Tuesday, February 20, 2007

MUSIK: KRISTJAN JÄRVIS HALBER "BOLERO" UND GANZER "US-BEETHOVEN"

Foto: Der Rock´n`Roller der Klassik, © Kristjan Järvi, hat sein übliches Tempo ungewohnter Weise beim Spanischen gedrosselt. Umso intensiver kam sein Bolero rüber. Bei Béla Bartok ging dafür - extrem passend - wieder der Rocker in ihm durch!


WIENER MUSIKVEREIN DAS TONKÜNSTLER ORCHESTER NIEDERÖSTERREICH HAT SICH ETWAS SPANISCHES UNTER DEM TITEL BOLERO ZUSAMMEN GEBASTELT. BEIM BASTELCHARAKTER BLIEB ES DRAMATURGISCH, MUSIKALISCH GAB ES HÖHEPUNKTE

Was Kristjan Järvi unter dem Konzerttitel Bolero dirigierte, hatte den Charakter einer stilistisch nicht wirklich einleuchtend durchgezogenen Nummernaufführung - positiver formuliert - eines zwei-geteilten Patchwork-Abends, wobei der erste Teil kaum etwas mit dem zweiten zu tun hat. Denn nur weil im Titel der im ersten Teil auszugsweise aufgeführten Oper Der Babier von Sevilla eine spanische Stadt genannt wird, und es um einen Figaro und zwei verliebte Frauen geht, ist die Musik des Komponisten Gioachino Rossini noch lange nicht spanisch. Das ist italienische Klassik, wie sie leibt und lebt. Sie fängt als Einleitungssinfonie gleich rhythmisch spritzig an - wer den Film mit Adriano Celentano gesehen hat, worin er als Busfahrer um Ornella Muti wirbt und für sie ein Ständchen vor dem Fenster dirigiert, weiß sofort, um welches Stück es sich handelt. Auch von Järvi dirigiert ist es ziemlich lustig, wenn er mit den Geigern eine mimische Gedankenkonversation führt.

Diese Theatraliät bringt gleich darauf auch Starbariton Morten Frank Larsen - einer der momentan besten, bühnenpräsentesten Sänger der Szene, wie auch in Sophie´s Choice an der Volksoper zu sehen war - als Figaro in seinem Kavatinen-Solo Nr.2 sprühend und charismatisch unter, indem er sich als Friseur selbst lobt und gratuliert, die Arbeit ihm aber dann zu viel wird, sodass es ihm am Ende "gekonnt" die Stimme überschlägt. Weniger gewollt passiert das ganz kurz Annely Peebo als Rosina. Sie grinst in ihrem nicht wirklich geschmackvollen, türkisen Blumenkleid staatstragend ins Publikum, vermag es aber, mit ihrem vollen Mezzosopran die leichte Hinterlist anzunehmen, von der sie im Text singt. Danach wird´s unbedeutend: das Duo, das Trio, die Arie von Sopranistin Barbara Paya - es wirkte am Ende nur wie ein Teaser für die komplette Aufführung der Oper im Festspielhaus St. Pölten. Nur dass dort eine besondere szenische Herangehensweise wartet: Mit lebensgroßen Puppen.

Kristjan Järvi ausnahmsweise nicht rasant, dafür intensiv

Durchgehend stimmig wird´s nach der Pause. Die gespielten Komponisten des 19. Jahrhunderts haben das spanische Flair in ihrer Notation berücksichtigt. Järvi lebt völlig mit und steckt das Publikum mit seiner Freude an. Im komplexen Espana von Emmanuel Chabrier sprüht die rhythmische Verve im Dreivierteltakt nur so rüber, während die Streicher eine überdimensionale Gitarre imitieren. Das ist griffig und körperlich, sodass Järvi nicht um seinen berühmten Sprung als Schlußtaktierung umhin kommt. Gesteigert wird das spanische Lebensgefühl in Nikolai Rimski-Korsakows beschwingtem Capriccio espagnol, was der Komponist durch folkloristische Zitate und Anspielungen an spanische Volkslieder- und Tänze erzielt, wobei im Grundmotiv-abgewandelten zweiten Abschnitt auch wehmütig Russisches einfließt. Darauf folgt eine Zigeuner-Weise, wo der brillante Geigen-Solist sein ganzes Temperament los werden kann. Im Finale animiert Järvi mehrere Solisten (Querflöte, Klarinette, Harve) gleich einem wendigen Stierkämpfer mit jeweils anderer Bewegungssprache zu ihren charaktervollen Musikabschnitten, die trotz der Wechsel und Eigenständigkeit eine Einheit ergeben. Das könnte fast einem Jazz-Arrangement entlehnt sein. Das Ende ist hinausgezögert, kommt dann aber laut und dumpf.

