Thursday, October 04, 2007

OPER: KEIN MITLEID FÜR "DEAD MAN WALKING" VON NIKOLAUS LEHNHOFF

Sänger-Darsteller, die wegen fehlender Ausstrahlung und naiv-einfältigem Text keine Emotionen übertragen können: Kristine Jepson als Nonne Helen Prejean & John Packard als Mörder-Todeskandidat Joseph De Rocher (Foto © Dorothea Wimmer)

Eine wandelbar-multifunktionale Bühne, die trotz ernüchterndem Intellektualismus den Kitsch und die erzwungen-übertriebene Mitleidsheischerei nicht lindern kann - abgesehen davon, dass jede Dramatik (Action) fehlt (Foto © Armin Bardel)


THEATER AN DER WIEN DEAD MAN WALKING VERKOMMT IN DER OPERNFASSUNG VON NIKOLAUS LEHNHOFF ZUR SCHNULZE OHNE MITLEIDSPOTENTIAL

Mit der 2000 von Amerikaner Jake Heggie nach dem Film Dead Man Walking komponierten, gleichnamigen Oper, wollte das Theater an der Wien ein Zugpferd der Jugend für Opernbegeisterung launchieren. Die kurze Filmsequenz über den Mord des später zum Tode verurteilten Joseph De Rocher war anfangs auch ganz vielversprechend. Sie erinnerte mit unruhiger Kamera und Ausschnittfetzen an das Schwarz-Weiß-Musikvideo Something Real des bewegend guten, norwegischen Singer-Songwriters Thomas Dybdahl. Dabei wurde Rockpop in die Opernklänge eingeflochten - leider nicht von Thomas Dybdahl. Man hätte den Rest der Oper allerdings lieber Thomas Dybdahl gehört und gesehen - weil seine Musik genau das Lebensgefühl, das Niveau, die Atmosphäre hat, die typisch für die musisch-intellektuelle Jugend von heute ist. Hätte Dead Man Walking als Oper, insbesondere durch Regie und Darsteller, diese Qualität getroffen, dann wäre vielleicht etwas daraus geworden. Man sah bei Regisseur Nikolaus Lehnhoff jedoch nur einen auf die Oper übertragenen Kinofilm (selbst wenn er sich tatsächlich nicht am Dreh- sondern am Originalbuch orientierte), und zwar ohne Grossaufnahmen der Gesichter, was beim Film das Um und Auf ist, damit der vordergründige Berieselungsrest an Kunstbestandteilen aufwertend oder umdeutend verstärkt aufgenommen werden kann.

Banalität wegen fehlender Nahaufnahmen

Ohne Zusatz einer differenzierten, subtilen Mimik ist der Text - obwohl ein Libretto von Terence McNally, der in Meisterklasse am Volkstheater Bahnbrechendes zu Maria Callas lieferte - einfach nur wahnsinnig banal. Zeitweise sogar unerträglich, da die Sänger, die keinerlei äußeres, noch schauspielerisches Charisma besitzen, auch noch die meiste Zeit statisch auf der Stelle picken. Geradezu lächerlich, wenn nicht ein unnötiger Stilbruch, ist die Szene, als die Nonne, Sister Helen Prejean (tantig, aber immerhin schöne Stimme: Kristine Jepson) im Auto vor gefilmter Landschaftsfahrt vom Kloster zum gefangenen Vergewaltiger De Rocher (John Packard: mit den Tatoos ein uninteressantes Verbrecherklischee) fährt, um ihm zunächst christlichen Beistand zu gewähren und sich dann für seine Begnadigung einzusetzen. Die Bühnenoptik bietet im Cinema-Breitformat in durchgehaltenem Schwarzweiß, mit multifunktionaler Wandelfähigkeit von Gefängnisszene hinter Gittern, Verhörraum, Warteraum mit Getränkeautomat zu Gericht mit Vorplatz, eine intellektuelle Aufwertung. Sie ist aber kein dramatischer Erhöhungsanreiz.

Musik als einziger Actionherd

Die einzige Dramatiksteigerung geht von der Musik aus, wobei sie ausgerechnet beim oftmals blitzschnellen Bühnenbildwechsel, der sich dem Publikum in Form einer Drehung einer schwarzen Wand zeigt, zum Andante Presto anfeuert, egal ob die Arie zuvor leise-besonnen oder schnell war. Jake Heggies Musik, tatkräftig dirigiert von Sian Edwards und gespielt vom Radio-Symphonieorchester Wien, wäre in Summe nicht so schlecht. Mit eindeutiger Nähe zur romantischen bzw. Thriller-Filmmusik - einschließlich Jazz, Blues und Gospel (der um Sister Helen und ihre Schwestern und Glaubensschüler schwelgt) - hat sie zeitweise unerträgliche Kitschnummern auf Lager, sehr schön dagegen ist das Quartett der beiden Mütter und Väter, die durch den Mord ihre Kinder verloren. Das klingt fast nach Verdi, indem jede Figur ihren Text weiter singt, während sich die Klänge harmonisch vereinen. Einschneidend berührend ist eine der ersten, lyrischen Arien von Frederica von Stade als Mutter des Verurteilten, die von den tugendhaften Jugendjahren ihres Sohnes singt und resümiert: "Die Tat war schlecht, nicht er!" - Sie will bis zum Schluß nicht wahrhaben, dass ihr Sohn ein Mörder ist.

Qual im 2. Akt

Eine Qual ist der gesamte zweite Akt. Nicht nur, dass einem die Naivität der jungfräulichen Nonne, die eine eigenartige Liebes- (und wahrscheinlich auch Sex)fantasie zum lügenden Kriminellen aufbaut - er beharrt darauf, dass nicht er, sondern sein Bruder die Jugendlichen umgebracht hätte -, ungemein auf die Nerven geht. - Ihre Worte kreisen zwischen "Gott wird uns alle um sich scharen", "Das ist meine Reise zur Wahrheit (zum Mörder)" und "Wir werden Seite an Seite gehen, du und ich (zur Giftspritze)"! Die Szene zu Elvis´ Jailhouse-Rock ist als geschmackloser Witz auch noch unglaubwürdig. Die erhoffte Sensibilisierung des Publikums gegen die Todesstrafe tritt nicht ein, da das erwünschte Mitleid übertrieben erpresst werden will: Der Gefangene, der - im Gegensatz zum realen Mörder, auf den sich diese Geschichte bezieht - am Ende die Morde gesteht, wird wie ein Sklave bei "passendem" Blues zum Tod geführt, wo er dann als frontal zum Publikum aufgestellter Jesus am Kreuz aufgebahrt wird. - Schlimmer geht´s nicht! e.o.


DAS URTEIL WANN LERNEN FILM- ZU OPER-BEARBEITER ENDLICH, DASS DIE DIREKTE ÜBERNAHME VOM EINEN ZUM ANDEREN GENRE NICHT AUFGEHEN KANN? - OHNE MIMISCHE NAHAUFNAHME SCHLICHTWEG DUMM UND BANAL. DIESE REGIE VERSAUT (OHNE UMDEUTUNG DES TEXTS) DIE GANZE MUSIK.

OPER Dead Man Walking * Von: Jake Heggie (Musik), Terrence McNally (Libretto) nach dem gleichnamigen Buch von Sister Helen Prejean * Dirigat: Sian Edwards * Regie: Nikolaus Lehnhoff * Bühne: Raimund Bauer * Mit: Radio-Symphonieorchester Wien, Arnold Schönberg Chor * Mit: Kristine Jepson, John Packard, Frederica von Stade, u.a. * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 4., 7., 10.10.2007: 19h30

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