Helmut Zilk geht bekanntlich von seiner Person und seinem Redefluß nie ab, selbst wenn er schon gestorben ist. Das Fegefeuer sitzt ihm deshalb auf den Fersen. (Skrepek tritt hier als Zilk erstmals seit dessen Tod 2008 auf.) - Er resümiert über die Vor- und Nachteile des Agnostikers und leicht überheblich-charmanten Kreiskys, ohne wirklich zu werten und zu vergessen, ab und zu in den wortspielerischen und überraschenden Nonsense abzutriften. Die Lacher sitzen so gezielt und tief, dass sich manch einer persönlich angesprochen fühlt (weil ihn Zilk wirklich anspricht) ...
Wir vergessen am Ende dennoch nicht, die Quintessenz des Stücks heraus zu lesen: dass die Roten ab der Spitze ihres Erfolgs zu eitlen und selbstgefälligen Genossen geworden sind, wo sie doch einst "Children of the Revolution" sein wollten - das Lied, mit dem der Abend beschwingt und doch zynisch ausklingt. e.o.


DAS URTEIL HINTER EINEM RASANT SCHNELLEN MUSIKNUMMERNABLAUF VERSTECKEN SICH BITTERBÖSE TEXTE ÜBER DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT UND IHRE POLITIK. - EIN ZILK BRINGT DAS AM ENDE INS BEWUSSTSEIN. EIN RUNDER ABEND, ZUM AUFWACHEN, WENN MAN WILL, AUF JEDEN FALL ABER ZUM LACHEN.

KABARETTMUSICAL Lasst Kreisky und sein Team arbeiten! * Regie: Victoria Schubert * Musik: Erwin Bader * Choreografie: Cedric Lee Bradley * Buch: Fritz Schindlecker, Albert Schmidleitner, Peter Paul Skrepek (Zilk-Part) * Mit: Wilbirg Helml, Doris Hindiniger, Georg M. Leskovich, Kudra Owens, Ariane Swoboda, Nina Tatzber, Thomas Dapoz, Roman Frankl, Marco Maurer, Peter Paul Skrepek, Roman Straka * Ort: Palais Nowak beim Gasometer * Zeit: fast täglich von 5.10.2010 - 2.3.2011, 19h30 * link: www.palaisnowak.at

Friday, September 03, 2010

PERFORMANCE: GENIAL-DILETTANT XAVIER LE ROY PRODUZIERT "ANDERE UMSTAENDE"






















Man glaubt längst, die komische persönliche Sache hinter dem Dilettantismus in
Product of Other Circumstances von Xavier Le Roy (Foto © Vincent Cavaro) erfaßt zu haben ...

... da konfrontiert er einen nach 1h50min mit einer beglückend-genialen Überraschung. Und umso größer wird seine kritische Aussage. (Foto © Luc Fleminck)

KASINO AM SCHWARZENBERGPLATZ - IMPULSTANZ WIE LANGE XAVIER LE ROY DEN DILETTANTEN SPIELT, LIEGT WENIGER AM BUTOH-LERNEN ALS AN DEN UMSTÄNDEN DIESER WIRTSCHAFT:
PRODUCT OF OTHER CIRCUMSTANCES STEHT DAFÜR.

Es ist 20h50 - nach einer Stunde und fünfzig Minuten Aufführung und nicht ganz fünf Minuten vor dem Ende -, als Xavier Le Roy ein kleines, etwa fünfminütiges Tanzstück von höchster Magie und Kunst, zwischen zeitgenössischem Gliedertanz und konzentrieter Butoh-Meditation hinlegt. Innerhalb eines Abends, den er selbst "Amateurstück" nennt und dem er den Titel Product of Other Circumstances gegeben hat. Eine Art von koketter "Entschuldigung", weil er anscheinend etwas versucht hätte, das ihm nicht gelungen sei, aber nicht, weil er es nicht schaffte, sondern weil er es nicht schaffen wollte. Nämlich in zwei Stunden den fernöstlichen Tanz Butoh zu erlernen. (In Wahrheit hatte er dafür vier Monate Zeit, davon aber wieder nur seine karge Freizeit während seiner Touren und der einzigen Woche Urlaub im Jahr). Kollege Boris Charmatz hatte Le Roy an dessen beiläufige Behauptung, "um Butoh-Tänzer zu werden, brauche ich zwei Stunden" erinnert(, auch wenn sich Le Roy selbst nicht wirklich daran erinnern konnte), und wollte nun binnen kürzester Zeit einen Beweis von dem Berlin-Franzosen haben, nachdem Charmatz eine Schwerpunktveranstaltung kuratierte. (Ein Le Roy macht sich ja immer gut bei einem Festival, besonders, wenn man ihn überführen kann ... was man ihn dann aber nicht kann.)