All das mündet in Maurice Ravels Minimalismus- und Techno-Vorläufer, der der Aufführung den Titel gibt: Bolero. Dasselbe Motiv in Variationen von Blasinstrumenten soliert, schleppt sich das Stück in marschmäßig intellektuell-gedehntem Rhythmus gleich einer Wüsten-Karawane durch die Zeit. Die unzähligen Anläufe dirigiert Järvi diszipliniert besonnen. Denn sagte Ravel, "spielt man den Bolero schnell, so scheint er lang; spielt man ihn langsam, so scheint er kurz", so kommt´s bei Järvi weder kurz, noch lang, sondern einfach richtig, mit Highlights wie der "betrunken" klingenden Trompete und einem immer lauter werdenden Finale, als würde das Tonkünstler Orchester Niederösterreich dem Publikum eines sehr eindringlich einreden: Denk jetzt an nichts, denn das ist eine Hypnose.



WIENER MUSIKVEREIN KRISTJAN JÄRVI REALISIERT SEINE ROCK-SYMPHONIE-VISION IN BEETHOVEN IN AMERIKA - DAS BISHER STÄRKSTE TONKÜNSTLER-KONZERT

Den Weg des Kristjan Järvi bezüglich seiner Rock-Symphonieorchester-Vision zu verfolgen, gewinnt an Spannung. Beethoven in Amerika am 6.3.07, nur wenige Tage nach dem Bolero-Konzert im Wiener Musikverein, war atemberaubend. Das Tonkünstler Orchester Niederösterreich wurde unter Järvi zur Ausgeburt einer teuflisch temperamentvollen, hundertköpfigen Red-Hod-Chili-Peppers - Kampftruppe. Zwar bei Béla Bartóks Konzert für Orchester, das der Ungar 1943 im amerikanischen Exil geschrieben hat. Dass es zu diesem Exzess kommen konnte, zeichnete sich schon vorher ab: bei John Adams´ The Chairman Dances aus dem Jahr 1985 und Ludwig van Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73 (1809).

Wie immer bei Järvi wurde also ein Spagat durch die Geschichte gezogen, diesmal war er musikalisch auch nachvollziehbar, sprich nicht nur ein Themen-Aufhänger "Klassik und Amerika". Er war schon von der unterschiedlichen Tonarchitektur der Stücke und ihren Bezügen zueinander her interessant. Amerikaner John Adams, Jüngster der drei Komponisten, schachtelt seine in sich geschlossenen Musikpassagen übereinander, sodass sie in Überlagerungen Cluster bilden. Eingeleitet wird das in minimalistischen Wiederholungen und versetzten Sätzen, wobei die sich im Einsatz befindenden einschlägigen Intrumentengruppen im Saal auch noch zu akustischen Verlagerungen beitragen. Innerhalb dieser Überschachtelung von Gershwin-, Bernstein- und Bigband-Anspielungen kommt es zu dem im Titel angesprochenen "Tanz", wobei Adams das Bild der tänzelnden Gattin von Mao Tse Tung vor sich hatte, bei dem Präsident Richard Nixon zu Gast ist: "ihre Bewegung" ist ein sehr subtiles, dünnes und feines Tongewebe an Pseudo-China-U-Musik, das die "klobigen Staatsherren" zwischendurch verführerisch aus der Bahn wirft. Järvi ersteigt dieses unterhaltsame Intellektuellen-Hochhaus, wie den ganzen Abend, in scharf gezeichneten Kontrasten und läßt ihn in ungewöhnlichem Klavier-Reibe-Schlagzeug-Getöne ausklingen.


Die interessanten zwei "Bs"

140 Jahre vorher hat Beethoven sein eins-nach-dem-anderen erzählendes Klavierkonzert Nr. 5 geschrieben. Er gilt vor allem in Amerika als Ausgangspunkt vieler Zeitgenossen. Bevor man das merkt, beginnt seine Musik nach Adams´ vielfach "geklopftem" Werk gedehnt und sanft und damit gefühlsmäßig nachvollziehbar. In den laut-leise, schnell-langsam abrupt wechselnd gespielten Klavier-Solo-Passagen von Antti Siirala kann man den Rebell Beethoven bald ausmachen. Die Musikrevolte wird allerdings immer wieder durch das Leitmotiv und den Orchestereinsatz gebändigt. - Denkt man sich anfangs, dass der junge Pianisten-Finne ruhig noch temperamentvoller und aggressiver sein könnte, beschließt man ab der Mitte, das wieder zu revidieren: denn da offenbart er, wie sehr sich jemand innerhalb gegebener tonaler Grenzen beschweren kann. - Selbst wenn Järvi dies bei Bartók als Dirigent und Persönlichkeit noch toppt.

