Wednesday, November 28, 2007

OPER: UMWERFENDER "ORLANDO PALADINO" VON KEITH WARNER & HARNONCOURT

Der karikierte Antiheld Orlando (Kurt Streit) ist von der Liebe und damit vom geisterhaften Wahnsinn der bösen Unterwelt (die Tänzer) besessen ...

... obwohl das Objekt seiner Begierde Angelica (Eva Mei) in den zart beseiteten Medoro (Bernard Richter) verschossen ist, allerdings nicht so, dass ihre Liebe von vornherein glatt liefe (wie die Tür zwischen ihnen oder die Leiter zeigen)

Der egozentrisch-irrwitzige Pasquale (Markus Schäfer) ist als Mischung zwischen Leporello, Joker und Orlandos doppelagentischem Diener zwar noch weiter von der Liebe entfernt, doch durch einen Zaubertrick findet selbst er noch seinen Deckel. (Fotos: © Armin Bardel)


THEATER AN DER WIEN DIE BAROCKOPER VON JOSEPH HAYDN, ORLANDO PALADINO, WIRD DANK DER TAUSEND SCHICHTEN UND DETAILS VON KEITH WARNER UND NIKOLAUS HARNONCOURT ZUM ERLEBNISKICK

Wenn Hysterie ein Gesicht hat, dann sieht es so aus wie die Inszenierung Orlando Paladino des britischen Starregisseurs Keith Warner im Theater an der Wien. Seit intimacy: art das Geschehen an diesem Haus begleitet, ist diese im wahrsten Sinne des Wortes "wahnsinnige Oper" neben Michael Sturmingers Uraufführung I hate Mozart die bisher einschlagend gelungenste Neuproduktion: Ihr Erfolgsgeheimnis liegt in den theatralen und bühnenoptischen Überraschungen ohne Ende während des gesamten Verlaufs, in den mehrschichtigen Bedeutungsebenen durch die Umsetzung, in der unglaublich guten Besetzung durch die schauspielerisch, charismatisch und sängerisch besten und attraktivsten Darsteller, die es überhaupt zu geben scheint, und natürlich liegt der Erfolg auch im sehr, sehr, sehr feinklanglichen und beschwingten Concentus Musicus Wien mit seinen originalen Barockinstrumenten des sehr, sehr, sehr genial-"hysterischen" Dirigenten Nikolaus Harnoncourt.

Von der Wortwitzverdoppelung ...

Die Synopsis, in der ein liebendes Paar durch einen eifersüchtigen, kampfesheroischen Querbrater gestört wird, sodass eine Zauberin bis zum Gang in die von Charon (Markus Butter) bewachte Unterwelt für Ordnung der Gefühle sorgen muss, klingt eigentlich ziemlich naiv und bis auf die Zauberin auch nach "tausend mal gehört". Was dieses fantastische Team durch verdoppelnde Deutungen aber daraus macht, endet nach mehreren Schichtungen aus Satire, Humor, Brachialwitz im Untergrund in einer grossen Weisheit, und - eben nicht nur konkret am Ende des Stücks - sondern sie schwebt als Big Brother des watchenden Regisseurs Keith Warner über jeder Handlungssekunde. Indem dieser geistreiche Interpret des bereits geistreichen Librettisten Nunziato Porta nach Carlo Francesco Badini und des noch geistreicheren musikalischen Umsetzers Joseph Haydn (1782) (getoppt durch den sicher geistreichsten Harnoncourt) einerseits winzige Details bemerkt und sie heutig ironisch an- und "um"merkt: Sagt zum Beispiel Ritter Orlando, er wolle sich an dieser Quelle erfrischen, so tut er das an einer Schnapsflasche.

... zur Typenumdeutung

Andererseits verfremdet Warner sämtliche klar von einander getrennten "Typen" noch einmal umso klarer: Lobt sich der Kriegsheld Rodomonte (toller Bass Jonathan Lemalu) mit seinen Worten selbst, so zeichnet ihn seine gekonnt witzig-übertriebene Agitation gezielt ins Antiheldentum. Die alles dirigierende Zauberin Alcina (Elisabeth von Magnus) ist Visitenkarten-verteilend in ihrem nüchtern-intellektuellen Kostüm ein unterschwelliges Symbol für die, selbst Gefühle-steuernde Wirtschaftswelt von heute. Der Diener des eifersüchtigen Orlando, Pasquale vermischt sich - der Figur des "Leporello" entnommen - in einem "doppelagentischen" Jokerclown mit weißer Halbmaske. Als solcher hat Markus Schäfer als italienischste und hysterischste Figur (die ganze Oper wird italienisch gesungen) zwei Glanzszenen: Bei Hungergefühlen zeigt er in leicht grindig-sexueller Anspielung seiner späteren Angebeteten beim ersten Kennenlernen die Wurst, bevor er in maßloser Selbstverehrung von seinen Heldentaten prahlt und als Clou unter der Essensglocke einen Heroenhelm findet. Und will er sich bei seiner Geliebten (Juliane Banse) später beweisen, macht er das mittels Dialog mit dem Orchester, indem er sagt, "kein Kastrat singt so schön wie ich", während er sich mit einzelnen Instrumenten matcht, die ihm daraufhin aus dem Orchester - wie etwa die schwarz sonnenbebrillten Bassisten - "antworten".

Und alles umgibt die unheimliche Liebespsyche

Dieser horrende Spaß aus immer wieder neu entwickelter Permanentkarikatur, der vor allem im ersten Teil wirklich durchgehende Spannung hält, wird nun umhüllt von der unheimlichen, übernatürlichen Ebene, die am meisten von Karl Alfred Schreiners subtil und "straight" choreografierten Diener-Tänzern in schwarzen Skeletttricots hervor gerufen wird. Sie steht letztendlich auch für die "Liebe". Denn glatt läuft in diesen Lieben nichts. Nicht einmal die beiden offiziellen Turteltauben, Angelica und Medoro, erleben ihre rosa Wolke. Obwohl Medoro ein - wenn auch sehr hübsches - emotionales "Weichei" (der sehr leidenschaftlich und schön singende Bernard Richter) ist, balanciert ihre jeweils innere Gefühlsharmonie zuerst noch auf Leuchtturm-mit-Leiter-entfernter Probe, sodass sie sich Liebesbriefe per Flugzettel zuschießen müssen.