Ein Dilettant macht sich lustig

In seinen Tanzeinlagen dilettiert Le Roy, oder besser, mockiert er sich also die ganze Aufführung über den asiatischen Tanz (manchmal mehr, manchmal weniger lustig), während er quasi seinen ganzen Annäherungsprozeß während der Erarbeitungszeit rekapituliert - das hat etwas von einer Lehrstunde mit Google-Such-Videobeispielen und Erklärungen, worin Le Roy seine persönliche Beziehung zu Butoh herauspickt. Und die basiert hauptsächlich auf der seit Jahren sporadisch wiederkehrenden Anspielung von Besuchern Le Roys, die ihm eine Butoh-Nähe zuschreiben, obwohl er selbst damit überhaupt nichts verbinden kann (und will. Weil die Zuschreibungen auf oberflächlichen Vergleichen beruhen). Nur weil er einmal "nackt" auftrat und "langsame Bewegungen" machte, und ein anderes Mal "Konzentrationsmomente im angestrengten Gesicht" hatte, ist das noch lange kein Butoh. Und auch nicht, weil sich sein Konzepttanz gegenüber der westlichen Geschichte wie der Butoh in Asien von der eigenen Tanztradition verabschieden und dennoch eine klar erkennbare (geografische und persönlichkeitsbezogene) Herkunft tragen will.

Der Dilettant entpuppt sich als Genie

Bis zur besagten 20h50-Minute hat der Zuseher überhaupt das Gefühl, der Hauptpunkt, der Le Roy an dem Tanz widerstrebt, ist die emotionale Komponente: sprich die Expression von inneren, echten Gefühlen und von fantastischen Vorstellungen. Le Roy scheint es aber auch nicht wirklich zu schaffen, in den inneren geistigen Zustand von Tiefe zu gelangen, durch den der Tanz erst seine Kraft bekommt. Für manchen Geschmack, wie den des Choreographen, mag das auch einfach zu theatralisch sein. Le Roy will intellektuell sein, und auf sehr intime, ironisch-persönliche Weise "sachlich" am Thema seines Stücks. Deshalb kann er sich in seinen Tanzpersiflagen bekannter Stücke seiner Erinnerung - röchelnd, grimassenziehend und körperlich verkrampfend - auch nur lustig machen.

Und doch, in jenem besagten Stück kurz vor dem Ende, gelangt er dann in die tiefe Butoh-Konzentration, während sich seine Hand und sein Fuß in exakter Linie entgegengesetzter Richtung vom Körper entfernen. Ein überraschender Moment, bei dem einem der Atem still steht, weil man erkennt, dass Xavier Le Roy den Zuschauer während der ganzen Zeit über an der Nase herum geführt hat. Denn er hätte es geschafft: in zwei Stunden (bzw. binnen kürzester Zeit) "sein" Butoh zu lernen. - Warum er dann aber doch ein langes "Assoziationsstück" daraus gemacht hat, erklärt er zusammengefaßt folgendermaßen: "Bei dem Kurzstück hätten die Leute gefragt, ob das nun Butoh oder doch etwas anderes gewesen sei, und das wäre mir zu wenig kritisch gewesen." Außerdem hätte er für so eine Aufführungsdauer auch zu gut bezahlt bekommen, denn er müßte für seine Subventionswürdigkeit genau 28 Euro pro Stunde verdienen (wobei er natürlich viel länger für die Erarbeitung experimentiert hatte, sodass er ohnehin unterbezahlt gewesen wäre bzw. ist).

