Sunday, June 29, 2008

MUSIK: FRAGILER MOMENT MIT SINGER SONGWRITER JASON WEBLEY

Hinter Jason Webley als Typ, der zum maßlosen (russischen) Trinken aufruft ...

... und mit tiefer Hard-Rock-Stimme als angry young man schreit, ...

... steckt ein hochgebildeter, mehrinstrumental virtuoser, sehr geistreicher Texter und Musiker ...
















... mit einer gehörigen Portion Sensibilität und Romantik. - Was er mit aller Kraft zu verstecken versucht. (Fotos © Jason Webley privat)


GASTHAUS VORSTADT DER US-SINGER SONGWRITER JASON WEBLEY LIESS AUF EINLADUNG DES WIENER SONGWRITER VEREINS (VSA) SEINE SENSIBILITÄT UNTERM HARDROCKER DURCHBLICKEN

Als Jason Webley im ziemlich grindigen Wiener-Vorstadt-Lokalhinterzimmer des 16. Wiener Bezirks seinen Song Almost Time To Go singt, schafft er es endgültig, maßlos an das Herz der Zuhörerin zu rühren. Denn jetzt erst, wenn er - sich selbst allein am Klavier begleitend - auf jegliche Show verzichtet, kann sie sich auf seine Musik, seine Worte, seinen intelligenten Ausdruck konzentrieren. Sie ist eine Zuhörerin, die sich in der dunklen, bis zum letzten 140. Platz mit Menschen angefüllten Spelunken-Atmosphäre zwischen Zwiebel-, Bier- und Essensgeruch nicht wohl fühlt. Doch da, inmitten dieses zwiespältigen Gefühls, blitzt jener magische Moment in ihr Empfindungsvermögen, zu einem Zeitpunkt, wo Webleys Konzert schon fast zuende ist. Es ist erstaunlich, dass es immer wieder dasselbe Wesen ist, das es schafft zu tangieren: der Typ Mensch, der mit Stärke, Witz, Aggressivität, mit männlicher Vitalität, alles Erdenkliche versucht, um seine insgeheime Verletzlichkeit, seinen Stolz, zu verbergen. Doch macht es auch nur eine Sekunde den Anschein, er spiele da etwas vor, ist es mit dem Zauber auch schon vorbei...

Überlegener unter grölender Masse

Um zu erfahren, wovon der US-Singer Songwriter aus Seattle in diesem Augenblick singt, wird sie später die von ihr mühsam aufgespürten Worte seines Texts nachlesen. Sie muss wissen, warum sie es vermögen, ihn sich so ausliefern zu lassen, offen der Welt ausgesetzt, als wäre er jemand mit abgezogener Haut. Eine einzige große Wunde. Ein Reisender, der täglich vom einen Ort zum Nächsten zieht, seine Lieder spielt, zur Unterhaltung der Leute, zu ihrer "Erheiterung". Er, der er sich so sehr in seinem Alleinsein erlebt, in seiner flüchtigen Überlegenheit. Es scheint zuerst, als singe er von jemand anderem, der einmal da war und dann wegzog, dessen zuruckgebliebenen Gegenstände wertlos seien, weshalb es für jenen fast "Zeit" gewesen sein mußte "zu gehen". Webley wisse nicht, ob der andere am Ende verzweifelt gewesen wäre, obwohl er ihn wie die Hölle kämpfen hatte sehen. Und da jener nie gut geschlafen hätte, hoffe er für ihn, jetzt einen rastvollen Ort gefunden zu haben. Jener Mann, der ein deplatzierter Tattoo-Charakter, der ein Patchwork Quilt von Leuten, gewesen sei. Es ist, als spräche Webley von einem freiwillig den Tod gewählten Mann. Doch im dritten Textteil löst sich das Rätsel auf, da Webley sich an die Allgemeinheit - und damit an sich selbst - richtet:

"Denk an Menschen, Orte, die du kanntest,
an Skulpturen aus Sand.
Die Flut kommt herein, und wir gelangen nirgendwo hin.
Wenn deine Füße noch in Schuhen stecken, woraus sie schon entwachsen sind,
Dann ist´s fast Zeit, ist´s fast Zeit zu -
Denk an den Samen, den du verstreut und gesät hast,
aus deiner Hand,
wie er sich im Wind verloren hat gleich einer winzigen Feder;
An (deine) Dinge, die du dem Gewöhnlichen als überlegen empfindest,
Dann ist´s fast Zeit, ist´s fast Zeit .. zu gehen."

