Wednesday, April 11, 2007

OPER: RENÉ ZISTERER MIT HIGHLIGHT "DIE KLUGE", ANIARA AMOS MIT NETTER "DIE SPANISCHE STUNDE"

Fotos © Dimo Dimov/Volksoper Wien: In Die spanische Stunde nützt Concepcion (Adrineh Simonian) die Abwesenheit ihres Mannes, um Schäferstündchen mit "Dicken", einem Dichter oder Bankier (rechts: Lars Woldt), abzuhalten. Da taucht Maultiertreiber Ramiro (Morten Frank Larsen) auf ...

... der wird sogleich eingespannt, um die Männer in Uhren auf- und ab zu tragen, bis Concepcion merkt, dass der "Träger" der viel schärfere Liebhaber ist ... - und die "Dicken" nur zum Zahlen gut sind. Das sorgt für Tumult (mit Augenbinde: Jörg Schneider, als Ehemann Heinz Zednik links). - Eine beinahe "zu üppige" Umsetzung.

Noch mehr "Dicke" in Die Kluge - aber genau im richtigen Verhältnis: 2. Strolch Einar Th. Gudmundsson, 3. Strolch Stefan Cerny und 1. Strolch Karl-Michael Ebner singen a capella von ihrer Intrige ... ... die die kluge Bauerstochter Jennifer O´Loughlin (unten) zu übertölpen vermag. - Ihr Mann, der König (Wolfgang Koch unten), fühlt sich übergangen ...

... wo sie doch gerade noch so verliebt Schach gespielt haben. - Er muss sie wegschicken, läßt sie aber mitnehmen, was für sie am wertvollsten ist...


















... er ist es natürlich. - Weshalb sie ihn im Koffer "betäubt" wegträgt: Denn seine Maßlosigkeit bedarf ihrer Maßregelung, so wie der Stößl des Mörsers. - Eine edle Sache, diese Märcheninterpretation!



VOLKSOPER WIEN EINMAL IM JAHR HAT RUDOLF BERGER EINEN KNÜLLER IM PROGRAMM: HEUER IST ES DIE KLUGE IN DER REGIE VON RENÉ ZISTERER. ABER AUCH ANIARA AMOS´ DIE SPANISCHE STUNDE DAVOR IST NETT

Man kann den Direktor der Wiener Volksoper, Rudolf Berger, am Ende seiner Leitungsära mit einem Zugeständnis verabschieden: einmal im Jahr ist es ihm gelungen, etwas sehr Schönes - wenn nicht einen Knüller - auf die Bühne zu bringen: im ersten und zweiten Jahr waren es die Giorgio-Madia-Ballett-Uraufführungen Nudo und Alice, 2006 die Nicholas-Maw-Oper Sophie´s Choice unter Marcus Bothes Regie und jetzt (2007) die Carl-Orff-Märchenoper Die Kluge (UA 1943), neu inszeniert von René Zisterer - wobei auch der Einakter des Doppelabends Die spanische Stunde zur Musik Maurice Ravels (UA 1911) von der Chilenin Aniara Amos ganz nett rüberkommt.

In den jüngsten Inszenierungen verantwortet die mit ausgesprochen ästhetischem Sinn für Schönheit gesegnete Maria-Elena Amos die Ausstattung. Ihre Bühnen und Kostüme verbinden in formalen Details die beiden eigenständigen Opern. - Obwohl bei räumlich völlig unterschiedlichem Ansatz: Die spanische Stunde wirkt imposant "möbliert" zweidimensional, während Die Kluge mit Raumtiefe purisitisch dreidimensional erscheint. - Das hat Auswirkungen auf die Art, wie der Zuschauer die jeweilige Geschichte und Musik rezipiert. So plätschert Ersteres als heiterer Oberflächenschwank dahin, wobei die vielen Gags leider auch Ravels lautmalerisch eloquente Musik zudecken. Dafür gewinnt Zweiteres bei subtilem Witz an reflexivem Tiefgang und läßt Platz für das bewußte Klangerleben von Carl Orffs über lange Strecken auf puren Einzeltönen mit viel Schlagwerk fußenden Rhythmen.

DICKE, INTELLEKTUELL SINGENDE MÄNNER ALS VERBINDUNG

Die besagten Verbindungsdetails sorgen für den Witz: "Dicke Männer", die in beiden Opern Erwin Wurms Figur The Artist, Who Swallowed the World entlehnt sein könnten. In Die spanische Stunde sind das die aufgeblasenen Möchtegern-Liebhaber der Concepcion, der Frau (passable Sängerin Adrineh Simonian) des Uhrmachers Torquemada. Ironischerweise werden somit die Dicken zu jenen, die in Kunst und Wirtschaft generell als "Helden" gelten: Der Dichter Gonzalve (Jörg Schneider) und der Bankier Don Inigo Gomez (Lars Woldt). - Doch alle Figuren, bis auf den Uhrmacher Zednik, singen distanziert intellektuell, fast atonal zur Musik, und nicht den Typen "entsprechend" mit verstellter oder übertrieben verblödelnder Stimme. Das tut der Volksoper gut, deren Sänger sonst zum Extra-Auftragen neigen: wie eben Heinz Zednik.

