VIENNALE GUS VAN SANT IST MIT PARANOID PARK DIE NUMMER 1 IN DER PRESSE-VORSCHAU DES FILMFESTIVALS
Von acht Filmen (Dokus: Prinzessinnenbad, Stealing Klimt; Spielfilme mit Doku-Themen bzw. -Schauplätzen: Import Export, Am Ende kommen Touristen, Free Rainer; und Spielfilme: Michael Clayton, Lady Chatterley - siehe nächste Kritik auf intimacy: art), die die Journalisten vor Start des Wiener Filmfestivals Viennale (19.-31.10.2007) begutachten konnten, sticht Gus Van Sants Spielfilm im Doku-Schauplatz, Paranoid Park, eindeutig als bester Film hervor. Sowohl formal, als auch in der suggestiven Ansprache von normalerweise Unausgesprochenem zeigt er sich als größtes Genie. Da kann man sich noch so sehr fragen, warum er dazu stets das Thema der Jugendwelt braucht; was ihn wohl an der Jugendlichen-Zeit so faszinieren mag? Mit Betonung auf Jugendliche, nicht Jugend, wohlgemerkt. - Das nimmt zumindest vorweg, dass ihn weniger die jugendliche Ausstrahlung als sexueller Reiz, als die damit einhergehende Problematik des unsicheren Lebensgefühls inspirieren muss. (Bei Homosexuellen, wozu sich Gus Van Sant bekennt, trifft das ja sonst stets umgekehrt zu. Und auch bei Durchschnittsmännern...)
Vom Wert der Unsicherheit
Unsicher im Sinne von "unberechenbar" ist demnach alles, wofür der Regisseur aus der Unsicherheit schöpft: zugunsten der ständig überraschenden Form, die das brenzlige Geschehen umso bewußter überwacht, indem sie es nachdrücklich verunsichernd kommentiert. Am stärksten fällt es durch die (scheinbar) unpassende Musik auf - Kompliment an Van Sants ausgezeichneten Musikgeschmack bei Nino Rota, Ethan Rose bis Suzanne Vega! -, die für das Geschehen zum umdeutenden Manifest einer allwissenden Wahrheit wird. Da spürt man den steuernden "Macher" van Sant am besten, aber auch dessen große Sympathie gegenüber seiner instabilen, sehr einsamen Hauptfigur "Alex" (glaubwürdig: Gabe Nevins). Er schaut ihr zu und lehrt sie, aus den Fehltritten in die weisere und tiefer blickende Erkenntnis des Erwachsenwerdens zu gelangen.
Vom schlechten Gewissen zur Erkenntnis
Zudem verwendet van Sant einen (z.Bsp. bei David Lynch) schon öfter gesehenen, hier extrem passenden Erzählstil, um den Mechanismus von schlechtem Gewissen zu veranschaulichen: denn Alex begeht eine schreckliche Tat, durch die ein Mann ums Leben kommt - er ist auf einem (echt gruseligen) Foto mit abgetrenntem Körper zu sehen. Es ist ein Unfall, trotzdem hat der Jugendliche nicht den Mut, es jemandem zu erzählen, obwohl er genau weiß, dass nur das ihn erleichtern könnte. Sein Anlauf beim unscharf gezeigten, volltätowierten - und damit wenig vertrauenserweckenden - Vater scheitert; denn der lebt gerade in Scheidung mit der Mutter.
Das alles, einschließlich der Ursache, bleibt im Sinne der erzwungenen Verdrängung lange ungezeigt. Zunächst sieht man nur Alexs immer introvertierter werdendes Verhalten innerhalb seiner Skateboard- und Freundesclique. Auch gegenüber seiner Freundin Jennifer. Bei ihr merkt er umso deutlicher, worauf es beim Sex ankommt: nicht wie seine Freunde meinen, "besser einen Gratis-Fick mit einem hübschen, oberflächlichen Mädchen zu haben als gar keinen", sondern möglicherweise besser keinen Sex zu haben, und sich dafür mit einem (pickeligen) Mädchen (spielt etwas aufgesetzt: Lauren McKinney als "Macy") auf geistiger Ebene zu begegnen... Der Rest wird dann umso schöner - wohl für beide Seiten. Denn auch die hübsche Jennifer (spielt gut: Taylor Momsen) macht sich nur etwas vor; sie glaubt, gerade "guten" Sex gehabt zu haben, weil sie allein danach geht, was die anderen Leute "so" sagen. In Wahrheit weiß sie es nicht. Alex dagegen ist auf bestem Weg des Wissenden, indem er dem glaubt, was er mit Jennifer dabei empfindet: nämlich gar nichts. - Wahrscheinlich ist das aber auch verstärkt so, weil ihn sein Gewissen (wegen des Unfalls) dermaßen plagt, was wiederum die einfühlsamere Macy registriert.
