Sunday, August 31, 2008
Saturday, August 30, 2008
OPER: ERNST KRENEKs "KARL V." ALLZEIT-ERMAHNEND BEI UWE ERIC LAUFENBERG
"Lehrer" Karl V. hat sich in seiner Verantwortung nicht nur vor dem Gemälde "Jüngstes Gericht" und damit Gott (seinem Gewissen) zu stellen ...
... sondern auch als Historiengestalt dem "lernenden Menschennachwuchs", der ihn bestenfalls nicht zum Vorbild nehmen sollte.
Denn sonst wird sich der Mensch wie in allen Jahrhunderten zuvor, - von seinen Trieben geleitet - militant nehmen, was ihm nur vordergründig zu nützen und seine Macht ebenso zu befriedigen scheint. Wie hier die verschacherte Schwester Eleonore (Nicola Beller Carbone) als symbolisches "Frauenobjekt" der Begierde.
Die groteske globale Kugel wirkt zwar ästhetisch schön, der Traum vom Weltreich muss aber anders ausgelebt werden: in der menschlichen Größe der Humanität vielleicht - das weiß der sterbende Karl V. (Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster)
FESTSPIELHAUS - BREGENZER FESTSPIELE UWE ERIC LAUFENBERG MACHT DIE PACKENDE HISTORIENGESTALT KARL V. IN ERNST KRENEKS ZWÖLFTONOPER ZUM AUSGEBUHTEN LEHRER DER 30-er JAHRE
Man wundert sich zuweilen ob der in Ignoranz "gekleideten" Unkultur sogenannter Kritiker. Auf einen privat seit fünfzig Jahren chorisch tenor-singenden Musikliebhaber, der sich nun in der Funktion eines ebensolchen Opernbeschreibers wiederfindet, macht so eine Person, die während der heuer von den Bregenzer Festspielen aufgespürten Opernrarität Karl V. (Uraufführung 1938 in Prag) durchgehend schläft, einen nicht gerade überzeugenden Eindruck. Ich dagegen kann für meine Person versichern, mich zu diesem Behufe in einen meiner "besten Anzüge samt weißen Hemdes" geschmissen zu haben. Sollte das "die alte Generation" repräsentieren, dann gehöre ich gerne dazu. Denn "wach" dem Anlaß entsprechend eingestellt und aufgewertet, sollte der Anlaß im besten Fall so besonders sein wie das ins Innere gekehrte Äußere des Kritikers selbst. Ernst Kreneks durchgehende Zwölftonoper - die erste der Operngeschichte - hat vielleicht deshalb tatsächlich einen bleibenden Effekt hinterlassen. Da kann der Mensch daneben noch so schnarchen, diese sehr eigentümliche, lebhaft von Lothar Koenigs dirigierte und von den Wiener Symphonikern gespielte Musik wird in der Erinnerung haften bleiben. So ungewöhnlich, dass sie verblüfft. Bei Tonfolgen, die zu einer akustisch vor allem dramatischen Schönheit finden, obwohl und weil sie weit von dem entfernt ist, wovon man sonst in der zeitgenössischen Oper hört. Dem leidenschaftlichen Chorsänger fällt natürlich zuerst der vielfältig und häufigst eingesetzte Solisten-Chor Camerata Silesia aus dem polnischen Katowice, einstudiert von Anna Szostak, auf, der von Schülern, Studenten bis zu Soldaten alles zu verkörpern hat. - Wie dieser den gewaltigen Text bei einer nicht gerade einfachen Melodie auswendig singt, ist schlicht gesagt eine Wucht.
