Wim Vandekeybus ist als schwarzer,
unbändiger Hengst noch immer eine faszinierende Erscheinung innerhalb seiner
Männerwelt ....
... die so voller archetypischer
Traumpoesie ist ...
... und voller lässig-erotischer
Energie in einer archaischen Szenerie ...
... wo infantile, hysterische Angst, dass
die Zähne zu schwarzen Ungeheuern auswachsen könnten, auch nicht fehlen darf.
(Fotos © Danny Willems)
-->
Vandekeybus´ wunderschöner, langer Blockbuster
16.7., gegen 23h20, im Wiener Volkstheater:
Gibt es das, dass etwas visuell so ungemein Verzauberndes wie
psychologisch Tiefgründiges zu lange dauern kann? – Weil man nach zwei Stunden
in hohen Schuhen Sitzen einfach darauf wartet, wieder Blut in den seit gut 30
Minuten schmerzenden Füßen und Beinen zu spüren? Das eigene Kind neben einem
hat sich ja schon lange geholfen. Wann immer die tanzanimierende Musik von
David Byrne ertönte und die atemberaubend choreografierten Gruppentanzpassagen
einsetzten, sprang es auf und tanzte einfach vor dem Sitzplatz seine
persönliche Interpretation. Dazwischen wurde es von den trotz ihres höheren
Sinns momentweise barbarischen Vorgängen auf der Bühne zwar ein wenig verstört,
sodass man versucht war, es mit dem Vater nach Hause zu schicken. Es meinte
aber dann doch, „ich will nicht gehen, ich will bleiben!“
So eine direkte Energie im Platzumfeld kann einen also beeinflussen. Vor allem, wenn man sich mit dem Stück im Vorfeld theoretisch intensiv befasst hat, man wusste und erwartete, dass es genial werden würde. Die beiden Parameter, Talking-Heads-Legende David Byrne und der frühe Vandekeybus, müssen einfach einschlagen wie der Blitz nach zu langer Hitze. – Den Musiker, dessen einzigartige Stimme ich bereits als Teenager liebte, durfte ich 2004 live beim Donaufestival in der Alten Werft in Korneuburg in DAVID BYRNE featuring The Tosca Strings - My Backwards Life Tour erleben, was zu meinen stärksten drei Konzerten all meiner umfassenden Musikbegegnungen wurde.
Und tatsächlich: Revival: In Spite of Wishing and Wanting fängt faszinierend allegorisch an. Noch bevor alle Besucher im vollbesetzten Volkstheater Platz genommen haben, hört man Fußtritte gegen Holzwände knallen, als wären wilde Hengste gegen ihren Willen in zu enge Boxen eingesperrt. Zwei Sessel stehen auf der Bühne, worauf zwei mit Zaumzeug in den Mündern miteinander verbundene, italienisch ins Mikro sprechende Männer verkünden, „lasst uns auf eine Reise gehen, dann werden wir essen und trinken ...“, und schon galoppiert eine Horde übermütiger Pferdemänner mit ihren Hemdkragen in den Mäulern einher, unter ihnen der unbändige Wim Vandekeybus höchstpersönlich, wie schon 1999, als er ganz in Schwarz das Stück mit seiner damaligen Truppe kreiert hatte, deren Charaktere jetzt von zehn neuen Tänzern interpretiert werden.
Die kraftvolle Potenz des freiheitsliebenden Mannes wird da in ihrer ganzen Archaik offenbart, schon das ist so anziehend und politisch, wie die gezähmten Reittiere, die einst vom Menschen ihrer Freiheit beraubt und zum sittsamen Nutzgegenstand degradiert wurden. Jetzt dürfen diese animalisch verkörperten Urinstinkte noch einmal hinaus, in die unendliche Weite der Natur, in der Gemeinschaft ihresgleichen. In der Abwesenheit von Frauen erfahren die Männer, wie ihre erotischen und insgeheimen Träume aussehen, indem sie ihnen in den Bildern und in den Gedanken des Schlafs begegnen. Dann, wenn sie rasten, sprechen sie über ihr Verlangen, über ihre Sehnsüchte, aber auch über ihre Ängste. Dass es dabei zwangsläufig zu Machtphantasien und -kämpfen kommt, liegt auf der Hand. Denn Anführen und Folgen scheinen ebenso naturgegeben, wie Rivalität und Kameradschaft. Deshalb werden die Hengste von einem despotischen Aufpasser begleitet: ihre Wildheit darf nicht aus den Ufern geraten.
