Thursday, March 27, 2008

MUSIK: WENDE DER INTELLEKT-JUDEN DANIEL KAHN & GEOFF BERNER ZU YURIY GURZHYS HIRNARMER RUSSENDISKO

Rabe, 2007 (Foto © Elfi Oberhuber)

Was,
wenn der schwarze Rabe nicht schwarz ist, sondern rot, grün, blau,
wenn er nicht christlich böse wäre,
nur weise, wie in alter griechischer Mythologie,
wenn seine gebrochene Zunge tönt,
als wäre sie neu,
als wäre sie wie sie ist,
ungebrochen,
kein Jude?
Als wäre sie nur ein Mensch,
wie du und ich,
wie ich and you´,
wie ich und Jud´.
(e.o.)


Daniel Kahn hat das Tiersymbol des Raben zum Leitbild seiner Gruppe The Painted Bird erkoren: Was, wenn der Rabe nicht schwarz = böse gelte, sondern bunt - und damit "historisch befreit" - wäre, so wie "der Jude" ...

Der intellektuelle jüdische US-Songwriter aus Detroit vereint Punk-Cabaret und schmerzliche Nachdenklichkeit in seiner Musik: für ihn sollten Zungen ungebrochen, Vögel (Raben) frei sein ...

Wenn Juden so ausdrucksstark-klug wie Kahn, so schön wie Bassist Michael Tuttle, und so virtuos wie Beide sind, dann müßte das eigentlich die schärfste Menschenart sein ...

... wobei auch der punkstarke - den besoffenen Rabbi spielende - Geoff Berner nicht zu verachten ist, der selbstbewußt selbstironisch gegenüber dem Judentum textet und singt. (Konzert-Fotos © cinema-paradiso.at)

















Leider endete diese Intellektuellen-Energie in der Russendisko - ein Hype, der symptomatisch für diese Gesellschaft ist, wo der Stumpfsinn alles Kluge einsackelt, und die Fantasie vom klugen Juden in die hirntote Realität des ost-neureichen Kapitalismus gekehrt wird.



WUK - AKKORDEONFESTIVAL DAS PUNK-CABARET VON DANIEL KAHN & THE PAINTED BIRD BRACHTE MIT DEM VERFREMDUNGSKLEZMER - ENTERTAINER GEOFF BERNER JÜDISCH-INTELLEKTUELLES FLAIR NACH WIEN. DAS ENDETE IN DER RUSSENDISKO VON YURIY GURZHY

Was hat das Sprachrohr zu bedeuten, das Daniel Kahn hier im Wiener WUK beim Auftritt vor dem Gesicht hält? Steht es für den menschlichen Schnabel? Den Schnabel eines Raben? So wird es sein, bei Daniel Kahn & The Painted Bird, übersetzt "der angemalte Vogel". Er muß einer der Vögel aus Jerzy Kosinskis Groteskennovelle The Painted Bird sein, die nach einem Amokflug in den Himmel plötzlich als angemalte Raben auf die frisch-gepflügte Erde herabstürzen. Das parabelhafte Bild besagt mit seinen drei kleinen Worten, worum es den Juden in ihrem historischen Familienbewußtsein geht, woran sie bis heute unaufhörlich arbeiten. Am Wissen um die Geschichte des Volkes, wo gleichzeitig die Sehnsucht nach Befreiung von dieser Wissenslast mitschwingt, durch neu zu schaffende Komponenten und Konnotationen oder Weglassen Bestehender. So, dass eben aus The Broken Tongue, aus der Gebrochenen Zunge - wie die letzte CD mit gleichem Covertitel der Detroit-Berliner Klezmerverfremdungsband lautet - eine umso zungenfertigere (sprachlich anerkanntere) wird. Doch wie ironisch es das Leben nun mal meint, gewinnt dieses "leidende" Volk seine massenbewegendste Eloquenz ausgerechnet aus seiner erlittenen "Geschichte". Nichts erreicht die artistische Spitze mehr als Lieder über Polen, Auschwitz, Birkenau, ...

Birkenau - 7.Titel aus der CD The Broken Tongue
(Text und Musik von Daniel Kahn,
frei beschrieben von Elfi Oberhuber)

Das Klavier so schnell, es spielt verrückt,
als wüßten die Tasten nicht
wohin, auf-ab, auf-ab, hin-her;
Die hartnäckige Geige hält ihren Ton zerrissen auf einer Höhe,
bis das schwach-klare Akkordeon beides erlöst.

Da erklingt eine balkanesk-östliche Melancholie,
ihre langatmig gespielte kurze Melodie verlangt nach Antwort,
jener in Daniel Kahns Trauer:
"Unten am Bach, wo die dünnen Birken stehn,
die Vögel mit ihren Blechstimmen in den Bäumen,
sie singen sogar noch, als die Nummern aufkommen,
als wehe darüber nichts als der Wind."

Tango-prägnant fahren Cello-Klavier fort,
"Ich war ein Lamm für den Metzger, zum Häuten",
schluchzt kaum hörbar das Akkordeon,
"ohne Zeugen in der Dunkelheit,
für jedes Wimmern & für jedes Grinsen,
während all die Nummern unaufhörlich einmarschieren.
Ein Lamm ohne Schäfer, ein Bach ohne Meer;
eine Geschichte, die ich niemandem erzählen kann als mir.
Hier ist die Moral, denn die Zeit währt nicht lang;
die Welt ist ein Biest mit einem schönen Lied.
Aaahhh..."
Angestauter Schmerz strömt durch die Violine,
leise fordert das hohe Klavier nach seinem Recht, ...

... um endlich laut und tief entschlossen vorzuwerfen:
"Der Tag, er ist vorüber & die Dämmerung ist nahe,
Die Sonne ist bedeckt durch ein Überwachungsauge
& die Wolken sind befleckt mit einer verhängnisvollen Farbe,
als hätte der Metzger sein Messer am Himmel abgewischt."
Darauf das erstarkte Akkordeon:
"Die kalten Eisenbuchstaben lauten "ARBEIT MACHT FREI"
& das erscheint wie eine Lüge, doch mag es wohl so sein,
wenn deine Arbeit ein Versuch zu vergessen ist, wie man weint
& und deine Freiheit in einer Laugengrube zu finden ist.
Ein Lamm ohne Schäfer, ein Bach ohne Meer,
Eine Geschichte, die ich niemandem erzählen kann als dir.
So erkläre mir die Moral, denn die Zeit ist nicht lang,
& die Welt ist ein Biest mit einem schönen Lied.
Aaaaahhhhhh ..."



















Auschwitz - Birkenau, 2005 (Foto © Elfi Oberhuber)

Die edle Violine.
Das Klavier stirbt leise;
das Wunderschöne fließt über,
in eine neu zusammenhängende Welt,
in die Violinenmelodie von

8. Unter Di Khurves Fun Poyln
Unter den Ruinen von Polen
(jiddischer Text von Itsik Manger music: S. Beresovsky)
Kahn singt schmerzlich trauernd im Duett mit Niki Jacobs,
frei beschrieben von Elfi Oberhuber)


Unter den Ruinen von Polen, da liegt ein Kopf mit blondem Haar.
Der Kopf & auch meine Stadt, beides liegt in Ruinen da(r).
Über den Ruinen von Polen füllt der Himmel die Häuser mit Schnee
Der blonde Kopf meines Mädchens füllt meinen Kopf mit Weh.
Mein Weh rinnt über den Schreibtisch & schreibt einen langen Brief an sie
Tränen fallen auf das Blatt
Sind echt als würden die Worte verschwimmen.
Über den Ruinen von Polen, hinauf in die Wolken des Weiß,
da fliegt in ruhigen Flügelschlägen, ein großer, schwarzer, trauriger Rabe
Es ist der große, schwarze Trauerrabe,
(Wie mein Herz in diesem Vogel lebt!)
Er treibt seine Flügel fortan weiter, während er tief trauernd sein Klagelied fliegt



















Ruine in Polen, 2006 (Foto © Elfi Oberhuber)

Instrumentales Zwischenspiel wie von Chopin,
voll von Schmerz am Verlust, Sehnsucht nach der Verlorenen,
sie antwortet von weit her mit blonder Stimme aus dem Engelreich.
Da kommt aus der Gegenrichtung
der atonale Schlußpunktakkord vom Klavier,
die Kurzschlußreaktion vom allein Verbliebenen auf der ewigen Welt,
sie füllt den Raum mit der unverzeihlichen Todesanklage ...