Die Kritik hinter dem Dilettantimus

Die während der ganzen Aufführung punktweise, eingestreute Kritik ist es denn auch, die Xavier Le Roy dem Zuseher so nahe gehen läßt. Denn hier erfährt man, dass es einem freischaffenden Tänzer auch nicht anders geht, als anderen freidenkenden (und produzierenden) Menschen in dieser Wirtschaftswelt. So möchte er sofort Widerstand leisten, wenn er etwas schnell und billig produzieren soll, "weil es in der Gesellschaft immer so ist, dass etwas schnell und billig zu produzieren ist. Dabei sollte doch einfach professionelle Arbeit bezahlt werden." Auch wollte er nicht einen Kursus ablegen, um dieses Aufführungsziel zu schaffen, weil er "kein Master-Student sein will" - er entwickelt seinen persönlichen Zugang und Stil. Interessant ist auch, was ihm an Butoh einigermaßen gefällt: "Der kritisch entwickelte, eigenständige Aspekt. Sowie, dass ein Mann bis 85 noch wie ein junges Mädchen tanzen kann."

Ein neuer Input für die Kultur-/Wirtschaft

Am Ende beteuerte er, wie viel Freude ihm dieses Vortragswerk bereitet habe, weil es mit viel Freiheit in seiner Freizeit entstanden sei.
Ich ergänze diesen Satz als freischaffende Journalistin und Vereinsleiterin vom Kulturberichterstattungsmedium intimacy: art (im Internet): "Mir verschafft das kritische Schreiben in der Freizeit vor allem Erleichterung. Denn nirgends sonst kann man genau das schreiben, was man wirklich empfindet. Das - also die Wahrheit - ist es aber, was man der Welt wirklich mitteilen will. Und dass das als professionelles Vorhaben unternommen wird, ist der eigentliche Reiz daran (es ist keinesfalls ein Hobby der Freizeit). - Le Roy wird mit dieser Aussage zum Held des heurigen impulstanz-Festivals, indem er die Utopie einer für die freie Masse geöffneten Wirtschaftszukunft vor Augen hält, wie sie schöner, persönlicher, vielfältiger und kreativer nicht sein könnte. Das unpersönliche "Format" (Kunst-, Medien-, Wirtschaftsprodukt-Marken für die Masse), sollte in jeder Hinsicht eingedämmt werden, da es die Allgemeinheit verdummt. e.o.


DAS URTEIL XAVIER LE ROY GEHT EINEM KREATIVEN DENKER SO NAHE, WEIL ER ÖFFENTLICH SAGT, WORAN VIELE LEIDEN. UND OBENDREIN TANZT ER FÜNF MINUTEN SO ATEMBERAUBEND, DASS MAN AUS DER VERBLÜFFUNG GAR NICHT MEHR RAUSKOMMT.

PERFORMANCE Product of Other Circumstances * Von und mit: Xavier Le Roy* Ort: Kasino am Schwarzenbergplatz * Zeit: 10.-12.8.2010

Friday, August 27, 2010

TANZ: MARIE CHOUINARD SUCHT "THE GOLDEN MEAN (LIVE)"


Die Goldene Mitte der Zukunft symbolisieren goldene, wie frisch geschlüpfte Alienwesen mit Masken - noch spannend in der ersten Szene von Chouinards neuer Choreografie.


Im politischen Alltag sind die Hoffnungsträger dann meist Intellektuelle, die viel lesen und reden, statt auf ihre Instinkte zu hören.

