Xavier Le Roy ist im zweiten Teil von Untitled
(2014) das unbewegte Subjekt, das zwei Mumien-Objekte zur Bewegung bringt (Foto
© Jamie North Kaldor Public Art Projects)
Xavier Le Roy ruft dazu auf, auch ohne
etwas von einem Künstler zu kennen, in dessen Vorstellung zu gehen: das habe
ich heuer bei Thiago Granato Treasured in the Dark gemacht (Foto © Bertrand
Delous) ...
-->
Er ist doch sowieso immer „unbekannt“ ...
21.7., gegen 22h30, im Wiener Akademietheater:
Xavier Le Roy befand sich in Untitled 2014
in legerer Alltagskleidung
zwischen Bühne und Zuschauerreihen,
und fragte mich,
ob ich zu jemandem Unbekannten,
– also ohne jede Vorab-Information –
kommen würde.
Er meinte, „ins Theater kommen“.
Frage:
Ist das Theater jetzt so etwas wie diese Mode des anonymen Partnertreffs?
Wo man sich Hals-über-Kopf in jemanden verlieben soll?
Erfolgschance: 1 zu 99?
Das heißt: 99 Reinfälle, 1 Treffer?
Wie groß wird die Wahrscheinlichkeit sein,
dass ich nach 99 mal Frustration,
überhaupt noch einmal ins Theater schaue?
Gut, man kann einwerfen:
wenn ich ins Theater gehe,
hat zumindest ein Kurator / ein künstlerischer Direktor eine Vorauswahl getroffen.
Andererseits: Partnervermittlungsagenturen tun das auch.
Trotzdem ist die Bilanz nicht besser.
Ich habe ihm gesagt,
als er mich fragte,
ob ich zu jemandem Unbekannten ins Theater kommen würde,
„ich bin doch eh da!“.
Er hat mich angesehen,
aber nichts darauf geantwortet.
Wahrscheinlich dachte er,
da er mich wohl,
seit gut 15 Jahren als seine Stücke-Besucherin in Wien kennt,
ich hätte ihn falsch verstanden,
oder ich wollte ihn aufziehen.
Also deutlicher:
Ich kam zur Veranstaltung Untitled,
wusste also nicht,
was da auf mich zukommen würde.
Und bei einem Xavier Le Roy weiß man
trotz seines Namens = seiner bewährten „Marke“,
nie,
was auf einen zukommt.
Reicht das nun also zum Motiv „des Unbekannten“?
In der Kunst?
Ich denke „ja“,
denn „Kunst“ bedingt eine Grundform des „Könnens“,
also die Garantie, dass da jemand etwas „kann“,
damit das Werk „Unbetitelt = Unbekannt“,
Daseinsberechtigung hat.
Halt!
Ich merke bezüglich meines Bekenntnisses zum Nervenkitzel an,
dass ich bei ImPulsTanz jedes Jahr
zumindest einen Künstler im „Zufallsverfahren“ auswähle,
also einen,
den ich nicht einmal hinsichtlich seines Namens kenne.
Man will sich ja selbst auch fortbewegen,
und hofft auf die freudige Überraschung einer Neuentdeckung.
Das Wagnis ist in der 8:tension-Newcomer-Schiene besonders groß.
Heuer traf es den brasilianischen Performance-Künstler Thiago Granato
mit Treasured in the Dark im Wiener Schauspielhaus.
Wie zufällig, dass er beim von Le Roy betreuten Ex.e.r.ce 8 Programms am Centre Chorégraphique National de Montpellier Teilnehmer war ...
Das habe ich erst im Programmbuch gelesen,
und auch an seinem nackten Hintern erkannt,
der losgelöst vom Körper im Stil der Travestie „sang“.in legerer Alltagskleidung
zwischen Bühne und Zuschauerreihen,
und fragte mich,
ob ich zu jemandem Unbekannten,
– also ohne jede Vorab-Information –
kommen würde.
Er meinte, „ins Theater kommen“.
Frage:
Ist das Theater jetzt so etwas wie diese Mode des anonymen Partnertreffs?
Wo man sich Hals-über-Kopf in jemanden verlieben soll?
Erfolgschance: 1 zu 99?
Das heißt: 99 Reinfälle, 1 Treffer?
Wie groß wird die Wahrscheinlichkeit sein,
dass ich nach 99 mal Frustration,
überhaupt noch einmal ins Theater schaue?
Gut, man kann einwerfen:
wenn ich ins Theater gehe,
hat zumindest ein Kurator / ein künstlerischer Direktor eine Vorauswahl getroffen.
