Monday, February 05, 2007

OPER: PETER PAWLIKS "AGRIPPINA" ALS BAROCKE DALLAS-SITCOM

Gelungene Katharsis-Szene mit weißen Bademänteln und ironischem Touch: Claudius (mit der schönsten Stimme des Abends: Bariton Philip Zawisza in der Mitte) verzichtet auf seinen Thron, ganz nach Wunsch seiner intriganten Gattin Agrippina, die ihren Sohn Nero als neuen Kaiser sehen wollte, Foto: © Christian Husar

"Nero(ne)" als Punker: die Sopranistin Marelize Gerber, die zu großen Charakterrollen fähig wäre. Dahinter: die ehrgeizig-intrigante Mutter Agrippina (deutsch-frauig-überzeichnet: Wiebke Huhs), © Christian Husar

Links: Ein Regie-Holperer: Der eitle Ottone wirkt zwar schwul (Armin Gramer), liebt aber Poppea. © Christian Husar
Rechts: Auch Claudio steht eigentlich auf Poppea: Romana Beutel (sexy-elegant und mädchenhaft - zweiteres ist sie auch stimmlich: Romana Beutel), © Christian Husar


KAMMEROPER WIEN WENN LAUTER SCHWUL WIRKENDE MÄNNER MIT EUNUCHEN-STIMMEN FRAUEN LIEBEN, VON DENEN SIE MANIPULIERT WERDEN, IST DAS ENTWEDER UNGLAUBWÜRDIG ODER EINE SITCOM-GROTESKE. ZWEITERES HAT SICH PETER PAWLIK IN SEINER AGRIPPINA-INTERPRETATION ERHOFFT ...

Peter Pawlik ist einer der wenigen Regisseure, der an der Wiener Kammeroper öfter als ein-zweimal inszenieren darf. Anderen sichtlich erfolgreichen Begabungen wäre das ebenfalls zu wünschen... Dass Pawlik jemand ist, an dem man "dran bleiben" soll, war nach seiner Version von John Gays Barockoper Beggar´s Opera klar. Pawlik denkt sehr stark in Details, das macht seine Arbeit interessant. Und seine ständige Bühnenbildnerin Cordelia Matthes steht ihm dabei in Nichts nach: Man staunt und ist berührt, was für einen Aufwand sie für manche Minimalszene leistet, indem sie etwa einen Riesen-Einbaukasten für ein paar Minuten Spielzeit designt, worin sich der geliebte Held kurz versteckt. - Konkret handelt es sich hierbei um Ottones Szene in Agrippina, die neue Barockoper der Kammeroper. - Das Duo Pawlik/Matthes hat sich also wieder bewährt, auch wenn´s diesmal insgesamt nicht so eingeschlagen hat. - Schon da die Regielinie ab der Mitte bricht.

Parodie - gut gemeint, aber...

Dass Pawlik das Ganze parodistisch angeht, ist zunächst stimmig und paßt zu Komponist Georg Friedrich Händel: Die Charaktere der antiken Geschichte strotzen vor satirischen und grotesken Überzeichnungen, was in der Barockzeit, als die Komposition geschrieben wurde, zwar wegen der manieristischen Tradition noch nicht so spöttisch wahrgenommen wurde, heute aber umso dominanter sein mag. In einem Umfeld von lauter Eunuchen (Countertenor)-, Tenor- und Sopranstimmen, wohinter sich große Herrscher und Helden verbergen, besticht aus heutiger Sicht nun mal die Atmosphäre der "Tuntigkeit".

Glaubwürdig realistisch erscheinen nur die Frauencharaktere, die im Mittelalter eher grotesk gewirkt haben mögen. Wenn Agrippina aus Köln - was einst zum römischen Reich gehörte - als Urenkelin des ersten römischen Alleinherrschers Augustus und eigentliche Thronfolgerin, Macht ausüben will und es nur nicht darf, weil sie eine Frau ist, muß sie halt dreimal heiraten, darunter auch ihren Onkel Kaiser Claudius, damit wenigstens ihr Sohn Nero aus erster Ehe den Thron besteigen kann. - Das versteht die Menschheit heute, allein aus Gründen des Mutterstolzes.

