Und obwohl er sich vom klassischen Antlitz eines polnischen Knaben faszinieren lässt ...
... sodass er sich wie zufällig in dessen Nähe begeben muss ...
... sein Geist in antiken Sportkämpfen um Gott Apoll fantasievoll umher wandert ...
... hat er doch mit seinem Leben abgeschlossen. Aschenbach stirbt mit seinen visionären Kunstidealen in Venedig. (Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster)
FESTSPIELHAUS - BREGENZER FESTSPIELE YOSHI OIDA VERPACKT ASCHENBACHS LETZTE REISE IN EIN GESCHLOSSEN GLATTES SELBSTMORD-SYSTEM: ALS TOD IN VENEDIG EBEN
Wer sich mit der Beziehung zwischen Homosexualität und Kunst auseinandersetzt, gelangt früher oder später an einen vagen Schweigepunkt. Denn themenbezogene Kunstereignisse schwanken als Antwortquelle stets zwischen "keinem Zusammenhang" und "einem Zusammenhang". In Benjamin Brittens letzter Oper Tod in Venedig trifft zweites zu. Sie läßt dennoch offen, was der stärkere Antrieb bzw. die Bedingung des einen für das andere sein mag: das sexuelle Empfinden oder das Streben nach formvollendet höchster Ästhetik. Des weiteren bleibt zu fragen, ob das, aus gesellschaftlichen Gründen unterdrückte Verlangen zu umso größerem künstlerischem Schaffenswillen führt, oder ob es allein am vorschwebenden Objekt der Begierde liegt, das die konstruktive Energie freisetzt.
Zu glatte Regie
Auch die Inszenierung des gebürtigen Japaners Yoshi Oida im Bregenzer Festspielhaus gibt keine endgültigen Antworten auf all diese Fragen, sie stellt sie viel mehr. Und das ist das große Plus dieser Aufführung. Pur, klar, ästhetisch in sich geschlossen, entspricht ihre schöne Form dem Kunstbegriffsideal des homoerotischen Roman- und Ausgangsstoffautors Thomas Mann, sowie jenem der von allem Überflüssigen befreiten, ausdrucksklaren Musik des homosexuellen Benjamin Britten: "Der Komponist muss fähig sein, eine Stimmung, eine Atmosphäre in einer einzigen Phrase wiederzugeben, und muss unaufhörlich nach der einen geeigneten suchen!" Es ist der Nachsatz, mit dem Britten über die ästhetische Perfektion, die allzu klinisch wirken kann, hinauswächst, weshalb seine Musik in diesem letzten Werk, das er unter quälender Krankheit schrieb, gefühlvoll dirigiert von Paul Daniel und gespielt von den Wiener Symphonikern, um vieles interessanter ist, als Oidas perfekte Regie. Denn so schön das Stück im Bregenzer Festspielhaus anzusehen ist, so lang wirken manche Passagen im zweiten Akt.
Raffinierte Musik
Glücklicherweise strebt das menschliche Sensorium in diesem Fall danach, die Langatmigkeit mit dem bewußten Hören auf Brittens subtile Musik auszugleichen, die jede Euphorie unterdrückt, selbst wenn der von Beginn an lebensmüde Titelheld und Schriftsteller in Schaffenskrise, Aschenbach, in vorübergehender Hoffnungsstimmung schwelgt, als er um 1900 von München nach Venedig reist. Trotz der Geigenklänge bricht der Ton von Freude nie ganz durch, er bleibt indirekt - und das macht Brittens Musik so eigenständig. - Ein Beispiel für den gesamten Kompositionsstil der reifen Phase des britischen Komponisten: er spricht jedes negative und positive Gefühl hörbar an, verfremdet es jedoch intellektuell. Genau so, wie er seine lebenslange, große, auch künstlerische Liebesbeziehung zu seiner Muse - dem Tenor mit der ihn inspirierenden hellen und klaren Stimme - Peter Pears, von der Öffentlichkeit bestmöglich verbarg. Mit 23 schrieb Britten in sein Tagebuch: "Jetzt ist für mich die Zeit gekommen, eine Entscheidung über mein Sexualleben zu fällen." Diese Beziehung steht dafür, dass eher die kongeniale künstlerische Vision zur Liebe führt, als primär die körperliche Anziehung zweier Männer. Was wiederum die Theorie des Narziß aufwirft, der hinter allem homosexuellen Begehren stehen mag. Dass der Mensch (Künstler) in religiöser Ehrfurcht vor seinem Willen zum Sein über sein eigenes Idealbild hinaus zu wachsen versucht.
