Wednesday, June 20, 2007

TANZ: ANNE TERESA DE KEERSMAEKER SPRICHT IN "NACHT" VON IHREN SCHLÜSSELWERKEN

Bei Béla Bartók tanzte Anne Teresa De Keersmaeker nach Ausfall einer Tänzerin im Mädchen-Frühlingserwachen selbst: das war nicht wirklich passend.

Zu Beethoven kreierte De Keersmaeker einen Tanz der "Männer", wo sie ihnen zeigt, wie befreiend weibliche Lässigkeit sein kann. - So kennt man sie in Wien.

In Verklärte Nacht zu Arnold Schönberg entscheidet sich ein Mann für eine Frau, die das Kind eines anderen erwartet - inhaltlich auch typisch. (Fotos © Herman Sorgeloos)


THEATER AN DER WIEN / IMPULSTANZ EINE NACHT IN DREI TEILEN HANDELT ANNE TERESA DE KEERSMAEKER-SYMPTOMATISCH VON MUSIK UND LIEBE

Anne Teresa De Keersmaeker hat es also wieder mal getan: von der Liebe gesprochen, von Beziehungen zwischen Mann und Frau - und das aus ihrer Sicht als Frau. Inhaltlich eine Rosamunde Pilcher, formal dafür jedoch zu intellektuell, und andererseits auch wieder nicht. Liebe suchen - mit der Liebe spielen - Liebe finden - mit Männern ringen - Schwanger werden - Liebe verlieren - trauern - sich wieder verlieben - mit Mann ringen - der die Frau dann vielleicht trotz Kind des anderen nimmt. - Das alles brachte sie letztes Wochenende am Theater an der Wien in Form eines dreiteiligen Werkabends unter dem Titel Nacht auf einen Nenner. Wobei bemerkenswert ist, dass es sich dabei um Uraufführungen in Quartalssprüngen im Laufe eines Jahrzehnts handelt, es inhaltlich aber dennoch wie aus einem Guß erscheint.

Keersmaeker als junges Füllen

Quartett Nr.4 zur Musik Béla Bartóks aus dem Jahr 1928 entstand 1986 als widersprüchliches Vier-Mädel-Quartett: ein streng präzises Unisono von charakterlich erkennbaren Individuen, worin jedes auf eigene Weise mit seiner heranreifenden sexuellen Neugierde kokettiert. Am auffälligsten und atmosphärisch passendsten wirkte darin die beschwingte und vertrauensvoll lachende Taka Shamoto. Tale Dolven und Elizaveta Penkóva boten die stabile Basis bei all den Drehungen, die nicht zu enden schienen. - Eine Entsprechung zur Fröhlichkeit dieser Mädchenzeit, die mit Hüpfen und Springen von Übermut zeugt, was jedoch - gemäß dem Charakter der Werk-Schaffenden - durch abrupte Launenhaftigkeit und plötzlich stolzem Rückzug unterbrochen wird: indem sich die Mädchen, gleich der künftigen Diva etwa - Gesicht frontal zum Publikum - das Haar glatt streichen, und sie lässig und frech ihre Röcke ausziehen, um mit nichts als in Unterhosen und T-Shirt absichtslos verführerisch zu tanzen.

Das paßte auch noch - wie übrigens die dissonant unberechenbare Musik, live gespielt vom Duke Streich-Quartett - ganz ausgezeichnet zur vierten Tänzerin: zu Anne Teresa De Keersmaeker höchstpersönlich. Was aber nicht paßte, war ihr Alter von Mitte vierzig, und zwar nicht so sehr wegen der Optik, sondern weil diese erfahrene Frau mit "Chefposition" einfach von Haus aus schon ganz etwas anderes ausstrahlt, selbst wenn sie sich mental und schrittabsolvierend in diese Jung-Mädchen-Stimmung hinein zu versetzen schien und sie irgendwo sogar noch so ein Mädchen sein mag. - Der Reiz dieses Werks liess sich somit zwar logisch nachvollziehen, die beabsichtigte Wirkung war aber völlig zerstört. Im Tanz, wo nur mit Körper, Ausstrahlung und Bewegung gearbeitet wird, lässt sich die Naivität eines Füllen nun mal nicht herbei schwindeln. Und für den Gag, dass ein Starregisseur als Nebendarsteller wie zufällig à la Hitchcock durch die Szenerie huscht - dafür war die Keersmaeker in diesem Stück zu dauer-präsent.

