Friday, July 18, 2008

TANZ: IMPULSTANZ FEIERT DIE ZEITGENOSSEN MIT "BALLETTGALA" UND AHA-ERLEBNIS

Was gibt es für ein Risiko für die Frau, dem Liebesdrängen eines Mannes nachzugeben? (Foto © Sébastien Mathé)

Ein Großes - und dennoch gibt sich Laetitia Pujol dem kokett drängenden Manuel Legris in Le Parc von Angelin Preljocaj hin, sodass es beide nur so dreht. (Foto © Christian Leiber)

Andererseits ist die Sehnsucht eines Mannes aber auch ziemlich herzzerreißend, wenn seine Begierde nicht gestillt wird, wie in Prélude à l´après-midi d´un faune von Rosas. (Foto © Herman Sorgelos)





















Da ist es doch leichter, wie William Forsythe über formale Bühenpraktika in Steptext zu reden: wie das Kirov-Ballett (expressiv stark: Ekaterina Kondaurova) (Foto © Rieder
Promotions)

Oder über Forsythes neoklassische Bewegungsdekonstruktionen in Approximate Sonata, die (nicht im Bild) Forsythes Muse Antony Rizzi mit Leslie Heylmann lustig bei ImPulsTanz persiflierte.




















Bei diesem schlüssig-dichten, aber anstrengenden Gala-Programm war Chouinards Le Sacre du printemps-Ritualklassikerpop dann fast schon zu viel des Guten (Foto © Marie Chouinard).



BURGTHEATER - IMPULSTANZ BEI DER BALLETTGALA ZEIGTE SICH, WAS NACH 25 JAHREN ZEITGENÖSSISCHEN TANZES WIRKLICH ZÄHLT: IM BALLETT UND BEI DEN ZEITGENOSSEN

Wer hätte das gedacht. Da strengt sich der zeitgenössische Tanz im Unisono bis zum Erbrechen an, klug zu erscheinen - denn die klassischen Balletttänzer einschließlich hierarchischer Institution und damit die Tanzgeschichte seien ja "so (undemokratisch) dumm"! Kommt der außenstehende Betrachter aber zu einer Vergleichsmöglichkeit mehrerer gezeigter bahnbrechender Produktionen, bleibt doch das am stärksten transportierte, kopflose Gefühl eines bestimmten Werks hängen, nämlich beim dritten Teil aus Le Parc - Pas de deux, von Franco-Albanier Angelin Preljocaj, wo die Rebellion der Bewegung lediglich unterbewußt zu spüren ist. Der Gefühlsausdruck drängt sich in der Erinnerung des Betrachters bildstark und sehnsuchterweckend vor alles andere. Preljocaj leuchtet im Rahmen der Ballettgala zum 25-Jahre-Jubiläum des Wiener Tanzfestivals ImPulsTanz aus all den gefeierten De(kon)struktionsgrößen des klassischen Tanzes hervor, zwischen Forsythe, De Keersmaeker, Chouinard. Sie alle verblassen, weil sie inzwischen dasselbe vordergründige Bewußtsein eint, die technische Formzeichnung für das Publikum an die Front zu hieven.

Das also, was früher einmal revolutionär, neu und einzigartig war, ist schon allzu allgemein, bekannt, etabliert. Ein Preljocaj dagegen, der mit der Empfindung als führende Zugkraft in seinem Schaffen arbeitet, ist zur Ausnahmeerscheinung geworden. Sein Thema der Liebe in der Handlung ist dabei nicht ausschlaggebend, sondern die Bewegung der Tänzer aus Liebe, als ihr subjektiv empfundenes, romantisches Bild aus tiefster Seele. Dass das viel mehr Kraftinvestition und Verinnerlichung seitens der Tänzer bedeutet, liegt auf der Hand. Und verblüffend ist im Nachhinein aber festzustellen, dass diese Bewegung genauso zeitgenössisches Dekonstruktionsmaterial enthält wie die Arbeiten der einschlägig bekannten Dekonstruktions-Ikonen. Am Ende gilt für den zeitgenössischen Tanz dasselbe Gesetz wie für den Klassiktanz: nicht die Technik darf das Hauptaugenmerk der Aufführung sein, sondern der gelebte Ausdruck, selbst wenn die Technik neu ist.