Birkenau als Souvenir, Intellektuell-jüdische Aura im Live-Konzert von Daniel Kahn

Birkenau und Unter den Ruinen von Polen waren allerdings keine Lieder des Konzerts, sondern lediglich Souvenire für den Begeisterten zu Haus. Und doch muss man sich fragen, wie jene(r) überhaupt so weit kommt, sich so ein Souvenir erstehen zu wollen. Wobei man mit der CD direkt nach dem Konzert sogar Enttäuschung verspüren könnte, da sie hinsichtlich theatraler Ausdruckskraft und Energie doch um vieles schwächer ist als ein Daniel Kahn mit Band live. Vielleicht liegt es an den Rabenmasken, die zahlreich auf der Bühne stehen, die die ungemein intelligente Aura auf die Musiker abstrahlen, wo einer - Bassspieler Michael Tuttle - darüber hinaus auch noch ein wahres Bild von einem Mann ist ... Diese insgesamt außergewöhnlich schöne Intelligenz sprüht so attraktiv ins Publikum, dass man den Erstbesten neben sich, wegen seiner schwarzen Locken und würdevoll gebogenen Nase "als anziehenden Juden" festzustellen glaubt, während jener besonnen, mit auf seinem Handballen gestütztem Denkerkinn die jiddisch-amerikanischen Worte Kahns zu reflektieren scheint.

Kahns Worte handeln vom Brechtschen, durch den Lautsprecher eintrichternd geschrienen "Erst kommt das Fressen, dann die Moral", erstrecken sich über eine unmögliche Liebe von einem Juden zu einer Nicht-Jüdin ("Ich kann Dir mein Leben nicht vergessn, weil ich hab Dich lieb"), über das wissenschaftlich-analysierte Gespür einer witzig schleppend gesungenen Menschenkenntnis ("Ein bequemer Parasit befällt die Maus, die die Katze frißt, deren Geist dann irgendwann die Kuh befällt ...") mit leichter Pointe, bis zur Kriegssituation in Israel mit Friedenstraum in Palästina, das durch ein gekonnt eingebettetes Solo-Programm von Tuttle am Kontrabass, Bert Hildebrandt an der Klarinette und Hampus Melin am Schlagzeug zu einem mitreißenden Ende findet, sodass man sich zu einer Schwärmerei hinreißen lassen wird, wie: "Wenn das das Judentum ausmacht, dann ist das die schärfste Rasse, die es gibt!" Auch wenn Kahn erzählt, in Graz gefragt worden zu sein: "Sind Sie ein echter Jude?" - Worauf er meinte: "Ja, ich bin schon Jude. Aber echt?"

Punkiger Intelligenz-Porno von Geoff Berner

Man schwärmt, auch weil Amerikaner Geoff Berner zwischendurch noch eine weitere Facette dieser selbstbeherrscht-reflexiven Gut-Moral-Menschen an den Tag zu legen vermag, selbst wenn er dadurch als Persönlichkeit labiler wirkt als Kahn. Wo die Selbstkritik auf das eigene Volk bei Kahn stets spielerisch und neckend bleibt, wird Berner sogar ausfallend. So bezeichnet er sich selbst als Whiskey-Rabbi, unter dessen Titel er sein bekanntestes Lied in Rock-Punk-Klezmer-Manier geschrieben hat. Mit seiner sehr schönen, helleren und trotzigeren Stimme als Kahn, spielt er bei seinem Auftritt zunächst selbst den Mikro-umwerfenden Betrunkenen und fordert seinen Kollegen auf, inzwischen einen Witz zu erzählen, bis er sich wieder gefangen hätte. Kahn ist schlagfertig genug, um darauf einzugehen: "Ein Jude geht zum Arzt, der ihm sagt: "Sie haben nur noch drei Wochen zu leben." Darauf der Jude: "Ja, aber wovon?"

Darauf legt Berner rockig "besoffen" los, um überzeugend revolutionär festzustellen: "Ich bleib betrunken und arbeitslos!", und später zu behaupten, "Ich bin mit `Maschke´ (akustisch-jiddisch Whiskey) auf die Welt gekommen", worauf Kahn trocken, mit bitter-schmerzlichem Nachgeschmack beifügt: "Das erinnert mich an meine Beschneidung. Für ein Kind ist da `Maschke´ leider nicht erlaubt." - Eine Ritualkritik gegenüber der eigenen Sippe, die durchaus sympathisch kommt.

Dann legt Berner einen Song gegen das ausgeübte Unrecht der Reichen hin, The Rich Are Going To Move To The High Ground, mit Schreien besingt er den Lucky Goddam Jew, sodass man letztenendes nicht Angst um reiche Juden hat, sondern nur noch um ihn. Diesen Mann umgibt bei aller künstlerischen Fertigkeit etwas Untergangartiges, sodass man mit ihm bestimmt nicht sein Leben, aber immerhin seine Gesellschaft teilen will. Und doch tangiert der wunde Punkt eines Kahn noch stärker. Schon weil Berners "Stupid, Stupid!"-Gerufe zu Krieg und Hitler samt Krieg-Kollaps, übertrieben agitativ ist. Aber der Mann ist nun mal jung, demnach echt punkgetrieben. Umso besser kommt seine Energie bei The Wedding Dance of the Widow Bride, worin er als Musiker die Braut zum Weinen bringt ("Weep, bride, weep!"), da ihr Bräutigam ein Sozialmarxist sei, der die Ehe für Prostitution halte: "Deshalb mußt Du ihn ficken, nur damit er die Moral einhält." Und so haben die Musiker die Braut eben depressiv einzustimmen, um sich an ihr am Männerarsch zu erfreuen. Da bleibt nur irritiert zu fragen: Ist das nun männer- oder frauenfeindlich? - Als Abart eines us-jüdisch-gebildeten Intelligenz-Porno ist es aber auf jeden Fall spannend!

Das jähe Erwachen in der Russendisko von Yuriy Gurzhy

Voller geistiger Erregung platzieren wir uns nach diesen aufregend-anspruchsvollen, erdigen zwei Klezmer-Abstraktions- und Ausdrucksvirtuosen in schwarzen Denkeranzügen ein weiteres Mal im Publikum neben unserem "nachdenklichen jüdischen Lockenkopf", um auf das ukrainisch-ungarisch-berlinerische Rotfront - Emigrantski Raggamuffin Kollektiv zu warten. Und da plötzlich, mit erstem akustischem Ertönen, entpuppt sich der anregende "Intelligenzschwarm" neben uns als enttäuschende Illusion: seine geistige Haltung eines begehrenswerten jüdisch Intellektuellen verschwindet im geistlosen Gerüttle eines hinsichtich Bewegungsästhetik reflexionsohnmächtigen West-Russen. Hier schüttelt sich ein nichtsdenkender, überarbeiteter Antibildungsbürger den Alltagsfrust vom Leib. - So schnell verpufft ein Wunschsubjekt zur armselig objekthaften Projektionsfläche. Und die Musik tut das Übrige, um ihm dabei zu "helfen". Dabei soll es sich beim Erfinder dieser sogenannten Russendisko doch um eine sprichwörtliche Koryphäe handeln: DJ Yuriy Gurzhy hat den trashigen Stilmix aus Boney M., The Clash, Taraf De Haidouks und The Upsetters zwecks "Abtanzen" angeblich vor dem "österreichischen Pendant" Russkaja, das kürzlich seine erfolgreiche Trash-CD präsentierte, als großen, neuen Musiktrend eingeleitet. Statt Techno tanzt man jetzt eben Russendisko, sie funktioniert wie Bucovina und Funk mit Takt-Betonung auf die Eins - weshalb ihr Drive so einfährt. Und obwohl in dieser neun- bis elfköpfigen Besetzung sogar Daniel Kahn - jetzt in durchschnittsmenschlichem T-Shirt - mitspielt, enthält diese live-gegebene Hiphop-Reggea-Schlager-Balkan-Klezmer-Remixerei leider keinerlei intellektuelles Flair (wie es im Funk durchaus noch vorhanden ist). Auffälligerweise läßt sich dafür jener Menschenschlag integrieren, der bereits in den 80-ern die von den Intellektuellen-Tänzern verhaßten "Tussi-Tänzer" in den Reißer- und Hausfrauendiscos ausmachte. Deren Stil lautet nach wie vor: Ein Bein neben das andere setzen und mit Kopf oder Schulter hin und her wippen, oder eben nach unten schütteln wie unser "hirnloser Neureich-Russe" (dem wir nicht wagen, den "hirnlosen Juden" unterzujubeln, und der als herkömmlicher Ost-Russe eigentlich noch zur gebildeten Lesekultur-Gesellschaft zählen könnte.) - Wir verließen diesen esprit-armen Musikbrei daher nach fünf Nummern und erfreuten uns Tage später nachhaltig an der CD The Broken Tongue von Daniel Kahn & The Painted Bird - siehe reflexive Übersetzung oben ... e.o./r.r.

