Thursday, November 09, 2006

OPER: MICHAEL STURMINGER BAHNBRECHEND MIT UA "I HATE MOZART" ZUR MUSIK VON BERNHARD LANG


Fotos (© Armin Bardel) aus der Produktion I hate Mozart:
Die kleine, osteuropäische, junge Sängerin Simona Chodovska (Andrea Lauren Brown) beim Vorsingen, und der übermächtige, italienische Dirigent Adriano Morado (Florian Boesch) verliebt sich in sie ...

... dabei ist er doch mit der großen blonden Diva Grace Moor (Dagmar Schellenberger) verheiratet, die sie dann auch aussticht, sowohl in der Rolle als auch in der Liebe.

Dirigent Adriano Morado beim Proben: Er beschimpft das Ensemble, nicht stören zu dürfen, denn nur ihm sei dieses Recht vergönnt, und demütigt den schwulen Tenor (weil er keine Eier hat!).


Am Ende ist der Dirigent doch nur ein kleiner, nackter, unperfekter, müder, unzufriedener Mensch, umgeben von Mozarts Dämonen (Vokalensemble NOVA (Ltg. Colin Mason), die zu viel von ihm verlangen...



THEATER AN DER WIEN EINE HASSLIEBE ZU MOZART, EINE HASSLIEBE ZUR KUNST: BEI I HATE MOZART WERDEN DIE DISCOGEHER DIE OPER STÜRMEN WIE AUCH GROSSE MUSIK-, KUNST- UND THEATERKENNER. UND WIE DIE TOURISTEN. EIN EINSCHNEIDENDES KUNSTERLEBNIS.

Der 8. November 2006 wird schätzungsweise in die Analen der Musiktheater-Geschichte eingehen. Wieder ist mit I hate Mozart ein Stück geschaffen worden, das vom Wesen der Kunst an sich handelt, oder besser gesagt: von der Ohnmacht des schaffenden Künstlers. Schon Shakespeare verarbeitete diesen persönlichen Kampf 1610 in seinem letzten Werk Der Sturm, indem er die Kunst gegen die Natur ausspielte und sie an ihre Grenzen stoßen ließ. Keine noch so gelungene Konstruktion vermag es, der kreativen Idee jemals gerecht zu werden. Es wird alles immer nur eine bessere oder schlechtere Annäherung sein.

Neue Oper wurde immer verhindert, jetzt bricht sie durch

Wir wollen aber gar nicht wissen, was für euphorische Schaffensbilder sich in Michael Sturmingers Kopf ursprünglich abgespielt haben. Denn von diesem Uraufführungs-Premierenabend am Theater an der Wien konnte man nur restlos begeistert sein. Endlich wird diesem Land eine echt gute zeitgenössische Oper - oder belassen wir es beim historischen Begriff - eine echt gute, zeitgenössische "Opera buffa" beschert, nachdem bedeutende Kulturmacher in doppelmoralischem Machtzirkel seit Jahrzehnten erfolgreich institutionalisierte Neue Oper verhindern. Mit den Chinesen, die gestern ganz spontan unter allen Klassikangeboten Wiens auf diesen Titel setzten, wollen wir jene jedoch nicht eines Besseren belehren.- Da eine Produktion nicht zum Erfolg wird, indem sie Touristen anlockt, sondern allein durch ihre künstlerische Qualität. Und Michael Sturminger erzielte sie durch erlesene Auswahl von sämtlichen beteiligten Komponenten dieser Produktion, allen voran des Komponisten Bernhard Lang, des Dirigenten Johannes Kalitzke sowie des Hauptdarstellers Florian Boesch (der den Dirigenten im Stück spielt).

Wahre Klischees hinter den Kulissen

Geschrieben hat Sturminger das Libretto selbst. Es läßt neben Shakespeare auch Querverweise zu Mozarts Der Schauspieldirektor zu. Denn auch Mozart vertonte einst ein Stück Johann Gottlieb Stephanies´ aus "Hinter den Kulissen", allerdings auf Wunsch des Kaisers, der sich eine Satire auf die Wiener Opernverhältnisse wünschte. Ist hier die Debatte, um dem Publikum zu gefallen, möglichst schlecht zu spielen und auf künstlerischen Anspruch zu verzichten, was die mittelmäßigen Darsteller dann auch noch durch persönliche Rivalitäten forcieren, und nur durch Akzeptanz der bloßen "Imitation" befrieden können, so sind es bei Sturminger die privaten Beziehungen, sexuellen und Liebesbedürfnisse, die die Künstler während der Probenarbeiten begleiten.

