Walter Baco hat mit der Serie "Die rote Brille" im Roten Salon der OESTIG LSG einen echten Renner von musikhistorischer Größe erfunden: am 28.9.2017 kuratierte Werner Hackl das Programm ... Baco selbst improvisierte in Magenta wie ein Freigeist (siehe Link) (© Plakat: OESTIG LSG Elfi Oberhuber, Fotos © privat) |
Hemma Tuppy und Vladimir Kacar gelang mit Martha Schwediauers Uraufführung Two Bagatelles for bassoon and piano ein starkes Duett (Ausschnitt siehe link) neben ... |
... Anna Mittermeier und Herbert Suchy in Heinrich Gattermeyers Duo für Viola und Kontrabass (Ausschnitt siehe link). Diese Duette waren überhaupt das Beste des Abends. Außer der jungen Solo-Flötistin Iva Mazanik, die in Wilfried Aigners Slapstick Blues beatboxte. - Ein echter Knüller! (Screenshots © Elfi Oberhuber) |
DIE OESTIG LSG ERÖFFNET DEN NEU RENOVIERTEN ROTEN SALON MIT WALTER BACOS KONZERTREIHE, „DIE ROTE BRILLE“, KURATIERT VON WERNER HACKL.
Es ist der 28. September 2017, als Walter Baco, Tausendsassa der genreübergreifenden Künste und doch in seinem Äußersten „Musiker“, im neu renovierten Roten Salon der OESTIG LSG eine weitere Ausgabe seiner Konzertreihe „Die Rote Brille“ präsentiert. Er will in diesem Forum Komponisten und Interpreten zusammenbringen und dies mit seiner selbst geschriebenen oder gelesenen Literatur bestücken. Kuratoren sorgen dabei für immer neue Zugänge hinsichtlich des Themas. Diese Aufgabe wurde diesmal Posaunist Werner Hackl (Präsident ÖGZM, Österreichische Gesellschaft für zeitgenössische Musik) zuteil. Er hat um Baco herum eine aufsehenerregende Auswahl an Instrumentalisten zusammengetrommelt. Sie interpretieren das Who-is-Who der unter Österreichs Insidern bekannten zeitgenössischen Komponistenszene – darunter viele Werke, die weder in der medialen Öffentlichkeit präsent oder jemals gespielt wurden: und das macht das Ganze spannend.
HIGHLIGHT: JUGEND
Dem Anspruch, im Sinne des Fortschritts einen Wegweiser hinsichtlich Werk und Darbietung auszumachen, sodass man sagen kann, „da ist zwischen Arnold Schönberg über Cartoon Network bis zum swingenden Hiphop alles enthalten, was denn auch noch von der Interpretation her einverleibt und im Moment absolut stimmig verstanden wirkte“ – muss man sagen –, wurde die jüngste Künstlerin des Abends am gerechtesten: ja, die größte Überraschung war Iva Mazanik! Die Zehnjährige „beatboxte“ phasenweise geradezu mit ihrer Flöte durch den kammermusikalischen Slapstick Blues vom mit Nichts als durch seine digitale Medienpädagogik bekannten österreichischen Komponisten Wilfried Aigner. So dass die Akzente nur so funkten. Und das mit einer Selbstverständlichkeit, wie sie nur die natürliche Frechheit eines angehenden Teenagers mit sich bringen kann. Leider lag es an der Ignoranz des Berichterstatters, dass er von vornherein nicht annehmen wollte, dass ihn dieses Mädchen am meisten erstaunen würde, weshalb er die Video-Handy-Kamera erst zu spät drückte. Man kann diese zukunftsreiche Solistin, die trotz Kammermusikzugehörigkeit den Swing in sich und ihr Talent nachweislich mit der Muttermilch aufgesogen hat, nur ermuntern, dieses Stück noch einmal aufzuführen ...
A propos Muttermilch: Ihre in der Spielsicherheit ebenso begnadete Mutter, Martina Mazanik, trat später mit Querflöte auf. Nun ist das ein Instrument, das dem von ihr gespielten Schlangen-Thema Le Serpent noir leider klischeehaft gerecht wird. Nur dass man als Betrachter den Schlangenbeschwörer vor Augen hat, wenn jemand Flöte spielt, und nicht etwa – wie in der sensibel verträumten Komposition des Jazzers Stefan Pelzl – die tanzende, schwarze Schlange ... Ursprünglich hatte Pelzl das Stück mit zweistimmigen Streichern aufgenommen, die wie zwei sich nach oben tanzende, unbekümmerte Schlangen, mit sich in Abwandlung wiederholenden melodiösen Bewegungen raffiniert anmuten. Die einsame Mazanik wirkte dagegen trotz ihrer geraden und kraftvollen Pfeiftechnik etwas „dünn“.
