... indem Tinker dem homosexuellen Carl (Bernd-Christian Althoff) etwa ein dickes Rohr in den Unterleib rammt, er ihm die Arme amputiert ... (Fotos: © Max Reinhardt Seminar)
WUK REGIE-ABSOLVENT JEROME JUNOD FÜHRT MIT DEN SCHAUSPIELSCHÜLERN DES MAX-REINHARDT-SEMINARS EIN ANSPRUCHSVOLLES SYMBOLSTÜCK IN DER PSYCHIATRIE AUF: GESÄUBERT, VON DER BRITISCHEN AUTORIN SARAH KANE
Wo gibt es hier noch ein Licht? Der Hoffnung! - Es ist da, nur ist es so grell, wie es eine Neonröhre nur sein kann. Weshalb die Leute Schutzbrillen tragen, während sie sich daran stärken. - Die Insassen einer psychiatrischen Anstalt. Sie kommen zum Licht, wannimmer sie (als Schauspieler) keinen Text zu sagen haben. Als wenn sie nur "bei sich" Energie tanken könnten, weil das Agieren und Reden mit anderen in diesem schwarz-weiß-steril-kühlen Irrenhaus so kräftezehrend ist. Das Zusammensein baut diesen zu stark liebenden Menschen Substanz ab, weil und sodass die Liebe nie gegenseitig ist, und wird sie es doch, kommt ein eifersüchtiger Arzt daher, der die aufkeimende Romantik zerstört: Ja, bei den Insassen in Sarah Kanes Stück gesäubert geht das Lebensglück nicht auf, weder nach außen hin, noch insgeheim. Und so auch nicht Ende September im Wiener WUK, aufgeführt von den Schülern des Max-Reinhardt-Seminars unter der Regie von Jérôme Junod.
Entmachtete Liebe und ihre Kompensation
In dieser geschlossenen Anstalt liebt der derbe Macho Rod (Wojo van Brouwer) den feminin-grazilen Carl (Bernd-Christian Althoff). Grace (Marie Jung) liebt ihren Bruder Graham (Alexander Julian Meile) bis zur Verschmelzung mit ihm. Der naive, geistig debile und stotternde Robin (als einziger angreifbar menschlich: Markus Subramaniam) liebt Grace in kindlicher Verehrung. Der sadistische Arzt Tinker (Florian Köhler) steht auf die im Ballkleid wandelnde und singende (Traum)-"Frau" (Angela Smigoc), und kommt bei ihr beim Sex zu früh, weil er sich nicht mehr unter Kontrolle hat. Die Gewissheit seiner prinzipiellen Fähigkeit dazu, muss er sich selbst also laufend bei den anderen beweisen: indem er sie unterwirft, quält, zerstümmelt. Seelisch und vor allem körperlich.
Die Intensität der menschlichen Liebesfähigkeit zeigt sich bei Sarah Kane aber generell durch Sadismus, Masochismus, Gewalt, Leid. Grace ist es von ihrem Bruder beispielsweise gewohnt, einen heißen Löffel auf die Haut gedrückt zu bekommen, sodass ihr Arm voller Brandwunden ist, und ihr Wunsch weiterhin ermuntert lautet: "Mach´s bei mir!" Worauf beide von den anderen Patronenhülsen auf ihre umschlungenen Körper geworfen bekommen. Liebe hat hier in Absolutheit zu schmerzen, von innen nach außen und umgekehrt. Nur wird das - ganz im Sinne der Autorin - abstrahiert gezeigt: Die entmachtende Spritze durch Arzt Tinker erfolgt durch Zeigerfingerdruck, Elektroschocks simuliert der Knall eines Gürtels, die anale "Durchstoßung" beim Weichling Carl geschieht auf die Frage Tinkers, nach dessen Beziehung zu Rod, durch ein dickes Riesenrohr, wonach Carl mit einem Band die Hände amputiert werden. Ebenso die symbolisch (grausam-)poetischen Vereinigungsmomente: für die von Tinker durchgeführte Geschlechtsumwandlung von Grace zu Graham steht ein Kleidertausch; der Sex zwischen den Geschwistern ist ein Bewegungstanz ohne Berührung in der Körperarbeit von Grant McDaniel; Küsse ohne aufeinander treffende Münder; eine Blume der Liebe, die Tinker aus Eifersucht verbrennt. Dessen Befehl "mach die Beine breit!" unterstreicht das demonstrierte Bild einer sich öffnenden Schere. Oder Tinker lässt Robin die Pralinen essen, die er gerade für Grace kaufte, als müsse er seine eigene Liebe aufessen - also vernichten. So wie rhythmisch jeder Szenenwechsel in militant-lautem, zeichenhaftem Scherenschlag angemahnt wird.
