Monday, August 13, 2007

MODERN BALLET: ÉDOUARD LOCK WIRD IN "AMJAD" EIN BISSCHEN ROMANTISCH


Chinesin Xuan Cheng (hier mit Partner Keir Knight) ist die technische Kader-Tänzerin von Lock: Ein Dornröschen, das kühl und perfekt ist.
Spärliche Video-Projektionen von André Turpin im kargen, schwarzen Raum leiten schlagwortartig Dornröschen-Assoziationen ein: Hier sind statt der Prinzen allerdings die Ballerinas in den Dornen gefangen.
Die Schwanen(see)-Geste wird grafisch dem männlichen Pendant exakt gegenüber gestellt, wo aber die Spitzenhaltung dennoch Mann (Bernard Martin) und Frau (Zofia Tujaka) auf eine androgyne, gleichwertige Ebene versetzt.
Eine scharfe Schlußszene: Der männliche Jason Shipley-Holmes dreht die expressiv-temperamentvolle Talia Evtushenko in einen dramatisch-leidenschaftlichen Erotikhöhepunkt. (Fotos © Édouard Lock)


BURGTHEATER - IMPULSTANZ
DER MINIMALISMUS MACHT VOR DEM KANADISCHEN CHOREGRAFIESTAR LOCK AUCH ALS RASEND SCHNELLEM WALZER-ROMANTIKER NICHT HALT: SCHÖN, ABER ZWISCHENZEITLICH LANG WIRKT AMJAD


Hört ein Europäer, ein Choreograf komme aus Kanada,
und er mache zeitgenössisches Ballett bei ebensolcher Musik, dann bedeutet das für den Europäer: "Aufpassen!" Denn, was hier "zeitgenössisch" bedeutet, zählt dort zur "Klassik". Die einzige (junge) Geschichte im Bereich Musik, die Amerika für sich in Anspruch nehmen kann, heißt nämlich Minimalismus oder Jazz. Und Minimalismus ist die Basis, auf der Kanadier Édouard Lock seine seit 1980 bestehende Kompagnie La La La Human Steps stellt; da dabei auch noch die kanadische Ballettszene mitprägt, kommt man insgesamt auf eine relativ klassische Art von Ballett. Nur dass Kanadas Balletttanz sexy expressiv ausarten kann, selbst wenn die musikalische und choreographische Komposition wiederholend nüchtern-rhythmisch und damit grundsätzlich intellektuell geschliffen ist.

Minimalismus als Qualität und Problem


Das ist zugleich die Qualität und das Problem von Amjad, der märchenhaften Neuproduktion des Ballettvisionärs Lock. Der minimalistische Grundtenor, der für manchen die begehrte Trance darstellt, worin die Zeit stehen zu bleiben scheint, erscheint Europäern gerne zu simpel und zu lang. Selbst wenn es in der amerikanischen Presse heißt, Lock sei jetzt in Amjad romantischer und narrativer geworden, ist das für uns für "Romantik" noch immer zu kühl abstrakt. Denn die Ausgangsstoffe, Dornröschen und Schwanensee, wurden nur in wenigen "schlagwortartigen" Erkennungsmomenten gestreift, und kammermusikalisch sowieso sehr amerikanisch-minimalistisch interpretiert: Tschaikowsky würde sich bei den Komponisten Gavin Bryars, David Lang und Blake Hargreaves bedanken! Selbst wenn die beibehaltenen Walzerklänge im Dreivierteltakt die - mit Elektropassagen unterbrochene - Musik tatsächlich interessant und angenehm aufwärmen und in den Tänzern zeitweise leidenschaftliche, zwischenmenschliche Energie freisetzen.

Es verhält sich mit der Musik also insgesamt wie mit dem Tanz: sie ist an-sich erstklassig und wunderschön. Wenn der musikalische Leiter Njo Kong Kie in seine Pianotasten greift, während ihn drei Streicher auf der kargen, schwarzen Bühne begleiten, führt das zuerst zu einem grossen Gefühl des Beeindrucktseins, da es aber durch die Wiederholung zu rasch zu bekannt wird, kippt es in ein Gefühl von Monotonie. Treten die technisch hochprofessionellen, klassischen Ballettänzer mit ihren perfekten Körpern in engen Miedern, schwarzen Strümpfen und Armani-Anzügen als Pas de Deux mit nicht viel mehr als zwei Basis-Tanzschritten auf - d.h. Männer und Frauen in blitzschnellen Drehungen und Fußgesten auf Spitzenschuhen -, dann führt das zu bewunderndem Staunen, wird aber bald fad.