HIGHLIGHT: DUETTE
Auch das Solo von Kontrabassistin Anna Mittermeier, die den Contrabass Dance von der Ukrainerin Bohdana Frolyak vorführte, ging nicht wirklich auf. Sie spielte unkoordiniert und phasenweise verhaspelt. Eine zusätzliche Unstimmigkeit ergab, dass man als Zuhörer unter einem „Tanz“ eine andere Art von Komposition vermutet hätte. Anna Mittermeier bekam aber noch einmal die Gelegenheit zu zeigen, was für eine mit punktgenauem Witz erzählerisch begabte, temperamentvolle Interpretin in ihr steckt – da erkannte man sie als Rock-Göre, die sie als Bandmitglied der Popgruppe N.I.K.O. einschlägig ist: im Duo für Viola (gespielt mit dem stimmführenden Tonkünstler-Orchester-Mitglied, Herbert Suchy) und Kontrabass vom österreichischen Komponisten und Musikpädagogen, Heinrich Gattermeyer. Sie schafften es gemeinsam, eine Spannung aufzubauen und jene im Zuge der drei Teile „Vivace – Larghetto – Vivo“ auch noch zu steigern. Die beiden Musiker, die in dieser Komposition sichtlich ihr jeweils eigenes, gleichzeitig ablaufendes, „männlich“ (ja, auch Anna Mittermeier war als Frau so stark!) souveränes Eigenleben zu führen hatten, lösten ihr bewusstes und doch passendes Gegen-einander-Laufen immer wieder im richtigen Moment bei versöhnenden Melodien auf.
Dass das Duett in der zeitgenössischen Kammermusik überhaupt der beste Nährboden für eine gelungene Kommunikation (nicht nur zwischen den Musikern, sondern auch mit dem Publikum) ist, bewiesen außerdem Fagottist Vladimir Kacar und Pianistin Hemma Tuppy. Ihre Two Bagatelles for Bassoon and Piano von der aus den USA stammenden Komponistin, Martha Schwediauer, war ein geradezu märchenhafter Tripp von einem tonangebenden Fagottisten und einer begleitenden Pianistin, die manchmal auch ein paar Töne vorpreschen durfte, worauf er sie wieder einholte. Eine mitreißende Begegnung von einander wohlgesinnten, eingespielten Partnern.
TOLLE KOMPLEXE KOMPOSITIONEN
Eine schwierige Aufgabe hatte das
Frauen-Streichquartett Anima Ensemble (Andrea Frankenstein, 1. Vi. – Chizuko
Shimotomai, 2. Vi. – Frolieb Tomsits-Stollwerck, Va. – Aristea Caridis, Vc.) mit Karlheinz Schrödls vierteiliger Komposition Streichquartett Nr. 5 op. 147 zu meistern. Denn zu viert eine phasenweise
sperrige und melodisch – schnell und wieder langsam, energisch und wieder
verloren – gegenläufige Neue Musik so zusammenzubringen, so dass sie einen
wirklich guten Zug nimmt, benötigt das kunstfertig höchste Tüpfelchen auf dem i.
Dass diese Fahrt nicht wirklich losging, lag an der Lokomotive: der Auftakt der
Leading-Violine Frankensteins war, gerade wenn es darauf ankam, zu wenig
bestimmt und energisch. Wo die Vier einander aber doch immer wieder gut
begegneten war die wiederkehrende rhythmische Anspielung auf Strawinkys Le
Sacre du Printemps. Insgesamt war jedoch innerhalb der sichtlichen und aufs
Publikum übertragenen Anstrengung die vielfältig komplexe und anspruchsvolle
Komposition mit durchaus unterhaltsamen Elementen zu erkennen.
Leichter hätte auch das von Flip Philipp durch Joseph Haydn op. 33, Nr. 3 "Vogel" inspirierte „Streichquartett“ wirken können, das die vier Streicherinnen interpretierten. Denn es steckt eigentlich voll charmanter Ironie und Spitzfindigkeit, schon was die Titelabfolge des Komponisten, der auch in der Jazz-Musik beheimatet ist, betrifft: „Bird eats Cat – Cat loves Bird – The empty Nest“. Der raffinierte Charme dieser inhaltlichen Dramatik blieb leider verborgen.
