Wednesday, October 22, 2008

BALLETT-OPER: GIORGIO MADIA BETANZT RAMEAUS "LA GUIRLANDE" & "ZÉPHYRE"

Das Tanzensemble unterstreicht in La Guirlande zunächst noch die Gesangspartien; es ist aber von Anfang an mit dem barock-originalinstrumental begleiteten Gesang verwoben.

Myrtil (Erik Leidal) hat seine Geliebte Zélide (Diana Higbee) - trotz Treueschwur mittels geflochtener Blumenkette - betrogen. - Sie merkt es, tut aber so, als hätte sie "ihn" betrogen, worauf er ihr sofort verzeiht, und sich beide wieder lieben können ...



















In Zéphyre gewinnt der Tanz an Eigenständigkeit und Dominanz: da springt die attraktive Katja Juliana Geiger vor der distanzierteren Adriana Mortelliti im Nymphen-Haremkostüm ...


















... da zeigen Corneliu Ganea und Martin Zanotti ihre besten hinteren Stücke in perfekter Männerhaltung, sodass es sexy und zum Lachen ist.




















Denn hier liebt und begehrt Zéphyre (süß und sexy als Mann: Marelize Gerber) leidenschaftlich Cloris (Liudmila Shilova), was sie im finalen Duett atemberaubend verinnerlicht besingen.

(Fotos © Christian Husar)


KAMMEROPER WIEN GIORGIO MADIA BALANCIERT WIEDER EINMAL GEKONNT SCHWACHSTELLEN ZWEIER ORIGINALWERKE AUS: LA GUIRLANDE UND ZÉPHYRE DES BAROCKEN JEAN-PHILIPPE RAMEAU

Geht es im einen Stück um einen Seitenspringer im Hirtenmilieu und im anderen um einen Voyeur unter Göttern als Sieger über das Keuschheitsgelübde, dann ist davon auszugehen, dass es an diesem Doppel-"ballet en un acte"-Abend in der Wiener Kammeroper ziemlich heiß hergehen wird. Möglicherweise auch unangenehm schmuddelig, setzte man voraus, dass hier ein obligatorischer "Operetten-Regisseur" am Ruder wäre. - Aber nein, choreographiert und Regie-geführt von Giorgio Madia, ist so etwas unmöglich!
Wie gewohnt, schafft es der sinnliche Italiener, eine so kurzweilige, wie geschmackvolle Umsetzung zu entwickeln. - Entwickeln, tatsächlich ja, da hier alles aus einem Guß, zwischen Vorher und Nachher, detailbewußt aufgebaut wird, ohne jemals das Gesamtstück als Kunstwerk außer Acht zu lassen. Kurz gesagt: keine Sekunde wird überreizt, alles ist kompakt, wie die reinste High-Tech-CD. Dieser moderne Vergleich ist treffend, da Madia die Barock-Ballett-Opern-Einakter trotz ihres Alters absolut heutig verpackt hat, ohne aber - und da ist er die Ausnahme unter den Barockopernregisseuren - auf eine Stilisierung zu verzichten. Eine moderne, neuartige Stilisierung, die das Design eines architektonischen Nobelbaus hat und dennoch auf alten Gesetzen des Bauens beruht. - Dazu paßt wiederum ganz ausgezeichnet das futuristisch wellenartige, nach hinten gestülpte Bühnenbild im eleganten Weiß von seiner Berliner Dauer-Ausstatterin seit der Ballettproduktion Alice in der Volksoper, Cordelia Matthes, die aus der Mini-Guckkasten-Bühne der Wiener Kammeroper eine visuelle Riesenfläche gezaubert hat. Die optische Ansichtsvariation liefert im Laufe der Stücke dann hauptsächlich Lichtdesigner Norbert Chmel - bis auf den aufwändig und üppig gestalteten goldenen Eisernen Vorhang am Anfang jeden Stücks natürlich -, sodass es einen glatt wundern lässt, wieviele neue optische Eindrücke allein durch Licht entstehen können - und das ist in Sachen Bühnenbild in diesem Fall absolut ausreichend.

Gleichrangig ausbalanciert: Gesang und Tanz

Denn den zwölf Akteuren pro Stück, bestehend aus schön anzusehenden, akrobatisch exakten vier Modern-Tänzern und einzelnen geradezu brillanten Sängern, gebührt die volle Konzentration des Zuschauers. Schon weil beide Kunstgattungen gleichrangig bzw. je nach Anforderung im Stück dominanter oder reduzierter behandelt werden. Gerade die Betonung des Tanzes bei langen Lied-Strecken, die inhaltlich nichts Neues bringen, bzw. die völlige Konzentration auf Arien bei wunderschönen Musikpartien mit vordergründigem Cembalo oder Violoncello des Barockorchesters der Wiener Kammeroper auf durchwegs historischen Instrumenten unter Bernhard Klebels glückseliger Dirigentenhand - darin liegt die eigentliche - "stückästhetisch einfühlsame" - Leistung von Giorgio Madia, wobei er bei den Tanznummern meist inhaltlich unterstreichend bleibt, und für seine Verhältnisse anfangs selten Ironie durchblicken läßt. - Das ist das Einzige, was er besonders im ersten La Guirlande noch mehr ausbauen hätte können, aber wahrscheinlich war in diesem Fall einfach sein Respekt vor den Stücken zu groß, die musikalisch nicht - wie gewohnt bei Barockopern - aus endlosen (und damit bestens zur Ironie geeigneten) Wiederholungspassagen bestehen, sondern aufregend abwechselnd und linear erzählend, also im Gesamtrhythmus "fast zeitgenössisch" verlaufen.

Die Gesangsgötter

Heute komisch anzuhören sind an-sich nur die männlichen Hauptfiguren in überirdischen Tenor-Lagen, die in La Guirlande (UA 1751) witzig mit Amerikaner Erik Leidal in kurzer, weißer Tunika als Treueschwur-brechendem Myrtil mit schlechtem Gewissen, und mit der schon öfter in der Kammeroper positiv aufgefallenen Südafrikanerin (also eine Sopranistin!) Marelize Gerber als Zéphyre im gleichnamigen, zweiten Stück (UA ca. 1753) besetzt wurden. Gerber ist sowohl theatralisch als sexy liebeshungriger Windgott in goldener Miederrüstung, der heimlich nach der Waldnymphe Cloris giert, als auch singend die Sensation des Abends, neben der gesanglich fast noch bestechenderen französischen Wahlamerikanerin, Diana Higbee, von mitreißend klarer Stimme voll einnehmenden belebten Ausdrucks, als gewiefte Betrogene Zélide, die einfach so tut, als hätte sie ihrerseits den Geliebten betrogen, um sich seiner Gefühle wirklich sicher zu sein. - Doch bei ihr bräuchte man gar keine Geschichte, ihr Gesang steht für sich selbst.

Gesteigerte Erotik

Das soll jedoch nicht Giorgio Madias Arbeit schmälern, der in La Guirlande die Liebe über die zunehmenden Tanzpassagen - seien es nackt-durchschimmernde Körper in sportlich-reduzierten Gesten unter weißen Tüchern; schöne, synchron-innige Duette von Mann und Frau oder Quartette im Dominoeffekt - in 45 Minuten immer mehr zur Erotik steigert. Das zieht er nach der Pause noch verstärkt im ähnlich kurzweiligen Zéphyre durch, abermals betont durch goldene Glitter-Kostüme. Denn was hier erzählt wird, ist der Sieg der gelebten Lust über das Keuschheitsgelübde, das die Göttin Diana in Abwesenheit über die tanzenden Nymphen verhängt hat. Mithilfe Amors bekommt Zéphyre jedoch seine Cloris (= Flore = Göttin des Frühlings = gesungen von Liudmila Shilova) - da gibt es auch allerhand Lacher im Publikum, als symbolisch plötzlich Plastikblumen aus der Bühne schießen, und wenn Männer mit nackten Hintern auf Bändern wiegend "Tango tanzen" - Martin Zanotti ist ein wahrer, springperfekter Blickfang. Das Zieren und Drängen wechselt sich in gesteigerter Brisanz ab, sei es zwischen den tanzenden Sängern oder den erotisch-elegant in subtilen Formen bewegenden Tänzern, die "die Frau" auf Händen tragen, und als mehrfach verdoppelte Paare das eigentliche Paar in seinen magischen Gefühlen unterstreichen. In all dem energetischen Gebrodel - vor allem mit der körperlich sehr attraktiv anzusehenden Katja Juliana Geiger - erscheint dann Diana (Diana Higbee), doch sie ist nicht etwa erzürnt, denn sie hat selbst einen Mann an der Leine - und zwar tatsächlich wie einen Hund im Aussehen von Jesus. "Sich der Liebe hinzugeben, verschönt die Tage", heißt es im atemberaubenden, zweistimmigen Frauengesang von Zéphyre und Cloris, dem musikalischen Höhepunkt des Stückes. Darauf fällt mit den Worten "Amor sei unser Gott" ein transparenter Vorhang herab, und damit ist der Liebesreigen im Verborgenen (!) eröffnet ... (e.o.)


DAS URTEIL EINE ATEMBERAUBENDE STEIGERUNG VON DER LIEBE IN DIE EROTIK - GANZ SO, WIE MAN ES SICH VON GIORGIO MADIA ERWARTET: EINE ODE AN DEN URAUFGEFÜHRTEN TANZ IN ÖSTERREICH!

BALLETT-OPERNEINAKTER La Guirlande (Österreichische Erstaufführung) & Zéphyre (Szenische Uraufführung) * 2x „Ballet en un acte“ von: Jean-Philippe Rameau * Regie und Choreographie: Giorgio Madia * Musikalische Leitung: Bernhard Klebel * Ausstattung: Cordelia Matthes * Gesang-Solisten: Diana Higbee, Erik Leidal, Michael Havlicek, Marelize Gerber, Liudmila Shilova, u.a. * Tanz-Solisten: Katja Juliana Geiger, Adriana Mortelliti, Corneliu Ganea, Martin Zanotti * Mit: Barockorchester der Wiener Kammeroper auf historischen Instrumenten * Ort: Kammeroper Wien * Zeit: 18., 21., 23., 25.10.2008: 19h30

Saturday, August 30, 2008

OPER: ERNST KRENEKs "KARL V." ALLZEIT-ERMAHNEND BEI UWE ERIC LAUFENBERG



















"Lehrer" Karl V. hat sich in seiner Verantwortung nicht nur vor dem Gemälde "Jüngstes Gericht" und damit Gott (seinem Gewissen) zu stellen ...

