Monday, September 24, 2007

THEATER: "ROMEO UND JULIA" ALS TRAUM-TRAUMA VON SEBASTIAN HARTMANN













Romeo (Sven Dolinski) und Julia (Julia Hartmann) laufen viel vor einander davon und zu einander hin - zuerst noch wie im reinsten Fantasy-Action-Film ...


... doch mit Julia in vierfacher Ausfertigung im hysterischen Kampf mit Vater-Patriarch Capulet (Martin Schwab) kippt das Ganze ins angstvolle Horror-Science-Fiction-Genre ...

... wo Pater Lorenzo (Thomas Lawinky) die toten Kinderkörper von Romeo und Julia wie im Alptraum des Schlafes durch einen Regen aus Körperstummeln trägt. Fotos © Reinhard Werner / Burgtheater


BURGTHEATER SEBASTIAN HARTMANN ÜBT SICH IM FREIEN ASSOZIIEREN: ROMEO UND JULIA WIRD BEI IHM ZUM ALPTRAUM IM GOTHIC-LOOK

Entweder Regisseur Sebastian Hartmann ist ein Mann, der noch nie richtig geliebt hat, oder er ist ein Anhänger des Trash - jener alles zusammen stopfenden Kunstrichtung, die in Deutschland momentan so gefragt ist, Stichwort Jonathan Meese (derzeit in der Sammlung Essl) oder auch bei Polens Künstlerjugend, Stichwort Piotr Uklański (derzeit in der Wiener Secession). Der Trash bildet sozusagen den extremen Gegenpol zur anderen, gerade gehypten Linie: die der ästhetisch streng durchgezogenen Reduktion in stilistischer Dichte. Beide Trends schlagen sich nun also auch im Theater nieder: Hartmann veranstaltet den Trash bei Romeo und Julia im Burgtheater.

Vom Fantasy-Filmtheater zum Horror-Trash

Romeo und Julia sind mit Sven Dolinski und Julia Hartmann (des Regisseurs Halbschwester im letzten Schuljahr - ärger geht´s kaum noch mit der Protektion!) zwei hübsche, blutjunge Stereotype, wie man sie - egal wie (gut) sie spielen - in einem Hollywood-Film besetzen würde. Und tatsächlich denkt man bei Hartmanns Zugang zunächst an einen Fantasyfilm. Die schrille Überzeichnung, wenn Julia als oberflächlich übermütiges Kind ins Publikum grinst und quasselt, macht aber gleich klar, dass hier eine Art von Irrwitz mitschwingt (denn so schlecht kann nicht einmal eine Schauspielschülerin spielen). Hinzu kommt die plötzliche, irreal motivierte Herumspringerei von allen Darstellern. Jedoch auch hier meint man noch, der Regisseur imitiere einfach den Rhythmus des Films, wolle Schnitte und Kamerafahrten simulieren, indem sich ständig etwas oder jemand auf der Bühne bewegt, Geräusche und Musik schlagartig einfallen, sodass permanente Action tobt. Spätestens nun, wenn Julia in vierfacher Ausfertigung auftritt, erfaßt man aber, dass dahinter ein anderer Gedanke liegt. Neben der Bemerkung der generellen Unterdrückung der Frau, indem der Vater (Martin Schwab) Julia autoritär und brutal zwingt, den ungeliebten Paris zu heiraten, verströmen Mutter Capulet (die es heimlich mit dem jungen Tybalt hat: Myriam Schröder), der Geist und die Amme (Kirsten Dene) als "Julias" das wachsende Gefühlsausmaß an Unheimlichkeit, das sich im Geschehen breit macht. Schon der Geist (Mareike Sedl - eindrucksvoll; wäre wahrscheinlich auch eine bessere Julia gewesen), der von Beginn an als kryptische Figur des Schicksals oder Alter Egos verschiedensten Personen deren Sätze abnimmt und alles zu dirigieren scheint, nimmt die Unausweichlichkeit der höheren, grausamen Macht vorweg, die dem Menschen am stärksten in seinen Träumen begegnet. Das wird dem Zuschauer vor Beginn des Theaterabends auch wiederholend (auf Englisch) eingetrichtert: "Alles, was Sie hier sehen werden, ist ein Traum im Traum."

Das Fantasytheater in Videoclipatmosphäre entwickelt sich also mehr und mehr zum Theater-Alptraum aus Horror- und Sciencefictionfilm in blitzschnell ortsdurchspringender Wahrnehmungstäuschung, wobei Bewegung und Personenverdoppelungen für die assoziativen Gedankensprünge der Angst im Schlafzustand stehen. Ab und zu kommt noch eine typisch groteske Shakespeare-Figur vor, wie Sampson (wirklich lustig: Karim Chérif) als geistig angeschlagener Tölpel. Shakespeare-typisch sind auch die in burschenhafter Liebe verbundenden Kumpane, wie der aggressiv schlagende und zotenordinär potente Mercutio (wollüstern und körperpräsent: Markus Meyer), der von Tybalt (Patrick O. Beck) erstochen wird. Die stilistische Verdoppelung kehrt wieder, sooft ein gefährlich nahender Schicksalsschlag droht - beim Giftmischen und -trinken des Pater Lorenzo (Thomas Lawinky) etwa, der bei seinem ersten Auftritt wie das leibhaftige böse Ohmen in schnellem sex- und todesbetontem Körperspiel mit dem Geist die nachfolgende Geschichte von Romeo und Julia einläutet.

Fehlende Disziplin beim freien Assoziieren

Dass all das Böse und die Ängste der Menschen in der Natur ("Mutter Erde") begründet liegen - mag Hartmanns bestimmende und gleichermaßen provokante Logik für seinen Zugang sein. Sie schließt mit ein, dass des Menschen Furcht auch an eine gewisse Lust gekoppelt ist. - Wer würde sich sonst ein todgeweihtes Kinderpaar im Alter von 14 ansehen, das abwechselnd stirbt und wieder erwacht. Eigentlich ist das ja pervers! Pervers ist somit auch in immer schneller werdendem, eskalierendem Wahn, voll von schwarzer Magie im Gothic-Look dieses Stück. Langweilig ist´s mit den Todesengeln und von der Decke fallenden Körperstümpfen auf keinen Fall, rundum gelungen ist es als Inszenierung trotz illusionsreicher Bühnenoptik von Jürgen Bäckmann aber auch nicht. Hätte Hartmann den grafisch-gestischen Körperbild-Stil des ersten Drittels bis zum Ende durchgezogen, hätte er einen fantasievollen Romeo-und-Julia-Neumaßstab gesetzt, der ernst genommen werden hätte können. Denn für die Beständigkeit braucht es ein wenig mehr an Maß und Disziplin - selbst in der freien Kunst. (Obwohl die ungemeine Chuzpe des Regisseurs, auf Konformität und Gefälligkeit - speziell am Bürg(er)theater - zu scheißen, natürlich immens imponiert!) e.o./a.c.


DAS URTEIL ROMEO UND JULIA ALS AUSGEBURT EINER TEENAGER-ASSOZIATIONSFLÜSSIGKEIT IN TRAUMATISCHEN ÄNGSTEN. DYNAMISCH, PROVOKANT, EFFEKTVOLL - UND TROTZDEM NICHT WIRKLICH GUT!

THEATER Romeo und Julia * Von: William Shakespeare * Regie: Sebastian Hartmann * Mit: Mareike Sedl, Sven Dolinski, Julia Hartmann, Markus Meyer, Karim Chérif, u.a. * Ort: Burgtheater * Zeit: 25.5.2008: 18h

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