Das liegt grundsätzlich an der sehr dramatisch angelegten Komposition Bartóks, die er - an Leukämie erkrankt - als letzte Lebensbejahung in fünf Sätzen notierte. Die Klage beginnt geheimnisumwittert, äußert sich aber bald sperrig, abstrakt und fordernd. Järvi ist zum aggressiven Heerführer mutiert. Er treibt die hellwachen Tonkünstler bis zum äußersten Angriff, während sie ihre Fanfaren in ungarischem Kolorit "blasen", um sie im zweiten Satz sogleich wieder in lustigem Gegensatz und sehr komisch davon abzulenken. Das nützt aber nichts. Es kommt zum leidenschaftlichen Aufschrei in abrupten Instrumentenblöcken und endet im Spiel der wehleidigen, einsamen Querflöte. Sie lockert sich wieder ein wenig auf, indem ihr die Streicher etwas sehr Schönes erzählen. Doch alle zusammen wissen im Grunde doch - geführt von einem sehr männlichen, aufbegehrenden Kristjan Järvi - dass die Bedrohung rundum nicht aufzuhalten ist. Abstrakt, dramatisch abgewehrt, kommt sie doch ohne Kompromisse in kurzer Zeit: Béla Bartók starb neun Monate nach der Uraufführung des Werks. e.o.


DAS URTEIL BOLERO: SPANISCHES PATCHWORK, DAS NICHT NUR SPANISCH KLINGT. EIN ERSTER TEIL MIT THEATRAL-STARKEM ANFANG. EIN ZWEITER TEIL VON MUSIKALISCH ERLEBTER GRÖSSE.
BEETHOVEN IN AMERIKA: JÄRVI HAT AUS EINER MUSIKARCHITEKTONISCHEN STÜCKEANREIHUNG EIN ROCKIG-DRAMATISCHES ERLEBNIS GEMACHT. SPANNEND WIE EIN KRIMI!

Achtung Jazz-Bigband-Highlight: JÄRVI-KONZERT MIT SEINEM NEW YORKER ABSOLUTE ENSEMBLE:
Forgive me, is this the Way to the Future? * Mit: Kristjan Järvi und Absolute Ensemble * Mit: Goran Bregovic Wedding and Funeral Band * Ort: Konzerthaus Wien, Grosser Saal * Zeit: 29.04.2007: 19h30

Wednesday, February 07, 2007

MUSIK: ENTDECKUNG JON REGEN AUF "ALMOST HOME"-TOUR IN WIEN

Cover der CD Almost Home von ©Jon Regen.






Jon Regen mit seinen aus Großbritannien importierten Sidemen an Baß und Schlagzeug: gefühls- und energiegeladen bestritten sie ihr Blues´n´Jazz-Konzert im Wiener Birdland, Fotos © Elfi Oberhuber





BIRDLAND MIT DER NEW YORKER ENTDECKUNG JON REGEN STIRBT "BILLY JOEL" NICHT AUS. BEI SEINEM LIVE-KONZERT IN WIEN BEWIES DER ENTERTAINER AUSSERDEM, DASS ER EIN GROSSER JAZZ-PIANIST UND "THE POLICE" - INTERPRET IST. UND SEIN CHARME IST GERADEZU STÜRMISCH

Mit geballter Ladung Präsenz sitzt er hinter seinem Klavier. Bevor er sich wie nebenbei, aber zielsicher "seinen" Tasten widmet, schmettert er einen handfesten Witz von sich. Doch nichts ist bei diesem Mann aufgesetzt, alles strömt als natürliche Energie und Leidenschaft aus ihm heraus. Selbst seine anspruchsvollen Jazz-Soli, die er als Zwischenspiel in seine Blues-Songs einbaut, sind Klangerlebnisse, die mehr aus dem Körper, als aus dem Geist fließen, während er leicht und unsentimental von seinen innersten Sehnsüchten und Gedanken singt. Jon Regen ist schlicht und ergreifend ein Schatz, ein Hitzefeuer an genußsüchtigen Sinnesfreuden.

