Photos: Bilder versprechen manchmal mehr als sie halten:
Solistinnen-Zuwachs Olga Esina (oben), technisch zweifellos begabt, leider aber in nichtssagender Regie: in Paquita während der Wiener Ballett Gala. Eine geschmackvolle Wohltat dagegen: András Lukács und Dagmar Kronberger in Connection.
(© Das Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper/Dimo Dimov)
(© Das Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper/Dimo Dimov)
BALLETT GALA IN DER VOLKSOPER DAS BALLETT DER WIENER STAATSOPER UND VOLKSOPER PRÄSENTIERT SEINE KLASSIK- SOLISTEN WIE IM ZIRKUS, AUF ERNST ZU NEHMENDE TANZKUNST LAESST NUR DIE MODERNE HOFFEN
"NACH PIMPI UND ROCCO SEHEN SIE JETZT JUMBO, IN UNSERER GROSSEN MANEGE-NUMMER!" - Hatten wir uns Donnerstag-Abend in der Volksoper im Zirkus verirrt, oder waren das tatsächlich die Ballettstars der Wiener Staats- und Volksoper, die hier während der Ballett Gala in den klassischen Werken ihre Nummern rissen, als wären sie dressierte Tiere? Der Herr neben der Kritikerin, Alter Meister der Bildenden Kunst, meinte noch: "Ob sich ein Mann wohl gut fühlt, wenn er auf Befehl hüpft wie ein Blöder?"
Klassische Soli ohne Charakter
Der Vergleich war treffend, denn schließlich hätte es sich bei diesen Manege-Sprüngen um Ausschnitte literarischer Ballettklassiker handeln sollen. Schwanensee, Le Corsaire, Taras Bulba und Dornröschen erzählen für gewöhnlich "Geschichten menschlicher Charaktere", selbst bei den gezeigten Choreografie-Variationen von Lew Iwanov, Marius Petipa, Tschekrygin/Tschabukiani und Rostislaw Sacharow. Halbsolist Ivan Popov/Russ als Prinz Siegfried, Gastsolist Giuseppe Picone/I als Prinz Florimund, Gastsolist Rainer Krenstetter/A und Solotänzer Gregor Hatala/A als Sklavenmarktbesitzer, sowie Corps-ballerino Denys Cherevychko/Ukraine als ukrainischer Freiheitskämpfer waren von einander aber kaum zu unterscheiden, außer dass letzterer am dynamischsten seine Runden schlug. - Wo bleibt bitte die Rollengestaltung?
Bei den Frauen war es nicht anders, sie trippelten als Puppen ohne Innenleben und übten sich in schulmädchenhaften Pirouetten: Corps-Ballerina Elisabeth Golibina/Russ als Schwan, Solistin Irina Tsymbal/Russ als Dornröschen Aurora, die Solotänzerinnen Kathrin Czerny/A und Alina Tanikpaeva/Kasachstan als Sklavinnen Gulnare waren nur an Körperform und Gesicht zu erkennen. - Womit haben es diese großartigen Tänzerpersönlichkeiten verdient, in der standard-technischen Fertigkeit vorgeführt zu werden, als hätten sie sich bei der Abschlußprüfung ihrer Ausbildung zu beweisen, sodass möglicherweise dann sogar die ganz Jungen besser wirken?
Regie, Bühne und Musik aus der Rumpelkammer
Bei der verkümmerten Regie von Ballettdirektor Gyula Harangozó gab es auch in den Pas de Deux nicht den geringsten kommunikativen Funken zwischen den Tänzerpaaren. Und der als klassisches Highlight des Abends angekündigte "Grand Pas aus Paquita" von Petipa war so modrig, langweilig und zum Vergessen, dass wir nur berichten können: die neue, russische Solistin Olga Esina ist fähig, viele, auf einander folgende, "leere" Pirouetten zu drehen ... Ähnliches gilt für das als modernes Highlight angekündigte P.O.G.L.A.C.E, Uraufführung von Tunesier Raza Hammadi, das an ein einwöchiges Workshop-Resultat mit Jazztanz-Anfängern in russischem Disco-Licht erinnert. Bedenkt man, dass hier großteils das expressive Ensemble des ehemaligen Volksopernballettdirektors Giorgio Madia beteiligt ist, wird umso klarer, wie wichtig für ein Tänzerindividuum die passende Führung ist.
