Photo: Philipp Hochmair wird aus der Arbeitslosen-Not heraus so kreativ, dass er sogar zum "Vogelmann" wird und zu fliegen beginnt. Aber nicht lange, Markus Hering, der verbrannte Mann (die zerstörerische Seele der Arbeitslosenpolitik) bringt ihn schnell wieder zu Fall. (© Christian Brachwitz)
AKADEMIETHEATER WIEN ENDE UND ANFANG SPALTET DIE GENERATIONEN UND SPIEGELT GENAU DIE FRUSTRIERTE SEELENWELT DER ARBEITSLOSEN
"Hat es Ihnen auch nicht gefallen?", ist die Frage der 35-Jährigen an den Herrn rechts. Denn der Mann links, etwa siebzig, buht und kann sich gar nicht erholen von seinem Mißfallen. "Wissen Sie, ich bin Jahrgang 1920", antwortet der Herr rechts. Die 35-jährige: "Na und? Also mich hat es richtig mitgerissen. Braaavoooo!!!!!" Der Mann links - jetzt verdutzt - verstummt. "Aber es hatte keinen Inhalt", erwidert der rechts. "Also, da war doch sehr viel drinnen. Waren Sie schon arbeitslos?", fragt die 35-Jährige. - Sein Gesicht durchzieht ein zwiespältiger Ausdruck, worauf die 35-jährige konstatiert: "Wahrscheinlich liegt es tatsächlich an Ihrer Generation." Denn nur wer gelernt hat, fantasievolle Bildsprache und unchronologische Erzählweise zu deuten, wird mit diesem Stück etwas anfangen können: nämlich die (inzwischen auch nicht mehr junge) Musikvideo-Generation.
Dieser Konflikt spielte sich Sonntag abend, 8.10., am Tag nach der Premiere der Uraufführung von Ende und Anfang im Wiener Akademietheater, im Publikum ab. Regisseur Nicolas Stemann bewies, dass er den Ruf des "Stars im Burgthater" verdient. Denn er fand zum unpoetischen Thema "Arbeitslosigkeit" eine absolut poetische Umsetzung, was bereits im Text des 38-jährigen Autors Roland Schimmelpfennig angelegt ist. Keiner der zahlreichen multimedialen Effekte (Video-, Musik- und Schrift-Einspielungen, Affen- und Löwenmasken, Schattenspiele) wirkt aufgesetzt oder übertrieben, der Rhythmus des Erzählens ist formal von einer im Theater selten schönen Musikalität, und doch tangiert dieses Stück dank der durchgehend guten Schauspielleistung durch wahrhaftigen, nackten Naturalismus. Form und Inhalt entsprechen einander, obwohl sie sich scheinbar kontrastieren.
Formale Zerrissenheit trifft auf seelische Zerrissenheit
Dass diese Harmonie hier aufgeht, liegt im gezielt getroffenen Lebensgefühl, das ein (Langzeit)-Arbeitsloser hat. Die Gedanken dieser aus dem Gesellschaftsrhythmus geworfenen Menschen kreisen immerzu um drei, vier Eckpfeiler, die sie zwischen Verzweiflung, Selbstaufgabe und seltener Hoffnung hin und her schleudern: "Wann war der Wendepunkt, als das stetige Aufwärts ins Abwärts kippte?", "Warum passe ich nicht (mehr) in die Gruppe?", "Warum ging die private Beziehung zugrunde?" - Denn mit dem Show-Down im Job, geht meist jener des Privatlebens einher. Und so muß sich der isolierte Mensch, vor und zurück, zwischen Erinnerung und Zukunftsperspektive, zwischen Verfolgungswahn durch vermutete Fehlhandlungen und potentiellem Treffer, seine eigene kreative Existenz schaffen. Kreativ (= poetisch!), indem sein Geist permanent bastelt und noch immer glaubt, sei es an die (neue) Liebe oder an den erneuten beruflichen Aufstieg: als "Vogelmann" (herausragend gespielt von Philippe Hochmair) bzw. an die Idee "der leuchtenden Maus", wie es der Autor in diesem "Theatergedicht" so schön metaphorisch nennt. Diese Idee stirbt aber jedes Mal, denn es geht ein "verbrannter Mann" umher, der sie dem Hoffenden mit seiner schmierigen Asche austreibt.
Gezielte Anklage an den Staat
Dass all diese Hoffnungskiller letztendlich aus der Gehirnwäsche des Staates mit seiner Arbeitslosenpolitik - Stichwort "Umschulung" und "Einheitsprogramm für alle" - resultieren, ist eine bewußt gesetzte Attacke des Autors, da das alles zu nichts führt außer zur Auslöschung des Selbstvertrauens einst romantischer und strahlender Menschen bis hin zum Sandlertum. - Denn wer kann zur Gemeinschaft etwas beisteuern, wenn er gar nicht mehr existiert? Darauf lassen zumindest die Zitate der Arbeitslosen schließen: "Mir geht´s gut, seit ich weiß, dass ich nicht besonders viel kann und dass es dennoch reicht.", "Du warst nie besonders gut, du warst nur jung!" (e.o.)