Diesen Eindruck hinterließ die neueste Entdeckung aus New York mit seinem "The Jon Regen Trio" (Klavier + Gesang: Jon Regen, Bass: PJ Phillips aus GB sprang kurzfristig für Jonathan Sanborn ein, Paul John Miller am Schlagzeug für Eric Addeo) Samstag abend, während seines Konzerts im Wiener Birdland, wo es im Rahmen der Almost Home - Großbritannien - Wien - Italien - Tour stationierte. Doch spielte Regen nicht nur Songs seines bisher größten Einspielerfolgs, sondern auch Neues, das Anfang April 2007 auf seiner Let It Go-CD zu hören sein wird. Dem ihm - trotz interessanterer, da herberer, Stimme - anhaftenden "Billy Joel"-Vergleich wird er darin in Lied-Arrangement und Melodiebau wieder gerecht. Der augenscheinliche Bezug besteht aber eher nur live, wie während des Solo- bzw. Trio-Auftritts zu hören war. Denn die neue CD soll "popiger" nach "The Police" und "Sting" klingen, da sie mit zusätzlichen Instrumenten, Musikern und Stimmen (Ex-The Police-Elektrogitarrist Andy Summers (!), den Sängerinnen Martha Wainwright / Kami Thompson, Schlagzeuger Matt Johnson, Cellistin Julia Kent und Gitarrist Jimmy Vivino) sowie von Produzent Brad Albetta aufgenommen wird, zu dessen Schützlingen Martha Wainwright, Teddy Thompson und der derzeitige Senkrechtstarter Sean Lennon gehören.

Jon Regen birgt allerdings noch viel mehr Facetten in sich. Und das macht ihn so hinreißend: Schon die Zusammenarbeit als Sideman von Jazz-Sängerikone Jimmy Scott und -Bassist Kyle Eastwood läßt erahnen, wieviel technisches Piano-Virtuosentum in ihm stecken mag. Bestätigt wird das in seiner CD Tel Aviv, die der 36-jährige Steinway-Artist-Titelträger 2001 aufgenommen hat.

Jon Regens Liebesodyssee

In einer Zeit exzessiven Tourens 2002/03 fielen Regen die schönsten Liebeslieder ein , die er in einsamen Stunden an seine damalige Freundin (und spätere Ehefrau?) richtete. Jede andere Frau, die sie hört, wünschte, er (= ein Mann) würde ihr Solches sagen: "Hotelbars und Limousinen sind nett, doch ich würde lieber meine Tage mit dir verbringen, als Cocktails mit Fremden zu trinken. Die Weckrufe am frühen Morgen klingen nicht nach dir und riechen nicht wie du. Alles sagt mir, wie weit du von mir entfernt bist.... Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich vermisse, den Geschmack deiner Lippen, die Berührung deiner Fingerspitzen. Wenn du dein Herz offen hältst, verspreche ich, dass ich bei dir bleiben werde." - Dieser Titel Hold-Out Your Heart ist das Eröffnungslied seines Konzerts, worauf später noch rhythmisch beschwingt bis getragen sehnsuchtsvoll Better Than Before, A Hundred Days und I Will Be Here folgen, Gedanken, worin er seine eigene Besserwerdung dank "ihr", sein inneres Ankommen zu "ihr" bekennt, wo er aber auch von der Angst spricht, dass "sie" ihn vielleicht gar nicht mehr wollen könnte. Dass diese Hingabe ihn aber zuvor einen Selbstfindungsprozeß in harter Arbeit durchmachen lassen hat, gibt er 2000 mit der CD Tel Aviv zu, wo er im Song Get Out Of Town meinte: "Verschwinde, du berührst mich zu sehr, also verlasse die Stadt!"

Nach seiner Scheidung befinden sich seine Triebe heute wieder auf rastloser Odyssee: Er beklagt sich während des Konzerts vor einem rockigen Jazz-Klavier-Solo, dass ihn eine Frau wegen eines viel weniger Attraktiven verlassen habe. In The Last Song macht er entgültig Schluß mit "ihr ", doch ist er in It´s All Right By Me auch damit zufrieden, wenn er "sie nur heute Nacht halten kann". Den Titel I Fell in Love With A Lesbian hat er schließlich zu Let It Go umbenannt, wie er larmoyant in der Einleitung erklärt, weil man so einen Titel einfach nicht behalten könne. "Aber das nächste Mal soll so eine doch bitte vor den vielen Abendessen sagen, dass sie lesbisch ist!", fügt er im Nachsatz hinzu... und haut mit Freude in seine Tasten, sodass es eine wahre Freude ist! - Diese traurige Heiterkeit ist die generelle Symbiose aus Texten, Spiel und Performance dieses - wie es scheint - typischen Stier-Geborenen. Wobei die Texte in virtuosen Wendungen auch sprachliche Qualität besitzen.

