Friday, October 13, 2006

AUSSTELLUNG: LÜSTLING I - DER FREUDSCHE ARTHUR SCHNITZLER
















Photos: Arthur Schnitzler (Photostudio Setzer © Reinhard Urbach) war ein Pionier der tiefenpsychologischen Dramatik mit widersprüchlicher Position hinsichtlich der freien Liebe. Um 1900 schien jeder fremd zu gehen. Syphillis und Verhütung waren die Folge. Und das sah so aus wie auf diesen Fotos: Safety Sponges, Verhütungs-Schwämmchen, 1. Hälfte 20. Jhd., Paris (© Institut für Geschichte der Medizin, Universität Wien) Syphilis-Illustration aus: Moriz Kaposi: Die Syphilis der Haut und der angrenzenden Schleimhäute, Wien, Leipzig: Braumüller 1873 ff; (© Österreichische Nationalbibliothek)


ÖSTERREICHISCHES THEATERMUSEUM WAS FÜR ARTHUR SCHNITZLER NOCH EIN GEHEIMNISVOLLES WANDERN DURCH DEN SEXUELLEN WIENER GARTEN WAR, IST HEUTE EIN GEHEIMNISLOSES NAGELN DURCH DIE MARIAHILFER STRASSE

"Meine impertinente Sinnlichkeit. Wenn ich eine Reihe von Tagen keusch war, 6-9 sind so das Maximum, so bin ich einfach ein Thier", schreibt Arthur Schnitzler 1890 in sein Tagebuch. In einer Zeit, wo das Thema Sexualität noch als öffentliches Mysterium gehandelt wurde, hörten Künstler wie der Schriftsteller Schnitzler - anfangs Arzt und im Freundeskreis von Sigmund Freud - in sich hinein, um das Wirkungsmaß des Menschensex zu erforschen.

Die Ausstellung im Österreichischen Theatermuseum trägt den Titel Affairen und Affekte und konzentriert sich auf drei Stücke Schnitzlers: Reigen, sowie die inneren Monologe Lieutnant Gustl über die Männeridentität und Fräulein Else über die Frauenidentität jener Zeit.

Schnitzlers Bekenntnis zur Promiskuität

Reigen, geschrieben 1896/97, ist dem Aufbau nach als erster Softporno zu bezeichnen. Darin treiben es zehn Figuren aus verschiedenen Schichten abwechselnd ohne Vorspiel miteinander - ohne den Koitus zu zeigen. Sie alle sind Gefangene ihres Geschlechts sowie der gesellschafltichen Rolle. Der Mann, der vor der Vereinigung nicht genug werben konnte, ist nachher kalt, die Frau, die sich zunächst zierte, wird nachher anhänglich. Mit höherem sozialen Milieu werden die Beziehungen mit raffinierteren und geheuchelteren Werbe- und Täuschungsmanövern komplizierter.

Im Grunde geht es aber um die Psychodiagnose oberflächlicher, promiskuitiver Triebbefriedigung - ob als moralische Anklage oder als Grundsatzaussage menschlicher Zusammenkunft - das bleibt doppeldeutig. Schreibt Schnitzler allerdings 1889 in sein Tagebuch, "ich brauche Liebe. Oder vielleicht nur Abwechslung", bzw. 1893, "ging Abd. spazieren, bin wieder erotisch (wie) krank. Möchte alle haben" und "wie anders ist doch Weiber- und Männer-untreue", müßte man eigentlich auf zweiteres schließen.*

Vom Stubenmädel und dem Soldaten

Bevor es also in die Erlebnisräume Else und Gustl durch die Drehtüre Reigen geht, führen im Vorraum die Sofa-Kapitel "Dienstmädchen", "Ehebruch", "Dichter-Schauspielerin", "An- und Ausziehen" und "Syphillis" in die Zeit und den Charakter Schnitzlers ein. Durch einen Spion sieht der Besucher zwei kleine Legofiguren, die eine gebückt, die andere hinter ihr vornübergebeugt. Darunter: Stubenmädchen: "... ich kann dein G´sicht gar nicht sehen." Soldat: "A was - G´sicht ..."

Sehr gelungen ist die Gegenüberstellung von 12 sinnlichen und technisch perfekten Rötelzeichnungen von Georg H. Trapp zu Reigen aus dem Jahr 1933, worauf ein Mann und eine Frau beim Sexakt - mit Nahaufnahmen auf den Gesichtsausdruck - zu sehen sind. Dagegen entmystifiziert den Sexakt die neuzeitliche Serie von Deutschbauer/Spring mit zwei Männern (sie selbst) im Arbeiteranzug beim "Nageln", "Schustern", "Anschaffen". Fehlt hier überhaupt die Frau, unterstreicht auch Michaela Spiegel in ihrer verschlüsselten "Riesenpenis-im-Reagenzglas"-Serie, dass es noch immer keine sexuelle Übereinstimmung, Transparenz und Verständigung zwischen Mann und Frau gibt.

Doppelmoral herrscht auch noch heute, aber ...

Die Quintessenz von alledem ist daher: heute herrscht zwar auch Doppelmoral, nur ist der Sex so ernüchternd platt und geheimnislos geworden, dass wahrscheinlich ein Arthur Schnitzler schreiben würde: "Ging heute auf der Mariahilfer Straße spazieren, sah lauter halbnackte, gleich aussehende, sich anbietende Menschen. Fand eine, die ein bißchen anders war, war aber lesbisch. Bin jetzt richtig impotent, sodass ich mich aufs Schreiben konzentrieren kann: über die Schamlosigkeit der Bytes-Viren im Netz."

* (Oder vielleicht doch auf den Umstand, dass hier ein Mann mit Sternbild Stier schreibt. - Sigmund Freud war ebenfalls Stier. Freud: geb. 6.5.1856 in Freiburg (Mähren), gest. 1939 in London, Schnitzler: geb. 15.5. 1862 und gest. 1931 in Wien - Der Stier ist das Zeichen der Venus, wo Sex als rein instinktive, körperlich-sinnesfreudige Lust gesehen wird. Während der Skorpion, das ebenfalls sexuell orientierte Zeichen, vor allem - dramatisch geheimnisvoll und reflektierend - erotisch getrieben ist... siehe Picasso, Story unten.) (e.o.)


DAS URTEIL HAT ETWAS GRINDIGES, DIESER VORRAUM ZUR ELSE UND ZUM GUSTL. TROTZDEM ERLEBENSWERT, DANK DER MIT DEN SINNEN ERFAHRBAREN AUSSTELLUNGSELEMENTE.

AUSSTELLUNG: arthur schnitzler - affairen und affekte * Kuratorinnen: Evelyne Polt-Heinzl, Gisela Steinlechner * Ort: Stifterhaus, Adalbert-Stifter-Paltz 1, A-4020 Linz * Zeit: 25.6. - 22.8.2008
link: www.stifter-haus.at/


AUSSTELLUNG: arthur schnitzler - affairen und affekte * Kuratorinnen: Evelyne Polt-Heinzl, Gisela Steinlechner * Ort: Österreichisches Theatermuseum / khm * Zeit: bis 21.1.07, Di-So, 10-18h

Mehr zu Schnitzler und Rahmenprogramm in www.intimacy-art.com/aKtuell/REALNEWS/TIPPS

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