Von der Gesangswucht zur subtil-doppeldeutigen Charakter-Dramaturgie
Hingegen subtil schön ist, dass diese Soldaten und Studenten keine von einander getrennten Menschengruppen repräsentieren. Regisseur Uwe Eric Laufenberg nimmt diese Besetzung bewußt vor, um zu betonen, dass zwischen den von einem Typus verkörperten Charakteren Verbindungen und psychologische Folgewirkungen quer durch die Jahrhunderte bestehen. Was dazu dient, ewige Mechanismen der Demagogie und Pädagogik zu entlarven, mit mehr oder weniger starken Kontrast-Ausscherungen zu Religion als moralische Instanz (Jüngstes Gericht) und Erotik als machtpervertierte Liebe. Da wäre zuerst die neu eingeführte "Lehrerfigur" vor der Schultafel, die bei den mit dem Rücken zum Publikum sitzenden Studenten in Kleidern aus den 30er Jahren einen Geschichtsunterricht hinsichtlich Politik und Religion abhält, in Wahrheit (im Urstoff von Anfang an) aber Karl V. entspricht, der dem jungen Beichtvater (eine von vier Sprechrollen) Juan de Regla (Moritz Führmann) nach seiner Thron-Entsagung im Kloster sein Leben und Wirken beichtet. - Diese Offenlegung im insgesamt eher puristischen Bühnenbild von Gisbert Jäkel erfährt der Besucher in Bregenz erst nach der Pause, wenn dem "Professor" als aufgebahrtem Kaiser abermals seine Geschichte vor den Augen abläuft. - Jene geisterhaften Lebensimpressionen, die einem Sterbenden bekanntlich kurz vor dem Tod erscheinen: Karl begegnen so seine wahnsinnige Mutter Juanna, Martin Luther als populärer, protestantischer Glaubensgegner, Papst Clemens VII., sowie neben anderen (Kriegs)figuren - auch solche, die im Zuge des Expansionsdrangs Karls ihr Leben ließen - Franz 1. von Frankreich, der die Uneigennützigkeit von Karl nicht versteht und deshalb von Karl bekämpft und gefangen genommen werden musste. Eine zusätzlich doppeldeutige Irritation - nämlich klanglich und charakterinterpretatorisch - schafft in dieser "Beichtsituation" ein "stotternder" Leibarzt, der Karl nicht mehr helfen kann. Selbst wenn jener kurzfristig wieder zu sich kommt und noch einmal stirbt, nachdem er schon einmal gestorben schien. Es wirkt wie ein langer, schwerer Kampf um die innere Ruhe, um endgültig aus dem Leben gehen zu können ...
Lehre aus der Geschichte wörtlich genommen
Das Sprichwort "die Lehre von der G´schicht" scheint dem Regisseur so am Herzen zu liegen, dass er es wortwörtlich und erweitert als "Lehre aus der Geschichte" auf die Bühne gestellt hat. Als wolle er sagen: Hätten die Menschen (Schüler) in den 30er Jahren, als Krenek vor dem aufkommenden Nationalsozialismus und dem ideologischen Welteroberer Adolf Hitler diese Oper schrieb, eine derartige Pädagogik erfahren und bereits zu diesem Zeitpunkt - wie hier der Studentenchor gegen die Eroberungspolitik eines Weltführers (Karl V.) - aufgeschrien, dann wäre es nie zu einem Krieg gekommen. Dann könnten derartige, ideologisch "selbstüberzeugt und (für sich selbst) gut" gemeinten Parolen eines jeweiligen Ideologen zur Einigung / Vereinheitlichung kaum fruchten - egal ob im Sinne der katholischen Religion als Weltfrieden eines Karl V. oder der "besseren nationalsozialistischen Herrenrasse" eines Hitlers ... oder ob im Sinne wirtschaftskapitalistischer, globaler oder auch nur EU-pauschal-weiter Interessen wie heute.....womit wir - sehr subtil angedeutet - auch im politischen Jetzt gelandet sind.
Auf dritter Ebene steht die rebellische Studentenreaktion schließlich noch für die generelle Ablehnung des derzeit bestehenden Schulwesens, das keine Menschen mit Zivilcourage und humaner Eigenmeinung hervor zu bringen vermag. Das betont dezidiert eine Szene im zweiten Akt, wo aus den Studenten Soldaten geworden sind, die Karls Schwester Eleonore (schöner Sopran: Nicola Beller Carbone) sexuell mißbrauchen - eine Metapher dafür, dass Bruder Karl sie (als Frau) zugunsten der Weltpolitik mit seinem "Feind" Franz I. von Frankreich verkuppelte und jenen dann im Säbelgefecht wegen einer Liebesaffäre mit einer anderen tötete. - So viel Blut am Ende des Lebens lässt Karl einsichtig werden: Er will nicht mehr kämpfen und ächzt: "Der wahre Weise soll die Welt ihren Weg gehen lassen, ohne einzugreifen."
Assoziation zum Weltreich im globalen Heute
Trotz Aufforderung seines Bruders Ferdinand, das gefährdete Reich zu retten, entsagt Karl noch der Weltreich-Idee, bevor er stirbt. Karl V., den Bariton Dietrich Henschel als magerer Professor expressiv verunsichert interpretiert, hinterlässt als mächtige Historiengestalt somit einmal mehr die Erkenntnis, dass ein Weltreich nur so lange einigermaßen harmonisch zu halten ist, sofern es - wie bei ihm selbst - durch glückliche Heirat und Erbschaft gewonnen wurde. Sobald jedoch mit kriegerischem Gedanken "noch mehr" gewollt wird, ist es auch schon zum Untergang verurteilt. Ob das heutige Motiv des "Marktes" bessere Chancen hat? ... Nichts Gutes verheißt jedenfalls die rollende, schwarze Riesenkugel über dem und um den sterbenden Staatsmann als satirisch aberwitziges und mahnungsvolles "Global-Symbol"...