"Schwulige" Männer lieben Frauen mehr als Macht

Als es scheint, als wäre Claudio auf der Schiffsreise umgekommen, sieht Agrippina den Zeitpunkt gekommen, den als Punker in Sängerknabenanzug interpretierten Nerone (Sopranistin Marelize Gerber, die in der späteren Mutterloslösungsszene erahnen läßt, dass sie mit ihrem ergreifenden Gesangsausdruck für ganz große Charakterrollen geeignet wäre) als neuen Kaiser auszurufen. Dafür manipuliert Agrippina - der große Widerspruch - die beiden homosexuell wirkenden "Verehrer" Pallante und Narciso - wobei sie (die deutsche Sopranistin Wiebke Huhs) zu offensiv intrigant und unsympathisch spielt, sodass das erst recht eigenartig erscheint. Regisseur Pawlik kompensiert das, wie erwähnt, mit der Parodie, wobei der dann doch zurückkommende Claudio ein ziemlich doofer Jammerlappen ist (obwohl er, dargestellt von Philip Zawisza wieder eine sehr schöne, charakteristische Baritonstimme hat!).

Hinzu kommt, dass all diese (Un-)Männer auf die schöne Poppea stehen - auf Romana Beutel, ein angenehmer Anblick mit mädchen-typisch klarer Sopranstimme. Vor allem der extrem hoch singende, mit Gesichtsmasken hantierende, absolut schwulig-eitle Ottone (Armin Gramer) ist ihr erlegen, dessen Liebe Poppea erwidert (???). Die sich wiederholenden Text- und Musikzeilen der barocken da-capo-Arie nützt Pawlik für ironische Steigerungen, die Handlung läuft zuwider dem Gesangstext und interpretiert ihn spöttisch um. Das ist immer wieder lustig, wird manchmal aber kindisch. Was wohl auf Pawliks Subcharakterisierung bei der Rollengestaltung zurück zu führen ist: Agrippina soll "JR", Ottone "Bobby" und Claudio die "Miss Ellie" aus der amerikanischen 80-Serie Dallas entlehnt sein. - Aber vielleicht ist unsere Fernsehgeneration ja tatsächlich so beklagenswert geschmacklos und verblödelt, dass es schon wieder zynisch treffend ist.

Die ganze Geschichte zieht sich hin, so spaßig und unterhaltsam sie erzählt ist. Irgendwie spürt man, dass selbst Pawlik die Lust an diesem Zugang verliert, denn nach der Pause wirds ganz ernst. Das ist ein Stilbruch mit Langweil-Potential, sodass man sich freut, wenn - nach der typischen Katharsis-Endlosszene - das untypische Ende endlich offenbart ist: Nero bekommt den Thron, auf den Claudio verzichtet. Und Ottone, der ebenfalls auf den Thron spähte, entscheidet sich ausschließlich für die Liebe mit Poppea. Dr. Wild / e.o.


DAS URTEIL REGISSEUR PETER PAWLIK HAT ZUNÄCHST SPASS AN IRONIE, ZYNISMUS, GROTESKE UND DETAILS. LEIDER ZIEHT ER DAS NICHT DURCH. VIELLEICHT WÄRE EINE ERNSTHAFT BAROCK-STILISIERTE INTERPRETATION DOCH BESSER GEWESEN. SEHENSWERT IST DIESE AGRIPPINA ALS MUTIGER ANSATZ ABER SICHER.

Oper Agrippina * Von: Georg Friedrich Händel * Musikalische Leitung: Bernhard Klebel * Inszenierung: Peter Pawlik * Mit: Philip Zawisza, Wiebke Huhs, Marelize Gerber, Romana Beutel, Armin Gramer, Valmar Saar, Gerhard Hafner, Sebastian Huppmann * Mit: Barockorchester der Wiener Kammeroper auf historischen Instrumenten * Ort: Kammeroper Wien *Zeit: 06., 08., 10., 13., 15., 17., 20., 22., 24., 27.2.2007: 19h30

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