... sondern auch als Historiengestalt dem "lernenden Menschennachwuchs", der ihn bestenfalls nicht zum Vorbild nehmen sollte.

Denn sonst wird sich der Mensch wie in allen Jahrhunderten zuvor, - von seinen Trieben geleitet - militant nehmen, was ihm nur vordergründig zu nützen und seine Macht ebenso zu befriedigen scheint. Wie hier die verschacherte Schwester Eleonore (Nicola Beller Carbone) als symbolisches "Frauenobjekt" der Begierde.













Die groteske globale Kugel wirkt zwar ästhetisch schön, der Traum vom Weltreich muss aber anders ausgelebt werden: in der menschlichen Größe der Humanität vielleicht - das weiß der sterbende Karl V. (Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster)


FESTSPIELHAUS - BREGENZER FESTSPIELE UWE ERIC LAUFENBERG MACHT DIE PACKENDE HISTORIENGESTALT KARL V. IN ERNST KRENEKS ZWÖLFTONOPER ZUM AUSGEBUHTEN LEHRER DER 30-er JAHRE

Man wundert sich zuweilen ob der in Ignoranz "gekleideten" Unkultur sogenannter Kritiker. Auf einen privat seit fünfzig Jahren chorisch tenor-singenden Musikliebhaber, der sich nun in der Funktion eines ebensolchen Opernbeschreibers wiederfindet, macht so eine Person, die während der heuer von den Bregenzer Festspielen aufgespürten Opernrarität Karl V. (Uraufführung 1938 in Prag) durchgehend schläft, einen nicht gerade überzeugenden Eindruck. Ich dagegen kann für meine Person versichern, mich zu diesem Behufe in einen meiner "besten Anzüge samt weißen Hemdes" geschmissen zu haben. Sollte das "die alte Generation" repräsentieren, dann gehöre ich gerne dazu. Denn "wach" dem Anlaß entsprechend eingestellt und aufgewertet, sollte der Anlaß im besten Fall so besonders sein wie das ins Innere gekehrte Äußere des Kritikers selbst. Ernst Kreneks durchgehende Zwölftonoper - die erste der Operngeschichte - hat vielleicht deshalb tatsächlich einen bleibenden Effekt hinterlassen. Da kann der Mensch daneben noch so schnarchen, diese sehr eigentümliche, lebhaft von Lothar Koenigs dirigierte und von den Wiener Symphonikern gespielte Musik wird in der Erinnerung haften bleiben. So ungewöhnlich, dass sie verblüfft. Bei Tonfolgen, die zu einer akustisch vor allem dramatischen Schönheit finden, obwohl und weil sie weit von dem entfernt ist, wovon man sonst in der zeitgenössischen Oper hört. Dem leidenschaftlichen Chorsänger fällt natürlich zuerst der vielfältig und häufigst eingesetzte Solisten-Chor Camerata Silesia aus dem polnischen Katowice, einstudiert von Anna Szostak, auf, der von Schülern, Studenten bis zu Soldaten alles zu verkörpern hat. - Wie dieser den gewaltigen Text bei einer nicht gerade einfachen Melodie auswendig singt, ist schlicht gesagt eine Wucht.

Von der Gesangswucht zur subtil-doppeldeutigen Charakter-Dramaturgie

Hingegen subtil schön ist, dass diese Soldaten und Studenten keine von einander getrennten Menschengruppen repräsentieren. Regisseur Uwe Eric Laufenberg nimmt diese Besetzung bewußt vor, um zu betonen, dass zwischen den von einem Typus verkörperten Charakteren Verbindungen und psychologische Folgewirkungen quer durch die Jahrhunderte bestehen. Was dazu dient, ewige Mechanismen der Demagogie und Pädagogik zu entlarven, mit mehr oder weniger starken Kontrast-Ausscherungen zu Religion als moralische Instanz (Jüngstes Gericht) und Erotik als machtpervertierte Liebe. Da wäre zuerst die neu eingeführte "Lehrerfigur" vor der Schultafel, die bei den mit dem Rücken zum Publikum sitzenden Studenten in Kleidern aus den 30er Jahren einen Geschichtsunterricht hinsichtlich Politik und Religion abhält, in Wahrheit (im Urstoff von Anfang an) aber Karl V. entspricht, der dem jungen Beichtvater (eine von vier Sprechrollen) Juan de Regla (Moritz Führmann) nach seiner Thron-Entsagung im Kloster sein Leben und Wirken beichtet. - Diese Offenlegung im insgesamt eher puristischen Bühnenbild von Gisbert Jäkel erfährt der Besucher in Bregenz erst nach der Pause, wenn dem "Professor" als aufgebahrtem Kaiser abermals seine Geschichte vor den Augen abläuft. - Jene geisterhaften Lebensimpressionen, die einem Sterbenden bekanntlich kurz vor dem Tod erscheinen: Karl begegnen so seine wahnsinnige Mutter Juanna, Martin Luther als populärer, protestantischer Glaubensgegner, Papst Clemens VII., sowie neben anderen (Kriegs)figuren - auch solche, die im Zuge des Expansionsdrangs Karls ihr Leben ließen - Franz 1. von Frankreich, der die Uneigennützigkeit von Karl nicht versteht und deshalb von Karl bekämpft und gefangen genommen werden musste. Eine zusätzlich doppeldeutige Irritation - nämlich klanglich und charakterinterpretatorisch - schafft in dieser "Beichtsituation" ein "stotternder" Leibarzt, der Karl nicht mehr helfen kann. Selbst wenn jener kurzfristig wieder zu sich kommt und noch einmal stirbt, nachdem er schon einmal gestorben schien. Es wirkt wie ein langer, schwerer Kampf um die innere Ruhe, um endgültig aus dem Leben gehen zu können ...

Lehre aus der Geschichte wörtlich genommen

Das Sprichwort "die Lehre von der G´schicht" scheint dem Regisseur so am Herzen zu liegen, dass er es wortwörtlich und erweitert als "Lehre aus der Geschichte" auf die Bühne gestellt hat. Als wolle er sagen: Hätten die Menschen (Schüler) in den 30er Jahren, als Krenek vor dem aufkommenden Nationalsozialismus und dem ideologischen Welteroberer Adolf Hitler diese Oper schrieb, eine derartige Pädagogik erfahren und bereits zu diesem Zeitpunkt - wie hier der Studentenchor gegen die Eroberungspolitik eines Weltführers (Karl V.) - aufgeschrien, dann wäre es nie zu einem Krieg gekommen. Dann könnten derartige, ideologisch "selbstüberzeugt und (für sich selbst) gut" gemeinten Parolen eines jeweiligen Ideologen zur Einigung / Vereinheitlichung kaum fruchten - egal ob im Sinne der katholischen Religion als Weltfrieden eines Karl V. oder der "besseren nationalsozialistischen Herrenrasse" eines Hitlers ... oder ob im Sinne wirtschaftskapitalistischer, globaler oder auch nur EU-pauschal-weiter Interessen wie heute.....womit wir - sehr subtil angedeutet - auch im politischen Jetzt gelandet sind.

Auf dritter Ebene steht die rebellische Studentenreaktion schließlich noch für die generelle Ablehnung des derzeit bestehenden Schulwesens, das keine Menschen mit Zivilcourage und humaner Eigenmeinung hervor zu bringen vermag. Das betont dezidiert eine Szene im zweiten Akt, wo aus den Studenten Soldaten geworden sind, die Karls Schwester Eleonore (schöner Sopran: Nicola Beller Carbone) sexuell mißbrauchen - eine Metapher dafür, dass Bruder Karl sie (als Frau) zugunsten der Weltpolitik mit seinem "Feind" Franz I. von Frankreich verkuppelte und jenen dann im Säbelgefecht wegen einer Liebesaffäre mit einer anderen tötete. - So viel Blut am Ende des Lebens lässt Karl einsichtig werden: Er will nicht mehr kämpfen und ächzt: "Der wahre Weise soll die Welt ihren Weg gehen lassen, ohne einzugreifen."

Assoziation zum Weltreich im globalen Heute

Trotz Aufforderung seines Bruders Ferdinand, das gefährdete Reich zu retten, entsagt Karl noch der Weltreich-Idee, bevor er stirbt. Karl V., den Bariton Dietrich Henschel als magerer Professor expressiv verunsichert interpretiert, hinterlässt als mächtige Historiengestalt somit einmal mehr die Erkenntnis, dass ein Weltreich nur so lange einigermaßen harmonisch zu halten ist, sofern es - wie bei ihm selbst - durch glückliche Heirat und Erbschaft gewonnen wurde. Sobald jedoch mit kriegerischem Gedanken "noch mehr" gewollt wird, ist es auch schon zum Untergang verurteilt. Ob das heutige Motiv des "Marktes" bessere Chancen hat? ... Nichts Gutes verheißt jedenfalls die rollende, schwarze Riesenkugel über dem und um den sterbenden Staatsmann als satirisch aberwitziges und mahnungsvolles "Global-Symbol"...

So viel von einem alten Mann, der wach geblieben ist, zu einem von vielen jungen Männern, die es vorziehen zu schlafen ...
Kritiker: Josef Oberhuber (Red. e.o.)


DAS URTEIL KRENEKS SEHR EIGENE MUSIK MIT GROSSARTIGEM CHOR LÄSST EINEN WUNDERN, WIE SICH GLOBALER EXPANSIONSDRANG ÜBERHAUPT ENTWICKELN KANN: WELTENHERRSCHER KARL V. WIRD ZUR TRAUERGESTALT.

OPER Karl V. * Von: Ernst Krenek * Regie: Uwe Eric Laufenberg * Dirigat: Lothar Koenigs * Mit: Wiener Symphonikern * Mit: Sängerensemble Katowice - Camerata Silesia - Chorleitung: Anna Szostak * Mit: Dietrich Henschel, Dietrich Henschel, Chariklia Mavropoulou, Nicola Beller Carbone, Hubert Francis, Cassandra McConnell, Moritz Führmann, Christoph Homberger, Matthias Klink, Alexander Mayr, Thomas Johannes Mayer, Cassandra McConnell, Katia Velletaz, Chariklia Mavropoulou, Katrin Wundsam * Ort: Bregenzer Festspielhaus * Zeit: 27.7.-3.8.2008

Monday, August 11, 2008

TANZ: WIM VANDEKEYBUS´ SORGE UM DIE GESELLSCHAFT IN "MENSKE"

Die visuelle Impressionsdramatik vom schwierigen Leben des Einzelnen in einer Welt ohne Gemeinschaftswerte ...