So viel von einem alten Mann, der wach geblieben ist, zu einem von vielen jungen Männern, die es vorziehen zu schlafen ...
Kritiker: Josef Oberhuber (Red. e.o.)
Man wundert sich zuweilen ob der in Ignoranz "gekleideten" Unkultur sogenannter Kritiker. Auf einen privat seit fünfzig Jahren chorisch tenor-singenden Musikliebhaber, der sich nun in der Funktion eines ebensolchen Opernbeschreibers wiederfindet, macht so eine Person, die während der heuer von den Bregenzer Festspielen aufgespürten Opernrarität Karl V. (Uraufführung 1938 in Prag) durchgehend schläft, einen nicht gerade überzeugenden Eindruck. Ich dagegen kann für meine Person versichern, mich zu diesem Behufe in einen meiner "besten Anzüge samt weißen Hemdes" geschmissen zu haben. Sollte das "die alte Generation" repräsentieren, dann gehöre ich gerne dazu. Denn "wach" dem Anlaß entsprechend eingestellt und aufgewertet, sollte der Anlaß im besten Fall so besonders sein wie das ins Innere gekehrte Äußere des Kritikers selbst. Ernst Kreneks durchgehende Zwölftonoper - die erste der Operngeschichte - hat vielleicht deshalb tatsächlich einen bleibenden Effekt hinterlassen. Da kann der Mensch daneben noch so schnarchen, diese sehr eigentümliche, lebhaft von Lothar Koenigs dirigierte und von den Wiener Symphonikern gespielte Musik wird in der Erinnerung haften bleiben. So ungewöhnlich, dass sie verblüfft. Bei Tonfolgen, die zu einer akustisch vor allem dramatischen Schönheit finden, obwohl und weil sie weit von dem entfernt ist, wovon man sonst in der zeitgenössischen Oper hört. Dem leidenschaftlichen Chorsänger fällt natürlich zuerst der vielfältig und häufigst eingesetzte Solisten-Chor Camerata Silesia aus dem polnischen Katowice, einstudiert von Anna Szostak, auf, der von Schülern, Studenten bis zu Soldaten alles zu verkörpern hat. - Wie dieser den gewaltigen Text bei einer nicht gerade einfachen Melodie auswendig singt, ist schlicht gesagt eine Wucht.
Von der Gesangswucht zur subtil-doppeldeutigen Charakter-Dramaturgie
Hingegen subtil schön ist, dass diese Soldaten und Studenten keine von einander getrennten Menschengruppen repräsentieren. Regisseur Uwe Eric Laufenberg nimmt diese Besetzung bewußt vor, um zu betonen, dass zwischen den von einem Typus verkörperten Charakteren Verbindungen und psychologische Folgewirkungen quer durch die Jahrhunderte bestehen. Was dazu dient, ewige Mechanismen der Demagogie und Pädagogik zu entlarven, mit mehr oder weniger starken Kontrast-Ausscherungen zu Religion als moralische Instanz (Jüngstes Gericht) und Erotik als machtpervertierte Liebe. Da wäre zuerst die neu eingeführte "Lehrerfigur" vor der Schultafel, die bei den mit dem Rücken zum Publikum sitzenden Studenten in Kleidern aus den 30er Jahren einen Geschichtsunterricht hinsichtlich Politik und Religion abhält, in Wahrheit (im Urstoff von Anfang an) aber Karl V. entspricht, der dem jungen Beichtvater (eine von vier Sprechrollen) Juan de Regla (Moritz Führmann) nach seiner Thron-Entsagung im Kloster sein Leben und Wirken beichtet. - Diese Offenlegung im insgesamt eher puristischen Bühnenbild von Gisbert Jäkel erfährt der Besucher in Bregenz erst nach der Pause, wenn dem "Professor" als aufgebahrtem Kaiser abermals seine Geschichte vor den Augen abläuft. - Jene geisterhaften Lebensimpressionen, die einem Sterbenden bekanntlich kurz vor dem Tod erscheinen: Karl begegnen so seine wahnsinnige Mutter Juanna, Martin Luther als populärer, protestantischer Glaubensgegner, Papst Clemens VII., sowie neben anderen (Kriegs)figuren - auch solche, die im Zuge des Expansionsdrangs Karls ihr Leben ließen - Franz 1. von Frankreich, der die Uneigennützigkeit von Karl nicht versteht und deshalb von Karl bekämpft und gefangen genommen werden musste. Eine zusätzlich doppeldeutige Irritation - nämlich klanglich und charakterinterpretatorisch - schafft in dieser "Beichtsituation" ein "stotternder" Leibarzt, der Karl nicht mehr helfen kann. Selbst wenn jener kurzfristig wieder zu sich kommt und noch einmal stirbt, nachdem er schon einmal gestorben schien. Es wirkt wie ein langer, schwerer Kampf um die innere Ruhe, um endgültig aus dem Leben gehen zu können ...