KONZERT ZUM NACHHÖREN auf:
http://emap.fm/akkordeonfestival.html



DAS URTEIL EINE HOCHSTEHENDE, MUSIKTHEATRALE EXKLUSIV-DARBIETUNG JÜDISCHEN INTELLEKTS ENDETE IM KOPFLOSEN RUSSENDISKO-GESCHÜTTLE - UND DENNOCH BLIEB DIESES KONZERT AM NACHHALTIGSTEN VOM GANZEN AKKORDEONFESTIVAL IN ERINNERUNG: WEIL ES ZEIGT, WIE SICH DIE GEISTIGE ELITE IN DIESER GESELLSCHAFT DER DUMMHEIT ZU UNTERWERFEN HAT. - STARKE CHARAKTERE SOLLTEN AUSBRECHEN UND SICH DIE ZEIT NEHMEN, UM SICH DEM NIVEAU ZUZUWENDEN. ES LOHNT SICH!

KONZERT Geoff Berner * Ort: Arena * Zeit: 10.04.08 * Geoff-Berner-Videos * link: www.geoffberner.com/vidindex.htm
KONZERT Daniel Kahn bzw. Yuriy Gurzhy kommen wieder zum 5th KlezMoreFestival Vienna 2008 * Zeit: 8.-23.11.2008 * link: www.klezmore-vienna.at * Gruppen-link: www.paintedbird.net * link: www.myspace.com/thepaintedbird

Thematische Nähe
KONZERT "Lieder am Rand“ KRAMER-VERTONUNGEN * Von und mit: Hans-Eckardt Wenzel - In Kramers „Heimatland“ hat sich kein Musiker je so intensiv mit diesen Gedichten beschäftigt wie der Künstler Hans-Eckardt Wenzel aus Ostvorpommern. * Ort: Kirche Gaußplatz * Zeit: 1.4.2008: 19h30

Wednesday, March 19, 2008

KABARETT: PETER PAUL SKREPEK & HUBSI KRAMAR ÜBERLEBEN ALS ZILK UND HITLER

Hitler (Hubsi Kramar) gilt heute als weitblickender Philosoph, der im Gespräch mit Helmut Zilk (Peter Paul Skrepek) meint, "inzwischen sehr sprirituell geworden zu sein" ...... so einfach läßt sich Zilk (mit musikliebendem Skrepek darunter) aber nicht mundtot machen: "Lieber Herr Hitler, ganz ehrlich, wußten Sie über alles Bescheid ..?"Hitler (der zu Wagners Musik weint): "Ich hab diesen Krieg nie gewollt. Ich habe tausende von Joden vor den Polen gerettet!" ...










... Doch am Ende ist der naive Zilk ganz enttäuscht, wenn Hitler ins Publikum Salat spuckt und schreit: "Schwarz-Rot; Blau-Rot, das ist alles Braun! Ich hab die EU erfunden, und die Rothschilds haben die Nazis finanziert. Und Palästina und Südamerika sind sowieso ein Gemeinschaftswerk von Nazis und Zionisten!" (Fotos © Rabenhof/pertramer.at)


THEATER IM RABENHOF PETER PAUL SKREPEK UND HUBSI KRAMAR ERNEUERN ALS ÜBERLEBENSKÜNSTLER - DAS 20. JAHRHUNDERT IHRE LEGENDE VON HELMUT ZILK UND ADOLF HITLER: KEIN EVENT ZUM DRÜBERSTREUEN, SONDERN ZUM MITERLEBEN UND NACHDENKEN

Wer anläßlich der 70-Jahre-Anschluß-"Trauerlichkeiten" noch nicht genug hat von der allgemein-inflationären nationalsozialistischen Vergangenheitsbewältigung, sprich dem Thema "Hitler und seine Beziehung zum Heimatland Österreich", der sollte sich zu den Überlebenskünstlern Peter Paul Skrepek und Hubsi Kramar im Wiener Rabenhof gesellen. Denn sie spielen sich dort über das überklischeehafte Antipropagandawissen hinaus, Monty-Python-geschichtsintelligent mit ihrer eigenen Legende, indem sie ihr echtes Original aufarbeiten, das die letzten zwei Jahre als Zilk-Variation in der Roten Bar im Volkstheater ihr Lachwesen treibt. Was im Klartext heißt: Dr. Helmut Zilk, wie er skrepeksch leibt und lebt, trifft den einzigen und kramarten Adolf Hitler zum zehnjährigen Gespräch. Brandaktualisiert sind diese zwei "Lebenskünstler des 20. Jahrhunderts" damit nicht nur ihren Nichtkennern nahe zu legen - von denen es tatsächlich noch Leute jenseits der 40+ geben soll (für die Jüngeren sind sie überhaupt der Pflichttermin!!!) -, sondern auch ihren Kennern: der adäquat geistreiche Kabarettist Werner Schneyder, zum Beispiel, meinte nach der Premiere befriedigt: "Jetzt habe ich es also auch endlich gesehen."

Denn gehört hat von diesem unmöglichen, zehn Jahre existierenden Paar, schon jeder, selbst wenn sich das Gehörte vom Part des Hitler-Auftritts beim Opernball ableiten sollte, wo der Querkopf der Wiener Theaterszene, Hubsi Kramar, entgegen seiner Absicht und doch so gesellschaftsabzeichnend der "Wiederbetätigung" bezichtigt wurde. - Ein Schwank, den man per Videoeinspielung im Aktualitätsrückblick noch einmal zu Gesicht bekommt, wenn Herr "Zilk" Herrn "Hitler" auf ein Neues interviewt. Da wird der mitleidende Besucher mit rührend-weinendem Auge fühlen können, wie der gerade noch erhobenen Hauptes in die Oper einschreitende, ikonografisch-liebe NS-Schnauzbart-Träger mit seinem Spleen der so süß abgehackt-betonten Lebensantriebsrasse, "DIE JODEN" (Juden mit o ausgesprochen), von und zwischen (echten!) Polizistenkörpern von der Oper weggetrieben wird ...

Die tiefere Wahrheit hinter dem Vegetarier Hitler ...

Hier, im Rabenhof, treibt ihn aber niemand weg, höchstens er sich selbst in Richtung Toilette, da ihn sein legendärer Harndrang drückt. Es könnte aber auch sein, dass der gute Eierspeisnockerl-Vegetarier in heimlicher Wahrheit ein verfressener Pommes- und Bier-Verdrücker war, und er deshalb andauernd aufs Klo zu rennen hat. - Das ist eine der zugrundeliegenden Erkenntnisse persönlicher Natur, die Herr Zilk, Peter Paul Skrepek, in seinem Tiefeninterview während einer rhythmisch gesteigerten, wie im Zeitraffer beschleunigten Essensszene an Herrn Hitler aufzudecken vermag. Allerdings, ohne es direkt zu wollen - denn Helmut Zilk ist ja kein Intrigant, sondern ein wahrhaft Herzensguter. Seine rührseligen Gesichtszüge allein sorgen schon für Sympathiestürme, bevor seine Stimme, sein Tonfall und sein Buchstaben-verschluckendes Gesäusel so nach Zilk klingen, dass es regelr-echt erschreckend ist. Dass hinter dem naiven Tödel tatsächlich eine Intelligenzbestie namens Skrepek wütet, die sich nicht nur mit der Geschichte der Juden, sondern auch der Nazis sowie der "Restösterreicher" bis ins heutige Detail ernsthaft auseinander gesetzt hat, merkt, wer genauer hinhört. Das muss man auch, womit das Ganze nicht nur zum berieselnden Spaziergang wird, auch wenn es das angenehmerweise auch ist. Nein, hauptsächlich wird man im Buch des sichtlich wahrheitsinteressierten Skrepek auf subtile - das heißt abstrakt-schnelle - Weise, voll von wortspielerischen und vieldeutigen Gedanken-, Bilder- und thematischen Beziehungssprüngen, mit neuen historischen Interpretationen konfrontiert: So liegt es auf der Hand, dass der auswägende Zilk im objektiven öffentlich-rechtlichen Fernsehen, trotz seiner Tendenz, die Dinge nicht so genau zu nehmen - denn Irren ist ja bekanntlich so menschlich -, nach dem "Bürgermeister von "Israel", Teddy Kolik (statt Kollek), den Kuli, als den angenehmen, da nicht viel redenden Joachim Kulenkampff in seine Sendung einlädt; und von da ist es nicht weit zu Mein Kampf und damit zum "lieben Herrn Hitler". - Zu Zilks Assoziationsketten meint Hitler zunächst ganz verhalten: "Sie sind leicht zu durchschauen, Sie sind wie eine Buttersemmel", während er von sich selbst behauptet: "Ich bin inzwischen sehr spirituell geworden."