Steife Herren als lässige Burschen

Die Große Fuge zur Musik Ludwig van Beethovens (1825) diente indessen als kreisförmige Tutti-Harmonie unter Männern - ein Choreografiestil des Kommen und Gehens, Ausscherens und Wieder-Einfügens, den man bei Keersmaeker schon öfter gesehen hat und der offensichtlich hier (1992) seinen Ausgang nahm. Am schönsten - und tatsächlich sehr sexy - ist hier die neben Kaya Kolodziejczyk als Mann verkleidete Frau Moya Michael, deren langes rotes Haar unter all den Herrenhemd- und Hose-Trägern geschmackvoll "störend" auffällt. Anfangs streng horizontal in Linie aufgereiht, löst sich diese männliche Linien-Striktheit im leicht versetzten und freudig bewegten runden Kreis auf, worin die "Herren" ständig von außen ins Zentrum-Innere strömen, als gäben sie ihre sturen Werte und Machismen liebend gerne auf. Schon weil sie sich auch immer wieder in fliehender Drehung plötzlich fallen und vom Partner auffangen lassen und sich - wie schon zuvor die Mädchen - irgendwann ihrer steifen Hemden entledigen, um sie durch T-Shirts zu ersetzen.

Und Keersmaeker - opernhaft neu

Verklärte Nacht - von Arnold Schönberg 1899 als ein op.4-Sextett schmerzlich dramatisch komponiert - hat Keersmaeker 1995 erstmals aufgeführt. Und so hat man sie in Österreich eigentlich noch nicht gesehen: Eingerichtet wie eine Oper, tanzen hier Männer und Frauen die Geschichte einer aufkommenden Liebe in Anlehnung an das gleichnamige Gedicht Richard Dehmels, worin ein Mann und eine Frau durch den Wald schlendern, sie jedoch von einem anderen schwanger ist. Da sie aber den Mann neben sich liebt, hofft sie auf dessen Liebe. - Dieses Thema der allein gelassenen werdenden Mutter hat Keersmaeker später in Raga For The Rainy Season aufgegriffen, was wiederum formal wie Die Große Fuge umgesetzt ist. - Hier dagegen stehen einige ablehnende Tänzer wie die Waldbäume mit dem Rücken zum Publikum bzw. zur Frau, während Paartänze schlechtes Gewissen, Hoffnung auf Gefühlserwiderung und Angst der Frau offenbaren: Sie springt auf ihn zu, wirft sich ihm hin, er fängt sie - fast zwanghaft - auf. Damit er sie tatsächlich auffangen "will", muss er erst mal durch einen Konflikt mit sich selbst hindurch. Und dafür findet Keersmaeker eine schöne Metapher: Eine Tänzerin trägt sein Hemd, er nur seine Hose, und sie ringen beide miteinander, bis sie sich in Harmonie einigen. Und da das nicht nur seine Angelegenheit ist, wiederholt es sich im exakten Pendant in ihr: eine andere Tänzerin tanzt als "ihr Unterkleid" mit ihr als "Überkleid".

Das alles in großer Leidenschaft getanzt - und von ebenso großer inhaltlichen Dramatik - beweist doch, wie anders die belgische Choreografin innerhalb der Zeitgenossen-Szene ist. Keersmaeker mag nicht die technisch und ästhetisch beste Choreografin der Welt sein, aber sie hat Charakter, und der ist selbstbewußt weiblich. e.o.


DAS URTEIL WAHRSCHEINLICH LIEGT KEERSMAEKERS GRÖSSTE QUALITÄT IN DER PERFEKTEN BEHERRSCHUNG DES UNPERFEKTEN, AUS ÄSTHETISCHER UND PERSÖNLICHER ÜBERZEUGUNG. DARIN IST SIE EXTREM WEIBLICH. - DIESE SCHLÜSSELWERKE ZEIGEN ES, SELBST WENN SIE MITTLERWEILE SCHON WELTBEWEGENDERES GEZEIGT HAT.

Tanz: Steve Reich Evening * Mit: Rosas * Choreografie: Anne Teresa De Keersmaeker * Mit: Ictus Ensemble * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 17.+19.6.2008: 20h

TANZ Gala-Abend "Preljocaj/Forsythe/Rosas/Chouinard" * Mit: Manuel Legris und Laetitia Pujol vom Ballet de l’Opéra National de Paris; Tänzern des Mariinsky-Kirov-Balletts; Antony Rizzi & Leslie Heylman, Ex-Tänzer des Ballett Frankfurt; Mitgliedern von Rosas und Chouinard * Ort: Burgtheater, im Rahmen von ImPulsTanz Wien * Zeit: 14.7.2008: 19h30, 16.7.2008: 20h

TANZ Zeitung * Von und mit: Rosas / Anne Teresa De Keersmaeker & Alain Franco & David Hernandez * Piano: Alain Franco (Johann Sebastian Bach, Arnold Schönberg und Anton Webern) * Ort: MQ Halle E * Zeit: 7., 9.8.2008: 21h

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