Lehre aus der Geschichte wörtlich genommen
Das Sprichwort "die Lehre von der G´schicht" scheint dem Regisseur so am Herzen zu liegen, dass er es wortwörtlich und erweitert als "Lehre aus der Geschichte" auf die Bühne gestellt hat. Als wolle er sagen: Hätten die Menschen (Schüler) in den 30er Jahren, als Krenek vor dem aufkommenden Nationalsozialismus und dem ideologischen Welteroberer Adolf Hitler diese Oper schrieb, eine derartige Pädagogik erfahren und bereits zu diesem Zeitpunkt - wie hier der Studentenchor gegen die Eroberungspolitik eines Weltführers (Karl V.) - aufgeschrien, dann wäre es nie zu einem Krieg gekommen. Dann könnten derartige, ideologisch "selbstüberzeugt und (für sich selbst) gut" gemeinten Parolen eines jeweiligen Ideologen zur Einigung / Vereinheitlichung kaum fruchten - egal ob im Sinne der katholischen Religion als Weltfrieden eines Karl V. oder der "besseren nationalsozialistischen Herrenrasse" eines Hitlers ... oder ob im Sinne wirtschaftskapitalistischer, globaler oder auch nur EU-pauschal-weiter Interessen wie heute.....womit wir - sehr subtil angedeutet - auch im politischen Jetzt gelandet sind.
Auf dritter Ebene steht die rebellische Studentenreaktion schließlich noch für die generelle Ablehnung des derzeit bestehenden Schulwesens, das keine Menschen mit Zivilcourage und humaner Eigenmeinung hervor zu bringen vermag. Das betont dezidiert eine Szene im zweiten Akt, wo aus den Studenten Soldaten geworden sind, die Karls Schwester Eleonore (schöner Sopran: Nicola Beller Carbone) sexuell mißbrauchen - eine Metapher dafür, dass Bruder Karl sie (als Frau) zugunsten der Weltpolitik mit seinem "Feind" Franz I. von Frankreich verkuppelte und jenen dann im Säbelgefecht wegen einer Liebesaffäre mit einer anderen tötete. - So viel Blut am Ende des Lebens lässt Karl einsichtig werden: Er will nicht mehr kämpfen und ächzt: "Der wahre Weise soll die Welt ihren Weg gehen lassen, ohne einzugreifen."
Assoziation zum Weltreich im globalen Heute
Trotz Aufforderung seines Bruders Ferdinand, das gefährdete Reich zu retten, entsagt Karl noch der Weltreich-Idee, bevor er stirbt. Karl V., den Bariton Dietrich Henschel als magerer Professor expressiv verunsichert interpretiert, hinterlässt als mächtige Historiengestalt somit einmal mehr die Erkenntnis, dass ein Weltreich nur so lange einigermaßen harmonisch zu halten ist, sofern es - wie bei ihm selbst - durch glückliche Heirat und Erbschaft gewonnen wurde. Sobald jedoch mit kriegerischem Gedanken "noch mehr" gewollt wird, ist es auch schon zum Untergang verurteilt. Ob das heutige Motiv des "Marktes" bessere Chancen hat? ... Nichts Gutes verheißt jedenfalls die rollende, schwarze Riesenkugel über dem und um den sterbenden Staatsmann als satirisch aberwitziges und mahnungsvolles "Global-Symbol"...
So viel von einem alten Mann, der wach geblieben ist, zu einem von vielen jungen Männern, die es vorziehen zu schlafen ...
Kritiker: Josef Oberhuber (Red. e.o.)
DAS URTEIL KRENEKS SEHR EIGENE MUSIK MIT GROSSARTIGEM CHOR LÄSST EINEN WUNDERN, WIE SICH GLOBALER EXPANSIONSDRANG ÜBERHAUPT ENTWICKELN KANN: WELTENHERRSCHER KARL V. WIRD ZUR TRAUERGESTALT.