Handlung als Selbmordverlauf
Yoshi Oida, der das ganze Stück als Selbstmord-Verlauf Aschenbachs sieht, worin sich der Künstler mit seinem Ideal von Schönheit und Kunst begräbt, lässt die Handlung von Anfang an in einem geschlossenen, von Tom Schenk verbarrikadierten Raum spielen, indem die Bühnenrückwand wie die braunen Wände des Festspielhaus-Auditoriums in langen Holzsträngen gehalten ist. Lediglich ein kleines Bild in Rückwandmitte enthält vom zweidimensionalen Gemälde-Inhalt zum dreidimensionalen Meeresbrandung-Video mehr oder weniger Vitalität, je nach Gemütszustand des Dichters, der sich in endlosen Monologen in Zerrissenheit, Selbsterkenntnis und Selbstdisziplin übt, während er auf schwarzen Stegen und asiatisch-choreografiert fortbewegten Gondeln zwischen Leben und Tod balanciert. Tenor Alan Oke meistert die Partie in verhaltener Distanz, sodass sein Gesang genau die lyrische Klangfarbe erhält, die diese Figur haben muss. Nie ist sein Ton kräftig und lebenbejahend, denn dieser Mensch liebt nur noch stumm in sich hinein. Als Bilanz seines Lebens.
Zu schwach für den Lebensmut
So ist die britisch-asiatisch verfremdete italienische Frauen-Aufreißerszene, mit der Aschenbach typisch für Venedig empfangen wird, ein extremes Gegenbild dafür, wie außenseiterhaft sich der Künstler auf dieser konventionell sexistischen Welt fühlt. Ihn reizt nur die klassische Anmut in Gesicht und Körper eines polnischen Jungen, der mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern im selben Hotel wohnt. So gerne Aschenbach den Jungen ansprechen wollte, schon weil die Cholera herrscht und er ihn dadurch schützen könnte, so wenig kann er sich dazu aufraffen: weil er in Wahrheit mit dessen Schönheit begraben sein will. Alles, was ihm begegnet - der unheimliche Fährmann Charon, die Verkäuferin fauler Erdbeeren - deutet auf den nahenden Tod hin. Und doch ist es der Glaube an die antike Schönheit wie in griechischen Sportkämpfen unter Gott Apoll (Kontratenor Will Towers) und umgesetzt vom athletischen Tanztheater Nürnberg, der ihn sein Leben friedlich ausklingen lässt. Träumend sagt er: "Schönheit ist des Geistes Sieger."
Ein letztes Aufbäumen der ersehnten Lebenshoffnung, "Was, wenn alle tot wären und wir beide hier allein?", zeichnet einerseits das optionale Bild vom gemeinsamen Liebestod, da sich der Dichter aber "verabschiedet", "Wir müssen alles verlassen, was wir lieben", dominiert letztlich doch die selbstlose Aufgabe. Denn unter trivialen Leuten wie dem Reisenden, dem älteren Geck, dem alten Gondoliere, dem Hotelmanager, dem Coiffeur, dem Strassensänger-Führer und dem Dionysos - alle schauspielerisch farben- und typenreich verkörpert von Bassbariton Peter Sidhom -, sowie den Reisebüro-Schauspielern Tom Lawrence und Duncan Macdonnell, scheint der Kampf einer derart übernatürlichen Liebe aussichtslos. e.o.