Die rettenden Überraschungen


Wenn nicht immer wieder rettende Szenen und Tanzüberraschungsmomente wären, die den Zuschauer aufwecken, um ihn abermals in Entzücken zu versetzen: Das beginnt mit drei kreisrunden Videoprojektionen, die als Expermientalfilmtanz ein Spiel aus weiß-roten Farbflächen und Perlen treiben. Sie unterstreichen als grafische Farbmetapher-Symbolik die Projektionen für Reinheit des Schwans und Blut durch den Spindelstich Dornröschens, was irgendwann zu Vereinigung in Erotik und Liebe führt. Zwischendurch ist ein konkretes Gefangen-Werden in der Dornenhecke (aus Lianen) zu sehen, worin interessanterweise aber kein "Prinzen-Ballerino", sondern schlafende Ballerinas gefangen sind. Eine davon fällt tanztechnisch wegen ihrer exakten Körperbeherrschung auf: Xuan Cheng, die wirklich aus der chinesischen Kaderschmiede zu kommen scheint.

Das Schwanenthema wird prinzipiell eher im zweiten Teil bearbeitet, indem die Armbewegungen als Flügelschläge witzig und noch schön anzusehen, fast bis zum Ende immer wieder aufgenommen werden. Eine interessante geometrische Umkehrung ergibt die Kombination der großen Tänzerin Zofja Tujaka mit einem kleinen Tänzer als Partner, worin Lock sein persönliches Spiel des Geschlechtertauschs in künstlerischem Hochglanz betreibt. - Dasselbe wiederholt sich dann nochmals, wenn Tujaka zum Schwan in weißem Nachthemd geworden ist.

Die stärksten zwei Szenen

Die allerstärkste Nummer, die sich als einzige auch schritttechnisch unterscheidet, bieten jedoch zwei männliche Tänzer bei nacktem Oberkörper, nur mit schwarzen Hosen bekleidet. Ihr abstrakt-enger Walzertanz ist an Sinnlichkeit und Spannung nicht zu überbieten, und einer der seltenen Tanzmomente, wie auf einen Hetero eine homosexuelle Beziehung nachvollziehbar anziehend wirken kann - wenn man es denn unbedingt so verstehen wollte. Und die letzte Tanzszene ist ebenfalls noch einmal sehr stark, da hier die kanadische Tänzerin Talia Evtushenko trotz ihres beängstigend dünn-sehnigen Körpers, mit all ihrem Temperament, ihrer Leidenschaft, neben dem Technikkönnen ins Auge springt: Es ist unglaublich sexy, wie sie sich blitzschnell von ihrem Partner, Jason Shipley-Holmes, an der Taille drehen lässt, und wie er dabei männlich-stark ihrem theatral-erotischen Liebeskampf unterliegt. e.o./g.m.


DAS URTEIL ÉDOUARD LOCK IST FÜR EUROPÄISCHE VERHÄLTNISSE MIT SEINER MÄRCHENADAPTION ZWAR NOCH IMMER ZIEMLICH KÜHL UND MONOTON, TROTZDEM WAR SEIN STÜCK AMJAD EINES DER HIGHLIGHTS DES HEURIGEN IMPULSTANZ-FESTIVALS. DENN DAS IST HIER NIE ZU SEHENDES KLASSISCH-MODERNES BALLETT.

Wednesday, August 08, 2007

TANZ: EMIO GRECOS STEPPEN-IMPRESSION "EXTRA DRY (NOUVELLE VERSION)"














Zuerst versuchen die zwei Tänzer, in einer gemeinsam praktizierten individuellen Tanzsprache überein zu stimmen ...



... bis ihnen die Nähe zu viel wird, und sie absichtlich wieder auseinander gehen wollen ...






... doch jetzt ist es zu spät: in den zufälligen, absichtlosen Momenten, merkt man erst, wie nahe sie sich geworden sind. Da müssen sie sich nicht erst die verharrenden Paradiesvögel in der Steppensonne vormachen, damit sie es wirklich selbst glauben können. (Fotos © Jean-Pierre Stoop)



VOLKSTHEATER - IMPULSTANZ EMIO GRECO / PC WOLLTE EXTRA DRY ALS NOUVELLE VERSION PRÄSENTIEREN. DAS GELANG NICHT, TOLL WAR´S TROTZDEM

Mit Spannung erwarteten seine österreichischen Fans die neue Version von Extra Dry. Jene Produktion, die als dritter Teil der "Martini-Trilogie", Fra Cervello e Movimento: bianco (Solo) - rosso (Solo) - Extra Dry (Duo), zwischen Verstand und Bewegung eine der stärksten Werkkreationen des Duos Emio Greco/PC (= der italienische Tänzer Emio Greco und der niederländische Regisseur Pieter C. Scholten) darstellt. Nicht umsonst brachte es das viel ausgezeichnete Stück schon zweimal, 1999 und 2001, bei ImPulsTanz zur Aufführung. Aus dem Gedanken heraus, die völlige Synchronität zweier Tänzer in Bezug auf die gefundene Bewegungssprache eines Tänzers anzustreben, muss im Verlauf erkannt werden, dass bei allem geistigen Vorhaben, dieses Ziel doch nie zu erreichen ist. - Eine schöne Metapher für das romantische Paarsinnen, das die Menschen seit jeher zur gemeinsam gefundenen, individuellen Liebe drängt. Das künstlerisch Anspruchsvolle an diesem Vorhaben aber ist, dass die Bewegungsparallele der Tänzer trotz eigenwillig sperrig-graziler Tanzsprache Emio Grecos ziemlich übereinstimmt. Und jetzt sollten in dieser Nouvelle Version statt zweier Tänzer drei tanzen ...