OPER Karl V. * Von: Ernst Krenek * Regie: Uwe Eric Laufenberg * Dirigat: Lothar Koenigs * Mit: Wiener Symphonikern * Mit: Sängerensemble Katowice - Camerata Silesia - Chorleitung: Anna Szostak * Mit: Dietrich Henschel, Dietrich Henschel, Chariklia Mavropoulou, Nicola Beller Carbone, Hubert Francis, Cassandra McConnell, Moritz Führmann, Christoph Homberger, Matthias Klink, Alexander Mayr, Thomas Johannes Mayer, Cassandra McConnell, Katia Velletaz, Chariklia Mavropoulou, Katrin Wundsam * Ort: Bregenzer Festspielhaus * Zeit: 27.7.-3.8.2008
OPER Karl V. * Von: Ernst Krenek * Regie: Uwe Eric Laufenberg * Dirigat: Lothar Koenigs * Mit: Wiener Symphonikern * Mit: Sängerensemble Katowice - Camerata Silesia - Chorleitung: Anna Szostak * Mit: Dietrich Henschel, Dietrich Henschel, Chariklia Mavropoulou, Nicola Beller Carbone, Hubert Francis, Cassandra McConnell, Moritz Führmann, Christoph Homberger, Matthias Klink, Alexander Mayr, Thomas Johannes Mayer, Cassandra McConnell, Katia Velletaz, Chariklia Mavropoulou, Katrin Wundsam * Ort: Bregenzer Festspielhaus * Zeit: 27.7.-3.8.2008
Monday, August 11, 2008
TANZ: WIM VANDEKEYBUS´ SORGE UM DIE GESELLSCHAFT IN "MENSKE"
Die visuelle Impressionsdramatik vom schwierigen Leben des Einzelnen in einer Welt ohne Gemeinschaftswerte ...
... sowie die expressionistische Spannung der Bewegung (Fotos © Martin Firket) ...
... wird leider durch die Musik des belgischen Popdandys Daan entschärft ...
... und verflacht nach einem Stilbruch noch mehr im Irrenhaus, wo alle Masken tragen - selbst wenn die Bilder bis zuletzt bestechen (Fotos © Pieter-Jan De Pue).
... sowie die expressionistische Spannung der Bewegung (Fotos © Martin Firket) ...
... wird leider durch die Musik des belgischen Popdandys Daan entschärft ...
... und verflacht nach einem Stilbruch noch mehr im Irrenhaus, wo alle Masken tragen - selbst wenn die Bilder bis zuletzt bestechen (Fotos © Pieter-Jan De Pue).
MUSEUMSQUARTIER - IMPULSTANZ OHNE GEMEINSCHAFTSWERTE IST DAS LEBEN SCHWER - UND DENNOCH GIBT ES IN DIESER WELT DERZEIT KEINEN ANDEREN AUSWEG ALS LEBENSMODELL: DAS HAT WIM VANDEKEYBUS IN MENSKE TREFFEND ERSPÜRT UND ILLUSIONSREICH UMGESETZT
Wim Vandekeybus Sensorium für das aktuelle Gesellschaftsproblem der Zeit verschaffte dem diesjährigen ImPulsTanz-Festival den brisantesten Inhalt aller Vorstellungen. - In "journalistischer" Kategorie bekommt der belgische "Instinktchoreograf" dafür also die glatte Eins. Das ist überdies bemerkenswert, da sich seine weltberühmte Intuition letztes Jahr in Spiegel noch - wie gewohnt - im unmittelbaren Körperausdruck äußerte, während sie heuer auf dem Wege seiner Wahrnehmung der Körperumgebung am Zahn der Zeit bohrt: an den Teilkulturen, die im globalen Zeitalter nach der Massengesellschaft nicht nur unaufhaltsam sind; sie beinhalten zugleich den (un)freiwilligen Druck auf den einzelnen Menschen, seine individuellen Werte, seine eigene Sicht auf die Welt, sein Ego in der Gemeinschaft entwickeln und durchsetzen zu müssen. Das ist einer der schwersten Umbrüche, denen sich die Welt je zu stellen hatte. Und wie schwer es dem Menschen fällt, sich darin zu realisieren, das sieht man in Menske in aller Schärfe.