Es ist Webley, der inmitten der jubelnden Menge als erleuchtete Künstlerseele leidet, doch genauso geht es manchem Zujubelnden hinter der eigenen grölenden Fassade. - Keiner fühlt sich verstanden, nicht einmal von denen, die eh (jubelnd) verstehen. Und das zu verstehen, macht wieder die große Magie des unterbewußten, kollektiven Verbundenseins aus. Durch diesen einen Song entschlüsseln sich in ihrer Dimension automatisch alle anderen Songs, jene davor, jene danach: Lieder - begleitet vom verstärkten, überragend leicht gespielten Solo-Akkordeon, von der verstärkten, bestimmt gespielten Solo-Gitarre, von Webleys nachdrücklich stampfenden Füßen auf einfachem Fußbrett, das irgendwann ob des vehementen Gegendrucks zerbricht, von Webleys tscheppernden Münzen in zwei Flaschen -, mit denen sich der langhaarige Barde unterm Schlapphut, der vor zehn Jahren als einfacher Straßenmusiker begonnen hat, angenehm tief und theatral bedacht seine Wut aus dem Leib schreit: mit einer Stimme zwischen Tom Waits und Heavy Metal, Leonard Cohen und Gypsy, Bob Dylan und Folk, Nick Cave und Drahdiwaberl-Punk. Und zwar schreit er ausgerechnet dann, wenn er die sensibelsten und lyrischsten Worte ausspricht - ein weiteres Indiz dafür, dass sich hier eine fragile Seele zu schützen versucht: vor der brutalen Oberflächlichkeit der Welt. Das geht wiederum mit nichts besser, als durch die eigene virtuose, entsprechend inszenierte, brutale Oberfläche.

Singer-songwritender Hardrocker, der Liebe sucht

Doch selbst die Texte sind schon so verschlüsselt, dass sich erst am Ende herausschält, dass es sich in manchem Lied etwa um Liebe dreht. So stampft Webley in lautem Amour-Fou-Schmerz auf Orpheus´ Mythosspuren beim Song Map (vor allem live, auf CD aus dem Jahr 2004 singt er den Song zärtlich als Chanson in jüdischer Erzählweise mit lustig geklopftem Schlagwerk und mit hämisch hoch, gegenläufig lachender Klarinette zum Schluß), wenn "sie" zu "ihm" sagt: "Ich bin nicht deine Liebe. Ich bin nur die Landkarte, die du benutzt, um jene zu finden." Zum beidseitigen Einverständnis endet der Song aber immerhin auf seinen Protest hin versöhnend, indem "er" auch dasselbe zu "ihr" sagen kann ... Inhaltlich eindeutiger ist der nächstenliebende Fidel-Folk-Rock Ways to Love, wohinter sich der psychoanalytische Grundsatz einer ermahnenden moralischen Mutterliebe verbirgt. Webley singt ihn - auf CD bei schnellem Geigen-Sound vor Elektrogitarre - schimpfend hart und damit ebenso rockig:

"Unsere Mutter machte uns zu Schwimmern,
sie warf ihre Babies in den Fluß,
voller Schlamm und dichtem Unkraut, ein Jahrhundert von merkwürdigem Schutt,
Wir lernten zu kämpfen und zu lieben -
.... So dachte ich, wir hätten genügend Wege der Liebe erlernt,
doch weiß ich noch nicht, Mutter, wer wir sind.

