Was,
wenn der schwarze Rabe nicht schwarz ist, sondern rot, grün, blau,
wenn er nicht christlich böse wäre,
nur weise, wie in alter griechischer Mythologie,
wenn seine gebrochene Zunge tönt,
als wäre sie neu,
als wäre sie wie sie ist,
ungebrochen,
kein Jude?
Als wäre sie nur ein Mensch,
wie du und ich,
wie ich and you´,
wie ich und Jud´.
(e.o.)
Daniel Kahn hat das Tiersymbol des Raben zum Leitbild seiner Gruppe The Painted Bird erkoren: Was, wenn der Rabe nicht schwarz = böse gelte, sondern bunt - und damit "historisch befreit" - wäre, so wie "der Jude" ...
Der intellektuelle jüdische US-Songwriter aus Detroit vereint Punk-Cabaret und schmerzliche Nachdenklichkeit in seiner Musik: für ihn sollten Zungen ungebrochen, Vögel (Raben) frei sein ...
Wenn Juden so ausdrucksstark-klug wie Kahn, so schön wie Bassist Michael Tuttle, und so virtuos wie Beide sind, dann müßte das eigentlich die schärfste Menschenart sein ...
... wobei auch der punkstarke - den besoffenen Rabbi spielende - Geoff Berner nicht zu verachten ist, der selbstbewußt selbstironisch gegenüber dem Judentum textet und singt. (Konzert-Fotos © cinema-paradiso.at)
Leider endete diese Intellektuellen-Energie in der Russendisko - ein Hype, der symptomatisch für diese Gesellschaft ist, wo der Stumpfsinn alles Kluge einsackelt, und die Fantasie vom klugen Juden in die hirntote Realität des ost-neureichen Kapitalismus gekehrt wird.
WUK - AKKORDEONFESTIVAL DAS PUNK-CABARET VON DANIEL KAHN & THE PAINTED BIRD BRACHTE MIT DEM VERFREMDUNGSKLEZMER - ENTERTAINER GEOFF BERNER JÜDISCH-INTELLEKTUELLES FLAIR NACH WIEN. DAS ENDETE IN DER RUSSENDISKO VON YURIY GURZHY
Was hat das Sprachrohr zu bedeuten, das Daniel Kahn hier im Wiener WUK beim Auftritt vor dem Gesicht hält? Steht es für den menschlichen Schnabel? Den Schnabel eines Raben? So wird es sein, bei Daniel Kahn & The Painted Bird, übersetzt "der angemalte Vogel". Er muß einer der Vögel aus Jerzy Kosinskis Groteskennovelle The Painted Bird sein, die nach einem Amokflug in den Himmel plötzlich als angemalte Raben auf die frisch-gepflügte Erde herabstürzen. Das parabelhafte Bild besagt mit seinen drei kleinen Worten, worum es den Juden in ihrem historischen Familienbewußtsein geht, woran sie bis heute unaufhörlich arbeiten. Am Wissen um die Geschichte des Volkes, wo gleichzeitig die Sehnsucht nach Befreiung von dieser Wissenslast mitschwingt, durch neu zu schaffende Komponenten und Konnotationen oder Weglassen Bestehender. So, dass eben aus The Broken Tongue, aus der Gebrochenen Zunge - wie die letzte CD mit gleichem Covertitel der Detroit-Berliner Klezmerverfremdungsband lautet - eine umso zungenfertigere (sprachlich anerkanntere) wird. Doch wie ironisch es das Leben nun mal meint, gewinnt dieses "leidende" Volk seine massenbewegendste Eloquenz ausgerechnet aus seiner erlittenen "Geschichte". Nichts erreicht die artistische Spitze mehr als Lieder über Polen, Auschwitz, Birkenau, ...
