Sunday, September 09, 2007

OPERETTE: HELMUT BAUMANNS "ORPHEUS IN DER UNTERWELT" MIT LACHERN IN DER MITTE

So sieht eine unbefriedigte Eurydike (Jennifer Bird) in der Unterwelt aus: Genauso wie ihr Mann Orpheus im Alltagsleben ihren Sexappeal verkannte, so passiert es ihr mit Pluto: sobald er sie "hat", liegen ihre Reize unverrichteter Dinge brach.

Doch Jupiter (Carlo Hartmann), verheiratet mit Juno, ist umso interessierter. Als Fliege umschwirrt er Eurydike während ihrer Yoga-Übungen, sodass es nur so summt und ooohmt.








Im Grunde ist es ja gut, sowohl einen Teufel, als auch einen Gott zum Liebhaber zu haben. Und hätte jeder beides in sich vereint, müßte vielleicht niemand mehr fremd gehen. - Fahren die Götter im Stück deshalb immerzu per Lift auf und ab? (Fotos © Dimo Dimov/Volksoper Wien)



VOLKSOPER WIEN ROBERT MEYER HÄLT EINSTAND MIT DER OPERETTE ORPHEUS IN DER UNTERWELT UNTER DER ROUTINIERTEN, ZU BUNTEN REGIE HELMUT BAUMANNS

Am Samstag feierte Robert Meyer an der Wiener Volksoper mit Jacques Offenbachs "komischer Oper" Orpheus in der Unterwelt seine erste Premiere und damit seinen Einstand als neuer künstlerischer Direktor des Hauses. Und es läßt sich schon jetzt erkennen, was den Aufbruch auszeichnen wird: Viele Typen, viele Publikumslieblinge, viel mehr Schauspielerei und vielleicht noch weniger Ästhetik. Letzteres ist zunächst nur eine angstvolle Ahnung (wobei schon klar ist, dass man vom Einen nicht aufs Ganze schließen soll). Die drei anderen Charakteristika bedeuten aber einen großen Sprung nach vorn.

Aufgewertete Schauspielerei

So begegnet einem nicht nur auf der Bühne das Who-is-Who der Szene, sondern auch im Premierenpublikum. - Wer da bunt zusammen gewürfelt und gepfercht in einer Loge sitzt, ist fast noch spannender zu beobachten als der Stückverlauf selbst. Anzunehmen, dass künftig auch die "alte Garde" - samt Anhang - vermehrt im Auditorium zugegen sein wird. Ob jene auf den Brettern allerdings Entdeckungen und kulturellen Fortschritt fördert, sei dahin gestellt. - Aus allen (Schauspiel-)Bühnen der Stadt scheinen die Mimen heraus gepickt worden zu sein: Da wäre zunächst Gerald Pichowetz als Cupido, der das Gloria Theater in Floridsdorf leitet. Dass er dort so gut wie immer spielt, kommt jetzt der Volksoper zugute, denn dieser Mann hat das Publikum mit seinem eigenen unwirschen Schmäh sofort im Griff. Es zeigt sich einmal mehr, dass "eine Dauerbeschäftigung" einem Schauspieler in seiner Kunstfertigkeit mehr nützt als schadet. Und wenn er diese auf mehrere Häuser aufteilt, haben außer seinem Stammpublikum auch andere Leute etwas davon. Erni Mangold als "Öffentliche Meinung" war zuletzt am Volkstheater, Peter Matic als "Hans Styx" am Burgtheater engagiert (wo sie möglicherweise zu kleine Rollen bekamen); jetzt sind sie halt in der Volksoper - und da man ihren Stil sehr gut kennt - trotz Fähigkeit, eine Rolle zu tragen -, keine große Überraschung: Die 80-jährige Mangold darf sogar tonal falsch sprechend und singend die Arien der Sänger stören.

Entthronter Gesang, einfallslose Choreografie

Man merkt schon, dass der Gesang ein wenig entthront wird. Aber bei einer Operette ist sein Stellenwert sowieso ein Streitfall. Doch einen Darsteller gibt es, der sowohl gesanglich, als auch schauspielerisch - sowie in der Beweglichkeit trotz immenser Körperfülle - ein ganz großer, künftiger Publikumsliebling sein wird: Carlo Hartmann, der bereits in David Pountneys Der Kuhhandel umwerfend komisch war und jetzt als Jupiter betört. Mit dieser Rolle zeigt er, was wirklich in ihm steckt. Sein Baß ist angenehm und kräftig, sein sichtbarer Humor wirksam lustig! Und sein Auftritt gibt gleichzeitig den Auftakt zum einzigen durch und durch stimmigen Akt des Abends: Er spielt im himmlischen Olymp bei den griechischen Göttern. Da funktioniert der Sprachwitz zwischen Textoriginal und aktueller Neu-Adaption. Da spielen alle Schauspieler "miteinander". Da passen die Effekte (z. Bsp. der Lift, der vom Himmel in die Hölle fährt) und die Tanzeinlagen, weil sie schlichtweg raffiniert sind: Am gelungensten ist die gesungene Tanzszene zwischen Jupiter, Pluto (hübsch: Christian Baumgärtel) und Merkur (routiniert: Wolfgang Gratschmaier), wo die Bewegung konträr zum Text zeigt, wer nun der mächtigere der beiden Götter ist. Der Tanz spricht somit eigenständige Sätze.