Kontrolliert gebaut ist deshalb das Stück: so wie Guiseppe Verdi seine Opern aus einer Abfolge von später bekannten Arien komponierte, so ist auch von Vandekeybus eine Nummer nach der anderen ein erkennbarer, in sich abgeschlossener Tanz-Hit: nichts schert in den Tutti-Nummern aus, nichts ist dem Zufall überlassen, und so ist jede Nummer für sich ästhetisch und effektbezogen unglaublich schön anzusehen. Besonders in Erinnerung bleiben die symbolhaft archetypisch strahlenden Choreographien, wenn die Männer in griechischen, langen Wickelröcken oder inmitten von fliegenden Federn tanzen, sie sich über passende Orangenhälften den Wunsch vom Traumpartner erfüllen, sowie die kämpferisch-eleganten Paartänze zwischen den Männern, die etwas äußerst Seltenes im Tanz zu zeigen vermögen: sexy männliche Energie ohne jede Homoerotik. Zum intensiven Eindruck trägt Byrnes einfühlsame und rhythmisch exakt sitzende Musik bei, wobei der Komponist pro Nummer eine eigene, unkonventionelle Klangfarbe kreiert.
Dazwischen folgen Blöcke mit Sprechpassagen sowie ein faszinierend surrealistischer Filmteil in der Mitte und gegen Ende der Aufführung, der eine Botschaft enthält und der dem nur psychologisch vermuteten Stück eine evolutionär wichtige machtpolitische Deutung verleiht: in Anspielung an die staatspolitische Regierungsentwicklung seit den Griechen (750 bis 500 v. Chr., Zeitperiode der Archaik), wo Tyrannen regierten, die dann von der spartanischen Männergesellschaft als Frühform der Demokratie abgelöst wurden.
Auf den Werken des argentinischen Autors Julio Cortázar basierend, erzählt der kamera- und schnitttechnisch horrorstilistisch gemachte, geniale Film in historischer Szenerie von einem italienisch sprechenden Magier, der einem englisch sprechenden Tyrannen dessen letzte Worte vor seiner Exekution verkaufen möchte. Daraufhin sind die pöbelnden italienischen Untertanen so neugierig, jene zu erfahren, dass sie den Despoten töten, und sogleich den Magier überfallen und ihn ebenso köpfen, ohne die Worte zu erfahren. Der Putsch der Rebellen in Sachen gerechter Regierungsutopie scheitert, weil jene weder gebildet, noch human sind: deshalb finden auch sie selbst den Tod. – Auf der Bühne springt indessen nur noch der wild scharrende und stampfende Wim Vandekeybus umher, der sich sozusagen als Künstler zum einzigen Freien der heutigen und ewigen Männer-Politlandschaft erklärt.
Die kleine Schwäche an diesem epochalen Werk liegt allein am Spannungsbogen des Erzählverlaufs, der keine Pause erlaubt und deshalb nach einer erträglichen Sitzdauer verlangen würde. Die Spannung begrenzt sich – bis auf den inhaltlichen Höhepunkt am Schluss - auf die jeweils überraschend poesievolle Idee der Sujet-Blöcke, die dann in der Ausführung zu lange dauern. Kürzen wäre daher eine Option. – Anhand des frenetischen Applauses könnte man allerdings jetzt nicht behaupten, dass das gesamte, alle Menschentypen und Alter ansprechende Publikum so empfunden hätte. Es soll sogar einzelne Enthusiasten gegeben haben, die diese Aufführung gerne noch länger gesehen hätten. e.o.
