Saturday, June 30, 2007

THEATER: AIRAN BERG VERABSCHIEDET SICH MIT "SAMOWAR" UND GENIALEN "ZWEI STIMMEN"

Tschechows Typen werden in Airan Bergs Samowar zu Stereotypen - die in der Urne der Geschichte begraben sind. Wie der ewige Bauer, der nie aus seiner Berufsrolle kommt. (Foto © N. Mangafas)

Johan Simons kreiert in Zwei Stimmen fünf Wirtschafts-Stereotypen, die der geniale Verfremdungs-Schauspieler Jeroen Willems zu klaren Typen aus sich heraus gestaltet. Vom aalglatten Italienkonzern-Chef mit Prolo-Trinkmanieren...

... über den intellektuellen Skeptiker-Außenseiter, der von den Bonzen angesabbert und angeschüttet wird ...









... über den Teufel, der mit "seinem Geschäft" die Geschäfte der Geschäftsleute ver-richtet ...
















... bis zum kriminell-politischen Yuppie-Opportunisten, der bald schon zur Stöckelschuh-Geliebten des Konzernchefs mutiert (Fotos © Ben van Duin).



SCHAUSPIELHAUS WIEN AIRAN BERG VERABSCHIEDET SICH VOM WIENER SCHAUSPIELHAUS-PUBLIKUM MIT DEM ZEICHENTRICK TSCHECHOW - SAMOWAR UND DEM SCHAUSPIELERISCH UND TEXTLICH GRENZGENIALEN PASOLINI - WELTSTÜCK VON JOHAN SIMONS ZWEI STIMMEN: MIT JEROEN WILLEMS

Zur Krönung Airan Bergs Schauspielhaus-Wien-Leitung, begibt man sich in sein Schlußprogramm am besten hintereinander: Zuerst in das Live-Zeichentrick-Video-Projekt Samowar in der Schneiderei, und eine Stunde später im Haupthaus ins niederländische Theaterstück Zwei Stimmen. Beides sind Erfolgsproduktionen der letzten sechs Schauspielhaus-Jahre, über die Berg seine aus der Geschichte gewonnene Überzeugung vom Theater - während seiner Arbeits- und bezüglich unserer Lebenszeit - auf den Punkt bringt: nämlich dass das Theater heute formal interdisziplinär und poetisch zu sein hat sowie inhaltlich wirtschaftskritisch und zwischenmenschlich alltagsnah. Und noch einmal interessant dabei ist der Umgang mit (Stereo)typen, die das Theater seit jeher zum Spiegel der Menschheit machen.

Tschechow hat sich sein Ehrengrab verdient

Zur (insbesondere russischen Literatur)geschichte gelangt man in Samowar über wiederkehrende Typen und Sätze aus Stücken Anton Tschechows (1860-1904), die in losen, neu zusammen geschriebenen Beziehungsdialogen vom fiktiven Dasein Tschechows handeln. Abgesehen davon, dass die Verknappung das Wesen des Zeichentricks überhaupt ausmacht, wird dadurch Tschechow, der mit seinem psychologischen Realismus viele Literaten des 20. Jahrhunderts prägte, auf manchen entherrlichter wirken, wobei seine Figuren für heutige Verhältnisse und Langatmigkeitsempfindungen ohnehin zuviel an einander vorbei reden, genau das, was Tschechow den Menschen aber mitteilen wollte: dass sie andauernd an einander vorbei schauen, - reden oder - lieben. Und das endet meistens im (Selbst)mord durch Pistolenschuss.

Live-Zeichentrick von Tschechows Leben

Gemäß des bevorzugten Schauplatzes von Tschechow, spielt auch der Zeichentrick in einem Landhaus. - Ein Miniaturhaus wie ein Architekturmodell, das neben Airan Berg steht, der das Videomischpult bedient und zeitweise mit der Handkamera durch das Häuschen voller verstreuter Papiertexte fährt, während er dessen Projektionsbild mit den Zeichnungen und deutschen Sprechsätzen von Live-Comic-Zeichner Marcel Keller überblendet. Das punktgenau geplante, präzise Zusammenspiel der Beiden zu beobachten, wozu auch noch die - die fremdländische Atmosphäre intensivierende - Anja Sebanz russisch liest, ist insgesamt das spannendste, trotz schulisch belehrender Note.

Denn die Geschichte wirkt mit diesen Figuren heute "als gegessen", selbst wenn manches - ob nun Vorurteil oder Klischee - auch heute noch gilt: Der zu Geld gekommene Bauer, der noch so viel lesen kann, und dennoch immer nur "Bauer" bleibt. - Die Persönlichkeit bleibt in Herkunft, Klasse, Beruf und Rollenbild gefangen. Manch einer hat den Traum vom Schriftsteller, wagt es aber nicht, ihn zu realisieren. Während umgekehrt die Tschechow-Figur grundsätzlich lebenspessimistisch und unglücklich scheint. Der Doktor - Tschechow hatte eigentlich Medizin studiert - liebt schon lange niemanden mehr. Die Schauspielerin zeigt sich im Gespräch mit dem Professor entrüstet darüber, "schon so alt zu sein, dass er bei ihr von einem anderen, jungen Mädchen schwärmt". - Insgesamt ist es also ein depressives Philosophieren über den Lebensschmerz, egal wer und was man ist. Und alles, was zählt, ist die "Arbeit". Da Tschechow mit seiner Einstellung nach Rußland fährt und seine Urne (später) im Haus aufgestellt wird, erklären ihn die Macher samt Einstellung wohl für historisch beendet.

Pasolini und Shell-Tycoon vereint in Zwei Stimmen

Zwei Stimmen spielt im Hier und Jetzt, und - welch Glücksfall - auf "Deutsch". Sodass sich - ausnahmsweise in dieser Theaterlandschaft - auch einmal sprachliche Feinheiten einer feinen Sprache, gesprochen vom fein und deutlich sprechenden Schauspieler, Jeroen Willems, ausmachen lassen. Hier geht es um Pier Paolo Pasolinis Macht- und Politeinstellung in Italien, was mit einer Rede des Shell-Tycoons Cor Herkströter als "echt" aktualisiert wurde. Abgesehen davon, dass die wirtschafltiche Macht in all ihren Abgründen beschrieben und angeprangert wird, ist es vor allem die Schauspielkunst Jeroen Willems, die das Stück des niederländischen Topregisseurs, Johan Simons, unglaublich bedeutungsvoll macht. - Und das, obwohl es schon zehn Jahre lang viel ausgezeichnet durch die Welt tourt. Es ist geradezu beängstigend, wie aktuell dieses Stück noch ist.

Der philosophisch-intellektuelle Außenseiter, der anfangs zerknirscht und in Hornbrille an die bereits ziemlich verwüstete Festtafel tritt, wird von allen anderen als Buh-Mann angesehen - und deshalb auch von allen bekleckert. Die "Anderen" sind Typen aus globalstarken, in vielen Sparten vernetzten Unternehmen - aus verschiedenen Hierarchien allerdings, sprich vom Fädelsführer bis zum kriminell-politischen Opportunisten, der alles über die Macht(strukturen) zu erzählen weiß und nichts von sich selbst. Doch fantastisch daran ist, dass sie Jeroen Willems in Personalunion nicht als Stereotype spielt, sondern jeweils mit eigener Individualität und musikalischem Schauspielmantel "verfremdet". Dadurch wird das zum Kunstakt sondergleichen, wobei die Übergänge vom einen Charakter zum Nächsten, durch Schuhe anziehen, Wein trinken, Wasser trinken, Dessert essen ... von ebenso großer Virtuosität und Originalität sind. Zum Exzess kommt es, als Willems auch noch eine Frau darstellt. Und das ist keine typische Transe, sondern ein Mann in Stöckelschuhen mit Perücke, die sich auch mal als Schamhaar des Teufels verwenden lässt, der die Geschäftsmänner als dunkle Macht zum ausbeuterischen Unheil im Business treibt.

Was Brecht über Verfremdung meint, lebt in Jeroen Willems

Denn typisch für Pasolini muss es ja um die Urfrage zwischen Heiligkeit und Teuflischem gehen, da das in Italien unter Mafia und Vatikan pervertierend verdreht wird, sodass mancher Geschäftsmann fast in Gewissenskonflikt geraten muss. Und wie man das äußerlich an dem Menschen erkennt, das beschreibt uns Willems, auch als Frau. Jene muss zum Dank dem Konzernchef einen blasen - doch wenigsten spuckt sie dessen Erguß angeekelt aus. - Der Übergang ihres Wasser-Nachtrinkens zu jenem des Bosses ist übrigens genial.

All das endet noch zynischer als es begonnen hat: mit der echten Rede des Shell-Unternehmers Herkströter, der davon spricht, wie gut es der Osten, Afrika und Asien jetzt hätten, da sie noch ohne Gewissenskonflikte die Wirtschaft ankurbeln könnten, wobei ihnen der gebeutelte Westen auch noch helfen müsse. Doch eigentlich fühle sich die Wirtschaft für die Politik nicht verantwortlich ... Und er ergänzt im zynischen Nachsatz: "Wie wunderbar ist es doch, heute ein junger Mensch zu sein!" - Das Erschütternde daran ist: Willems ist in seinem Anzug und hübschen Gesicht so ein typisch charmanter Wirtschafts-Alpha-Mann, dass er wahrscheinlich jeden einkaufen könnte. Genau so, wie es andauernd geschieht, und obwohl jeder weiß, was eigentlich dahinter steckt. Selbst wenn er (Willems sich selbst) dem zweifelnden Philosophen im Schlussbild brutaler als alle anderen das Wasser ins Gesicht schüttet! e.o./a.c.