Kein Trio, aber Drei in zwei Duos

Erwartet wurde somit ein "synchrones" Trio. Es blieb allerdings beim Duo. Die drei Tänzer splitten sich lediglich auf, indem im ersten Teil Vincent Colomes und Nicola Monaco tanzen, und Emio Greco im Zweiten einen von ihnen ablöst. Für das Publikum bedeutet das keinen großen Unterschied. Unangefochten filigran und berückend schön wie ein gelebtes Gemälde oder unmittelbar getanzte Musik ist aber das Stück selbst. Das Züngeln der Gliedmaßen, das dem Bild der dürstenden Eidechse in der Wüste entnommen ist, die flimmernden Flamingos am Horizont der gleißenden Steppensonne, als die sich die beiden Tänzer auf einem Bein, inmitten des zügig getanzten Werks, im innehaltenden Moment festhalten - das sind die impressionistischen Stillleben als übernatürlich-abstrakte Bilder im Kopf, die den Besucher noch lange nach der Aufführung begleiten.

Wahre Einswerdung in spontanen Momenten

Und dann ist da der gedanklich nachvollziehbare Versuch der Einswerdung: des einen Menschen mit dem anderen dahinter, wo drei tanzende Arme aus einem Körper wachsen, das Ausschreiten des einen, dem der andere folgt, das Abschütteln des einen, weil er den exakten Nachahmer loswerden will. Es ist also geschehen, was anfangs so leidenschaftlich beabsichtigt wurde: man wollte zusammen eins sein, was in doppelter Schrittchoreografie bei Geräusch- und Grillensound eindringlich einzureden versucht wurde, bis es zur Musik von Vivaldis Vierjahreszeiten- "Sommer"(?) als großer, rasend schnell und dynamisch bewegter, synchroner Kick-des-Abends tatsächlich erreicht wird, sodass es dem Zuseher den Atem verschlägt, in artistischer Vollendung. Und dann kommt es interessanter Weise aber noch einmal zum umso spannenderen, subtilen Punkt, wo einer von beiden, nämlich Greco, "allein" sein will, und sein Partner so tut, als lasse er ihn das. Doch ist das nicht mehr möglich. In den zufälligen Bewegungen, scheinbaren Ausrutschern, worin sie sich dann absolut decken, zeigt sich die wahre Verbindung. Denn sie ist in Leib und Seele der Individualiät übergegangen. - Und das ist die insgeheime, wunderbare Erfahrung von höchster Liebe. - Selbst wenn sie nur durch tänzerische Brillanz konstruiert wird; und es erstaunlich ist, wie sich das Paar, ohne sich an einem Takt oder Schrittgefolge festhalten zu können, im plötzlichen Gleichklang zu treffen vermag. Das kann nur auf einem tatsächlich gleich entwickelten, aufeinander eingespielten Instinkt beruhen. - So ist die Romantik der verinnerlichten Übereinstimmung nun also doch wahr geworden. e.o./g.m.


DAS URTEIL EMIO GRECO SCHAFFT ES ALS EINZIGER ZEITGENÖSSISCHER TÄNZER, SEINE WUNDERBARE TANZSPRACHE WEITERZUGEBEN. WEIL ANDERE SIE TATSÄCHLICH BEHERRSCHEN WOLLEN: EXTRA DRY IST BESTES BEISPIEL DAFÜR, SELBST WENN ES KEINE "NOUVELLE VERSION" DARSTELLT.

MUSIK: SCHOSTAKOWITSCH LEBT IN LOTHAR KOENIGS MEHR ALS BRITTEN

Lothar Koenigs versteht Schostakowitsch sichtlich als ...