... sowie die expressionistische Spannung der Bewegung (Fotos © Martin Firket) ...

... wird leider durch die Musik des belgischen Popdandys Daan entschärft ...

... und verflacht nach einem Stilbruch noch mehr im Irrenhaus, wo alle Masken tragen - selbst wenn die Bilder bis zuletzt bestechen (Fotos © Pieter-Jan De Pue).


MUSEUMSQUARTIER - IMPULSTANZ OHNE GEMEINSCHAFTSWERTE IST DAS LEBEN SCHWER - UND DENNOCH GIBT ES IN DIESER WELT DERZEIT KEINEN ANDEREN AUSWEG ALS LEBENSMODELL: DAS HAT WIM VANDEKEYBUS IN MENSKE TREFFEND ERSPÜRT UND ILLUSIONSREICH UMGESETZT

Wim Vandekeybus Sensorium für das aktuelle Gesellschaftsproblem der Zeit verschaffte dem diesjährigen ImPulsTanz-Festival den brisantesten Inhalt aller Vorstellungen. - In "journalistischer" Kategorie bekommt der belgische "Instinktchoreograf" dafür also die glatte Eins. Das ist überdies bemerkenswert, da sich seine weltberühmte Intuition letztes Jahr in Spiegel noch - wie gewohnt - im unmittelbaren Körperausdruck äußerte, während sie heuer auf dem Wege seiner Wahrnehmung der Körperumgebung am Zahn der Zeit bohrt: an den Teilkulturen, die im globalen Zeitalter nach der Massengesellschaft nicht nur unaufhaltsam sind; sie beinhalten zugleich den (un)freiwilligen Druck auf den einzelnen Menschen, seine individuellen Werte, seine eigene Sicht auf die Welt, sein Ego in der Gemeinschaft entwickeln und durchsetzen zu müssen. Das ist einer der schwersten Umbrüche, denen sich die Welt je zu stellen hatte. Und wie schwer es dem Menschen fällt, sich darin zu realisieren, das sieht man in Menske in aller Schärfe.

Gedämpfte Spannung durch Popmusik

Doch leider dämpft Vandekeybus diese Inhaltsschärfe durch stilistische Puffer, sodass für den Zuschauer weder der Kick im Faszinosum einer grenzenlosen Überraschung eintritt, noch dass ihm das Thema als lebenswichtig unter die Haut fährt. Hier, in der utopischen Weltuntergangsstadt, voll von Säcken mit verstautem (Traditions-)Mist, wo sich gleichzeitig über verschlußbereite Elektronikkabel ein Neu-Aufbruch abzeichnet, haben die Bewohner ihre gemeinsamen Werte und den Zusammenhalt verloren. Es steht keiner mehr als starker, gleicher Mensch da, sondern nur als unsicheres, kleines "Menske". Und obwohl all diese "Menschlein" weder verkümmert leise, bescheiden, noch verschwindend agieren, sie sogar regelrecht obsessiv mit gezückten Messern um ihr "Überleben" kämpfen; obwohl jeder für sich seine kulturelle, charakterliche, interessensbezogene, sture Eigenart militant und ausdrucksstark gegen den anderen zu verteidigen müssen glaubt, hängen die steigerungsarme Dramaturgie und die Musik des belgischen Pop-Dandys Daan am Erzählverlauf wie steinschwerer Ballast. Zu einer gesteigerten Spannung kommt es zunächst noch durch - für Tanz ungewöhnlichen - Pop-Elektroniksound mit Klavier, Fingerschnipsen, sporadischem Gitarrenhardrock - oder auch nur -tscheppern - doch findet dieser Klang letztendlich keinen exzessiven Höhepunkt. Er flacht viel mehr im "Refrain" als kommerziell-verkitschte Breitmelodie ab, und zwar ausgerechnet dann, wenn die Emotion aufbrechen sollte. Derartige "Happy-Nummern" bremsen leider mehrmals das Stück, sodass es im Endeffekt auch die inhaltliche Aussage über des Menschen Unsicherheitsempfinden entkräftet. Könnte aber auch sein, dass Vandekeybus damit genau das Gegenteil von "kommerziell" beabsichtigt hat, um wiederum dem dramatisch zugespitzten Verlauf eines "Musicals" oder Kommerzfilms auszuweichen: denn an einer windumwehten Akrobatikstelle ähnlich der Bugszene im DiCaprio-Titanic-Film fällt sinngemäß inmitten der Geschichte der Regiesatz: "Das ist für eine Tanzkunst-Inszenierung vielleicht doch etwas zu viel ..."

Verwirrung in Sex und Liebe bei aufgedrängten (Berufs-)rollen

Dem Company-Namen Ultima Vez (= (Tanz, wie) das letzte Mal) glaubwürdig gerecht werden dafür die - das gibt´s selten in Tanzaufführungen - sprechsicheren Schauspieler sowie die sprech- und bewegungssicheren Tänzer (Stimmcoach: Angélique Wilkie) in illusionsstarken, dramatisch beleuchteten Bildern - vier starke, nicht unbedingt Tänzer-Persönlichkeiten sind erstmals mit dabei. Den dramaturgisch bindenden Faden spannt bei all den episodenhaft auftretenden Einzeläußerungen die wiederkehrend erzählte Liebeserinnerung des spanisch-akzent-sprechenden "Pablo" an einen verflossenen Italiener, der anfangs ganz in "Weiß" inmitten von dichtem Nebel zu sehen ist. - Das Ende der Liebe scheint somit symbolhaft für den Beginn allen Kontrollverlusts zu stehen. Doch über seine sehnsuchtsvolle "Abrechnung" gelangt Pablo zu einer spirtuellen und nach außen hin aufmerksameren Wahrnehmung, sodass er (von sich selbst) von anderen findet: "Ich liebe die umher irrenden Menschen..." Er ist selbst "lieber allein" und bittet seinen Geliebten im geistigen, rückversetzten Zwiegespräch, "uns nicht unzertrennlich zu machen".
Den zweiten prinzipiellen "Halt" im Leben brüllt sich eine punkstarke Domina in Bergsteigergurten aus dem Leib: "Ich steh nur aufs Ficken; und will das so, wie es immer war! Große Schwänze sind das einzige, was zählt im Leben!"
- Liebe und Sex scheitern allerdings an den unsicheren "neuen" Rollenbildern von militanten Frauen bis zu verkappten Westernhelden von heute. Und das Gefühl des Lebensglücks generell daran, was jemand hinsichtlich Berufs konstatiert: "Wir müssen alle Rollen spielen! Wir müssen uns alle anbieten!"

Hassliebe oder Zerrissenheit der Geschlechter steckt deshalb auch in der Bewegung; und ist sie kein Kampf mit dem anderen - eines Paares oder der Gruppe -, dann zumindest ein Kampf mit sich selbst: Akrobatische Luft-, Seil- bis Bodenübungen suchen vergeblich und verzweifelt nach Bodenhaftung. Aufgespannte Stromkabel-Netze garnen kurzfristig und hoffnungsvoll die Einzelkämpfer ein. Ein expressives Männertrio löst ein ebensolches Frauentrio ab, eine verführerische Frau tanzt abwechselnd (als gleich bedeutend) mit einem Müllsack und einem Anzugträger. Der Western-Macho wird angesprungen und wieder abgestoßen.

Vom Stilbruch ins Irrenhaus

Und all dieser "Menschenmüll" landet mit plötzlichem Stilbruch in einem riesengroß abgebildeten Korridor einer Irrenanstalt - wenn auch in einer im Ablauf zu lang geratenen Szene -, wo zuerst dem Macho seine Cowboykluft ausgezogen, und er alsdann in seiner "Rolle" verlacht wird - ausgerechnet von lauter "anonymen" Menschen in grotesken Masken. Die Devise der Therapie lautet: "Es ist Zeit zu rasten!" Selbst für lustige Hypochonder, wie den entmannten Cowboy (Franzose Valéry Volf), dem ständig "Gewülste" wachsen, die die Krankenschwester "als von ihm selbst reingestopfte Polster" entfernt. - Bei ihm mögen die Krankheiten (Probleme) Einbildung sein, der Rest jedoch wird sich wohl oder übel dem Neuaufbau von sich selbst - oder auch einer Stadt - stellen müssen ... e.o./p.p.s.


DAS URTEIL MENSKE IST BESSER ALS DAS MEISTE BEI IMPULSTANZ, ABER NICHT DAS BESTE VON WIM VANDEKEYBUS - DER NÖTIGE EXZESS ERSCHEINT DURCH DAAN´S POP LEIDER FLACHGEDRÜCKT.

TANZ Menske * Regie, Choreographie, Szenographie: Wim Vandekeybus * Von und mit: Laura Arís, Max Cuccaro, Konstantina Efthimiadou, Elena Fokina, Birgit Gunzl, Jorge Jauregui Allue, Manuel Ronda, Helder Seabra, Valéry Volf, Kylie Walters * Musik: Daan * Stimmcoach: Angélique Wilkie * Texte: Ultima Vez * Licht: Alban Rouge, Wim Vandekeybus, Francis Gahide * Ort: Museumsquartier / Halle E * Zeit: 21.+23.7.2008

Friday, July 25, 2008

PERFORMANCE: MATHILDE MONNIER & LA RIBOT - ZICKENCHARME IN "GUSTAVIA"

Hinter der Bühne sind alle Frauen gleich - so auch Mathilde Monnier und La Ribot in "gustavia" ...

... sind aber etwa auch auf der Bühne alle Frauen gleich? (Vorne: La Ribot) - Mit diesem Wissen könnte man das mit den Rivalitäten und dem Revierabstecken ja endlich mal lassen!