Andererseits: Partnervermittlungsagenturen tun das auch.
Trotzdem ist die Bilanz nicht besser.
Ich habe ihm gesagt,
als er mich fragte,
ob ich zu jemandem Unbekannten ins Theater kommen würde,
„ich bin doch eh da!“.
Er hat mich angesehen,
aber nichts darauf geantwortet.
Wahrscheinlich dachte er,
da er mich wohl,
seit gut 15 Jahren als seine Stücke-Besucherin in Wien kennt,
ich hätte ihn falsch verstanden,
oder ich wollte ihn aufziehen.
Also deutlicher:
Ich kam zur Veranstaltung Untitled,
wusste also nicht,
was da auf mich zukommen würde.
Und bei einem Xavier Le Roy weiß man
trotz seines Namens = seiner bewährten „Marke“,
nie,
was auf einen zukommt.
Reicht das nun also zum Motiv „des Unbekannten“?
In der Kunst?
Ich denke „ja“,
denn „Kunst“ bedingt eine Grundform des „Könnens“,
also die Garantie, dass da jemand etwas „kann“,
damit das Werk „Unbetitelt = Unbekannt“,
Daseinsberechtigung hat.
Halt!
Ich merke bezüglich meines Bekenntnisses zum Nervenkitzel an,
dass ich bei ImPulsTanz jedes Jahr
zumindest einen Künstler im „Zufallsverfahren“ auswähle,
also einen,
den ich nicht einmal hinsichtlich seines Namens kenne.
Man will sich ja selbst auch fortbewegen,
und hofft auf die freudige Überraschung einer Neuentdeckung.
Das Wagnis ist in der 8:tension-Newcomer-Schiene besonders groß.
Heuer traf es den brasilianischen Performance-Künstler Thiago Granato
mit Treasured in the Dark im Wiener Schauspielhaus.
Wie zufällig, dass er beim von Le Roy betreuten Ex.e.r.ce 8 Programms am Centre Chorégraphique National de Montpellier Teilnehmer war ...
Das habe ich erst im Programmbuch gelesen,
und auch an seinem nackten Hintern erkannt,
Die Übereinstimmung war allerdings nur
der sich verselbständigende Körperteil.
Möglicherweise lag auch eine Parallele
in den lange ausgeführten, bewegten Bildern,
die danach ein Aufbäumen und Widerstandleisten
gegen politische Unterdrückung (von Homosexualität)
ausdrückten.
Das Thema der Homosexualität hat allerdings mit Le Roy nichts zu tun.
Le Roys lange ausgeführte Szenen,
sind auch meist mehrdeutiger,
als die naiv-eindimensionalen Granatos.
Ich muss sagen,
hätte ich das Granato-Stück nicht gesehen,
hätte ich auch nichts verpasst.
Ich bewundere jene ImPulsTanz-Leute für ihren langen Atem,
die die Newcomer-Schiene kuratieren.
Immerhin sind da einige Stars hervor gegangen:
2001 Akram Khan zum Beispiel.
Er zeigte in der Zwischenzeit immer wieder
umwerfende Arbeiten,
meist in Zusammenarbeit mit anderen Top-Partnern
wie Sidi Larbi Cherkaoui.
Aber als Genie gilt er in Österreich erst seit 2013,
als er im Solo Desh bei ImPulsTanz auftrat.
So lange dauert es also,
bis ein „Unbekannter“ in der Kunst die absolute Spitze erreicht.
Da gehe ich natürlich gerne hin,
wenn ich nichts von diesem Künstler kenne.
So ein Ereignis bedeutet dann:
ein treues Publikum auf alle Ewigkeit.
Wenn Xavier Le Roy im ersten Teil, Untitled (2005), eine Lecture,
(Lecture bedeutet eigentlich Lehrstunde, Vorlesung, Vortrag)
seiner dreiteiligen Aufführung,
eine Publikumsansprache hält,
hat das im Rahmen des von ihm praktizierten Konzeptualismus,
natürlich noch einen weiteren Sinn.
Konzeptualismus ist ein Begriff,
den sich die Tanz-Zeitgenossen mit der Bildenden Kunst teilen
– hier heißt es schlicht Konzeptkunst –
es sind jene Tänzer,
die in der Regel mehr reden als tanzen,
ob sie tatsächlich mehr an innewohnender
und kunsthistorischer Systematik hinterfragen,
als andere Tanzkünstler,
wage ich zu bezweifeln.