Wären diese Wesen öfter Persönlichkeiten wie die erleuchtete Tänzerin Carol Prieur, wäre die goldene Aufführungswelt der Chouinard durchgehend spannend. (Fotos © Sylvie-Ann Paré)







MUSEUMSQUARTIER - IMPULSTANZ
KURZ VOR DEM FINDEN DER GOLDENEN MITTE IST DAS LEBEN WOHL AM SPANNENDSTEN UND SCHÖNSTEN - DAS LÄSST SICH BEI DER KANADIERIN MARIE CHOUINARD ERAHNEN


Von einem befriedigenden Tanztheaterabend kann man sprechen, wenn dessen Bilder einer illusionären Welt einen im Nachhinein verfolgen; wenn sie ihn auf eine andere Ebene bringen. Schon weil der geschäftige Alltag nie wunderbar ist, selbst für den, der insgesamt glücklich ist. Und sonderbar ist, dass auch jener Tanz im Moment des Ansehens nicht beglückend ist, sondern phasenweise sogar einschläfernd: Kanadierin Marie Chouinards Choreografie von The Golden Mean (Live) wirkt eher im Rückblick. Das ist ein Phänomen. In anderen Arbeiten Chouinards hingegen kam einem das "Toll" einer Begeisterung schon spontaner von den Lippen. Warum das wohl so ist?

Goldener Schnitt mit tänzerischem und sinnstiftendem Kontrapunkt

Möglicherweise, weil die Choreografie in bestechend arrangiertem Bühnenbild, auf einer "dem goldenen Schnitt" beruhenden Architektur angelegt ist, dem ästhetischen Prinzip, das auch das Thema der Inszenierung bestimmt. Äußerst künstlerisch wird sie, weil der Tanz selbst und die Tänzer als Charaktere nicht harmonisch in sich ruhen. Sie entsprechen in gegensätzlicher Richtung zum Raum mit fünf gleichmäßig verteilten Bildschirmen, Spotlampen und Mikrofonen allem anderem als dem "goldenen Schnitt", der vom Kunst-Altertum übermittelten goldenen Mitte, obschon die Tänzer klar erkennbar technisch erklassig ausgebildet sind, und das in Chouinards typische rituelle Tanzsprache umsetzen. Dieser Widerspruch erzeugt zunächst eine Spannung, da man glaubt, etwas Menschengrundsätzliches erzählt zu bekommen, was man bisher noch nicht wußte.

Eine Form von prinzipieller philosophischer Weisheit schwingt der gesamten Aufführung mit, in diesen wie frischgeschlüpften Alien-Wesen vor religiösem Knabenchor und unter Urtrommeln, die in Gold und (ange-)erleuchtet zwischen Lachen und Weinen, Macht und Ohnmacht, Schmerzzufügen und Leiden, Körperbewußtsein und -unsicherheit jonglieren. Aus ihren Mündern klingen fragmentarische Überlegungen von Möglichkeiten, Gedanken, die sie nicht loslassen und zu keiner Lösung finden, einmal auch von einer Tänzerin, die durch verschiedene Tanzstile (Stepp, Ballett, Jazz, etc.) gegangen ist, oder von im Sexakt urschreienden Tieren (eine vom Gebaren her hocherotische Szene wie aus dem echten Sexleben zwischen Mann und Frau!).

Die Verantwortung der Politik und des Instinkts

Der Grund der Unsicherheit mag in einer positiven und negativen Außenwelt liegen, die zur Entwicklung der Menschengenerationen führt. Das zeigt Chouinard mittels aufgesetzter Politikermaske. In Österreich tragen die Tänzer im tänzerischen Unisono lachende Bundespräsident-Fischer-Gesichter, eine Szene, die abgewandelt noch zweimal wiederholt wird. Dann steht sie allerdings für die abhängigen Menschen, indem sie rückläufig zuerst lachende alte Damen zeigt. Und eine davon hat Flecken. - Das ist das Indiz einer möglichen Gefahr, wenn die Verantwortung seitens Politik für die nachkommende, junge Generation nicht wahrgenommen wird. Für den Aufruf zum Willen der Erkenntnis tragen die Tänzer schwarze, dicke Intellektuellenbrillen, was aber gleichzeitig auch ein Hauch von Spott gegenüber der Denkerspezies Mensch trägt, die im Leben oft auf dem Holzweg ist, wenn sie "buchblätternd" und "diskutierend" nur aus dem Kopf und nicht aus dem Körper denkt. Denn der Instinkt ist und bleibt Chouinards weiser Held.