Von der Selbstreflexion zu "The Police"

In der CD Almost Home bezogen sich die Reflexionen des Jon Regen in erzählerisch poetischer Weise wie in What Am I Supposed To Do From Here auf Entscheidungen, die auch von späterem Standpunkt aus betrachtet noch die Richtigen sind, bzw. in Little One auf liebevolle Ratschläge an ein Kind, sich in Ruhe mit einem Schritt vor dem nächsten zufrieden zu geben, denn die schnelle Welt sei verrückt. Und auf der CD Let It Go denkt er auch politisch: in Better Days ist er "reif für bessere Tage", in Don´t Stop To Believe ruft er dazu auf, "nicht aufzuhören zu glauben", und in I Come Undone widmet er sich einer verstorbenen Freundin.

Scheint Let It Go als CD auch im Klang teilweise nach "The Police" zu klingen, so hat Regen im Live-Programm zwei echte "The Police"-Nummern, die er auf sehr interessante Weise und hochwertig verjazzt. Lediglich die Textzeile How Fragile We Are läßt noch eindeutig das Original erkennen. Mehr von diesem "echten" Jazz würde die Musik insgesamt noch ein bißchen mehr aufwerten - sofern das überhaupt möglich ist. e.o.


DAS URTEIL JON REGEN IST ALS ENTERTAINER EIN FREUDIGES ENERGIEBÜNDEL, ALS TEXTER EIN SENSIBLER GEFÜHLSMENSCH UND ALS JAZZ-PIANIST EIN GROSSER VIRTUOSE. EINE INTERESSANTE MISCHUNG ALSO, DIE SICH HOFFENTLICH NICHT ZU SEHR IN RICHTUNG POP ENTWICKELT, WIE ZULETZT ETWA JAMIE CULLUM. LIVE WAR DAVON GLÜCKLICHERWEISE NICHTS ZU MERKEN. SPRÜHEND!

Auf intimacy: art (www.intimacy-art.com) in artists / talks / visions spricht Jon Regen im O-Ton über seine tatsächliche Einstellung zu Musik und Liebe!


CDs: Tel Aviv 2001 * Almost Home 2004 * Let It Go: erscheint Anfang April 2007 * link: www.jonregen.com

Monday, February 05, 2007

OPER: PETER PAWLIKS "AGRIPPINA" ALS BAROCKE DALLAS-SITCOM

Gelungene Katharsis-Szene mit weißen Bademänteln und ironischem Touch: Claudius (mit der schönsten Stimme des Abends: Bariton Philip Zawisza in der Mitte) verzichtet auf seinen Thron, ganz nach Wunsch seiner intriganten Gattin Agrippina, die ihren Sohn Nero als neuen Kaiser sehen wollte, Foto: © Christian Husar

"Nero(ne)" als Punker: die Sopranistin Marelize Gerber, die zu großen Charakterrollen fähig wäre. Dahinter: die ehrgeizig-intrigante Mutter Agrippina (deutsch-frauig-überzeichnet: Wiebke Huhs), © Christian Husar

Links: Ein Regie-Holperer: Der eitle Ottone wirkt zwar schwul (Armin Gramer), liebt aber Poppea. © Christian Husar
Rechts: Auch Claudio steht eigentlich auf Poppea: Romana Beutel (sexy-elegant und mädchenhaft - zweiteres ist sie auch stimmlich: Romana Beutel), © Christian Husar


KAMMEROPER WIEN WENN LAUTER SCHWUL WIRKENDE MÄNNER MIT EUNUCHEN-STIMMEN FRAUEN LIEBEN, VON DENEN SIE MANIPULIERT WERDEN, IST DAS ENTWEDER UNGLAUBWÜRDIG ODER EINE SITCOM-GROTESKE. ZWEITERES HAT SICH PETER PAWLIK IN SEINER AGRIPPINA-INTERPRETATION ERHOFFT ...

