Friday, June 01, 2007

PERFORMANCE: NIGEL JAMIESON SORGT IN "HONOUR BOUND" FÜR MITLEID

Die Gehirnwäsche im US-Terroristen-Gefängnis Guantanomo Bay als grafisch klares Körperarrangement im Käfig übersetzt (Fotos: © Jeff Busby)

Äußerlich erzähltes Tanztheater mit Breakdance und Akrobatik wird mit Interview- und Dokumentarfilm-Einspielung zum existenzialistischen Trip

Ein Folterbild, das man aus dem US-Irak-Gefängnis kennt: der Kommandant General Miller war zuvor auf Guantanomo Bay

Australier David Hicks war einer von vielen Insassen, der durch fünfjährige Körperschändung zu eventuellen Geständnissen gezwungen werden sollte


MUSEUMSQUARTIER - WIENER FESTWOCHEN DIE AUSTRALIER NIGEL JAMIESON UND CHOREOGAF GARRY STEWART DECKEN IM SPEKTAKULÄREN TANZTHEATER HONOUR BOUND DIE FOLTER AM UNSCHULDIG INHAFTIERTEN "TERRORISTEN" DAVID HICKS AUF

Wenn Theater die bessere Nachricht ist, dann drückt Honour Bound dafür ziemlich auf die Tränendrüse. Sicher liegt es auch daran, dass wir Europäer für sensationslüstern halten, was für Amerikaner oder Australier glaubwürdig ist. Denn sie nehmen in der Regel erlebender (theatralischer) auf. Und bekommen die Nachrichten auch lebendiger serviert (Stichwort: CNN). - Dass die wirtschaftliche und verteidigungspolitische "rechte" Nähe der beiden Staaten (Kontinente) damit zusammen hängt, ist wahrscheinlich mehr als nur spekulativer Grund dafür. - Es ergibt sich also die Frage nach tatsächlicher Wahrheit und dem Verhältnis von Ausdruck und Wirkung. Sicher ist diesbezüglich eines: David Hicks hat bestimmt noch größere Qualen erlitten, als hier ausgedrückt wird. Deshalb hat diese Sensation vollauf Berechtigung. Schon da es galt, die Australier zu einer Reaktion zu bewegen.

Ein verirrter Mensch wird gefoltert

Konkret geht es um die Gefangennahme des Australiers Hicks im US-"Kampf gegen den Terror"-Gefängnis Guantanomo Bay auf Kuba. Er wird dort ohne Angabe von Gründen, sprich bei Mißachtung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, ab Jänner 2002 gefangen gehalten. Ausgeschlachtet werden mit Dokumentarfilm-Einspielungen - bzw. Projektionen von Interviews, Texten, eidesstattlichen Erklärungen und Dokumenten (von Donald Rumsfeld, Pentagon und FBI) sowie Zeitungsausschnitten, die Hicks als "australisch-fundamentalistischen Terroristen" anprangern - die biografischen Stationen des Inhaftierten: Wie er als blauäugiger Weißer und sensibles Scheidungskind zu Drogen griff, in ein schlechtes Milieu kam, sich in einer Heirat als Vater zweier Kinder wieder fing, dann erneut ruhelos als Taliban-Berufssoldat in den afghanistanischen Krieg zog, worauf er psychisch traumatisiert zurückkam und zwecks innerer Heilung zum Moslem wurde. Hatte ihm der Glaube zunächst geholfen, geriet er danach in den Sog der Al-Kaida. Was er da genau machte, bleibt unklar. Hicks´ Eltern berichten von seinen Folter-Erzählungen bei Verhören und im Gefängnisalltag. Nur eine ganz schlimme Sache, die er den Eltern anvertraute, wird dann doch ausgeblendet. Da bereits stundenlanges Verharren-müssen in Handschellen, Prügel bei Drogeneinfluß zur Entlockung von Geheimnissen, Streß- und Angstmethoden wie Hundeeinsatz, Kapuzentragen, jahrelange Einzelhaft, extreme Temperaturschwankungen und sexuelle Quälerei bei Nacktheit gefallen sind, kann man nur an eines denken, das einen Menschen restlos demütigt ...