Noch ironisch runder wäre diese Frauen-Selbstsatire, wenn ImPulsTanz auch vallée, das Gemeinschaftswerk von Monnier (links) und dem weiblichen Künstler Katerine (rechts), eingeladen hätte! (Fotos: © Marc Coudrais)


AKADEMIETHEATER - IMPULSTANZ FRAUENSUCHE MIT MATHILDE MONNIER UND LA RIBOT IN "GUSTAVIA", SODASS EINEM DAS LACHEN NICHT VERGEHT

"Was ist das nur für eine sexy Frau. Als Mann müßte man sie verführen ..." - Was ich bereits in La Place du singe über Mathilde Monnier sagte (zur Kritik click bei Labels unten auf Monnier!), kann ich nur wiederholen. Allerdings nur im Moment einer spontanen Reaktion. Denn nach längerem Nachdenken wird es doppelt sinnlich, das Wesen der Homoerotik zu erfassen, von der in der Literatur ständig zu reden ist. Gehen Sozial-, Sexual- und sogar Literaturwissenschaftler in Fällen wie Thomas Mann, William Shakespeare oder Edgar Allan Poe davon aus, dass ein homoerotisch verschlüsselt schreibender Autor in versteckter Wahrheit über die eigene Homosexualität schriebe, so muss ich sagen, nein, das würde in meinem Fall überhaupt nicht stimmen. Denn erstens könnte ich - als Frau - nie mit einer Frau ins Bett gehen (ich bin durch-und-durch Männerkörper-orientiert), und so auch nicht mit einer Mathilde Monnier. Und wäre ich ein Mann, würde ich mit Sicherheit auf einen anderen Typ Frau stehen. Tatsächlich gefällt mir also Mathilde Monnier als Frau, wegen ihres reifen, abgeschlossenen Charakters, wegen ihrer herben, charakteristischen Gesichtszüge, wegen ihrer souveränen, charakterstarken Selbstironie, sodass ich mich von ihr frauen-menschlich und -künstlerisch angezogen fühle. - Ungefähr so sehr, wie mich meine ebenfalls sehr charakterstarke, sehr eigenwillige Mutter anzuziehen vermag, denke ich im instinktiven Gefühlsvergleich in grosser, räumlicher Distanz an sie.

Dank Ellbogen bühne-frei für die beste Künstlerin

Dass es auch durchwegs selbstbestimmten Künstlerinnen so gehen muss, lässt sich von Monniers zweiter Zusammenarbeit mit einer Frau ableiten. Nach Autorin Christine Angot hat sie sich für "gustavia" die spanische Live-Artistin La Ribot zur Partnerin genommen, die von 1997-2004 in London arbeitete und heute in Genf lebt. Nun hat man bei beiden nicht das Gefühl, sie müßten sich noch mit Ellbogen und Eifersucht ihr Terrain abstecken, um sich über ihre Position in der Gesellschaft klar zu werden - sei es als Frau, sei es als Künstlerin; Und dennoch machen sie genau das zu ihrem Thema. Der Titel der weiblichen Künstlerfigur, die sich von einem Männernamen ableitet, sagt bereits viel aus. Und so leid einem selbst schon die Frauendiskriminierung als Thema im Zuge des fortschreitenden Lebens sein mag, so sicher muß man sich darüber sein, dass die Frauendiskriminierung noch immer besteht. Sie wird fürs eigene Leben tatsächlich brisanter, je älter man wird. Also genau dann, wenn die Aufreißphase durch die "Weiblichkeit" schon zuende ist. Weil sich dann erst erweist, ob man als Mensch, und nicht nur als Frau, so viel wert ist, dass man mit den besten "Männern" mithalten kann. Und in der Kunstwelt spielt sich das genau gleich ab, da natürlich auch dort bis zur Lebensmitte die Gesetze der Geschlechterrollen herrschen, wenn auch in abgewandelter oder erweiterter Form. - Nur ist dann noch immer nicht garantiert, dass man als echt gute Künstlerin wirklich Erfolg bekommt!

Selbstironie als Geheimnis zum Sympathiegewinn

Diese zwei vollendeten Künstlerpersönlichkeiten punkten mit dieser Geschichte zunächst mit großem Charme - nämlich durch ein langgezogenes, rhythmisch gesummtes, hoches Heulduett-Intro vor Regentönen, im pantomimischen, der Stummfilmzeit nachempfundenen, schwarz ausgekleideten Raum des Akademietheaters, aus dem nur das blonde Haar Monniers heraus leuchtet, weil die beiden Damen auch sonst ganz schwarz gekleidet sind. Das mutet an, als riefen sie lautlos vorab aus: "Wenn man als reife Frau ankommen will, dann geht es sowieso nur noch mit Humor!" - Ganz so bitter, wie es sich hier lesen mag, ist es nicht.
Voraus geschickt wird außerdem gleich mal eine proklamierte Stutenbissigkeit, sobald zwei gleich bekannte Künstlerinnen als Duo zusammengeschweißt werden: Und Monnier und La Ribot wenden sie für sich sogleich ab, indem sie jene direkt auf der Bühne austragen: denn nach dem Heulen kommt je ein Solo, wo Monnier mitsamt der Frau-in-ihr sterben will, und La Ribot will nur wieder auferstehen, wenn Monnier tot ist. - Das mit dem Revier abstecken ist ja ein lebenslanges Problem, nicht nur unter Künstlerinnen, die sich um einen Bühnenstuhl und ein Mikrofon rangeln, als ginge es um ihr Überleben ...

Die Frau hinter und in der Künstlerin

Und dann, beim Duett, sind wir aber auch schon beim eigentlichen Thema, dem Wesen der Frau, als Frau, die beide unter der Künstlerin ja sind. Da können sie noch so sehr französisch sprechen, das wird von jeder Frau der Welt verstanden. Nachdem Monnier am Kopf immer wieder brutal vom schwarzen Brett La Ribots getroffen wird, das jene scheinbar ohne Absicht wie ein Bauarbeiter vorm Gesicht auf den Schultern durch den Raum trägt, während sie sich unschuldig dreht; und nachdem beide in versetzten, spiegelverkehrten Aktionen - wie die Hose übers Knie zu ziehen, männliche Boden-Fick-Szenen mit Schreien - miteinander ums Bessersein bis zur Erschöpfung wettgeeifert haben, glauben sich die Frau beide Künstlerinnen schließlich auch selbst. Denn den jeweiligen Sonderstatus - wie die gezeigte Nase nach oben - haben sie sich ja heraus gewetzt und geschlagen.
Jetzt kommt es nur noch auf die vor dem Vorhang geschriene Aufzählung der Klischees von Frauenbehauptungen an, wie "Eine sehr hübsche Frau; Eine sehr schöne Frau öffnet das Fenster; Eine Frau hat ein Pferd in ihrem Schoß, Eine Frau säubert ihr Haus mit einem Mob, Eine Frau - ihre Milch geht weg ...", die sich dann aber wieder an die Frau als Künstlerin richten wie "Eine Frau spielt Gitarre, Eine Frau das Schlagzeug auch, Eine Frau lädt Politiker ins Theater, ... Eine Frau hat Angst, Eine Frau weint". - So viele Klischees über Frauen, die sich ständig in anderen und doch gleichen (stylisch-sexy) schwarzen Gewändern präsentieren, stehen ironischerweise doch wieder für die vielschichtigen Chancen für Frauen von heute. Möglicherweise sind sie ja schon so vielschichtig, dass sie sich nur noch fürchten können ...

Schade nur, dass ImPulsTanz dieses Stück nicht gemeinsam mit vallée gezeigt hat, das Monnier mit dem schwul-konnotierten Sänger und Musiker Katerine (PHilippe Katerine) im Februar dieses Jahres auf die Bühne gebracht hat. Es wäre eine kontrastgenaue Gegenüberstellung gewesen, wo Monnier ihre "männlichen" (Gesichts)züge zu Katerines weiblichen Stimmzügen einspielt, indem sie Texte und Musik von Katerines jüngstem Album “Robots apres tout” von ihrer Company umsetzen lässt. e.o.


DAS URTEIL MATHILDE MONNIER IST SO EINE STARKE PERSÖNLICHKEIT, DASS SELBST KLEINERE STÜCKE SOUVERÄN WIRKEN. DENN DURCH IHRE LITERARISCHE INTELLIGENZ SCHWINGT EXPRESSIVE, HUMORREICH-VERARBEITETE, DIREKTE LEBENSERFAHRUNG.

PERFORMANCE gustavia * Von und mit: Mathilde Monnier & La Ribot * Ort: Akademietheater, im Rahmen von ImPulsTanz Wien * Zeit: 15., 18.7.2008: 21h

Sunday, July 20, 2008

TANZ: "BAHOK" - AKRAM KHAN BRINGT BOLLYWOOD IN DEN JAZZTANZ

Schöne Tutti-Jazztanz-Bollywood-Nummern in bahok, um ein wirklich (aggressiv) gewolltes Miteinander aller Kulturen zu symbolisieren. (Foto © Liu Yang)

MUSEUMSQUARTIER - IMPULSTANZ DIE BRIT-INDER AKRAM KHAN UND INDIE-POPMUSIKER NITIN SAWHNEY GEBEN EIN BEISPIEL FÜR DAS FUNKTIONIEREN DER CREATIVE INDUSTRIES UNTER DEM SIGEL DER MIGRATION - IN BAHOK

Das letzte Mal, als der britische Inder Akram Khan in Wien über sein bikulturelles Identitätsproblem gesprochen hat, geschah in zero degrees (UA 2005) im Duett mit dem flämischen Morakkaner-Einwanderer Sidi Larbi Cherkaoui. Wie jetzt wieder, setzte er dabei auf die Musik des ebenfalls Brit-Inders Nitin Sawhney, der dort zur unglaublichen Schönheit der Produktion beigetragen hat. Damals arbeitete dieser mit einem rasant beschwingten Live-Orchester mit klassischen und indischen Instrumenten. Heuer waren die Klänge mit unter den Herzpuls gehendem, dumpf-dröhnendem Discoschlagwerk - trotz mehrstimmiger Sitar-Gitarre, (Hirten-)Flöten und Celli - technoartiger Natur, und damit weit Jugendkultur orientierter. Womit aber dennoch zu konstatieren ist: Die toll gesteigerte Musik war diesmal, in bahok, (wieder) das Beste sowie die sehr aggressiv getanzten, synchronen Modern-Jazztanz-Bollywood-Teile, die griffige Dynamik versprühen - ganz so, wie man es sich im Zeitalter der creative industries vorstellt, worin diese phasenweise effektreiche Produktion als Kind Großbritanniens ja mitsamt marktwirtschaftlich "funkionierendem" Multikultithema wurzelt.