Wiederkehrende Karrussel- und Hochschaubahn-Verfremdungen im durchgehend originellen, neuartigen - wie die Regie mit viel Britenwitz versehenen - lichtakzentuierten Bühnenbild von Ashley Martin-Davis vermitteln diese Unsicherheit innerhalb der Sehnsucht nach Glanz zusätzlich noch. Und dass Orlando (ebenfalls ein Alpha-Sänger: Kurt Streit) als liebesbesessener Negativtyp irritiert, der eigentlich als absolut männlicher Feschak das typische Objekt der Begierde wäre, liegt auf der Hand. Sämtliche Liebeskandidaten müssen sich ihre Liebe durch mentale Qualen also erst verdienen: durch zweiseitige Türen, in denen sie sich wie im Spiegelkabinett mit sich selbst konfrontieren oder sie sich durch un/passende Türen zwängen.
Das Einzige, was tatsächlich für die pure, erstrebenswerte Liebe steht, steckt durchgehend im Gesang von Angelica, der sicher wundervollsten Sängerin des Abends, mit lyrisch-klarer Stimme: Eva Mei - sie rührt mehrmals bis ins nüchternste Herz. Und ihr Gesang steht am Ende auch für die Weisheit: Treue und Glück bekommen nur die, die wieder lieben, wer sie liebt. e.o.


DAS URTEIL FÜR SOLCHE GLANZMOMENTE LEBT EIN KRITIKER: ETWAS GEISTREICHERES UND KÜNSTERLISCHERES GIBT ES NICHT, ALS DIESE HYSTERISCH-GENIALE, HEUTIGE BAROCK-INTERPRETATION IN HÖCHSTER GESANGS- UND MUSIKQUALITÄT MIT NIE ENDENDEN ÜBERRASCHUNGSDETAILS. EIN ECHTES GESAMTKUNSTWERK!

OPER Orlando Paladino * Von: Joseph Haydn * Regie: Keith Warner * Dirigat: Nikolaus Harnoncourt * Mit: Concentus Musicus * Bühne: Ashley Martin-Davis * Choreografie: Karl Alfred Schreiner * Mit: Kurt Streit, Eva Mei, Bernard Richter, Jonathan Lemalu, Juliane Banse, Markus Schäfer, Elisabeth von Magnus, Bernhard Berchtold, Markus Butter + Tanzensemble * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 29.11.2007: 19h

Tuesday, November 27, 2007

MUSIK: DER FÜR JÄRVI EINGESPRUNGENE ROSSEN GERGOV BEI "ALL THAT TANGO"

Sprang weniger theatral und kontrastrhythmisch als emotional auswägend für Järvi ein: der junge bulgarische Dirigent Rossen Gergov (Foto © Daniele Panato)










Mit dem niederländischen Bandoneon-Spieler und -Komponist Carel Kraayenhof fand er daher zu einer sehr romantikgeladenen Gefühlswelt um Piazzolla (Foto © Carel Kraayenhof)


WIENER MUSIKVEREIN ZUM AUFTAKT DER DREITEILIGEN PLUGGED-IN-SERIE ERSETZTE ROSSEN GERGOV KURZFRISTIG KRISTJAN JÄRVI ALS DIRIGENT DER TONKÜNSTLER NIEDERÖSTERREICH - MIT ZWIESPÄLTIGER QUALITÄT

Das Tonkünstler Orchester Niederösterreich hätte Mitte November eigentlich mit seinem Chefdirigenten Kristjan Järvi die vielversprechende, dreiteilige "Plugged-In"-Serie starten sollen, die Neues mit Tradtionellem verbindet, indem sie nicht nur aus fremden Kulturen schöpft, sondern sich auch musikalisch mit dem Jazz verbindet. Nun, Järvi selbst sagte ab (wieder einmal, da er offensichtlich vorab - auch für Außenstehende klar ersichtlich - zu häufig eingeplant ist!) und schickte dafür seinen Assistenz-Dirigenten, den blutjungen Bulgaren Rossen Gergov (26) unter dem Motto Nummer 1 All That Tango in den Wiener Musikverein. Mit dem Resultat: der Protegé des Musikdirektors der Wiener Staatsoper, Dirigent Seiji Ozawa, meisterte das vielfältige Programm mit vielfältiger Qualität: von erlebt bis verhalten-unpersönlich, somit von sehr gut bis fast schlecht.

Zartes Feingefühl statt Rhythmik im Blut

Abgesehen davon, dass der junge Mann - von noch zarterer und kleinerer Gestalt als Järvi - in Sachen Showleading (Entertaining) noch viel üben muss, damit er an Ausstrahlung gewinnt, geschweige denn, dass seine verbalen Ansagen zu verstehen wären, ist sein visuelles Erscheinungsbild auch beim Dirigieren kaum aufregend. Was an optischer Theatralität fehlt, ist denn auch im musikalischen Wiederhall zu beanstanden, und zwar bei ganz bestimmten Komponisten und Werken: Strawinskis Ragtime fehlte jeder Schalk, jede Erzählkraft, die in diesem genialen Stück so wichtig wäre, damit es auch wirklich stimmig ankommt. Gergov dirigiert es zaghaft und lyrisch, leise und ungebunden, zu sehr aus dem Kopf statt aus dem Körper. (Beispiel für eine gelungene Version wäre dagegen die CD von Kristjan Järvis Vater, Neeme Järvi, mit dem Royal Scottish National Orchestra, Chandos Records, 1994!) - Das war die schwächste Interpretation des Abends, und als sechstes Stück ließ es die Frage offen, ob dieser junge Mann überhaupt noch ins Schwitzen kommen würde, obwohl er Strawiniskis beabsichtigt "halbfalschen" Tango für Orchester mit raffinierter Einzelinstrumentation wie Oboen- oder fünf Klarinetten-Passagen interessant anmuten liess und Frank Zappas Be-Bop Tango mit Pauken-Schlagzeug und Harven-Sensation zivilisiert umgesetzt hatte, sodass immerhin die Musiker lautstark durcheinander lachten und die Trompete unterhaltsam hinein plärrte.

Dass das Konzert aber dann doch sehr schön wurde, lag nicht an Gergovs rhythmischem und theatralem Schweiß, sondern an seiner Fähigkeit zur gefühlsmäßig-erlebten Wiedergabe. Sie traf sich bestens mit dem Stargast des Abends, Bandoneon- und Piazzolla-Virtuose Carel Kraayenhof aus den Niederlanden. Die Sinnlichkeit von Astor Piazzollas weltberühmten Titeln führten beide - mit auffällig einfühlsamer Unterstützung des Pianisten Sebastian van Delft - in eine Dimension, die die Zuhörer ins (liebes)filmische Erleben bei tiefster Wehmut versetzte. Selbst wenn sich manch einer denken mochte: "Dass Frank Zappa sich zeitlebens ein Orchester für die Umsetzung seiner Rockmusik wünschte, mag stimmen, ob sich das aber auch ein Piazzolla gewünscht hat?" - Denn das Sperrige, Erdige, Rohe seiner widersprüchlichen und variationsreichen Musik ist hier der puren Romantik gewichen. Aber wie gesagt - immerhin sprang ein Gefühl rüber, das von etwas epochal Erzähltem, und das ist bei einem Konzert das Wichtigste! e.o./r.r.


