Mathilde bekommt so eine "Wut", dass sie die Worte (in ihrem Kopf) wie ein verspieltes Kind, erschießen will.
TANZQUARTIER MATHILDE MONNIER, DIE STARKE FRANZÖSISCHE - ECHTE - AUSNAHME - CHOREOGRAFIN WAR MIT EINEM SOLO IN WIEN: IN LA PLACE DU SINGE TANZT SIE MIT NICHTS ANDEREM ALS MIT UND GEGEN WORTE(N) - DER AUTORIN CHRISTINE ANGOT
Mathilde Monnier "liebt Literatur". Wenn man das von einer zeitgenössischen Tänzerin hört, möchte man eher nicht in ihre Vorstellung gehen. Denn zu befürchten ist: Wieder so eine, die über ihr "Werk" mehr quatscht, als es von selbst zu "sagen" in der Lage ist. Es ist unglaublich, wie mancher zeitgenössische Tänzer (Künstler) sich dadurch hinauf zu hieven versteht. Unverschämt unglaublich ist das. Mathilde Monnier nun aber, gehört nicht zu dieser Type. Denn sie "tanzt" und artikuliert Literatur auf der Bühne. Als eine der edelsten Erscheinungen im Tanzgeschehen weiß sie sich als Persönlichkeit genauso wie in unaufdringlich expressiver Weise auszudrücken. Ihr Frère et Soeur war letzten Sommer neben Ismael Ivos Solo das stärkste Ereignis des ImPulsTanz-Festivals.
"Menschlich" vergehen 55 Minuten schnell
Und jetzt kam sie mit dem "kleinen Stück" La Place du singe ins Wiener Tanzquartier.
55 Minuten können im zeitgenössischen Tanz lang sein. Wenn man nicht erkennt, was die Tänzer ansprechen oder wenn sie sich in Wiederholungen verlieren. Bei Mathilde Monnier kann man jede Bewegung nachvollziehen, obwohl ihre Bewegungen sperrig sind. Darin liegt die Kunst. Das ist bewegte Erzählung. Das ist interessant. Das ist kurzweilig. Das ist menschlich. Und wenn Mathilde Monnier selbst tanzt, liebt man sie auch als Mensch. Aber eben als sehr edlen! Denn ihre Bewegung ist von einer Anmut, einer Leichtigkeit, einer Gut-Erzogenheit, wie man sie hierzulande eigentlich überhaupt nicht findet. Und gerade die "gute Erziehung" ist nun aber ihr Thema, die von ihrer Herkunft stammt und in den Text ihrer Co-Partnerin, der Autorin Christine Angot, neben anderen Biografien zu einer verwoben wurde.
Der abgelegte Traum von der Bürgerlichkeit
Während die eine nun liest, die andere tanzt, möchte man glauben, der Text beschreibe jede von ihnen. Sie beide. Gut, Mathilde Monnier fast noch ein bißchen mehr: die "Angestellten"-Mutter käme aus einer jüdischen, mittellosen Familie, der Vater als großer Industriellen-Boss aus dem rassistischen Grossbürgertum, bei zuvor geäußerter Annahme, dass gerade solche Familien gerne ihre Familientradition "regelten". Deshalb hätte sie, die Bastard-Tochter, eigentlich immer lieber zur Familie des Vaters - den Besseren der Gesellschaft - gehört. - Sie lebten "angenehm" und "bequem", alles war gut "organisiert", und doch emotions- und spannungslos. Das war der Punkt, der Monnier tatsächlich betraf, wie sie in einem Interview erzählt. Und deshalb wurde sie Künstlerin. Weil sie das Bürgerliche, dessen Humorlosigkeit, dessen Schein-vor-Wahrheit-Manierlichkeit anwiderte.
Der gefährliche Traum von der Eigenständigkeit
Genau das tanzt Mathilde Monnier, während Christine Angot liest. Anfangs "knallt" sie übermütig in der Gestik eines kleinen Jungen, der eine Pistole hält und den Schuß aus dem Mund abfeuert, um sich, und auf die lesende Autorin. Selbstverständlich ist aber bereits das von einer Feinheit, wie sie nur eine Dame mit Witz haben kann. Und dann zieht sie sich aus, entledigt sich wortwörtlich ihrer Herkunft, steht mit schwarzer Unterhose da. Und was man sieht, ist sehr schön. Ein zartgliedriger, schmaler, der weiten Welt ausgelieferter Körper, aber mit trainierter und deshalb widerstandsfähiger, femininer Muskulatur, der sich frei und glücklich bewegt. Als er selbst. Behende balanciert die Zierliche über herein gestoßene und arrangierte Tische, deren Beine brennende Kerzen tragen. Und droht, abzurutschen, dazwischen zu fallen, weil sie im Stand nachgeben. Fiele sie durch, würde sie verbrennen. Auf diesem "unsicheren Boden", den sie nun "ohne Herkunft" ganz allein und ohne Rückhalt zu überqueren hat. Sie zieht sich also besser wieder an: eine Jeans, die ihr sehr gut paßt, einen roten Pulli, ein rosa Jäckchen, und "tanzt" zusammen mit der Autorin, mit dem Mikro in der Hand, einen rebellischen Rock-Song. - Auch so eine Art Boden, den man sich aufbauen kann.
Und der Kampf beginnt von vorn
"Ich beneide die Stiefgeschwister noch heute", liest Angot weiter, und Monniers Körper widerstrebt und hinterfragt sie von Neuem. Mit subtilem Witz tänzelt sie einen Kampf mit ihr aus, ohne sie je zu berühren. Denn ihre Worte, ihre Behauptungen sind ihre Gegner, als Stimmen in ihrem Kopf. Doch sie nimmt den Kampf gleichzeitig gelassen: es ist ernst und komisch zugleich, was sie da tanzt. Kann man auch nichts machen, hat ja jeder so seine Herkunft. Und es ist auch eine Ironie, dass Monnier ausgerechnet ihre Eleganz mit ihrer Eleganz austreiben will...
Tatsächlich denkt Monnier, dass die Herkunft heute gesellschaftlich keine Rolle mehr spielt, sagt sie im Interview: alles was zähle, sei Geld-zu-haben und berühmt-zu-sein. Hinzu kommt - und das sagt nun die Schreiberin dieses Kommentars -, dass solche Entweder-Oder-Behauptungen nur in der Kunst vorkommen, weil sie aus ästhetischen Kontrastgründen aufgestellt werden müssen. In Wahrheit ist das Wunschbild von einem selbst doch einem steten Wandel, dem ständigen Hin-und-Her, unterworfen. Aber das ist unwichtig: Schön war die Performance. e.o.
DAS URTEIL WAS IST DAS NUR FÜR EINE SEXY FRAU, DIESE MATHILDE MONNIER. ALS MANN MÜSSTE MAN SIE VERFÜHREN. ALS ZUSCHAUER MUSS MAN SIE, IHRE BEWEGUNG, IHRE ÄSTHETIK UND IHRE EIGENSTÄNDIGKEIT BEWUNDERN.
TANZ gustavia * "Humor" von und mit: Mathilde Monnier & La Ribot * Ort: Akademietheater, im Rahmen von ImPulsTanz Wien * Zeit: 15., 18.7.2008: 21h
TANZ gustavia * "Humor" von und mit: Mathilde Monnier & La Ribot * Ort: Akademietheater, im Rahmen von ImPulsTanz Wien * Zeit: 15., 18.7.2008: 21h
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