Jeder Künstler, der Bestehendes verfremdet und erweitert,
betreibt im Prinzip „Konzeptualismus“,
dann ist es eben ein Konzeptualismus der Intuition
oder der Begabung,
jener Charakterzug,
der eigentlich auch maßgebend für den Künstler sein sollte.
Xavier Le Roy ist schätzungsweise auch künstlerisch begabt,
deshalb ist er einer der wenigen „Konzeptualisten“,
die ich kontinuierlich verfolge.
Die Begabung zeigt sich bei ihm über seinen Charme,
und über seine berechnete Unberechenbarkeit,
ich würde sagen,
Xavier Le Roy ist der George Clooney der Zeitgenossen,
er ist bis heute attraktiv,
er ist in seiner Unaufdringlichkeit charmant
wie sein Landsmann, Schauspieler Mehdi Nebbou,
beide gesegnet mit einem Touch von Yves Montand,
warmherzig und vertrauenswürdig,
nur ist das Trivago-Testimonial natürlich viel kommerzieller,
und Le Roy intellektueller.
Ich frage mich,
warum er es sich als intelligenter Liebenswerter antut,
immer wieder Publikumsansprachen zu halten,
(denn in Wahrheit hat er ja nicht nur mich gefragt,
sondern alle),
die dann in mehr oder weniger Schmäh-Einwürfen,
Ungeduldsbekundungen
und dümmlichen Besserwissereien enden.
Schon in Low Pieces hatten wir das 2013 bei ImPulsTanz.
Auch da tat er mir leid.
Le Roy sieht das anders,
er nennt es,
„wie lange ist es für beide erträglich,
wenn das Publikum zum Fragen-stellenden Subjekt,
und er als sein Gedächtnis verlorener Künstler zum Objekt wird?
Wie lange ist dieses von beiden Seiten empfundene
„unangenehme Gefühl“ auszuhalten?“.
Meine Frage:
Käme diese unangenehme Kommunikation auch zustande,
wenn das Publikum aus echten, passiven Zuschauern bestünde,
die in Wahrheit nicht selbst Tänzer, Performer, Darsteller sind,
wie die bei Le Roy größtenteils anwesenden Künstler?
Die Sätze rufen wie:
„Warum hast du die Vorstellung nicht abgesagt, wenn du das Gedächtnis verloren hast?“, „Warum ziehst du deine heißen Socken nicht aus, und tanzt einfach auf der Bühne?“, „Ich glaube, du gehst nach hause, und ich geh auf die Bühne.“
Wie „unangenehm“ wäre die Beziehung erst,
wenn die verkehrten Verhältnisse von Subjekt und Objekt wirklich „echt“ wären?
– Wahrscheinlich würde es im verlassenden Protest des Publikums enden.
Denn das Theater bedingt:
ein vorbereitetes, gebendes Subjekt auf der Bühne,
und ein nehmendes, für das Gegebene zahlendes Objekt im Zuschauerraum.
Wie auch immer,
Xavier Le Roy spinnt den Gedanken im zweiten Teil Untitled Trio weiter,
selbst wenn das Publikum nicht selbst das Geschehen steuern muss,
sondern eine Verschiebung von Subjekt und Objekt auf der Bühne beobachten kann.
Zuvor sitzen die Zuschauer aber noch eine geraume Unendlichkeit im Schwarzen.
Ungehaltener können sie kaum noch werden.
Es liegen zwei braune,
von Kopf bis Fuss mumifizierte Gestalten auf der dunklen Bühne.
Mystische Butoh-Atmosphäre macht sich breit,
bei den vier gegrätschten Beinen.
Eine weitere „Mumie“ sitzt irgendwo seitlich.
Als sich die eine aufrichtet, glaubt man,
es sei Le Roy,
unheimlicher Weise wird aber klar,
dass die Statische Le Roy ist.
Er steuert mit seinen beschnürten Armen deren Körper,
gleich einem Puppenspieler,
wobei Le Roy in der Nebenrolle das unbewegte Subjekt,
die Puppe in der Hauptrolle das bewegte Objekt ist.
Gemeinsam werden sie zur Bodenchoreografie
zur emotionalen Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta von Béla Bartók – RIAS Symphonie Orchester Berlin, dirigiert von Ferenc Fricsay.
Steigerung erfährt das Geschehen,
als Le Roy vom Boden aus
mit ruhigen,
zackig bewegten Händen und Füßen
die zweite Mumienpuppe
aufrichtet,
in die Höhe transportiert,
bis sie knapp unter der Decke
in wilden,
aber weichen Bewegungen,
in den Lüften tanzt.