DAS URTEIL AN CHARISMA UND THEATRALITÄT FEHLT´S DEM JUNGEN ROSSEN GERGOV NOCH. WAS ER DAFÜR HAT, IST EIN FEINES EMOTIONALES GESPÜR FÜR ROMANTIK.

Nächste "Plugged-In"-Konzerte:
A Night in Tunisia * Mit: Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, Dhafer Youssef (Gesang und Oud), Wolfgang Muthspiel (E-Gitarre) * Dirigent: Kristjan Järvi * Ort: Musikverein, Großer Saal * Zeit: 7. 2. 2008: 20h30
Jazzland * Mit: Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, James Morrison (Trompete) * Dirigent: Kristjan Järvi * Ort: Musikverein, Großer Saal * Zeit: 9. 4. 2008: 20h30 Uhr

Sunday, November 25, 2007

MUSIK: JULIA KENT UND BEN WEAVER WECKEN VERLORENE GEFÜHLE

Julia Kent, die auch bei Jon Regen spielt, wurde als Solistin mit eigenem Klang im WUK praktisch überquatscht ...

Ben Weaver hatte mit seiner typischen Trendmusik die völlige Aufmerksamkeit des jungen Publikums. - Das wegen der geschäftigen Bewerbungspraxis leider fehlgesteuert wird!


WUK US-CELLISTIN JULIA KENT WURDE EIN OPFER DER BEWORBENEN MASSENBEWEGUNG DER JUGENDKULTUR: WEIL ALLE AUF DEN KANADISCHEN SINGERSONGWRITER BEN WEAVER WARTETEN, ÜBERSAHEN SIE IHRE QUALITÄT

Es ist immer wieder erstaunlich zu entdecken: Je mehr Kunst, Kultur, Theater, Tanz, Musik, ... man besucht und miteinander vergleicht, desto mehr wird man sich bewußt, dass den individuellen Betrachter nicht unbedingt das Kunstfertigste oder in sich geschlossenste Werk am meisten berührt, so dass es danach noch in ihm arbeitet, sondern das, was ihn selbst, einschließlich seiner Schwächen und Erinnerungen des Scheiterns, am meisten entspricht. Ein Kritiker sollte sich deshalb von sich selbst distanzieren und auf Fakten besinnen, weil ihm sonst nur fünf Prozent allen Vorgeführten tatsächlich gefiele: andererseits liest man genau deshalb so viel Abgeschriebenes, rein Beschreibendes oder Gebrauch-Geschriebenes, das im Groben schon mehrmals woanders zu lesen gewesen schien. - Wenn man für´s Kritiken schreiben bezahlt wird, passiert es also aus dem dienenden Rollenverständnis heraus, und so dirigiert letztendlich die "Worthülse" das Geschehen. Weil´s eben auch ein Geschäft ist. Bestes Beispiel dafür zeigen die Ergebnisse bei der Suche nach speziellen Kritiken über Google. Bis man hier eine ehrliche Meinung findet, wird man wahrscheinlich bis Seite 20 gelangen... Gleichzeitig zeigt es, dass zu viele - Slogans von einander kopierende - Kultur-Werbetreibende (ohne echtem Interesse für die von ihnen beschriebene Kunst) tätig sind, die jene, die sich die Mühe machen, sich mit einem Künstler oder Werk tatsächlich auseinander zu setzen, verdecken. Mit einem Wort, im Internet entwickelt sich dasselbe Phänomen wie zuvor in der massenmedialen Print- und Fernsehlandschaft: indem das mengenmächtige Oberflächliche, der Ankündigungsjournalismus, das rare Originäre aussticht.

Wie Werbung edle Einzelgänger aussticht

Beim Ben-Weaver-Konzert im Wiener WUK nun, das von der Solo-Cellistin Julia Kent eingeleitet wurde, erlebt man denselben Effekt auch live. Abgesehen davon, dass hier der Sog der Jugendkultur mitschwingt, wo die oberflächliche Massenbegeisterung gegenüber einer Sache so schnell entsteht wie sie vergeht. Obendrein fällt einem die damit einhergehende Verlogen- und Verlorenheitsatmosphäre der eigenen Jugendzeit wieder ein, die man als Erwachsener längst hinter sich glaubte.

Voraus geschickt sei an dieser Stelle, dass die Kritikerin dieses Konzert primär besuchte, weil sie vom New Yorker Blues-Jazz-Singersongwriter Jon Regen restlos begeistert ist - von der Atmosphäre seiner Persönlichkeit bis zu Musik und Texten - weil er eben - rein gefühlsmäßig - sehr viel mit ihrer Befindlichkeit und Erfahrung gemein zu haben scheint. Weil also in seiner CD Julia Kent die Cello-Begleitung verantwortete, und ihr elektronisches Solo-Spiel nach einem ersten Check auf My Space noch einmal anders und interessant klingt, ging sie auf dieses Konzert (mit der Hoffnung, dass dieser Ben Weaver vielleicht auch etwas vom sehr eigenständigen Jon Regen haben möge).

Die Mode der Jugend-Verlorenheit

Da steht man also, in einem dunklen Raum, während die einsame Julia Kent spielt, erahnt die vielleicht acht Zuhörer, die aufmerksam zuhören und die zwanzig Schatten im Hintergrund, die laut schwatzend stören. Dieser Frau, die hier als Häuflein Elend ihre Nummern herunter spult, weil sie die Ignoranz gegenüber ihres Stils in dieser Stätte total mitkriegt, entzieht das Publikum die Anerkennung, die ihr aufgrund ihres Könnens gebührte. Ein Stil, der nicht nur fachlich anspruchsvoll ist, sondern auch emotional berührend wäre, würde die Haltung der Musikerin mit 0-Show-Effekt nicht mit jedem doch so schön gespielten Ton sagen: "Eigentlich würde ich am liebsten im Erdboden versinken." - Julia Kent ist ein Opfer der massenmedialen Bewerbung dieses Konzerts, die allein Ben Weaver diente, der eine gänzlich andere - jugend-mainstream-akurate - Musik macht. Dabei würde ihre, in der technischen Handhabe aufregend zu beobachtende Musik mit dem klassischen Cello, das mit Elektronik, Loop, Verstärkung und Verzerrung, modern verfremdet ist, in minimalistischen Wiederholungsmotiven und Klang bestens zur Jugend passen. Leider ist die Jugend "als Menge" aber nicht in der Lage, das zu registrieren, weil sie schlichtweg mainstreamorientiert gesteuert ist, was auf nichts anderem fußt, als auf dem emotionalen Drang nach Zusammengehörigkeit.