.... Man lehrte uns, Klassenbeste zu werden,
wir lernten, durch viele Lupen zu sehen,
wie unterzugehen und wie zu überfliegen,
Wir lernten, uns gegenseitig beim Sterben zuzusehen.
Mein Gott, dieses Lehrfach ist härter als wir selbst -

... Unser Verstand war scharf, unsere Körper brannten
Wir warfen uns selbst in unser Erlernen
Lieber Gott, dieses Jetzt ist stärker als wir -
Dachte, wir hätten genügend Arten der Liebe erlernt
doch weiß ich noch immer nicht, Mutter, wer du bist.
Ich dachte, ich wäre gut darin, in meiner Art zu lieben.

... Haben wir noch Zeit für ein Schläfchen?
Das Haus brennt, der Himmel fällt herab.
Junge, geh zurück. Geh zurück. Hier ist deine Mutter, die dich ruft."

Die virtuose Wunde im saufenden Rumpelstilzchen

Zum hüpfenden Rumpelstilzchen wird Webley schließlich, als er auf einen der Holztische im Publikum springt und beim immer schneller werdenden, rastlosen Song Icarus ironisch-bitter "Relax!" brüllt, als wäre seine maßlose Energie nur noch so zu stoppen, in die zum Finale das ganze Publikum aufgesprungen ist, nachdem er einige seiner berühmten, haltlosen Trinklieder angestimmt hat. - Was dem Publikum im Allgemeinen maßlos gefällt, gefällt wiederum der eingangs erwähnten Zuhörerin gar nicht, weshalb sich in ihr beim gefallenen Wort "Relax" eine persönliche Geschichte abspielt. Sie macht sie zu ihrem persönlichen Insider-Witz mit Webley. Denn hinter Webleys Aufrufen - das Publikum solle die fehlenden (auf der neuen CD The Cost of Living zu hörenden) Instrumente durch Mitsingen ersetzen, es solle sich im Kreis drehend die Finger in die Höhe strecken und sich ruhig bis zum Umfallen (nach Russentradition) besaufen - erkennt sie sehr wohl, dass Webley selbst das ihm gereichte Bier ausschlägt und lieber zum Wasser greift. Sie denkt sich, "warum er sich das überhaupt antut, die Show so übertrieben aufzudrehen? Ist ihm die entgegenkommende Lautstärke an Emotion als Beweis von Zuneigung so wichtig, um wichtiger zu werden als die eigentliche Kunst?" - Seine Fähigkeit zum Musiker, Sänger und Songwriter allein tät´s jedenfalls auch, wenn nicht sogar noch besser. Tiefstapelei ist nicht angebracht. Viel mehr gehört dieser Mann auf eine anständige Bühne, in ein anständiges Etablissement, damit "alle" Leute an seiner zärtlichen Text-Philosophie, seinem perfekten Multiintrumental-Spiel sowie seinem Silbe um Silbe detailliert und theatral-betontem Gesang auch bewußt teilhaben können ... e.o.


DAS URTEIL JASON WEBLEY IST EIN AUSERGEWÖHNLICH VIELSEITIGES, HOCHMUSIKALISCHES TALENT. UND SEIN AGGRESSIVES TEMPERAMENT IST SEINER SENSIBILITÄT DABEI ENTWEDER IM WEGE, ODER ES MACHT SIE GERADE EXTRA INTERESSANT ...

Links zum Webley-Anhören und für mehr Konzerte:
www.myspace.com/jasonwebley
www.songwriting.at