So eine direkte Energie im Platzumfeld kann einen also beeinflussen. Vor allem, wenn man sich mit dem Stück im Vorfeld theoretisch intensiv befasst hat, man wusste und erwartete, dass es genial werden würde. Die beiden Parameter, Talking-Heads-Legende David Byrne und der frühe Vandekeybus, müssen einfach einschlagen wie der Blitz nach zu langer Hitze. – Den Musiker, dessen einzigartige Stimme ich bereits als Teenager liebte, durfte ich 2004 live beim Donaufestival in der Alten Werft in Korneuburg in DAVID BYRNE featuring The Tosca Strings - My Backwards Life Tour erleben, was zu meinen stärksten drei Konzerten all meiner umfassenden Musikbegegnungen wurde.
Und tatsächlich: Revival: In Spite of Wishing and Wanting fängt faszinierend allegorisch an. Noch bevor alle Besucher im vollbesetzten Volkstheater Platz genommen haben, hört man Fußtritte gegen Holzwände knallen, als wären wilde Hengste gegen ihren Willen in zu enge Boxen eingesperrt. Zwei Sessel stehen auf der Bühne, worauf zwei mit Zaumzeug in den Mündern miteinander verbundene, italienisch ins Mikro sprechende Männer verkünden, „lasst uns auf eine Reise gehen, dann werden wir essen und trinken ...“, und schon galoppiert eine Horde übermütiger Pferdemänner mit ihren Hemdkragen in den Mäulern einher, unter ihnen der unbändige Wim Vandekeybus höchstpersönlich, wie schon 1999, als er ganz in Schwarz das Stück mit seiner damaligen Truppe kreiert hatte, deren Charaktere jetzt von zehn neuen Tänzern interpretiert werden.
Die kraftvolle Potenz des freiheitsliebenden Mannes wird da in ihrer ganzen Archaik offenbart, schon das ist so anziehend und politisch, wie die gezähmten Reittiere, die einst vom Menschen ihrer Freiheit beraubt und zum sittsamen Nutzgegenstand degradiert wurden. Jetzt dürfen diese animalisch verkörperten Urinstinkte noch einmal hinaus, in die unendliche Weite der Natur, in der Gemeinschaft ihresgleichen. In der Abwesenheit von Frauen erfahren die Männer, wie ihre erotischen und insgeheimen Träume aussehen, indem sie ihnen in den Bildern und in den Gedanken des Schlafs begegnen. Dann, wenn sie rasten, sprechen sie über ihr Verlangen, über ihre Sehnsüchte, aber auch über ihre Ängste. Dass es dabei zwangsläufig zu Machtphantasien und -kämpfen kommt, liegt auf der Hand. Denn Anführen und Folgen scheinen ebenso naturgegeben, wie Rivalität und Kameradschaft. Deshalb werden die Hengste von einem despotischen Aufpasser begleitet: ihre Wildheit darf nicht aus den Ufern geraten.
Kontrolliert gebaut ist deshalb das Stück: so wie Guiseppe Verdi seine Opern aus einer Abfolge von später bekannten Arien komponierte, so ist auch von Vandekeybus eine Nummer nach der anderen ein erkennbarer, in sich abgeschlossener Tanz-Hit: nichts schert in den Tutti-Nummern aus, nichts ist dem Zufall überlassen, und so ist jede Nummer für sich ästhetisch und effektbezogen unglaublich schön anzusehen. Besonders in Erinnerung bleiben die symbolhaft archetypisch strahlenden Choreographien, wenn die Männer in griechischen, langen Wickelröcken oder inmitten von fliegenden Federn tanzen, sie sich über passende Orangenhälften den Wunsch vom Traumpartner erfüllen, sowie die kämpferisch-eleganten Paartänze zwischen den Männern, die etwas äußerst Seltenes im Tanz zu zeigen vermögen: sexy männliche Energie ohne jede Homoerotik. Zum intensiven Eindruck trägt Byrnes einfühlsame und rhythmisch exakt sitzende Musik bei, wobei der Komponist pro Nummer eine eigene, unkonventionelle Klangfarbe kreiert.