Alleweltsdarlinge für Alleweltsmenschheit

Nein, die Jugend akzeptiert den Trauerflor des Verlorenseins erst bei Weaver, der mit seiner Band aus Schlagzeug, zwei Streichern (eine davon Kent) und sich selbst an Syntheziser oder Gitarre, etwas Bekanntes zwischen Tom Waits und Leonard Cohen repäsentiert. Zugegeben, seine Show und Freude beim Spielen, nimmt das Publikum gleich gefangen, sodass nun niemand mehr von den jetzt fünfzig Zuhörern quatscht. Und doch spielt sich in der Kritikerin genau das ab, was sie schon als Jugendliche, als sie mit Freunden zu Konzerten ging, erlebte: eine insgeheime Aversion gegen diesen durchgehenden Druck, etwas gut finden zu müssen, weil es scheinbar alle mögen. Selbst wenn es als Musik mit Variationsweisen wie durch ein neuartigstes elektronisches Luftstreichinstrument in sich Qualitäten hat - Weavers Klangfarbe ist so eindeutig einzuordnen, dass es reiner Massenware entspricht. So viel Persönlichkeit und sprachfertig tiefgründige Worte er zu liefern scheint, so reicht es dennoch nicht, sich nach dem Konzert damit näher auseinander setzen zu wollen. Es geht um Liebe, um Orientierungslosigkeit, um Kälte, um Angst. - Jugendgefühle eben. - Das Problem dabei aber ist, dass es ein pauschales Lebensgefühl aus Prinzip zu beschreiben scheint, weil dieser Mensch, Ben Weaver, letztlich als Typ ebenfalls etwas repräsentiert, das man in seiner Jugend als "zu pauschal" kennen gelernt und bereits abgelegt hat.

Es könnte auch sein, dass er als Mann, zusätzlich und ehrlicherweise - obwohl an-sich sympathisch -, unattraktiv auf die Kritikerin wirkt. Das sei vollständigkeitshalber angefügt. Bei diesem Detail merkt man jedoch wieder, was nicht alles bei der U-Musik vom Sänger bis zum Klang mitspielen muss, damit eine Darbietung tatsächlich bewegt ... wobei aber auch dann prinzipiell gilt: einen typischen Alleweltsdarling wird nur der attraktiv finden, wer sich selbst zur Alleweltsmenschheit zählen kann - und als solcher hätte man es wahrscheinlich leichter im Leben... echt mißmutig gesagt (weil es der Vielfalt der Kultur und der Menschheit entgegen läuft)! e.o.


DAS URTEIL INDIVIDUALISTEN BEVORZUGEN JULIA KENT VOR BEN WEAVER - SELBST WENN ER DER SYMPATHISCHERE SHOWMAN IST ALS SIE.

Link zu Julia-Kent-Musik
Link zu Ben-Weaver-Musik

Saturday, November 24, 2007

THEATER: MICHAEL SCHOTTENBERGS BRAUNES "EINEN JUX WILL ER SICH MACHEN"

Trotz Beförderung schließt Weinberl (Andreas Vitásek) den ihm anvertrauten Laden zu, und macht er sich heimlich mit dem Lehrbub Christoph (Katharina Straßer) auf, um in der Stadt etwas zu erleben...

... er erlebt dabei einen teuer-erkauften Jux, wie eine dicke Frau; und das Publikum erlebt Vitáseks stimmig-bewegten Couplets á la Vaudeville-Herr-Karl.

Im braunen, immerhin rhythmischen Klischeewitz sind Vitásek, Straßer und Erwin Ebenbauer als Melchior echt führende Originale, sodass ein Hitler eigentlich überflüssig wäre ... (Fotos © Lalo Jodlbauer)


VOLKSTHEATER MICHAEL SCHOTTENBERG BETTET NESTROYS EINEN JUX WILL ER SICH MACHEN ZWISCHEN HERRN-KARL-VAUDEVILLE UND BRAUNER BRETTERGESELLSCHAFT

Weiss man, dass Johann Nepomuk Nestroy zu seiner Zeit (1801-1862) der politisch-gesellschaftliche Satiriker schlechthin war, der mit desillusionierend-aggressiver Lokalposse die biedermeierliche Idylle und den Metternichschen Zensurstaat veräppelte, so weiss man auch, dass das in die heutige Zeit nicht leicht zu übertragen ist. Selbst wenn die Wiener (Österreicher?) an-sich noch immer ein altertümliches Völkchen sind, das sich gerne an Traditionen erinnert und in der Breite auch danach lebt. Was allerdings völlig veraltet ist, sind amouröse Heimlichkeiten und heimliches Schwänzen in der Arbeit. - Denn das wird heute ja seit dem enttabuisierten Seitensprung durch die Presse und des - dank Gewerkschaft - ritualisierten Krankenstands gelebt. Somit wäre wohl Nestroys Stück Einen Jux will er sich machen hinfällig, das sich nur um diese beiden Kernthemen dreht. Regisseur Michael Schottenberg hat sich im Volkstheater dennoch des Juxes mit eigener Textfassung angenommen, allerdings weniger mit Jux als mit dem Trumpf dreier toller Schauspieler in ansonsten mäßig spaßigem Umfeld.

Hitler in spaßigem Mittelmaß

Das Mäßige fängt schon mit einem banalen Klischee an, nämlich die Zeitkritik von heute - richtig erraten, denn das ist ja Schottenbergs Steckenpferd - in die Naziwelt zu betten. Der Querverweis wäre an sich nicht so schlimm, ein bißchen arg ist aber, "wie das geschieht". Da wäre einmal die durchgehende Farbe "Braun", vom Bühnenbild bis zum kleinsten Kostüm von Erika Navas - was kann denn diese arme Farbe für diese Ideologie? Da wäre als Nächstes die von Hans Kudlich gezimmerte Bretterwelt, die hinter und unter sich weitere Bretter hütet - was kann denn das gute alte Holz für all die Sitten-Verbarrikadierungen? Da wären alsdann Sprechblasen wie "als Touristen sind Ausländer willkommen, aber sonst gibt´s Schubhaft", und Geliebte, die sich in muslimische Schleier hüllen, um einerseits dem Stil der Verwechslungskomödie zu entsprechen, andererseits als "so eine junge Araberin oder was das war" schikaniert zu werden - das ist noch einigermaßen originell. Am schlimmsten aber ist die mit Hitlerbärtchen in Jägertracht und ausgestopftem Bauch verkleidete Figur des Kaufmanns Zangler, übertrieben und damit dilettantisch gespielt von Thomas Kamper, dessen Hitlerkonnotation erst gecheckt wird, als ihn der nachäffende Andreas Vitásek mit einer beiläufigen, aber treffenden Geste kopiert.