...dramatischen Komponisten: dementsprechend erlebt er ihn als Dirigent. (Fotos © Mark Wohlrab)


FESTSPIELHAUS - BREGENZER FESTSPIELE DIRIGENT LOTHAR KOENIGS GERÄT BEI SCHOSTAKOWITSCH INS FILMISCHE ERLEBEN - EIN HOCHGENUSS MIT DEN WIENER SYMPHONIKERN, WÄHREND BRITTEN ETWAS ZU KURZ KAM

Perfekt arrangiert war das 2. Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker im Festspielhaus während der Bregenzer Festspiele. Nicht nur dass sich die drei gespielten Komponisten Aaron Copland, Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch zu Lebzeiten schätzend bis amikal gegenüber standen, sie haben auch alle drei zur ziemlich selben Zeit Werke geschrieben, deren Elemente sich zu überschneiden scheinen. Und das, obwohl sie aus verschiedenen Kontinenten stammen. Wie es die Zeit des Zweiten Weltkriegs aber an sich hatte, vermochte sie (der Krieg) es, Künstler auf der ganzen Welt zur kompositorischen "Kommunikation" zu bewegen. - Logischerweise in "patriotischer" Weise, zum Teil direkt geradlinig, zum Teil verhalten, zum Teil doppelbödig genial. Eigenschaften, die der Reihenfolge nach Amerika (Copland), Großbritannien/Europa (Britten) und der Sowjetunion (Schostakowitsch) zuzuordnen wären.

Das Fanfaren-Vorspiel von Copland und Britten

D.h., mit drei Minuten schwindend kurz, mit scharf abwechselnden Pauken und Bläsern super präsent, gibt Coplands Fanfare For A Common Man, die er 1943 auf Auftrag des Cincinnati Symphony Orchestra geschrieben hat, den Auftakt und gleichsam das Leading-Thema des Abends vor. Aus amerikanischen Historienfilmen, wenn die Armee loszieht, nur allzu bekannt und damit heute als klischeehaft empfunden, scheint Britten dieser Art von "mit Mut, auf in den Krieg!" schon 1940 ein subtiles Begleitwerk beisteuern zu wollen - und das, obwohl er die Sinfonia Da Requiem op. 20 ebenso wie die Operette Paul Bunyan während seines vierjährigen Aufenthalts in Amerika erarbeitete: auf seine Fanfaren folgen schmerzliche Geigen. Ihre Phrase in Wiederholungen mit den Bläsern gleicht einem unaufhörlich traurigen Frage-Antwort-Spiel, das im erlösenden Pauken-Schlagwerk seinen Höhepunkt findet. Nach dem so genannten Lacrymosa leitet eine stakkatohafte Querflöte zusammen mit den Geigen den ungestümen Totentanz Dies irae als Zentrum der Komposition ein. Leise, aber sehr schnell und rhythmisch steigert sich der Takt, rasend schnell zu immer lauter werdendem Trompeten-Exzess, als hätte sich Strawinskys Feuervogel in der Partie verflogen. Doch das Finale klingt langsam beruhigend, mit lyrischer Querflöte als Requiem aeternam aus, es wächst noch einmal langsam zu Romantik und Fülle an, bevor es in ewigem Tod verstummt.

Der dramatische Höhepunkt bei Schostakowitsch

Mit Dmitri Schostakowitschs passagenweise pur instrumentierter Symphonie Nr.7 op.60 (Leningrader, 1942) erwacht Dirigent Lothar Koenigs nun vollauf, sodass auch er als Person zu spüren und nicht nur die Musikarchitektur nachvollziehbar ist. Und tatsächlich, der Aachener (geb. 1965) ist schon 2003 Kritikern mit Schostakowitsch-Interpretationen positiv aufgefallen. Diese Musik liegt ihm im Blut. Gefühl und Leben erfüllt die Noten. Tiefe rhythmische Streicher und hohe Geigen im Wiederholungsrhythmus, die Querflöte spielt ein verträumtes Solo, die Piccoloflöte fordert klagend ihr Moll, bevor mit leisestem Trommel-Schlagwerk ein subtiler Marsch anfängt. Der Kontrast der hohen Flöte, lieblich zweistimmig verschmiert mit einer zweiten, ergibt eine spannende Mischung zu den tiefen Streichern, die für den heimtückisch drängenden "Krieg" stehen, Titel des ersten Teils Allegretto. Als handle es sich um eine morbide Form des Bolero, wiederholt sich dieselbe Passage. Sie schwillt immer mehr an, immer dramatischer werdend erinnert sie an Prokofjews Filmmusik. Dieser so starke und herrschaftsorientierte Klang zeigt den widerstrebenden Blick des Komponisten auf die feindlichen Faschisten. Dagegen wehrt sich die zerbrechliche Querflöte zart und leise, bis die ganze Musik zum Stillstand kommt, während die Geigen in der Funktion von Schlagwerk den Rhythmus angeben. Zu dem Geigenmarsch fabuliert noch die Oboe in verträumtem Solo, als wolle sie sich vor der Gefahr verschließen.

