... obwohl das Objekt seiner Begierde Angelica (Eva Mei) in den zart beseiteten Medoro (Bernard Richter) verschossen ist, allerdings nicht so, dass ihre Liebe von vornherein glatt liefe (wie die Tür zwischen ihnen oder die Leiter zeigen)
Der egozentrisch-irrwitzige Pasquale (Markus Schäfer) ist als Mischung zwischen Leporello, Joker und Orlandos doppelagentischem Diener zwar noch weiter von der Liebe entfernt, doch durch einen Zaubertrick findet selbst er noch seinen Deckel. (Fotos: © Armin Bardel)
THEATER AN DER WIEN DIE BAROCKOPER VON JOSEPH HAYDN, ORLANDO PALADINO, WIRD DANK DER TAUSEND SCHICHTEN UND DETAILS VON KEITH WARNER UND NIKOLAUS HARNONCOURT ZUM ERLEBNISKICK
Wenn Hysterie ein Gesicht hat, dann sieht es so aus wie die Inszenierung Orlando Paladino des britischen Starregisseurs Keith Warner im Theater an der Wien. Seit intimacy: art das Geschehen an diesem Haus begleitet, ist diese im wahrsten Sinne des Wortes "wahnsinnige Oper" neben Michael Sturmingers Uraufführung I hate Mozart die bisher einschlagend gelungenste Neuproduktion: Ihr Erfolgsgeheimnis liegt in den theatralen und bühnenoptischen Überraschungen ohne Ende während des gesamten Verlaufs, in den mehrschichtigen Bedeutungsebenen durch die Umsetzung, in der unglaublich guten Besetzung durch die schauspielerisch, charismatisch und sängerisch besten und attraktivsten Darsteller, die es überhaupt zu geben scheint, und natürlich liegt der Erfolg auch im sehr, sehr, sehr feinklanglichen und beschwingten Concentus Musicus Wien mit seinen originalen Barockinstrumenten des sehr, sehr, sehr genial-"hysterischen" Dirigenten Nikolaus Harnoncourt.
Von der Wortwitzverdoppelung ...
Die Synopsis, in der ein liebendes Paar durch einen eifersüchtigen, kampfesheroischen Querbrater gestört wird, sodass eine Zauberin bis zum Gang in die von Charon (Markus Butter) bewachte Unterwelt für Ordnung der Gefühle sorgen muss, klingt eigentlich ziemlich naiv und bis auf die Zauberin auch nach "tausend mal gehört". Was dieses fantastische Team durch verdoppelnde Deutungen aber daraus macht, endet nach mehreren Schichtungen aus Satire, Humor, Brachialwitz im Untergrund in einer grossen Weisheit, und - eben nicht nur konkret am Ende des Stücks - sondern sie schwebt als Big Brother des watchenden Regisseurs Keith Warner über jeder Handlungssekunde. Indem dieser geistreiche Interpret des bereits geistreichen Librettisten Nunziato Porta nach Carlo Francesco Badini und des noch geistreicheren musikalischen Umsetzers Joseph Haydn (1782) (getoppt durch den sicher geistreichsten Harnoncourt) einerseits winzige Details bemerkt und sie heutig ironisch an- und "um"merkt: Sagt zum Beispiel Ritter Orlando, er wolle sich an dieser Quelle erfrischen, so tut er das an einer Schnapsflasche.
... zur Typenumdeutung
Andererseits verfremdet Warner sämtliche klar von einander getrennten "Typen" noch einmal umso klarer: Lobt sich der Kriegsheld Rodomonte (toller Bass Jonathan Lemalu) mit seinen Worten selbst, so zeichnet ihn seine gekonnt witzig-übertriebene Agitation gezielt ins Antiheldentum. Die alles dirigierende Zauberin Alcina (Elisabeth von Magnus) ist Visitenkarten-verteilend in ihrem nüchtern-intellektuellen Kostüm ein unterschwelliges Symbol für die, selbst Gefühle-steuernde Wirtschaftswelt von heute. Der Diener des eifersüchtigen Orlando, Pasquale vermischt sich - der Figur des "Leporello" entnommen - in einem "doppelagentischen" Jokerclown mit weißer Halbmaske. Als solcher hat Markus Schäfer als italienischste und hysterischste Figur (die ganze Oper wird italienisch gesungen) zwei Glanzszenen: Bei Hungergefühlen zeigt er in leicht grindig-sexueller Anspielung seiner späteren Angebeteten beim ersten Kennenlernen die Wurst, bevor er in maßloser Selbstverehrung von seinen Heldentaten prahlt und als Clou unter der Essensglocke einen Heroenhelm findet. Und will er sich bei seiner Geliebten (Juliane Banse) später beweisen, macht er das mittels Dialog mit dem Orchester, indem er sagt, "kein Kastrat singt so schön wie ich", während er sich mit einzelnen Instrumenten matcht, die ihm daraufhin aus dem Orchester - wie etwa die schwarz sonnenbebrillten Bassisten - "antworten".