Gedämpfte Spannung durch Popmusik
Doch leider dämpft Vandekeybus diese Inhaltsschärfe durch stilistische Puffer, sodass für den Zuschauer weder der Kick im Faszinosum einer grenzenlosen Überraschung eintritt, noch dass ihm das Thema als lebenswichtig unter die Haut fährt. Hier, in der utopischen Weltuntergangsstadt, voll von Säcken mit verstautem (Traditions-)Mist, wo sich gleichzeitig über verschlußbereite Elektronikkabel ein Neu-Aufbruch abzeichnet, haben die Bewohner ihre gemeinsamen Werte und den Zusammenhalt verloren. Es steht keiner mehr als starker, gleicher Mensch da, sondern nur als unsicheres, kleines "Menske". Und obwohl all diese "Menschlein" weder verkümmert leise, bescheiden, noch verschwindend agieren, sie sogar regelrecht obsessiv mit gezückten Messern um ihr "Überleben" kämpfen; obwohl jeder für sich seine kulturelle, charakterliche, interessensbezogene, sture Eigenart militant und ausdrucksstark gegen den anderen zu verteidigen müssen glaubt, hängen die steigerungsarme Dramaturgie und die Musik des belgischen Pop-Dandys Daan am Erzählverlauf wie steinschwerer Ballast. Zu einer gesteigerten Spannung kommt es zunächst noch durch - für Tanz ungewöhnlichen - Pop-Elektroniksound mit Klavier, Fingerschnipsen, sporadischem Gitarrenhardrock - oder auch nur -tscheppern - doch findet dieser Klang letztendlich keinen exzessiven Höhepunkt. Er flacht viel mehr im "Refrain" als kommerziell-verkitschte Breitmelodie ab, und zwar ausgerechnet dann, wenn die Emotion aufbrechen sollte. Derartige "Happy-Nummern" bremsen leider mehrmals das Stück, sodass es im Endeffekt auch die inhaltliche Aussage über des Menschen Unsicherheitsempfinden entkräftet. Könnte aber auch sein, dass Vandekeybus damit genau das Gegenteil von "kommerziell" beabsichtigt hat, um wiederum dem dramatisch zugespitzten Verlauf eines "Musicals" oder Kommerzfilms auszuweichen: denn an einer windumwehten Akrobatikstelle ähnlich der Bugszene im DiCaprio-Titanic-Film fällt sinngemäß inmitten der Geschichte der Regiesatz: "Das ist für eine Tanzkunst-Inszenierung vielleicht doch etwas zu viel ..."
Verwirrung in Sex und Liebe bei aufgedrängten (Berufs-)rollen
Dem Company-Namen Ultima Vez (= (Tanz, wie) das letzte Mal) glaubwürdig gerecht werden dafür die - das gibt´s selten in Tanzaufführungen - sprechsicheren Schauspieler sowie die sprech- und bewegungssicheren Tänzer (Stimmcoach: Angélique Wilkie) in illusionsstarken, dramatisch beleuchteten Bildern - vier starke, nicht unbedingt Tänzer-Persönlichkeiten sind erstmals mit dabei. Den dramaturgisch bindenden Faden spannt bei all den episodenhaft auftretenden Einzeläußerungen die wiederkehrend erzählte Liebeserinnerung des spanisch-akzent-sprechenden "Pablo" an einen verflossenen Italiener, der anfangs ganz in "Weiß" inmitten von dichtem Nebel zu sehen ist. - Das Ende der Liebe scheint somit symbolhaft für den Beginn allen Kontrollverlusts zu stehen. Doch über seine sehnsuchtsvolle "Abrechnung" gelangt Pablo zu einer spirtuellen und nach außen hin aufmerksameren Wahrnehmung, sodass er (von sich selbst) von anderen findet: "Ich liebe die umher irrenden Menschen..." Er ist selbst "lieber allein" und bittet seinen Geliebten im geistigen, rückversetzten Zwiegespräch, "uns nicht unzertrennlich zu machen".
Den zweiten prinzipiellen "Halt" im Leben brüllt sich eine punkstarke Domina in Bergsteigergurten aus dem Leib: "Ich steh nur aufs Ficken; und will das so, wie es immer war! Große Schwänze sind das einzige, was zählt im Leben!"
- Liebe und Sex scheitern allerdings an den unsicheren "neuen" Rollenbildern von militanten Frauen bis zu verkappten Westernhelden von heute. Und das Gefühl des Lebensglücks generell daran, was jemand hinsichtlich Berufs konstatiert: "Wir müssen alle Rollen spielen! Wir müssen uns alle anbieten!"
Hassliebe oder Zerrissenheit der Geschlechter steckt deshalb auch in der Bewegung; und ist sie kein Kampf mit dem anderen - eines Paares oder der Gruppe -, dann zumindest ein Kampf mit sich selbst: Akrobatische Luft-, Seil- bis Bodenübungen suchen vergeblich und verzweifelt nach Bodenhaftung. Aufgespannte Stromkabel-Netze garnen kurzfristig und hoffnungsvoll die Einzelkämpfer ein. Ein expressives Männertrio löst ein ebensolches Frauentrio ab, eine verführerische Frau tanzt abwechselnd (als gleich bedeutend) mit einem Müllsack und einem Anzugträger. Der Western-Macho wird angesprungen und wieder abgestoßen.
Vom Stilbruch ins Irrenhaus
Und all dieser "Menschenmüll" landet mit plötzlichem Stilbruch in einem riesengroß abgebildeten Korridor einer Irrenanstalt - wenn auch in einer im Ablauf zu lang geratenen Szene -, wo zuerst dem Macho seine Cowboykluft ausgezogen, und er alsdann in seiner "Rolle" verlacht wird - ausgerechnet von lauter "anonymen" Menschen in grotesken Masken. Die Devise der Therapie lautet: "Es ist Zeit zu rasten!" Selbst für lustige Hypochonder, wie den entmannten Cowboy (Franzose Valéry Volf), dem ständig "Gewülste" wachsen, die die Krankenschwester "als von ihm selbst reingestopfte Polster" entfernt. - Bei ihm mögen die Krankheiten (Probleme) Einbildung sein, der Rest jedoch wird sich wohl oder übel dem Neuaufbau von sich selbst - oder auch einer Stadt - stellen müssen ... e.o./p.p.s.