Im zweiten Satz Moderato, poco allegretto unter dem Titel "Erinnerungen" schleicht sich in den subtil, auf zwei Tönen gestreichten Geigenrhythmus Zupfen ein, während Klarinette und Harve dazu spielen. Im Adagio "Die großen Lebensräume meines Vaterlandes" "stören" Trompeten fanfarenhaft als dramatischer Einbruch. Der Krieg treibt sein Unwesen. Dagegen ist etwas zu tun. Alles schreit nach "Sieg" in Allegro ma non troppo, im fließenden Kontrast von tiefen gegen hohe Geigen, die in windhaftem Auf und Ab zu ungestümem Wirbel anschwellen, bis die Trommeln laut, fordernd und doch behäbig im Paukenschlag ein für allemal ein Ende setzen. - So viele Farben in einem Werk, und dabei aber anspruchsvoll geistreich und zugleich rührend unterhaltsam zu sein - das schaffen auch nur die Russen. e.o./g.o.


DAS URTEIL EIN BEISPIEL, DASS EIN GELEBTES ORCHESTERKONZERT ZU DEN SCHÖNSTEN KUNSTEREIGNISSEN ÜBERHAUPT ZÄHLT: LOTHAR KOENIGS HAT EIN GROSSES GESPÜR FÜR SCHOSTAKOWITSCH, WÄHREND ER BRITTEN EHER MIT LOGIK BEGEGNET.

NÄCHSTE ORCHESTERKONZERTE:
Orchestermatinee: Schostakowitsch-Dünser-Britten-Schostakowitsch * Mit: Symphonieorchester Vorarlberg * Dirigent: Gérard Korsten * Mit: Benjamin Schmid, Violine * Ort: Festspielhaus Bregenz * Zeit: 12.8.2007: 11h

Orchestermatinee: Britten-Britten-Schostakowitsch * Mit: Symphonieorchester des Bayrerischen Rundfunks * Dirigent: Mariss Jansons * Mit: Frank Peter Zimmermann, Violine * Ort: Festspielhaus Bregenz * Zeit: 19.8.2007: 11h

Monday, August 06, 2007

OPERETTE: NICHOLAS BROADHURST SCHEITERT AN "PAUL BUNYAN"

Es fängt vielversprechend an, mit dem Prolog der jungen Bäume, die zur großen amerikanischen Wirtschaftsmacht auswachsen wollen ...

... mit lustigen Holzfällern, die von Schildbürgern zu ernsten Arbeitern werden ...

... doch Cheerleader, Boxer, uvm., kippen von der absichtlichen Überzeichnung zum Lachen lediglich in grenzenlose Peinlichkeit. (Fotos © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster)


KORNMARKTTHEATER - BREGENZER FESTSPIELE NICHOLAS BROADHURST STOPFT ALLES IN EINEN DEUTSCHEN PAUL BUNYAN, SODASS NICHT EINMAL MEHR BRITTENS MUSIK FUNKTIONIERT

Es fängt mit der Sicht auf das Baum-Bühnenbild der Gebrüder Quay vielversprechend an, aber der Gesang in deutscher Sprache ist bereits das Zeichen, dass die Inszenierung von Nicholas Broadhurst zu einem absoluten Schas ausarten wird. Versucht wird so etwas, wie eine Monty-Python-Überzeichnung, vom Werden und Gedeihen der amerikanischen Zivilisation, von der in Brittens Operette Paul Bunyan märchenhaft erzählt wird. Die beabsichtigt groteske Ironie ist allerdings nie zu spüren, sondern wird nur als geschmacklose Aneinanderreihung naiver Nummern empfunden. Was dieser österreichischen Erstaufführung im Bregenzer Kornmarkttheater sichtlich fehlt, ist die Distanz, damit der Effekt des Witzes greifen kann.

Paul Bunyan als deutscher Gott

Ein Paul Bunyan, mit der bühnendeutschen Gottesstimme des Schauspielers Helmut Krauss, die dummen Schildbürger aus Holzfällern, die dann zum Teil zu Zivilisten werden, die Eifersucht im Alltagskampf, die banal-oberflächlichen Liebenden mit zumindest einer auffällig guten Sängerin Gillian Keith als Tiny, der unpassend deutsche und gitarrespielende Barden-(Schlager)-Sänger als Erzähler Markus Pol in Cowboy-Indianer-Verkleidung zwischen den Szenen, und das Sauf- und Freßgelage am Ende, das dem Schlußbild eines Asterix-und-Obelix-Comics entnommen ist, sowie utopische Cheerleader, Boxer- und Raumfahrerfiguren zwischendurch von der Zukunft Amerikas als Wirtschaftsmacht als Running Gag - das alles wirkt überhaupt nicht, weil schon die Musik Brittens ohne jede Reflexion nummernhaft direkt komponiert ist.