DAS URTEIL AIRAN BERG HAT ALS ABSCHLUSS SEINER SCHAUSPIELHAUS-ZEIT EIN TOP- (LEIDER NUR 3-TAGES) - PROGRAMM AUSGESUCHT: ZWEI STIMMEN IST NOCH IMMER EINES DER MITREISSENDSTEN, WENN NICHT "DAS GRÖSSTE" THEATEREREIGNIS DES LETZTEN JAHRZEHNTS. WEGEN JEROEN WILLEMS, DER MIT SEINER TYPEN-VERFREMDUNG-DURCH-SICH-SELBST ZURECHT ALS BESTER SCHAUSPIELER EUROPAS GILT!

Thursday, June 28, 2007

MUSIK: WIENER JÜDISCHER CHOR & ISLE OF KLEZBOS ERÖFFNEN KLEZMORE-FESTIVAL

Die Uneitelkeit jüdischer Musikerinnen ist verblüffend: Das beginnt bei Barbra Streisand und endet bei der amerikanischen Frauen-Klezmer-Band Isle of Klezbos (© Foto mit alter Besetzung: Anita Briggs)

Der Wiener Jüdische Chor, geleitet von Roman Grinberg, ist eine Ausgeburt der Lebensfreude. Die Belzer Sisters gehören auf die ganz große Bühne (eine davon steht hinter Grinberg: mit Brille, 2.v.rechts) (© Jüdischer Chor)


PORGY & BESS - 4. KLEZMORE FESTIVAL VIER ELEMENTE MACHTEN DIE ERÖFFNUNG DES WIENER KLEZMER-FESTIVALS ZUM FREUDENABEND - OBWOHL DER CHOR EHER LEBENSFROH ALS KÜNSTLERISCH, DIE FRAUENGRUPPE EHER JIDDISCH-BRAV ALS -FUNKY BZW. "BILLIE HOLIDAY" WAR

Wegen vier Elementen war der Besuch des Eröffnungs-Doppelkonzerts anläßlich des 4. Wiener Klezmer-Festivals, das bis 8. Juli 2007 dauert, ein Glücksgang. - Und obwohl die hohe Erwartung eher auf die amerikanische Frauenband Isle Of Klezbos gerichtet war, verbuchte der Wiener Jüdische Chor - begleitet von Akkordeonist Igor Pilyavkiy, der auch der Panflöte mächtig ist, der mitreißend fidelnden Daniela Fischer, Bass Manfred Klaus sowie Schlagzeuger Wolfgang Dorer - drei von diesen vier Glücksingredienzen für sich: durch seine ansteckende Freude am Singen, das herausragende Gesangduett der Belzer Sisters und den witzigen Dirigenten-Entertainer und hüpfend-anmutigen Pianistenschelm: Roman Grinberg.

Vom jüdischen Witz zur jiddischen Chormusik

Der gebürtige Moldawier Grinberg verströmt das Bild eines ungemein lebenslustigen Zeitgenossen. Ist er Prototyp der jüdischen (jiddischen) Mentalität, dann soll er mit seiner schnelldenkend schlagfertigen Laune nicht nur seinen Chor, sondern bitte gleich ganz Wien anstecken. Der jazz-geeichte, musikalisch vielfältige Klavierspieler hat seine eigene Klezmer-Gruppe nicht umsonst Frejlech (Fröhlich) genannt, wo er außerdem singt, arrangiert und Alon Kupert als Band-Spaßvogel, Schlagzeuger Tony Grinberg, die ausdrucksstarken Genie-Geiger Alioscha Biz und Paul Fields, Klarinettist und Saxophonist Horst Hausleitner, Klarinettist Thomas Gensthaler, die Akkordeonstars Roman Gottwald und Krzysztof Dobrek, sowie die Posaunisten Hans Bichler und Dominik Stöger leitet. So wie der jüdische Witz die Regeln des Lebens von innen her hinterfragt, schießt Grinberg seine Kommentare zwischen den Liedern ab, etwa zu Die greene Cousine, das von einer Emigrantin in Amerika handle, die "grün hinter den Ohren" alle Verehrer abweist, weil sie zu jung ist und erst mal arbeiten muss, was sich mit den Jahren aber auch nicht ändert, weil sie "noch immer nur arbeiten muss. Auf die Frage, wie es ihr gehe, sagt sie: "Verbrennen soll das Land des Columbus."" Weitere chassidische, jiddische, hebräische und sefardische Lieder enden schließlich im Witz: Rifka fragt Chaim nach dem Konzert: Na, wie hat es dir gefallen? - Er: "Suchst du schon wieder Streit?"

Immer schneller zum Belzer-Sisters-Höhepunkt

Die oftmals langsam beginnenden Lieder, die typisch für Klezmer-Musik immer schneller werden, sind - künstlerisch gesehen- nicht unbedingt das höchste der Gefühle, sie haben aber verbindenden, feierlichen "Volkscharakter" gleich dem Gospel (weshalb auch der nigerianische Nichtjude als Gast-Solist passt); und dank jiddischer Sprache erhalten sie obendrein einen ganz eigenen Charme. Wobei Jiddisch bitterer Weise bis 1938 von zwölf Millionen Menschen gesprochen wurde, heute nur noch von sechs Millionen verstanden bzw. 0,7 Millionen gesprochen wird, und zwar hauptsächlich in Amerika. Umso überraschend atemberaubender wirken die gesangstechnisch exklusiven Belzer Sisters - Dora Napadensky und Emilia Blufstein, ebenfalls aus Moldawien: Ihre theatral-narrative Färbung ist beim Singen so intensiv, da sie die Steigerung nicht nur Tempo-bezogen, sondern auch innerlich erlebend betonen. Temperamentvolle Lautstärke modulieren sie mit Sensibilität in leisen, hohen Tönen. Passend zum wehmütig schönen Text: "Wenn du lachst, lachen alle mit dir mit. Wenn du weinst, bist du einsam wie ein Stein, du weinst für dich allein." - Das ist Esther Ofarim mal zwei; und es sollte möglichst bald eine CD von ihnen geben!

Ungeschminkte Frauenband

Unter dem Titel Billie Holiday meets Yiddish Boogaloo bestritt danach den zweiten Teil Isle Of Klezbos, geleitet von der Schlagzeugerin Eve Sicular. Und da kam es zum vierten Element der Faszination: über die Mischung von absolut ungeschminkten Musikerinnen (konkret ohne Make-up) mit teilweise höchster Virtuosität bei dieser narrativ-eloquenten, rhythmischen Musik. Das ergibt ein ganz eigenartiges "Frauenbild". Und doch absolvierten sie das Programm insgesamt etwas zu brav, zu sehr auf die Noten starrend. Auch die Musikauswahl wirkte ein wenig eintönig. Im Detail ist Carmen Staaf jedoch eine gefühlvoll spielende Pianistin, die nur am Akkordeon manchmal ein wenig bemüht wirkt. Reut Regev, mit schwarzem langem Haar, würde man das Posaune-Spielen nie glauben, erzählte sie einem auf der Straße davon - so schön und anmutig ist sie. Umso ungewöhnlicher ist der Anblick, wenn sie in dieses schwerfällig große Instrument mit runden Wangen bläst - manchmal ausgezeichnet, manchmal, weil sie es "muß". David Hofstra sprang ersatzweise für den ansonsten ebenfalls weiblichen Bass ein. Herausragend gut sind schließlich die Klarinettistin und Alt-Saxophonistin Debra Kreisberg, die in ihrem wendig schnellen Ausdrucksvermögen irgendwie an Woody Allen erinnert; und Sängerin Deborah Karpel, die allerdings keine Billie Holiday, sondern eher eine Ruth Brauer oder Judy Garland ist, wenn sie etwa Shpil Du Fidl, Shpil sing singt. - Vom versprochenen Punk- und Funk-Einfluß war in diesem Konzert nichts zu merken, er lässt sich aber auf der Homepage der Gruppe nachhören (wobei Bandleaderin Eve Sicular auch bei Metropolitan Klezmer spielt). e.o.


DAS URTEIL JIDDISCHE MUSIK BRINGT GENAU DIE RICHTIGE ABWECHSLUNG FÜR JENE, DIE SCHON VIEL BALKANMUSIK GEHÖRT HABEN. EINE SENSATION SIND DIE BELZER SISTERS, EIN CHARMEUR IST ROMAN GRINBERG. WEGEN IHRER UNEITELKEIT FASZINIEREND: ISLE OF KLEZBOS. - DEN FUNK IST MAN UNS SCHULDIG GEBLIEBEN.


Nächste Konzerte des 4. Klezmore Festivals Vienna 2007 über: www.klezmore-vienna.at
CD-Ausschnitte von Roman Grinbergs Gruppe Frejlech, über: http://www.klezmer.at/Frejlech-Index-2.htm
CD-Ausschnitte von Isle of Klezbos, über: http://www.metropolitanklezmer.com

Thursday, June 21, 2007

PERFORMANCE: NACH "SCLAVI" HABEN WIR LUST AUF THEATER DES WORTES

Ritueller Tanz als Ausdruck von heimatloser Verzweiflung (Foto © T. Karas) - Wann wird bei den Wiener Festwochen wieder literarisch hoch und zeitgenössisch international gesprochen?


MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN DIE PRAGER GRUPPE, FARM IN THE CAVE, BILDET MIT SCLAVI DEN SCHLUSSPUNKT DES WORT- UND VOR ALLEM LITERARISCH KARGEN THEATERFESTIVALS

Die Wiener Festwochen gehen mit der letzten Produktion Sclavi - Das Emigrantenlied zuende. Was sich nun mit Sicherheit sagen lässt, ist: wir hätten jetzt wieder Mal große Lust auf neue, sprachgewandte Autoren, die dazu fähig sind, eine Geschichte zu erzählen. Ein paar internationale, zeitgenössische Entsprechungen zum deutschen Martin Heckmanns, zum Beispiel, wären an der Zeit, ausfindig gemacht und präsentiert zu werden. Denn schauspielerisch getanzt und theatral installiert wurde jetzt genug.

Das sagen wir nach dem bestimmt nicht schlechten, choreographischen Theaterstück Sclavi der Prager Gruppe Farm in the Cave, das mit auffällig guten rituellen Bewegungen und folkloristischen Gesängen einmal mehr im Rahmen des heurigen Forumfestwochen-Programm ff für Schauspieldirektorin Marie Zimmermanns tiefste Überzeugung Das Leben. Kein Traum stand. Gegangen ist es um einen Slowaken, der nach Jahren schwerem und herzlosem Arbeitsaufenthalt in Amerika, in sein Heimatdorf zurück kehrt und seine Wurzeln dort weder finden, noch schlagen kann. "Sklave" ist er daher im "Ausland" wie in der "Heimat". Und besonders bitter daran ist: Es wird davon tatsächlich in ostslowakischen Emigrantenliedern gesungen und erzählt, die in diesem Stück als musikalische Fetzen vorkommen.

Viel Körpersprache, zu wenig Wort

Dieses Thema lässt sich in schnellen Übergängen mit großem Körpereinsatz und grenzüberschreitendem Gefühlsexzess nachvollziehen. Garniert mit Akkordeon, Glaskonzert, Bläser- und Schlagzeugrhythmen, wozu die Darsteller tanzen, sich expressiv ausdrücken oder parallel neben ihrem musikalischen Spiel akrobatisch verausgaben, erinnert es phasenweise und passend zum Titel an Afrotanz, was auch die stärksten Eindrücke hinterläßt. Auf jeden Fall hat es existenzialistische Atmosphäre. Nur: Es endet, insbesondere als Letztaufführung dieser Flut an Performances der heurigen Festwochen, an der oberflächlichen Ausweglosigkeit.

- Das einzige, was uns jetzt lebens-sinnstiftend und kunst-sinnlich wieder weiterbringen kann, ist daher die optimistische Sprache des Wortes. Denn sie ist es, was den Menschen vom Tier unterscheidet und ihn kulturfähig macht. Das Tanzen kann man erst Mal getrost den Machern des ImPulsTanz-Festivals überlassen, denn Körpereinsatz und Bewegung sind hier in der Regel als Kunstform an sich kulturell vertieft und ästhetisch höher entwickelt. Vielleicht hätte das Wort aus richtiger Zunge ja auch Marie Zimmermann wieder Lebensmut gegeben, wer weiß. - In uns schreit es jedenfalls gerade sehr danach. a.c./ e.o./ r.r.


DAS URTEIL GUT BEWEGT, GETURNT, GETANZT, MUSIZIERT, GESUNGEN - ABER LEIDER ZU WENIG LITERARISCH GESPROCHEN: DAHER TROTZ EXISTENZIALISMUS ZU OBERFLÄCHLICH.

TANZTHEATER Sclavi - Das Emigrantenlied * Regie: Viliam Docolomansky * Mit: Farm in the Cave, Prag * Ort: Halle G, Museumsquartier * Zeit: 21., 22.6.2007: 20h30

Wednesday, June 20, 2007

TANZ: ANNE TERESA DE KEERSMAEKER SPRICHT IN "NACHT" VON IHREN SCHLÜSSELWERKEN

Bei Béla Bartók tanzte Anne Teresa De Keersmaeker nach Ausfall einer Tänzerin im Mädchen-Frühlingserwachen selbst: das war nicht wirklich passend.

Zu Beethoven kreierte De Keersmaeker einen Tanz der "Männer", wo sie ihnen zeigt, wie befreiend weibliche Lässigkeit sein kann. - So kennt man sie in Wien.

In Verklärte Nacht zu Arnold Schönberg entscheidet sich ein Mann für eine Frau, die das Kind eines anderen erwartet - inhaltlich auch typisch. (Fotos © Herman Sorgeloos)


THEATER AN DER WIEN / IMPULSTANZ EINE NACHT IN DREI TEILEN HANDELT ANNE TERESA DE KEERSMAEKER-SYMPTOMATISCH VON MUSIK UND LIEBE

Anne Teresa De Keersmaeker hat es also wieder mal getan: von der Liebe gesprochen, von Beziehungen zwischen Mann und Frau - und das aus ihrer Sicht als Frau. Inhaltlich eine Rosamunde Pilcher, formal dafür jedoch zu intellektuell, und andererseits auch wieder nicht. Liebe suchen - mit der Liebe spielen - Liebe finden - mit Männern ringen - Schwanger werden - Liebe verlieren - trauern - sich wieder verlieben - mit Mann ringen - der die Frau dann vielleicht trotz Kind des anderen nimmt. - Das alles brachte sie letztes Wochenende am Theater an der Wien in Form eines dreiteiligen Werkabends unter dem Titel Nacht auf einen Nenner. Wobei bemerkenswert ist, dass es sich dabei um Uraufführungen in Quartalssprüngen im Laufe eines Jahrzehnts handelt, es inhaltlich aber dennoch wie aus einem Guß erscheint.

Keersmaeker als junges Füllen

Quartett Nr.4 zur Musik Béla Bartóks aus dem Jahr 1928 entstand 1986 als widersprüchliches Vier-Mädel-Quartett: ein streng präzises Unisono von charakterlich erkennbaren Individuen, worin jedes auf eigene Weise mit seiner heranreifenden sexuellen Neugierde kokettiert. Am auffälligsten und atmosphärisch passendsten wirkte darin die beschwingte und vertrauensvoll lachende Taka Shamoto. Tale Dolven und Elizaveta Penkóva boten die stabile Basis bei all den Drehungen, die nicht zu enden schienen. - Eine Entsprechung zur Fröhlichkeit dieser Mädchenzeit, die mit Hüpfen und Springen von Übermut zeugt, was jedoch - gemäß dem Charakter der Werk-Schaffenden - durch abrupte Launenhaftigkeit und plötzlich stolzem Rückzug unterbrochen wird: indem sich die Mädchen, gleich der künftigen Diva etwa - Gesicht frontal zum Publikum - das Haar glatt streichen, und sie lässig und frech ihre Röcke ausziehen, um mit nichts als in Unterhosen und T-Shirt absichtslos verführerisch zu tanzen.

Das paßte auch noch - wie übrigens die dissonant unberechenbare Musik, live gespielt vom Duke Streich-Quartett - ganz ausgezeichnet zur vierten Tänzerin: zu Anne Teresa De Keersmaeker höchstpersönlich. Was aber nicht paßte, war ihr Alter von Mitte vierzig, und zwar nicht so sehr wegen der Optik, sondern weil diese erfahrene Frau mit "Chefposition" einfach von Haus aus schon ganz etwas anderes ausstrahlt, selbst wenn sie sich mental und schrittabsolvierend in diese Jung-Mädchen-Stimmung hinein zu versetzen schien und sie irgendwo sogar noch so ein Mädchen sein mag. - Der Reiz dieses Werks liess sich somit zwar logisch nachvollziehen, die beabsichtigte Wirkung war aber völlig zerstört. Im Tanz, wo nur mit Körper, Ausstrahlung und Bewegung gearbeitet wird, lässt sich die Naivität eines Füllen nun mal nicht herbei schwindeln. Und für den Gag, dass ein Starregisseur als Nebendarsteller wie zufällig à la Hitchcock durch die Szenerie huscht - dafür war die Keersmaeker in diesem Stück zu dauer-präsent.

Steife Herren als lässige Burschen

Die Große Fuge zur Musik Ludwig van Beethovens (1825) diente indessen als kreisförmige Tutti-Harmonie unter Männern - ein Choreografiestil des Kommen und Gehens, Ausscherens und Wieder-Einfügens, den man bei Keersmaeker schon öfter gesehen hat und der offensichtlich hier (1992) seinen Ausgang nahm. Am schönsten - und tatsächlich sehr sexy - ist hier die neben Kaya Kolodziejczyk als Mann verkleidete Frau Moya Michael, deren langes rotes Haar unter all den Herrenhemd- und Hose-Trägern geschmackvoll "störend" auffällt. Anfangs streng horizontal in Linie aufgereiht, löst sich diese männliche Linien-Striktheit im leicht versetzten und freudig bewegten runden Kreis auf, worin die "Herren" ständig von außen ins Zentrum-Innere strömen, als gäben sie ihre sturen Werte und Machismen liebend gerne auf. Schon weil sie sich auch immer wieder in fliehender Drehung plötzlich fallen und vom Partner auffangen lassen und sich - wie schon zuvor die Mädchen - irgendwann ihrer steifen Hemden entledigen, um sie durch T-Shirts zu ersetzen.