Der trickreiche Blick unter die Oberfläche
Diese Zeit ist für den in sich gekehrten Alex daher die Phase zur Lebensweg weisenden Erkenntnis von individuellen Prinzipien. Er erkennt, wie verloren er sich unter den Menschen (Gruppierungen mit Pauschalwertungen) fühlt und dass es noch eine andere Ebene geben muß. Diese andere, unkonventionelle Ebene verunsichert ihn, wie sie ihn reizt. Deshalb besucht(e) er auch die lokale Metapher dafür, den unheimlich-gefährlichen "Paranoid Park", wo "man besser nicht alleine hingeht". Und da geschieht das Unglück. Am Ende weiß es auch der Zuseher, weil das ganze, bereits gezeigte Geschehen sich nochmals mit ausgeschmückten Detailszenen wiederholt. Der Zuseher lernt genauso unter die Oberfläche zu blicken wie Alex - nur dass die Blickrichtungen unterschiedlich sind. Alex blickt tiefer in sich selbst, der Zuschauer auf Alex. Für Alex bleibt die Zeit stehen, als er unter der Dusche den Schock der eben begangenen Tat ertragen muss, für den Zuschauer tut sie es, indem die Nahaufnahme von Alex gesenktem, begossenen Gesicht in Zeitlupe abläuft.
Die Schwere der Stimmung lockert sich allerdings immer wieder auf: sei es durch die erwähnte Musik, die teilweise mit Jahrmarktklängen Streitszenen konterkariert; sei es durch die Musiktexte, wie wenn etwa beim offenen Schluß in grobkörnigen Bildern "He died like a man" gesungen wird - als handle es sich um einen Abenteuer-Rückblick eines erwachsenen Cowboys, der sagen will: "Diese Erfahrungen gehören zur Jugend. Sie gehen vorbei." Und das weiß am Ende auch der versöhnte, sich an seine eigenen, schmerzlich-prägenden Erlebnisse erinnernde Zuschauer. - Der Film wurde bei den Cannes-Festspielen 2007 mit dem "Spezialpreis 60 Jahre Cannes" ausgezeichnet. e.o./r.r.
Von acht Filmen (Dokus: Prinzessinnenbad, Stealing Klimt; Spielfilme mit Doku-Themen bzw. -Schauplätzen: Import Export, Am Ende kommen Touristen, Free Rainer; und Spielfilme: Michael Clayton, Lady Chatterley - siehe nächste Kritik auf intimacy: art), die die Journalisten vor Start des Wiener Filmfestivals Viennale (19.-31.10.2007) begutachten konnten, sticht Gus Van Sants Spielfilm im Doku-Schauplatz, Paranoid Park, eindeutig als bester Film hervor. Sowohl formal, als auch in der suggestiven Ansprache von normalerweise Unausgesprochenem zeigt er sich als größtes Genie. Da kann man sich noch so sehr fragen, warum er dazu stets das Thema der Jugendwelt braucht; was ihn wohl an der Jugendlichen-Zeit so faszinieren mag? Mit Betonung auf Jugendliche, nicht Jugend, wohlgemerkt. - Das nimmt zumindest vorweg, dass ihn weniger die jugendliche Ausstrahlung als sexueller Reiz, als die damit einhergehende Problematik des unsicheren Lebensgefühls inspirieren muss. (Bei Homosexuellen, wozu sich Gus Van Sant bekennt, trifft das ja sonst stets umgekehrt zu. Und auch bei Durchschnittsmännern...)
Vom Wert der Unsicherheit
Unsicher im Sinne von "unberechenbar" ist demnach alles, wofür der Regisseur aus der Unsicherheit schöpft: zugunsten der ständig überraschenden Form, die das brenzlige Geschehen umso bewußter überwacht, indem sie es nachdrücklich verunsichernd kommentiert. Am stärksten fällt es durch die (scheinbar) unpassende Musik auf - Kompliment an Van Sants ausgezeichneten Musikgeschmack bei Nino Rota, Ethan Rose bis Suzanne Vega! -, die für das Geschehen zum umdeutenden Manifest einer allwissenden Wahrheit wird. Da spürt man den steuernden "Macher" van Sant am besten, aber auch dessen große Sympathie gegenüber seiner instabilen, sehr einsamen Hauptfigur "Alex" (glaubwürdig: Gabe Nevins). Er schaut ihr zu und lehrt sie, aus den Fehltritten in die weisere und tiefer blickende Erkenntnis des Erwachsenwerdens zu gelangen.
Vom schlechten Gewissen zur Erkenntnis
Zudem verwendet van Sant einen (z.Bsp. bei David Lynch) schon öfter gesehenen, hier extrem passenden Erzählstil, um den Mechanismus von schlechtem Gewissen zu veranschaulichen: denn Alex begeht eine schreckliche Tat, durch die ein Mann ums Leben kommt - er ist auf einem (echt gruseligen) Foto mit abgetrenntem Körper zu sehen. Es ist ein Unfall, trotzdem hat der Jugendliche nicht den Mut, es jemandem zu erzählen, obwohl er genau weiß, dass nur das ihn erleichtern könnte. Sein Anlauf beim unscharf gezeigten, volltätowierten - und damit wenig vertrauenserweckenden - Vater scheitert; denn der lebt gerade in Scheidung mit der Mutter.