Ein Instinkt, den bereits Babies haben, indem sie mit ausgestrecktem Finger auf Dinge zeigen, die sie faszinieren. Lachende, fragende, weinende, nachdenkliche, offene Babygesichter auf unschuldig-nackten Tänzerkörpern sind denn auch der Chouinard-Weisheit letzter Schluß. Als Kopfmasken zieren sie die händehaltenden Tänzer im Schlußbild. Und sie zeigen nach oben, denn alles Gute kommt ja von oben. - Gott wird da nicht gemeint sein, sondern eher der Wille zur göttlich-instinktiven Mitte im einzelnen Menschen selbst. - Ein schönes archaisches Manifest mit Nachwirkung.

Zu viel Mitte macht müde

Das Ermüdende während der Aufführung kommt von der Erzählweise, die nicht kontinuierlich ist und oberflächlich betrachtet keine Wandlung erfährt - eben damit die ästhetische Mitte im Verlauf gewahrt ist. Hätten die Tänzer nur nicht alle kurzhaarige blonde Struppelperücken getragen! Ein paar uneinheitliche Persönlichkeiten mehr müßten her! Das läßt sich beim Verbeugen erahnen, wenn die Tänzer attraktiv auftreten, wie sie es im Leben sind, oder einmal auch während des Tanzes selbst, als eine auffallend langbeinige, naß-langhaarige Grazie (Carol Prieur) durch die unsichere Bühne wandelt. e.o.

DAS URTEIL BILDLICH UND THEMATISCH EINE FASZINIERENDE WEISHEIT MIT NACHWIRKUNG, IM REZEPTIONSMOMENT ZUWEILEN WEGEN DER EINHEITLICH GEMACHTEN PERSÖNLICHKEITEN ERMÜDEND.

TANZ The Golden Mean (Live) * Musik: Louis Dufort * Konzept und Choreografie: Marie Chouinard * Mit: Kimberley de Jong, Eve Garnier, Benjamim Kamino, Leon Kupferschmid, Lucy M. May, Lucie Mongrain, Mariusz Ostrowski, Carol Prieur, Gérard Reyes, Dorotea, Saykaly, James Viveiros, Megan Walbaum * Ort: Museumsquartier, Halle E * Zeit: 4.-7.8.2010

Tuesday, July 27, 2010

TANZ: MAILLOT UND HARING VERFÜHREN LES BALLETS DE MONTE CARLO










Sie hält seine Sehnsucht an der langen Leine: Anjara Ballesteros und Jeroen Verbruggen in Daphnis Et Chloé (Foto © Les Ballets de Monte-Carlo)



Er hat keine Sehnsüchte mehr: Gaetan Morlotti in Sacre: The Rite Thing. (Foto © Chris Haring)


ODEON - IMPULSTANZ DAPHNIS ET CHLOÉ MACHT EINEN INTERESSANTEN AUFTAKT, SACRE: THE RITE THING HAELT EINEN UNENDLICH IN ATEM

Es gibt im Tanz, im Theater und überhaupt in der Kunst nicht viele Wege, wie ein Werk einschlägt. Fast könnte man dann sagen, das funktioniert nach einem Schema. Das Problem dabei ist nur, geht jemand streng nach Schema vor, könnte das Werk steril und vorhersehbar werden. Und dann ist es schon wieder fad: es sich anzuhören, anzusehen, abzusitzen. Die Gratwanderung, ein Schema zu haben und dennoch spannend zu bleiben, wurde in zwei bestimmten, an einem Abend gezeigten ImPulsTanz-modernen Ballets-Russes-Inszenierungen mit Balletttänzern von Les Ballets De Monte Carlo erreicht: in jener des Ballettchoreographen Jean-Christophe Maillot und jener des zeitgenössischen Choreographen Chris Haring; und zwar in ansteigender Intensität.