Und Keersmaeker - opernhaft neu

Verklärte Nacht - von Arnold Schönberg 1899 als ein op.4-Sextett schmerzlich dramatisch komponiert - hat Keersmaeker 1995 erstmals aufgeführt. Und so hat man sie in Österreich eigentlich noch nicht gesehen: Eingerichtet wie eine Oper, tanzen hier Männer und Frauen die Geschichte einer aufkommenden Liebe in Anlehnung an das gleichnamige Gedicht Richard Dehmels, worin ein Mann und eine Frau durch den Wald schlendern, sie jedoch von einem anderen schwanger ist. Da sie aber den Mann neben sich liebt, hofft sie auf dessen Liebe. - Dieses Thema der allein gelassenen werdenden Mutter hat Keersmaeker später in Raga For The Rainy Season aufgegriffen, was wiederum formal wie Die Große Fuge umgesetzt ist. - Hier dagegen stehen einige ablehnende Tänzer wie die Waldbäume mit dem Rücken zum Publikum bzw. zur Frau, während Paartänze schlechtes Gewissen, Hoffnung auf Gefühlserwiderung und Angst der Frau offenbaren: Sie springt auf ihn zu, wirft sich ihm hin, er fängt sie - fast zwanghaft - auf. Damit er sie tatsächlich auffangen "will", muss er erst mal durch einen Konflikt mit sich selbst hindurch. Und dafür findet Keersmaeker eine schöne Metapher: Eine Tänzerin trägt sein Hemd, er nur seine Hose, und sie ringen beide miteinander, bis sie sich in Harmonie einigen. Und da das nicht nur seine Angelegenheit ist, wiederholt es sich im exakten Pendant in ihr: eine andere Tänzerin tanzt als "ihr Unterkleid" mit ihr als "Überkleid".

Das alles in großer Leidenschaft getanzt - und von ebenso großer inhaltlichen Dramatik - beweist doch, wie anders die belgische Choreografin innerhalb der Zeitgenossen-Szene ist. Keersmaeker mag nicht die technisch und ästhetisch beste Choreografin der Welt sein, aber sie hat Charakter, und der ist selbstbewußt weiblich. e.o.


DAS URTEIL WAHRSCHEINLICH LIEGT KEERSMAEKERS GRÖSSTE QUALITÄT IN DER PERFEKTEN BEHERRSCHUNG DES UNPERFEKTEN, AUS ÄSTHETISCHER UND PERSÖNLICHER ÜBERZEUGUNG. DARIN IST SIE EXTREM WEIBLICH. - DIESE SCHLÜSSELWERKE ZEIGEN ES, SELBST WENN SIE MITTLERWEILE SCHON WELTBEWEGENDERES GEZEIGT HAT.

Tanz: Steve Reich Evening * Mit: Rosas * Choreografie: Anne Teresa De Keersmaeker * Mit: Ictus Ensemble * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 17.+19.6.2008: 20h

TANZ Gala-Abend "Preljocaj/Forsythe/Rosas/Chouinard" * Mit: Manuel Legris und Laetitia Pujol vom Ballet de l’Opéra National de Paris; Tänzern des Mariinsky-Kirov-Balletts; Antony Rizzi & Leslie Heylman, Ex-Tänzer des Ballett Frankfurt; Mitgliedern von Rosas und Chouinard * Ort: Burgtheater, im Rahmen von ImPulsTanz Wien * Zeit: 14.7.2008: 19h30, 16.7.2008: 20h

TANZ Zeitung * Von und mit: Rosas / Anne Teresa De Keersmaeker & Alain Franco & David Hernandez * Piano: Alain Franco (Johann Sebastian Bach, Arnold Schönberg und Anton Webern) * Ort: MQ Halle E * Zeit: 7., 9.8.2008: 21h

Monday, June 18, 2007

THEATER: GANZ GUT GEBRÜLLT HAT FRANK CASTORF IN "NORDEN"

Hitler hätte sich geschmeichelt gefühlt: Castorf erhebt Gebrüll und mond-ballon-hafte Utopie-Denkensweise der Nazis zu( seine)m Ideal-Kunstausdruck, wobei er den Nazi-Gesinnungsinhalt als Gegenteil seines politischen Ideals natürlich verarschend angreift (Fotos © Thomas Aurin) ...

... sowie er auch den Widerspruch zwischen Homosexuellenablehnung und -begehren in Burschenschaften zum Thema macht (hier Nazi-Bärtchen-Mann mit Lust auf Transvestiten: Milan Peschel, Bernhard Schütz, Matthias Schweighöfer).


MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN FRANK CASTORF IST BERÜHMT FÜR SEINE AKTIONISTISCHEN SCHAUSPIELER-PARTIES - MIT NAZI-GESCHÄDIGTEN FRANZÖSISCHEN KOLLABORATEUREN WIE CÉLINE IST DAS PSYCHOLOGISCH RECHT SPANNEND ...

Kurz vor Beginn der Wiener Festwochen brüllte Berliner Volksbühne-Chef Frank Castorf anläßlich seiner Norden-Uraufführung in die versammelte Presse: "In einem der letzten Gespräche mit Martin Bormann sagte Hitler: "Ich war Europas letzte Chance." - Hitler hatte damit nicht ganz unrecht, und Sebastian Haffner bemerkte, er hätte bloß vergessen, hinzuzufügen, dass er diese Chance grundlegend kaputt gemacht hat." - Dieser Satz und der Lärmpegel (hier spricht kein Schauspieler gelernt gedeckt, so wie er es zwecks Stimmbänderschonung sollte) ist symptomatisch für die Regie, die einem am Aufführabend entgegen knallt.

Man sieht ein paar als Kriegsveteranen, Russen, polnische Huren und travestierende Nazi-Soldaten verkleidete "französische Schauspieler" in einem Zugwaggon - wohl eine Doppelsarkastik zwischen endstationierenden Auschwitz-Zügen und reisenden Opportunistenkünstlern -, der gegen Ende des Krieges, in Deutschland zum Stillstand kommt: Denn hierher hat es den französischen Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline verschlagen, der sich als geduldeter Kollaborateur in den privilegierten Schutzräumen der sinkenden Nazi-Macht bewegte.

Hitler-Lärm als Ideal-Schauspielsprache

Der faschistische Symphatisant, Antisemit und Autor des Stücks Céline steckt sozusagen - neben den eigentlich verkörperten Rollenfiguren - in Köpfen und Körpern der Schauspieler: als "bösartiger Mensch, einem Querulanten, der rastlos durch Europa reist. Eine merkwürdig schillernde Figur, aber jemand, der sagt, was er denkt", beschreibt ihn Castorf. Und genau so präsentiert er ihn dem Publikum. Damit es sich der Lautstärke - die für die ganze, militant-hysterische Nazi-Generation steht und gleichzeitig aber Castorfs geheime Theater-Ausdrucksliebe zwischen Emotionalität, unmoralischer Aggression und physischer Grenzerfahrung ist - von Anfang an bewußt ist, werden zu Beginn Ohrschaumgummis verteilt. Die Stöpsel steckt sich niemand rein, die Angst, wann der Lärm "kommt", steht aber jedem spannungsgeladen ins Gesicht geschrieben. Obwohl er stimmlich durchgehend da ist. Doch dann kommen sie: die Maschinengeschoße ertönen im Zehnminuten-Takt. Immer dann, wenn ein dogmatischer "Nazi" kein Gehör findet.

Nazi-Ideologie als vertane Chance

Alle fünf Minuten verlassen indessen kleine bis größere Gruppen die Zuschauerreihen. Denn was man hier sieht, ist eigentlich eine Installation, die nur einen "Gemütszustand" einer Gesellschaft ausdrückt und keine großartige Wandlung durchmacht. Die Sprache ist so verworren und doch momentweise so zynisch genial, dass man einerseits bleiben will, andererseits gehen kann. Denn inhaltlich begriffen hat man diese "Ersatzparty der Maßlosigkeiten", als die Castorf-Inszenierungen unter Jugendlichen gehandelt werden, schon im ersten Eindruck. Doch da dem Auge und Ohr genug spektakuläre Abwechslung in Tönen und Bildern geboten wird, kann man sich ruhig ein wenig aufhalten unter diesen irren Nazi-Geschädigten. Dass sie als "Fantasten" im Grunde nur nach schönem Luxus und idyllischem Mond strebten, was sich aber leider zum dekadent Maßlosen zwischen Sexgier und Mordlust entwickelte, wird zwischendurch bildhaft und anhand von verehrten "japanischen" Sänger-Diven gezeigt.

Manch geistreiche Heute-Dada-Politik

Irritierende, teilweise geistreich-dadaistische Politbezüge zwischen Ausländerfragen von damals und heute sowie Castorfs "Schauspielerzugang" - Zitat: "Schauspieler müssen in Deutschland alle beschäftigt sein" - und Literatureinschübe wie das Gedicht vom Erlkönig ("Vater, Vater, jetzt faßt er mich an ..." mit "...und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt"), treiben den exzessiven Größenwahnsinn als allzeitgültige Nachwehe auf die Spitze, wobei die "Enttäuschung" über des Führers Tod als zerstörte und damit inhaltlich falsche Form von Utopie gleichzeitig durchgehend über dem Stück schwebt. Hier herrscht also "heutige" Endzeitstimmung, worin sich niemand bewegen kann, nicht mal in Richtung Tod. Denn die Bühne ziert der riesige Schriftzug: "Die another day". Der das Jesus-Kreuz schleppende Céline ist zum Heute-Castorf-Märtyrer geworden, unterstrichen vom doppeldeutigen Satz, "Keiner interessiert sich für französische Kunst, nur für Kriege". Und so wandeln demnach diese heutigen Schauspieler zwischen verkanntem Genie und opportunistischen Schildbürgern durch das Geschehen.

Manch echte Künstlerparty ist noch lebendiger

Mit dieser Erkenntnis verließen wir nach zwei Stunden Castorfs hoffnungslose 3-Stunden-Party, um jene eines verwandten Architekten anläßlich seines 40. Geburtstags zu besuchen. - Sie enthielt Beziehungsgeschichten, Sarkastisches und Geistreiches an erlebten Rückblenden und romantischer Zukunft, in sieben Stunden bis zum Morgen um 5h30; sodass wir am Ende sagen können: Echtes Leben ist doch noch mal lebendiger als Castorfs Theaterfeier, wobei sich das aber nicht in der Aktion, sondern im reflexiven Geist bewahrheitet. e.o./r.r.