"Hat es Ihnen auch nicht gefallen?", ist die Frage der 35-Jährigen an den Herrn rechts. Denn der Mann links, etwa siebzig, buht und kann sich gar nicht erholen von seinem Mißfallen. "Wissen Sie, ich bin Jahrgang 1920", antwortet der Herr rechts. Die 35-jährige: "Na und? Also mich hat es richtig mitgerissen. Braaavoooo!!!!!" Der Mann links - jetzt verdutzt - verstummt. "Aber es hatte keinen Inhalt", erwidert der rechts. "Also, da war doch sehr viel drinnen. Waren Sie schon arbeitslos?", fragt die 35-Jährige. - Sein Gesicht durchzieht ein zwiespältiger Ausdruck, worauf die 35-jährige konstatiert: "Wahrscheinlich liegt es tatsächlich an Ihrer Generation." Denn nur wer gelernt hat, fantasievolle Bildsprache und unchronologische Erzählweise zu deuten, wird mit diesem Stück etwas anfangen können: nämlich die (inzwischen auch nicht mehr junge) Musikvideo-Generation.
Dieser Konflikt spielte sich Sonntag abend, 8.10., am Tag nach der Premiere der Uraufführung von Ende und Anfang im Wiener Akademietheater, im Publikum ab. Regisseur Nicolas Stemann bewies, dass er den Ruf des "Stars im Burgthater" verdient. Denn er fand zum unpoetischen Thema "Arbeitslosigkeit" eine absolut poetische Umsetzung, was bereits im Text des 38-jährigen Autors Roland Schimmelpfennig angelegt ist. Keiner der zahlreichen multimedialen Effekte (Video-, Musik- und Schrift-Einspielungen, Affen- und Löwenmasken, Schattenspiele) wirkt aufgesetzt oder übertrieben, der Rhythmus des Erzählens ist formal von einer im Theater selten schönen Musikalität, und doch tangiert dieses Stück dank der durchgehend guten Schauspielleistung durch wahrhaftigen, nackten Naturalismus. Form und Inhalt entsprechen einander, obwohl sie sich scheinbar kontrastieren.
Formale Zerrissenheit trifft auf seelische Zerrissenheit
Dass diese Harmonie hier aufgeht, liegt im gezielt getroffenen Lebensgefühl, das ein (Langzeit)-Arbeitsloser hat. Die Gedanken dieser aus dem Gesellschaftsrhythmus geworfenen Menschen kreisen immerzu um drei, vier Eckpfeiler, die sie zwischen Verzweiflung, Selbstaufgabe und seltener Hoffnung hin und her schleudern: "Wann war der Wendepunkt, als das stetige Aufwärts ins Abwärts kippte?", "Warum passe ich nicht (mehr) in die Gruppe?", "Warum ging die private Beziehung zugrunde?" - Denn mit dem Show-Down im Job, geht meist jener des Privatlebens einher. Und so muß sich der isolierte Mensch, vor und zurück, zwischen Erinnerung und Zukunftsperspektive, zwischen Verfolgungswahn durch vermutete Fehlhandlungen und potentiellem Treffer, seine eigene kreative Existenz schaffen. Kreativ (= poetisch!), indem sein Geist permanent bastelt und noch immer glaubt, sei es an die (neue) Liebe oder an den erneuten beruflichen Aufstieg: als "Vogelmann" (herausragend gespielt von Philippe Hochmair) bzw. an die Idee "der leuchtenden Maus", wie es der Autor in diesem "Theatergedicht" so schön metaphorisch nennt. Diese Idee stirbt aber jedes Mal, denn es geht ein "verbrannter Mann" umher, der sie dem Hoffenden mit seiner schmierigen Asche austreibt.
Gezielte Anklage an den Staat
Dass all diese Hoffnungskiller letztendlich aus der Gehirnwäsche des Staates mit seiner Arbeitslosenpolitik - Stichwort "Umschulung" und "Einheitsprogramm für alle" - resultieren, ist eine bewußt gesetzte Attacke des Autors, da das alles zu nichts führt außer zur Auslöschung des Selbstvertrauens einst romantischer und strahlender Menschen bis hin zum Sandlertum. - Denn wer kann zur Gemeinschaft etwas beisteuern, wenn er gar nicht mehr existiert? Darauf lassen zumindest die Zitate der Arbeitslosen schließen: "Mir geht´s gut, seit ich weiß, dass ich nicht besonders viel kann und dass es dennoch reicht.", "Du warst nie besonders gut, du warst nur jung!" (e.o.)
DAS URTEIL MAKABER POETISCH, ZYNISCH REALISTISCH - DAS IST NICOLAS STEMANNS PERFEKT TREFFENDE, VIRTUOSE REGIE ZU ROLAND SCHIMMELPFENNIGS GEDICHT ÜBER DIE ARBEITSLOSIGKEIT. EIN WICHTIGES STÜCK, SO MODERN, DASS AUCH DIE JUGEND WIEDER IN DIE BURG KOMMT.
THEATER: Ende und Anfang * Autor: Roland Schimmelpfennig * Regie: Nicolas Stemann * Mit: Sebastian Rudolph, Markus Hering, Myriam Schröder, Sachiko Hara, Bibiana Zeller, Rudolf Melichar, Stefanie Dvorak, Philipp Hochmair, Hermann Scheidleder * Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel * Ort: Akademietheater Wien * Zeit: 09.+15.10.+8.11.: 19h; 16.11.+4.12.: 20h
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