Was hat das Sprachrohr zu bedeuten, das Daniel Kahn hier im Wiener WUK beim Auftritt vor dem Gesicht hält? Steht es für den menschlichen Schnabel? Den Schnabel eines Raben? So wird es sein, bei Daniel Kahn & The Painted Bird, übersetzt "der angemalte Vogel". Er muß einer der Vögel aus Jerzy Kosinskis Groteskennovelle The Painted Bird sein, die nach einem Amokflug in den Himmel plötzlich als angemalte Raben auf die frisch-gepflügte Erde herabstürzen. Das parabelhafte Bild besagt mit seinen drei kleinen Worten, worum es den Juden in ihrem historischen Familienbewußtsein geht, woran sie bis heute unaufhörlich arbeiten. Am Wissen um die Geschichte des Volkes, wo gleichzeitig die Sehnsucht nach Befreiung von dieser Wissenslast mitschwingt, durch neu zu schaffende Komponenten und Konnotationen oder Weglassen Bestehender. So, dass eben aus The Broken Tongue, aus der Gebrochenen Zunge - wie die letzte CD mit gleichem Covertitel der Detroit-Berliner Klezmerverfremdungsband lautet - eine umso zungenfertigere (sprachlich anerkanntere) wird. Doch wie ironisch es das Leben nun mal meint, gewinnt dieses "leidende" Volk seine massenbewegendste Eloquenz ausgerechnet aus seiner erlittenen "Geschichte". Nichts erreicht die artistische Spitze mehr als Lieder über Polen, Auschwitz, Birkenau, ...
Birkenau - 7.Titel aus der CD The Broken Tongue
(Text und Musik von Daniel Kahn,
frei beschrieben von Elfi Oberhuber)
Das Klavier so schnell, es spielt verrückt,
als wüßten die Tasten nicht
wohin, auf-ab, auf-ab, hin-her;
Die hartnäckige Geige hält ihren Ton zerrissen auf einer Höhe,
bis das schwach-klare Akkordeon beides erlöst.
Da erklingt eine balkanesk-östliche Melancholie,
ihre langatmig gespielte kurze Melodie verlangt nach Antwort,
jener in Daniel Kahns Trauer:
"Unten am Bach, wo die dünnen Birken stehn,
die Vögel mit ihren Blechstimmen in den Bäumen,
sie singen sogar noch, als die Nummern aufkommen,
als wehe darüber nichts als der Wind."
Tango-prägnant fahren Cello-Klavier fort,
"Ich war ein Lamm für den Metzger, zum Häuten",
schluchzt kaum hörbar das Akkordeon,
"ohne Zeugen in der Dunkelheit,
für jedes Wimmern & für jedes Grinsen,
während all die Nummern unaufhörlich einmarschieren.
Ein Lamm ohne Schäfer, ein Bach ohne Meer;
eine Geschichte, die ich niemandem erzählen kann als mir.
Hier ist die Moral, denn die Zeit währt nicht lang;
die Welt ist ein Biest mit einem schönen Lied.
Aaahhh..."
Angestauter Schmerz strömt durch die Violine,
leise fordert das hohe Klavier nach seinem Recht, ...
... um endlich laut und tief entschlossen vorzuwerfen:
"Der Tag, er ist vorüber & die Dämmerung ist nahe,
Die Sonne ist bedeckt durch ein Überwachungsauge
& die Wolken sind befleckt mit einer verhängnisvollen Farbe,
als hätte der Metzger sein Messer am Himmel abgewischt."
Darauf das erstarkte Akkordeon:
"Die kalten Eisenbuchstaben lauten "ARBEIT MACHT FREI"
& das erscheint wie eine Lüge, doch mag es wohl so sein,
wenn deine Arbeit ein Versuch zu vergessen ist, wie man weint
& und deine Freiheit in einer Laugengrube zu finden ist.
Ein Lamm ohne Schäfer, ein Bach ohne Meer,
Eine Geschichte, die ich niemandem erzählen kann als dir.
So erkläre mir die Moral, denn die Zeit ist nicht lang,
& die Welt ist ein Biest mit einem schönen Lied.
Aaaaahhhhhh ..."
Auschwitz - Birkenau, 2005 (Foto © Elfi Oberhuber)
Die edle Violine.
Das Klavier stirbt leise;
das Wunderschöne fließt über,
in eine neu zusammenhängende Welt,
in die Violinenmelodie von
8. Unter Di Khurves Fun Poyln
Unter den Ruinen von Polen
(jiddischer Text von Itsik Manger music: S. Beresovsky)
Kahn singt schmerzlich trauernd im Duett mit Niki Jacobs,
frei beschrieben von Elfi Oberhuber)
Unter den Ruinen von Polen, da liegt ein Kopf mit blondem Haar.
Der Kopf & auch meine Stadt, beides liegt in Ruinen da(r).
Über den Ruinen von Polen füllt der Himmel die Häuser mit Schnee
Der blonde Kopf meines Mädchens füllt meinen Kopf mit Weh.