Kongenial, als hätte man zur Entrümpelung freigegebene kommunistische Requisiten wieder verwerten wollen, passte das Bühnenbild: Geschmacklose Riesenluster schwebten zuweilen über der schwammig ausgeleuchteten Bühne, farblich so monoton mit den Kostümen verwässert, dass die Tänzer noch nichts-sagender wirkten. Aber getoppt wurde all das dann doch noch vom Dirigat Andreas Schüllers, unter dessen Führung das Orchester der Volksoper zur tscheppernden Dorfkapelle mutierte - dafür kassierte er am Ende auch Buhs. (Gyula Harangozó kam erst gar nicht auf die Bühne ...)
Zwei kleine Hoffnungsschimmer
Aus diesem muffigen Grundtenor leuchtete Ungar András Lukács mit den zwei modernen Kurzstücken Whirling und Connection hervor. Ein gutes Auge für Dramatik in Licht, Bühne und Kostümen, hatte er schon in seinem letztjährigen Tabula Rasa bewiesen, diesmal war auch der Tanz ausgereift. Ballettinsider konnten ihm zwar wieder vorwerfen, mit seinem Faible für Minimalismus zu sehr an den 80-er Jahren zu hängen - wobei die Choreographie Whirling auch noch eins-zu-eins von Forsythe abgekupfert scheint - doch ist Lukács´ Arbeit in sich schlüssig und sauber, vom Inhalt über die Form zur Tänzerauswahl bis zum Tanz selbst:
Vom Film The Hours über die Schriftstellerin Virgina Woolf inspiriert, die sich mit Steinen beschwerend im Fluß ertränkte, ist Whirling (UA 2005) ein schwungvolles Duo der mit langem blondem Haar anziehenden Halbsolistin Karina Sarkissova/Russ und ihres ebenso attraktiven, dunklen Partners, des Halbsolisten Mihail Sosnovschi/Moldawien, in schwarzen, schenkelkurzen (Lack)anzügen. Als würden ihre soghaften Kreisbewegungen zur Filmmusik von Philip Glass (glücklicherweise vom Tonband!) sagen, "halten wir uns an einander fest, um uns die kurze Zeit, die uns bleibt, noch alle Kraft und alles Leben zu schenken, wozu wir fähig sind", wirbeln sie gezielt und in erdiger Harmonie, voll gegenseitigem Vertrauen und Zuversicht ihrem Schicksal entgegen, das sie alsdann zur endgültigen Aufgabe zwingt.
Durchtränken die Schönheit dieses Werks Erotik und Schmerz, so ist jene in Connection (UA 1999) nüchtern und kühl: Lukács tanzt selbst - ein überdurchschnittlich guter Tänzer - und nimmt sich Halbsolistin Dagmar Kronberger/A zur Partnerin. Die puristische Statik der Bewegungen mutet stark und entrückt an, dank der exakten Synchronität des Paares, die vom Kopf auszugehen scheint, wobei die Körper- obwohl Mann und Frau - gleich erscheinen. - Möglicherweise lebt dieses Werk nur vom simplen Trick der Monotonie basierend auf der musikalischen Wiederholungsmotivik Michael Nymans, aber immerhin: es wirkt!
Kleiner Daniil Simkin - große Entdeckung
Pantomimisches Talent und damit einzigartigen Charakter zeigte an diesem Abend nur der neue Halbsolist Daniil Simkin/Russ. In Chansonier Jacques Brels Les Bourgeoises und der Choreographie Ben van Cauwenberghs gab er einen rauchenden, sich über das Bürgertum lustig machenden Bohemien. Mit seinen leichten und doch sicheren Bewegungen ist ihm jedes klassische Werk zuzumuten. Nur hat er dabei wohl ein Handicap: Statur, Größe und zu starke, weibliche Konnotationen lassen ihn weder als "Prinz" noch vor einem Ensemble gut wirken. Doch an seinen Sprüngen, die wie selbstverständlich nebenbei in die zu erzählende Geschichte verwoben sind, sollte sich jeder Choreograf und Einstudierende ein Beispiel nehmen. (e.o.)
"NACH PIMPI UND ROCCO SEHEN SIE JETZT JUMBO, IN UNSERER GROSSEN MANEGE-NUMMER!" - Hatten wir uns Donnerstag-Abend in der Volksoper im Zirkus verirrt, oder waren das tatsächlich die Ballettstars der Wiener Staats- und Volksoper, die hier während der Ballett Gala in den klassischen Werken ihre Nummern rissen, als wären sie dressierte Tiere? Der Herr neben der Kritikerin, Alter Meister der Bildenden Kunst, meinte noch: "Ob sich ein Mann wohl gut fühlt, wenn er auf Befehl hüpft wie ein Blöder?"
