Das Kronos Quartet steigerte sich beim New Crowned Hope Festival innerhalb von vier Tagen in den wortwörtlichen "Höhepunkt" (Foto © Elfi Oberhuber)
NEW CROWNED HOPE - DER KONZERTMARATHON DES AMERIKANISCHEN SUPER-STREICHQUARTETS KRONOS ENDETE IM ANSTÖSSIGEN FÜNFER-O(H)RGASMUS
In weiser Voraussicht, dass der erste Abend des amerikanischen Streichquartets Kronos Quartet im Jugendstiltheater, wo es Osvaldo Golijovs Werke spielen sollte, wahrscheinlich nie und nimmer an seine CD-Qualität (Nuevo) heran kommen würde, verschonten wir dieses Konzert mit unserer Anwesenheit. Denn wenn man die dürftigen akustischen Möglichkeiten jener Stätte mit den elektronisch aufwendigen Anforderungen dieses umwerfenden lateinamerikanischen (argentinisch-jüdischen) Komponisten gedanklich kombiniert, kann das nur enttäuschend sein. - Dementsprechend waren auch die Reaktionen der Tageszeitungskritik.
Besser schnitt tags darauf das zweite, eher auf reine Streichermusik bezogene Konzert mit der aserbaidschanischen Komponistin und Pianistin Franghiz Ali-Zadeh ab. Und vom dritten Abend an, mit dem bezaubernd fantasievollen Werk von Terry Riley (2004) sowie einer düster-traurigen Komposition des Polen Henryk M. Górecki, hörten auch wir mit anwesenden Ohren zu.
Akustik-Schwierigkeiten im Jugendstiltheater
In weiser Voraussicht, dass der erste Abend des amerikanischen Streichquartets Kronos Quartet im Jugendstiltheater, wo es Osvaldo Golijovs Werke spielen sollte, wahrscheinlich nie und nimmer an seine CD-Qualität (Nuevo) heran kommen würde, verschonten wir dieses Konzert mit unserer Anwesenheit. Denn wenn man die dürftigen akustischen Möglichkeiten jener Stätte mit den elektronisch aufwendigen Anforderungen dieses umwerfenden lateinamerikanischen (argentinisch-jüdischen) Komponisten gedanklich kombiniert, kann das nur enttäuschend sein. - Dementsprechend waren auch die Reaktionen der Tageszeitungskritik.
Besser schnitt tags darauf das zweite, eher auf reine Streichermusik bezogene Konzert mit der aserbaidschanischen Komponistin und Pianistin Franghiz Ali-Zadeh ab. Und vom dritten Abend an, mit dem bezaubernd fantasievollen Werk von Terry Riley (2004) sowie einer düster-traurigen Komposition des Polen Henryk M. Górecki, hörten auch wir mit anwesenden Ohren zu.
Akustik-Schwierigkeiten im Jugendstiltheater
Pipa-Starvirtuosin Wu Man: über ihre "chinesischer Laute" balanciert die musikalische Grenzgängerin gleich einer Ballerina (Foto: © Kronos Quartet archive)
Das aus sechs Sätzen bestehende The Cusp of Magic Rileys ist passend zu den kinderbezogenen Titeln The Cusp of Magic, Buddha´s Bedroom, The Nursery, Royal Wedding, Emily and Alice und Prayer Circle ein buntes Klangerlebnis aus vom Band zugespielten Froschgeräuschen sowie von Violonist David Harrington live "gespielten" Indianer-Rasseln und Spielzeugtönen inklusive Lachsack. Harrington hatte diese "Instrumente" aus aller Welt seinem Enkel mitgebracht, was den befreundeten Riley zu dieser Komposition inspirierte. Star des Spiels ist Pipa-Virtuosin Wu Man - und dass Kronos ihr diesen Status überläßt, zeugt für die Souveränität dieses Ensembles: Ihre Finger tanzen gleich einer behenden Ballerina über die Saiten, zupfen so schnell und rhythmisch leicht dahin, dass man ihr jedes Klangmärchen glauben will. Rileys Minimalismus ist in diesem Werk übrigens nur im 4. Satz zu erkennen.
Mehr davon war im kontrastreichen Gegensatz zum ersten Teil zu finden: in Góreckis puristischem, mit Wiederholungen und Einzelnoten langgezogenem Werk Piesni Spiewaja (songs are sung). Dessen simple Struktur ertönt traurig, karg, nackt. Sein Klang scheint nach all dem Unrecht auf der Welt zu fragen.