Im dritten Teil: Untitled Solo lässt sich Le Roy schließlich
als Objekt von einem Subjekt-haften Kopfhörer
durch die Musik Changelling und Number, Song von DJ Shadow führen,
die der Zuschauer nicht hört.
Abwechselnd zucken sein rechtes gegrätschtes Knie
und sein linker Fuß.
Wie schon in früheren Arbeiten
verselbständigen sich seine Gliederelemente roboterhaft,
allerdings passiert das in diesem Kontext „ferngesteuert“.
Seine Schultern und Arme bewegen sich,
als würden sie jetzt von Schnüren gezogen.
Doch die symmetrische Bildsetzung verrät,
dass hier „ein Künstler“ der „Schnur-Zieher“ ist,
nicht etwa ein beliebiger, dem Zufall gehorchender Zuschauer.
Ist das der Grund, warum sich Le Roy vor dem Ende
aufrichtet und krächzt und schreit?
Hat er gerade jetzt sein Gedächtnis wieder erlangt
und erkannt, was ihn gelähmt hatte?
– Dass er ein selbstbestimmter, kreativer Mensch sein
und sich ohne kunsthistorische Vorgaben darstellen möchte?
Heißt das aber nun, dass sich jeder,
ohne Können,
auf die Bühne begeben darf?
Ich denke, das wollte Xavier Le Roy damit nicht sagen.
Alexander Wrabetz hat Xavier Le Roy`s Untitled falsch
verstanden
Es werden sich im Zeitalter der Selfie-Publizisten auf Facebook sicher genügend vom Krankheitsbild des Narzissmus befallene, vom Objekt zum Subjekt Selbsterkorene finden, die erfreut sind, gratis und ohne Leistung (= Können) ins Fernsehen zu gehen. – Ob dann allerdings die Zuschauer gewillt bleiben, dafür Gebühren zu bezahlen, oder ob sie bereit sind, sich selbst als Werbetreibende zu verstehen und über ihre Gebühr ihren Sendeplatz zu kaufen, das steht wohl in den Sternen.
Sicher jedoch ist, dass die „Professionalität“, die nach langer Erfahrung ihre Bühne verdienen würde, mit diesem „günstigen Fortschritt“ auf der Strecke bleibt.
Ein Selbstbedienungsrestaurant ist zwar ein berechtigter Ort des günstigen Konsums, aber was bringt es, wenn sich der konsumierende Mensch selbst, beziehungsweise seinesgleichen, aufisst?
– Nicht nur die Kannibalisierung, sondern auch den Kannibalismus. e.o.
DAS URTEIL XAVIER LE ROY HAT IN SEINER DREITEILIGEN ABSTUFUNG DER SUBJEKT- UND
OBJEKTVERSCHIEBUNG DARGESTELLT, WO DIE NUANCEN LIEGEN, WIE JEMAND DIE
AUFFÜHRUNG LENKEN KANN: DAS PUBLIKUM, DER ANONYME UNSICHTBARE KÜNSTLER , UND
DER FREMDBESTIMMTE SICHTBARE KÜNSTLER, DER JEDOCH SELBSTBESTIMMT SEIN MÖCHTE. –
MAN SOLLTE DAS ALS AUFRUF, SICH AUF UNKONVENTIONELLE PFADE ZU BEGEBEN,
VERSTEHEN. EGAL OB ALS KÜNSTLER ODER KUNSTKONSUMENT. ES IST DABEI ABER IM SINNE
DER KUNST- UND UNTERHALTUNGSENTWICKLUNG EMPFEHLENSWERT, DIE
GRENZEN ZWISCHEN PROFESSIONALITÄT UND AMATEURHAFTIGKEIT ABZUSTECKEN.
PERFORMANCE Untitled (2014) * Konzept & Performance: Xavier Le Roy * Puppen: Coco Petitpierre * Ort: Akademietheater, Wien * Zeit: 21.7., 21h
PERFORMANCE Treasured in the Dark * Konzept, Regie & Performance: Thiago Granato * Sounddesign: Gérald Kurdian * Ort: Schauspielhaus, Wien * Zeit: 22.7., 21h; 24.7., 20h
PERFORMANCE Untitled (2014) * Konzept & Performance: Xavier Le Roy * Puppen: Coco Petitpierre * Ort: Akademietheater, Wien * Zeit: 21.7., 21h
PERFORMANCE Treasured in the Dark * Konzept, Regie & Performance: Thiago Granato * Sounddesign: Gérald Kurdian * Ort: Schauspielhaus, Wien * Zeit: 22.7., 21h; 24.7., 20h
No comments:
Post a Comment