Nicht gelungene Überzeichnung

Diese Musik (Brittens erste Musiktheater-Komposition), die von Steuart Bedford geradlinig dirigiert und vom Symphonieorcheser Vorarlberg beschwingt gespielt wurde, hätte also unbedingt eine reduzierte Form gebraucht, damit das naive, in der Handlung bereits üppige Werk insgesamt halbwegs erträglich kommt. Doch auch noch die Choregrafie von Struan Leslie ist platt und ohne Raffinesse. Damit wird der ganze Abend zur Qual, und wäre nicht eine Kritik zu schreiben, würde ich normalerweise aus Protest aufstehen und vorzeitig gehen! - Dieser Müll wird auch noch an der Volksoper Wien laufen. Hoffentlich wird er umgearbeitet! e.o.


DAS URTEIL DER AMERIKANISCHE TRAUM IN DEUTSCHER SPRACHE IST SCHON MAL MISSLUNGEN. DIE NUMMERNHAFTE TONALE MUSIK KÖNNTE WIRKEN, WÄRE DIE INSZENIERUNG REDUZIERT. OHNE FUNKTIONIERENDEN WITZ. EINE QUAL.

Sunday, August 05, 2007

OPER: "TOD IN VENEDIG" ASIATISCH-BRITISCH- ITALIENISCH VON YOSHI OIDA

Der deutsche Dichter Aschenbach (Alan Oke) in Schaffenskrise lässt sich zu einer Venedigreise überreden - doch von Beginn an lauert hier der Tod: beim unheimlichen Gondoliere-Fährmann.

Und obwohl er sich vom klassischen Antlitz eines polnischen Knaben faszinieren lässt ...

... sodass er sich wie zufällig in dessen Nähe begeben muss ...

... sein Geist in antiken Sportkämpfen um Gott Apoll fantasievoll umher wandert ...

... hat er doch mit seinem Leben abgeschlossen. Aschenbach stirbt mit seinen visionären Kunstidealen in Venedig. (Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster)


FESTSPIELHAUS - BREGENZER FESTSPIELE YOSHI OIDA VERPACKT ASCHENBACHS LETZTE REISE IN EIN GESCHLOSSEN GLATTES SELBSTMORD-SYSTEM: ALS TOD IN VENEDIG EBEN

Wer sich mit der Beziehung zwischen Homosexualität und Kunst auseinandersetzt, gelangt früher oder später an einen vagen Schweigepunkt. Denn themenbezogene Kunstereignisse schwanken als Antwortquelle stets zwischen "keinem Zusammenhang" und "einem Zusammenhang". In Benjamin Brittens letzter Oper Tod in Venedig trifft zweites zu. Sie läßt dennoch offen, was der stärkere Antrieb bzw. die Bedingung des einen für das andere sein mag: das sexuelle Empfinden oder das Streben nach formvollendet höchster Ästhetik. Des weiteren bleibt zu fragen, ob das, aus gesellschaftlichen Gründen unterdrückte Verlangen zu umso größerem künstlerischem Schaffenswillen führt, oder ob es allein am vorschwebenden Objekt der Begierde liegt, das die konstruktive Energie freisetzt.

Zu glatte Regie

Auch die Inszenierung des gebürtigen Japaners Yoshi Oida im Bregenzer Festspielhaus gibt keine endgültigen Antworten auf all diese Fragen, sie stellt sie viel mehr. Und das ist das große Plus dieser Aufführung. Pur, klar, ästhetisch in sich geschlossen, entspricht ihre schöne Form dem Kunstbegriffsideal des homoerotischen Roman- und Ausgangsstoffautors Thomas Mann, sowie jenem der von allem Überflüssigen befreiten, ausdrucksklaren Musik des homosexuellen Benjamin Britten: "Der Komponist muss fähig sein, eine Stimmung, eine Atmosphäre in einer einzigen Phrase wiederzugeben, und muss unaufhörlich nach der einen geeigneten suchen!" Es ist der Nachsatz, mit dem Britten über die ästhetische Perfektion, die allzu klinisch wirken kann, hinauswächst, weshalb seine Musik in diesem letzten Werk, das er unter quälender Krankheit schrieb, gefühlvoll dirigiert von Paul Daniel und gespielt von den Wiener Symphonikern, um vieles interessanter ist, als Oidas perfekte Regie. Denn so schön das Stück im Bregenzer Festspielhaus anzusehen ist, so lang wirken manche Passagen im zweiten Akt.