Klassische Soli ohne Charakter
Der Vergleich war treffend, denn schließlich hätte es sich bei diesen Manege-Sprüngen um Ausschnitte literarischer Ballettklassiker handeln sollen. Schwanensee, Le Corsaire, Taras Bulba und Dornröschen erzählen für gewöhnlich "Geschichten menschlicher Charaktere", selbst bei den gezeigten Choreografie-Variationen von Lew Iwanov, Marius Petipa, Tschekrygin/Tschabukiani und Rostislaw Sacharow. Halbsolist Ivan Popov/Russ als Prinz Siegfried, Gastsolist Giuseppe Picone/I als Prinz Florimund, Gastsolist Rainer Krenstetter/A und Solotänzer Gregor Hatala/A als Sklavenmarktbesitzer, sowie Corps-ballerino Denys Cherevychko/Ukraine als ukrainischer Freiheitskämpfer waren von einander aber kaum zu unterscheiden, außer dass letzterer am dynamischsten seine Runden schlug. - Wo bleibt bitte die Rollengestaltung?
Bei den Frauen war es nicht anders, sie trippelten als Puppen ohne Innenleben und übten sich in schulmädchenhaften Pirouetten: Corps-Ballerina Elisabeth Golibina/Russ als Schwan, Solistin Irina Tsymbal/Russ als Dornröschen Aurora, die Solotänzerinnen Kathrin Czerny/A und Alina Tanikpaeva/Kasachstan als Sklavinnen Gulnare waren nur an Körperform und Gesicht zu erkennen. - Womit haben es diese großartigen Tänzerpersönlichkeiten verdient, in der standard-technischen Fertigkeit vorgeführt zu werden, als hätten sie sich bei der Abschlußprüfung ihrer Ausbildung zu beweisen, sodass möglicherweise dann sogar die ganz Jungen besser wirken?
Regie, Bühne und Musik aus der Rumpelkammer
Bei der verkümmerten Regie von Ballettdirektor Gyula Harangozó gab es auch in den Pas de Deux nicht den geringsten kommunikativen Funken zwischen den Tänzerpaaren. Und der als klassisches Highlight des Abends angekündigte "Grand Pas aus Paquita" von Petipa war so modrig, langweilig und zum Vergessen, dass wir nur berichten können: die neue, russische Solistin Olga Esina ist fähig, viele, auf einander folgende, "leere" Pirouetten zu drehen ... Ähnliches gilt für das als modernes Highlight angekündigte P.O.G.L.A.C.E, Uraufführung von Tunesier Raza Hammadi, das an ein einwöchiges Workshop-Resultat mit Jazztanz-Anfängern in russischem Disco-Licht erinnert. Bedenkt man, dass hier großteils das expressive Ensemble des ehemaligen Volksopernballettdirektors Giorgio Madia beteiligt ist, wird umso klarer, wie wichtig für ein Tänzerindividuum die passende Führung ist.
Kongenial, als hätte man zur Entrümpelung freigegebene kommunistische Requisiten wieder verwerten wollen, passte das Bühnenbild: Geschmacklose Riesenluster schwebten zuweilen über der schwammig ausgeleuchteten Bühne, farblich so monoton mit den Kostümen verwässert, dass die Tänzer noch nichts-sagender wirkten. Aber getoppt wurde all das dann doch noch vom Dirigat Andreas Schüllers, unter dessen Führung das Orchester der Volksoper zur tscheppernden Dorfkapelle mutierte - dafür kassierte er am Ende auch Buhs. (Gyula Harangozó kam erst gar nicht auf die Bühne ...)