Das alles, einschließlich der Ursache, bleibt im Sinne der erzwungenen Verdrängung lange ungezeigt. Zunächst sieht man nur Alexs immer introvertierter werdendes Verhalten innerhalb seiner Skateboard- und Freundesclique. Auch gegenüber seiner Freundin Jennifer. Bei ihr merkt er umso deutlicher, worauf es beim Sex ankommt: nicht wie seine Freunde meinen, "besser einen Gratis-Fick mit einem hübschen, oberflächlichen Mädchen zu haben als gar keinen", sondern möglicherweise besser keinen Sex zu haben, und sich dafür mit einem (pickeligen) Mädchen (spielt etwas aufgesetzt: Lauren McKinney als "Macy") auf geistiger Ebene zu begegnen... Der Rest wird dann umso schöner - wohl für beide Seiten. Denn auch die hübsche Jennifer (spielt gut: Taylor Momsen) macht sich nur etwas vor; sie glaubt, gerade "guten" Sex gehabt zu haben, weil sie allein danach geht, was die anderen Leute "so" sagen. In Wahrheit weiß sie es nicht. Alex dagegen ist auf bestem Weg des Wissenden, indem er dem glaubt, was er mit Jennifer dabei empfindet: nämlich gar nichts. - Wahrscheinlich ist das aber auch verstärkt so, weil ihn sein Gewissen (wegen des Unfalls) dermaßen plagt, was wiederum die einfühlsamere Macy registriert.
Der trickreiche Blick unter die Oberfläche
Diese Zeit ist für den in sich gekehrten Alex daher die Phase zur Lebensweg weisenden Erkenntnis von individuellen Prinzipien. Er erkennt, wie verloren er sich unter den Menschen (Gruppierungen mit Pauschalwertungen) fühlt und dass es noch eine andere Ebene geben muß. Diese andere, unkonventionelle Ebene verunsichert ihn, wie sie ihn reizt. Deshalb besucht(e) er auch die lokale Metapher dafür, den unheimlich-gefährlichen "Paranoid Park", wo "man besser nicht alleine hingeht". Und da geschieht das Unglück. Am Ende weiß es auch der Zuseher, weil das ganze, bereits gezeigte Geschehen sich nochmals mit ausgeschmückten Detailszenen wiederholt. Der Zuseher lernt genauso unter die Oberfläche zu blicken wie Alex - nur dass die Blickrichtungen unterschiedlich sind. Alex blickt tiefer in sich selbst, der Zuschauer auf Alex. Für Alex bleibt die Zeit stehen, als er unter der Dusche den Schock der eben begangenen Tat ertragen muss, für den Zuschauer tut sie es, indem die Nahaufnahme von Alex gesenktem, begossenen Gesicht in Zeitlupe abläuft.
Die Schwere der Stimmung lockert sich allerdings immer wieder auf: sei es durch die erwähnte Musik, die teilweise mit Jahrmarktklängen Streitszenen konterkariert; sei es durch die Musiktexte, wie wenn etwa beim offenen Schluß in grobkörnigen Bildern "He died like a man" gesungen wird - als handle es sich um einen Abenteuer-Rückblick eines erwachsenen Cowboys, der sagen will: "Diese Erfahrungen gehören zur Jugend. Sie gehen vorbei." Und das weiß am Ende auch der versöhnte, sich an seine eigenen, schmerzlich-prägenden Erlebnisse erinnernde Zuschauer. - Der Film wurde bei den Cannes-Festspielen 2007 mit dem "Spezialpreis 60 Jahre Cannes" ausgezeichnet. e.o./r.r.
DAS URTEIL GUS VAN SANT IST TATSÄCHLICH SO GUT, WIE ALLE SAGEN, UND DAMIT IN JEDEM SEINER BERUFE "REGISSEUR, PRODUZENT, FOTOGRAF, MUSIKER" ERKENNBAR PRÄSENT. EIN UNKONVENTIONELL MUSISCHER, SPANNENDER, WEISER GENIESTREICH VON FILM!
FILM Paranoid Park (USA/F 2007) * Von: Gus Van Sant (Drehbuch nach dem Roman von Blake Nelson, Regie, Schnitt) * Kamera: Christopher Doyle, Rain Kathy Li * Verleih: Stadtkino Wien * Mit: Gabe Nevins, Taylor Momsen, Lauren McKinney * Ort + Zeit: Künstlerhaus, 23.10.2007: 6h30 (Frühstücksfilm!); Gartenbaukino, 23.10.: 21h; Stadtkino, ab 1.11.2007 im regulären Betrieb
FILM Paranoid Park (USA/F 2007) * Von: Gus Van Sant (Drehbuch nach dem Roman von Blake Nelson, Regie, Schnitt) * Kamera: Christopher Doyle, Rain Kathy Li * Verleih: Stadtkino Wien * Mit: Gabe Nevins, Taylor Momsen, Lauren McKinney * Ort + Zeit: Künstlerhaus, 23.10.2007: 6h30 (Frühstücksfilm!); Gartenbaukino, 23.10.: 21h; Stadtkino, ab 1.11.2007 im regulären Betrieb
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