Die drei echten Führer

Mit Vitásek wären wir auch bei der Hauptattraktion der Inszenierung angelangt, der als Verkäufer Weinberl Charisma und das Publikum im Griff hat. Trotz Beförderung zum Associé des Kaufmanns will er einmal noch das "Verfluchtekerlbewußtsein" erleben; er sperrt den ihm anvertrauten Laden hinterm Rücken des Chefs zu und nimmt den pfiffigen Lehrbub Christoph mit - worin Katharina Straßer ihre bisher stärkste Rolle spielt (abgesehen davon, dass es eine geniale Idee der Regie ist, den Bub mit einem Mädchen zu besetzen): Wie schlagfertig sie reagiert, wie burschikos sie sich bewegt, wie einfühlsam sie sich an Vitasek anpasst - das alles ist so sehr "Nestroy" wie heutig echt, und doch noch verfremdet genug, um Kunst zu sein. Die Straßer ist insofern bester Wiener Bub, wie Wiener Maderl - und vielleicht entspricht das wiederum einem zeitkritischen "Lob" (?!), wie es ein Nestroy schriebe, würde er heute leben... Der dritte glaubwürdige Lachgarant steckt schließlich in Erwin Ebenbauer als Zangler-Bedientem Melchior, der mit seinem Running-Gag, "das ist klassisch!" für klasisch doppelbödige Schein-Sein-Moral zwischen gebietender und dienender Klasse sorgt. Mit seiner ängstlich-fahrigen Art (Zitat: "Die san auf´s Geld aus - das sind Menschen!") stimmt er somit auch als Charakter.

Echter Rhythmus in echten Vitásek-Couplets

Dem Schottenberg an Können anzuerkennen, ist neben situationskomischer Tricks wie der spanischen Wand der Rhythmus im Stückverlauf. Er schwindelt selbst über all die erwähnten Peinlichkeiten gekonnt hinweg. Der Rhythmus harmoniert auch bestens mit den Gesangseinlagen des Sing- und weiblich-leicht-anmutenden Bewegungskünstlers Vitasek, der seine Couplets selbst geschrieben hat. Gesangssprachlich erinnert er dabei wiederum an Helmut Qualtingers Herrn Karl. Da paßt denn auch der neuartig-eigene Sprachwitz, etwa zum Thema "Liebe zu Zwein", "nur der Regenwurm tut sich selber vergnügen", oder der Satz, "nur die toten Künstler werden kultisch verehrt, die Lebenden sind nix wert", während "der Andi" bei Benefizkonzerten und Rote Nasen auftreten müsse, die eigene Familie aber nicht mehr zu Gesicht bekomme. Und wirken dagegen so viele Sager von Nestroy heute schon naiv und überholt, so stimmt mancher denn doch, wie: "Das Ziel vor Augen scheitert der Mann an der Kleinheit seiner Mitte." e.o.


DAS URTEIL DREI FÜHRENDE SCHAUSPIELER IN UNGLAUBWÜRDIG-ÜBERTRIEBENEM KAMERADENSCHWANK. DREI WIEN-URBANE CHARISMATIKER IM LÖWINGERBÜHNEN-VERSCHNITT AUS´M JAHRE PROVINZ.

THEATER Einen Jux will er sich machen * Von: Johannes Nestroy, Fassung von Michael Schottenberg * Regie: Michael Schottenberg * Mit: Andreas Vitásek, Katharina Straßer, Erwin Ebenbauer, u.a. * Musik: Gerald Preinfalk / Romed Hopfgartner, Marko Zivadinovic/ Milos Todorovski * Bühne: Hans Kudlich * Musikalische Einrichtung, Komposition: Mischa Krausz * Ort: Volkstheater, Wien * Zeit: 25., 26., 27.1., 30.1., 2., 3., 5., 6., 7., 18., 24., 25., 27., 28., 29.2.2008: 19h30

Tuesday, November 20, 2007

FILM: PHILIPPE RAMOS FASZINIERT MIT HEUTIGER "CAPITAINE ACHAB"-POESIE

Der Junge Ahab (Virgil Leclaire), der getrieben ist, von der Suche nach der Mutter, die ihm nichts hinterließ als die Bibel ...

... transformiert seine Suche in die Jagd nach dem Wal, die ihn bei grausamer Umwelt zum grausam-fanatischen Mann (Denis Lavant) zeichnet.










Eine schöne Parallele von Regisseur Philippe Ramos, der seine eigene Sexfantasie und Romantik von Mann, Frau und Mensch in seinem Captain Ahab spürbar einarbeitet.



VIENNALE - DAS WIENER FILMFESTIVAL GEHT SO SCHNELL VORBEI, DASS MAN DIE BESTEN FILME BEINAHE ÜBERSIEHT: DER HEKTIK ZUM TROTZ DENKEN WIR NOCH AN DAS FILMHIGHLIGHT VON PHILIPPE RAMOS: CAPITAINE ACHAB - KEIN MÄNNER-, SONDERN EIN MENSCHENFILM!

Capitaine Achab des 1964 in Vaucluse, Frankreich, geborenen Regisseurs Philippe Ramos, war bestimmt einer der gelungensten Filme, auf alle Fälle aber "der" überraschungsreichste Film der Viennale. Weil er vor und während des Anschauens jeder Erwartung entgegen läuft und dabei eine absolut eigenständige und neuartig glaubwürdige Filmpoesie an den Tag legt. Die Poesie geht Hand in Hand mit einer inhaltlich unterschwelligen Revolutionsaussage, die so subtil verfeinert überbracht wird, dass sie kaum über die Suggestion hinaus ins Bewußtsein des Betrachters gelangt. Bei all den kunsthistorischen, eher an der antiken Malerei und griechisch-biblischen Literatur orientierten Bezügen, drängt sich zunächst nur archaisches Staunen in das prinzipiell durchgehend romantisierte Gefühl des Zusehers, dem selbst die allzeit-gültige realistische Härte verkommener Gestalten nichts anhaben kann.