Zwei kleine Hoffnungsschimmer
Aus diesem muffigen Grundtenor leuchtete Ungar András Lukács mit den zwei modernen Kurzstücken Whirling und Connection hervor. Ein gutes Auge für Dramatik in Licht, Bühne und Kostümen, hatte er schon in seinem letztjährigen Tabula Rasa bewiesen, diesmal war auch der Tanz ausgereift. Ballettinsider konnten ihm zwar wieder vorwerfen, mit seinem Faible für Minimalismus zu sehr an den 80-er Jahren zu hängen - wobei die Choreographie Whirling auch noch eins-zu-eins von Forsythe abgekupfert scheint - doch ist Lukács´ Arbeit in sich schlüssig und sauber, vom Inhalt über die Form zur Tänzerauswahl bis zum Tanz selbst:
Vom Film The Hours über die Schriftstellerin Virgina Woolf inspiriert, die sich mit Steinen beschwerend im Fluß ertränkte, ist Whirling (UA 2005) ein schwungvolles Duo der mit langem blondem Haar anziehenden Halbsolistin Karina Sarkissova/Russ und ihres ebenso attraktiven, dunklen Partners, des Halbsolisten Mihail Sosnovschi/Moldawien, in schwarzen, schenkelkurzen (Lack)anzügen. Als würden ihre soghaften Kreisbewegungen zur Filmmusik von Philip Glass (glücklicherweise vom Tonband!) sagen, "halten wir uns an einander fest, um uns die kurze Zeit, die uns bleibt, noch alle Kraft und alles Leben zu schenken, wozu wir fähig sind", wirbeln sie gezielt und in erdiger Harmonie, voll gegenseitigem Vertrauen und Zuversicht ihrem Schicksal entgegen, das sie alsdann zur endgültigen Aufgabe zwingt.
Durchtränken die Schönheit dieses Werks Erotik und Schmerz, so ist jene in Connection (UA 1999) nüchtern und kühl: Lukács tanzt selbst - ein überdurchschnittlich guter Tänzer - und nimmt sich Halbsolistin Dagmar Kronberger/A zur Partnerin. Die puristische Statik der Bewegungen mutet stark und entrückt an, dank der exakten Synchronität des Paares, die vom Kopf auszugehen scheint, wobei die Körper- obwohl Mann und Frau - gleich erscheinen. - Möglicherweise lebt dieses Werk nur vom simplen Trick der Monotonie basierend auf der musikalischen Wiederholungsmotivik Michael Nymans, aber immerhin: es wirkt!
Kleiner Daniil Simkin - große Entdeckung
Pantomimisches Talent und damit einzigartigen Charakter zeigte an diesem Abend nur der neue Halbsolist Daniil Simkin/Russ. In Chansonier Jacques Brels Les Bourgeoises und der Choreographie Ben van Cauwenberghs gab er einen rauchenden, sich über das Bürgertum lustig machenden Bohemien. Mit seinen leichten und doch sicheren Bewegungen ist ihm jedes klassische Werk zuzumuten. Nur hat er dabei wohl ein Handicap: Statur, Größe und zu starke, weibliche Konnotationen lassen ihn weder als "Prinz" noch vor einem Ensemble gut wirken. Doch an seinen Sprüngen, die wie selbstverständlich nebenbei in die zu erzählende Geschichte verwoben sind, sollte sich jeder Choreograf und Einstudierende ein Beispiel nehmen. (e.o.)
Für nähere Info zu Daniil Simkin, click --> www.intimacy-art.com; aKtuell/metanews/talents
DAS URTEIL DAS SCHLECHTE KLASSIKPROGRAMM BEI SCHLECHTEM LIVE-ORCHESTER SIEHT NEBEN DEN AMBITIONIERTEN CHOREOGRAPHIEN VON ANDRÁS LUKÁCZ UND DER STARKEN PANTOMIME DANIIL SIMKINS MÜDE AUS. WAS SIE ALSO AN DIESEM ABEND BRAUCHEN WERDEN: VIEL GALGENHUMOR, WENIG STAUNEN, WENIG RÜHRUNG.
Ballett: Ballett Gala der Wiener Staatsoper und Volksoper * Mit: Daniil Simkin, András Lukács, Dagmar Kronberger, Karina Sarkissova * Künstlerische Leitung: Gyula Harangozó * Dirigent: Andreas Schüller * Ort: Volksoper Wien * Zeit: 28.9., 20.10., 7./11.11.06, jeweils 19h
DAS URTEIL DAS SCHLECHTE KLASSIKPROGRAMM BEI SCHLECHTEM LIVE-ORCHESTER SIEHT NEBEN DEN AMBITIONIERTEN CHOREOGRAPHIEN VON ANDRÁS LUKÁCZ UND DER STARKEN PANTOMIME DANIIL SIMKINS MÜDE AUS. WAS SIE ALSO AN DIESEM ABEND BRAUCHEN WERDEN: VIEL GALGENHUMOR, WENIG STAUNEN, WENIG RÜHRUNG.
Ballett: Ballett Gala der Wiener Staatsoper und Volksoper * Mit: Daniil Simkin, András Lukács, Dagmar Kronberger, Karina Sarkissova * Künstlerische Leitung: Gyula Harangozó * Dirigent: Andreas Schüller * Ort: Volksoper Wien * Zeit: 28.9., 20.10., 7./11.11.06, jeweils 19h
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