LEICHTE NEUE MUSIK
Für westliche Verhältnisse der Neuen Musik zu „brav“ und romantisch zu konventionell waren schließlich die Kompositionen der in Österreich lebenden Komponistin am Klavier, Elzbietea Wiedner-Zajac, selbst wenn „Wedding melody“ for piano hinsichtlich der Widmung einem schwulen Paar, Rainer und Thomas, Frechheit versprach, das sich gegenüber dem obligatorischen „Hochzeitlied für Klavier“ für meine Lieben Beata und Patrick zur Trauung, abheben hätte können. Wiedner-Zajacs nur mit linker Hand gespieltes „Oh ferner Vogel ...“, inspiriert vom Nocturno von Jenö Takács und gesungen von Mezzosopronistin Alina Mazur hatte einen dramatisch spannenden gesprochenen Moment, während „Was sagst Du mir?“(„Co mi mowisz?“) nach dem Gedicht von Karol Wojtyla, komponiert anlässlich der Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. sehr ernsthaft, vorwurfsvoll und leidend rüberkam, etwas „altmodisch“, aber mit großer Hingabe dargeboten.
Dagegen wirkte Walter Bacos Improvisation Magenta nach seiner gelesenen „Poesie“ – Ein Auszug aus seinem 2001
erschienenen Roman-Krimi Die Erhebung – wie der Geniestreich eines
weisungsfreien Kindes. Er setzte sich spontan an sein Klavier, begann mit sich
wiederholenden Klaviertropfen, die sich zu einem temperamentvollen
Tonleiter-Spiel anfeuerten. Selbst wenn die Füße und die Hände taktmäßig
manchmal nicht übereinstimmen wollten, gelang ihm ein Gefühl von Dramatik,
Anspannung und zärtlicher Auflösung. -
Ein unverkrampfter Kontrapunkt innerhalb der in diesem Rahmen gezeigten Neuen-Musiker-Zunft
mit höchstem Vorhaben und ebensolchen Zielen, der zeigt, „es kann auch einfach mal
nur "so" gehen“. r.r.
RESUMÉE DIE ROTE BRILLE, ERFUNDEN VON WALTER
BACO, IST DIE GELUNGENE AUSSTELLUNGSREIHE ÜBER DIE NEUE MUSIK IN ÖSTERREICH.
DURCH WECHSELNDE KURATOREN KOMMT ES ZU IMMER WIEDER NEUEN BLICKEN AUF
ENTWICKLUNGSTENDENZEN DER NEUEN MUSIK IN EINEM STIMMIGEN ABENDPROGRAMM.
DARÜBERHINAUS TREFFEN SICH HIER LIVE INTERPRETEN, KOMPONISTEN UND BACOS
LITERATURAUSWAHL! – KURATOR WERNER HACKL HAT SEINEN BESTEN BLICK AUF
VIELVERSPRECHENDE JUNGE NEWCOMER- UND DUETT-INTERPRETEN UND AUF
UNTERSCHIEDLICHE, IM RAHMEN DER NEUEN MUSIK DURCHAUS UNTERHALTSAME
KOMPOSITIONSSTILE GERICHTET.
KONZERT
Rote Brille Kammerkonzert um Walter Baco, kuratiert von Werner Hackl *
Moderator und Kurator: Werner Hackl * Mit: Iva Mazanik, Flöte (Slapstick Blues von
Wilfried Aigner), Anna Mittermeier,
Kontrabass (Contrabass Dance für Kontrabass solo von Bohdana Frolyak), Elzbieta Wiedner-Zajac, Klavier („Wedding
melody“ for piano, 2017 UA,
Hochzeitslied für Klavier, 2007), Vladimir
Kacar, Fagott – Hemma Tuppy, Klaiver (Two Bagatelles for Bassoon and
Piano UA von Martha Schwediauer),
Herbert Suchy, Viola, Anna
Mittermeier, Kontrabass (Duo für Viola & Kontrabass. Vivace –
Larghetto – Vivo von Heinrich Gattermeyer), Walter Baco, Klavier (Magenta), Anima Ensemble Wien: Andrea Frankenstein, 1.VL – Chizuko Shimotomai, 2.
Vl. - Frolieb
Tomsits-Stollwerck, Va. – Aristea Caridis, Vc. (Streichquartett
(inspiriert von J. Haydn op 33, Nr. 3) Bird eats Cat – Cat loves Bird – The
empty Nest von Flip Philipp), Martina
Mazanik, Flöte (Le Serpent noir für Flöte solo von Stefan Pelzl), Alina Mazur, Mezzosopran – Elizbieta
Wiedner-Zajac, Klavier (Oh ferner Vogel... (Vocalise) für Gesang und
Klavier, linke Hand allein (2007) inspiriert vom Nocturno (II. Satz der
Sonatine für Klavier) von Jenö Takács, Was sagst du mirm(„Co mi mowisz?“),
Lied für Gesang und Klavier, nach dem Gedicht von Karol Wojtyla), Anima Ensemble Wien (Streichquartett
Nr. 5 op. 147, Allegro burrascoso – Moderato – Quasi Tango – Schnell von
Karlheinz Schrödl) * Ort: Roter Salon der OESTIG LSG, Wipplingerstraße 20, 1010
Wien * Zeit: 28.9.2017, 19h30