Schema 1 der Bühnenwirkung: die Mehrdeutung

Zunächst stören in Ballettleiter Maillots neu interpretierter Teenagerliebe Daphnis et Chloé, worin zwei junge, temperamentvolle Ballettkünstler - intelligent-naiv (ver)führend Anjara Ballesteros und vital-sehnend Jeroen Verbruggen - "das erste Mal" erleben, zwei ältere und in Sachen Erotikspiele mit allen Wassern gewaschene Ballettkaliber: Gaetan Morlotti und Bernice Coppieters. Dankbarerweise, denn so bleibt der Kitsch einer pantomimisch betonten Koketterie-Beziehung nicht in den Kinderschuhen, sondern wächst zur Mehrinterpretation heran. In der Originalgeschichte manipulieren noch eindeutig Pan und Nymphen die Liebesanbahnung des jungen Hirtenpaars. Hier wirken die zwei älteren, erfahrenen Gespielen durch Provokation zu Eifersüchteleien durch Bevorzugung eines Anderen (der Junge flirtet - sprich: tanzt - meist mit der Älteren, und die anderen beiden - vor allem die noch nicht bereite Junge - schauen ihnen dabei zu) einerseits wie Sparingpartner, zuweilen aber auch wie das zeitversetzt reife Paar, sodass man die erste und die erfahrene Liebe parallel zu sehen glaubt. Als sagten die Beiden, "so wird es einmal mit uns, so war es einmal mit uns".

Damit ist das erste Schema der unbedingten Kunstwirkung - die Mehrdeutung - erreicht, indem der Zuschauer intellektuell einen Rückblick auf ein Leben sowie einen Blick auf die Geheimnisse reizvoller Erotik durch wechselnde Machtverhältnisse richten kann. Noch besser wäre allerdings gewesen, es hätte ihn zumindest einmal der magische Moment eines echten Liebesgefühls getroffen. Dazu kommt es bei aller perfekten Tanzerei nie, obwohl auch noch im Hintergrund schöne, auf drei weiße Wände projizierte Aktzeichnungen von Ernest Pignon-Ernest die Körper parallel immer mehr im Sexakt verschweißen wollen, jedoch im Versuch eines Ansatzes, Bild und Tanz zu vereinen, stecken bleiben.

Schema 2 der Bühnenwirkung: Effekt durch Einheit von Bild und Ton

Harings Sacre: The Rite Thing trifft danach mit seiner Anspielung auf den Ballettklassiker Le Sacre Du Printemps tatsächlich ins Magische einer Rezeptionswirkung: nicht weil da thematisch irgendetwas Gefühlvolles gezeigt würde, sondern weil das Zusammenspiel von Musik und lichtchangierendem Tanzbild auf absoluten Effekt eines Gesamtkunstwerks (Set Design: Thomas Jelinek) hin getrimmt ist, und das, ohne platt oder kommerziell zu werden. - Obschon es als amerikanischer Science-Fiction-Tanz in Neonfarben bezeichnet werden könnte. Die größte Spannung bringt über das ganze Stück hinweg die geniale Tonmischung mit zeitweisem "Sprechgesang der Tänzer" von Andreas Berger (Glim), in der der Zuhörer in einem verzerrten Techno-Klangteppich ständig ansatzweise mit dem berühmten Strawinsky-Auftakt geködert wird, sodass er fast zu zerspringen glaubt.