Von Gott zur Umwelt

Offensichtlich schöpft dieser gelungene Film aus einer charakterlichen Übereinstimmung des Regisseurs Ramos mit dem amerkanischen Autor Herman Melville des Urromans Moby Dick (1851): in der Erzählensart, im ästhetischen Empfinden, in der Sicht auf die Welt in literarisch-musischer Überhöhung. Nur dass Ramos viel psychologischer, mit größerer "Sorge" an die Hauptfigur, Kapitän Ahab, herangeht, als wäre sie eine "noch" beeinflußbare Person. Das ist auch das, was das Mythos vom typischen "Heldenbild" des bis zum Tod zwischen Kampf und Sieg getriebenen "Mannes" (Menschen) bricht. Stand Melvilles Roman somit für eine Glaubensdebatte zwischen Gut und Böse, Religion und (böswilliger) Natur im menschlichen Leben, so erweitert sie Ramos in seinem Film um konkrete Umstände, die den Menschen zu dem machen, was man im Allgemeinen als "kriminell" oder "abnorm" verurteilt.

Kunstgeschichtliche Symbole in literarischer Filmsprache

Diese Erkenntnis verläuft aber, wie gesagt, ganz unterschwellig: im Vordergrund steht eine literarisch unterteilte, in antiker Szenenmalerei eingerichtete, mit Filmmedallions abgeblendete Filmerzählung. Einzelne Kapitel stehen für die fantasievoll ausgedachten Lebensabschnitte, die Ahab als Kind, jungen Erwachsenen und am Ende geprägt haben könnten - es wird alles detailliert bis auf den lediglich kurzen, tödlichen Walfang Ahabs geschildert - der in Melvilles Buch doch so dominierte, sodass es schlichtweg für das Abenteuer, die unerschrockene Männlichkeit stand. Die Geschichte erzählt auch kein Matrose wie bei Melville, sondern Leute, die Ahab in den Lebensphasen am intensivsten begleiteten, eröffnen ihren subjektiven Blick auf die Figur, was jeweils andere Musik - von Klassik bis zu modernem, amerikanischem Folksong - unterstreicht. (Die Musik ist übrigens mit so viel Geschmack ausgesucht, dass die Akustik für sich selbst ein Genuß ist.) Kostüme und Filmatmosphäre sind historisch, sodass die Poesie auch optisch greifen kann.

Der Autor hinter grausamen Männern, weiblichen Sexobjekten

Maßgebend exklusiv und neu machen den Film aber Philippe Ramos´ - ihn als Autoren-Persönlichkeit auszeichnende - "Bemerkungen", seine eingeschobenen, philosophisch deutbaren Symbole, die an Radikalität grenzen: Anfangs irritiert eine pornografische Kamerafahrt mit Nahaufnahme auf Haut, Scham, Busen und Körperwölbungen einer nackt-liegenden Frau, was die spätere Jagd nach dem Wal erklärt, der für den Autor genau dieselbe (gefühlte) Form hat. Sie steht für die Mutter, die Ahab schon als Kind verlor, die ihm eine Bibel hinterließ. In der Folge begegnen dem Jungen nur grausame Männer: sein Vater, der seine Geliebte schlägt, weil jene hinterrücks vor idyllischem Esel in freier Natur - wohl einem Schäfer-Sexbild entnommen - einen Musiker verführt, der sie nach kurzer Liaison verlässt, nachdem er Ahabs eifersüchtigen Vater umgebracht hat. Henry, der Geliebte seiner Tante, schlägt Ahab, um ihn zu züchtigen, sodass der Bub - einen Hund tötend - seinen eigenen Mord vortäuscht und abhaut. Zwei betrügerische Gauner schlagen ihn auf der Flucht halbtot; und ein Pfarrer zwingt ihn danach, in der Kirche aus der Bibel zu lesen, worauf der Junge abermals weiter zieht - er geht zur See.

Die Frau im Wal, im Wald - eine Männerfantasie

Der "willensstarke, harte Mann" wird Ahab demnach die Jugend über vorgelebt, während ihm die "Mütter" abhanden kommen: so sagt Ahab schon als Kind ganz eisern: "Wenn du etwas willst, kannst du es möglich machen!" Erst als er mit furchig verlebtem Gesicht und mit abgetrenntem Bein (das er bei der, nicht gezeigten Jagd nach dem Wal verlor) so geschwächt ist, dass er nicht mehr weiter kann, begegnet er der ihn pflegenden "Anna". Im poetischen Dialog von ihm, "als Mann der See", und ihr, "als Frau der Wälder", scheint sich seine Suche nun in beidseitiger Symbiose aufzuheben, doch zieht es Ahab abermals fort... Seine Wunde am Bein öffnet sich gleich dem Ruf des Wals. Zur Urmutter, so wie das französische Wort für das Tier weiblich "La Baleine" lautet.

Mit Dokueinschüben historischen Walfangs und dem amerikanischen "What shall we do with a drunken sailor" schließt der Film in poetisch-archaischer Note: Ist Moby Dick in der Nähe, riecht Ahab "Wald" und damit den Bauch der Mutter, in dem er letztich seinen Frieden findet. - Sollte also das Schicksal über den Willen des Menschen siegen, muss es erst vor der ewigen Männer- und Frauensehnsucht von der Umwelt geprägt worden sein, selbst wenn sich der Wille noch so dagegen wehrte. e.o./a.c.


Philippe Ramos ist im Gespräch mit der Regisseurin von Lady Chatterley, Pascale Ferran (für Kritik scroll down, bzw. click October 2007-Archiv), demnächst auf intimacy: art in artists/talks zu lesen und zu hören.



DAS URTEIL PHILIPPE RAMOS IST NICHT NUR EINE AUSNAHMEERSCHEINUNG ALS REGISSEUR. ER STEHT AUCH FÜR DIE GENERATION DER NEUEN SEHNSUCHT NACH POESIE IM ZEITGENÖSSISCHEN FILM. UND DAS KANN TATSÄCHLICH OHNE JEDEN KITSCH GESCHEHEN - EIN MEISTERFILM!

FILM Capitaine Achab * Frankreich 2007 * Regie, Schnitt, Co-Ausstattung: Philippe Ramos * Buch: Philippe Ramos nach Motiven von Herman Melville * Mit: Denis Lavant, Dominique Blanc, Virgil Leclaire, u.a. * Auszeichnungen: Beste Regie beim Locarno International Film Festival 2007 + FIPRESCI Prize (Kritiker-Hauptpreis) beim Locarno International Film Festival 2007 * Weltvertrieb: www.widemanagement.com

Friday, November 02, 2007

MUSIK: MELANCHOLIE DES LOSLASSENS - JON REGEN UND "LET IT GO"

Die zwei Seiten des Jon Regen: Innen melancholisch und verletzlich - nach den Scherben seiner Liebesbeziehung, von denen er in der neuen CD Let It Go erzählt ...