Mein Weh rinnt über den Schreibtisch & schreibt einen langen Brief an sie
Tränen fallen auf das Blatt
Sind echt als würden die Worte verschwimmen.
Über den Ruinen von Polen, hinauf in die Wolken des Weiß,
da fliegt in ruhigen Flügelschlägen, ein großer, schwarzer, trauriger Rabe
Es ist der große, schwarze Trauerrabe,
(Wie mein Herz in diesem Vogel lebt!)
Er treibt seine Flügel fortan weiter, während er tief trauernd sein Klagelied fliegt
Ruine in Polen, 2006 (Foto © Elfi Oberhuber)
Instrumentales Zwischenspiel wie von Chopin,
voll von Schmerz am Verlust, Sehnsucht nach der Verlorenen,
sie antwortet von weit her mit blonder Stimme aus dem Engelreich.
Da kommt aus der Gegenrichtung
der atonale Schlußpunktakkord vom Klavier,
die Kurzschlußreaktion vom allein Verbliebenen auf der ewigen Welt,
sie füllt den Raum mit der unverzeihlichen Todesanklage ...
Birkenau als Souvenir, Intellektuell-jüdische Aura im Live-Konzert von Daniel Kahn
Birkenau und Unter den Ruinen von Polen waren allerdings keine Lieder des Konzerts, sondern lediglich Souvenire für den Begeisterten zu Haus. Und doch muss man sich fragen, wie jene(r) überhaupt so weit kommt, sich so ein Souvenir erstehen zu wollen. Wobei man mit der CD direkt nach dem Konzert sogar Enttäuschung verspüren könnte, da sie hinsichtlich theatraler Ausdruckskraft und Energie doch um vieles schwächer ist als ein Daniel Kahn mit Band live. Vielleicht liegt es an den Rabenmasken, die zahlreich auf der Bühne stehen, die die ungemein intelligente Aura auf die Musiker abstrahlen, wo einer - Bassspieler Michael Tuttle - darüber hinaus auch noch ein wahres Bild von einem Mann ist ... Diese insgesamt außergewöhnlich schöne Intelligenz sprüht so attraktiv ins Publikum, dass man den Erstbesten neben sich, wegen seiner schwarzen Locken und würdevoll gebogenen Nase "als anziehenden Juden" festzustellen glaubt, während jener besonnen, mit auf seinem Handballen gestütztem Denkerkinn die jiddisch-amerikanischen Worte Kahns zu reflektieren scheint.
Kahns Worte handeln vom Brechtschen, durch den Lautsprecher eintrichternd geschrienen "Erst kommt das Fressen, dann die Moral", erstrecken sich über eine unmögliche Liebe von einem Juden zu einer Nicht-Jüdin ("Ich kann Dir mein Leben nicht vergessn, weil ich hab Dich lieb"), über das wissenschaftlich-analysierte Gespür einer witzig schleppend gesungenen Menschenkenntnis ("Ein bequemer Parasit befällt die Maus, die die Katze frißt, deren Geist dann irgendwann die Kuh befällt ...") mit leichter Pointe, bis zur Kriegssituation in Israel mit Friedenstraum in Palästina, das durch ein gekonnt eingebettetes Solo-Programm von Tuttle am Kontrabass, Bert Hildebrandt an der Klarinette und Hampus Melin am Schlagzeug zu einem mitreißenden Ende findet, sodass man sich zu einer Schwärmerei hinreißen lassen wird, wie: "Wenn das das Judentum ausmacht, dann ist das die schärfste Rasse, die es gibt!" Auch wenn Kahn erzählt, in Graz gefragt worden zu sein: "Sind Sie ein echter Jude?" - Worauf er meinte: "Ja, ich bin schon Jude. Aber echt?"
Punkiger Intelligenz-Porno von Geoff Berner
Man schwärmt, auch weil Amerikaner Geoff Berner zwischendurch noch eine weitere Facette dieser selbstbeherrscht-reflexiven Gut-Moral-Menschen an den Tag zu legen vermag, selbst wenn er dadurch als Persönlichkeit labiler wirkt als Kahn. Wo die Selbstkritik auf das eigene Volk bei Kahn stets spielerisch und neckend bleibt, wird Berner sogar ausfallend. So bezeichnet er sich selbst als Whiskey-Rabbi, unter dessen Titel er sein bekanntestes Lied in Rock-Punk-Klezmer-Manier geschrieben hat. Mit seiner sehr schönen, helleren und trotzigeren Stimme als Kahn, spielt er bei seinem Auftritt zunächst selbst den Mikro-umwerfenden Betrunkenen und fordert seinen Kollegen auf, inzwischen einen Witz zu erzählen, bis er sich wieder gefangen hätte. Kahn ist schlagfertig genug, um darauf einzugehen: "Ein Jude geht zum Arzt, der ihm sagt: "Sie haben nur noch drei Wochen zu leben." Darauf der Jude: "Ja, aber wovon?"