Die Verführung - das Kernthema des Originalstücks - läuft somit nur über die Musik, was die Aktionen auf der Bühne akustisch und optisch unterstreichen. Aktionen von Gesten und Schritten, die lediglich aus Versatzstücken, Sezierelementen bis zur grotesken Vernichtung bestehen. "Spring" wird zum Beispiel zur persönlichen Assoziationspoesie über den Frühling einer Tänzerin umgedeutet. Die erkennbar und exakt angerissenen altgriechischen Haltungen des Nijinsky-Originals werden originellerweise und wiederholt mit plumpen und kraftvollen Schritten kombiniert und akustisch durch ein verzerrtes Stampf-Echo so verstärkt, dass sie fast einzementiert zu sein scheinen. Da diese groben Schrittfolgen aber alle oder mehrere von den sieben Tänzern - entweder als Tutti, synchron oder spiegelverkehrt - in harmonischer Raumaufteilung machen, entsteht wieder so etwas wie ein grafisch-edles, neuzeitliches Bild. Genau genommen besteht die ganze Aufführung aus eindringlichen, gedehnten Momentaufnahmen, wobei Bild und Ton nie auseinander, sondern synchron verlaufen. (Der Effekt!) Und im Unterschied zu sonst, wenn Haring mit seinen zeitgenössischen Tänzern arbeitet, bekommt seine Arbeit mit diesen klassisch ausgebildeten Tänzern auch endlich den erhöhten Kunstcharakter, für den er bereits mit dem Goldenen Löwen der Biennale von Venedig ausgezeichnet worden ist. Mit einem Wort: Harings Arbeit ist jetzt nicht mehr "nur alternativ", sondern in der hohen Kunst angekommen.

Enttäuschende Finale

Schade ist bei beiden Werken das Ende. Ganz daneben und plump läßt Maillot seine beiden Teenager für das Ziel des Koitus im Hintergrund aufeinander liegen, während die projizierten Körperzeichnungen in Mehrfachlinien aufeinander klumpen. Man hätte sich eher gewünscht, der Choreograf hätte nach seiner über das ganze Stück konkreten Erzählweise ein ungewisses oder offenes Ende der Beiden gefunden.

Umgekehrt ist es bei Haring, der schon inhaltlich permanent das Originalthema - die Verführungsmetapher, worin ein junges Mädchen lüsternen alten Männern geopfert wird - entmachtet, indem er praktisch jedes Handlungsdetail und die gesamte Inszenierungsgeschichte des Ballettklassikers veräppelt, wie das Spitzentrippeln über Echo zu verstärken, einen Tänzer in Erinnerung an seine Sacre-Proben zum Zombie verkrümmen zu lassen, oder eine "romantische" Tänzerin als Kinderstimme zu verzerren, wenn sie sich danach sehnt, tot auf Männerhänden getragen zu werden. Und dann findet er auch noch so ein Ende: ein die Anderen dirigierender Tänzer, entpuppt sich als Teufel, der niemanden liebt und begehrt außer sich selbst (indem er sich ableckt). Schöner wäre es gewesen, auch ans Publikum zu denken und den heiß begehrten Strawinsky-Akkord endlich voll auszuspielen: denn wenn schon zeitgenössische Tänzer nicht mehr (von jemand anderem) befriedigt werden können, so heißt es noch lange nicht, dass die ganze Welt so selbstlos sein will. Abgesehen davon, dass ein temperamentvolles Ende das letzte Viertel kurzweiliger gemacht hätte ... e.o.


DAS URTEIL MAILLOT LIEFERT MIT DEM MONTE-CARLO-BALLETT EINE INTERESSANTE ARBEIT, WÄHREND HARING EINE UNGEMEINE SPANNUNG DURCH DIE MUSIK VON ANDREAS BERGER UND EFFEKTREICHE MOMENTAUFNAHMEN ERZEUGT. NUR DAS FINALE IST BEIDEN NICHT RECHT GELUNGEN.

TANZ Daphnis et Chloé * Musik: Maurice Ravel * Choreografie: Jean-Christophe Maillot * Mit: Ensemble Micrologus * Dramaturgie: Guy Cools * Mit: Les Ballets De Monte-Carlo: Anjara Ballesteros, Bernice Coppieters, Gaetan Morlotti, Jeroen Verbruggen * Ort: Odeon * Zeit: 19.-27.7.2010: 21h

TANZ Sacre: The Rite Thing * Choreografie: Chris Haring / Liquid Loft * Sound: Anreas Berger (Glim) * Licht: Thomas Jelinek * Text, Theorie: Nicole Haitzinger, Fritz Ostermayer * Mit: Les Ballets De Monte-Carlo: April Ball, Gioia Masala, Quinn Pendleton, Olivier Lucea, Giovanni Mongell, Gaetan Morlotti, Chris Roelandt * Ort: Odeon * Zeit: 19.-27.7.2010: 21h