... von Zilks Redefluß provoziert

Dem Redefluß des Zilk ist alsdann zu entnehmen: Nachdem die deutschen Landen zu Zeiten von Hitlers Mutter "Hölzel" (Klara Pölzl) auf dem besten Weg waren, England und Frankreich als Vielvölkerstaat (Hitlers Bierschimpf: "Völkerbräu!") abzulösen, mußte Hitler bekanntlich der Perle Wien zu ihrer Fassung verhelfen, wobei Zilk als Ex-Bürgermeister aber auch nichts anderes getan hätte, indem er Bildhauer Muhr etliche Brunnen in Wien bauen ließ (mit Videoeinspielung des Floridsdorf-Brunnens). Das sollte bei all den Arbeitslosen nicht nur das große Elend der Stadt in Sachen Essens- und Trinknot minimieren, sondern auch die weibliche Bevölkerung erfreuen, die sich nach Ansicht des Bürgermeisters am besten in Ganzkörperschleier nach Kosovo-Vorbild mit neuer Hauptstadt Burkasdorf kleiden sollte. Über die Mythologie des jüdischen Ziegenbocks spannt Zilk danach, da er weiß, wie kunstaffin Adolf Hitler ist, den Bogen zum Maler Fuchs, der ja auch sein Handmörder war, um über das Ziegen-Wort Zebedäus bei seinem eigentlichen Steckenpferd zu landen, bei "Zappa", dem "Musiker aus dem Waldviertel", mit erstaunlich verwandtschafticher Ähnlichkeit zu Josef Cap.

Die tiefe Musikliebe in Skrepek und Hitler

Damit sind wir bei der Musik, der wohl wahren Liebe Hitlers, was daran zu erkennen ist, wie glaubwürdig ihm (Kramar) die Tränen kommen, während der noch viel wahnsinnig musikalischere Zilk (der hauptberuflich E-Gitarre spielende Skrepek) zu "Otto" (Richard) Wagners Rienzi - dem (wie Hitler latein-altdeutsch) Letzten der Tribunen - im Takt quasselt. Das wird zur schönen und damit besten Passage bis zur Pause. Denn sie ist als bewegungsablaufendes Duett richtig virtuos. Die Qualität der Musik - insbesondere in Österreich, aber auch im persönlichen Lebensalltag - ist Hitler, Zilk und Skrepek so wichtig (Skrepek-Zilk wehmütig: "Rienzi hört man heute nicht mehr auf Ö3!"), dass sie den Gesang der Dagmar Koller mit Auswirkung auf Zilks kürzliche Genesung aus dem Tod erörtern, was per Tonband auch fürs Publikum nachvollziebar wird, wenn "Dagi" (Ina Siber) mit ihrem umwerfenden Englisch den wohl lebensmüdesten Muffel aus dem Bett jagen würde. Ansonsten wird man erfahren, dass nicht nur Helmut Zilk eine Platte machte, sondern auch Hitler, nachdem er nach dem Redeverbot 1928 gerade extra die "Braune Platte" herausbrachte. In Wahrheit, so wird später aufgedeckt, war er aber - ironischerweise als Schicksalsparallele zu Österreichs Musikern heute - (aus Existenzgründen?) auch nichts anderes als nur ein Werbesprecher, was ein eingespielter, von Hitler besungener Reifen-Werbejingle belegt. Immerhin konnte er das für sich aber mit dem revolutionären Brown-Sugar-(Rolling-Stones)-Song kompensieren (der sich anhört wie der Anarcho-Gesang des jungen Franz Morak).

Der aktionistische Ausbruch für die Anti-Opfer-These

Wie immer bei Zilk, spielt auch das Publikum aufgeforderter Weise mit - die Leute, die es am wenigsten erahnen. Da wird der Passivste aktiv: dessen einen roter Pulli wird programmpassend braun; Barbara wird gezwungen, Hitler zu vertrauen; der Zuspätkommende muss schauen, ob noch ein Besucher vor dem Theater steht. Da kennt der Zilk kein Pardon. Aber als er dann zum großen Volkstribunal ausholt, denn hier will man ja endlich die ganze Wahrheit über Hitler-und-das-österreichische-Volk-das-Opfer-bis-heute erfahren, platzt dem Hitler der Kragen. Weil Zilk mehrmals betont, dass über Hitler ja alles im Altdeutschen Tagblatt gestanden sei, wonach er als Kunststudent und Arbeitsloser von der Stumpergasse zum Schriftsteller geworden wäre - und letzteres ja auch auf Gusenbauer zutreffe -, dass er eine Blondine zur deutschen Schäferhündin gehabt hätte - ähnlich dem Hund von Stalin und dem grünen Van der Bellen -, und dass er die Wahlen 1933 mit 44% der Stimmen, und Erwin Pröll jene zuletzt in Niederösterreich mit 54% gewonnen hätten, sodass man sich "noch auf etwas gefaßt machen müsse", brüllt Hitler in aktionistisch salatspuckender Manier ins Publikum: "Verblödetes Schafsvolk, Sie! Sie geistig vergaste Wesen. Schüssel, Gusenbauer. Zilk, Sie Rattengesicht! Sie Filzläuse Ihrer selbst, Sie saugen sich selbst aus. Egal, ob Schwarz-Rot, Blau-Rot, das ist alles Braun!" Bei dieser Eindeutigkeit wird sich wohl keiner mehr als unwissendes Opfer heraus reden können, bis auf Hitler vielleicht selbst, der ja immer nur Künstler sein wollte. Eines scheint auf alle Fälle aber klar: Von der NS- bis zur heutigen Politik hat sich nichts geändert. Zur Aussicht stehen Gaskrieg oder Diktatur mit Migrationskrieg oder auch "die Monarchie als beste Staatsform, wenn es sie gäbe", da ja die EWG (= EU) ohnehin schon eine Erfindung von Hitler gewesen sei, und die Nazis auch schon von den Rothschilds finanziert worden wären. Und wem das noch nicht reicht, dem sei auch gesagt, dass selbst Palästina und Südamerika von Zionisten und Nazis gemeinsam aufgebaut worden sind...

Auf das hin, fehlen dem Zilk die Worte, er holt mit letzter Kraft aus zum versöhnlichen Ende. Und so endet der geistige Redens-Erguß des ersten Teils im an-sich-aufgeheizten Theater im zweiten Teil in erhitzten Gemütern voller Emotionen. Das ist zwar heftig, aber doch eine tolle Steigerung, sodass der gesamte Abend über ein belangloses Unterhaltungskabarett hinaus, bei insgesamt 140 Minuten, zu einem richtig ereignisreichen Theaterstück geworden ist. Das atmet, das lebt und gibt zu denken. Seit langem etwas Angreifbares, das unter die Haut fährt. a.c./e.o.


DAS URTEIL WER UNBERECHENBARES ERLEBEN WILL, DAS IHN TANGIERT, DER SCHAUT SICH DIESES GEISTREICH-KRITISCHE SATIRESTÜCK AN. SKREPEK UND KRAMAR - ZWEI ECHTE KAPAZUNDER-RARITÄTEN IM DOCH SO GROSSEN MEER DER VERHARMLOSTEN BELANGLOSIGKEITEN.
- Übrigens: Jeder Abend ist anders - je nach Aktualitätslage und Stimmung der Künstler!!!