Darauf legt Berner rockig "besoffen" los, um überzeugend revolutionär festzustellen: "Ich bleib betrunken und arbeitslos!", und später zu behaupten, "Ich bin mit `Maschke´ (akustisch-jiddisch Whiskey) auf die Welt gekommen", worauf Kahn trocken, mit bitter-schmerzlichem Nachgeschmack beifügt: "Das erinnert mich an meine Beschneidung. Für ein Kind ist da `Maschke´ leider nicht erlaubt." - Eine Ritualkritik gegenüber der eigenen Sippe, die durchaus sympathisch kommt.
Dann legt Berner einen Song gegen das ausgeübte Unrecht der Reichen hin, The Rich Are Going To Move To The High Ground, mit Schreien besingt er den Lucky Goddam Jew, sodass man letztenendes nicht Angst um reiche Juden hat, sondern nur noch um ihn. Diesen Mann umgibt bei aller künstlerischen Fertigkeit etwas Untergangartiges, sodass man mit ihm bestimmt nicht sein Leben, aber immerhin seine Gesellschaft teilen will. Und doch tangiert der wunde Punkt eines Kahn noch stärker. Schon weil Berners "Stupid, Stupid!"-Gerufe zu Krieg und Hitler samt Krieg-Kollaps, übertrieben agitativ ist. Aber der Mann ist nun mal jung, demnach echt punkgetrieben. Umso besser kommt seine Energie bei The Wedding Dance of the Widow Bride, worin er als Musiker die Braut zum Weinen bringt ("Weep, bride, weep!"), da ihr Bräutigam ein Sozialmarxist sei, der die Ehe für Prostitution halte: "Deshalb mußt Du ihn ficken, nur damit er die Moral einhält." Und so haben die Musiker die Braut eben depressiv einzustimmen, um sich an ihr am Männerarsch zu erfreuen. Da bleibt nur irritiert zu fragen: Ist das nun männer- oder frauenfeindlich? - Als Abart eines us-jüdisch-gebildeten Intelligenz-Porno ist es aber auf jeden Fall spannend!
Das jähe Erwachen in der Russendisko von Yuriy Gurzhy
Voller geistiger Erregung platzieren wir uns nach diesen aufregend-anspruchsvollen, erdigen zwei Klezmer-Abstraktions- und Ausdrucksvirtuosen in schwarzen Denkeranzügen ein weiteres Mal im Publikum neben unserem "nachdenklichen jüdischen Lockenkopf", um auf das ukrainisch-ungarisch-berlinerische Rotfront - Emigrantski Raggamuffin Kollektiv zu warten. Und da plötzlich, mit erstem akustischem Ertönen, entpuppt sich der anregende "Intelligenzschwarm" neben uns als enttäuschende Illusion: seine geistige Haltung eines begehrenswerten jüdisch Intellektuellen verschwindet im geistlosen Gerüttle eines hinsichtich Bewegungsästhetik reflexionsohnmächtigen West-Russen. Hier schüttelt sich ein nichtsdenkender, überarbeiteter Antibildungsbürger den Alltagsfrust vom Leib. - So schnell verpufft ein Wunschsubjekt zur armselig objekthaften Projektionsfläche. Und die Musik tut das Übrige, um ihm dabei zu "helfen". Dabei soll es sich beim Erfinder dieser sogenannten Russendisko doch um eine sprichwörtliche Koryphäe handeln: DJ Yuriy Gurzhy hat den trashigen Stilmix aus Boney M., The Clash, Taraf De Haidouks und The Upsetters zwecks "Abtanzen" angeblich vor dem "österreichischen Pendant" Russkaja, das kürzlich seine erfolgreiche Trash-CD präsentierte, als großen, neuen Musiktrend eingeleitet. Statt Techno tanzt man jetzt eben Russendisko, sie funktioniert wie Bucovina und Funk mit Takt-Betonung auf die Eins - weshalb ihr Drive