Und alles umgibt die unheimliche Liebespsyche
Dieser horrende Spaß aus immer wieder neu entwickelter Permanentkarikatur, der vor allem im ersten Teil wirklich durchgehende Spannung hält, wird nun umhüllt von der unheimlichen, übernatürlichen Ebene, die am meisten von Karl Alfred Schreiners subtil und "straight" choreografierten Diener-Tänzern in schwarzen Skeletttricots hervor gerufen wird. Sie steht letztendlich auch für die "Liebe". Denn glatt läuft in diesen Lieben nichts. Nicht einmal die beiden offiziellen Turteltauben, Angelica und Medoro, erleben ihre rosa Wolke. Obwohl Medoro ein - wenn auch sehr hübsches - emotionales "Weichei" (der sehr leidenschaftlich und schön singende Bernard Richter) ist, balanciert ihre jeweils innere Gefühlsharmonie zuerst noch auf Leuchtturm-mit-Leiter-entfernter Probe, sodass sie sich Liebesbriefe per Flugzettel zuschießen müssen.
Wiederkehrende Karrussel- und Hochschaubahn-Verfremdungen im durchgehend originellen, neuartigen - wie die Regie mit viel Britenwitz versehenen - lichtakzentuierten Bühnenbild von Ashley Martin-Davis vermitteln diese Unsicherheit innerhalb der Sehnsucht nach Glanz zusätzlich noch. Und dass Orlando (ebenfalls ein Alpha-Sänger: Kurt Streit) als liebesbesessener Negativtyp irritiert, der eigentlich als absolut männlicher Feschak das typische Objekt der Begierde wäre, liegt auf der Hand. Sämtliche Liebeskandidaten müssen sich ihre Liebe durch mentale Qualen also erst verdienen: durch zweiseitige Türen, in denen sie sich wie im Spiegelkabinett mit sich selbst konfrontieren oder sie sich durch un/passende Türen zwängen.
Das Einzige, was tatsächlich für die pure, erstrebenswerte Liebe steht, steckt durchgehend im Gesang von Angelica, der sicher wundervollsten Sängerin des Abends, mit lyrisch-klarer Stimme: Eva Mei - sie rührt mehrmals bis ins nüchternste Herz. Und ihr Gesang steht am Ende auch für die Weisheit: Treue und Glück bekommen nur die, die wieder lieben, wer sie liebt. e.o.
Wenn Hysterie ein Gesicht hat, dann sieht es so aus wie die Inszenierung Orlando Paladino des britischen Starregisseurs Keith Warner im Theater an der Wien. Seit intimacy: art das Geschehen an diesem Haus begleitet, ist diese im wahrsten Sinne des Wortes "wahnsinnige Oper" neben Michael Sturmingers Uraufführung I hate Mozart die bisher einschlagend gelungenste Neuproduktion: Ihr Erfolgsgeheimnis liegt in den theatralen und bühnenoptischen Überraschungen ohne Ende während des gesamten Verlaufs, in den mehrschichtigen Bedeutungsebenen durch die Umsetzung, in der unglaublich guten Besetzung durch die schauspielerisch, charismatisch und sängerisch besten und attraktivsten Darsteller, die es überhaupt zu geben scheint, und natürlich liegt der Erfolg auch im sehr, sehr, sehr feinklanglichen und beschwingten Concentus Musicus Wien mit seinen originalen Barockinstrumenten des sehr, sehr, sehr genial-"hysterischen" Dirigenten Nikolaus Harnoncourt.
Von der Wortwitzverdoppelung ...
Die Synopsis, in der ein liebendes Paar durch einen eifersüchtigen, kampfesheroischen Querbrater gestört wird, sodass eine Zauberin bis zum Gang in die von Charon (Markus Butter) bewachte Unterwelt für Ordnung der Gefühle sorgen muss, klingt eigentlich ziemlich naiv und bis auf die Zauberin auch nach "tausend mal gehört". Was dieses fantastische Team durch verdoppelnde Deutungen aber daraus macht, endet nach mehreren Schichtungen aus Satire, Humor, Brachialwitz im Untergrund in einer grossen Weisheit, und - eben nicht nur konkret am Ende des Stücks - sondern sie schwebt als Big Brother des watchenden Regisseurs Keith Warner über jeder Handlungssekunde. Indem dieser geistreiche Interpret des bereits geistreichen Librettisten Nunziato Porta nach Carlo Francesco Badini und des noch geistreicheren musikalischen Umsetzers Joseph Haydn (1782) (getoppt durch den sicher geistreichsten Harnoncourt) einerseits winzige Details bemerkt und sie heutig ironisch an- und "um"merkt: Sagt zum Beispiel Ritter Orlando, er wolle sich an dieser Quelle erfrischen, so tut er das an einer Schnapsflasche.