Ab 19.4.2017 für 20. und 21.4.2017, Freikarten zu gewinnen:
Frage: Wer hat den Faymann ohne Wahl, und wer hat den Fischer nach zwei Wahlen ersetzt?
Antwort bitte an:
intimacy-art@gmx.at
 


SATIRE-KABARETT ÜBERLEBENSKÜNSTLER – DR. HELMUT ZILK IM GESPRÄCH MIT ADOLF HITLER, neu adaptierter Evergreen der Politsatire: Wenn der Faymann ohne Wahl durch den Kern ersetzt wird, und der Fischer nach zweifacher Wahl durch Van der Bellen, dann müssen die zwei Urheber der österreichischen Geschichte einfach wieder auf die Bühne * Besonders anläßlich des Führers Geburtstags *  Ort: Rabenhof Theater * Zeit: Donnerstag, 20.4. und Freitag 21.4.2017: 20h * Gewinnspiel – Freikarten für Spontane und Kurzentschlossene ab 19.4., (solange der Vorrat reicht) über intimacy-art@gmx.at

SATIRE-KABARETT ÜBERLEBENSKÜNSTLER - DAS 20. JAHRHUNDERT * NACH ZWEI JAHREN WIEDERAUFNAHME anläßlich des Führers Geburtstags *  Ort: Rabenhof Theater * Zeit: 20.4.. 21.4.2017: 20h * Tickets und Programm info über Link

SATIRE-KABARETT ÜBERLEBENSKÜNSTLER - DAS 20. JAHRHUNDERT * NACH MEHRMALIGEM AUSVERKAUF schon wieder aktualisierte Version von und mit Peter Paul Skrepek, Hubsi Kramar und Thomas Gratzer [Ober Johann] - und maschek?! * Drei Tage nach der österreichischen Nationalratswahl heißt es: Widerstand ist zwecklos – auch nach der Wahl! Unser Altbürgermeister hat aus Anlaß der National-Ratswahl mit dem Führereinen ausgewiesenen Demokratieexperten zu Gast. Neben Gröfaz Adolf Hitler wird auch Dr. Alfred Puppenkanzler ("maschek!") die Leistungen der österreichischen Teams analysieren. Im Anschluß bereut Landeshauptstadt Dr. Zilk nochmals das 20.Jahrhundert: »Wenn es um die Wahrheit geht, breche ich mein Schweigen!* Ort: Rabenhof Theater * Zeit: 1.10., So., 5.10., So., 2.11.2008: 20h
Überlebenskünstler 4 ­ Das 20. Jahrhundert - Dr. Helmut Zilk im Gespräch mit Adolf Hitler * Von und mit: Peter Paul Skrepek, Hubsi Kramar * Ort: Cinema Paradiso, St. Pölten * Zeit: 6.11.2008: 20h
* Ort: Anton Bruckner Centrum, Ansfelden * Zeit: 8.11.2008: 20h
Zu aktuellen maschek-zilk-Bildern click zu intimacy: art - market: art



SATIRE-KABARETT ÜBERLEBENSKÜNSTLER II - DAS 20. JAHRHUNDERT II * Dr. Helmut Zilk im Gespräch mit Jesus Christus - Wird es dem jüdischen Wanderprediger gelingen, zu Wort zu kommen, um uns zu erlösen? * Von und mit: Peter Paul Skrepek (Zilk), Hubsi Kramar (Jesus) * Mit: Raphael Skrepek (Ober Johann) * Ort: Wald4tler Hoftheater, 3944 Pürbach bei Schrems, Pürbach 14 * Zeit: 31.05.2008: 20h15
(AUSVERKAUFT!!!) , Link: http://www.w4hoftheater.co.at

Abwandlungsversion
KABARETT-SATIRE NDK Folge 17 ­ Nach der Kritik@Peer Gynt * Altbürgermeister der Landeshauptstadt Dr. Zilk spricht mit ehemaligem Burgtheaterdirektor: "Claus Peymann verkauft seine Hose und geht mit meiner Frau essen ­ zum Bauer Gustl" * Von und mit: Peter Paul Skrepek, Christoph Krutzler und einem sehr guten und bekannten Schauspielstar * Ort: Rote Bar im Volkstheater, Wien * Zeit: 26.11.2008: 22h30

Querverwandtes Thema
FILM Weltrevolution - Dokumentaion über Stefan Weber - Drahdiwaberl * Regie: Klaus Hundsbichler * Mit: Stefan Weber, Drahdiwaberl, Hubsi Kramar, Peter Paul Skrepek, Reinhard Nowak u.v.m. * AT 2007, 91 Minuten * Ab 9.5.2008 in den Österreichischen Kinos * Vertrieb: Filmladen * Link: http://www.weltrevolution-derfilm.at/

Saturday, March 15, 2008

OPER: GLANERTS "SCHERZ, SATIRE, IRONIE UND TIEFERE BEDEUTUNG" IN NICOLA RAAB - REGIE

Der Teufel (Bernhard Landauer) und der Dichter Rattengift (Camillo dell´Antonio) verstehen sich ganz gut: weil die Hölle ja das ironische Nachspiel der Welt darstellt ...

... getanzt wird in dieser Welt auch; wie bei James Bond, selbst wenn es optisch nicht richtig ins Stück passt (Fotos © Armin Bardel) ...

















... aber immerhin passt der Revolver als der Weisheit letzter Schluss. - Er sagt: das Böse bleibt der Welt auch erhalten, wenn der Teufel längst wieder in der Hölle hockt.


MUSEUMSQUARTIER - NEUE OPER WIEN NICOLA RAAB HAT SICH FÜR DETLEV GLANERTS SCHERZ, SATIRE, IRONIE UND TIEFERE BEDEUTUNG VIEL EINFALLEN LASSEN. EINGESCHLAGEN IST IHRE REGIE DENNOCH NICHT

Walter Kobéra, Leiter der Neuen Oper Wien, hat sich mit der Wahl einer zeitgenössischen Opernsatire und von Nicola Raab als Regisseurin zwar sichtlich zweier Erfolgsstrategien bedient, nachdem die junge, deutsche Regisseurin mit der Doppelinszenierung von Doves When She Died und Peter Maxwell Davies´ Eight Songs For a Mad King an der Wiener Kammeroper, sowie er selbst mit Gerhard Schedls wahnsinnsschrägem Triptychon letztes Jahr zwei Knüller gelandet haben - dennoch wurde Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung des deutschen Komponisten Detlev Glanert (UA 2001 in Halle) nun doch nur eine "ganz passable Routinevorstellung". Genau so, wie man eine zeitgenössische Oper gewohnt ist, vorgesetzt zu bekommen. Die freudige Überraschung über etwas Eigentümliches blieb aus.

Originelle Geschichte

Das, obwohl die Geschichte von Jörg W. Gronius, die sich auf einen Text von Christian Dietrich Grabbe (1801-1836) bezieht, mit provokant pessimistischer Behauptung ausgesprochen originell ist. Denn sie zielt auf die Dominanz des zerstörerischen Bösen in der Welt ab - als überspitzte Karikierung auf Goethes diabolischen Faust gilt sie damit als Grundsatzkritik auf den deutschen Idealismus und dessen starres Bildungssystem sondergleichen. Explizit ist das daran zu sehen, dass ein Teufel auf die Erde kommt, wo er von sinnlos geschäftigen Raupenform-Unisono-Naturhistorikern (witzig schrullig: Johanna von der Deken, Eva Hinterreithner, Gernot Heinrich, Michael Schweninger) nicht identifiziert werden kann, die ihn folglich kurzerhand zum Oberkirchenrat des schildbürgerhaften Kleinfürstentums erklären. Vierstimmig (wirklich nett anzuhören!) singen sie nach jedem Versagen wiederholend, "lassen Sie es uns noch mal probieren", und bleiben doch Gestalten ohne Durchblick (wirklich zum Abhauen!). Das bleiben sie wahrscheinlich auch noch in der zerstörten (Bühnen-)Welt am Ende, wonach sie (endlich) "von Neuem beginnen" müssen. So ist auch der Schulmeister, Repräsentant für die Pädagogik unserer Kinder, alles andere als vertrauenserweckend. In Napoleonmontur herrscht er (Rupert Bergmann) "das neue Wunderkind" Gottliebchen (Heidi Wolf) an und schüchtert es zur Marionette degradierend so ein, dass es in Gegenreaktion zum zornigen Genie und damit zum wahren "Satansbraten" werden muss, und sich der Teufel seiner Seele auch gleich bestens bedienen kann: damit dirigiert des Teufels Geist auch noch die Welt, nachdem jener schon längst von seiner Großmutter mit Löwenkopf in die Hölle zurück geholt worden ist. - Ein unausweichliches Schicksal unserer bösartig getriebenen Menschenerde.

Bunte Regie

Vor alledem tobt eine Liebeskeilerei, worin vier Männer - der Mitgiftjäger Von Wernthal (Andreas Jankowitsch), der Mörder Von Mordax (Thomas Tatzl), der egozentrisch-ruhmsüchtige Dichter Rattengift (ausdrucksstark-theatral ironischer Sänger: Camillo dell´Antonio) und der häßliche, aber gutherzige Herr Mollfels (gewinnend schöne Stimme: Michael Spyres) - um des Barons (mit Barockperücke lachhaft: Alfred Werner) Tochter kämpfen: um Liddy im kitschigen Blumendekor-Petticoat (standardisierte Mädchenrolle: Magdalena Anna Hofmann). Damit sie Mollfels bekommt, sorgt der eunuchenhafte Teufel mit akustisch verzerrter Stimme (Countertenor Bernhard Landauer) dafür, dass die schlechten Anlagen der verkommenen Nebenbuhler zutage treten: Mordax etwa, muss 13 Schneidergesellen erschlagen - was sich in einer abstrakten Tanzszene mit sieben Tänzern in schwarzen Tricots unter der Choreografie von Nikolaus Adler zu Beginn des zweiten Akts tatsächlich realisiert, sodass einem mit der plötzlich schwarz-leeren Bühne, wo gerade noch der kindlich-symbolhafte Märchen-Kasperlguckkasten von Benita Roth stand, vorkommt, als befände man sich in einem anderen "Film": in jenem von James Bond.