Eine Theaterproduktion verhilft zum Recht

Die Konzentration auf eine Person unter Hunderten von Insassen erhöht die emotionale Wirkung umso mehr, da die Gefangenen anderer Länder viel früher von ihrer Heimat zurück geholt und einem ordentlichen Urteil unterzogen wurden, während Hicks als Einziger noch lange inhaftiert blieb. Dieses Stück, das sich gegen die vorherrschende Regierungspolitik, öffentliche Meinung und damit die Presse Australiens richtete, hat mit der Uraufführung 2006 (trotz politischen Verhindungsversuchs) dazu beigetragen, seine Überstellung endlich zu initiieren.

Über fünfeinhalb Jahre war er "unschuldig" inhaftiert, bis er 2006 "ordentlich" angeklagt wurde. "Ja", er habe den Terrorismus praktisch unterstützt, gestand Hicks zur Bestürzung seines Verteidigers, und wurde zu sieben Jahren Haft in Adeleide verurteilt, allerdings mit Option auf 9 Monate, falls er die Klage und Mißhandlungvorwürfe gegen die USA und das Sprechen mit Medien für ein Jahr (bis nach den nächsten australischen Wahlen 2008) unterließe. Hicks akzeptierte und wird im Mai 2007 überstellt.

Von der Körperschändung zum Körpertheater

Dass sich Körperschändung und innerer Zerfall dieser Art bestens für Körpertheater und Tanz eignen, liegt auf der Hand. Und da muss gesagt werden: letztlich ist es die akrobatisch-sportliche, bildliche und inszenatorische Umsetzung, die hier tatsächlich gefangen macht. Dadurch entfernt sich das Stück auch für die australische Roman- und Theater-Blogautorin Alison Croggon, "von der Dokumentarpolemik, die das englischpsprachige Protesttheater bislang dominiert hatte". Für sie ist die spektakuläre Ästhetik genauso "komplex" wie die Politik des Werks. Und in dieser Relation hat sie selbstverständlich recht, in jener zur "Nachricht" könnte man noch einmal darüber streiten.

Emotionslose Körper, die äußerlich leiden

Nigel Jamieson hat als Regisseur aber auf jeden Fall eine fesselnd dynamische Handlung als Mischung von Journalismus und Ausdruckstheater geschaffen, über einen Menschen, der äußerlich kalt in einem multiplen Käfigkomplex (Bühne: Nigel Jamieson und Nicholas Dare) gequält wird und in seltenen inneren Gefühlsexpressionen seine Sehnsucht als Einsamer nach Liebe mit (s)einer Frau gesteht, indem sie in einer ebenfalls nur äußerlich gezeigten Sexstellung über ihm schwebt. Die Liebe der und zu den Eltern, wird dagegen intensiv via Interviewfilm "besprochen".

Die Choreografie von Garry Stewart ist hart, kühl und körperstark, wenn die Insassen im Käfig wie Bergsteiger umherklettern und am Boden zwischen Breakdance und Bodenausdruckstanz "leiden". Grafisch schön und inhaltlich klar eingerichtete Bilder durch Körperarrangements in Luft und Erde verleihen dem Ganzen die Aura von Perfektion, die zum Staunen des Publikums beiträgt, während es gleichzeitig voyeuristisch und neugierig alles über die unmenschlichen Folterungen wissen will. Doch letztlich zählt zu erfahren, ob der Inhaftierte nun schuldig war oder nicht, und wie das Verhältnis zur Politik ist. Und da man danach noch weiter recherchiert, ist dieses Werk tatsächlich stark. e.o.


DAS URTEIL EINES DER SELTENEN BEWEISE, DASS THEATER (KUNST) LEBEN UND POLITIK VERÄNDERN KANN: UND OBENDREIN EINE UNTERHALTSAM-EXPRESSIVE, WENN AUCH EIN WENIG SENSATIONSLÜSTERNE DARBIETUNG - SELBST WENN DIESE SENSATION DAS AUSMASS DER ERLEBTEN EMOTION NOCH LANGE NICHT TRIFFT.

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