Da gibt es jede Menge Klischees, wie die alternde, nicht mehr zu singen fähige Diva Grace Moor, die durch Pressetricks und Intrigen dennoch als Star (Dagmar Schellenberger) gefeiert wird und dabei auch noch ihren Mann, den Dirigenten, von seiner neuen, jungen Liebe fernhalten kann. Dass der Dirigent sich überhaupt in sein junges Talent verliebt - dieses ist bei Sturminger auch noch aus Osteuropa (Andrea Lauren Brown - aufgrund der Optik die einzige wenig glaubwürdige Besetzung). Wie der Tenor (Mathias Zachariassen), der einst unwissend Mezzosopranistin Franziska Zimmer (Salome Kammer) schwängerte, und sich jetzt zum Schwulsein bekennt. Der Agent des Dirigenten (David Pittman-Jennings), der zugunsten geschäftlicher Vorteile zu manipulieren weiß. Und der Intendant (Rupert Bergmann), der eine unscheinbare, oberflächliche Randfigur ohne künstlerischem Sinn ist.

Künstlerischer Anspruch wächst durch Liebeswirren

Paradox ist aber, dass all diese Klischees tatsächlich andauernd vorkommen. Und dass die Gefühlsverwirrungen unterbewußt zugelassen und gelebt werden, muß wahrscheinlich auch sein, damit ein Stück überhaupt emotional wirken kann. Selbst wenn dann jemand, wie der sowohl schauspielerisch als auch sängerisch bestechende Dirigent - übrigens mit umwerfendem (italienischem) Sexappeal - Florian Boesch, trotz äußeren Ruhms noch immer todunglücklich und mit sich unzufrieden sein wird. Denn Mozart, dessen Zauberflöte in diesem Stück im Stück inszeniert wird, ist einfach nie zu meistern: "Süßer als die Erfüllung ist die Sehnsucht" heißt es am Ende, was wohl für den Liebenden wie für den Kunstschaffenden gilt.

Mozart-Anspruch in der Musik erfüllt

Erfüllt wurde in dieser Oper aber tatsächlich der Anspruch an die Musik: Bernhard Lang ist der Mozart unserer Zeit! "Ich habe von Mozart nur seine Neugierde übernommen", sagte er zu seiner Notation. Live-Turntable-Solisten und Samples werden den machmal wie eine Jazz-Bigband, eine Rap-Band und eine Techno-Gruppe klingenden Tonkünstlern zugespielt. Das Vokalensemble Nova begleitet die schwierigen Partien der Sänger. Zuweilen dröhnt auf das Orchester übertragener Syntheziser-Beat neben Neuer Musik durch den Opernsaal. Alle Extras und Zusätze kommen gerade recht: ganz fein und auf einzelne Worte abgestimmt, spielen Instrumente, oder wiederholen sich Rhythmen. Alles lebt zu Geschehen und Wortfluß auf der Bühne. Entspannung und Tempo, Tonalität und Atonalität gehen Hand in Hand, es atmet, manchmal harmonisch und dann wieder irritierend. Doch keine Phrase dauert in den zwei Stunden auch nur eine Sekunde zu lang. Dirigent Kalitzke beweist sein mikroskopisches Gehör, das den ganzen Saal zum Staunen und teilweise auch zum Lachen bringt. - Ja, so pointiert gesetzt hat man Musik selten gehört, und in einer Oper wahrscheinlich noch nie. Diese Musik ist schlichtweg ein Abenteuer!

Regisseur und Autor Sturminger

Dass Michael Sturminger als Regisseur sein eigenes Stück am besten versteht, indem er Momente wie das wortwörtliche "impossibile" oder den beängstigenden Surrealismus bei Mozartvisionen besonders heraus arbeitet, mag adhoc einleuchtend sein. Doch die Praxis zeigt, dass Regisseure, die auch Autor sind - wie so oft in der freien Szene - gegenüber dem eigenen Stück nicht genügend Distanz besitzen, sodass die Regie dann in die Hose geht. Sturminger ist Profi und diszipliniert genug, um hierin nicht zu scheitern. Er brachte diese durchgehend guten Sänger zum gelebten Schauspiel - kaum einer sprach mit Opernstimme. Schlußendlich hat er auch noch fantastisch gute Bühnenbildner gefunden: Renate Martin und Andreas Donhauser. Das Drehen und Spiel mit dem Perspektivenwechsel, das Auf und Ab, Oben und Unten des ganzen Raums ist ein einziger Rausch, so wie das ganze Stück und wie das Künstlerleben. (e.o.)


DAS URTEIL SUPER MUSIK, SUPER LIBRETTO, SUPER REGIE, SUPER DIRIGAT, SUPER ORCHESTER, SUPER HAUPTDARSTELLER FLORIAN BOESCH, SUPER SÄNGER, SUPER AUSSTATTER. DIE NEUE OPER IST IN WIEN ANGEKOMMEN!

OPER I hate Mozart * Libretto und Regie: Michael Sturminger * Musik: Bernhard Lang * Dirigat: Johannes Kalitzke * Orchester: Klangforum Wien * Mit: Florian Boesch, Salome Kammer, u.a. * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 10.+12.11., 20h (Wiederaufnahme geplant)

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