Tatsächlich geistreich, da außergewöhnlich zynisch, sind die Sager des Dichters, der innerhalb dieser Theatersituation über das Theater lästert, weil sie Ruf und Stellung der Darstellungskunst innerhalb der Gesellschaft und der Welt spiegeln: "Diese Unsummen, die diese Schauspieler und Regisseure verschlingen, während sich die Leute im Theater doch eh nur für die Frauen in den Logen interessieren ...", schimpft er, während er sich selbst für Shakespeare hält und geschmeichelt fühlt, dass der Teufel seine Werke gelesen habe, der sich wiederum als Katastrophendichter zu verstehen gibt, weil er mit seiner Hölle das ironische Nachspiel der Welt darstelle. In einer Debatte innerhalb dieses ironischen Theaters wird dem ironischen Theater dann ironisch abgesagt: "Schreiben Sie Tragödien. Dann wird man Sie auf Händen tragen. Und hören Sie auf keinen Fall auf Kritiker."

Zu buntes Gesamt

Und obwohl auch die klassisch-jazzige Musik Glanerts eine kongeniale Übersetzung der bunten Geschichte ist - es passieren immer wieder akustisch spannende, da lautmalerische Momente durch auffällige Orchesterpassagen und ungewöhnliche Instrumentierungen (wie hohe Flöten und tiefe Bläser, wie unheimliches Streichergeflamme zum Teufelsfeuer); wie wenn Melodramatik in bedrohliche Atonalität wechselt, Vogelgezwitscher in Flügelschlagen endet, Geräuschgebläse in Flüstergesang übergeht; ein Löwe aufbrüllt; es donnert; schnelle, kurzgespielte Ton-Rhythmen auf subtil lustige Weise den Weltuntergang einläuten - so ist es mit den vielen närrischen Requisiten und Einfällen insgesamt wahrscheinlich doch einfach zu viel des Guten. Es ist "zu" bunt, um wirklich einschlagend zu sein. Da kann Walter Kobéra sein amadeus ensemble-wien noch so gut dirigieren ... Dr. Wild / e.o.


DAS URTEIL WITZIGE GESCHICHTE - ABER DENNOCH NUR ROUTINE IM STIL EINER TYPISCHEN (KOMISCHEN!) NEUEN OPER.

OPER scherz, satire, ironie und tiefere bedeutung * Komische Oper frei nach Christian Dietrich Grabbe * Musik: Detlev Glanert * Text: Jörg W. Gronius * Regie: Nicola Raab * Bühne: Benita Roth * Choreografie: Nikolaus Adler * Dirigat: Walter Kobéra * Mit: amadeus ensemble wien * Mit: Bernhard Landauer, Camillo dell´Antonio, Gernot Heinrich, Heidi Wolf, Michael Spyres, u.a.

Nächstes Neue Oper-Werk
OPER eine marathon-familie * UA nach Dusan Kovacevic * Musik: Isidora Zebeljan * Regie: Nicola Raab * Dirigat: Walter Kobéra * Mit: amadeus ensemble wien * Mit: Martin Winkler, Hubert Dragaschnig, u.a. Ort: Werkstattbühne Bregenzer Festspiel * Zeit: 20., 22., 23.8.2008
Ort: Halle E / MQ Wien * Zeit: 22., 24., 25.10.2008: 19h30
Ort: Jugoslawisches Schauspieltheater, Belgrad * Zeit: 14., 15.10.2008: 19h30

Wednesday, March 12, 2008

THEATER: STEPHAN MÜLLER FINDET DEN ANSTAND IN GOETHES "CLAVIGO"

Die um den guten Ruf der französischen Familie besorgte Verwandte (Heike Kretschmer) und der vorhersehende Familienfreund Buenco (Till Firit) reden auf Marie Beaumarchais (Luisa Katharina Davids) ein ...

... ihr Bruder (Günter Franzmeier) will Clavigo, der in Spanien aus Karrieregründen sein Liebesversprechen an Marie brach, zu einer anstandswahrenden Erklärung zwingen, ...

... da beschließt Clavigo (Raphael von Bargen) doch, Marie zu heiraten, merkt aber, dass er sie tatsächlich nicht mehr liebt ...

... wahrscheinlich, weil ihn der windig-aalglatte Carlos (Michael Wenninger) auf kalt-starken, homoerotisch-neoliberal kalkuliernden Händen zu manipulieren versteht. (Fotos © Nathalie Bauer)


VOLKSTHEATER NACHDEM SICH "VERLETZTER STOLZ" VON SITZENGELASSENEN FRAUEN HEUTE ÜBER DIE MEDIEN ZU "KEINEM STOLZ" WANDELT, SCHEINT DIE ZEIT REIF ZU SEIN FÜR STIL UND NIVEAU IN EINEM SELBST - STEPHAN MÜLLER DRÜCKT DAS IN SEINER REGIE VON CLAVIGO MIT EINDRINGLICHEM FORMALEM SUBTEXT AUS

"Es gibt nichts erbärmlicheres, als einen unentschlossenen Menschen", sagt Freund Carlos zum zwischen persönlichem Versprechen und Wortbruch taumelnden Clavigo. Dieser Clavigo des gleichnamigen Goethe-Stücks von 1774 wird derzeit im Volkstheater vom "jungen, ehrgeizigen Schriftsteller"-Helden zu jenem des "Journalisten". Bezeichnenderweise. Ein ehrgeiziger, auf sein Gewissen nicht hörender Schreiber, kann heute nur ein Journalist sein. Weil die meisten Journalisten entweder nur mit Sensations-Klatsch oder mit meinungserkauften PR-Arbeiten auf Durchschnittsniveau existieren können - dazu sind auch jene Berichte zu zählen, die im Rahmen des "offiziellen Nachrichtenwesens", sprich in "seriösen" Tageszeitungen und Magazinen, erscheinen ...
Dass die krassierende Manipulationswahrscheinlichkeit über die Jahrhunderte hinweg stets talentierte, aber mittellose Menschen ergreift, die sich von Null emporkämpfen müssen, scheint da generell bedenklich. Ein Mechanismus, der in jeder Berufssparte zu finden ist. Dass es in diesem Fall ein Schreiber sein mußte, ist dem Bedürfnis des jungen Sturm und Drängers Goethe zuzuschreiben, den echten, innerpsychischen Kampf so eines Zerrissenen exakt in Worte fassen zu wollen; wie hätte er das realistischer tun können, als aus seinen eigenen Gewissensbissen schöpfend, die er gegenüber seiner Jugendliebe hatte. - Beim Emporkömmling werden sich diese inneren Gefühlswirren mit nutzenorientierter Entscheidung allerdings im Sinne von (Stück-Zitat) "ohne Stand keine Eh(r)e" auf vielen Ebenen zeigen, nicht nur in der Liebe.

Verletzter Stolz, der sich heute zu Keinem wandelt

In der Liebe ist das schlechte Gewissen eigentlich nicht mehr vonnöten, beanstandet zu werden. Wenn ein junger Mann einem Mädchen vor seinen Studienjahren die Ehe (seine Liebe) versprach, er dieses Versprechen dann aber nicht einhält, ist das heute höchstens bedauernswert, sicher nicht anstößig. Im Grunde ist es nicht einmal bemerkenswert. Das jetzt noch relevante Thema liegt allein im Moment, wo dieser Mann merkt, nur mit einer gesellschaftlich (einfluß)reichen Lebenspartnerin Karriere machen zu können; und dass dadurch die einstigen Liebesgefühle (tatsächlich!) verklingen. Der Nutzeninstinkt manipuliert so den reinen herzorientierten Bindungsinstinkt. Mit der Absage wird der Betroffene seinen wahren Gefühlen - und damit sich selbst - also nicht untreu. Zu schaffen machen ihm nur Moral-, Verantwortungs- und Schuldgefühl, Gefühle, die heute - im Zeitalter des Opportunismus - ebenso keine Rolle mehr spielen. Denn der Opportunist ist in dieser geschäftstüchtigen Gesellschaft ein Held, wo es nicht einmal gilt, einen ehrbaren Schein zu wahren.