Raffinierte Musik

Glücklicherweise strebt das menschliche Sensorium in diesem Fall danach, die Langatmigkeit mit dem bewußten Hören auf Brittens subtile Musik auszugleichen, die jede Euphorie unterdrückt, selbst wenn der von Beginn an lebensmüde Titelheld und Schriftsteller in Schaffenskrise, Aschenbach, in vorübergehender Hoffnungsstimmung schwelgt, als er um 1900 von München nach Venedig reist. Trotz der Geigenklänge bricht der Ton von Freude nie ganz durch, er bleibt indirekt - und das macht Brittens Musik so eigenständig. - Ein Beispiel für den gesamten Kompositionsstil der reifen Phase des britischen Komponisten: er spricht jedes negative und positive Gefühl hörbar an, verfremdet es jedoch intellektuell. Genau so, wie er seine lebenslange, große, auch künstlerische Liebesbeziehung zu seiner Muse - dem Tenor mit der ihn inspirierenden hellen und klaren Stimme - Peter Pears, von der Öffentlichkeit bestmöglich verbarg. Mit 23 schrieb Britten in sein Tagebuch: "Jetzt ist für mich die Zeit gekommen, eine Entscheidung über mein Sexualleben zu fällen." Diese Beziehung steht dafür, dass eher die kongeniale künstlerische Vision zur Liebe führt, als primär die körperliche Anziehung zweier Männer. Was wiederum die Theorie des Narziß aufwirft, der hinter allem homosexuellen Begehren stehen mag. Dass der Mensch (Künstler) in religiöser Ehrfurcht vor seinem Willen zum Sein über sein eigenes Idealbild hinaus zu wachsen versucht.

Handlung als Selbmordverlauf

Yoshi Oida, der das ganze Stück als Selbstmord-Verlauf Aschenbachs sieht, worin sich der Künstler mit seinem Ideal von Schönheit und Kunst begräbt, lässt die Handlung von Anfang an in einem geschlossenen, von Tom Schenk verbarrikadierten Raum spielen, indem die Bühnenrückwand wie die braunen Wände des Festspielhaus-Auditoriums in langen Holzsträngen gehalten ist. Lediglich ein kleines Bild in Rückwandmitte enthält vom zweidimensionalen Gemälde-Inhalt zum dreidimensionalen Meeresbrandung-Video mehr oder weniger Vitalität, je nach Gemütszustand des Dichters, der sich in endlosen Monologen in Zerrissenheit, Selbsterkenntnis und Selbstdisziplin übt, während er auf schwarzen Stegen und asiatisch-choreografiert fortbewegten Gondeln zwischen Leben und Tod balanciert. Tenor Alan Oke meistert die Partie in verhaltener Distanz, sodass sein Gesang genau die lyrische Klangfarbe erhält, die diese Figur haben muss. Nie ist sein Ton kräftig und lebenbejahend, denn dieser Mensch liebt nur noch stumm in sich hinein. Als Bilanz seines Lebens.

Zu schwach für den Lebensmut

So ist die britisch-asiatisch verfremdete italienische Frauen-Aufreißerszene, mit der Aschenbach typisch für Venedig empfangen wird, ein extremes Gegenbild dafür, wie außenseiterhaft sich der Künstler auf dieser konventionell sexistischen Welt fühlt. Ihn reizt nur die klassische Anmut in Gesicht und Körper eines polnischen Jungen, der mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern im selben Hotel wohnt. So gerne Aschenbach den Jungen ansprechen wollte, schon weil die Cholera herrscht und er ihn dadurch schützen könnte, so wenig kann er sich dazu aufraffen: weil er in Wahrheit mit dessen Schönheit begraben sein will. Alles, was ihm begegnet - der unheimliche Fährmann Charon, die Verkäuferin fauler Erdbeeren - deutet auf den nahenden Tod hin. Und doch ist es der Glaube an die antike Schönheit wie in griechischen Sportkämpfen unter Gott Apoll (Kontratenor Will Towers) und umgesetzt vom athletischen Tanztheater Nürnberg, der ihn sein Leben friedlich ausklingen lässt. Träumend sagt er: "Schönheit ist des Geistes Sieger."

Ein letztes Aufbäumen der ersehnten Lebenshoffnung, "Was, wenn alle tot wären und wir beide hier allein?", zeichnet einerseits das optionale Bild vom gemeinsamen Liebestod, da sich der Dichter aber "verabschiedet", "Wir müssen alles verlassen, was wir lieben", dominiert letztlich doch die selbstlose Aufgabe. Denn unter trivialen Leuten wie dem Reisenden, dem älteren Geck, dem alten Gondoliere, dem Hotelmanager, dem Coiffeur, dem Strassensänger-Führer und dem Dionysos - alle schauspielerisch farben- und typenreich verkörpert von Bassbariton Peter Sidhom -, sowie den Reisebüro-Schauspielern Tom Lawrence und Duncan Macdonnell, scheint der Kampf einer derart übernatürlichen Liebe aussichtslos. e.o.