Wer sich mit der Beziehung zwischen Homosexualität und Kunst auseinandersetzt, gelangt früher oder später an einen vagen Schweigepunkt. Denn themenbezogene Kunstereignisse schwanken als Antwortquelle stets zwischen "keinem Zusammenhang" und "einem Zusammenhang". In Benjamin Brittens letzter Oper Tod in Venedig trifft zweites zu. Sie läßt dennoch offen, was der stärkere Antrieb bzw. die Bedingung des einen für das andere sein mag: das sexuelle Empfinden oder das Streben nach formvollendet höchster Ästhetik. Des weiteren bleibt zu fragen, ob das, aus gesellschaftlichen Gründen unterdrückte Verlangen zu umso größerem künstlerischem Schaffenswillen führt, oder ob es allein am vorschwebenden Objekt der Begierde liegt, das die konstruktive Energie freisetzt.
Zu glatte Regie
Auch die Inszenierung des gebürtigen Japaners Yoshi Oida im Bregenzer Festspielhaus gibt keine endgültigen Antworten auf all diese Fragen, sie stellt sie viel mehr. Und das ist das große Plus dieser Aufführung. Pur, klar, ästhetisch in sich geschlossen, entspricht ihre schöne Form dem Kunstbegriffsideal des homoerotischen Roman- und Ausgangsstoffautors Thomas Mann, sowie jenem der von allem Überflüssigen befreiten, ausdrucksklaren Musik des homosexuellen Benjamin Britten: "Der Komponist muss fähig sein, eine Stimmung, eine Atmosphäre in einer einzigen Phrase wiederzugeben, und muss unaufhörlich nach der einen geeigneten suchen!" Es ist der Nachsatz, mit dem Britten über die ästhetische Perfektion, die allzu klinisch wirken kann, hinauswächst, weshalb seine Musik in diesem letzten Werk, das er unter quälender Krankheit schrieb, gefühlvoll dirigiert von Paul Daniel und gespielt von den Wiener Symphonikern, um vieles interessanter ist, als Oidas perfekte Regie. Denn so schön das Stück im Bregenzer Festspielhaus anzusehen ist, so lang wirken manche Passagen im zweiten Akt.
Raffinierte Musik
Glücklicherweise strebt das menschliche Sensorium in diesem Fall danach, die Langatmigkeit mit dem bewußten Hören auf Brittens subtile Musik auszugleichen, die jede Euphorie unterdrückt, selbst wenn der von Beginn an lebensmüde Titelheld und Schriftsteller in Schaffenskrise, Aschenbach, in vorübergehender Hoffnungsstimmung schwelgt, als er um 1900 von München nach Venedig reist. Trotz der Geigenklänge bricht der Ton von Freude nie ganz durch, er bleibt indirekt - und das macht Brittens Musik so eigenständig. - Ein Beispiel für den gesamten Kompositionsstil der reifen Phase des britischen Komponisten: er spricht jedes negative und positive Gefühl hörbar an, verfremdet es jedoch intellektuell. Genau so, wie er seine lebenslange, große, auch künstlerische Liebesbeziehung zu seiner Muse - dem Tenor mit der ihn inspirierenden hellen und klaren Stimme - Peter Pears, von der Öffentlichkeit bestmöglich verbarg. Mit 23 schrieb Britten in sein Tagebuch: "Jetzt ist für mich die Zeit gekommen, eine Entscheidung über mein Sexualleben zu fällen." Diese Beziehung steht dafür, dass eher die kongeniale künstlerische Vision zur Liebe führt, als primär die körperliche Anziehung zweier Männer. Was wiederum die Theorie des Narziß aufwirft, der hinter allem homosexuellen Begehren stehen mag. Dass der Mensch (Künstler) in religiöser Ehrfurcht vor seinem Willen zum Sein über sein eigenes Idealbild hinaus zu wachsen versucht.