Im ausklingenden 18. Jahrhundert dagegen, war Anstand noch etwas wert. Gesellschaftlich geächtet wurde, wer sich ehrenlos verhielt. Besonders wenn das zulasten eines hilflosen Mädchens (in Clavigo: Marie von Beaumarchais) geschah, das dann mit dem Ruf der "Sitzengelassenen" leben mußte. Für manche Frau ist das auch heute noch kaum zu ertragen. Dann kann sie sich aber immerhin mit ihrem verletzten Stolz an die Medien wenden, sich in Talkshows und Society-Schluderblättern ausheulen, die diesen verletzten Stolz entsprechend ihres Opportunismus in "gar keinen Stolz mehr" lenken. Dadurch macht sich so eine Frau endgültig zum bedauernswerten Gespött aller, vielleicht ohne es zu merken, weil sie die allgemeine Aufmerksamkeit verkennt: die als öffentliche Anteilnahme verpuppte Schadenfreude.

Hinsichtlich dieser perversen Steigerung von heute, konnte sich Goethe noch privilegiert fühlen, denn immerhin lebte er in einer Zeit, wo man Gefühle noch ernst nahm und nicht mit ihnen (etwa aus bloßer Popularitätsgeilheit) spielte. - Ein volleres Niveau, das der 57-jährige, schweizer Regisseur Stephan Müller mit Theater- und Tanzausbildung glücklicherweise erhalten bzw. wieder auferweckt hat. Inhaltlich und ästhetisch, rhythmisch und symbolhaft abstrahiert, in der typengerechten Besetzung mit viel gestisch-tänzerischem Körperspiel sowie im klaren Bühnenbild voll subtextlicher Details.

Erstrebenswerter Stolz als Sehnsucht in äußerer Form

Der Anstand der damaligen Zeit findet sich somit als etwas-zumindest-Erstrebenswertes im äußeren Schein des leeren, weitläufigen, bronze-farbenen Raums von Bühnenbildner Hyun Chu, in Carlos´ karrieresüchtigem Nadelstreifanzug, Clavigos naiv-eitlem Rüschenhemd, im unschuldig-weißen und dann liebeshoffend-roten Kleid der ausgeliefert-barfüßigen Marie (adretter Anblick: Luisa Katharina Davids) von Kostümbildnerin Birgit Hutter; und menschlich im Stakkato-Sprechgesang von Carlos und Clavigo, die in ihrer gemeinsamen Karriereliebe und der eindringlichen Art Carlos´ (glaubwürdig neureich-neoliberal und damit passend unsympathisch wirkend: Michael Wenninger) auf Clavigo einzuhetzen, einen homoerotischen Touch aussenden, der einerseits die Unsicherheit der Orientierung manifestiert, andererseits das Hin-und-Her von Clavigos wankenden Gefühlen (zwiespältig-labil: Raphael von Bargen). Große Ausstrahlung in seinem edel geschnittenen, braunen Mantel besitzt Maries Bruder Beaumarchais (Günter Franzmeier), der um die Ehre seiner kleinbürgerlich-fragilen Schwester in Frankreich kämpft, der aber von den in Spanien - mit seinen kräftig-mondänen Frauen als Aussicht - lebenden Burschen (v.a. Carlos) so trickreich hinters Licht geführt wird, dass er letztendlich selbst bis zur Gefängnisstrafe sein Ansehen verliert.

Von der Intrige zur Lebensmoral

Intrige bei doppelter Wortbrüchigkeit funktionierte demnach schon vor zweihundertfünfzig Jahren, sie läßt sich, je nach Rechtssituation des Landes, zu jederzeit mit verdrehten Mitteln zugunsten des Bauernschlausten-ohne-Skrupel auslegen. Interessant dabei ist, dass jenen Leuten, die die Dinge durchschauen und Entwicklungen vorhersehen (wie hier Buenco - maniriert gut: Till Firit), nie Glauben geschenkt wird, weil sie offensichtlich zu wenig bestimmt und klüngelhaft auftreten.

- Bei all den menschlichen Abgründen können nur Schuld, Strafe und Buße reinigen: Marie und Clavigo müssen sterben. Das Schlußbild der Inszenierung ist dafür wieder versöhnend kitschig - wohl gedacht, als Lehre für das Gute im Menschen - wenn die einst Liebenden gemeinsam im Grab ein (englisches!) Poplied singen. Das bedeutet Entschuldigung und Verzeihung im Jenseits zugleich, und somit die erstrebenswerte Moral zu Lebzeiten für das Publikum. e.o./a.c.


DAS URTEIL SCHÖNER ANBLICK. INTELLIGENTES SUBTEXT-KÖRPERSPIEL VON GUT BESETZTEN DARSTELLERN. DETAILREICHE PSYCHOENTWICKLUNG EINER LIEBE, DIE WEGEN DER KARRIERE VERGEHT. UND EIN PLÄDOYER FÜR DIE WIEDERAUFERWECKUNG VON STIL UND ANSTAND IN UNSERER (MEDIEN)ZEIT.

THEATER Clavigo * Von: Johann Wolfgang von Goethe * Regie: Stephan Müller * Musik: Thomas Luz * Dramaturgie Hans Mrak * Mit: Luisa Katharina Davids, Heike Kretschmer, Raphael von Bargen, Till Firit, Günter Franzmeier, Thomas Kamper, Michael Wenninger, Markus Westphal * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 12., 19.6.2008: 19h30-21h

Wednesday, March 05, 2008

MUSIK: MICHELLE SHOCKED, DIE URMUTTER ALLER SINGER SONGWRITER WAR DA





















Weniger Schockerin, als echt eindrucksvolle, klar US-verwurzelte Frau mit großer Stimme, großem Ausdruck und starkem Gitarrenspiel ...


Sie läßt sich nicht fremd-bestimmen und bringt ihre CD deshalb unter eigenem Label heraus. - Wenn Österreich dazu ein Pendant schaffen könnte, wären wir vor dem US-Markt gerettet. - Aber deswegen bitte nicht einfach US-amerikanisch kopieren!!!


WUK DIE AMERIKANISCHE "SCHOCKFRAU" MICHELLE SHOCKED GASTIERTE IN WIEN UND IST DOCH MEHR PREDIGENDE URMUTTER ALLER GROSSEN SÄNGERINNEN ALS FEMINISTISCHE SCHOCKERIN

Gospel-LeadsängerIN, Anti-FolkerIN, Blues-&-SoulerIN, PunkerIN, ausgewachsene RockGÖRE - diese Mischung knallt einem bei Michelle Shocked und ihrer E-Gitarre-spielenden Supporterin mit volltätowierten Armen im WUK entgegen. Bei der amerikanischen Singer SongwriterIN darf das geschlechtsspezifische Anhängsel "-in" nicht fehlen, denn sie gehört mit Geburtsdatum 24.2.1962 zu jenen Frauen, die sich nur mit aggressivem Feminismus Aufmerksamkeit erringen konnten. Tritt eine heute bis Vierzigjährige so auf, wird sie damit kaum punkten, es sei denn, in den Jahrgängen darüber. - So viel, nebenbei bemerkt, zum Sympathiewert von und unter Frauen, der sich daraus speist, ob er sich von einer identitätskonformen Authentizität oder einem "So-tun-als-ob" ableiten läßt. Bei dieser Frau, Michelle Shocked, ist das -IN echt und damit durch und durch sympathisch. Ihr militantes Credo hat sie zum "Womanifesto" verfaßt, womit sie definitiv auch etwas von jenen musikalischen Emanzen hat, die, wenn sie schon nicht zum Lesbentum neigen, dann zumindest den Frauenklüngel verfechten. Das zieht bestenfalls eine ganz spezifische musikalische Qualität nach sich: sie zeigt sich bei der gebürtigen Texanerin in der vollen Stimm- und Intonationsparallele zu Melissa Etheridge, in der machmal kopfstimmlich leisen und spitzensetzend jodel-schreihohen Ausdruckstärke ähnlich jener von Ani DiFranco und in der momentweisen Sensibilität einer Tracy Chapman. Sie alle mögen ihre Urahnin in Janis Joplin haben, der weißen Königin des Bluesrock, der Königin der afro-schwarz - us-weißen, männlich-weiblichen Energie. Die Männlichkeit liegt in der Bestimmtheit, im selbstbewußten Auftreten, die Weiblichkeit in der generellen Anteilnahme am Unrecht dieser Welt.

