Friday, August 12, 2016

impulstanz 2016 – Tagebuch 6: UNEITLER „MACHO“ ISRAEL GALVÁN IN „FLA.CO.MEN“

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Israel Galván
beginnt FLA.CO.MEN mit einer ironischen Einführung des Flamenco: die Geigerin Eloísa Cantón übersetzt seine Zeichensprache überspitzt ins Englische.
--> Pure Faszination geht von dem Rhythmusgott Galván in spannender Lichtsetzung aus.


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Auf Geldmünzen barfuß zu tanzen, hört sich noch einmal anders an, es hat in Sachen Flamenco und dessen Geschichte jedoch gewiss eine tiefere Bedeutung. (Fotos © Hugo Gumiel)

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Was für eine Erscheinung! Dieser Rebell voller unberechenbarer Lebensfreude.



22.7., gegen 22h45, im Wiener Volkstheater:



Standing Ovations für Spanier Israel Galván.

Ich bin eine von jenen, die ihn anhimmeln.

Für jemanden wie mich,

der andauernd in Vorstellungen geht,

ist diese Form von Begeisterung selten.


Man wird ja irgendwann routiniert,

vielleicht sogar abgestumpft.

Es muss etwas ganz außergewöhnlich sein,

damit man sich von seinem Sessel erhebt.


Nun hatte Israel Galván wahrscheinlich nicht einmal seinen besten Tag. Man sah, als er sich verbeugte, dass seine beiden Beine bandagiert waren. Außerdem fehlte eine bestimmte Tanzsequenz, die im Video für vorab berichtende Journalisten zu sehen war. Jene Szene, wo Galván drei bis vier blitzschnelle Pirouetten dreht, um dann in der rasenden Bewegung ganz plötzlich mit dem Fuß auf der ausgestreckten Hand des Gitarristen Caracafé Proyecto Lorca abrupt zum Stillstand zu kommen.


Diese akrobatische Spitzenleistung gab es heute nicht, dafür war alles radikaler und übermütiger als im „Konzert“ der früheren Vorstellung.


Ich frage mich,

wie dieser vor Energie, Frechheit und Freude
sprühende Mann

in der Premiere vor zwei Tagen war.

Ich bin mir sicher, dass jede Vorstellung anders ist,

auch wenn – wie Galván versichert –,

alles, bis ins kleinste Detail geprobt ist.


So viel Spontaneität lässt sich nicht einstudieren.

Oder liegt gerade in dieser Charaktereigenschaft
die größte Begabung dieses Künstlers?

Es wie „das erste Mal“ aussehen zu lassen?


Die dem Stück zugrunde liegende Botschaft des legendären Flamenco-Komponisten und Sängers Enrique Morente, ,„beim Flamenco geht es darum, die Tradition zu übertragen und sich dabei des Verrats bewusst zu sein, der bei diesem Unterfangen immer mitschwingt“, ist in diesem Konzert mehr als nur präsent, wobei man aber als „Nicht-Flamencoaner“ dazu neigt, eher den „bewussten Verrat“ zu attestieren;
– der eine mit mehr Begeisterung,
– der andere mit weniger.
(Und das hat jetzt gar nichts damit zu tun, ob man nun ein Freund von Folklore ist, oder nicht.)


Jedenfalls meinte der für die Paartänze Sevillanas regieführende artistische Direktor Pedro G. Romero: „Destruktion und Konstruktivismus gehören nicht (nur) zu Galván, sondern zum Flamenco selbst. Die Reihenfolge der Silben (Titel: FLA.CO.MEN) mag verändert sein, es bleibt doch Flamenco.“


Nur so lässt es sich verstehen, dass der rebellische, Finger schnipsende Galván nach einer Trommel-Einlage mit seinem Fuß triumphierend ruft, „na, bin ich ein Zigeuner?“, und der ebenfalls mit dem Fuß paukende Flamenco-Sänger, David Lagos, trotzig antwortet, „ja, bist du!“. – Denn die Zigeuner beeinflussten den Flamenco historisch maßgebend. Und Galván ist genetisch einer von ihnen, dank seiner Flamenco tanzenden Mutter. Dass aus Galván ein Kuriosum werden musste, das ständig seinen Stachel in seinem Fleisch zu spüren scheint, ist schon an seinem Namen abzulesen: „Israel Galván“, mit jüdisch konnotiertem Vornamen bedeutend „Gott streitet (für uns)“ Sohn des Flamenco-Tänzers und Zeugen Jehovas, José Galván, der ihm im Kindesalter beängstigende Sprüche über den Weltuntergang zumutete.