... außen ein sanguinischer Pianist, der voller Lebensfreude alles gibt, um sich selbst und sein Publikum durch Lust und hohen Anspruch zu befriedigen. (Fotos © Merri Cyr 2007)


BIRDLAND BLUES-JAZZER JON REGEN GASTIERTE IN WIEN UND IST PROFESSIONELLER DENN JE. EIN GLEICHERMASSEN PIANO-KUNSTFERTIG BESCHWINGTER WIE RÜHRENDER ABEND. DIE SONGS SEINER NEUEN CD LET IT GO BESCHÄFTIGEN VIELE GÄSTE AUCH NOCH ZUHAUSE...

Das Jon Regen Trio gastierte Ende Oktober im Wiener Birdland. Wie beim letzten Mal verströmte der amerikanische Singer-Songwriter eine gehörige Ladung Gefühl. Es gibt derzeit keinen Musiker, der direkter auf Billy Joels Spuren sein Liebesleben preisgibt und dabei aber anspruchsvollen, pianistisch-virtuosen Blues-Jazz spielt. Das fast übermütige Konzert Anfang Februar ist einem sehr Professionellen in atmender Abfolge und perfektem Arrangement gewichen: statt langer Reden ertönen lange Jazz-Pianosoli zwischen den Songs. Besonders die Lieder der ersten Singer-Songwriter-CD Almost Home hat Jon Regen so verinnerlicht, dass die aufwändigen Ausflüge in die improvisierende Abstraktion vom Einen zum Anderen mit Anwachsen des Abends immer spannender werden. Dass der Musiker von der Tiefe seiner körperlichen Energie über Tonleitern und Achtelnoten spielend gleich einem Hochleistungssportler nur so schwitzt, erhöht die Energie noch. - Da kann man sich nur wünschen: Gibt es bald eine CD "Almost-Home-Jazz-Extended"?

Von der Live-Vitalität zur gelebten inneren Trauer

Diese sprühend-lockere Vitalität findet durch die melancholische Kehrseite der neuen CD Let It Go ihren Gegenpart, an deren Kompositionen sich der Musiker live noch sehr stark hält. Doch diese Lieder drücken ihre echte Qualität erst im Stillen mit Konzentration auf den tiefsinnigen Text richtig aus; deshalb ließ sich Elfi Oberhuber als Zuhörerin zuhause zur direkten Assoziation, ja fast zum Gespräch mit Jon Regen animieren - in unten nachfolgender Reaktion auf jede einzelne Nummer: Der kaum zu verkraftende Abschied von einer Frau wächst über das Gefühl von Leere und Weltpessimismus zum Vorsatz einer Selbstfindung an, ist somit auch als fortlaufender innerer Monolog einer zusammenhängenden Geschichte zu interpretieren. Gewidmet ist die CD einer anderen Freundin von Jon Regen, die sich das Leben nahm. Bereichert wird sie durch phasenweise Begleitungen von The-Police-Gitarrist Andy Summers, sowie den radikalen Solistinnen Martha Wainwright - selbst Singer-Songwriterin - und Cellistin Julia Kent, die hier - nicht wieder erkennbar - zu Engelsmusikerinnen mutieren. Die ganze CD strotzt vor Details bei theatral punktgenauer Betonung in Stimme und Pausen. Sodass der besungene Inhalt tatsächlich lebt.

Ein Highlight des Abends ist die Interpretation des situationskomischen Songs Only My Credit Card Remembers Where I´ve Been, mit tollem rhythmischem Vorspiel, das in große Spielfreude ausartet, unterbrochen durch das Schlagzeug-Solo von John Miller und das verbale Extro von Regen kurz vor der Pause. Das normalerweise verträumte Little One, ein Song an ein Kind, spielt der liebenswerte Pianist danach gehackt, mit ebenfalls ausuferndem Pianopart, wozu Miller, der manchmal etwas zu laut ausgesteuert ist, zusammen mit dem zurückhaltenden Bassisten PJ Phillips in größter Einfühlung begleiten. Dieses Miteinander als Kommunikation zu beobachten ist Lustbefriedigung von reinstem Herzen. Sie findet ihre Vollendung im weiteren Highlight des Abends, der Interpretation des The Police-Songs How Fragile We Are, eingeleitet von mitreißendem lyrisch-klassischem Jazz-Vorspiel. I Told You So, eine leichte Rhythmik mit viel Klavier bei subtiler Melancholie, gibt es leider noch nicht auf CD, ein Grund, warum man kein Konzert von Jon Regen verpassen sollte. - Der Applaus wollte nicht enden, Regen brachte ihn mit zwei Zugaben zum betretenen Verstummen: dem komplex-romantischen Don´t Stop Believing und The Last Song, dem "allerletzten Song an die Ex", was Regen - wie einsam zurück bleibend - sehr traurig alleine spielte ... e.o.


Jon Regens CD Let It Go - eine Gemütswanderung für die Zuhörer(in)

1) Let It Go
Rhythmisch und kompositionstrukturell einfach, fast lustig,
der Text über den Abschied von einer Frau aber ist zynisch roh.
Als wäre es ein Genuß für ihn, den eigenen Schmerz in ihrem Gesicht zu sehen.
Große Anklagen: "The only friend you need is right inside yourself".
Doch überschlagen sich ihm als Pianisten die Tasten,
und seine Stimme im letzten Refrain.
Brutalität als Umkehrung der eigenen Verletzlichkeit.
Die gibt es oft bei Männern.
Am Beziehungsende.
Warum?

2) It´s Alright By Me
Jon spielt neben dem Piano auch Orgel,
das ist subtil feierlich!
Der Mann freut sich über die Frau, die sich zu ihm setzt,
ihm den Tag rettet.
Nur, um zu reden, ihm die Einsamkeit zu vertreiben,
mit ihrem Lächeln,
trotz ihrer tausend Termine.
Nein, ich denke, sie hält ihn nicht für einen Langeweiler.
Möchte wie er, sie küßt ihn in diesem Moment,
aus dem Nichts heraus, ohne Absicht, ohne Verpflichtung.
Und gerade dann verliebt es sich so leicht.
Wünsche, sein "Lord I´m hoping you´ll stay
Cause I feel like I´m home" erfährt keine Täuschung ...