Wim Vandekeybus Sensorium für das aktuelle Gesellschaftsproblem der Zeit verschaffte dem diesjährigen ImPulsTanz-Festival den brisantesten Inhalt aller Vorstellungen. - In "journalistischer" Kategorie bekommt der belgische "Instinktchoreograf" dafür also die glatte Eins. Das ist überdies bemerkenswert, da sich seine weltberühmte Intuition letztes Jahr in Spiegel noch - wie gewohnt - im unmittelbaren Körperausdruck äußerte, während sie heuer auf dem Wege seiner Wahrnehmung der Körperumgebung am Zahn der Zeit bohrt: an den Teilkulturen, die im globalen Zeitalter nach der Massengesellschaft nicht nur unaufhaltsam sind; sie beinhalten zugleich den (un)freiwilligen Druck auf den einzelnen Menschen, seine individuellen Werte, seine eigene Sicht auf die Welt, sein Ego in der Gemeinschaft entwickeln und durchsetzen zu müssen. Das ist einer der schwersten Umbrüche, denen sich die Welt je zu stellen hatte. Und wie schwer es dem Menschen fällt, sich darin zu realisieren, das sieht man in Menske in aller Schärfe.
Gedämpfte Spannung durch Popmusik
Doch leider dämpft Vandekeybus diese Inhaltsschärfe durch stilistische Puffer, sodass für den Zuschauer weder der Kick im Faszinosum einer grenzenlosen Überraschung eintritt, noch dass ihm das Thema als lebenswichtig unter die Haut fährt. Hier, in der utopischen Weltuntergangsstadt, voll von Säcken mit verstautem (Traditions-)Mist, wo sich gleichzeitig über verschlußbereite Elektronikkabel ein Neu-Aufbruch abzeichnet, haben die Bewohner ihre gemeinsamen Werte und den Zusammenhalt verloren. Es steht keiner mehr als starker, gleicher Mensch da, sondern nur als unsicheres, kleines "Menske". Und obwohl all diese "Menschlein" weder verkümmert leise, bescheiden, noch verschwindend agieren, sie sogar regelrecht obsessiv mit gezückten Messern um ihr "Überleben" kämpfen; obwohl jeder für sich seine kulturelle, charakterliche, interessensbezogene, sture Eigenart militant und ausdrucksstark gegen den anderen zu verteidigen müssen glaubt, hängen die steigerungsarme Dramaturgie und die Musik des belgischen Pop-Dandys Daan am Erzählverlauf wie steinschwerer Ballast. Zu einer gesteigerten Spannung kommt es zunächst noch durch - für Tanz ungewöhnlichen - Pop-Elektroniksound mit Klavier, Fingerschnipsen, sporadischem Gitarrenhardrock - oder auch nur -tscheppern - doch findet dieser Klang letztendlich keinen exzessiven Höhepunkt. Er flacht viel mehr im "Refrain" als kommerziell-verkitschte Breitmelodie ab, und zwar ausgerechnet dann, wenn die Emotion aufbrechen sollte. Derartige "Happy-Nummern" bremsen leider mehrmals das Stück, sodass es im Endeffekt auch die inhaltliche Aussage über des Menschen Unsicherheitsempfinden entkräftet. Könnte aber auch sein, dass Vandekeybus damit genau das Gegenteil von "kommerziell" beabsichtigt hat, um wiederum dem dramatisch zugespitzten Verlauf eines "Musicals" oder Kommerzfilms auszuweichen: denn an einer windumwehten Akrobatikstelle ähnlich der Bugszene im DiCaprio-Titanic-Film fällt sinngemäß inmitten der Geschichte der Regiesatz: "Das ist für eine Tanzkunst-Inszenierung vielleicht doch etwas zu viel ..."
