Sunday, September 17, 2006

CHORMUSIK+BALLETT: GOTT UND JOHN NEUMEIER WAREN DA




Photos: Die französische Erste Solistin Joelle Boulogne und Partner Peter Dingle "erleben" einander am Lebensbaum (rechts): in der Requiem- Choreografie von John Neumeier, die so perfekt ist, dass man sich nicht einmal zu atmen traut ... Auf den kleinen Bildern oben sind zwei von Neumeiers Ensemble- Formationen zu sehen, für deren grafische Schönheit er bekannt ist.
© Holger Badekow Colonnaden 36 20354 Hamburg


THEATER AN DER WIEN JOHN NEUMEIERS MÖGLICHERWEISE ZU PERFEKTES HAMBURG BALLETT TANZTE ZU ERWIN ORTNERS GENIALEM DIRIGAT IN MOZARTS REQUIEM.

Sollte es einen Gott geben, dann steckte er von Freitag bis Sonntag, 15.-17.9.2006, in den Instrumenten des Wiener Kammerorchesters sowie in den Kehlen des Arnold Schönberg Chors unter der Leitung von Erwin Ortner. Selten ertönte Mozarts Requiem trotz des Todesthemas lebendiger. Erzielt wurde dieser Effekt durch die Abwechslung mit Gregorianischen Chorälen der Wiener-Hofburgkapelle-Choralschola: und so oft Mozart darauf mit und ohne Solistenstimmen einsetzte, wurde man sich wieder dieses musikalischen Komponisten-Genies bewußt.

Im Grunde spiegelt jener Musik-Kontrast aber nur die unterschiedliche Ästhetik von Religion und Kunst in den historischen Epochen wieder und wirft die provokante Frage auf, wieviel Poesie und Leidenschaft die Geschichte Jesu tatsächlich ertragen mag. Wir sind der Meinung: so viel wie nur möglich!

Liebe ist überraschend = unkontrollierter

Die Jesu-Geschichte interessierte John Neumeier - mit seinem Hamburg Ballett das eigentliche Zugpferd des Abends - allerdings weniger. Eher war es der Kontrast von Leben und Tod, den er tänzerisch durch furios ruckartige Bewegungsabläufe auf abrupt statische Posen bis zur Starre löste, räumlich durch einen einsam-beleuchteten Baum in leerer Bühnenlandschaft gestaltete, und farblich durch Schwarz und Weiss von Typen und Kostümen intensivierte. Und dann war da noch seine Andeutung von "Liebe". Die allerdings bei Mozart in jedem Moment und noch um vieles stärker - da unkontrollierter - enthalten ist. Nur sie vermag es, in das Leben zu führen, und in christlichem Sinne vielleicht sogar in den verdienten Tod. So ruft in der Mitte des Stückes auch ein Tänzer: "Johannes von Kreuz sagte: "Am Abend Deines Lebens wird man Dich an Deiner Liebe prüfen.""

Wieviel Perfektion ertragen Lust und Liebe?

Wir ringen uns also in ästhetischer Perfektion durch den eineinhalbstündigen Abend. Im Anblick von Tänzer-Körpern, deren Sehnen, Muskeln, Formationen, Bewegungen und Gesten, ident wie von eineiigen Zwillingen, und aus Gemälden wie Leanordo da Vincis Das letzte Abendmahl oder renaissancezeitlichen Jesu-Sterbeszenen entsprungen scheinen. Alles wirkt so übernatürlich, dass kein Huster des Publikums zu stören traut. So erleuchtet von göttlicher "Gewalt", dass kein Mensch zu atmen wagt.

Und doch, bevor der Rebell daran erstickt, sehnt er sich in den letzten zehn Minuten zurück ins Leben. - Mag das Blasphemie sein oder doch nur der Wille zur tatsächlichen Liebe, die nur aus der Unperfektion (innerhalb der stilistisch-manirierten Perfektion) entspringen kann? (e.o.)


DAS URTEIL ETWAS MEHR BAROCK UND WENIGER RENAISSANCE HÄTTE DEN TANZ DES GROSSARTIGEN JOHN NEUMEIER MENSCHLICHER GEMACHT. SO LEBENDIG WIE DEN GENIALEN - DA UNPERFEKTEN - MOZART.

BALLETT Ein Totentanz * frei nach der Novelle von Thomas Mann * MUSIK VON JOHANN SEBASTIAN BACH UND RICHARD WAGNER * Choreographie & Regie: John Neumeier / Guest performance by Hamburg Ballett * Klavier Elizabeth Cooper * Ort: Theater an der Wien * Zeit: 30., 31.1.2009: 20h

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