Monday, July 09, 2007

MUSIK: VIRTUOSES KLEZMERHIGHLIGHT - DAS "LERNER Y MOGUILEVSKY DUO"

Marcelo Moguilevsky spielt auf einem Niveau Klarinette, Sopransax, Mundharmonika, Flöte und Maultrommel, dass einem der Atem stockt. Akkordeonist und Pianist Cesar Lerner ist sein exaktes Pendant auf gleichem Niveau. (Fotos © Lerner Y Moguilevsky Duo)


KIRCHE GAUSSPLATZ - KLEZMORE FESTIVAL AN VIRTUOSITÄT VON KEINER KLEZMER-BAND ZU ÜBERBIETEN: DAS LERNER Y MOGUILEVSKY DUO AUS ARGENTINIEN

Ein jazzig-romantisches Piano, eine besinnliche Klarinette beginnen leise und geisterhaft. Klänge der Grandezza - dass hier etwas Konzerthaus-taugliches vor sich geht, erkennt man sofort! Da gehen zwei Spitzenmusiker auf sensibelste Weise aufeinander ein, leiser dann lauter, aber nie laut. - Das argentinische Duo Cesar Lerner und Marcelo Moguilevsky, dessen Eltern einst aus Polen und Russland nach Argentinien einwanderten, wo es sich zur Musik von historischer Dimension mit unnachahmlicher Eigenheit und Fragilität perfektioniert hat.

Vielleicht liegt es ja an der Kirche, hier am Gaußplatz im zweiten Wiener Bezirk, warum diese Musiker so andächtig miteinander umgehen. Selbst wenn sie tatsächlich eher zeitgenössischen Klassik-Klezmer spielen, bestehend aus einem atonalen Klavier, das filmische Atmosphäre verströmt, und einer rudimentär jiddischen Klarinette, die klanglich nie aufbäumend oder schrill wird - wie normalerweise der lebensfreudige Klezmer in seinen Höhepunkten ausartet. Vielleicht ist hier aber auch nur der argentinische Klezmer heraus zu hören, des Landes mit dem Tango.

Klezmer-Cowboy pfeift durch Prärie Argentiniens

Ungewöhnliche Harmonien ergeben gebrochene Melodien mit unerwartenden Übergängen, wenn Moguilevsky zärtlich und leise und doch ganz schnell spielt; Seine Blastechnik ist neu, wenn er mit seiner Holzflöte, Gaita genannt, ein "Vogelgezwitscher" anstimmt. - Eines von zehn Instrumenten, die der schwarzhaarige Intellektuelle spielt, als das ihm auch sein Mund und seine Stimme dienen. Tief flüsternd sagt er: "Wir waren gerade in Buenos Aires, dann in Krakau, jetzt sind wir das erste Mal in Wien."

Er musiziert jetzt mit der Mundharmonika, Lerner begleitet ihn mit seinem Zweitinstrument Akkordeon. Beide beherrschen jedes Instrument gleich perfekt - auch das ist selten. Sie scheinen eine Geschichte aus Noten zu erzählen. Das ist Musik als Sprache für sich selbst. Plötzlich steigert sich Moguilevsky in kurzatmiges Japsen, er saugt wie ein Erstickender Luft gierig-schnell aus und ein. - Ein subtiler KLezmer. Vielleicht ist es der Klezmer eines Cowboy-Argentiniers auf dem Ritt durch die Prärie. Besonders jetzt, wo der dunkelhäutige Kerl auch noch eine Art Spiel mir das Lied vom Tod pfeift, allerdings auf höchstem, akademischem Niveau, unheimlich-leise, jiddisch-sanft, melancholisch, anwachsend zu Wehmut: als die Gaita die Lippen ersetzt, einstimmend zum jazzig-mexikanischen Hirtenflöten-Lied, das wieder in brillant-behutsamem Pfeifen mündet.

Ein verlorener Mensch versteckt sich gerne hinter der Flöte

"Wir improvisieren bei jedem Konzert, um unser Erbe wieder und wieder neu zu erfinden", sagt einer von ihnen, "wir ändern uns mit jedem Konzert, in jedem Ort." Demnach wirkt sich die Kirche also wirklich besinnlich aus. Doch jetzt, beim Spiel der Handtrommel zur Gaita denkt man wieder: Hätten die Indianer Jazz gespielt, dann hätte das wohl so geklungen. Jede Leidenschaft genau kalkuliert, schießt sie Moguilevsky radikal, messerscharf und kurz, plötzlich und präzise durch die Melodie, kein Ton kommt zufällig, bevor der Rhythmus - das einzig Typische für Klezmer - immer schneller wird.

Dann singt der Blas-Gesegnete auch noch zum Klavier, in sanfter, tiefer Stimme - ein argentinisches Lied in spanischer Sprache - die wieder durch Flöte ersetzt wird. - Piano-Flöte, die schönste Instrumentenkombination, auch, als in der folgenden Komposition die Gaita wie eine Panflöte klingt, abrupt wechselnd von extrem stark, schneller, langsam, ganz langsam, durchschnitten von ausgespuckten, harten Tönen, die wieder gezogen und verschmiert in einander fließen. Fast schizophren ist das. Wunderschön. Als versteckte sich da hinter der Flöte ein verlorener, unruhiger Mensch, der sich jedoch sicher ist, was er tut. Weil ihm die Sicherheit zu verlieren in verhaltener Exzentrik gefällt.

Müde Männer in überirdischen Gefilden

"Wir sind schon müde", sagt einer von ihnen nach 45 Minuten, "manchmal wird dir alles zu viel". Viel reden sie nicht. Müssen sie auch nicht. Sie sind so überirdisch eingespielt aufeinander, hören einander mit so großer Einfühlung zu, dass dieser Zauber jedes Wort unwichtig werden läßt. Vielleicht sind sie auch so gut, weil sie gerade so müde sind. Als Kapitulation vor dem Leben, in demütiger Größe.

Mit 1h15 war das wahrscheinlich das kürzeste Konzert: eine Gourmetküche sozusagen. Und anders als sonst, hat man danach keine Lust auf Deftiges, sondern will mehr davon! Das ist selten. Als Dessert gibt es ein extrem schräges Maultrommel-Akkordeon-Spiel, wozu die Bass-Klarinette einsetzt. Sowie ein echtes Klezmer-Stück, mit einer "lachenden" Karinette, beschwingtem Rhythmus als Refrain, und hämisch erzählerischem Mittelteil. Die Reaktion der Gäste: Standing Ovations. - Übrigens das erste Mal in Friedl Preisls Geschichte der Festivalorganisation. e.o.


DAS URTEIL DIE ARGENTINIER SIND NICHT NUR IM TANGO DIE ANSPRUCHSVOLLSTEN MUSIKER, SONDERN AUCH IM KLEZMER - ANBETUNGSWÜRDIG!

Wieder live zu hören im Rahmen des Akkordeonfestivals 2008:
KONZERT LERNER Y MOGUILEVSKY DUO * Im Rahmen des Akkordeonfestivals * Ort: Szene Wien * Zeit: 4.3.2008: 20h

Zum Nachhören des Festivals gehen Sie auf folgenden Link:
http://emap.fm/klezmore.html

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