DAS URTEIL DA CASTORF WAHRSCHEINLICH MIT WOLFGANG RIHMS LENZ DIE WIENER FESTWOCHEN 2008 ERÖFFNET, "WO SICH DIE SÄNGER ZUR MUSIK HINSCHREIEN WERDEN", KONNTE MAN DAS GUT GEBRÜLLTE NORDEN RUHIG VORZEITIG VERLASSEN. - NETTE AKTIONS-INSTALLATION, KEINE LEBENSNOTWENDIGE THEATERERFAHRUNG.

Friday, June 08, 2007

TANZ & MUSIK: ALAIN PLATEL UND FABRIZIO CASSOL MIT ETHNO-BEHINDERTENWERK "VSPRS"

Das Leben zeigt sich Entstellten (Behinderten) unmittelbarer als Normalen. Die expressive Tänzerin mit schutzbedürftiger Punkerinnen-Optik Mélanie Lomoff macht das spürbar. (Fotos © Chris Van der Burght)

Quan Bui Ngoc drückt es in virtuosem Klassiktanz, aber mit irrem Blick garniert aus ...

... oder gewaltsam gegenüber der biegsam-exzentrisch-sprudelnden Iona Kewney.

Der ekstatische Moment, als Sängerin Claron McFadden, Musiker und Tänzer durcheinander geraten, hat etwas makaber Feierliches.

Und die Wichs-Szene ist schließlich die (religiöse) Erlösung. - Allerdings nicht das Happy End!


THEATER AN DER WIEN - IMPULSTANZ WIE DIE NACHAHMUNG VON BEHINDERTEN- UND HYSTERIENMANIE ZU GROSSER KUNST WIRD - REGISSEUR ALAIN PLATEL UND KOMPONIST FABRIZIO CASSOL HABEN EIN VERWOBENES, BITTER-SCHÖNES GESAMTKUNSTWERK GESCHAFFEN

Hyperkinese - das ist der motorische Reizzustand des Körpers mit Muskelzuckungen und unwillkürlichen Bewegungen. Und Hyperkinese ist der inhaltliche und formale Kern von Alain Platels VSPRS, mit dem er gerade im Theater an der Wien zu Gast ist. Interessant ist nun, wieviel der belgische Choreograf da hinein zu packen weiß und vor allem - wie. Prinzipiell schöpft er aus der Konfrontation mit dem Wesen "Religion". Denn sie steckt im Ausgangsstoff der Marienvesper des Barockkomponisten Claudio Monteverdi, allerdings in völlig anderer Definition.

Die Belgier und die Klassikparodie

Nehmen sich zeitgenössische Choreografen wie Anne Teresa De Keersmaeker und Alain Platel Auftragsarbeiten an, die sehr weit vom Zeitgenössischen entfernt sind, lässt einen das Gefühl - insbesondere bei diesen Belgiern mit ihrem speziellen Humor - nicht los, sie wollten sich über die Klassik lustig machen: Dann, wenn es um kollektive Andacht, Romantik und Liebespathos geht.

So sehr Anne Teresa De Keersmaeker im letzten Gastspiel Un moto di gioia zu Mozarts Konzertarien von ihrem Respekt gegenüber der Liebesfähigkeit von Mozart sprach, so wenig war er spürbar. Denn die Musik im Original blieb in all ihrer technischen und emotionalen Perfektion erhalten, wogegen der Tanz als Mischung zwischen Frechheit und Ironie trotz Lachmomente fast hilflos und künstlerisch "klein" wirkte. - Es ist daher sicher nicht Keersmaekers stimmigstes Werk. Ihr Tanz und Witz harmoniert zu anderer Musik besser.

Jazz-Auseinandersetzung statt Parodie

Damit Alain Platel erst gar nicht in diese Vergleichssituation kommt (obwohl bei ihm die "echten Mozart-Arien" in Wolf glaubwürdig waren), hat er etwas sehr Kluges gemacht: Er ließ die Monteverdi-Komposition von Jazz-Saxofonist Fabrizio Cassol bearbeiten. Heraus gekommen ist eine völlig andere Musik zwischen Ethno-Klassik und Jazz, was zu einer geerdeten Form von Spiritualität führt. - Und um den Glauben zu erden, die Religion ins Diesseits zu befördern, als erlebenswerter Teil "in" jedem Menschendasein und nicht nur seines Geistes, darum geht es in diesem Stück. Zitat: "Herr, lass uns Dein Instrument sein. Und wenn Dunkelheit herrscht, lass mich Dein Licht sein. Wir sind fürs ewige Leben geboren."

Das schließt mit ein, dass auch praktischer Sex im Sinne von Ekstase zu diesem erstrebenswerten Leben gehört, wenn er nicht sogar das eigentliche Ziel ist. Die katholische Religion hat sich also zur ethnischen Religion gewandelt, mit der sprituellen Energie afrikanischer Rituale, was im Gospel angelegt ist und der hier als Zigeuner- und Balkanweise hochwertig und westlich eingefügt wurde.

Auf die Spontaneität von Behinderten hören

Diese wunderschöne Musik, gesungen von der großartigen schwarzen Sängerin Claron McFadden, ist darüber hinaus mit dem Tanzgeschehen und den inneren Kämpfen der aus allen Teilen der Erde kommenden Tänzer verwoben, was es zu einem spannungsgeladenen Psychokrimi macht. Zuerst hält sich das weiß gekleidete Orchester vor weißem Unterwäsche-Berg noch im Hintergrund, wenn Elie Tass aus Gent einen Wecken Brot ertastet, Löcher hinein bohrt und ihn dann gierig abnagt. - Die spontane Lustfähigkeit, zu der Tiere und geistig Behinderte fähig sind, wird also erst mal als Tatsache in den Raum geworfen. Dass Platel hierbei nicht in ein schiefes Licht gerät, als einer, der sich über Behinderte mockiert, liegt daran, dass er als einstiger Pädagoge täglich mit ihnen zu tun hat(te). Und das spürt man. Er akzeptiert sie, beobachtet sie ganz objektiv, ohne sie aus falschem Mitleid hoch zu stilisieren.

Nein, er präsentiert sie als "Behinderte" und hat dabei die Chuzpe zu sagen, dass wir Menschen im Grunde alle Behinderte sind, und wenn wir auf unsere Instinkte hörten, könnten wir zu einer Ekstase gelangen, wie sie diese hysterischen und motorisch geplagten Menschen irgendwann im Kollektiv in Form einer Wichsszene erleben - die einzige Tuttiharmonie, die in ihren Existenzkämpfen möglich ist. Selbst wenn das ein Orgasmus ist, zu dem sich jeder nur allein hineinsteigern kann. - Wie eben auch in die Glaubensfähigkeit.

Wie verkrampft das Leben ohne Ekstase (Sex) ist

Denn ansonsten ist das Leben dieser (aller) Menschen nicht leicht, wenn sie hysterisch (Rosalba Torres Guerrero) im Raum herum gehend Heroen herbeirufen, zwischen Breakdance und Handstand (Mathieu Desseigne Ravel) ihre Balance suchen, von ihrer täglichen Beziehung zu ihren Exkrementen sprechen ("Lonely Kaka, I make you every day, you are so beautiful"), in fragiler Tanzschönheit gestieren, zucken, zittern (die mit sichtlicher Ballettfähigkeit künstlerisch und schmerzexpressiv stärkste Tänzerin: Mélanie Lomoff), laut schnarchen und irr lachen, während vom Berg jemand "Amen" schreit; wenn sie wie eine verzerrte Marionette zwischen Asiatik und Orientalik taumeln (sehr anspruchsvoll: Hyo Seung Ye), im Expressivtanz erschrocken ins Publikum starren (Quan Bui Ngoc) oder wenn - makaber berührend - ein "Sprechbehinderter" (vom tanzstarken Ross McCormack virtuos gestottert) mit einem hyperkinetischen Mann (Elie Tass) zu sprechen versucht, der vergeblich immer wieder eine Flasche zum Mund führt und dabei das ganze Wasser verschüttet.

Lebenssinn der sexuellen Ekstase vor dem Ende

Da diese Tänzer real kerngesund sind, erlaubt sich der Zuschauer, in sich hinein zu lachen. Zum Stich ins Herz kippt es aber, als der tatsächlich blinde und mitreißend gut fidelnde Geiger und Balkanflötist Tcha Limberger nach oben ins Licht blickt, nachdem die Musiker und Tänzer durcheinander gewirbelt sind. - Ein heller Moment, der nie zu vergessen ist. Ebenso, wie jener, als die erlösende Masturbationsszene immer mehr ins zwanghafte Muskel-Nerv-Zerren übergeht, das in seiner Auf-und-Ab-Bewegung unheimlicher Weise sowohl beim Mann, als auch bei der Frau, im Selbstbefriedigungsgebaren angelegt ist.

Bevor letztendlich einer nach dem anderen stirbt und von Restlichen auf die Spitze des Unterhosen(=Leichen)-Bergs getragen wird, ruft noch jemand zu all den Hysterischen (=Lebensängstlichen): "The situation is under control." - Soll das den Status Quo unseres Lebens darstellen, so ist das sehr zynisch. Aber wieso sollte jemand, wie Alain Platel, der das Leben keinesfalls rosig sieht, etwas anderes behaupten als zu betonen, dass die Versprechungen vermeintlicher Lebensführer doch nichts als leer sind? e.o.