Banal erzählte Geschichte

Ansonsten ist die Geschichte jedoch, so wie sie erzählt ist, fast banal: sowohl inhaltlich, textlich, als auch im Ablauf zwischen Wort - Schauspiel - Tanz. Als Passagenerzählung wechseln sich die einzelnen künstlerischen Ausdrucksformen blockweise ab, ohne ineinander zu greifen, sodass es zu keiner dramatischen Steigerung kommen kann. Es wirkt insgesamt bis zuletzt nur "arrangiert". Außerdem ist das hysterische Geheule und Geplappere der sichtlich besseren Tänzerin als Schauspielerin, Eulalia Ayguade Farro, kaum erträglich, die mit spanisch-akzentuiertem Englisch in der Bühnen-Abflughalle jeden reisenden Passanten über ihre depressive Lage informiert, der sich zufällig neben sie setzt. Ihre Worte zur "Chinesin" über den Regen, der sich ihr quälend ins Bewußtsein dränge, und ihre Verwirrtheit gegenüber der vielen "Götter Indiens", wo es ja auch regnen könne, wie überall, wirken aufgesetzt. "Aber dass Leute immigrieren, das ist mein Problem!", endet sie, bevor sie ihrem Ärger in einem vehementen Bodentanzsolo freien Lauf lässt. Sie ist eine der fünf TänzerInnen aus Akram Khans Company, die in dieser Produktion je einen Menschen aus einer anderen Kultur repräsentieren. Drei Tänzer - Meng Ning Ning, Wang Yitong und Zhang Zhenxin - kommen vom National Ballet of China, wodurch dieses Werk die multikulturelle Schwierigkeit noch durch eine interdisziplinäre Bewegungssprachen-Vermischung unterstreicht - oder eben umso interessanter macht. Denn einer der Chinesen ist sogar zu einer Denise Biellmann-Pirouette fähig - was man bisher nur im Eiskunstlauf bei Frauen zu sehen bekam.

In dieser wartenden, von Unschlüssigkeitsgefühlen getragenen Abflugsszenerie von der Neu- zur Alt-Heimat, während die (gelungene) digitale Leuchttafel mit "Please Wait", "Delayed", "Rescheduled" aufblinkt, was dann in die elementaren Symbolworte des Überlebens "Air", "Water", "Fire", "Earth", und am Schluß "Hope", "Home", übergeht, erwünschen sich die Betroffenen die Vision von einer möglichen "gemeinsamen Zwischenheimat". Bei dem langen Warten, wo sich etwa eine bindungshungrige Frau wie Ballast an Akram Khan hängt, generell aber jeder sein Fremdheitsgefühl im globalen Durchlauf beklagt, selbst wenn gerade das es ihm ermöglicht, den anderen ein individuelles Solo vortanzen zu können, wäre ihnen eine Realisation gegönnt. Auch wenn die Atmosphäre der Show insgesamt bei wiederkehrendem Handygerede (wohl mit den Verwandten der Heimat) im kommerziellen Leben stehend privilegiert genährt und fröhlich erscheint, sodass der Jammer nicht wirklich geglaubt werden kann. e.o./a.c.

DAS URTEIL BEI DER BANALEN DRAMATURGIE IN BAHOK WARTET MAN NUR AUF DIE EFFEKTVOLLEN BOLLYWOOD-JAZZTANZ-NUMMERN ZU NITIN SAWHNEYs TOLLER MUSIK.

Vergleiche mit Khan-Immigranten-Story auf intimacy: art über diesen Link: EINWANDERER UND AUSLANDSKUNST - ZWISCHEN POLIT-UTENSIL, SEX UND STILVOLLENDUNG - CHERKAOUI & KHAN, MACRAS BIS KOREA

TANZ bahok * Von und mit: Akram Khan Company & National Ballet of China (UK/CN) * Ort: Halle E/MQ * Zeit: 17., 19.7.2008: 21h

Friday, July 18, 2008

TANZ: IMPULSTANZ FEIERT DIE ZEITGENOSSEN MIT "BALLETTGALA" UND AHA-ERLEBNIS

Was gibt es für ein Risiko für die Frau, dem Liebesdrängen eines Mannes nachzugeben? (Foto © Sébastien Mathé)

Ein Großes - und dennoch gibt sich Laetitia Pujol dem kokett drängenden Manuel Legris in Le Parc von Angelin Preljocaj hin, sodass es beide nur so dreht. (Foto © Christian Leiber)

Andererseits ist die Sehnsucht eines Mannes aber auch ziemlich herzzerreißend, wenn seine Begierde nicht gestillt wird, wie in Prélude à l´après-midi d´un faune von Rosas. (Foto © Herman Sorgelos)





















Da ist es doch leichter, wie William Forsythe über formale Bühenpraktika in Steptext zu reden: wie das Kirov-Ballett (expressiv stark: Ekaterina Kondaurova) (Foto © Rieder
Promotions)

Oder über Forsythes neoklassische Bewegungsdekonstruktionen in Approximate Sonata, die (nicht im Bild) Forsythes Muse Antony Rizzi mit Leslie Heylmann lustig bei ImPulsTanz persiflierte.




















Bei diesem schlüssig-dichten, aber anstrengenden Gala-Programm war Chouinards Le Sacre du printemps-Ritualklassikerpop dann fast schon zu viel des Guten (Foto © Marie Chouinard).



BURGTHEATER - IMPULSTANZ BEI DER BALLETTGALA ZEIGTE SICH, WAS NACH 25 JAHREN ZEITGENÖSSISCHEN TANZES WIRKLICH ZÄHLT: IM BALLETT UND BEI DEN ZEITGENOSSEN

Wer hätte das gedacht. Da strengt sich der zeitgenössische Tanz im Unisono bis zum Erbrechen an, klug zu erscheinen - denn die klassischen Balletttänzer einschließlich hierarchischer Institution und damit die Tanzgeschichte seien ja "so (undemokratisch) dumm"! Kommt der außenstehende Betrachter aber zu einer Vergleichsmöglichkeit mehrerer gezeigter bahnbrechender Produktionen, bleibt doch das am stärksten transportierte, kopflose Gefühl eines bestimmten Werks hängen, nämlich beim dritten Teil aus Le Parc - Pas de deux, von Franco-Albanier Angelin Preljocaj, wo die Rebellion der Bewegung lediglich unterbewußt zu spüren ist. Der Gefühlsausdruck drängt sich in der Erinnerung des Betrachters bildstark und sehnsuchterweckend vor alles andere. Preljocaj leuchtet im Rahmen der Ballettgala zum 25-Jahre-Jubiläum des Wiener Tanzfestivals ImPulsTanz aus all den gefeierten De(kon)struktionsgrößen des klassischen Tanzes hervor, zwischen Forsythe, De Keersmaeker, Chouinard. Sie alle verblassen, weil sie inzwischen dasselbe vordergründige Bewußtsein eint, die technische Formzeichnung für das Publikum an die Front zu hieven.

Das also, was früher einmal revolutionär, neu und einzigartig war, ist schon allzu allgemein, bekannt, etabliert. Ein Preljocaj dagegen, der mit der Empfindung als führende Zugkraft in seinem Schaffen arbeitet, ist zur Ausnahmeerscheinung geworden. Sein Thema der Liebe in der Handlung ist dabei nicht ausschlaggebend, sondern die Bewegung der Tänzer aus Liebe, als ihr subjektiv empfundenes, romantisches Bild aus tiefster Seele. Dass das viel mehr Kraftinvestition und Verinnerlichung seitens der Tänzer bedeutet, liegt auf der Hand. Und verblüffend ist im Nachhinein aber festzustellen, dass diese Bewegung genauso zeitgenössisches Dekonstruktionsmaterial enthält wie die Arbeiten der einschlägig bekannten Dekonstruktions-Ikonen. Am Ende gilt für den zeitgenössischen Tanz dasselbe Gesetz wie für den Klassiktanz: nicht die Technik darf das Hauptaugenmerk der Aufführung sein, sondern der gelebte Ausdruck, selbst wenn die Technik neu ist.

Wenn Tanzdenker mit ihren Tränen kämpfen herrscht Demokratie

Allerdings: im konkreten - 1994 für das Ballet de l´Opera National de Paris choreografierten - Le Parc - Pas de deux wirkt die dominante Emotion, gerade wegen der neuen Bewegung, nicht platt und eindimensional, sondern zunächst ironisch, subtil und im gesteigerten Fortlauf als intime Spitze, gleich einer inneren Befreiung der Tänzer, verhalten tief und aufrichtig innig. Man kann sich kaum der Tränen verwehren, wenn die Ètoile-Tänzerin des Pariser Opernballetts, Laetitia Pujol, in absolut parallel laufender Bewegung zur sensibel gefühlten Musik Mozarts nach langer spielerischer Sprödigkeit in barocken Herrenkleidern dem kokett werbenden Mann nachgibt, so wie er, mit nichts mehr an als eines weißen, großen Herrenhemdes. Die Musik ist dabei mindestens genauso präsent wie der Tanz. In diesem Sinne findet hier auf der Bühne die harmonischste Gleichberechtigung der Künste statt, die man sich vorstellen kann. - So viel zum Kampfeswillen des zeitgenössischen Tanzes, sich gegen Raum, Theaterregeln und Musik aufbäumen glauben zu müssen, um als vollwertig zu gelten. Und deshalb aber auch die dringende Reklamation eines, sich ebenso wie ein Bildender Künstler (!) für Tanz interessierten Musikers an die ImPulsTanz-Programmheft-Beschreiber: Welches Orchester und welcher Pianist haben da gespielt? Das nicht zu erwähnen, wäre in diesem Fall doch recht undemokratisch!!!

Hebt die dunkelblond-langhaarige Elfe Pujol zum leise anwachsenden hohen Ton der Flöten und Geigen im Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur, KV 488 - Adagio küssend, kerzengerade und waagrecht zur Bühne im Zeitlupentempo ihre Beine, fest den Hals von Étoile Manuel Legris umklammernd, sodass er kurz taumelnd ins immer schneller werdende Kreisen mit weit ausgebreiteten Armen gerät, erscheint jene Welt, die sich in ihrem Inneren breitmacht: eine Welt in immer schneller drehendem Liebesrausch, die nur geschützt ist durch die Stärke der aufeinander gepreßten Münder und der Arme des Mannes, die die Frau halten, als beide zu kippen drohen. Doch bei all dem Vertrauen flüstert das Piano eine Ahnung von wehmütigem Schmerz einer Vergänglichkeit ein, die Frau bohrt ihren Kopf zweifelnd in des Mannes Brust, als ob sie bäte: "Verlaß mich nicht!" - Das ist umso ergreifender, als der Titel dieses letzten Teils Abandon übersetzt "Hingabe" lautet, doch im Verb "abandonner = im Stich lassen, verzichten auf...". Die dunklen Wolken im Bühnenhintergrund verheißen ebenfalls Ungewißheit ... Als Optimist will man jedoch allein an die beidseitige Preisgabe an den anderen glauben, selbst wenn die Trauer um das mögliche Ende mitschwingt ... Immerhin suggeriert das tiefe Cembalo so etwas wie standfesten Halt, als gäbe dieser attraktive Mann der bittenden Frau tatsächlich sein endgültiges Versprechen ...