Wenn Tanzdenker mit ihren Tränen kämpfen herrscht Demokratie

Allerdings: im konkreten - 1994 für das Ballet de l´Opera National de Paris choreografierten - Le Parc - Pas de deux wirkt die dominante Emotion, gerade wegen der neuen Bewegung, nicht platt und eindimensional, sondern zunächst ironisch, subtil und im gesteigerten Fortlauf als intime Spitze, gleich einer inneren Befreiung der Tänzer, verhalten tief und aufrichtig innig. Man kann sich kaum der Tränen verwehren, wenn die Ètoile-Tänzerin des Pariser Opernballetts, Laetitia Pujol, in absolut parallel laufender Bewegung zur sensibel gefühlten Musik Mozarts nach langer spielerischer Sprödigkeit in barocken Herrenkleidern dem kokett werbenden Mann nachgibt, so wie er, mit nichts mehr an als eines weißen, großen Herrenhemdes. Die Musik ist dabei mindestens genauso präsent wie der Tanz. In diesem Sinne findet hier auf der Bühne die harmonischste Gleichberechtigung der Künste statt, die man sich vorstellen kann. - So viel zum Kampfeswillen des zeitgenössischen Tanzes, sich gegen Raum, Theaterregeln und Musik aufbäumen glauben zu müssen, um als vollwertig zu gelten. Und deshalb aber auch die dringende Reklamation eines, sich ebenso wie ein Bildender Künstler (!) für Tanz interessierten Musikers an die ImPulsTanz-Programmheft-Beschreiber: Welches Orchester und welcher Pianist haben da gespielt? Das nicht zu erwähnen, wäre in diesem Fall doch recht undemokratisch!!!

Hebt die dunkelblond-langhaarige Elfe Pujol zum leise anwachsenden hohen Ton der Flöten und Geigen im Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur, KV 488 - Adagio küssend, kerzengerade und waagrecht zur Bühne im Zeitlupentempo ihre Beine, fest den Hals von Étoile Manuel Legris umklammernd, sodass er kurz taumelnd ins immer schneller werdende Kreisen mit weit ausgebreiteten Armen gerät, erscheint jene Welt, die sich in ihrem Inneren breitmacht: eine Welt in immer schneller drehendem Liebesrausch, die nur geschützt ist durch die Stärke der aufeinander gepreßten Münder und der Arme des Mannes, die die Frau halten, als beide zu kippen drohen. Doch bei all dem Vertrauen flüstert das Piano eine Ahnung von wehmütigem Schmerz einer Vergänglichkeit ein, die Frau bohrt ihren Kopf zweifelnd in des Mannes Brust, als ob sie bäte: "Verlaß mich nicht!" - Das ist umso ergreifender, als der Titel dieses letzten Teils Abandon übersetzt "Hingabe" lautet, doch im Verb "abandonner = im Stich lassen, verzichten auf...". Die dunklen Wolken im Bühnenhintergrund verheißen ebenfalls Ungewißheit ... Als Optimist will man jedoch allein an die beidseitige Preisgabe an den anderen glauben, selbst wenn die Trauer um das mögliche Ende mitschwingt ... Immerhin suggeriert das tiefe Cembalo so etwas wie standfesten Halt, als gäbe dieser attraktive Mann der bittenden Frau tatsächlich sein endgültiges Versprechen ...

Das gelungen gesteigerte Vorspiel ...