Nun, da unsereinem am Flamenco alles „spanisch“ vorkommt, zählt am Ende nur die vielschichtige Verbindung jedes einzelnen Elementes zu einem für jeden Akteur und Betrachter stimmigen Ganzen. Es ist faszinierend, wie sich die Instrumente E-Bass und Geige (Eloísa Cantón), Gitarre (Caracafé Proyecto Lorca), Saxophon und Gaita del Gastor - ein hornartiges Aerophon (Juan M. Jiménez), Marimba, Kesselpauke, Timbal, Cajón flamenco, und andere Perkussionsinstrumente (Antonio Moreno), sowie die beiden Flamenco-Sänger (David Lagos, Tomás de Perrate) für westliche, am Zahn der Zeit stehende Kunstbefürworter zu einem authentisch „atmenden“ Konzert verbinden lassen, das insbesondere heute – wo die EU vor der Entscheidung steht, eine kulturelle Linie über alle Länder zu ziehen oder ihnen ihre Eigentümlichkeiten zu lassen – auch kulturpolitische Aussagekraft erhält. Doch wäre dieser starke Charismatiker Galván nicht, der dem Kunterbunten letzten Endes mit seinem breiten Kunstverständnis und körperlicher Vielfältigkeit Sinn verleiht, würde da mit Sicherheit gar nichts stimmen. Für wen passt schon Ligeti zur Rondena, Luigi Nono zur Granaina, die US-Band Antony and the Johnsons zur Verdiales und die Tarantella zum Taranto, ohne den Funken des Flamenco zu verlieren?


Da trippelt Galván also zuerst mit der Kochschürze herein. Er erklärt tanzend veranschaulichend, allerdings mit neckender Deutung, die traditionellen Gesten des Flamenco. Dass die Nase nach oben schauen muss, steht für sich selbst und bringt Spott genug. Für jedes kleine Zeichen braucht Galván ein ganzes Notenblatt. So groß scheint die Achtung der selbstbekennenden Traditionalisten vor jeder kleinsten Regel zu sein. Galván tauscht die Schürze gegen ein frauliches Taillenmieder ein (denn die Männer-Frauen-Unterschiede müssen im Flamenco streng eingehalten werden). Dann zerbricht er einen „festzementierten“ Flamenco-Schuh, in den Galván gerade noch im Duett mit der singenden Geigerin Eloísa Cantón geblasen hat. Schon da faszinieren die Qualität der Lichteffekte und des Tons, sowie der rhythmisch genau getimte Ablauf.


Bis die weiteren Musiker auftreten, setzt sich Galván mit einem Packerl Chips essend vor das Publikum. Im Hintergrund läuft derweilen aktuelle Computer-Popmusik, so wie sie in den Straßen Spaniens laufen könnte. Man fühlt sich wie in das Land versetzt. Da fährt die Percussion im Steppduett Galváns stark wie Technodrums unter die Zuschauerhaut. Die beiden versuchen sich als rhythmisches Bauch-Klopf-Duo, woran man merkt, wie Schlagzeug-orientiert Galváns Musikalität doch ist, und Percussionist Moreno tanzt später Flamenco. Allerdings haben alle Flamenco-Musiker und Sänger die Rhythmus-Begabung einverleibt. Ein Highlight ist das Klatschduett zwischen Sänger Lagos und Galván. Doch das andere Highlight, das ständig in der Luft liegt, ist die Unberechenbarkeit. Vor allem, wenn Galván ins Publikum steigt und stampfend, klatschend, steppend durch die Gänge knallt oder am Bühnenrand gegen die Kante hämmert. Bei diesem Schlag-Kommando muss die Bühne präpariert worden sein! Das verleiht der Vorstellung ein modernes Ambiente, das es mit jeder animierenden Disco aufnehmen könnte.