Und doch: Weder beim ersten, noch beim zweiten Teil, sprang der emotionale Funke, obwohl die Stücke großteils sauber gespielt waren, richtig rüber. Ob Kronos wehmütiger hätte sein sollen, oder vielleicht das Stück selbst der Grund, oder - am wahrscheinlichsten - die Akustik des Raumes Schuld war, alles kann eine Rolle gespielt haben.
Explosion im Radiokulturhaus
Doch zur Explosion kam es am vierten Tag: Im Radiokulturhaus waren sowohl die klanglichen, als auch optischen Bedingungen für Kronos perfekt. Über die verstärkten Geigen steigerten die vier Virtuosen ihr Spiel. Mit Gefühl und Konzentration war jeder Einzelne voll bei der Sache. Inspiriert wurden die vier Musiker vom Gedankengebäude David Barsamians im Gespräch mit Historiker und Dramatiker Howard Zinn. Denn hier fand die legendäre amerikanische Show Alternative Radio - Musik in einer Zeit von Krieg und Hoffnung in zwei Teilen, von 15-18h nachmittags und von 23-1h30 nachts, statt. Im Wechsel von politischem Gespräch und multikultureller Kronos-Musik spornten sich beide Komponenten gegenseitig zu reflexiven Höhen und Tiefen an.
Radikaler Bush-Provokateur Howard Zinn
Mehr davon war im kontrastreichen Gegensatz zum ersten Teil zu finden: in Góreckis puristischem, mit Wiederholungen und Einzelnoten langgezogenem Werk Piesni Spiewaja (songs are sung). Dessen simple Struktur ertönt traurig, karg, nackt. Sein Klang scheint nach all dem Unrecht auf der Welt zu fragen.
Und doch: Weder beim ersten, noch beim zweiten Teil, sprang der emotionale Funke, obwohl die Stücke großteils sauber gespielt waren, richtig rüber. Ob Kronos wehmütiger hätte sein sollen, oder vielleicht das Stück selbst der Grund, oder - am wahrscheinlichsten - die Akustik des Raumes Schuld war, alles kann eine Rolle gespielt haben.
Explosion im Radiokulturhaus
Doch zur Explosion kam es am vierten Tag: Im Radiokulturhaus waren sowohl die klanglichen, als auch optischen Bedingungen für Kronos perfekt. Über die verstärkten Geigen steigerten die vier Virtuosen ihr Spiel. Mit Gefühl und Konzentration war jeder Einzelne voll bei der Sache. Inspiriert wurden die vier Musiker vom Gedankengebäude David Barsamians im Gespräch mit Historiker und Dramatiker Howard Zinn. Denn hier fand die legendäre amerikanische Show Alternative Radio - Musik in einer Zeit von Krieg und Hoffnung in zwei Teilen, von 15-18h nachmittags und von 23-1h30 nachts, statt. Im Wechsel von politischem Gespräch und multikultureller Kronos-Musik spornten sich beide Komponenten gegenseitig zu reflexiven Höhen und Tiefen an.
Radikaler Bush-Provokateur Howard Zinn
David Barsamian und Howard Zinn (links) in der Radioshow Alternative Radio – Music in A Time of War and Hope: Zinn ist radikal gegen die Politik George Bushs (Foto: © Richard Termine)
Neben der wandelnden Einstellung der amerikanischen Bevölkerung hinsichtlich Bushs Irakkriegs - mehr als 60% sind jetzt dagegen -, erzählte der 84-jährige, sich zum radikalen Historismus bekennende Universitätsprofessor ("Es gibt keinen neutralen Standpunkt in der Geschichte, weshalb ich meine Studenten dazu ermutige, nicht per se mit der Präsidentenmacht zu kollaborieren, sondern nach der eigenen, gewissenhaften Meinung zu handeln") von der generellen Unmenschlichkeit heutiger Medien-Kriege, die sich nicht mehr gegen Soldaten, sondern zu 70% gegen Zivilisten bzw. Kinder richten würden. Zinn: "Unsere US-Kriegsherren jagen verdächtige Terroristen, wobei jeder politische "Widersacher" (etwa Saddam Hussein) öffentlich mit Hitler gleichgesetzt wird. Sie stieren auf die Waffen Irans, obwohl sie selbst Nuklearwaffen besitzen, die die USA als einziges Land jemals eingesetzt haben. Von der kommunistischen Verschwörung - Zinns Stück Marx in Soho handelt von der Rückkehr Karl Marxs nach Soho in New York, um seinen Namen klar zu stellen) - lenkt es die Hysterie nun auf das Nuklear-Phantom. Man sollte daher eher vom legalen Regierungterrorismus der USA sprechen."