DAS URTEIL - EINE GESCHICHTE, WIE EHER EIN NARZISS ALS EIN UNTERDRÜCKTER HOMOSEXUELLER AUS DEM LEBEN GEHT. - GUT DIRIGIERT, GUT MUSIZIERT, ABER FORMAL ZU GLATT. DAS TRIFFT DIE ÄSTHETISCHE VISION DES STÜCKS, STELLT SIE IN DER WIRKUNG (ALS HOMOSEXUELLENIDEAL) ABER INFRAGE.

Thursday, August 02, 2007

PERFORMANCE: IN DEN VIER WÄNDEN VON IVO DIMCHEVS "LILI HANDEL"

Lili Handel (Ivo Dimchev) ist eine alternde Diva, die sich in ihren vier Wänden noch immer die begehrte, sexy, bestverkäufliche Frau vormacht (Foto © Tamas Katko)



KASINO AM SCHWARZENBERGPLATZ - IMPULSTANZ DER BULGARISCHE MULTIKÜNSTLER IVO DIMCHEV ZIEHT LILI HANDEL AUS - ALS FRAU, DIE SICH MIT GRÖSSTER LUST BIS AUFS BLUT VERKAUFT

Außergewöhnlich, eigenständig und absolut neu - das ist die Art, wie der bulgarische Choreograf, Tänzer, Schauspieler, Komponist und Fotograf Ivo Dimchev (31) die alternde Diva Lili Handel seit 2004 auf umjubelte Bühnen stellt, und so auch beim Wiener ImPulsTanz-Festival 2007. Er gibt dieser Frau, die er selbst im Solo verkörpert, den Subtitel "Blut, Poesie und Musik aus dem Boudoir der weißen Hure". - Hure, da sie sich bis aufs - live mit Spritze abgenommene - Blut als Höhepunkt der Show, noch einmal und gerne verkauft, während sie sich mit erotischen Symbolen umgibt, die ihr bis zum abstrakten multiplen Orgasmus sexy Gefühle verleihen.

In der Pose liegt das Geheimnis

Trippelt sie mit Federboa und Stöckelschuhen zur verzerrten Musiknummer von Mona Lisa herein, unschlüssig keck, und mit nichts auf ihrem ganzrasierten, nackten Körper als einem Netztanga über dem Glied, so scheint da eine exhibitionistisch-manierierte und doch verletzlich-naive Mischfrau zu stolzieren. Doch sobald es heißt, mit dem Körper zu sprechen, ihn ins rechte Licht zu rücken, um ladylike, über eine griechisch-antike Sportlerfigur bis zur kryptisch-gebogenen Sphinx zu posieren, so geschieht das doch aus dem Gestaltungswillen eines Mannes heraus, und zwar in erster Linie eines sehr maskulin-musikalischen Künstlers. Denn hier wird nicht einfach eine schwule Transvestitennummer abgespult, sondern wirklich ein abartiger Zugang des Außergewöhnlichen gefunden. Streckt sie ihren Hintern in die Höhe, um damit - wild hin und her rockend - einen Hardpunk zum rasend schnellen, elektronisch bearbeiteten Tutti Frutti hinzufetzen, so ist das der erste Schritt zum Grenzübertritt substanziellen Fleisch-Innenlebens.

Divenwrack mit ejakulierendem Waldhorn

Stark wirkt dieses Divenwrack, sobald es verzögernd räkelnd posiert, ob mit oder ohne Feauteuil-Sessel, oder wenn es sich einen Cowboyhut aufsetzt und auf dem Stuhl einen riesenschritthaften Luftgalopp hinlegt. Die körperbetonte Glamourlady schlägt sich selbst auf den Arsch und bewegt ihren wippenden Glatzkopf als koitierenden Penis. Sie singt danach mit Kopfstimme, und findet ein Phallusobjekt nach dem anderen: "This is my stick. ..." - Sie legt damit einen Bandeautanz hin: "Look, look, I´m so excited, I´m always so excited." - Hier zeigt ein einst gefeierter Star als sich selbstüberschätzendes Kind seine intimen Kunststücke her, die weder zirkushaft noch genial sind, dafür mit Blick auf die gesamte Frau und ihre Geschichte bitter und berührend komisch. "This is my Waldhorn. I love my Waldhorn", stellt sie ihre größte Liebesbeziehung vor, weil das mythenreiche Musikinstrument eine Schleimflüssigkeit ausgibt, sobald sie hineinbläst; oder es dient ihr als Hüter ihrer spärlichen Einnahmen, nachdem sie ihr ans Publikum - in Wien um 25 Euro - versteigertes Blut verscherbelt hat. Mit dem Abba-Lied I had a dream geht sie schließlich ab. - Ein Bühnen-Traum, der in dieser Frau wohl bis zum bitteren Ende schlummern wird. e.o./m.t.


DAS URTEIL EIN MANN, DER DIE DIVEN-POSE UND -ALLÜRE NEU ERFINDET UND DARAUS EIN SKURRIL-BITTERES KUNSTWERK MACHT.