Das gelungen gesteigerte Vorspiel ...

Dieses Stück lief an fünfter Stelle innerhalb der von der künstlerischen ImPulsTanz-Leitung, sehr geschmackvoll zusammengestellten Ballettgala (großes Kompliment, denn das ist bei Ballettgalas eine Seltenheit!). Davor paßte Prélude à l´après-midi d´un faune von Anne Teresa De Keersmaeker und Rosas fast noch besser in diesen Ablauf als in De Keersmaekers eigenes Stück aus dem Jahr 2006 D´un soir un jour. Denn es stellte den idealen Übergang zwischen impressionistischer Liebes-Illusion in Atmosphäre und Thema dar, sowie es auf die abstrakte Bewegungssprache-Analytik Bezug nimmt und die Unterbrechungsmethoden in Licht- und Bühnenkontinuitätskonventionen, die im Vorfeld von Forsythes Stücken ausgegangen sind, wieder aufnimmt. Doch Keersmaekers Interpretation des Debussy-Klassikers ist schon für sich allein eines ihrer besten Kreationen, bei der ihr Choreograph David Hernandez im Tanzvokabular maßgeblich "geholfen" hat. Dieser Mann ist ein wahrer Geschichtsprofi, was skulpturhafte Posen aus der griechischen und ägyptischen Antike anbelangt, die perfekt ins zeitgenössische Heute transferiert und integriert wurden. - Das freut übrigens wieder unseren mitkritisierenden Musiker, der das Debussy-Thema aus dem antiken Faun-Mythos exakt übersetzt empfand. Abgesehen davon, dass die Musik dieses Komponisten mit seiner großen Romantik einmal mehr, extra illusionsförderlich ist, sodass das Herz ins Schwingen gerät! Selbst wenn der dazu zurückhaltend sperrig und konträr kühl vor sich hinträumende Faun (Mark Lorimer - er gehörte einmal zu The Featherstonehaughs, neben The Cholmondeleys die zweite Top-Company von Britin Lea Anderson, die mindestens so berühmt wie De Keersmaeker / Rosas ist, aber in Österreich noch nie zu sehen war!!!) im aufwirbelnden Sand nur von schönen, bunt gekleideten Frauen träumen darf. Denn diese - Kosi Hidama, Kaya Kolodziejczyk, Zsuzsa Rozsavölgyi, Sue-Yeon Youn - huschen nur (eine auch rasend schnell nackt) am Bühnenhintergrund umher oder posieren weit entfernt neben ihm, um seine Begierde zu steigern und nie zu befriedigen.

... mit der Suche nach neuen Bühnen- und Vokabular-Praktika am Anfang

Vor der ersten Pause konnte man sich indessen anhand von drei Stücken auf die neuen Ballettsprachen und Versuche, solche in den letzten 20 Jahren zu finden, einstimmen. Das gelingt mit William Forsythes Stück Steptext aus dem Jahr 1985 ganz gut, der als "Antichrist des Balletts" 2006 das russische Mariinsky-Kirov-Ballett nach langer Traditionspflege regelrecht zu neuen Ufern vergewaltigt hat. Dass die vier darin tanzenden Solisten perfekte klassische Techniker sind - die Männer: Anton Pimonow, Michail Lobuchin, Islom Baimuradow -, erkennt man sofort; expressiven Ausdruck vermag der spöttischen Bach-, Licht- und Tanzformen unterbrechenden Theaterpraxis-Dekonstruktion aber nur Solotänzerin Ekaterina Kondaurova einzuhauchen. So erscheinen die Duos sogar emotional aufgeladen, womit danach das Liebesthema im ersten Teil von Preljocajs Le Parc, wo sich das Tänzerpaar des Pariser Opernballetts erstmals "im Park" zu Mozarts Klavierkonzert Nr. 14 Es-Dur, KV 449 - Andantino begegnet, schlüssig aufbauend wirkt. Gleichzeitig wird dort auch die heute noch funktionierende (!) klassische Bühnenpraxis als Gegenüberstellung zu Forsythe betont.

In Forsythes Approximate Sonata (UA 1996) tanzt der sehr unterhaltsame Antony Rizzi danach mit der brasilianischen Solotänzerin Leslie Heylmann zum popig-griffigen Gesang "Pumpkin" von Tricky innerhalb des Musiksounds von Thom Willems ein selbstpersiflierendes Duo hinsichtlich Forsythes Neoklassik-Ballett-Dekonstruktion. Wie Rizzi grimassenziehend entlang einer roten Fadenlinie balanciert und ins muchsmäuschenstille Publikum fragt, ob er seine Brille aufsetzen dürfe, was ihm die Stimme Forsythes als traditionell befehlender Vorgesetzter gewährt, der Rizzis Einwand "I feel stupid" aber dann nicht so ernst zu nehmen scheint, ist zum Schießen lustig, und damit der einzige Grund zur Erheiterung im ganzen Abend. Die Requisite mit einem "Ja" auf hinterleuchteter Schultafel" steht da wohl für den guten Willen zum Tanz, allerdings mit neuen Ansätzen.

Am Schluß zu viel des Guten

Kanadierin Marie Chouinards legendärer, zum dritten Mal bei ImPulsTanz gezeigter Strawinski-Le Sacre du printemps-Interpretation mit ritueller Tanzsprache, die auf jegliche Narration des Ur-Stoffs verzichtet und einfach nur die animalische Bewegung feiert, gebührt ob der Sportlichkeit ihrer elf Tänzer am Ende des schönen, aber anstrengenden Abends ein dickes Lob - schon weil sie damit viele heutig-orientierte Tanzeinsteiger anzuziehen vermag. Für den Besucher dieser Veranstaltung war es aber doch etwas zu viel des Guten! Denn irgendwann ist die Auffassungsgabe erschöpft. Andererseits könnte diese Empfindung auch daher rühren, dass dieses Stück als Einziges nicht in die Atmosphäre der Stückfolge passen wollte, selbst wenn man das "Zusammenpassen" inhaltlich und bewegungsformal mit logischem Wollen herstellen könnte ... e.o./p.p.s.


DAS URTEIL INNERHALB DER INTELLEKTUELLEN DEKONSTRUKTIONSINVASION LEGENDÄRER CHOREOGRAFEN-IKONEN BESTICHT JENER NEU-INTERPRETIERER, DER DAS GEFÜHL IN DEN VORDERGRUND ARBEITET: ANGLELIN PRELJOCAJ - WANN SEHEN WIR DAS VOLLSTÄNDIGE LE PARC IN WIEN - MIT KOMPLETTER PARISER OPERNBALLETT-COMPAGNIE?

Click auf diesen Link, um Le Parc-Videoausschnitt anzusehen - Click dort auf: Vidéo - Le Parc
Présentation de la Saison 2008-2009 par Brigitte Lefèvre - mars 2008


TANZ Ballett-Gala ImPulsTanz´08 * Sücke von und mit: I. Steptext, von William Forsythe & Mariinsky-Kirov-Ballett zur Musik von Bach/Nathan Milstein, II. Le Parc - pas de deux, 1. Akt Rencontre + 3. Akt Abandon von Angelin Preljocaj & Le Ballet De L´Opera National De Paris, Musik: Mozart/Klavierkonzerte, III. Approximate Sonata von William Forsythe mit Antony Rizzi, Leslie Heylmann, IV. Prélude à l´après midi d´un faune / Claude Debussy von Rosas, V. Le Sacre du printemps / Igor Strawinsky von Compagnie Marie Chouinard * Ort: Burgtheater Wien * Zeit: 14.+16.7.2008

BALLETT Le Parc * Von: Angelin Preljocaj (Opéra national de Paris, 1994), Création sonore Goran Vejvoda * Musik: Wolfgang Amadé Mozart, u.a. mit Klavierkonzerten * Orchester: Orchestre Colonne * Dirigent: Koen Kessels * Mit: den Étoiles, 1. Tänzern und Corps de Ballet des Ballet de l'Opera National de Paris * Ort: Palais Garnier, Paris * Zeit: 6.. 7., 9., 10., 12., 13., 16., 18., 19.3.2009: 19h30 + 15.3.2009: 14h30; Dauer 1h40

Sunday, June 29, 2008

MUSIK: FRAGILER MOMENT MIT SINGER SONGWRITER JASON WEBLEY

Hinter Jason Webley als Typ, der zum maßlosen (russischen) Trinken aufruft ...

... und mit tiefer Hard-Rock-Stimme als angry young man schreit, ...

... steckt ein hochgebildeter, mehrinstrumental virtuoser, sehr geistreicher Texter und Musiker ...
















... mit einer gehörigen Portion Sensibilität und Romantik. - Was er mit aller Kraft zu verstecken versucht. (Fotos © Jason Webley privat)


GASTHAUS VORSTADT DER US-SINGER SONGWRITER JASON WEBLEY LIESS AUF EINLADUNG DES WIENER SONGWRITER VEREINS (VSA) SEINE SENSIBILITÄT UNTERM HARDROCKER DURCHBLICKEN

Als Jason Webley im ziemlich grindigen Wiener-Vorstadt-Lokalhinterzimmer des 16. Wiener Bezirks seinen Song Almost Time To Go singt, schafft er es endgültig, maßlos an das Herz der Zuhörerin zu rühren. Denn jetzt erst, wenn er - sich selbst allein am Klavier begleitend - auf jegliche Show verzichtet, kann sie sich auf seine Musik, seine Worte, seinen intelligenten Ausdruck konzentrieren. Sie ist eine Zuhörerin, die sich in der dunklen, bis zum letzten 140. Platz mit Menschen angefüllten Spelunken-Atmosphäre zwischen Zwiebel-, Bier- und Essensgeruch nicht wohl fühlt. Doch da, inmitten dieses zwiespältigen Gefühls, blitzt jener magische Moment in ihr Empfindungsvermögen, zu einem Zeitpunkt, wo Webleys Konzert schon fast zuende ist. Es ist erstaunlich, dass es immer wieder dasselbe Wesen ist, das es schafft zu tangieren: der Typ Mensch, der mit Stärke, Witz, Aggressivität, mit männlicher Vitalität, alles Erdenkliche versucht, um seine insgeheime Verletzlichkeit, seinen Stolz, zu verbergen. Doch macht es auch nur eine Sekunde den Anschein, er spiele da etwas vor, ist es mit dem Zauber auch schon vorbei...