Viel-redende Menschen denken manchmal auch

Die explosive Mischung wird manchem Durchschnittsmenschen Angst einjagen, weil so eine Frau etwas Kompromißloses an den Tag legt, das "immer Recht zu haben hat". Michelle Shocked dämpft dieses unterschwellige Dogma mit dem Ge-Recht-igkeitsanliegen einer "Vorbeterin". Sie singt - die meiste Zeit - vor und läßt das Publikum antworten (nachsingen). Diese mitreißende Sommerurlaubs-Agitationspraxis - die man zuweilen auch auf Wahlreden wiederfindet - hat ihre Wurzeln im religiösen Gospel, dem Michelle Shocked die letzten Jahre huldigt. Er hat sie zu einem durch und durch positiven Menschen gemacht, der tatsächlich "immer Recht hat". Und das macht sie einmal mehr: sympathisch. Auch weil sie das Recht-haben mit einer gehörigen Portion Selbstironie, sprich mit Selbstanklage und -verteidigung garniert. Das ergibt den Charme der sicheren Unsicherheit, das tatsächliche Selbstbewußtsein dieser permanent redenden Frau: "Bla, bla, bla, bla", unterbricht sie ihren Redefluß und rät dem Publikum: "Wenn Sie jemand fragt, wie Michelle Shocked so sei, können Sie sagen, "she talks a lot"", aber eines sei nun mal klar: "Jemand, der seine Songs selber schreibt, muß automatisch viel reden. Andernfalls wäre er ja Britney Spears." Insofern definiert sich die studierte Literaturwissenschaftlerin als denkende Singer-Songwriterin, die der Welt etwas mitzuteilen hat - und dadurch wird es ihr mental wahrscheinlich auch besser gehen als einer Spears... Diese Frau ist nicht fremdbestimmt. Sie hält es daher für bemerkenswert, das Publikum darüber aufzuklären, dass sie sich ihrer Plattenfirma entledigte, sobald jene ihr verbieten wollte, in Richtung Gospel zu gehen. Ihre CDs, wie zuletzt ToHeavenURide, erscheinen mittlerweile unter ihrem eigenen Plattenlabel Mighty Sound, distribuiert über RED, nachdem sie sie eine zeitlang nur nach ihren Konzerten und übers Internet vertrieben hatte.

Heimatliebe voller Kritik

"Haben Sie hier noch die Todesstrafe?", gibt sie sich im Spiritual-Rock The Quality Of Mercy als Messias der Menschenrechte (auf www.michelleshocked.com als Hintergrundmusik zu hören). Und Little Billie handelt von einer Frau, die Billie Holiday liebte - über die Shocked meint: "Sie hat mehr Schreiber als Leser inspiriert."... -; jene Frau tanzt am Begräbnis ihres Sohnes zum Blues-Jazz der Freunde, nachdem er aufgrund politischer Bedingungen erschossen wurde. "Ein Politiker sagte zu mir nach dem Song: Ich hoffe, dass ich einmal so beerdigt werde." Darauf Shocked sarkastisch: "Ja, da haben Sie recht." Ähnlich polemisch ist die Tendenz des interpretierten Welthits über Vietnam, worin eine Mutter nach Kriegsschluß für ihren gefallenen Sohn Entschädigungsgeld bekommt, was im - als von der politischen Macht intendiert aufdeckenden - allseitsgültigen Omen endet: "Der Krieg ist nicht zuende, er hat gerade erst begonnen." Diese ewigen Bilder über die egoistische, amerikanische Weltmacht, die beinahe schon Nostalgiewert haben, lassen sich gerade wegen ihres emotionalen Effekts mit der zweiten großen Seite der Shocked verbinden: ihrer großen Heimatverbundenheit ausgehend vom Geburtsland Texas, was sie ebenfalls indirekt, schlagend und haltend, beschreibt. Come A Long Way ist ein Lied über das ewige Gefühl für Heimat in der Seele, egal, ob man den Schlüssel seines Hauses abgegeben hat - "nur die Liebe zu einem Menschen kann das entscheidend ändern" - unterbricht sich die improvisierende Sängerin im Live-Konzert selbst. Die generelle Liebe schildert sie anhand von Lebensräumen wie L.A. oder jenem ihrer Kindheit in Memories Of East-Texas mit den prägnanten Worten: "... das Leben der Texaner läuft in so engen Straßenkreisen; Sie konnten einem Mädchen keinen Platz schaffen, das den Ozean gesehen hat ... aber jenes Mädchen wäre ohne diese Straßen nie so weit gekommen ...". Auf ihre Beziehung, die nach 13 Jahren geschieden wurde, antwortet sie indessen makaber frohlockend mit Joy: "Eifersucht und Ärger, Gier und Heuchelei; die Jahreszeiten der menschlichen Natur können mir die Freude nicht nehmen!" - Dazu der trockene Nachsatz ins Publikum: "I wish you all love, I hope it kills you!"

Warum diese US-Sängerin Österreichern näher ist als Wiener Sänger

Was einen - die vielen Wiener und Österreicher, die sämtliche Songs der Shocked auswendig mitzusingen in der Lage sind - am meisten nachdenken läßt, ist allerdings die Frage: warum diese doch-so-amerikanische Frau, als Persönlichkeit einem Österreicher viel näher kommen kann, als jeder andere derzeitig gehypte Sänger im Wiener Dialekt? Ist es die energetische, archetypische Größe einer Ur-Mutter, ein Idol jenseits von einem selbst, das erst zu überzeugen vermag? - Wie auch immer, eines ist sicher: Jede österreichische Sängerin, die versucht, das - die afroamerikanische Urmutter - nachzumachen, wird scheitern, genauso, wie junge, österreichische Castingshow-MTV-Fakes immer nur ein billiger Abklatsch sein werden. So jemand wird allenfalls zur kopierten Marktmarke. Das Ziel muss die österreichische Machtmarke sein. Und die muss man sich erfinden: So, wie es etwa ein Falco als Mischung aus Oskar Werner und David Bowie schaffte. Und vielleicht gewinnt diese dann auch den Weltmarkt - so wie es die heimatverbundene Michelle Shocked geschafft hat. e.o./r.r.


DAS URTEIL WENN EINE FRAU ALS SÄNGERIN UND PERSÖNLICHKEIT ÜBERZEUGEN KANN, DANN IST ES MICHELLE SHOCKED - WANN UND WIE GIBT ES DAZU EIN ÖSTERREICH-PENDANT?

CD ToHeavenURide * Von: Michelle Shocked - Live-Aufnahme * Label: Mighty Sound über RED-Distribution * Link: www.michelleshocked.com

KONZERTE regelmäßige Singer Songwriter-Konzerte über die Vienna Songwriting Association * link: www.songwriting.at

Unser Demnächst-Special-Tipp für Singer Songwriter mit eigenem Klang:

Mundy (IRL) * Ort: Haus der Musik, Seilerstätte 30, 1010 Wien * Zeit: 13.3.08: 20h
Marissa Nadler (US) * Ort: Gasthaus Vorstadt, 1160 Wien, Herbststraße 37 * Zeit: 03.4.08: 20h
OLLI SCHULZ (Hamburg/BRD) * Ort: WUK * Zeit: 12.03.2008: 20h
Supertipp!!: MARIA MENA (Oslo/Norwegen) *
Ort: WUK * Zeit: 13.04.2008: 20h
Supertipp!!: ADAM GREEN + Band (New York/USA / Singer Songwriter-Antifolk!!) *
Ort: WUK * Zeit: 26.04.2008: 20h
THE HORROR THE HORROR (Schweden / Singer Songwriter-Rock)
* Ort: WUK * Zeit: 18.04.2008: 20h
Supertipp!!: JON REGEN (New York/USA / Singer Songwriter - Piano-Jazz) * Ort: Birdland Wien * Zeit: 15.05.2008: 20h
Supertipp!!: JASON WEBLEY (USA / Singer Songwriter - Rock-Folk-Akkordeon und Geige mit super Stimme) * Ort: Vorstadt Wien, Herbststr. 37 * Zeit: 05.06.2008: 20h


Filmtipp zum Singer Songwriter-Hype:
FILM ONCE * Komödie von John Carney * Mit Glen Hansard, Markéta Irglóva * Irland 2006 * Inhalt: Straßenmusiker in Dublin träumt von der Karriere als Singer Songwriter, wobei ihm die tschechische Gastarbeiterin und Pianistin hilft - mit einer realistischen Existenzweise eines Musikers sowie einer subtilen Liebesebene, wie sie wohl jedem Menschenleben "nebenbei" und doch in ewiger Erinnerung passiert * Länge: 85 Minuten * ab 25. April 08 in den österreichischen Kinos * Vertrieb: www.filmladen.at, link: www.once.kinowelt.de