... zur Typenumdeutung
Andererseits verfremdet Warner sämtliche klar von einander getrennten "Typen" noch einmal umso klarer: Lobt sich der Kriegsheld Rodomonte (toller Bass Jonathan Lemalu) mit seinen Worten selbst, so zeichnet ihn seine gekonnt witzig-übertriebene Agitation gezielt ins Antiheldentum. Die alles dirigierende Zauberin Alcina (Elisabeth von Magnus) ist Visitenkarten-verteilend in ihrem nüchtern-intellektuellen Kostüm ein unterschwelliges Symbol für die, selbst Gefühle-steuernde Wirtschaftswelt von heute. Der Diener des eifersüchtigen Orlando, Pasquale vermischt sich - der Figur des "Leporello" entnommen - in einem "doppelagentischen" Jokerclown mit weißer Halbmaske. Als solcher hat Markus Schäfer als italienischste und hysterischste Figur (die ganze Oper wird italienisch gesungen) zwei Glanzszenen: Bei Hungergefühlen zeigt er in leicht grindig-sexueller Anspielung seiner späteren Angebeteten beim ersten Kennenlernen die Wurst, bevor er in maßloser Selbstverehrung von seinen Heldentaten prahlt und als Clou unter der Essensglocke einen Heroenhelm findet. Und will er sich bei seiner Geliebten (Juliane Banse) später beweisen, macht er das mittels Dialog mit dem Orchester, indem er sagt, "kein Kastrat singt so schön wie ich", während er sich mit einzelnen Instrumenten matcht, die ihm daraufhin aus dem Orchester - wie etwa die schwarz sonnenbebrillten Bassisten - "antworten".
Und alles umgibt die unheimliche Liebespsyche
Dieser horrende Spaß aus immer wieder neu entwickelter Permanentkarikatur, der vor allem im ersten Teil wirklich durchgehende Spannung hält, wird nun umhüllt von der unheimlichen, übernatürlichen Ebene, die am meisten von Karl Alfred Schreiners subtil und "straight" choreografierten Diener-Tänzern in schwarzen Skeletttricots hervor gerufen wird. Sie steht letztendlich auch für die "Liebe". Denn glatt läuft in diesen Lieben nichts. Nicht einmal die beiden offiziellen Turteltauben, Angelica und Medoro, erleben ihre rosa Wolke. Obwohl Medoro ein - wenn auch sehr hübsches - emotionales "Weichei" (der sehr leidenschaftlich und schön singende Bernard Richter) ist, balanciert ihre jeweils innere Gefühlsharmonie zuerst noch auf Leuchtturm-mit-Leiter-entfernter Probe, sodass sie sich Liebesbriefe per Flugzettel zuschießen müssen.
Wiederkehrende Karrussel- und Hochschaubahn-Verfremdungen im durchgehend originellen, neuartigen - wie die Regie mit viel Britenwitz versehenen - lichtakzentuierten Bühnenbild von Ashley Martin-Davis vermitteln diese Unsicherheit innerhalb der Sehnsucht nach Glanz zusätzlich noch. Und dass Orlando (ebenfalls ein Alpha-Sänger: Kurt Streit) als liebesbesessener Negativtyp irritiert, der eigentlich als absolut männlicher Feschak das typische Objekt der Begierde wäre, liegt auf der Hand. Sämtliche Liebeskandidaten müssen sich ihre Liebe durch mentale Qualen also erst verdienen: durch zweiseitige Türen, in denen sie sich wie im Spiegelkabinett mit sich selbst konfrontieren oder sie sich durch un/passende Türen zwängen.
Das Einzige, was tatsächlich für die pure, erstrebenswerte Liebe steht, steckt durchgehend im Gesang von Angelica, der sicher wundervollsten Sängerin des Abends, mit lyrisch-klarer Stimme: Eva Mei - sie rührt mehrmals bis ins nüchternste Herz. Und ihr Gesang steht am Ende auch für die Weisheit: Treue und Glück bekommen nur die, die wieder lieben, wer sie liebt. e.o.
DAS URTEIL FÜR SOLCHE GLANZMOMENTE LEBT EIN KRITIKER: ETWAS GEISTREICHERES UND KÜNSTERLISCHERES GIBT ES NICHT, ALS DIESE HYSTERISCH-GENIALE, HEUTIGE BAROCK-INTERPRETATION IN HÖCHSTER GESANGS- UND MUSIKQUALITÄT MIT NIE ENDENDEN ÜBERRASCHUNGSDETAILS. EIN ECHTES GESAMTKUNSTWERK!
OPER Orlando Paladino * Von: Joseph Haydn * Regie: Keith Warner * Dirigat: Nikolaus Harnoncourt * Mit: Concentus Musicus * Bühne: Ashley Martin-Davis * Choreografie: Karl Alfred Schreiner * Mit: Kurt Streit, Eva Mei, Bernard Richter, Jonathan Lemalu, Juliane Banse, Markus Schäfer, Elisabeth von Magnus, Bernhard Berchtold, Markus Butter + Tanzensemble * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 29.11.2007: 19h
OPER Orlando Paladino * Von: Joseph Haydn * Regie: Keith Warner * Dirigat: Nikolaus Harnoncourt * Mit: Concentus Musicus * Bühne: Ashley Martin-Davis * Choreografie: Karl Alfred Schreiner * Mit: Kurt Streit, Eva Mei, Bernard Richter, Jonathan Lemalu, Juliane Banse, Markus Schäfer, Elisabeth von Magnus, Bernhard Berchtold, Markus Butter + Tanzensemble * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 29.11.2007: 19h