Handlung als Selbmordverlauf
Yoshi Oida, der das ganze Stück als Selbstmord-Verlauf Aschenbachs sieht, worin sich der Künstler mit seinem Ideal von Schönheit und Kunst begräbt, lässt die Handlung von Anfang an in einem geschlossenen, von Tom Schenk verbarrikadierten Raum spielen, indem die Bühnenrückwand wie die braunen Wände des Festspielhaus-Auditoriums in langen Holzsträngen gehalten ist. Lediglich ein kleines Bild in Rückwandmitte enthält vom zweidimensionalen Gemälde-Inhalt zum dreidimensionalen Meeresbrandung-Video mehr oder weniger Vitalität, je nach Gemütszustand des Dichters, der sich in endlosen Monologen in Zerrissenheit, Selbsterkenntnis und Selbstdisziplin übt, während er auf schwarzen Stegen und asiatisch-choreografiert fortbewegten Gondeln zwischen Leben und Tod balanciert. Tenor Alan Oke meistert die Partie in verhaltener Distanz, sodass sein Gesang genau die lyrische Klangfarbe erhält, die diese Figur haben muss. Nie ist sein Ton kräftig und lebenbejahend, denn dieser Mensch liebt nur noch stumm in sich hinein. Als Bilanz seines Lebens.
Zu schwach für den Lebensmut
So ist die britisch-asiatisch verfremdete italienische Frauen-Aufreißerszene, mit der Aschenbach typisch für Venedig empfangen wird, ein extremes Gegenbild dafür, wie außenseiterhaft sich der Künstler auf dieser konventionell sexistischen Welt fühlt. Ihn reizt nur die klassische Anmut in Gesicht und Körper eines polnischen Jungen, der mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern im selben Hotel wohnt. So gerne Aschenbach den Jungen ansprechen wollte, schon weil die Cholera herrscht und er ihn dadurch schützen könnte, so wenig kann er sich dazu aufraffen: weil er in Wahrheit mit dessen Schönheit begraben sein will. Alles, was ihm begegnet - der unheimliche Fährmann Charon, die Verkäuferin fauler Erdbeeren - deutet auf den nahenden Tod hin. Und doch ist es der Glaube an die antike Schönheit wie in griechischen Sportkämpfen unter Gott Apoll (Kontratenor Will Towers) und umgesetzt vom athletischen Tanztheater Nürnberg, der ihn sein Leben friedlich ausklingen lässt. Träumend sagt er: "Schönheit ist des Geistes Sieger."
Ein letztes Aufbäumen der ersehnten Lebenshoffnung, "Was, wenn alle tot wären und wir beide hier allein?", zeichnet einerseits das optionale Bild vom gemeinsamen Liebestod, da sich der Dichter aber "verabschiedet", "Wir müssen alles verlassen, was wir lieben", dominiert letztlich doch die selbstlose Aufgabe. Denn unter trivialen Leuten wie dem Reisenden, dem älteren Geck, dem alten Gondoliere, dem Hotelmanager, dem Coiffeur, dem Strassensänger-Führer und dem Dionysos - alle schauspielerisch farben- und typenreich verkörpert von Bassbariton Peter Sidhom -, sowie den Reisebüro-Schauspielern Tom Lawrence und Duncan Macdonnell, scheint der Kampf einer derart übernatürlichen Liebe aussichtslos. e.o.
DAS URTEIL - EINE GESCHICHTE, WIE EHER EIN NARZISS ALS EIN UNTERDRÜCKTER HOMOSEXUELLER AUS DEM LEBEN GEHT. - GUT DIRIGIERT, GUT MUSIZIERT, ABER FORMAL ZU GLATT. DAS TRIFFT DIE ÄSTHETISCHE VISION DES STÜCKS, STELLT SIE IN DER WIRKUNG (ALS HOMOSEXUELLENIDEAL) ABER INFRAGE.
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