Autoritäten in intellektuellen Sackgassen
Interpretatorisch zählt bei alledem das Mißtrauen gegenüber der Psychiatrie: mit ihrer Praxis der ungesunden Enge der Insassen; das Mißtrauen gegenüber den emotionslos-kalten, entmündigenden Ärzten. Unmenschlich bis zur Unheimlichkeit ("ich bin eigentlich kein richtiger Arzt, sondern ein Dealer") wird die von der Arztfigur ausgehende Freude am Schmerz und an der Entmachtung unterschwellig aber auch als Lust seitens Patienten empfunden. In der finalen Konterkarierung durch Graces Ruf zum Doktor, "hilf mir!", bei ihrem Blick ins Neonlicht bei Vogelgezwitscher, dominiert allerdings die depressive Aussichtslosigkeit.
Der klinische, entmenschlichte Stil des Stücks erhöht sich bis hin zum klaustrophoben Überwachungsstaat. Die Frage ist, ob das alles anders werden hätte können, wenn Kane nicht selbst manisch-depressiv gewesen, sie nicht tatsächlich psychiatrische Aufenthalte gehabt hätte. Brächte ein Regisseur in das Geschehen dann suggestiv Wärme, direkte Emotionsausbrüche, Menschlichkeit ein? Würde er es wagen, aus dem strengen (dramatischen) System auszubrechen? Insbesondere der Selbstmord der britischen Autorin mit 28 scheint Inszenierende stets zu extremer, stilistischer Selbstbeherrschung in konsequent, unausweichlicher Logik des Todes zu drängen. Schon da Rod explizit ermordet wird, Robin sich erhängt. Andererseits lässt das den Zuschauer aber auch resümieren, dass Sarah Kane genau wegen ihrer Fähigkeit zur Selbstbeherrschung und ästhetischen Vernunft hätte geheilt werden können. Durch die Zeit des Erwachsen-werdens, die dem Menschen zeigt, wie Gefühl tatsächlich entsteht: durch Freiheit, durch Freiwilligkeit, ohne Druck. Dann hätte sie gelernt, jene Vernunft (der textlichen Struktur) auf das erforderliche Gefühl zu verlagern. So wie zu ihrer Lebenszeit Kane aber nun die Geduld zum Altern, zur harmonischen Reife fehlte, weil sie schlichtweg zu intellektuell dachte, so ist nun also auch diese Inszenierung streng intellektuell - im Sinne von entweder weiß oder schwarz - geworden. Vielleicht muss sie aber auch so sein, weil das dem gehobenen Theater eines Max Reinhardt Seminars entspricht. Denn so ist es ja auch sehr schick! e.o./h.o.
Wo gibt es hier noch ein Licht? Der Hoffnung! - Es ist da, nur ist es so grell, wie es eine Neonröhre nur sein kann. Weshalb die Leute Schutzbrillen tragen, während sie sich daran stärken. - Die Insassen einer psychiatrischen Anstalt. Sie kommen zum Licht, wannimmer sie (als Schauspieler) keinen Text zu sagen haben. Als wenn sie nur "bei sich" Energie tanken könnten, weil das Agieren und Reden mit anderen in diesem schwarz-weiß-steril-kühlen Irrenhaus so kräftezehrend ist. Das Zusammensein baut diesen zu stark liebenden Menschen Substanz ab, weil und sodass die Liebe nie gegenseitig ist, und wird sie es doch, kommt ein eifersüchtiger Arzt daher, der die aufkeimende Romantik zerstört: Ja, bei den Insassen in Sarah Kanes Stück gesäubert geht das Lebensglück nicht auf, weder nach außen hin, noch insgeheim. Und so auch nicht Ende September im Wiener WUK, aufgeführt von den Schülern des Max-Reinhardt-Seminars unter der Regie von Jérôme Junod.
Entmachtete Liebe und ihre Kompensation
In dieser geschlossenen Anstalt liebt der derbe Macho Rod (Wojo van Brouwer) den feminin-grazilen Carl (Bernd-Christian Althoff). Grace (Marie Jung) liebt ihren Bruder Graham (Alexander Julian Meile) bis zur Verschmelzung mit ihm. Der naive, geistig debile und stotternde Robin (als einziger angreifbar menschlich: Markus Subramaniam) liebt Grace in kindlicher Verehrung. Der sadistische Arzt Tinker (Florian Köhler) steht auf die im Ballkleid wandelnde und singende (Traum)-"Frau" (Angela Smigoc), und kommt bei ihr beim Sex zu früh, weil er sich nicht mehr unter Kontrolle hat. Die Gewissheit seiner prinzipiellen Fähigkeit dazu, muss er sich selbst also laufend bei den anderen beweisen: indem er sie unterwirft, quält, zerstümmelt. Seelisch und vor allem körperlich.