3) Close To Me
Tat Jon unrecht,
dachte Andy Summers Gitarre würde seine Songs kommerzialisieren.
Stimmt nicht.
Klingt auf My Space übers Internet auch ganz anders als von der Stereoanlage.
Das ist rockig, Erde, wie Sex,
wenn es um nichts anderes zu gehen hat.
Oh ja, "sie" hat ihn "aufgeweckt"
- "I´ ve learned To let you into places I had left for dead" -
Geschah das wirklich innerhalb von neun Stunden am Flughafen?
Kennt er sie noch?
Oder erzählt er "die Geschichte, die er am ersten Tag mit ihr begann",
jetzt einer anderen weiter?
- Sorry Jon, I guess, I´m jealous ...

4) I Come Undone
Jon hat also auch eine Freundin verloren, die sich das Leben nahm.
Tina.
Wenn diese Leute nur wüßten,
was sie denen antun,
die zurück bleiben.
"I try to run away
I´m calling out
Running round
I´ve fallen down."
Das Klavier fällt die Tonleiter runter.
"I´m not so good at this...
It isn´t so
That time will heal a broken heart
I tried, they lied, I´m torn apart."
- Fand das Background-Gesäusel von Martha Wainwright zuerst kitschig,
als ich noch nicht auf den Text achtete.
Jetzt find ich es sehr sensibel.
Denn das ist doch auch der (Frei)Tod: sensibel.

5) Something To Hold
Sanft verträumtes Wurlitzer-Piano anfangs,
Cello von Julia Kent im Refrain.
Jon singt jetzt (ausschließlich) über sich.
Über seinen pessimistischen, enttäuschten Status Quo im Leben.
Mit Monden, die ihm geschenkt und wieder genommen wurden,
mit Räumen aus Nichts, nur Stille.
Die Poeten und Prediger sind aus seinem Herzen ausgezogen.
Er: "I´m looking for something to hold."
"This is my battle cry."
Das ist mein 1. Lieblingslied.

6) Better Days
Einsames Piano,
einsamer Mann
doch mit dem streichelnden Schlagzeug von Bill Dobrow
gewinnt auch Jons Stimme an Hoffnung.
Auf bessere Tage,
Ich hör´s an seinem Spiel voller Kraft und Fülle.

7) Piano-Interlude
Doch da ist noch immer so viel Trauer.
I´d like to hold you, Jon.
Like a mother.
Who ever you are.

8) Finished With This
Der Mann ist an eine Lügnerin geraten,
wie ich vor langer Zeit an einen Lügner.
"When you told me
you burned for my body and heart,
Were you reading from papers,
were you playing a part?"
Nur sind das meist keine Lügner,
sondern ängstliche Pragmatiker,
ohne Fantasie
für ein individuelles Leben.
Das sind die Krankenschwester-,
die Kindergärtnerinnen-,
die Volkschullehrerinnen-,
die Sicherheits-Liebhaber.
Die Bankangestellten-,
die Manager-,
die Beamten-Liebhaberinnen.
Die nicht wissen,
dass die größte Sicherheit im größten Gefühl liegt.
Vielleicht können sie vergessen,
was Jon so sinnlich singt,
"the shape of your kiss";
vielleicht können sie verdrängen,
wovon er sich fragt,
"Did your chest burn like mine did,
when we walked away?"
Es bleibt tatsächlich nur,
den Schlußstrich zu ziehen,
hinter der Frage an sich selbst nach einer einseitigen Einbildung:
"Was it all in my head?".
- Mein 2. Lieblingslied.

9) Photographs Of You
Ja, die Photos -
man sollte sie wegwerfen,
oder weit unten im Dachbodenschrank vergraben.
Die Tapferkeitsausflüchte werden mit ihnen nicht weniger:
"I hardly think about you -
Maybe most of the time."
Was wir dafür aufheben,
ist Jon und sein pures Klavier.

10) Finding My Way Back To Me
Hurra,
er ist über´n Berg.
Bei The-Police-Anspielungen
und Andy Summers "blumiger" Elektrogitarre.
Er war zwar gegangen,
"But I´m not running anymore, from anything at all",
hatte den endgültigen Zusammenbruch riskiert,
um jetzt zu wissen,
"Leaving my past so far behind, it´s just memory.
That will remind me of who I never want to be."
Er findet über jede Note, jeden Meter, seinen Weg,
und nimmt sich ab nun vor: "every song´s a little sweeter".

11) Disappear
Rückfall.
Oder einfach Angst vor dem nächsten unehrlichen Endlosspiel?
Der tödlichen Mischung aus Begehren und Täuschung.
Magische Tricks, die den Liebenden verwirren.
Hoffnung: "Do you dream of me at night?"
Sarkastik: "I bet you don´t, your conscience won´t."
Anfangs ihr kaltes Herz durchschaut, hatte er sie fast fallen gelassen,
und wurde es dann aber von ihr:
"Only you could break us apart."
Wer soll also endlich verschwinden,
sie aus ihm, oder er von hier?

12) The Last Song
Ihre Nummer aus dem Telefon zu löschen,
fällt ihm schwer.
Letztes Wiedersehen,
das Cello klingt nach Tod.
Doch sein Galgenhumor wird Jons Anker sein:
"Could you have stayed away?
Would it have killed you, not to see me once again?"
Selbst wenn der Körper protestiert:
"When you hold my hand,
please understand the blood runs through my veins so fast
I wonder If I´ll pass this test at all
I try to act so cool,
so confident I´ll make you come to me, I say
But just one look at you, and there I fall."
Gebrochener Stolz,
Hoffnung,
dass die Zeit den Raum zwischen Kopf und Herz kalt werden läßt.
- Diesen allerletzten Song an sie,
singt Jon am Ende eines jeden Konzerts.
Hope she has earned this big attention!


DAS URTEIL JON REGEN - EIN GROSSER JAZZPIANIST, EIN GROSSER KONZERT-PERFEKTIONIST, EIN GEFÜHLSMENSCH MIT MELANCHOLISCHER LUST AN DEN SCHATTENSEITEN DER LIEBE UND DES LEBENS

Link zu Songs und Tourdaten von Jon Regen:
www.jonregen.com

Nächstes Jon Regen-Konzert in Wien:
KONZERT Jon Regen * Ort: Birdland, Wien * Zeit: 15.05.2008: 20h
Und: Am 17.5.2008 wird JON REGEN´s Trio ab 20h live am Wiener Rathaus beim Life-Ball zu sehen sein. Das Event wird im ORF und per 3-Sat übers Fernsehen übertragen!