Wednesday, October 10, 2007

THEATER: TOLLES "WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?" VON ANTOINE UITDEHAAG

Sexy Martha (Maria Bill) bringt mit ihrem reifen Appeal den jungen Nick (Till Firit) in potentielle Fahrt - zur "nur" scheinbaren Unbekümmertheit ihres Mannes (Günter Franzmeier) ...

... als sie nicht mehr damit rechnet, zuckt er bis zur körperlichen Brutalität aus.

Damit ist der Provokateurin Martha die Lust am "Spielen" vergangen. Jetzt hat sie mit ihrem ehrgeizig-schönen Körper nur noch nackte Lebensangst. (Fotos: © Nathalie Bauer)


VOLKSTHEATER VIER SCHAUSPIELER BRILLIEREN IM GEFÜHLSWAHNSINN VON EDWARD ALBEE WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF? UND ENTBLÖSSEN EIN SENSIBLES GEHEIMNIS ...

Den Vergleich zu erwähnen ist so stereotyp wie hundsfad, doch hat jemand Wer hat Angst vor Virginia Woolf? im Film mit Richard Burton und Elizabeth Taylor gesehen, wird er ihn bei jeder Neuinszenierung ziehen. Dieses Paar stilisiert(e) sich selbst mit seiner kolossalen Erotik und Intensität nicht nur im echten (Ehe-)Leben zur "Ikone aller Beziehungen", sondern ganz besonders in diesem Film bzw. Stück: Wegen seiner gegenseitigen Herausforderung bis an die Grenzen der Substanz und darüber hinaus. Bei diesem Sexakt der Worte sind Verletzungen State of the Art, ihr O(h)rg(i)asmus kommt als geistiger wie seelischer Spitzenschrei in genialem Doppelpack. Wegen der gleichrangigen Fähigkeit, sich Stoff zu geben, der für beide Pole so spannend bleibt, dass sie ihn sich jahrzehntelang zusetzen müssen, wollen und werden. - Das Volkstheater spielt das Wahnsinnsstück der Gefühle von Edward Albee jetzt - sprachwitzig und -feurig verdeutscht von Alissa und Martin Walser - mit einer mindestens so starken Maria Bill als Martha, wie es die Taylor war. Ihr Sexappeal der reifen, intelligenten, temperamentvollen, auch körperlich noch sehr attraktiven, stolzen, verletzlichen Frau ist atemberaubend. "George" Günter Franzmeier braucht hingegen einige Zeit, um den sprühend attraktiven Richard Burton aus dem geistigen Auge zu verdrängen. Er verleiht der Figur eine unberechenbar versteckt-aggressive Note.

Eigentlich wären sie auch so scharf auf einander

Dieses Paar, Martha und Geschichtsprofessor George, bräuchte eigentlich kein zweites Pärchen einzuladen, um sich nach einer Party im universitären Berufsumfeld von Marthas übermächtigem Rektoren-Vater zwecks Sex am Boden aufzugeilen. Mit den Unmengen an Drinks und Flaschen an der Bühnenrampe, Marthas heißer Stimmung in Gedanken an Bette Davis´ Sager, "Was für ein Loch!", und einer Beleidigung gegenüber ihres sechs Jahre jüngeren Mannes mit einem, "du kriegst eine Glatze!", und seiner Antwort darauf, "du auch", müßten sie sich genügend angestachelt haben, um sich gegenseitig entladen und wieder lieben zu wollen. Sie sind auch gerade drauf und dran, als Marthas Gäste anläuten: der blond(gefärbt)e Nick (Till Firit: wieder einmal auf geheimnisvoll verhaltene Weise ein hochinteressanter Mann) und seine ebenso blonde Ehefrau Püppi (Katharina Straßer: wirkt zum Teil intelligenter als die Rolle der reifungsängstlichen Kindfrau es verlangt...).

Die zwei Frischlinge an Jahreszahlen sowie am Campus sind für die beiden Langzeit-Eheleute die perfekten Objekte, um sich von Neuem vor einander aufzuplustern, hier geht es um Macht und Unterwerfung, wo die schlimmste Demütigung nicht ausgelassen wird. Ganz besonders Martha führt in despotischer Weise das Zepter, sie bespringt den jungen Nick im Beisein ihres Angetrauten, und treibt es mit ihm alsdann in der Küche. Doch George tut zur Enttäuschung Marthas so, als mache es ihm nichts aus, bis er nach einigen ironischen Ablenkungsmanövern - wie einer (symbolischen) Beehrung mit einem Blumenstrauß - doch explodiert, das Machtzepter an sich reißt, Martha körperlich angreift und sie auf seine Frage, "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", nur noch sagen wird: "Ich." - Wie dünn ihre(r beider) Haut in Wahrheit ist, demonstriert Regisseur Antoine Uitdehaag mit einer schlichten, braunen Packpapier-Wand, in die der kleinste Schuß einer Flasche - eine nachvollziehbare Kurzschlußhandlung von George - ein Loch reißt. Wie fragil beweglich die Positionen dieser vier Menschen sind, demonstrieren indessen vier beige Feauteuil-Sessel auf einer - sich fast unmerklich - permanent drehenden Rundbühne in der einfachen, aber subtilen Bühne von Tom Schenk.