Dieses Stück lief an fünfter Stelle innerhalb der von der künstlerischen ImPulsTanz-Leitung, sehr geschmackvoll zusammengestellten Ballettgala (großes Kompliment, denn das ist bei Ballettgalas eine Seltenheit!). Davor paßte Prélude à l´après-midi d´un faune von Anne Teresa De Keersmaeker und Rosas fast noch besser in diesen Ablauf als in De Keersmaekers eigenes Stück aus dem Jahr 2006 D´un soir un jour. Denn es stellte den idealen Übergang zwischen impressionistischer Liebes-Illusion in Atmosphäre und Thema dar, sowie es auf die abstrakte Bewegungssprache-Analytik Bezug nimmt und die Unterbrechungsmethoden in Licht- und Bühnenkontinuitätskonventionen, die im Vorfeld von Forsythes Stücken ausgegangen sind, wieder aufnimmt. Doch Keersmaekers Interpretation des Debussy-Klassikers ist schon für sich allein eines ihrer besten Kreationen, bei der ihr Choreograph David Hernandez im Tanzvokabular maßgeblich "geholfen" hat. Dieser Mann ist ein wahrer Geschichtsprofi, was skulpturhafte Posen aus der griechischen und ägyptischen Antike anbelangt, die perfekt ins zeitgenössische Heute transferiert und integriert wurden. - Das freut übrigens wieder unseren mitkritisierenden Musiker, der das Debussy-Thema aus dem antiken Faun-Mythos exakt übersetzt empfand. Abgesehen davon, dass die Musik dieses Komponisten mit seiner großen Romantik einmal mehr, extra illusionsförderlich ist, sodass das Herz ins Schwingen gerät! Selbst wenn der dazu zurückhaltend sperrig und konträr kühl vor sich hinträumende Faun (Mark Lorimer - er gehörte einmal zu The Featherstonehaughs, neben The Cholmondeleys die zweite Top-Company von Britin Lea Anderson, die mindestens so berühmt wie De Keersmaeker / Rosas ist, aber in Österreich noch nie zu sehen war!!!) im aufwirbelnden Sand nur von schönen, bunt gekleideten Frauen träumen darf. Denn diese - Kosi Hidama, Kaya Kolodziejczyk, Zsuzsa Rozsavölgyi, Sue-Yeon Youn - huschen nur (eine auch rasend schnell nackt) am Bühnenhintergrund umher oder posieren weit entfernt neben ihm, um seine Begierde zu steigern und nie zu befriedigen.

... mit der Suche nach neuen Bühnen- und Vokabular-Praktika am Anfang

Vor der ersten Pause konnte man sich indessen anhand von drei Stücken auf die neuen Ballettsprachen und Versuche, solche in den letzten 20 Jahren zu finden, einstimmen. Das gelingt mit William Forsythes Stück Steptext aus dem Jahr 1985 ganz gut, der als "Antichrist des Balletts" 2006 das russische Mariinsky-Kirov-Ballett nach langer Traditionspflege regelrecht zu neuen Ufern vergewaltigt hat. Dass die vier darin tanzenden Solisten perfekte klassische Techniker sind - die Männer: Anton Pimonow, Michail Lobuchin, Islom Baimuradow -, erkennt man sofort; expressiven Ausdruck vermag der spöttischen Bach-, Licht- und Tanzformen unterbrechenden Theaterpraxis-Dekonstruktion aber nur Solotänzerin Ekaterina Kondaurova einzuhauchen. So erscheinen die Duos sogar emotional aufgeladen, womit danach das Liebesthema im ersten Teil von Preljocajs Le Parc, wo sich das Tänzerpaar des Pariser Opernballetts erstmals "im Park" zu Mozarts Klavierkonzert Nr. 14 Es-Dur, KV 449 - Andantino begegnet, schlüssig aufbauend wirkt. Gleichzeitig wird dort auch die heute noch funktionierende (!) klassische Bühnenpraxis als Gegenüberstellung zu Forsythe betont.