Demnächst sind auf intimacy-art.com / artists / vision Alain Platel und Fabrizio Cassol zusammen mit der deutschen Choreographie-Ikone Susanne Linke zu lesen und zu hören.


DAS URTEIL EIN HOCHQUALITATIVES WERK, WO ALLE DETAILS ERSTKLASSIG SIND: DIE MUSIK UND MUSIKER, DIE TÄNZERPERSÖNLICHKEITEN, DER THEMENZUGANG UND DIE UMSETZUNG. EIN GIGANTISCHES ERLEBNIS ZWISCHEN ENTSETZEN, NEUGIERDE AM ABARTIGEN UND FILIGRANER SCHÖNHEIT.

Tanz/Musik/Installation VSPRS * Von: Frabrizio Cassol und Alain Platel * Regie: Alain Platel * Mit (Tanz): Mélanie Lomoff, Ross McCormack, Hyo Seung Ye, u.a. * Mit (Musik): Fabrizio Cassol, Tcha Limberger, Wim Becu, Claron McFadden (Sopran) * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 8.6.2007: 20h

Tanz/Musik * Nacht * Von Anne Teresa De Keersmaeker / Rosas * Livemusik: Béla Bartok - Ludwig van Beethoven - Arnold Schönberg * Mit:The Duke Quartet (London) * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 13., 15., 16.6.2007: 20h

Thursday, June 07, 2007

PERFORMANCE: "THE CLEANSING OF CONSTANCE BROWN" VON JAMES YARKER UND STAN´S CAFE

Theater ohne Worte im tiefen Guckkasten: Die "Schädlinge" des Wirtschaftsalltags können nur durch Gift ausgerottet werden. (Foto © Stan’s Cafe)


MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN DIE THEATERINSTALLATION THE CLEANSING OF CONSTANCE BROWN VON JAMES YARKER ERINNERT SCHWER AN MAGUY MARINS UMWELT

Wer letztes Jahr während des Wiener ImPulsTanz-Festivals Maguy Marin & CCN de Rillieux-de-Papes Stück Umwelt sah, wird bei James Yarker & Stan´s Cafes The Cleansing of Constance Brown während der heurigen Wiener Festwochen 2007 schwer daran erinnert: Yarkers Theater-Installation läuft lediglich in vertikaler Tiefe, statt wie bei Marins Tanz-Installation in horizontaler Länge. Darüber hinaus ist der suggestive Effekt bei einer "Performance ohne Worte" bei tänzerisch durchgehender "Synchronität" und choreografischer "Musikalität" in Abgängen und Auftritten noch einmal stärker. Degegen anzukommen ist für dieses britische Stück daher schwer, obwohl es sozialkritisch ebenso stark ist, wie das Umweltkritische der Französin.

Ein Putztrupp gegen die Gross- und Kleinkriminellen des Alltags

Wie der Titel des Stückes besagt, putzt hier "Constanze Brown". Sie steht stellvertretend für all die angestellten Putztruppen, die in den Gängen von Börsebüros, Hotels und Anwatskanzleien sauber machen. Dort, in den Seitenräumen, spielen sich Korruptionen, Machtspiele und Sexeskapaden ab, was die auf- und abgehenden Performer (ersichtlich: Schauspieler, keine Tänzer) durch ihre Gestik und Sprechmimik ausdrücken. Die Auf- und Abgänge sind daher der Star des Stücks: sie stehen für die Wiederholbarkeit und Relativität der Menschen in ihren Alltagsabläufen, worin sie sich in der Regel wichtig nehmen, aber doch so lächerlich sind - und mitunter gerade deshalb, weil sie es im Grunde wissen, fabrizieren sie durch hysterische Anerkennungsaktionen lauter Unglück.

Sie sind daher nichts als "Ungeziefermist", den nur noch ein Stoßtrupp an Ausräuchern und Ausbrennern ausrotten kann. Ihr Licht auf den Kopfschutzmasken ist dabei so grell, dass die Zuschauer, die in die 3 Meter breite und 20 Meter tiefe Öffnung starren müssen, grausam geblendet werden. Sie kommen der Quälerei nicht aus, wollen sie das Geschehen verfolgen. - Eine auferlegte Strafe also, als müßten auch sie sich wie die Leute in den Seitenräumen angesprochen fühlen. Und tatsächlich: das Publikum muss am Ende durch den Gang, um wieder ins Freie zu gelangen. Einerseits, um den Raum der "Putzfrau" zu betreten, andererseits um in "seine" Räume zu blicken und sich zu konfrontieren. - Denn wir sind alle Teil davon. a.c./e.o.


DAS URTEIL EINE ORIGINELLE FORMALE IDEE, NUR HAT SIE MAGUY MARIN SCHON "FORMVOLLENDETER" GEHABT.

PERFORMANCE The Cleansing of Constance Brown * Von: Stan´s Cafe * Regie: James Yarker * Mit: Stan´s Cafe * Ort: Hofstallung im MuseumsQuartier (Eingang Kunsthalle) * Zeit: 6., 7., 8., 9., 10.6.: 19h und 21h30

Tuesday, June 05, 2007

OPER: NINO ROTAS "I DUE TIMIDI" BRÄUCHTE KEINE PAUL-FLIEDER-REGIE

Raimondo (Phill Suh) zieht in das Haus ein, wo seine große Liebe Mariuccia wohnt, doch ist er zu schüchtern, um sich zu erklären. Und ihr (Lusine Azaryan) geht es gleich ... (Fotos © Christian Husar)

Als er sich doch einmal zusammenreißt, kommt der Arzt (Camillo dell’Antonio) dazwischen, in den Mariuccia angeblich verliebt sei: und schon ist der lebensentscheidende Mut wieder futsch.


KAMMEROPER WIEN NINO ROTA HATTE MIT I DUE TIMIDI EIGENTLICH EINE RADIOOPER GESCHRIEBEN: PAUL FLIEDER HAT SIE IN SZENE GESETZT

Keine Frage, Nino Rota ist ein romantischer Feldwiesen-Komponist. Und das ist absolut positiv gemeint. Wenn jemand so harmonisch beschwingt und gemütsüberwältigend komponieren kann, dann ist das auch heute noch schön. Seicht wird´s allerdings, wenn jemand zwanghaft versucht, Tonales, das 1950 noch zusätzlich vereinfachend fürs Radio komponiert wurde, auf die Bühne zu bringen. Obendrein wenn die eingesetzten Sänger nicht gerade "typisch" für solche Liebeswirren sind - und zwar optisch: Wenn schon die Leichtkost Hollywoodfilm mit einander anziehenden Durchschnittsgesicht-Schönheiten besetzt werden muss, damit der Zuschauer dran bleibt, dann müßte das auch bei einer Opera buffa wie I due timidi gelten, wo "er" und "sie" zu schüchtern sind, um sich gegenseitig ihre Liebe zu gestehen.

D.h., nur wenn der Zuschauer unbedingt will, dass die Beiden doch zusammen kommen, kann er auch mitfiebern. Und das muss ihr komplementäres Äußeres suggerieren. Bei einem kleinen Südkoreaner als Raimondo und einer temperamentvollen, großen Armenierin als Mariuccia ist das jedoch unmöglich. Nicht weil die beiden - jeder für sich - unattraktiv wären, sondern weil sie einfach nicht zusammen passen.

Gut gesungen, schlecht besetzt

Aber: Sie singen beide sehr bedacht! Man möchte insbesondere im ersten Teil die Augen schließen, wenn der Mann mit der schönen Stimme, Phill Suh, in seiner Sehnsucht schwelgt. Er betont auch außergewöhnlich gut. Ein ähnliches Bedürfnis hat man beim melancholischen Klaviersolo, das der Pianist des Orchesters der Wiener Kammeroper unter dem generell feinen Dirigat von Daniel Hoyem-Cavazza "lebt". Es stellt das Spiel der Mariuccia (Lusine Azaryan) dar, die sich so den Liebesschmerz von der Seele lässt.
- Es hätte insgesamt daher genügt, dieses musikalisch farben- und abwechslungsreiche Stück als Radiooper zu erleben - allerdings werden Radioopern so gut wie in keiner Radiostation Österreichs gespielt ...

Der Gag am Schluß ist gut

Die Handlung ist grundsätzlich witzig. Der Verliebte nimmt sich neben der Verliebten ein Zimmer, sie fallen beide in Ohnmacht und quasseln beim Aufwachen etwas von "Geliebten", wobei sich dummerweise jene Leute angesprochen fühlen, die gerade über ihnen stehen: Die Pensionsbesitzerin (Stefanie Kopinitz) und der Arzt (Camillo dell´Antonio). Beide heiraten in der Folge den "Falschen", was sich aber auch als ganz pragmatisch erweist, denn sie werden zu kühl denkenden, abgeklärten, "normalen" Eltern.

Und in den letzten fünf Minuten zeigt Regisseur Paul Flieder dann doch, dass er nicht ganz überflüssig war: Denn die Brut solch einer Nicht-Liebesheirat ist nicht immer eindeutig. Man sieht es an den roten Haaren der Kinder, die keiner der Eltern hat. Wer ist also der Vater? - Das wird zum Insiderwitz zwischen Regisseur und Publikum. Insgesamt mit ca. 85 Minuten immerhin kompakt und kurzweilig. e.o.


DAS URTEIL WÄRE EINE SCHÖNE RADIO-OPERA-BUFFA. IN DIESER BÜHNENFASSUNG IST SIE EINE LEICHTKOST VON PROVINZIELLER OPTIK, MIT WENIG POTENTIAL ZUM MITLEBEN. NUR DER GAG ZUM SCHLUSS IST BRILLANT.

