Tuesday, July 24, 2007

TANZ: WIM VANDEKEYBUS VERFÜHRT MANN UND FRAU IN "SPIEGEL"

Stampfende Männer, vor denen Frauen und andere Männer reflexartig ausweichen ...

... das steht für das Elementare der erotischen Offenheit und des Reaktionsvermögens von Mann und Frau (hier Manuel Ronda und Laura Aris)...

... und überhaupt für guten Sex. (Fotos © Jean-Pierre Stoop)


VOLKSTHEATER - IMPULSTANZ BELGIER WIM VANDEKEYBUS ERFINDET DIE BEZIEHUNG VON MANN UND FRAU NEU, INDEM ER SIE AUF IHRE ELEMENTARE ANZIEHUNG ZURÜCKFÜHRT. SPIEGEL IST REDUZIERT AUF DIESE EINE WESENTLICHE AUSSAGE

Ja, da ist die Männerwelt noch in Ordnung. - Bei Wim Vandekeybus scharren die Männer wie Stiere mit ihren Hufen, sie sind aggressiv wie galoppierende Hengste, und sie messen sich in Geweihkämpfen wie Hirsche. Sie tanzen stampfend wie Torreros und lassen die ihnen willenlos ergebenen Frauen aus zwei Meter Höhe fallen wie leblose Mehlsäcke. Dabei zeigt gerade das, wie stark sie einander brauchen, er, der nur so tut, als hätte er alles im Griff, sie, die ihm die Illusion lässt, alles im Griff zu haben. Ein Spiel mit Regeln, die beide einhalten und genießen - aus Liebe, aus Begehren, aus Urvertrauen. Vor allem sie vertraut ihm: denn spannte sie die Muskeln an, würde sie sich sämtliche Knochen brechen. - So wie der Frau das männliche Eindringen beim Geschlechtsverkehr Schmerzen verursacht, wenn sie sich verkrampft. Dieser Tanz steht für das Elementare der Sexualität.

Männer wie Tiere

Das Fallen-Lassen ist allerdings nur kurz und neben der Einleitung bei kaltem, elektronischen Maschinengedröhne nicht die stärkste Szene von Vandekeybus´ Tanztruppe Ultima Vez beim Gastauftritt von Spiegel im Volkstheater, dem Madley mit den bekanntesten Szenen ihrer zwanzig-jährigen Tanzgeschichte, die stimmig und aufbauend zu einem neuen Ganzen verwoben wurden. Vielmehr sind es die Leidenschaftstänze zwischen Mann und Frau, die anmuten wie der spanische Name der Company "Ultima Vez": "das letzte Mal". Die Spannung beginnt schon mit der Streich- und Zupfmusik von David Byrne, wo die Frauen zunächst eine abstrakte Art von Verführungstanz untereinander absolvieren, während ein Mann auf einem von der Decke baumelnden Stuhl verkehrt herum zusieht - er verliert sozusagen den Boden unter den Füßen, sobald er das Objekt seiner Begierde wahrnimmt.

Daraufhin folgt ein aus dem Stand gesprungener Männer-Rivalitätskampf, wobei sich die Burschen in ihren Sakkos um eine Frau im roten Kleid matchen, die nichts dafür tun muss, damit sie das überhaupt tun. Ihr Anblick genügt, sowie das Messen-Wollen der Kräfte. Und doch sind das keine reflektionslosen Tiere, diese Männer, das zeigt der selbstfragende Tanz zum Songtext "Watch out boy, they gonna take your sole". Dann ist es soweit: die Frau nimmt zwar nicht die Seele eines dieser Männer, sondern sein Sakko. Und ein mitreißender, kraftvoll brutaler Tanz beginnt, unter anderem zwischen der Spanierin Laura Aris und Italiener Manuel Ronda, der in seiner charismatisch-männlichen Bewegung und Erscheinung an den jungen Vandekeybus erinnert. Hier geht es um Fleisch und Körper, und doch um mehr. Am Ende wird das Sakko ins Publikum geworfen, damit es sich auch animiert fühlen soll.

Frauen wie Männerenergie

Der berühmte Ziegeltanz aus What The Body Does Not Remember ist daraufhin nach wie vor atemberaubend: Männer und Frauen werfen sich wie Volleyballer Ziegel zu, im Sprung und in blinder Übergabe, was in Ablauf und Rhythmus von größter Musikaliät und Virtuosität ist. Der Takt wird immer schneller, sodass es der Zuschauer mit der Angst bekommt. Aber, das lebensnotwendige Agieren aus Reflex und Negieren des zu langsamen Gehirns, schützt die Spieler. - Während nun die Bühne gereinigt wird, unterhält Ronda sich - eine Feder in die Luft blasend - mit dem Publikum; er verlangt das Sakko zurück, der ganze Saal lacht, einschließlich anwesender Kinder. Nun ist auch die vierte Wand gefallen. Das Vertrauen ist allseits da.

In flimmerndem Halbschimmer ziehen sich ein paar Kerle nackt aus, sie bewegen sich und mimen wie bei einer Waschung. Als reinigten sie sich für ein neues Leben, eine neue Liebe. Orangen werden auseinander geschnitten, wonach sich Paare je nach Übereinstimmung der Hälften in ihren Händen finden und verlieben - so wie es die genetische Natur bestimmt. Ein verzögerter Tangotanz setzt ein, die Paare verharren kurz vor dem Kuss. Und ein weiterer Tanz folgt, wo es wieder stürmischer und konfrontativer wird. Bis der hintere Vorhang herabfällt und eine rote Steinwand zum Vorschein kommt. Wieder scharrt ein männlicher "Zweibeiner" mit den Hufen. Und nackte Menschen verschwinden im Dunkeln. e.o.


DAS URTEIL EIN KRAFTVOLLES PLÄDOYER FÜR DIE LIEBE: VON RICHTIGEN MÄNNERN; UND FRAUEN, DIE SICH DER MÄNNLICHEN ENERGIE BEUGEN. - SEXY WIE GUTER SEX!

TANZ Menske * Choreographie: Wim Vandekeybus * Mit: Ultima Vez / Wim Vandekeybus (BE) * Ort: MuseumsQuartier Halle E * Zeit: 21., 23.7.2008: 21h

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