Der tatsächliche Held steckt indessen in Maultiertreiber Ramiro: Morten Frank Larsen ist - trotz "kleinbürgerlicher" Stellung - ein klassisch-anmutiger Alpha-Mann, der die komischen Passagen mit körperlicher Distanz absolviert, sodass er nie clownesk, sondern überlegen-elegant wirkt. Etwa, wenn er auf Geheiß der umschwärmten Concepcion menschengroße Uhren auf und ab trägt, worin sich die zur sexuellen Befriedigung unfähigen Dicken verbergen. Bis er dann selbst am Liebeszug ist und seine Sache bestens meistert. - Die Dicken werden indessen nur abgezockt, von Concepcion und ihrem Mann ... Und das grafisch-gestische Schlußbild führt dann optimal zur jüngeren, bedacht inszenierten Die Kluge ...

Reduktion als Schlüssel zum Märchen

Der in Innsbruck geborene Regisseur René Zisterer hat bei seinem Zugang dasselbe Rezept gewählt wie Giorgo Madia bei Alice (im Wunderland): das der Reduktion und kargen Symbolsprache. Bei anderen Stoffen könnte das zu wenig sein. Metapherreichen Märchen - wo meist eine gezielte Weisheit enthalten ist -, verleiht es eine umso edlere Note; insbesondere, wenn sie nicht nur für Kinder gespielt werden. Und obwohl Carl Orffs reduzierte Komposition nicht zwingend eine ebensolche Bühnenumsetzung erfordern würde, setzt Zisterer darauf. Eine gute Entscheidung! So geschieht es, dass ausgerechnet das, was im Märchen als Frage offen bleibt - nämlich "warum wohl eine kluge Bauerstochter einen ungerechten Despotenkönig lieben könnte" -, durch Bühnentricks und -objekte im schwarzen Raum beantwortet wird:

Treffen die Beiden erstmals zusammen oder wirft der König seine Frau aus dem Haus, sieht sie ihn "doppelt" - also ihres Mannes weichen Kern hinter der harten Schale. Andererseits steht eine Hypnosekugel für die Art, wie sie "ihn" zu verzaubern vermag. Und auf das viele Schwarz folgt am Ende Farbe - ein künstlerischer, kitschfreier Regenbogen, der abermals für die Liebe steht: jene zwischen dem maßlosen König, den nur eine übermäßig kluge Frau befriedigen kann und umgekehrt. Selbst wenn oder gerade weil sie ihn in seiner Urteilsfähigkeit zugunsten menschlicher Gerechtigkeit maßregelt. - Was sie wiederum wichtig für ihn sein läßt, sodass sie sich gebraucht fühlt.

So klug wie "die Kluge" ist, so singt sie Jennifer O´Loughlin: aus dem Kopf, - leise - sehr schön. Ihr König, Wolfgang Koch, ist ihr im sängerischen Niveau - wie eben auch als Charakter - dicht auf den Fersen. Gesanglich eigenständige Musikpassagen ergeben die wohlklingenden a-capella-Terzette und -Quartette der drei "dicken", verhalten komischen Strolche (Karl-Michael Ebner, Einar Th. Gudmundsson, Stefan Cerny) sowie des Maulesel-Mannes. Diese vielen Alternierungen innerhalb des Ganzen kommen umso überraschender und feiner, da in dieser Oper auch viel gesprochen wird. - Der Verstand kann also gespannt folgen und umso bewußter auf Musik - entsprechend konzentriert dirigiert von Dietfried Bernet und gespielt vom Orchester der Wiener Volksoper - und Nonverbales achten. - Ein dichtes, feinsinnig-musisches Kunstwerk. Bravo! e.o.


DAS URTEIL DIE SPANISCHE STUNDE KÖNNTE EINE SPUR WENIGER ÜBERTRIEBEN LUSTIG SEIN - DANN BEKÄME MAN AUCH MEHR VON MAURICE RAVELS LAUTMALERISCHER MUSIK MIT. WUNDERSCHÖN EDEL IST DAFÜR CARL ORFFS DIE KLUGE UMGESETZT - ÄSTHETISCH KONZENTRIERT DAS HEUER BESTE DER VOLKSOPER!

OPER Die spanische Stunde / Die Kluge * Von: Maurice Ravel / Carl Orff * Regie: Aniara Amos / René Zisterer * Bühne: Maria-Elena Amos * Dirigat: Dietfried Bernet * Mit: Orchester der Wiener Volksoper * Mit: Adrineh Simonian, Jörg Schneider, Heinz Zednik, Morten Frank Larsen, Lars Woldt, Wolfgang Koch, Sorin Coliban, Jennifer O´Loughlin, Gerhard Ernst, Karl-Michael Ebner, Einar Th. Gudmundsson, Stefan Cerny, Daniel Behle, Daniel Schmutzhard * Ort: Volksoper Wien * Zeit: 12., 15., 19.11.2007: 19h

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