Überlegener unter grölender Masse

Um zu erfahren, wovon der US-Singer Songwriter aus Seattle in diesem Augenblick singt, wird sie später die von ihr mühsam aufgespürten Worte seines Texts nachlesen. Sie muss wissen, warum sie es vermögen, ihn sich so ausliefern zu lassen, offen der Welt ausgesetzt, als wäre er jemand mit abgezogener Haut. Eine einzige große Wunde. Ein Reisender, der täglich vom einen Ort zum Nächsten zieht, seine Lieder spielt, zur Unterhaltung der Leute, zu ihrer "Erheiterung". Er, der er sich so sehr in seinem Alleinsein erlebt, in seiner flüchtigen Überlegenheit. Es scheint zuerst, als singe er von jemand anderem, der einmal da war und dann wegzog, dessen zuruckgebliebenen Gegenstände wertlos seien, weshalb es für jenen fast "Zeit" gewesen sein mußte "zu gehen". Webley wisse nicht, ob der andere am Ende verzweifelt gewesen wäre, obwohl er ihn wie die Hölle kämpfen hatte sehen. Und da jener nie gut geschlafen hätte, hoffe er für ihn, jetzt einen rastvollen Ort gefunden zu haben. Jener Mann, der ein deplatzierter Tattoo-Charakter, der ein Patchwork Quilt von Leuten, gewesen sei. Es ist, als spräche Webley von einem freiwillig den Tod gewählten Mann. Doch im dritten Textteil löst sich das Rätsel auf, da Webley sich an die Allgemeinheit - und damit an sich selbst - richtet:

"Denk an Menschen, Orte, die du kanntest,
an Skulpturen aus Sand.
Die Flut kommt herein, und wir gelangen nirgendwo hin.
Wenn deine Füße noch in Schuhen stecken, woraus sie schon entwachsen sind,
Dann ist´s fast Zeit, ist´s fast Zeit zu -
Denk an den Samen, den du verstreut und gesät hast,
aus deiner Hand,
wie er sich im Wind verloren hat gleich einer winzigen Feder;
An (deine) Dinge, die du dem Gewöhnlichen als überlegen empfindest,
Dann ist´s fast Zeit, ist´s fast Zeit .. zu gehen."

Es ist Webley, der inmitten der jubelnden Menge als erleuchtete Künstlerseele leidet, doch genauso geht es manchem Zujubelnden hinter der eigenen grölenden Fassade. - Keiner fühlt sich verstanden, nicht einmal von denen, die eh (jubelnd) verstehen. Und das zu verstehen, macht wieder die große Magie des unterbewußten, kollektiven Verbundenseins aus. Durch diesen einen Song entschlüsseln sich in ihrer Dimension automatisch alle anderen Songs, jene davor, jene danach: Lieder - begleitet vom verstärkten, überragend leicht gespielten Solo-Akkordeon, von der verstärkten, bestimmt gespielten Solo-Gitarre, von Webleys nachdrücklich stampfenden Füßen auf einfachem Fußbrett, das irgendwann ob des vehementen Gegendrucks zerbricht, von Webleys tscheppernden Münzen in zwei Flaschen -, mit denen sich der langhaarige Barde unterm Schlapphut, der vor zehn Jahren als einfacher Straßenmusiker begonnen hat, angenehm tief und theatral bedacht seine Wut aus dem Leib schreit: mit einer Stimme zwischen Tom Waits und Heavy Metal, Leonard Cohen und Gypsy, Bob Dylan und Folk, Nick Cave und Drahdiwaberl-Punk. Und zwar schreit er ausgerechnet dann, wenn er die sensibelsten und lyrischsten Worte ausspricht - ein weiteres Indiz dafür, dass sich hier eine fragile Seele zu schützen versucht: vor der brutalen Oberflächlichkeit der Welt. Das geht wiederum mit nichts besser, als durch die eigene virtuose, entsprechend inszenierte, brutale Oberfläche.

Singer-songwritender Hardrocker, der Liebe sucht

Doch selbst die Texte sind schon so verschlüsselt, dass sich erst am Ende herausschält, dass es sich in manchem Lied etwa um Liebe dreht. So stampft Webley in lautem Amour-Fou-Schmerz auf Orpheus´ Mythosspuren beim Song Map (vor allem live, auf CD aus dem Jahr 2004 singt er den Song zärtlich als Chanson in jüdischer Erzählweise mit lustig geklopftem Schlagwerk und mit hämisch hoch, gegenläufig lachender Klarinette zum Schluß), wenn "sie" zu "ihm" sagt: "Ich bin nicht deine Liebe. Ich bin nur die Landkarte, die du benutzt, um jene zu finden." Zum beidseitigen Einverständnis endet der Song aber immerhin auf seinen Protest hin versöhnend, indem "er" auch dasselbe zu "ihr" sagen kann ... Inhaltlich eindeutiger ist der nächstenliebende Fidel-Folk-Rock Ways to Love, wohinter sich der psychoanalytische Grundsatz einer ermahnenden moralischen Mutterliebe verbirgt. Webley singt ihn - auf CD bei schnellem Geigen-Sound vor Elektrogitarre - schimpfend hart und damit ebenso rockig:

"Unsere Mutter machte uns zu Schwimmern,
sie warf ihre Babies in den Fluß,
voller Schlamm und dichtem Unkraut, ein Jahrhundert von merkwürdigem Schutt,
Wir lernten zu kämpfen und zu lieben -
.... So dachte ich, wir hätten genügend Wege der Liebe erlernt,
doch weiß ich noch nicht, Mutter, wer wir sind.

.... Man lehrte uns, Klassenbeste zu werden,
wir lernten, durch viele Lupen zu sehen,
wie unterzugehen und wie zu überfliegen,
Wir lernten, uns gegenseitig beim Sterben zuzusehen.
Mein Gott, dieses Lehrfach ist härter als wir selbst -

... Unser Verstand war scharf, unsere Körper brannten
Wir warfen uns selbst in unser Erlernen
Lieber Gott, dieses Jetzt ist stärker als wir -
Dachte, wir hätten genügend Arten der Liebe erlernt
doch weiß ich noch immer nicht, Mutter, wer du bist.
Ich dachte, ich wäre gut darin, in meiner Art zu lieben.

... Haben wir noch Zeit für ein Schläfchen?
Das Haus brennt, der Himmel fällt herab.
Junge, geh zurück. Geh zurück. Hier ist deine Mutter, die dich ruft."

Die virtuose Wunde im saufenden Rumpelstilzchen

Zum hüpfenden Rumpelstilzchen wird Webley schließlich, als er auf einen der Holztische im Publikum springt und beim immer schneller werdenden, rastlosen Song Icarus ironisch-bitter "Relax!" brüllt, als wäre seine maßlose Energie nur noch so zu stoppen, in die zum Finale das ganze Publikum aufgesprungen ist, nachdem er einige seiner berühmten, haltlosen Trinklieder angestimmt hat. - Was dem Publikum im Allgemeinen maßlos gefällt, gefällt wiederum der eingangs erwähnten Zuhörerin gar nicht, weshalb sich in ihr beim gefallenen Wort "Relax" eine persönliche Geschichte abspielt. Sie macht sie zu ihrem persönlichen Insider-Witz mit Webley. Denn hinter Webleys Aufrufen - das Publikum solle die fehlenden (auf der neuen CD The Cost of Living zu hörenden) Instrumente durch Mitsingen ersetzen, es solle sich im Kreis drehend die Finger in die Höhe strecken und sich ruhig bis zum Umfallen (nach Russentradition) besaufen - erkennt sie sehr wohl, dass Webley selbst das ihm gereichte Bier ausschlägt und lieber zum Wasser greift. Sie denkt sich, "warum er sich das überhaupt antut, die Show so übertrieben aufzudrehen? Ist ihm die entgegenkommende Lautstärke an Emotion als Beweis von Zuneigung so wichtig, um wichtiger zu werden als die eigentliche Kunst?" - Seine Fähigkeit zum Musiker, Sänger und Songwriter allein tät´s jedenfalls auch, wenn nicht sogar noch besser. Tiefstapelei ist nicht angebracht. Viel mehr gehört dieser Mann auf eine anständige Bühne, in ein anständiges Etablissement, damit "alle" Leute an seiner zärtlichen Text-Philosophie, seinem perfekten Multiintrumental-Spiel sowie seinem Silbe um Silbe detailliert und theatral-betontem Gesang auch bewußt teilhaben können ... e.o.


DAS URTEIL JASON WEBLEY IST EIN AUSERGEWÖHNLICH VIELSEITIGES, HOCHMUSIKALISCHES TALENT. UND SEIN AGGRESSIVES TEMPERAMENT IST SEINER SENSIBILITÄT DABEI ENTWEDER IM WEGE, ODER ES MACHT SIE GERADE EXTRA INTERESSANT ...

Links zum Webley-Anhören und für mehr Konzerte:
www.myspace.com/jasonwebley
www.songwriting.at

Unsere Singer-Songwriter-Tipp-Empfehlung - mit ausnahmsweise auch sehr bemerkenswerten Österreichern!
KONZERT Netnakisum (A) * Ort: Haus der Musik, Seilerstätte 30, 1010 Wien * Zeit: 17.7.2008: 20h
KONZERT Led To Sea (USA) * Ort: Rhiz, Stadtbahnbogen 37-38, 1080 Wien * Zeit: 13.8.2008: 22h30
KONZERT Garish (A) * Ort: Haus der Musik, Seilerstätte 30, 1010 Wien * Zeit: 21.8.2008: 20h
KONZERT Boy Omega (SWE) * Ort: Gasthaus Vorstadt, 1160 Wien, Herbststraße 37 * Zeit: 4.9.2008: 20h
KONZERT Bernhard Eder (A) / Lasse Matthiessen (DK) * Ort: Gasthaus Vorstadt, 1160 Wien, Herbststraße 37 * Zeit: 2.10.2008: 20h

TANZTHEATER: ILLUSIONSPLÄDOYER VON JAMES THIÉRRÉE IN "AU REVOIR PARAPLUIE"



















Die Liebe fängt schwierig an, wenn sich ein Mann eine abgehobene Frau auf Seilen als Liebessubjekt (Satchie Noro) wählt
(Foto © Mario Del Curto) ...

Da wird die Anforderung (Kaori Ito) so gross, dass der Mann (James Thiérrée) seinen Grips wirklich anstrengen muss, um sie zu bekommen.