so einfährt. Und obwohl in dieser neun- bis elfköpfigen Besetzung sogar Daniel Kahn - jetzt in durchschnittsmenschlichem T-Shirt - mitspielt, enthält diese live-gegebene Hiphop-Reggea-Schlager-Balkan-Klezmer-Remixerei leider keinerlei intellektuelles Flair (wie es im Funk durchaus noch vorhanden ist). Auffälligerweise läßt sich dafür jener Menschenschlag integrieren, der bereits in den 80-ern die von den Intellektuellen-Tänzern verhaßten "Tussi-Tänzer" in den Reißer- und Hausfrauendiscos ausmachte. Deren Stil lautet nach wie vor: Ein Bein neben das andere setzen und mit Kopf oder Schulter hin und her wippen, oder eben nach unten schütteln wie unser "hirnloser Neureich-Russe" (dem wir nicht wagen, den "hirnlosen Juden" unterzujubeln, und der als herkömmlicher Ost-Russe eigentlich noch zur gebildeten Lesekultur-Gesellschaft zählen könnte.) - Wir verließen diesen esprit-armen Musikbrei daher nach fünf Nummern und erfreuten uns Tage später nachhaltig an der CD The Broken Tongue von Daniel Kahn & The Painted Bird - siehe reflexive Übersetzung oben ... e.o./r.r.
Birkenau und Unter den Ruinen von Polen waren allerdings keine Lieder des Konzerts, sondern lediglich Souvenire für den Begeisterten zu Haus. Und doch muss man sich fragen, wie jene(r) überhaupt so weit kommt, sich so ein Souvenir erstehen zu wollen. Wobei man mit der CD direkt nach dem Konzert sogar Enttäuschung verspüren könnte, da sie hinsichtlich theatraler Ausdruckskraft und Energie doch um vieles schwächer ist als ein Daniel Kahn mit Band live. Vielleicht liegt es an den Rabenmasken, die zahlreich auf der Bühne stehen, die die ungemein intelligente Aura auf die Musiker abstrahlen, wo einer - Bassspieler Michael Tuttle - darüber hinaus auch noch ein wahres Bild von einem Mann ist ... Diese insgesamt außergewöhnlich schöne Intelligenz sprüht so attraktiv ins Publikum, dass man den Erstbesten neben sich, wegen seiner schwarzen Locken und würdevoll gebogenen Nase "als anziehenden Juden" festzustellen glaubt, während jener besonnen, mit auf seinem Handballen gestütztem Denkerkinn die jiddisch-amerikanischen Worte Kahns zu reflektieren scheint.
Kahns Worte handeln vom Brechtschen, durch den Lautsprecher eintrichternd geschrienen "Erst kommt das Fressen, dann die Moral", erstrecken sich über eine unmögliche Liebe von einem Juden zu einer Nicht-Jüdin ("Ich kann Dir mein Leben nicht vergessn, weil ich hab Dich lieb"), über das wissenschaftlich-analysierte Gespür einer witzig schleppend gesungenen Menschenkenntnis ("Ein bequemer Parasit befällt die Maus, die die Katze frißt, deren Geist dann irgendwann die Kuh befällt ...") mit leichter Pointe, bis zur Kriegssituation in Israel mit Friedenstraum in Palästina, das durch ein gekonnt eingebettetes Solo-Programm von Tuttle am Kontrabass, Bert Hildebrandt an der Klarinette und Hampus Melin am Schlagzeug zu einem mitreißenden Ende findet, sodass man sich zu einer Schwärmerei hinreißen lassen wird, wie: "Wenn das das Judentum ausmacht, dann ist das die schärfste Rasse, die es gibt!" Auch wenn Kahn erzählt, in Graz gefragt worden zu sein: "Sind Sie ein echter Jude?" - Worauf er meinte: "Ja, ich bin schon Jude. Aber echt?"