Die Intensität der menschlichen Liebesfähigkeit zeigt sich bei Sarah Kane aber generell durch Sadismus, Masochismus, Gewalt, Leid. Grace ist es von ihrem Bruder beispielsweise gewohnt, einen heißen Löffel auf die Haut gedrückt zu bekommen, sodass ihr Arm voller Brandwunden ist, und ihr Wunsch weiterhin ermuntert lautet: "Mach´s bei mir!" Worauf beide von den anderen Patronenhülsen auf ihre umschlungenen Körper geworfen bekommen. Liebe hat hier in Absolutheit zu schmerzen, von innen nach außen und umgekehrt. Nur wird das - ganz im Sinne der Autorin - abstrahiert gezeigt: Die entmachtende Spritze durch Arzt Tinker erfolgt durch Zeigerfingerdruck, Elektroschocks simuliert der Knall eines Gürtels, die anale "Durchstoßung" beim Weichling Carl geschieht auf die Frage Tinkers, nach dessen Beziehung zu Rod, durch ein dickes Riesenrohr, wonach Carl mit einem Band die Hände amputiert werden. Ebenso die symbolisch (grausam-)poetischen Vereinigungsmomente: für die von Tinker durchgeführte Geschlechtsumwandlung von Grace zu Graham steht ein Kleidertausch; der Sex zwischen den Geschwistern ist ein Bewegungstanz ohne Berührung in der Körperarbeit von Grant McDaniel; Küsse ohne aufeinander treffende Münder; eine Blume der Liebe, die Tinker aus Eifersucht verbrennt. Dessen Befehl "mach die Beine breit!" unterstreicht das demonstrierte Bild einer sich öffnenden Schere. Oder Tinker lässt Robin die Pralinen essen, die er gerade für Grace kaufte, als müsse er seine eigene Liebe aufessen - also vernichten. So wie rhythmisch jeder Szenenwechsel in militant-lautem, zeichenhaftem Scherenschlag angemahnt wird.
Autoritäten in intellektuellen Sackgassen
Interpretatorisch zählt bei alledem das Mißtrauen gegenüber der Psychiatrie: mit ihrer Praxis der ungesunden Enge der Insassen; das Mißtrauen gegenüber den emotionslos-kalten, entmündigenden Ärzten. Unmenschlich bis zur Unheimlichkeit ("ich bin eigentlich kein richtiger Arzt, sondern ein Dealer") wird die von der Arztfigur ausgehende Freude am Schmerz und an der Entmachtung unterschwellig aber auch als Lust seitens Patienten empfunden. In der finalen Konterkarierung durch Graces Ruf zum Doktor, "hilf mir!", bei ihrem Blick ins Neonlicht bei Vogelgezwitscher, dominiert allerdings die depressive Aussichtslosigkeit.
Der klinische, entmenschlichte Stil des Stücks erhöht sich bis hin zum klaustrophoben Überwachungsstaat. Die Frage ist, ob das alles anders werden hätte können, wenn Kane nicht selbst manisch-depressiv gewesen, sie nicht tatsächlich psychiatrische Aufenthalte gehabt hätte. Brächte ein Regisseur in das Geschehen dann suggestiv Wärme, direkte Emotionsausbrüche, Menschlichkeit ein? Würde er es wagen, aus dem strengen (dramatischen) System auszubrechen? Insbesondere der Selbstmord der britischen Autorin mit 28 scheint Inszenierende stets zu extremer, stilistischer Selbstbeherrschung in konsequent, unausweichlicher Logik des Todes zu drängen. Schon da Rod explizit ermordet wird, Robin sich erhängt. Andererseits lässt das den Zuschauer aber auch resümieren, dass Sarah Kane genau wegen ihrer Fähigkeit zur Selbstbeherrschung und ästhetischen Vernunft hätte geheilt werden können. Durch die Zeit des Erwachsen-werdens, die dem Menschen zeigt, wie Gefühl tatsächlich entsteht: durch Freiheit, durch Freiwilligkeit, ohne Druck. Dann hätte sie gelernt, jene Vernunft (der textlichen Struktur) auf das erforderliche Gefühl zu verlagern. So wie zu ihrer Lebenszeit Kane aber nun die Geduld zum Altern, zur harmonischen Reife fehlte, weil sie schlichtweg zu intellektuell dachte, so ist nun also auch diese Inszenierung streng intellektuell - im Sinne von entweder weiß oder schwarz - geworden. Vielleicht muss sie aber auch so sein, weil das dem gehobenen Theater eines Max Reinhardt Seminars entspricht. Denn so ist es ja auch sehr schick! e.o./h.o.
DAS URTEIL TROTZ POETISCHER SYMBOLE STRENG-INTELLEKTUELLE FORM: SO WIE ES SARAH KANE WAR UND VERLANGTE. TYPISCH MAX REINHARDT SEMINAR: ANSPRUCHSVOLL DISZIPLINIERT, WAS FEHLT, IST DER MOMENT DES AUSBRUCHS AUS DEM SYSTEM.
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