Peter Pawlik ist einer der wenigen Regisseure, der an der Wiener Kammeroper öfter als ein-zweimal inszenieren darf. Anderen sichtlich erfolgreichen Begabungen wäre das ebenfalls zu wünschen... Dass Pawlik jemand ist, an dem man "dran bleiben" soll, war nach seiner Version von John Gays Barockoper Beggar´s Opera klar. Pawlik denkt sehr stark in Details, das macht seine Arbeit interessant. Und seine ständige Bühnenbildnerin Cordelia Matthes steht ihm dabei in Nichts nach: Man staunt und ist berührt, was für einen Aufwand sie für manche Minimalszene leistet, indem sie etwa einen Riesen-Einbaukasten für ein paar Minuten Spielzeit designt, worin sich der geliebte Held kurz versteckt. - Konkret handelt es sich hierbei um Ottones Szene in Agrippina, die neue Barockoper der Kammeroper. - Das Duo Pawlik/Matthes hat sich also wieder bewährt, auch wenn´s diesmal insgesamt nicht so eingeschlagen hat. - Schon da die Regielinie ab der Mitte bricht.

Parodie - gut gemeint, aber...

Dass Pawlik das Ganze parodistisch angeht, ist zunächst stimmig und paßt zu Komponist Georg Friedrich Händel: Die Charaktere der antiken Geschichte strotzen vor satirischen und grotesken Überzeichnungen, was in der Barockzeit, als die Komposition geschrieben wurde, zwar wegen der manieristischen Tradition noch nicht so spöttisch wahrgenommen wurde, heute aber umso dominanter sein mag. In einem Umfeld von lauter Eunuchen (Countertenor)-, Tenor- und Sopranstimmen, wohinter sich große Herrscher und Helden verbergen, besticht aus heutiger Sicht nun mal die Atmosphäre der "Tuntigkeit".

Glaubwürdig realistisch erscheinen nur die Frauencharaktere, die im Mittelalter eher grotesk gewirkt haben mögen. Wenn Agrippina aus Köln - was einst zum römischen Reich gehörte - als Urenkelin des ersten römischen Alleinherrschers Augustus und eigentliche Thronfolgerin, Macht ausüben will und es nur nicht darf, weil sie eine Frau ist, muß sie halt dreimal heiraten, darunter auch ihren Onkel Kaiser Claudius, damit wenigstens ihr Sohn Nero aus erster Ehe den Thron besteigen kann. - Das versteht die Menschheit heute, allein aus Gründen des Mutterstolzes.

"Schwulige" Männer lieben Frauen mehr als Macht

Als es scheint, als wäre Claudio auf der Schiffsreise umgekommen, sieht Agrippina den Zeitpunkt gekommen, den als Punker in Sängerknabenanzug interpretierten Nerone (Sopranistin Marelize Gerber, die in der späteren Mutterloslösungsszene erahnen läßt, dass sie mit ihrem ergreifenden Gesangsausdruck für ganz große Charakterrollen geeignet wäre) als neuen Kaiser auszurufen. Dafür manipuliert Agrippina - der große Widerspruch - die beiden homosexuell wirkenden "Verehrer" Pallante und Narciso - wobei sie (die deutsche Sopranistin Wiebke Huhs) zu offensiv intrigant und unsympathisch spielt, sodass das erst recht eigenartig erscheint. Regisseur Pawlik kompensiert das, wie erwähnt, mit der Parodie, wobei der dann doch zurückkommende Claudio ein ziemlich doofer Jammerlappen ist (obwohl er, dargestellt von Philip Zawisza wieder eine sehr schöne, charakteristische Baritonstimme hat!).

Hinzu kommt, dass all diese (Un-)Männer auf die schöne Poppea stehen - auf Romana Beutel, ein angenehmer Anblick mit mädchen-typisch klarer Sopranstimme. Vor allem der extrem hoch singende, mit Gesichtsmasken hantierende, absolut schwulig-eitle Ottone (Armin Gramer) ist ihr erlegen, dessen Liebe Poppea erwidert (???). Die sich wiederholenden Text- und Musikzeilen der barocken da-capo-Arie nützt Pawlik für ironische Steigerungen, die Handlung läuft zuwider dem Gesangstext und interpretiert ihn spöttisch um. Das ist immer wieder lustig, wird manchmal aber kindisch. Was wohl auf Pawliks Subcharakterisierung bei der Rollengestaltung zurück zu führen ist: Agrippina soll "JR", Ottone "Bobby" und Claudio die "Miss Ellie" aus der amerikanischen 80-Serie Dallas entlehnt sein. - Aber vielleicht ist unsere Fernsehgeneration ja tatsächlich so beklagenswert geschmacklos und verblödelt, dass es schon wieder zynisch treffend ist.