OPERA BUFFA I due timidi (Die beiden Schüchternen) * Von: Nino Rota * Regie: Paul Flieder * Musikalische Leitung: Daniel Hoyem-Cavazza * Mit: Phill Suh, Lusine Azaryan, Stefanie Kopinitz, Dmitry Ovchinnikov, u.a. * Ort: Kammeroper Wien * Zeit: 5., 9., 12., 14., 16., 19., 21., 23.6.; 19., 20., 21., 26., 27., 28.7.; 2., 3., 4.8.2007: 19h30

Saturday, June 02, 2007

THEATER: SYLVAIN CREUZEVAULT MACHT "BAAL" ZUM FRAUENHAUS-HELDEN "JESUS"

Baal-Jesus (Damien Mongin) füllt seine Freunde, sich selbst und die ihn liebenden Frauen ab. (Fotos © Pidz)

Baal zieht die Frauen an, wie das Licht die Motten - für Frauen von heute unverständlich - schon weil er gar nie richtig erregt ist (siehe Foto!) ...

... weshalb die Schlußbemerkung, wir seien alle Baal, wohl zu weit gegriffen ist - wie die Länge des Stücks!


MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN LE D´ORES ET DÉJÀ BRINGT EINEN SÄUFER-BAAL IN ÜBERLÄNGE ZUM STURZ

Baal, die Neuinterpretation der französischen Theaterformation Le d´ores et déjà des frühen Bert Brecht ist mit drei Stunden und 45 Minuten viel zu lang. Wir haben daher beschlossen, Regisseur Sylvain Creuzevault für seine maßlose Inanspruchnahme mit einer Kurzkritik zu bestrafen. Warum die Zeit tatsächlich so lang erscheint, liegt zwar prinzipiell am Episoden-Bau des Autors, doch wenn sich jemand unserer Zeit eines 1919 erschienenen Stoffes annimmt, sollte er ihn - ob analog erzählt oder bildhaft - gefälligst kürzen: Das würde also auch für einen Shakespeare gelten!

Jesus als saufender Frauenverführer

Baal ist hier als rastloser Dichter ein "Jesus" (Damien Mongin), der in jedem Sinne des Wortes von einer nackten Frau zur nächsten stößt. Er muß keine von ihnen erobern, jede verfällt ihm wegen seiner arroganten Unwirschheit; und jede lässt sich - obwohl ihn im Grunde verachtend - von ihm - ebenfalls in jedem Sinne des Wortes - "abfüllen". - Denn dieser "Jesus" ist auch als Säufer und Fresser ein Held. Deshalb haßt er sich selbst, was er auf diese Weise auf die Frauen, die ihn lieben, abwälzen kann. Das hat nun zur Folge, dass er mit einem immer größer werdenden Opfermeer "frei" ist.

Er taumelt weltverachtend philosophierend, singend und Gitarre spielend von der Party-Gesellschaft zur Holzkiste, worin er es in der Regel nackt treibt, die eng ist, wie ihm sein ganzes Leben erscheint. Er geht mit einem Schwarzen auf Wanderschaft, durchs idyllische Heuballen-Land, und verliebt sich erstmals. Sein Sex ist noch immer brutal, läuft aber mit Sahne geschmierter. Nach dem Alltag in Konsum und mit Frühstück endet auch das wieder im Alkohol. So wandert er weiter. Und begegnet irren Buckligen, Verwachsenen und Holzfäller-Gestalten mit Hohlkreuz aus dem Mittelalter, und gegen Ende seiner Mutter. Schließlich stirbt er in Einsamkeit - als Mann "das Tier". Mit dem Gag, dass zehn Schauspieler seine Gesichtsmaske tragen, was heißen soll: "Wir sind alle Jesus - das Tier." - Das haben wir nur gelesen, da wir das Ende zwar körperlich, aber geistig nicht mehr aufnehmen konnten. Und dazu nun aber nur so viel: "So ein(en) Jesus bin ich und will ich (zum Mann) sicher nicht!" e.o./a.c.


DAS URTEIL EINE TYPISCH FRANZÖSISCHE, AGGRESSIVE, TOLLE UND FANTASIEVOLLE AUFFÜHRUNG. ABER MIT DER ÜBERLÄNGE EINE ZUMUTUNG, DIE DAS BESONDERE VERDECKT. - AUSSERDEM IST DIESER JESUS (BAAL) NICHTS ZUM VERLIEBEN, AUCH NICHTS FÜR SEX: HÖCHSTENS WAS FÜR FRAUENHAUS-KANDIDATEN!

Friday, June 01, 2007

THEATER: COMPLICITE VERWIRRT IN "A DISAPPEARING NUMBER" RAUM UND ZEIT

Was ist Mathematik? - Etwas Reales oder doch etwas Irreales? - Man kann sie ja eigentlich nicht greifen ...

...sie ist unsichtbar und wird erst sichtbar, wenn sie einmal gelernt ist.

Das indische Genie Ramanujan schöpfte als Autodidakt für seine Erkenntnisse aus seiner Liebe und seinem vegetarischen Körper ...












... doch als er nach England zu den Akademikern gebeten wird, ist er nur krank. Und stirbt mit 33. Zuvor hat er aber noch einen Geistesblitz. (Fotos: © Robbie Jack)




MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN A DISAPPEARING NUMBER DES BRITEN SIMON McBURNEY UND SEINER COMPANY COMPLICITE BEFASST SICH MIT DER MATHEMATIK DES INDERS RAMANUJAN UND IST DABEI ALLES ANDERE ALS TROCKEN

Es beginnt mit einer halben Stunde Verspätung.Herein kommt eine Frau, die meint, es gäbe technische Probleme. Sie vertreibe die Zeit des Publikums derweilen mit Mathematik-Unterricht, und notiert die Formel: 1+2+3+Unendlich = -1:12. Darauf kommt ein Mann, der sich Alex nennt und der Regisseur Simon McBurney ist. Dieser Alex wird sich später in die Mathematiklehrerin verlieben und sie heiraten. Sie werden ein Kind erwarten, und sie wird es verlieren. Aber nicht chronologisch und auch nicht so schnell.

Denn "glatt" - eins nach dem anderen - verläuft hier gar nichts. 1, 2, 3, 4, 5, ... die analoge Abfolge wird formal einem Bruch unterzogen. Erzählt wird in Sequenzen, die Vergangenheit und Zukunft und damit Raum und Zeit über den Haufen werfen. Dennoch ist der Verstand in der Lage, sich eine kontinuierliche Geschichte, bzw. mehrere parallel laufende Geschichten zwischen Gegenwart und Vergangenheit zusammen zu reimen. Aufgrund seiner Erfahrung, gelernte Muster als logisch zu begreifen. Mit dem Aufbrechen der herkömmlichen Erzählmethode versetzt Regisseur McBurney den Zuseher nun in das Gefühl, das das grundsätzliche Wesen der Mathematik offenbart: sie scheint nur echt, solange der Mensch noch in der Lage ist zu zählen und zu kombinieren, sie mit der Empirie der Naturgesetze zu belegen, doch irgendwann endet sie auf Mikro- wie Makroebene in der Unendlichkeit: Und da beginnt sie nun, metaphysisch zu werden, womit sie nichts anderes wäre als ein Gefühl.

Mathematik als Produkt des Gefühls

Das Gefühl, die Intuition, die Inspiration, die Kreativität sind es in der Mathematik, wie in der Kunst, die den Keim für neue Entdeckungen auf der Schnittebene von gerade noch Bekanntem zum unendlich Unbekannten darstellen. Das war bei Albert Einstein so und auch bei einem autodidaktischen Hobbymathematiker aus Indien, der Anfang des 20. Jahrhunderts die europäisch-akademische Naturwissenschaft verblüffte: Ramanujan war eigentlich Postangestellter in Madras. So wie man nur die Freizeit, das Hobby lieben kann, liebte er die Mathematik. Und kam dabei auf die geniale Formel von -1:12. Er schöpfte mit seinen Ideen aus seiner Liebe und seinem Körper, der jener eines Vegetariers war. Und das wurde ihm später, als er in England für die Akademie forschte und rechnete, zum Verhängnis. Aber nicht so schnell.

Heute-Einschübe neben der Vergangenheits-Biografie

Denn vorher wird noch von Alter gesprochen, das ja auch nichts ist, als eine Zahl, und gleichzeitig durch Vergangenheits- und Zukunftsangabe für Voher und Nachher, für Aktion und Reaktion, für Handlung und Folge steht.
Gezeigt wird ein heutiger, indischer Arzt auf Vortragstour via Flugzeug, der seine Frau via mathematisch eingerichtetem Telefon "unendlich" liebt, ein ebenfalls reisender Businessman, der von Indien träumt, und der irgendwann auf den Arzt trifft.
Die Rede ist vom Krieg, wo die Mathematik Schaden anrichtet und ihn gleichzeitig lindert.
Und gesellschaftlich revolutionierendste Mathematik liegt schließlich im unfaßbaren Internet, das im unendlich großen Datenall ebenfalls nur durch Zahlen funktionierbar gemacht wurde. So muss auch der Satz sinnvoll erscheinen: "Wenn Dinge keinen Sinn machen, hilft es manchmal, eine Verbindung herzustellen." Womit wir wieder bei der Kreativität wären.

Das Genie starb mit 33

Und da nun eben das Bauchgefühl so wichtig ist für einen Mathematiker, und - kreativ verbunden - jede Geschichte ihren emotionalen Kick braucht, muss dieses Schicksal traurig enden - allerdings endete es auch echt so, was wiederum die Nähe von Leben und Kunst, Realität und Fiktion beweist: denn der im warmherzigen Indien durch hörbare Tabla und getanzten Katak verwöhnte Ramanujan, vertrug weder die englische Mentalität, noch das englische Essen oder Klima. Er war es nicht gewohnt, mit Schuhen zu gehen, so zog er sich zum Spazieren Handschuhe über die Füße. Und doch kam er noch auf eine große mathematische Erkenntnis, bevor er mit 33 Jahren starb.