Unsere Singer-Songwriter-Tipp-Empfehlung - mit ausnahmsweise auch sehr bemerkenswerten Österreichern!
KONZERT Netnakisum (A) * Ort: Haus der Musik, Seilerstätte 30, 1010 Wien * Zeit: 17.7.2008: 20h
KONZERT Led To Sea (USA) * Ort: Rhiz, Stadtbahnbogen 37-38, 1080 Wien * Zeit: 13.8.2008: 22h30
KONZERT Garish (A) * Ort: Haus der Musik, Seilerstätte 30, 1010 Wien * Zeit: 21.8.2008: 20h
KONZERT Boy Omega (SWE) * Ort: Gasthaus Vorstadt, 1160 Wien, Herbststraße 37 * Zeit: 4.9.2008: 20h
KONZERT Bernhard Eder (A) / Lasse Matthiessen (DK) * Ort: Gasthaus Vorstadt, 1160 Wien, Herbststraße 37 * Zeit: 2.10.2008: 20h

TANZTHEATER: ILLUSIONSPLÄDOYER VON JAMES THIÉRRÉE IN "AU REVOIR PARAPLUIE"



















Die Liebe fängt schwierig an, wenn sich ein Mann eine abgehobene Frau auf Seilen als Liebessubjekt (Satchie Noro) wählt
(Foto © Mario Del Curto) ...

Da wird die Anforderung (Kaori Ito) so gross, dass der Mann (James Thiérrée) seinen Grips wirklich anstrengen muss, um sie zu bekommen.

Der Mann Thiérrée schafft es mit seinem leidenschaftlichen Ungestüm, aber das Glück der Harmonie aller inneren Alter Egi (links: Magnus Jakobsson) des Liebespaars währt nicht lange ...

... sodass sich der wieder einsam Verlassene im zeitlichen Rücklauf auf die Suche nach dem Moment machen muss, als die Harmonie zerbrach ...

... diese Suche als Gang durch den Sumpf heißt: sich mit neuen, unheimlichen Wesen und eigenen Erkenntnissen zu konfrontieren.

... sich für den Entschluß zur Liebe selbst zu bekämpfen, an sich zu arbeiten, und sich dabei auch noch zusehen zu können ...

... dafür gibt es dann vielleicht den gemeinsamen, harmonischen Flug in der Luft - weil der Mann in die (Zirkus-)Welt der Frau wirklich bereit ist, einzutauchen. (Fotos © Jean Louis Fernandez)


HALLE E - WIENER FESTWOCHEN JAMES THIÉRRÉE HAT ÜBER DIE KONFRONTATION MIT DEM UNGLÜCK WIEDER ZUM MASSLOSEN GLÜCK DES THEATERS GEFUNDEN: IN AU REVOIR PARAPLUIE

Alles, was die Wiener Festwochen nach James Thiérrées La Veillée des Abysses 2004 im Bereich "Zirkustheater" eingeladen haben, - ob Tanztheater- oder Theaterakrobatik-Produktion - vermochte nicht annähernd an die Komplexität und Musikalität des Theaters dieses französisch-schweizerischen Universalgenies heran zu kommen. Das 2008 in Wien zu sehende Nachfolgewerk Au revoir parapluie hat das einmal mehr bestätigt. Thiérrées ins Surreale verpackte Slapstickmelodram der Körpersprache, entspricht in seinem ästhetischen Ausdrucksumfang ganz der logischen Erbfolge, Enkelsohn Charlie Chaplins, sowie Sohn des Zirkusehepaars Jean-Baptiste Thiérrée und Victoria Chaplin zu sein, mit dem der heute 34-jährige Akrobat, Tänzer, Mime und Violinist schon als Kleinkind in verschiedenen Zirkusformationen auf der Welt auftrat. Von daher erklärt sich die Reife im philosophisch-abstrahierenden Themenzugang voller zeitlich zerschnittener Erzählsprünge samt schwierigster Bewegungsinterpretationen dieses doch noch jungen Mannes. Das müßte hinsichtlich professioneller Einverleibung eigentlich von einem mindestens fünfzigjährigen Welt(star)künstler stammen. Dass er diese geistig reflektierte Vollendung mit seinem zart-starken Körper selbst tanzen kann, ist ein wahrer Glücksfall, für den das Publikum ihm oder auch Gott unendlich dankbar sein will.