Punkiger Intelligenz-Porno von Geoff Berner
Man schwärmt, auch weil Amerikaner Geoff Berner zwischendurch noch eine weitere Facette dieser selbstbeherrscht-reflexiven Gut-Moral-Menschen an den Tag zu legen vermag, selbst wenn er dadurch als Persönlichkeit labiler wirkt als Kahn. Wo die Selbstkritik auf das eigene Volk bei Kahn stets spielerisch und neckend bleibt, wird Berner sogar ausfallend. So bezeichnet er sich selbst als Whiskey-Rabbi, unter dessen Titel er sein bekanntestes Lied in Rock-Punk-Klezmer-Manier geschrieben hat. Mit seiner sehr schönen, helleren und trotzigeren Stimme als Kahn, spielt er bei seinem Auftritt zunächst selbst den Mikro-umwerfenden Betrunkenen und fordert seinen Kollegen auf, inzwischen einen Witz zu erzählen, bis er sich wieder gefangen hätte. Kahn ist schlagfertig genug, um darauf einzugehen: "Ein Jude geht zum Arzt, der ihm sagt: "Sie haben nur noch drei Wochen zu leben." Darauf der Jude: "Ja, aber wovon?"
Darauf legt Berner rockig "besoffen" los, um überzeugend revolutionär festzustellen: "Ich bleib betrunken und arbeitslos!", und später zu behaupten, "Ich bin mit `Maschke´ (akustisch-jiddisch Whiskey) auf die Welt gekommen", worauf Kahn trocken, mit bitter-schmerzlichem Nachgeschmack beifügt: "Das erinnert mich an meine Beschneidung. Für ein Kind ist da `Maschke´ leider nicht erlaubt." - Eine Ritualkritik gegenüber der eigenen Sippe, die durchaus sympathisch kommt.
Dann legt Berner einen Song gegen das ausgeübte Unrecht der Reichen hin, The Rich Are Going To Move To The High Ground, mit Schreien besingt er den Lucky Goddam Jew, sodass man letztenendes nicht Angst um reiche Juden hat, sondern nur noch um ihn. Diesen Mann umgibt bei aller künstlerischen Fertigkeit etwas Untergangartiges, sodass man mit ihm bestimmt nicht sein Leben, aber immerhin seine Gesellschaft teilen will. Und doch tangiert der wunde Punkt eines Kahn noch stärker. Schon weil Berners "Stupid, Stupid!"-Gerufe zu Krieg und Hitler samt Krieg-Kollaps, übertrieben agitativ ist. Aber der Mann ist nun mal jung, demnach echt punkgetrieben. Umso besser kommt seine Energie bei The Wedding Dance of the Widow Bride, worin er als Musiker die Braut zum Weinen bringt ("Weep, bride, weep!"), da ihr Bräutigam ein Sozialmarxist sei, der die Ehe für Prostitution halte: "Deshalb mußt Du ihn ficken, nur damit er die Moral einhält." Und so haben die Musiker die Braut eben depressiv einzustimmen, um sich an ihr am Männerarsch zu erfreuen. Da bleibt nur irritiert zu fragen: Ist das nun männer- oder frauenfeindlich? - Als Abart eines us-jüdisch-gebildeten Intelligenz-Porno ist es aber auf jeden Fall spannend!
Das jähe Erwachen in der Russendisko von Yuriy Gurzhy
Voller geistiger Erregung platzieren wir uns nach diesen aufregend-anspruchsvollen, erdigen zwei Klezmer-Abstraktions- und Ausdrucksvirtuosen in schwarzen Denkeranzügen ein weiteres Mal im Publikum neben unserem "nachdenklichen jüdischen Lockenkopf", um auf das ukrainisch-ungarisch-berlinerische Rotfront - Emigrantski Raggamuffin Kollektiv zu warten. Und da plötzlich, mit erstem akustischem Ertönen, entpuppt sich der anregende "Intelligenzschwarm" neben uns als enttäuschende Illusion: seine geistige Haltung eines begehrenswerten jüdisch Intellektuellen verschwindet im geistlosen Gerüttle eines hinsichtich Bewegungsästhetik reflexionsohnmächtigen West-Russen. Hier schüttelt sich ein nichtsdenkender, überarbeiteter Antibildungsbürger den Alltagsfrust vom Leib. - So schnell verpufft ein Wunschsubjekt