Vom Symbolgehalt des Kinder (=Liebes)geheimnisses

Jeder dieser vier Menschen ist also äußerst labil - obwohl sie andererseits wieder - bis auf die gegensätzliche taktlose Püppi mit schwach ausgebildetem Sensorium für Ironie und Zwischentöne - sehr starke, da intelligente und damit kampfeslustige Charaktere sind. Diese Erkenntnis ist es aber nicht allein, die in der Inszenierung Uitdehaags durchblickt, sondern etwas viel wichtigeres, was bei Burton und Taylor beispielsweise nicht so klar heraus kam (möglicherweise auch, weil man deren Version als Kind sah, wo man die Erwachsenengefühlswelt noch nicht so detailliert verstand ...): Das sensible Thema der wahren Bedeutung von Kindern für das Beziehungsgeflecht der Eheleute bzw. (einstigen) Verliebten.

Erfundene Geschichten über Elternmord und einen gemeinsamen Sohn, den es nicht gibt, den Martha und George aber ständig zu ihren persönlichen Gunsten beschreiben, während wiederum Püppi kotzend alles daran setzt, um nicht schwanger zu werden und Kind zu bleiben, - stehen für den Störfaktor "Kinder" und die folgliche Distanzierung in der Zweierliebe, andererseits aber auch für das große Geheimnis "als Beweis" der Liebesqualität von zwei Menschen: Denn es kann diese Liebe - wie die Kinder - in ihren genetischen Bestandteilen nur von und bei diesen beiden geben. Erzählt ein Partner Dritten davon, verliert sie sogleich den Wert und somit das Geheimnis ihrer Einzigartigkeit. Die Beziehung wird gefährdet, indem sich die Partner von einander entfernen. Brisanterweise tun das in dieser Geschichte beide Paare. In anwachsender Spannung nähern sie sich dem Verrat. Sie verraten den geliebten Partner aus Eitelkeit, aus Schwäche, aus Provokation, aus lediglich momentaner, kurzsichtiger Spielfreude. - Ob sie sich dadurch aber auch von Null neu erfinden können, das muß sich am Ende wohl jeder mit seiner individuell ausgeprägten Abenteuerlust selbst ausreimen ... e.o.


DAS URTEIL TOLLER SPRACHWITZ, ÜBERZEUGENDE SCHAUSPIELER, ALLEN VORAN MARIA BILL ALS MARTHA - EIN MIT EINFACHEN SYMBOLEN KLASSISCH-ERZÄHLTER ABEND, DER DEN WERT DES LIEBESGEHEIMNISSES (VON KINDERN) ENTBLÖSST... - NUR DEN ERSTEN TEIL HÄTTE MAN ETWAS KÜRZEN KÖNNEN.

THEATER Wer hat Angst vor Virginia Woolf? * Von: Edward Albee * Regie: Antoine Uitdehaag * Bühne: Tom Schenk * Mit: Maria Bill, Günter Franzmeier, Till Firit, Katharina Straßer * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 6., 8., 14., 16., 20., 21., 24., 25., 30.11., 6., 10., 14., 21., 22.12. 2007: 19h30


Special Tipp - Theatrales Rahmenprogramm im Volkstheater:
KABARETT NDK – Nach der Kritik hat Angst vor Virginia Woolf * Von Peter Paul Skrepek * Mit: Peter Paul Skrepek (als Helmut Zilk), Christoph F. Krutzler, Joesi Prokopetz (als Richard Burton) * Ort: Volkstheater - Rote Bar * Zeit: 24.10.: 22h30 * Eintritt 7 €
BEZIEHUNGSSPRECHEN Wort&Spiele: Wer will, der darf“ * Speakers Corner: Geschlechterkampf: Zuschauer sprechen über Ehekrach und Beziehungskrisen * Mit: Robert Palfrader * Ort: Volkstheater - Rote Bar *
Zeit: 21.11.2007: 22h30 * Eintritt frei!

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