Während der Rock-Nummer holt der Tänzer den Notenständer wieder hervor und klebt sich die Notenblätter auf Kopf und Körper, die sich sogleich im Nirgendwo verteilen. Die Botschaft: Die Noten müssen ständig neu geschrieben werden, damit der Flamenco lebendig bleibt! Der Gitarrist balanciert wie in einer Zirkusnummer und entsprechender Musikbegleitung seine Gitarre auf den Händen – was so viel heißt, wie: „Man kann sich im Flamenco durchaus zum Clown machen! Man muss sich selbst nicht so ernst nehmen, um groß zu wirken.“ Die Stimmen, die Gitarre, sowie die Percussion führen in ihren klassischen Zugängen jedoch immer wieder zum Flamenco zurück, wobei für unsere westlich geprägten Ohren die Instrumente angenehmer klingen als der Vibrato-bestückte Gesang. Aber faszinierend ist und bleibt Galván, wenn er „seinen“ Flamenco tanzt, während ihm jede Sekunde anzusehen ist, wie langweilig ihm das „Normale“ sein würde. So verwundert es nicht, dass er im Zuge des Konzerts die Schuhe auszieht und barfuß auf einem Brett mit Geldmünzen steppt. Das erzeugt einen neuen Klang und wirft die Idee von der Bedeutung des Geldes in dieser Tradition auf.


Die 90 Minuten Konzertdauer vergehen wie im Flug. In höchster Spannung und begeistertem Staunen. Die Faszination steht den Zuschauern sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben, als Galván sich am Schluss im Flamenco-Rüschenkleid verbeugt – ein unvermuteter Gag, der ihm noch einmal Sympathien bringt. Denn manche "Men" = Männer des Flamenco haben genug Eier für eine humorvolle Extraportion Selbstironie.

– Das zeitgemäß Treffendste und – trotz Konzerts – Tänzerischste, was ImPulsTanz heuer unter all dem großen Star- und Qualitätsaufgebot zu bieten hatte! e.o.

DAS URTEIL
ISRAEL GALVÁNS FLA.CO.MEN IST DAS AUFREGENDSTE, WAS IMPULSTANZ JE GEZEIGT HAT. DIESER MANN IST AUF DER BÜHNE WEDER EITEL, ÜBERHEBLICH, NOCH MACHO, DENNOCH EIN DURCH-UND-DURCH-MANN MIT UNGLAUBLICHEM RHYTHMUSGEFÜHL UND CHARISMATISCHER PRÄSENZ. DASS ER AUCH NOCH SO NEUGIERIG IST, EIN SPANNENDES STÜCK MACHEN ZU WOLLEN, IST EINE ZUGABE, DIE IHM WAHRSCHEINLICH WICHTIGER IST ALS DEM PUBLIKUM.


TANZKONZERT FLA.CO.MEN
* Regie, Choreografie, Tanz: Israel Galván * Gesang: David Lagos, Tomás de Perrate * E-Bass und Geige: Eloísa Cantón * Gitarre: Caracafé Proyecto Lorca * Saxophon und Gaita del Gastor: Juan M. Jiménez * Marimba, Kesselpauke, Timbal, Cajón flamenco u.a. Perkussionsinstrumente: Antonio Moreno *Bühnenregie & Choreographie Sevillanas: Pedro G. Romero * Bühnenregie & Choreografie Alegrías: Patricia Caballero * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 20., 22.7.2016, 21h


TANZ & MUSIK LA FIESTA /  Das Fest * Konzept, Choreografie, Tanz: Israel Galván, Patricia Caballero * Mitwirkende: Nino de Elche, El Junco, La Uchi, Minako Seki, u.a. * Musik: Live * Dramaturgie: Pedro G. Romero * Ort: Festspielhaus St. Pölten * Zeit: 6.5.2017, 19h30 WELTPREMIERE!



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