Fabulöse Archetypen als Liebeskummer-Bringer

Zu Beginn erscheint eine Art Fee, die Schwedin mit Barockopernstimme und in schwarzem Fabelkostümgerüst (Kostüme: Victoria Thiérrée, Manon Gignoux), Maria Sendow, mit einem sagenumwobenen Brief in der Hand. Sie könnte auch Schicksalsgöttin oder innere Stimme des "Liebeskummernden" sein (Thiérrée, dem das Herz durch einzelne Körperteile wandert, sodass "es" an seinem Knie oder Schenkel "klopft"). Dieses Ohmen legt sich als Allmacht in Form einer schwarzen Tuchwolke mit mühsam zu durchwandernden Bauschblasen über die Bühne, "worauf" sich nachfolgende Geschichte in albtraumhaften Sequenzen abspielt: die freuden- und leidensvolle Liebesgeschichte des darauf stapfenden Träumers Thiérrée. Dass sie letztenendes nur durch sein Hirn so kompliziert wird, zeigt eine witzige Szene mit Partner bzw. der weiteren inneren Stimme Thiérrées, Magnus Jakobsson, der durch blitzschnelles Heben von Thiérrées Haarschopf wissen will, was da eigentlich drunter sei, das dem Mann so zu schaffen macht... - Insofern gilt einmal mehr: "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied". (Doch böte die Geschichte nur lineares Glück, wäre sie nicht außergewöhnlich genial ...)

Es fängt damit an, dass der Mann sich zum Liebesobjekt eine Frau wählt, die auf Stricken über den gewöhnlichen Dingen dieser Welt steht: Asiatin Satchie Noro, die zu poetischen Klaviertönen in der Luft tanzt. Und obwohl in diesen Stricken viele tote Herrenköpfe hängen, die wahrscheinlich Ähnliches wollten, läßt sich der junge Mann nicht davon abhalten, ihr - sich wild zu ihr raufschwingend - einen Kuss zu rauben. Und siehe da, es geschehen noch Wunder: Sie verliebt sich in ihn, angedeutet durch die Sängerin, die jetzt zur Leierkastenmusik ein Liebeslied singt. Den Liebeszauber, den die Beiden erleben, zeigt Jakobsson, der allerhand Zauberstücke mit Karten, Vögeln und einer erwartungshaltungsbrechenden Schere auf Lager hat. Das Unglück hat sich mit dem Glück automatisch barockmusikalisch archetypisch mitentwickelt: es taucht in Person der gnomhaft-asiatischen, zeitgenössischen Tänzerin Kaori Ito auf, die sich phasenweise auch als skeptische, innere Sphinx-Stimme des Träumers zu erkennen gibt. - Insofern wäre also auch jeder seines eigenen Unglückes Schmied.

Der Kampf mit sich selbst als Weg zum Glück

Denn das Paar, das jetzt zur Trio-Familie geworden ist, hat sich plötzlich im Unisono gegen den aufkommenden, überwältigenden Gegenwind des Alltags zu wehren. Es bewegt sich gleichförmig rückwärts, als wolle es die Zeit zurückdrehen, wo alles Unglück begann. Man sieht, wie die Liebesliedsängerin aus dem Bild gezerrt wird, wie der geliebten Frau im Bett sitzend statt vor Liebe frohlockend nur noch traurig die Haare vor dem Gesicht hängen. Dass sie zu zweifeln beginnt, zeigt ein schizophrenes Duett mit der sich nun ident bewegenden und aussehenden Kaori Ito. Dabei war die Liebe mit ihrem Mann unter der roten Decke gerade noch so schön. - "Wie schaffte es dieser Störfaktor Ito nur drunter zu kriechen?", denkt sich der Mann. Wie kam es, dass ihm plötzlich seine Jacke nicht mehr passen wollte, und es ihm geschah, dass er sich - beim Zusammenfalten - gleich mitfaltete? Warum wollen ihn seine Füße, seine Hände verlassen, obwohl sich sein Wille dagegen stämmt?