In Forsythes Approximate Sonata (UA 1996) tanzt der sehr unterhaltsame Antony Rizzi danach mit der brasilianischen Solotänzerin Leslie Heylmann zum popig-griffigen Gesang "Pumpkin" von Tricky innerhalb des Musiksounds von Thom Willems ein selbstpersiflierendes Duo hinsichtlich Forsythes Neoklassik-Ballett-Dekonstruktion. Wie Rizzi grimassenziehend entlang einer roten Fadenlinie balanciert und ins muchsmäuschenstille Publikum fragt, ob er seine Brille aufsetzen dürfe, was ihm die Stimme Forsythes als traditionell befehlender Vorgesetzter gewährt, der Rizzis Einwand "I feel stupid" aber dann nicht so ernst zu nehmen scheint, ist zum Schießen lustig, und damit der einzige Grund zur Erheiterung im ganzen Abend. Die Requisite mit einem "Ja" auf hinterleuchteter Schultafel" steht da wohl für den guten Willen zum Tanz, allerdings mit neuen Ansätzen.

Am Schluß zu viel des Guten

Kanadierin Marie Chouinards legendärer, zum dritten Mal bei ImPulsTanz gezeigter Strawinski-Le Sacre du printemps-Interpretation mit ritueller Tanzsprache, die auf jegliche Narration des Ur-Stoffs verzichtet und einfach nur die animalische Bewegung feiert, gebührt ob der Sportlichkeit ihrer elf Tänzer am Ende des schönen, aber anstrengenden Abends ein dickes Lob - schon weil sie damit viele heutig-orientierte Tanzeinsteiger anzuziehen vermag. Für den Besucher dieser Veranstaltung war es aber doch etwas zu viel des Guten! Denn irgendwann ist die Auffassungsgabe erschöpft. Andererseits könnte diese Empfindung auch daher rühren, dass dieses Stück als Einziges nicht in die Atmosphäre der Stückfolge passen wollte, selbst wenn man das "Zusammenpassen" inhaltlich und bewegungsformal mit logischem Wollen herstellen könnte ... e.o./p.p.s.


DAS URTEIL INNERHALB DER INTELLEKTUELLEN DEKONSTRUKTIONSINVASION LEGENDÄRER CHOREOGRAFEN-IKONEN BESTICHT JENER NEU-INTERPRETIERER, DER DAS GEFÜHL IN DEN VORDERGRUND ARBEITET: ANGLELIN PRELJOCAJ - WANN SEHEN WIR DAS VOLLSTÄNDIGE LE PARC IN WIEN - MIT KOMPLETTER PARISER OPERNBALLETT-COMPAGNIE?

Click auf diesen Link, um Le Parc-Videoausschnitt anzusehen - Click dort auf: Vidéo - Le Parc
Présentation de la Saison 2008-2009 par Brigitte Lefèvre - mars 2008


TANZ Ballett-Gala ImPulsTanz´08 * Sücke von und mit: I. Steptext, von William Forsythe & Mariinsky-Kirov-Ballett zur Musik von Bach/Nathan Milstein, II. Le Parc - pas de deux, 1. Akt Rencontre + 3. Akt Abandon von Angelin Preljocaj & Le Ballet De L´Opera National De Paris, Musik: Mozart/Klavierkonzerte, III. Approximate Sonata von William Forsythe mit Antony Rizzi, Leslie Heylmann, IV. Prélude à l´après midi d´un faune / Claude Debussy von Rosas, V. Le Sacre du printemps / Igor Strawinsky von Compagnie Marie Chouinard * Ort: Burgtheater Wien * Zeit: 14.+16.7.2008

BALLETT Le Parc * Von: Angelin Preljocaj (Opéra national de Paris, 1994), Création sonore Goran Vejvoda * Musik: Wolfgang Amadé Mozart, u.a. mit Klavierkonzerten * Orchester: Orchestre Colonne * Dirigent: Koen Kessels * Mit: den Étoiles, 1. Tänzern und Corps de Ballet des Ballet de l'Opera National de Paris * Ort: Palais Garnier, Paris * Zeit: 6.. 7., 9., 10., 12., 13., 16., 18., 19.3.2009: 19h30 + 15.3.2009: 14h30; Dauer 1h40

3 comments:

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