Der Mann Thiérrée schafft es mit seinem leidenschaftlichen Ungestüm, aber das Glück der Harmonie aller inneren Alter Egi (links: Magnus Jakobsson) des Liebespaars währt nicht lange ...

... sodass sich der wieder einsam Verlassene im zeitlichen Rücklauf auf die Suche nach dem Moment machen muss, als die Harmonie zerbrach ...

... diese Suche als Gang durch den Sumpf heißt: sich mit neuen, unheimlichen Wesen und eigenen Erkenntnissen zu konfrontieren.

... sich für den Entschluß zur Liebe selbst zu bekämpfen, an sich zu arbeiten, und sich dabei auch noch zusehen zu können ...

... dafür gibt es dann vielleicht den gemeinsamen, harmonischen Flug in der Luft - weil der Mann in die (Zirkus-)Welt der Frau wirklich bereit ist, einzutauchen. (Fotos © Jean Louis Fernandez)


HALLE E - WIENER FESTWOCHEN JAMES THIÉRRÉE HAT ÜBER DIE KONFRONTATION MIT DEM UNGLÜCK WIEDER ZUM MASSLOSEN GLÜCK DES THEATERS GEFUNDEN: IN AU REVOIR PARAPLUIE

Alles, was die Wiener Festwochen nach James Thiérrées La Veillée des Abysses 2004 im Bereich "Zirkustheater" eingeladen haben, - ob Tanztheater- oder Theaterakrobatik-Produktion - vermochte nicht annähernd an die Komplexität und Musikalität des Theaters dieses französisch-schweizerischen Universalgenies heran zu kommen. Das 2008 in Wien zu sehende Nachfolgewerk Au revoir parapluie hat das einmal mehr bestätigt. Thiérrées ins Surreale verpackte Slapstickmelodram der Körpersprache, entspricht in seinem ästhetischen Ausdrucksumfang ganz der logischen Erbfolge, Enkelsohn Charlie Chaplins, sowie Sohn des Zirkusehepaars Jean-Baptiste Thiérrée und Victoria Chaplin zu sein, mit dem der heute 34-jährige Akrobat, Tänzer, Mime und Violinist schon als Kleinkind in verschiedenen Zirkusformationen auf der Welt auftrat. Von daher erklärt sich die Reife im philosophisch-abstrahierenden Themenzugang voller zeitlich zerschnittener Erzählsprünge samt schwierigster Bewegungsinterpretationen dieses doch noch jungen Mannes. Das müßte hinsichtlich professioneller Einverleibung eigentlich von einem mindestens fünfzigjährigen Welt(star)künstler stammen. Dass er diese geistig reflektierte Vollendung mit seinem zart-starken Körper selbst tanzen kann, ist ein wahrer Glücksfall, für den das Publikum ihm oder auch Gott unendlich dankbar sein will.

Fabulöse Archetypen als Liebeskummer-Bringer

Zu Beginn erscheint eine Art Fee, die Schwedin mit Barockopernstimme und in schwarzem Fabelkostümgerüst (Kostüme: Victoria Thiérrée, Manon Gignoux), Maria Sendow, mit einem sagenumwobenen Brief in der Hand. Sie könnte auch Schicksalsgöttin oder innere Stimme des "Liebeskummernden" sein (Thiérrée, dem das Herz durch einzelne Körperteile wandert, sodass "es" an seinem Knie oder Schenkel "klopft"). Dieses Ohmen legt sich als Allmacht in Form einer schwarzen Tuchwolke mit mühsam zu durchwandernden Bauschblasen über die Bühne, "worauf" sich nachfolgende Geschichte in albtraumhaften Sequenzen abspielt: die freuden- und leidensvolle Liebesgeschichte des darauf stapfenden Träumers Thiérrée. Dass sie letztenendes nur durch sein Hirn so kompliziert wird, zeigt eine witzige Szene mit Partner bzw. der weiteren inneren Stimme Thiérrées, Magnus Jakobsson, der durch blitzschnelles Heben von Thiérrées Haarschopf wissen will, was da eigentlich drunter sei, das dem Mann so zu schaffen macht... - Insofern gilt einmal mehr: "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied". (Doch böte die Geschichte nur lineares Glück, wäre sie nicht außergewöhnlich genial ...)

Es fängt damit an, dass der Mann sich zum Liebesobjekt eine Frau wählt, die auf Stricken über den gewöhnlichen Dingen dieser Welt steht: Asiatin Satchie Noro, die zu poetischen Klaviertönen in der Luft tanzt. Und obwohl in diesen Stricken viele tote Herrenköpfe hängen, die wahrscheinlich Ähnliches wollten, läßt sich der junge Mann nicht davon abhalten, ihr - sich wild zu ihr raufschwingend - einen Kuss zu rauben. Und siehe da, es geschehen noch Wunder: Sie verliebt sich in ihn, angedeutet durch die Sängerin, die jetzt zur Leierkastenmusik ein Liebeslied singt. Den Liebeszauber, den die Beiden erleben, zeigt Jakobsson, der allerhand Zauberstücke mit Karten, Vögeln und einer erwartungshaltungsbrechenden Schere auf Lager hat. Das Unglück hat sich mit dem Glück automatisch barockmusikalisch archetypisch mitentwickelt: es taucht in Person der gnomhaft-asiatischen, zeitgenössischen Tänzerin Kaori Ito auf, die sich phasenweise auch als skeptische, innere Sphinx-Stimme des Träumers zu erkennen gibt. - Insofern wäre also auch jeder seines eigenen Unglückes Schmied.

Der Kampf mit sich selbst als Weg zum Glück

Denn das Paar, das jetzt zur Trio-Familie geworden ist, hat sich plötzlich im Unisono gegen den aufkommenden, überwältigenden Gegenwind des Alltags zu wehren. Es bewegt sich gleichförmig rückwärts, als wolle es die Zeit zurückdrehen, wo alles Unglück begann. Man sieht, wie die Liebesliedsängerin aus dem Bild gezerrt wird, wie der geliebten Frau im Bett sitzend statt vor Liebe frohlockend nur noch traurig die Haare vor dem Gesicht hängen. Dass sie zu zweifeln beginnt, zeigt ein schizophrenes Duett mit der sich nun ident bewegenden und aussehenden Kaori Ito. Dabei war die Liebe mit ihrem Mann unter der roten Decke gerade noch so schön. - "Wie schaffte es dieser Störfaktor Ito nur drunter zu kriechen?", denkt sich der Mann. Wie kam es, dass ihm plötzlich seine Jacke nicht mehr passen wollte, und es ihm geschah, dass er sich - beim Zusammenfalten - gleich mitfaltete? Warum wollen ihn seine Füße, seine Hände verlassen, obwohl sich sein Wille dagegen stämmt?

Nachdem er verwirrt allein ist, diktiert ihm daraufhin die Sängerin (in seinem Kopf) einen Brief, um die Einst-Geliebte vielleicht doch zurück zu gewinnen. Mit ihrer Retour-Antwort beutelt es ihn in seinem Schaukelstuhl derart, dass er ganze Rollen schlägt. Er tanzt in geistiger Wiedervereinigungs-Vorfreude in einem harmonisch-symmetrischen, zeitgenössischen Trio (Thiérrée kann also auch das bei erkennbar klassischer Ballettbasis perfekt!) und macht sich auf Wanderschaft, sie zurück zu holen. Doch dabei quält ihn auch schon wieder die einhergehende Skepsis, denn er gerät in eine mit elektronischer Musik durchflutete Sumpflandschaft mit unübersichtlichem Gestrüpp, worin er sich verirrt. Er begegnet einem unheimlich menschengroßen Fisch aus Bast, der sich in eine tanzende Bast-Grille verwandelt, schlägt sich zum Grillengezirpe mit kegelartigen Rutenbüscheln, indem er mit ihnen (also mit seinen Ängsten) leidenschaftlich schlagend jongliert. Schließlich fragt er einen vorbeikommenden Passanten (Jakobsson = sich selbst) um den richtigen Weg (die endgültige Entscheidung). - Wie ahnungslos dumm er ihm (er sich selbst) dabei vorkommt, zeigt dabei die (stummfilmlachreife!) Gesichtsmimik Thiérrées. Dann muss er sich im Sumpf in angstvoller Ohnmacht wieder mit der asiatischen Tänzerin, mit der Sängerin als Sensenfrau konfrontieren, die ihn anschreien, und die er danach als Gewissenskampf mit sich herumschleppt, bis er seinen inneren Schweinehund endgültig überwinden kann, indem er sich (Jakobsson) im virtuos wurfreifen Rutenfechtkampf besiegt. Oder auch nicht. - Denn man fragt sich: "Ist das Schicksal grundsätzlich gegen das Liebespaar?"

Der plötzliche Sprung zur Erkenntnis

In einem plötzlichen Szenenwechsel bekommt man als Antwort "nur" ein Musikquintett geboten, als müßten alle Akteure erst mal auf Distanz gehen, um sich selbst in ihren Entscheidungen bewerten zu lernen. Doch am Ende sind das Paar und die asiatische innere Stimme (des Mannes) auf einem Seil zu sehen, wie sie sich fragil aufeinander zu bewegen und phasenweise darauf harmonisch gleich tanzen. Da sind aber auch eine Menge schirmartiger weißer Federbälle, die von der Decke regnen. Sie stehen wohl für Thiérrées Vision, dass das Leben und die Liebe am besten unterm Zirkuszelt zu betrachten seien, denn ein ganzes Zelt stellen sie in Windeseile auch noch mitten in der Halle E im Museumsquartier auf ... Und wahrscheinlich hat er recht: Leben, Liebe und (sein) Theater bleiben mit urtümlich archetypischen Waagenfahrrädern ja tatsächlich am schönsten als staunenswerte Illusion zwischen Liebe und Hass, Glück und Unglück: Solange es unter der Schutzplane des mythischen Zaubers geschieht, dürfen die ewigen Gesetze für das Funktionieren von Gefühlen und Unterhaltung auch nicht anders lauten. e.o.


DAS URTEIL JAMES THIÉRRÉES ZIRKUSTHEATER IST DAS UNGLAUBLICH SCHÖNSTE, WAS ES AN UNTERHALTUNG UND ILLUSION AUF DER WELT GIBT ...

THEATER Au revoir parapluie * Von: James Thiérrée (Regie und Bühne) * Mit: Kaori Ito, Maria Sendow, Magnus Jakobsson, Satchie Noro, James Thiérrée * Sound Design: Thomas Delot * Ort: Halle E, Museumquartier im Rahem der Wiener Festwochen 2008 * Zeit 27.5.-1.6.08