Der Historiker hinterfragt die US-Demokratie, wo die freie Meinungsäußerung tatsächlich nur mit Macht und Geld einher gehe. Die Medien, ebenfalls abhängig von der Industrie, unterschieden nicht zwischen Fikton und Nicht-Fiktion. Nur die Künstler würden echte Probleme eher erfassen, bevor sie andere übernähmen. Als potentielle Macht behindere die Politik jene allerdings. Und hier hakte der künstlerische Leiter des Festivals, Peter Sellars, ein: "Und doch haben es Künstler immer geschafft, an Orten zu sprechen, wo es möglich ist. Können die Kurden nicht im Iran singen, so tun sie es anderswo." Zinn ruft zur Widerstands-Bürgerbewegung mit Bewußtsein für eigene historische Identität auf, insbesondere der Minderheiten: Gerade weil im Fortschreiten der Globalisierung die Nationalisten keine Neuankömmlinge wünschten. Die Amerikaner seien gegen mexikanische Immigranten, obwohl sie selbst alle einmal von irgendwoher gekommen seien: "Insofern ist die Freiheitsstatue eine Lüge", sagt Zinn.
Die weltgrößte Gefahr liege allerdings - von Bush als Junk-Wissenschaft herunter gespielt - in der globalen Erwärmung, da die Langzeit-Konsequenzen zwar erwiesen, tatsächlich aber unsichtbar seien.
"Egal, wer in welchem dieser Bereiche "was" tut, um Widerstand zu leisten", schließt Zinn, "jeder kleine Akt hilft, selbst wenn er im Moment nichts zu nützen scheint. Doch ein Akt führt zum nächsten, bis letztenendes der Prozeß des Widerstands zum Sieg führt."
Orgiastische Stöhnmusik zum Schluß
Tanya Tagaq brachte Hardcore ins Geschehen: barfuß und rhythmisch orgiastisch unter den beschuhten Kronos-Mannen am Ende des Alternative Radio – Music in A Time of War and Hope (Foto: © Richard Termine)
Kronos hüllte die politischen Parolen rhythmisch, orientalisch, leidenschaftlich, elektrisch, fröhlich, temperamentvoll, asiatisch, roma-lebendig in Musik aus Afghanistan, Argentinien, Kanada, China, Äthiopien, Deutschland, Island, Indien, Iran, Irak, Jugoslawien, Libanon, Mexiko, Nubia, Russland, Saudi-Arabien, Schweden, Türkei, USA und Usbekistan. Es toppte einen Höhepunkt durch den nächsten. Und ab der zweiten Hälfte, nachdem es Jim Hendrixs Amerikanische Nationalhymne, gefolgt von Harringtons leidenschaftlichem Violinen-Solo, und dem virtuosen Violoncello-Solo von Jeffrey Zeigler gespielt hatte, fühlte sich der Zuhörer trotz der fortgeschrittenen Mitternachtsstunde hellwach wie im musischen Paradies. Und dass es dort auch Sex geben muß, ist seit diesem Ereignis klar: Die Inuit-Künstlerin Tanya Tagaq (31) schmeißt sich barfuß vom einen Musiker zum anderen. Mit jedem steigert sie sich zwischen Echo und Loop, in sich überschlagenden Stimmlagen, vom langsamen zum schnelleren bis ganz schnellen Hecheln, Röcheln, Stöhnen, vom Inuit-Kehlgesang zur lieblich hohen Wonne. Ihre Stimme imitiert phasenweise einzelne Gesangsmotive der Streichinstrumente und umgekehrt, sie kämpfen im Wettstreit um die größere Lust, Tagaq greift Harrington auf seine Saiten. Wie ein Vieh stampft sie wild auf den Boden: das ist keine Musik mehr, sondern Hardcore. Nur gut, dass frau zu multiplen Orgasmen fähig ist: Und mit jedem der Spieler hat sie einen. Völlig fertig gibt sie schließlich als Letzte auf, sie siegt über die vier Männer. Sie, die Siegerin der Lust. a.c./e.o.
DAS URTEIL DASS DAS KRONOS QUARTET UNTER OPTIMALEN AKUSTISCHEN BEDINGUNGEN ATEMBERAUBEND SEIN KANN, HABEN WIR IN WIEN DES ÖFTEREN ERLEBT. DIE TANYA-TAGAQ-PERFORMANCE TRIEB UNS ABER NUN DIE SCHAMESRÖTE INS GESICHT ... EXTREM SPANNEND!
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