Und das Leben geht logisch weiter

Und so stirbt auch Alexs - Ramanujan verehrende - Frau "heute" mit 43, was einer Zehnerlogik gehorchen muß. Doch die Chance für Alex, sich neu zu verlieben, liegt schon am anderen Ende der Telefonleitung... Denn die Liebe ist unendlich und deshalb immer "wahrscheinlich".

Das Stück - eine schöne, musikalische, visuelle, witzige, ernste Metapher für Raum und Zeit, für die Umkehrung der Bedeutsamkeit von Erster und Dritter Welt im Verlauf der Zeit (als Utopie für die Zukunft), für das Verschmelzen von Körper und Geist. Und ein Plädoyer für das Leben: in seiner Rede nach dem Applaus gedachte Regisseur Simon McBurney der Schauspieldirektorin Marie Zimmermann, die ihn vor ihrem Freitod aufforderte, etwas abzuliefern, wo "sie etwas wachsen sehen könne". Und McBurney ist davon überzeugt: "Sie hat von der anderen Seite der Unendlichkeit aus zugeschaut." e.o.


DAS URTEIL EIN SPIEL VON VERDREHTER VERGANGENHEIT, ZUKUNFT, LOGIK, PHYSIK, METAPHYSIK. DER ABEND VERGEHT DAHER WIE IM FLUGE: OHNE GEFÜHL FÜR RAUM UND ZEIT.

PERFORMANCE: NIGEL JAMIESON SORGT IN "HONOUR BOUND" FÜR MITLEID

Die Gehirnwäsche im US-Terroristen-Gefängnis Guantanomo Bay als grafisch klares Körperarrangement im Käfig übersetzt (Fotos: © Jeff Busby)

Äußerlich erzähltes Tanztheater mit Breakdance und Akrobatik wird mit Interview- und Dokumentarfilm-Einspielung zum existenzialistischen Trip

Ein Folterbild, das man aus dem US-Irak-Gefängnis kennt: der Kommandant General Miller war zuvor auf Guantanomo Bay

Australier David Hicks war einer von vielen Insassen, der durch fünfjährige Körperschändung zu eventuellen Geständnissen gezwungen werden sollte


MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN DIE AUSTRALIER NIGEL JAMIESON UND CHOREOGAF GARRY STEWART DECKEN IM SPEKTAKULÄREN TANZTHEATER HONOUR BOUND DIE FOLTER AM UNSCHULDIG INHAFTIERTEN "TERRORISTEN" DAVID HICKS AUF

Wenn Theater die bessere Nachricht ist, dann drückt Honour Bound dafür ziemlich auf die Tränendrüse. Sicher liegt es auch daran, dass wir Europäer für sensationslüstern halten, was für Amerikaner oder Australier glaubwürdig ist. Denn sie nehmen in der Regel erlebender (theatralischer) auf. Und bekommen die Nachrichten auch lebendiger serviert (Stichwort: CNN). - Dass die wirtschaftliche und verteidigungspolitische "rechte" Nähe der beiden Staaten (Kontinente) damit zusammen hängt, ist wahrscheinlich mehr als nur spekulativer Grund dafür. - Es ergibt sich also die Frage nach tatsächlicher Wahrheit und dem Verhältnis von Ausdruck und Wirkung. Sicher ist diesbezüglich eines: David Hicks hat bestimmt noch größere Qualen erlitten, als hier ausgedrückt wird. Deshalb hat diese Sensation vollauf Berechtigung. Schon da es galt, die Australier zu einer Reaktion zu bewegen.

Ein verirrter Mensch wird gefoltert

Konkret geht es um die Gefangennahme des Australiers Hicks im US-"Kampf gegen den Terror"-Gefängnis Guantanomo Bay auf Kuba. Er wird dort ohne Angabe von Gründen, sprich bei Mißachtung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, ab Jänner 2002 gefangen gehalten. Ausgeschlachtet werden mit Dokumentarfilm-Einspielungen - bzw. Projektionen von Interviews, Texten, eidesstattlichen Erklärungen und Dokumenten (von Donald Rumsfeld, Pentagon und FBI) sowie Zeitungsausschnitten, die Hicks als "australisch-fundamentalistischen Terroristen" anprangern - die biografischen Stationen des Inhaftierten: Wie er als blauäugiger Weißer und sensibles Scheidungskind zu Drogen griff, in ein schlechtes Milieu kam, sich in einer Heirat als Vater zweier Kinder wieder fing, dann erneut ruhelos als Taliban-Berufssoldat in den afghanistanischen Krieg zog, worauf er psychisch traumatisiert zurückkam und zwecks innerer Heilung zum Moslem wurde. Hatte ihm der Glaube zunächst geholfen, geriet er danach in den Sog der Al-Kaida. Was er da genau machte, bleibt unklar. Hicks´ Eltern berichten von seinen Folter-Erzählungen bei Verhören und im Gefängnisalltag. Nur eine ganz schlimme Sache, die er den Eltern anvertraute, wird dann doch ausgeblendet. Da bereits stundenlanges Verharren-müssen in Handschellen, Prügel bei Drogeneinfluß zur Entlockung von Geheimnissen, Streß- und Angstmethoden wie Hundeeinsatz, Kapuzentragen, jahrelange Einzelhaft, extreme Temperaturschwankungen und sexuelle Quälerei bei Nacktheit gefallen sind, kann man nur an eines denken, das einen Menschen restlos demütigt ...

Eine Theaterproduktion verhilft zum Recht

Die Konzentration auf eine Person unter Hunderten von Insassen erhöht die emotionale Wirkung umso mehr, da die Gefangenen anderer Länder viel früher von ihrer Heimat zurück geholt und einem ordentlichen Urteil unterzogen wurden, während Hicks als Einziger noch lange inhaftiert blieb. Dieses Stück, das sich gegen die vorherrschende Regierungspolitik, öffentliche Meinung und damit die Presse Australiens richtete, hat mit der Uraufführung 2006 (trotz politischen Verhindungsversuchs) dazu beigetragen, seine Überstellung endlich zu initiieren.

Über fünfeinhalb Jahre war er "unschuldig" inhaftiert, bis er 2006 "ordentlich" angeklagt wurde. "Ja", er habe den Terrorismus praktisch unterstützt, gestand Hicks zur Bestürzung seines Verteidigers, und wurde zu sieben Jahren Haft in Adeleide verurteilt, allerdings mit Option auf 9 Monate, falls er die Klage und Mißhandlungvorwürfe gegen die USA und das Sprechen mit Medien für ein Jahr (bis nach den nächsten australischen Wahlen 2008) unterließe. Hicks akzeptierte und wird im Mai 2007 überstellt.

Von der Körperschändung zum Körpertheater

Dass sich Körperschändung und innerer Zerfall dieser Art bestens für Körpertheater und Tanz eignen, liegt auf der Hand. Und da muss gesagt werden: letztlich ist es die akrobatisch-sportliche, bildliche und inszenatorische Umsetzung, die hier tatsächlich gefangen macht. Dadurch entfernt sich das Stück auch für die australische Roman- und Theater-Blogautorin Alison Croggon, "von der Dokumentarpolemik, die das englischpsprachige Protesttheater bislang dominiert hatte". Für sie ist die spektakuläre Ästhetik genauso "komplex" wie die Politik des Werks. Und in dieser Relation hat sie selbstverständlich recht, in jener zur "Nachricht" könnte man noch einmal darüber streiten.

Emotionslose Körper, die äußerlich leiden

Nigel Jamieson hat als Regisseur aber auf jeden Fall eine fesselnd dynamische Handlung als Mischung von Journalismus und Ausdruckstheater geschaffen, über einen Menschen, der äußerlich kalt in einem multiplen Käfigkomplex (Bühne: Nigel Jamieson und Nicholas Dare) gequält wird und in seltenen inneren Gefühlsexpressionen seine Sehnsucht als Einsamer nach Liebe mit (s)einer Frau gesteht, indem sie in einer ebenfalls nur äußerlich gezeigten Sexstellung über ihm schwebt. Die Liebe der und zu den Eltern, wird dagegen intensiv via Interviewfilm "besprochen".

Die Choreografie von Garry Stewart ist hart, kühl und körperstark, wenn die Insassen im Käfig wie Bergsteiger umherklettern und am Boden zwischen Breakdance und Bodenausdruckstanz "leiden". Grafisch schön und inhaltlich klar eingerichtete Bilder durch Körperarrangements in Luft und Erde verleihen dem Ganzen die Aura von Perfektion, die zum Staunen des Publikums beiträgt, während es gleichzeitig voyeuristisch und neugierig alles über die unmenschlichen Folterungen wissen will. Doch letztlich zählt zu erfahren, ob der Inhaftierte nun schuldig war oder nicht, und wie das Verhältnis zur Politik ist. Und da man danach noch weiter recherchiert, ist dieses Werk tatsächlich stark. e.o.


DAS URTEIL EINES DER SELTENEN BEWEISE, DASS THEATER (KUNST) LEBEN UND POLITIK VERÄNDERN KANN: UND OBENDREIN EINE UNTERHALTSAM-EXPRESSIVE, WENN AUCH EIN WENIG SENSATIONSLÜSTERNE DARBIETUNG - SELBST WENN DIESE SENSATION DAS AUSMASS DER ERLEBTEN EMOTION NOCH LANGE NICHT TRIFFT.