Die ganze Geschichte zieht sich hin, so spaßig und unterhaltsam sie erzählt ist. Irgendwie spürt man, dass selbst Pawlik die Lust an diesem Zugang verliert, denn nach der Pause wirds ganz ernst. Das ist ein Stilbruch mit Langweil-Potential, sodass man sich freut, wenn - nach der typischen Katharsis-Endlosszene - das untypische Ende endlich offenbart ist: Nero bekommt den Thron, auf den Claudio verzichtet. Und Ottone, der ebenfalls auf den Thron spähte, entscheidet sich ausschließlich für die Liebe mit Poppea. Dr. Wild / e.o.


DAS URTEIL REGISSEUR PETER PAWLIK HAT ZUNÄCHST SPASS AN IRONIE, ZYNISMUS, GROTESKE UND DETAILS. LEIDER ZIEHT ER DAS NICHT DURCH. VIELLEICHT WÄRE EINE ERNSTHAFT BAROCK-STILISIERTE INTERPRETATION DOCH BESSER GEWESEN. SEHENSWERT IST DIESE AGRIPPINA ALS MUTIGER ANSATZ ABER SICHER.

Oper Agrippina * Von: Georg Friedrich Händel * Musikalische Leitung: Bernhard Klebel * Inszenierung: Peter Pawlik * Mit: Philip Zawisza, Wiebke Huhs, Marelize Gerber, Romana Beutel, Armin Gramer, Valmar Saar, Gerhard Hafner, Sebastian Huppmann * Mit: Barockorchester der Wiener Kammeroper auf historischen Instrumenten * Ort: Kammeroper Wien *Zeit: 06., 08., 10., 13., 15., 17., 20., 22., 24., 27.2.2007: 19h30

Friday, February 02, 2007

MUSIK + LITERATUR: "DER SEELEN WUNDERLICHES BERGWERK" MIT DEN MORETTIS


Für die Ruhrtriennale mag das Auftragswerk Der Seelen wunderliches Bergwerk noch passender gewesen sein, wie die felsenreichen Szenenfotos zeigen. Aber auch im Theater an der Wien, im Bühnenbild der Idomeneo-Inszenierung war es gerade noch glaubwürdig: dank des starken Tobias Moretti und den virtuosen Musikern von moderntimes.
Fotos: © Ursula Kaufmann/RuhrTriennale 2005, Tobias Moretti & Kammerorchester moderntimes © Armin Bardel 2007



Der Kampf des Urmenschen Moretti mit dem "industriellen Klavier" - Ruhrtriennale und Theater an der Wien im Vergleich: Tobias Moretti & Natalia Grigorieva
© Ursula Kaufmann/RuhrTriennale 2005, © Armin Bardel 2007



THEATER AN DER WIEN EIN MUSIK- UND TEXTEXPERIMENT VON ZEITLOS ARCHAISCHER ELEGANZ UND MENSCHLICHER LEBENSFREUDE: DER SEELEN WUNDERLICHES BERGWERK MIT DEN MORETTIS UND MODERNTIMES


Was hat das Leben dem Menschen zu bieten, zwischen Mittelalter, industrieller Frühzeit und heutiger Computer-Realität? Eines sicher: Dass er "essen, arbeiten und trinken muss - viel trinken, da er nichts anderes tun kann." - So lautet der heitere Schlußsatz von Schauspiel-Star Tobias Moretti, begleitet von seinem narrenhaften Akkordeon-Alter Ego, Siggi Haider. In der szenischen Zeitreise aus Sprache und Musik Der Seelen wunderliches Bergwerk ist das Leben aber zu keiner Zeit leicht, man kann nur immer wieder versuchen, es positiv zu sehen: All die Anhäufung von Äußerem und Privatem, von Willkürtaten und Wunschhandlungen, von Ereignissen und Schicksalhaftem.

Dann soll es sogar geschehen, dass selbst die Kehrseite des Lebens - Tod und Vergänglichkeit - zu zauberhafter, lebendiger Poesie wird, indem sie für den Fortgang steht. Gerade als hätten die Dichter Hebel, Trakl, Heine, Grillparzer, Enzensberger, Rilke und Celan zusammen eine Geschichte verfaßt, obwohl sie doch ursprünglich unabhängige, eigenständige Gedichte und Erzählungen geschrieben hatten, geschweige denn, dass sie einander gekannt hätten. Wachsen ihre Wortgebilde und Satzwandlungen zu Bildern, ist es, als wären sie eins, dann gibt es kein Entrinnen mehr, vor der bindenden Emotion, den wenigen, wichtigen Lebensfragen, die jeden Menschen betreffen.