Dazwischen folgen Blöcke mit Sprechpassagen sowie ein faszinierend surrealistischer Filmteil in der Mitte und gegen Ende der Aufführung, der eine Botschaft enthält und der dem nur psychologisch vermuteten Stück eine evolutionär wichtige machtpolitische Deutung verleiht: in Anspielung an die staatspolitische Regierungsentwicklung seit den Griechen (750 bis 500 v. Chr., Zeitperiode der Archaik), wo Tyrannen regierten, die dann von der spartanischen Männergesellschaft als Frühform der Demokratie abgelöst wurden.
Auf den Werken des argentinischen Autors Julio Cortázar basierend, erzählt der kamera- und schnitttechnisch horrorstilistisch gemachte, geniale Film in historischer Szenerie von einem italienisch sprechenden Magier, der einem englisch sprechenden Tyrannen dessen letzte Worte vor seiner Exekution verkaufen möchte. Daraufhin sind die pöbelnden italienischen Untertanen so neugierig, jene zu erfahren, dass sie den Despoten töten, und sogleich den Magier überfallen und ihn ebenso köpfen, ohne die Worte zu erfahren. Der Putsch der Rebellen in Sachen gerechter Regierungsutopie scheitert, weil jene weder gebildet, noch human sind: deshalb finden auch sie selbst den Tod. – Auf der Bühne springt indessen nur noch der wild scharrende und stampfende Wim Vandekeybus umher, der sich sozusagen als Künstler zum einzigen Freien der heutigen und ewigen Männer-Politlandschaft erklärt.
Die kleine Schwäche an diesem epochalen Werk liegt allein am Spannungsbogen des Erzählverlaufs, der keine Pause erlaubt und deshalb nach einer erträglichen Sitzdauer verlangen würde. Die Spannung begrenzt sich – bis auf den inhaltlichen Höhepunkt am Schluss - auf die jeweils überraschend poesievolle Idee der Sujet-Blöcke, die dann in der Ausführung zu lange dauern. Kürzen wäre daher eine Option. – Anhand des frenetischen Applauses könnte man allerdings jetzt nicht behaupten, dass das gesamte, alle Menschentypen und Alter ansprechende Publikum so empfunden hätte. Es soll sogar einzelne Enthusiasten gegeben haben, die diese Aufführung gerne noch länger gesehen hätten. e.o.
DAS URTEIL WIM VANDEKEYBUS UND DAVID BYRNE SIND IM DUETT EINE
KOMBINATION DER GANZ HOHEN KUNST. DENN
SIE SIND IN SACHEN POESIE UND ARCHAIK KOMPATIBEL. DAS VERSPRICHT
GÄNSEHAUT-EFFEKT, SELBST WENN MAN DEM STÜCK UND DER MUSIK IHRE 17 JAHRE
ANMERKT. MÖGLICHERWEISE WÄREN DIE EINZELNEN NUMMERN GEKÜRZT ZUGUNSTEN DER
SPANNUNG IM GESAMTSTÜCK NOCH STÄRKER. IN ERINNERUNG BLEIBEN WUNDERSCHÖNE TANZBILDER IM EINDRUCK DER VERZÜCKUNG. UND NATÜRLICH DIESER WAHNSINNIG GENIALE SURREALISTISCHE FILM!
TANZ Revival: In Spite of Wishing and Wanting * Von: Wim
Vandekeybus / Ultima Vez * Mit: Eddie Oroyan, Yassin Mrabtifi, Guilhem Chatir,
Grégoire Malandain, Luke Jessop, Luke Murphy, Flavio D´Andrea, Knut Vikström
Precht, Cheng-An Wu, Baldo Ruiz, Wim Vandekeybus * Musik & Soundscape:
David Byrne * Film The Last Words: Wim Vandekeybus * Ort: Volkstheater Wien *
Zeit: 16., 18.7.2016, 21h
No comments:
Post a Comment