Verwirrung in Sex und Liebe bei aufgedrängten (Berufs-)rollen
Dem Company-Namen Ultima Vez (= (Tanz, wie) das letzte Mal) glaubwürdig gerecht werden dafür die - das gibt´s selten in Tanzaufführungen - sprechsicheren Schauspieler sowie die sprech- und bewegungssicheren Tänzer (Stimmcoach: Angélique Wilkie) in illusionsstarken, dramatisch beleuchteten Bildern - vier starke, nicht unbedingt Tänzer-Persönlichkeiten sind erstmals mit dabei. Den dramaturgisch bindenden Faden spannt bei all den episodenhaft auftretenden Einzeläußerungen die wiederkehrend erzählte Liebeserinnerung des spanisch-akzent-sprechenden "Pablo" an einen verflossenen Italiener, der anfangs ganz in "Weiß" inmitten von dichtem Nebel zu sehen ist. - Das Ende der Liebe scheint somit symbolhaft für den Beginn allen Kontrollverlusts zu stehen. Doch über seine sehnsuchtsvolle "Abrechnung" gelangt Pablo zu einer spirtuellen und nach außen hin aufmerksameren Wahrnehmung, sodass er (von sich selbst) von anderen findet: "Ich liebe die umher irrenden Menschen..." Er ist selbst "lieber allein" und bittet seinen Geliebten im geistigen, rückversetzten Zwiegespräch, "uns nicht unzertrennlich zu machen".
Den zweiten prinzipiellen "Halt" im Leben brüllt sich eine punkstarke Domina in Bergsteigergurten aus dem Leib: "Ich steh nur aufs Ficken; und will das so, wie es immer war! Große Schwänze sind das einzige, was zählt im Leben!"
- Liebe und Sex scheitern allerdings an den unsicheren "neuen" Rollenbildern von militanten Frauen bis zu verkappten Westernhelden von heute. Und das Gefühl des Lebensglücks generell daran, was jemand hinsichtlich Berufs konstatiert: "Wir müssen alle Rollen spielen! Wir müssen uns alle anbieten!"
Hassliebe oder Zerrissenheit der Geschlechter steckt deshalb auch in der Bewegung; und ist sie kein Kampf mit dem anderen - eines Paares oder der Gruppe -, dann zumindest ein Kampf mit sich selbst: Akrobatische Luft-, Seil- bis Bodenübungen suchen vergeblich und verzweifelt nach Bodenhaftung. Aufgespannte Stromkabel-Netze garnen kurzfristig und hoffnungsvoll die Einzelkämpfer ein. Ein expressives Männertrio löst ein ebensolches Frauentrio ab, eine verführerische Frau tanzt abwechselnd (als gleich bedeutend) mit einem Müllsack und einem Anzugträger. Der Western-Macho wird angesprungen und wieder abgestoßen.
Vom Stilbruch ins Irrenhaus
Und all dieser "Menschenmüll" landet mit plötzlichem Stilbruch in einem riesengroß abgebildeten Korridor einer Irrenanstalt - wenn auch in einer im Ablauf zu lang geratenen Szene -, wo zuerst dem Macho seine Cowboykluft ausgezogen, und er alsdann in seiner "Rolle" verlacht wird - ausgerechnet von lauter "anonymen" Menschen in grotesken Masken. Die Devise der Therapie lautet: "Es ist Zeit zu rasten!" Selbst für lustige Hypochonder, wie den entmannten Cowboy (Franzose Valéry Volf), dem ständig "Gewülste" wachsen, die die Krankenschwester "als von ihm selbst reingestopfte Polster" entfernt. - Bei ihm mögen die Krankheiten (Probleme) Einbildung sein, der Rest jedoch wird sich wohl oder übel dem Neuaufbau von sich selbst - oder auch einer Stadt - stellen müssen ... e.o./p.p.s.
DAS URTEIL MENSKE IST BESSER ALS DAS MEISTE BEI IMPULSTANZ, ABER NICHT DAS BESTE VON WIM VANDEKEYBUS - DER NÖTIGE EXZESS ERSCHEINT DURCH DAAN´S POP LEIDER FLACHGEDRÜCKT.
TANZ Menske * Regie, Choreographie, Szenographie: Wim Vandekeybus * Von und mit: Laura Arís, Max Cuccaro, Konstantina Efthimiadou, Elena Fokina, Birgit Gunzl, Jorge Jauregui Allue, Manuel Ronda, Helder Seabra, Valéry Volf, Kylie Walters * Musik: Daan * Stimmcoach: Angélique Wilkie * Texte: Ultima Vez * Licht: Alban Rouge, Wim Vandekeybus, Francis Gahide * Ort: Museumsquartier / Halle E * Zeit: 21.+23.7.2008
TANZ Menske * Regie, Choreographie, Szenographie: Wim Vandekeybus * Von und mit: Laura Arís, Max Cuccaro, Konstantina Efthimiadou, Elena Fokina, Birgit Gunzl, Jorge Jauregui Allue, Manuel Ronda, Helder Seabra, Valéry Volf, Kylie Walters * Musik: Daan * Stimmcoach: Angélique Wilkie * Texte: Ultima Vez * Licht: Alban Rouge, Wim Vandekeybus, Francis Gahide * Ort: Museumsquartier / Halle E * Zeit: 21.+23.7.2008
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