Die Last des L(i)ebens im Bergwerk

Diese Last des Lebens ist schwer und reich, beginnt rhythmisch und dramatisch mit viel Moll und wenig Dur als Musik des 18. Jahrhunderts von Joseph Martin Kraus, Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn, kraft- und farbvoll gespielt vom ausschließlich aus 15 Streichern und fünf Bläsern bestehenden Kammerorchester moderntimes. Symbolreich lädt Moretti diese Musik durch seinen charismatisch, archaisch und teilweise auch unheimlich "auf allen Vieren kriechend" vorgetragenen Text auf, der von der Idee einer Frau handelt, die ihren Bräutigam verlor und ihn im Alter wieder fand, als vereiste, erhaltene Leiche. Er sieht wie damals aus, als sie ihr Leben mit ihm verbringen wollte. "Was die Erde einmal wieder gegeben hat, wird sie zum zweiten Mal auch nicht behalten", ist ihre hoffnungsvolle Antwort auf ihren Fund, was für nichts anderes steht, als für die ewige Sehnsucht nach der Beständigkeit des Glücks, das stets zu schnell vergeht. - Im harten Zeitalter des "Bergwerks", währte es als "bescheidenes Glück" noch kürzer, wohl war es aber umso intensiver und wertvoller.

Solchen Zeiten daher eine Auflockerung, zustande gebracht mit Dmitrij Shostakowitschs irrem Walzer Nr.2: wie im Karneval geraten die jetzt herumstreunenden Musiker des Kammerorchesters spielend durcheinander, entwurzelt wandern sie umher, während sich die Lautstärken ihrer Instrumente verlagern. Sie suchen nach neuem Halt und finden ihn in der Industriemusik, dem lärmenden Industriezeitalter. Ein Klavier wird rasend schnell herein geschubst, dazu eine puppenhafte Flügelvirtuosin (Natalia Grigorieva), die spielt wie es ihr paßt, mit ihren eigenen, innewohnenden, technischen Gesetzen, da kann der Urmensch Moretti noch so oft die Noten wegziehen und sich an ihr ärgern.

Die Last des L(i)ebens im Industriezeitalter

Doch mit dem nun eis-eleganten Stück Summa aus dem modernen Norden kehrt wieder Ruhe ein. Auf jene zauberhaft entrückte Weise, die dem Namen des Kammerorchester gerecht wird: Komponist Arvo Pärt versetzt alle Vergangenheit ins Jetzt, in schönste Endzeitmusik ohne Ende, in unendliche Ahnung vom Glanz ohne Eitelkeit, in ewiges Loslassen aller Zwänge. Wenn das unsere Moderne sein soll, dann ist sie gut und begehrenswert. Ein erster Moment im Abend, wo sämtliche künstlerische Höhen erreicht sind, wo alles stimmt.

Seinen Fortgang nimmt es in Benjamin Brittens Pan, ein Oboen-Solo von Orchesterleiterin Julia Moretti, die erstmals aus der hinteren Reihe hervor strahlt. Sie spielt vom "Weg des Todes", der leise, lange, beharrlich und unausweichlich ist. "Es ist wahr, dass der Tod die Liebe wie Eis konserviert, der Schmerz wird nicht weniger" - ist die Assoziation ihres Mannes dazu. Stirbt oder entschwindet jemand, den wir liebten, stirbt auch ein Teil von uns, der gleichzeitig durch den Schmerz weiter erlebt werden muss. - Das ist das Los der Bindung und der Liebesentscheidung, die zu allen Zeiten gleich ist. Sie ist verwundbar schön und voller Erinnerung, wie sie nur der großartige Violonist und eigentliche Leader des Musiker-Ensembles, Ilia Korol, in Frank Martins zeitgenössischem Polyptyque, Image de la Chambre Haute wiederzugeben vermag. e.o./r.r.


DAS URTEIL EIN WUNDERBARER ABEND, DER VORGIBT, WIE DAS THEATER AN DER WIEN LANGFRISTIG ERFOLG HABEN WIRD: ALS GESCHMACKVOLLE, MODERNE, HOCHSTEHENDE EXPERIMENTIERSTÄTTE ENGAGIERTER VIRTUOSEN UND KÜNSTLER ALLER KUNSTGATTUNGEN.

Szenische Lesung mit Musik: Der Seelen wunderliches Bergwerk * Mit: moderntimes + Tobias Moretti * Medium: Radio Ö1: Aus dem Konzertsaal * Zeit: 25.2.2007, 19h30