Nachdem er verwirrt allein ist, diktiert ihm daraufhin die Sängerin (in seinem Kopf) einen Brief, um die Einst-Geliebte vielleicht doch zurück zu gewinnen. Mit ihrer Retour-Antwort beutelt es ihn in seinem Schaukelstuhl derart, dass er ganze Rollen schlägt. Er tanzt in geistiger Wiedervereinigungs-Vorfreude in einem harmonisch-symmetrischen, zeitgenössischen Trio (Thiérrée kann also auch das bei erkennbar klassischer Ballettbasis perfekt!) und macht sich auf Wanderschaft, sie zurück zu holen. Doch dabei quält ihn auch schon wieder die einhergehende Skepsis, denn er gerät in eine mit elektronischer Musik durchflutete Sumpflandschaft mit unübersichtlichem Gestrüpp, worin er sich verirrt. Er begegnet einem unheimlich menschengroßen Fisch aus Bast, der sich in eine tanzende Bast-Grille verwandelt, schlägt sich zum Grillengezirpe mit kegelartigen Rutenbüscheln, indem er mit ihnen (also mit seinen Ängsten) leidenschaftlich schlagend jongliert. Schließlich fragt er einen vorbeikommenden Passanten (Jakobsson = sich selbst) um den richtigen Weg (die endgültige Entscheidung). - Wie ahnungslos dumm er ihm (er sich selbst) dabei vorkommt, zeigt dabei die (stummfilmlachreife!) Gesichtsmimik Thiérrées. Dann muss er sich im Sumpf in angstvoller Ohnmacht wieder mit der asiatischen Tänzerin, mit der Sängerin als Sensenfrau konfrontieren, die ihn anschreien, und die er danach als Gewissenskampf mit sich herumschleppt, bis er seinen inneren Schweinehund endgültig überwinden kann, indem er sich (Jakobsson) im virtuos wurfreifen Rutenfechtkampf besiegt. Oder auch nicht. - Denn man fragt sich: "Ist das Schicksal grundsätzlich gegen das Liebespaar?"

Der plötzliche Sprung zur Erkenntnis

In einem plötzlichen Szenenwechsel bekommt man als Antwort "nur" ein Musikquintett geboten, als müßten alle Akteure erst mal auf Distanz gehen, um sich selbst in ihren Entscheidungen bewerten zu lernen. Doch am Ende sind das Paar und die asiatische innere Stimme (des Mannes) auf einem Seil zu sehen, wie sie sich fragil aufeinander zu bewegen und phasenweise darauf harmonisch gleich tanzen. Da sind aber auch eine Menge schirmartiger weißer Federbälle, die von der Decke regnen. Sie stehen wohl für Thiérrées Vision, dass das Leben und die Liebe am besten unterm Zirkuszelt zu betrachten seien, denn ein ganzes Zelt stellen sie in Windeseile auch noch mitten in der Halle E im Museumsquartier auf ... Und wahrscheinlich hat er recht: Leben, Liebe und (sein) Theater bleiben mit urtümlich archetypischen Waagenfahrrädern ja tatsächlich am schönsten als staunenswerte Illusion zwischen Liebe und Hass, Glück und Unglück: Solange es unter der Schutzplane des mythischen Zaubers geschieht, dürfen die ewigen Gesetze für das Funktionieren von Gefühlen und Unterhaltung auch nicht anders lauten. e.o.


DAS URTEIL JAMES THIÉRRÉES ZIRKUSTHEATER IST DAS UNGLAUBLICH SCHÖNSTE, WAS ES AN UNTERHALTUNG UND ILLUSION AUF DER WELT GIBT ...

THEATER Au revoir parapluie * Von: James Thiérrée (Regie und Bühne) * Mit: Kaori Ito, Maria Sendow, Magnus Jakobsson, Satchie Noro, James Thiérrée * Sound Design: Thomas Delot * Ort: Halle E, Museumquartier im Rahem der Wiener Festwochen 2008 * Zeit 27.5.-1.6.08