zur armselig objekthaften Projektionsfläche. Und die Musik tut das Übrige, um ihm dabei zu "helfen". Dabei soll es sich beim Erfinder dieser sogenannten Russendisko doch um eine sprichwörtliche Koryphäe handeln: DJ Yuriy Gurzhy hat den trashigen Stilmix aus Boney M., The Clash, Taraf De Haidouks und The Upsetters zwecks "Abtanzen" angeblich vor dem "österreichischen Pendant" Russkaja, das kürzlich seine erfolgreiche Trash-CD präsentierte, als großen, neuen Musiktrend eingeleitet. Statt Techno tanzt man jetzt eben Russendisko, sie funktioniert wie Bucovina und Funk mit Takt-Betonung auf die Eins - weshalb ihr Drive so einfährt. Und obwohl in dieser neun- bis elfköpfigen Besetzung sogar Daniel Kahn - jetzt in durchschnittsmenschlichem T-Shirt - mitspielt, enthält diese live-gegebene Hiphop-Reggea-Schlager-Balkan-Klezmer-Remixerei leider keinerlei intellektuelles Flair (wie es im Funk durchaus noch vorhanden ist). Auffälligerweise läßt sich dafür jener Menschenschlag integrieren, der bereits in den 80-ern die von den Intellektuellen-Tänzern verhaßten "Tussi-Tänzer" in den Reißer- und Hausfrauendiscos ausmachte. Deren Stil lautet nach wie vor: Ein Bein neben das andere setzen und mit Kopf oder Schulter hin und her wippen, oder eben nach unten schütteln wie unser "hirnloser Neureich-Russe" (dem wir nicht wagen, den "hirnlosen Juden" unterzujubeln, und der als herkömmlicher Ost-Russe eigentlich noch zur gebildeten Lesekultur-Gesellschaft zählen könnte.) - Wir verließen diesen esprit-armen Musikbrei daher nach fünf Nummern und erfreuten uns Tage später nachhaltig an der CD The Broken Tongue von Daniel Kahn & The Painted Bird - siehe reflexive Übersetzung oben ... e.o./r.r.
KONZERT ZUM NACHHÖREN auf:
http://emap.fm/akkordeonfestival.html
http://emap.fm/akkordeonfestival.html
DAS URTEIL EINE HOCHSTEHENDE, MUSIKTHEATRALE EXKLUSIV-DARBIETUNG JÜDISCHEN INTELLEKTS ENDETE IM KOPFLOSEN RUSSENDISKO-GESCHÜTTLE - UND DENNOCH BLIEB DIESES KONZERT AM NACHHALTIGSTEN VOM GANZEN AKKORDEONFESTIVAL IN ERINNERUNG: WEIL ES ZEIGT, WIE SICH DIE GEISTIGE ELITE IN DIESER GESELLSCHAFT DER DUMMHEIT ZU UNTERWERFEN HAT. - STARKE CHARAKTERE SOLLTEN AUSBRECHEN UND SICH DIE ZEIT NEHMEN, UM SICH DEM NIVEAU ZUZUWENDEN. ES LOHNT SICH!
KONZERT Geoff Berner * Ort: Arena * Zeit: 10.04.08 * Geoff-Berner-Videos * link: www.geoffberner.com/vidindex.htm
KONZERT Daniel Kahn bzw. Yuriy Gurzhy kommen wieder zum 5th KlezMoreFestival Vienna 2008 * Zeit: 8.-23.11.2008 * link: www.klezmore-vienna.at * Gruppen-link: www.paintedbird.net * link: www.myspace.com/thepaintedbird
Thematische Nähe
KONZERT "Lieder am Rand“ KRAMER-VERTONUNGEN * Von und mit: Hans-Eckardt Wenzel - In Kramers „Heimatland“ hat sich kein Musiker je so intensiv mit diesen Gedichten beschäftigt wie der Künstler Hans-Eckardt Wenzel aus Ostvorpommern. * Ort: Kirche Gaußplatz * Zeit: 1.4.2008: 19h30
KONZERT Geoff Berner * Ort: Arena * Zeit: 10.04.08 * Geoff-Berner-Videos * link: www.geoffberner.com/vidindex.htm
KONZERT Daniel Kahn bzw. Yuriy Gurzhy kommen wieder zum 5th KlezMoreFestival Vienna 2008 * Zeit: 8.-23.11.2008 * link: www.klezmore-vienna.at * Gruppen-link: www.paintedbird.net * link: www.myspace.com/thepaintedbird
Thematische Nähe
KONZERT "Lieder am Rand“ KRAMER-VERTONUNGEN * Von und mit: Hans-Eckardt Wenzel - In Kramers „Heimatland“ hat sich kein Musiker je so intensiv mit diesen Gedichten beschäftigt wie der Künstler Hans-Eckardt Wenzel aus Ostvorpommern. * Ort: Kirche Gaußplatz * Zeit: 1.4.2008: 19h30