Ansonsten ist die Choreografie von Roswitha Stadlmann jedoch nichts als Beiwerk: Die Tänzer der Wiener Staats- und Volksoper wirken in ihren Einlagen platt und einfallslos. Schon die durchgehend gleich bleibenden Kostüme (Uta Loher, Conny Lüders) in Korsetts bei den Frauen und nackten Oberkörpern bei den Männern, verhindern das erotische Spiel mit sich öffnenden Gewändern - was man sich beim berühmten Can-Can aber erwarten würde. Die Schritte sind untermalend, verhalten bekannt und ohne sprühenden Funken erdacht. Das einzige Sexappeal, das in dieser Inszenierung greift, geht von der betrogenen und betrügenden Eurydike (Jennifer Bird) aus, die zuweilen komisch, manchmal sprachlich schrill-nervig, dafür aber wieder schön singend in Straps-Dessous ein voyeuristisches Aufdeckungsritual mit ihrem roten Umhang in der Unterwelt treibt. Dort wartet sie auf ihren Entführer Pluto, der aber - wie zuvor ihr Ehemann Orpheus - nicht kommt, um sie zu befriedigen. So liegt sie also unverrichteter Dinge da, sexy und allzeit bereit.

Überladene Optik wegen der (Kleider-)Regie

Sebastian Reinthallers gestalteter Orpheus ist indessen durchschnittlich gewöhnlich. Das liegt auch am unoriginellen Wortwitz im ersten und im langwierigen dritten Akt (mit Ausnahme der komischen Fliegenszene mit dem verkleideten Jupiter und Eurydike, die sich im Yoga-Oooohm und Ssssssss treffen). In beiden Teilen werkt Regisseur Helmut Baumann mit zu "viel Farbe": Das Geschehen strotzt vor Buntheit, und nichts ist hier neu. Zuerst fällt das Bühnenbild noch angenehm auf: Mathias Fischer-Dieskau hat ein paar schöne Einfälle, wie die Dreiteiliung des Raumes durch simple drei Wandflächen, wohinter sich der kleinbürgerliche Alltag von Orpheus und Eurydike zwischen Blumen und Tapeten verbirgt. Inhaltlich witzig ist da das Auf- und Abdrehen des Blitzes im Hinterhaus, wo der Geliebte Eurydikes, Aristeus, haust, was wiederum nichts anderes bedeutet, als dass "er" Unterwelt-Gott Pluto ist, der Eurydike später entführt. Die Unterwelt selbst scheint dem optischen Klischee eines Vampir-Films entnommen zu sein.

Für eine insgesamt harmonische Ästhetik ist das Stück zu überladen, insbesondere wenn man den Orpheus in der Unterwelt von 1996 in der Regie von Adolf Dresen am Burgtheater in leichtem Pastell und lediglich rot-schwarz-weißen Kostümen in Erinnerung hat, wo auch der Witz subtiler war. (Robert Meyer gab darin den Orpheus.) An der Volksoper hätte man sich nun vielleicht eine musikalischere Version gewünscht, das wurde aber anfangs durch das Volksopernorchester unter Dirigent Florian Ludwig vereitelt: die Flöten klirrten grell, die Musik war dennoch zu dezent. Die Chorgesänge mitsamt dem Solisten-Ensemble ertönen dagegen bezaubernd. Das macht vieles wieder gut. Und ein Satz lässt uns Meyer und Regisseur Baumann gar mit aufklärerischem Fortschritt segnen: "Kein Mann wird als Chauvinist geboren; er wird von seiner Mutter (Anm. Red.: und von seinem Vater) dazu erzogen." e.o. / a.c.


DAS URTEIL BIS AUF DEN ZWEITEN AKT, DER UMWERFEND KOMISCH UND STIMMIG IST, GELANGT DIESER ORPHEUS ÜBER DURCHSCHNITTSALBERNHEITEN NICHT HINAUS. UND DOCH OFFENBART MANCH DARSTELLER DIE VOLKSOPER ALS KÜNFTIGEN HORT DER SCHAUSPIELKUNST: GERALD PICHOWETZ UND CARLO HARTMANN, DER AUCH NOCH SINGEN KANN, SIND GEHEIMTIPPS!

OPERETTE Orpheus in der Unterwelt * Von: Jacques Offenbach * Regie: Helmut Baumann * Mit: Carlo Hartmann, Gerald Pichowetz, Erni Mangold, Jennifer Bird, u.a. * Dirigent: Florian Ludwig * Mit: Chor und Orchester der Volksoper * Mit: Ballett der Wiener Staats- und Volksoper * Bühnenbild: Mathias Fischer-Dieskau * Ort: Volksoper Wien * Zeit: 10., 13., 17., 27.9.2008 + 2., 8., 11.10.2008: 19h + 5.10.2008: 16h30

1 comment:

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