Die Liebe des jungen Cornets spielt
sich eher nur textlich im Kopf von Tänzer Michael Pomero ab; und Anne Teresa De
Keersmaeker zeigt weniger dessen 15 Jahre ältere Geliebte ...
... als die ältere, berühmte
Choreografin, die sich innerlich romantisieren lässt, um dann ein
intellektuelles, reflektiertes Werk zu schaffen. Und doch rührt „sie“ als
fragile Ikone Anne Teresa De Keersmaeker, die als ältere Frau und Mutter
mitleidet. (Fotos © Anne Van Aerschot)
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Wie sie einen doch immer wieder bewegen kann ...
15.7., gegen 22h30, im Wiener Odeon:
„Im nächsten Frühjahr (es kam traurig und kalt) ritt ein Kurier des Freiherrn von
Pirovano langsam in Langenau ein. Dort hat er eine alte Frau weinen sehen.“ –
So lauten die letzten Worte des „sehr langen“ Gedichts, das eine innerlich
sichtlich zutiefst bewegte Anne Teresa De Keersmaeker an diesem zweiten
Aufführungstag des ImPulsTanz-Festivals 2016 vorträgt. – Vorträgt, nicht etwa
vortanzt. Sie spricht auch insgesamt mehr, als sie sich bewegt.
Das hat in diesem Fall trotzdem mehr mit Tanzen zu tun, als es oberflächlich
betrachtet scheint.
Hat man das in diesem intimen Rahmen für relativ wenig Zuschauer verstanden, ist es dennoch Anne Teresa De Keersmaeker, die jetzt in ihrer Gesamtheit als Tanzikone betroffen macht: weil hier eine reife, angegraute Frau über das vergangene Spektakuläre der Liebe nachsinnieren mag, sowie über das Großartige all dessen, was einer jungen Tänzerin und Choreographin an Aufregung und Ruhm passiert. Und jede Frau und jeder Mann im Theatersaal jenseits der 45 fühlt mit ihr mit, weil irgendwann die größte Dramatik nur noch im Kopf stattfindet. Das erlebte Gefühl kann dadurch intensiver sein, als wenn man es tatsächlich erlebt. Gleichzeitig wird es aber von der Nostalgie einer verlorenen Zeit begleitet, was den Beigeschmack der Melancholie erklärt. (Weinen deshalb alte Menschen so schnell?)
Hat man das in diesem intimen Rahmen für relativ wenig Zuschauer verstanden, ist es dennoch Anne Teresa De Keersmaeker, die jetzt in ihrer Gesamtheit als Tanzikone betroffen macht: weil hier eine reife, angegraute Frau über das vergangene Spektakuläre der Liebe nachsinnieren mag, sowie über das Großartige all dessen, was einer jungen Tänzerin und Choreographin an Aufregung und Ruhm passiert. Und jede Frau und jeder Mann im Theatersaal jenseits der 45 fühlt mit ihr mit, weil irgendwann die größte Dramatik nur noch im Kopf stattfindet. Das erlebte Gefühl kann dadurch intensiver sein, als wenn man es tatsächlich erlebt. Gleichzeitig wird es aber von der Nostalgie einer verlorenen Zeit begleitet, was den Beigeschmack der Melancholie erklärt. (Weinen deshalb alte Menschen so schnell?)
Dabei ist in dem Gedicht mit der am Ende „alten, weinenden Frau“ nicht einmal die Vortragende selbst gemeint. Sondern höchstwahrscheinlich eine Mutter, die über ihren, im Krieg gefallenen, 18-jährigen Sohn trauert. Über den Tod des Cornets Christoph Rilke, Verwandter des Dichters der Ballade, Rainer Maria Rilke. Diesem wiederfährt auf seinem Ritt zum Kriegsfeld ein Geschenk: während einer Rast in einem Schloss verbringt er eine Liebesnacht mit der um 15 Jahre älteren Schlossherrin.
Jetzt wäre es naheliegend, den jungen Tänzer Michael Pomero mit dem Cornetten Rilke gleichzusetzen, und De Keersmaeker mit der älteren Schlossherrin. Stattdessen sind die Assoziationen und Absichten jedoch eher so, dass die Choreographin lediglich ausdrückt, inwiefern sich der Sprachinhalt, dessen Sinn und Melodie in zeitgenössische Tanzbewegungen umsetzen lassen. Dass das nicht primär über Charaktere läuft, liegt insbesondere bei De Keersmaeker auf der Hand.
Der belgischen Choreografin ist es darüber hinaus so wichtig, dass auch das Publikum den Text, dessen Atmosphäre und Rhythmus bereits im Aufführungsvorfeld versteht, dass er über die ImPulsTanz-Homepage bei ihrer Stückankündigung herunter zu laden war, Kartenbesitzer per e-mail damit versorgt wurden, und letztlich während der Vorstellung die einzelnen Seiten auf die Bühnenrückwand auf Deutsch und Englisch projiziert werden. Diese dreifache Absicherung wird inhaltlich noch einmal getoppt durch den abermaligen Vortrag von De Keersmaeker höchstpersönlich, den sie nach und zwischen ihrem Tanz - und nicht etwa begleitend – auswendig gelernt absolviert.
Das hat seinen Sinn: erst so wird klar, inwiefern ihr künstlerisch interpretiertes und erlebtes Sprechen sich vom auf bloßes Verständnis bedachten Lesen des Zuschauers unterscheidet, und wie ident ihre Art der Bewegung mit ihrer Art der Textbetonung (die so professionell ist wie von einer einschlägigen Schauspielerin) im Grunde ist. In beiden Fällen ist wiederum die verhaltene Ausdruckweise von De Keersmaeker charakteristisch, ihre Sprache enthält jedoch um einiges mehr an Emotion, als man in den spröden Bewegungen vermuten würde. (Wobei andere Stücke De Keersmaekers aber sehr viel Gefühl offenbaren, selbst wenn sie intellektuell gebaut sind.) Gleich sind die Präzision der Bewegung und der Aussprache, die Fehlerlosigkeit des Vokabulars (De Keersmaeker sagte nur einmal ein anderes Wort als im Text), sowie Spannungshaltung und -betonung im dramatischen Prozedere.
Die beiden weiteren Charaktere des Abends, die Querflötistin Chryssi Dimitriou und Co-Tänzer Michael Pomero, interpretierten den Text auch dementsprechend. Nur am Rande verkörpert der Tänzer den jungen Soldaten. Als meine er: „Wenn ich schon den Soldaten mimen soll, dann in der romantischen Sicht eines jungen, in den Drehungen kräftig springenden Menschen, der auf eine geheimnisvolle, abenteuerliche Liebesaffäre hofft.“ Die Querflötistin begleitet die mehrseitige Leseaufgabe des Publikums bis zu der Stelle, bevor der adelige Cornet auf die Gräfin stößt: kurzatmig rhythmisch pustend und repetitiv, ohne melodisch klingenden Ton (Musikstück: Opera per flauto von Salvatore Sciarrino: Imagine fenicia, All´auro in una lontananza). Die nahende, inhaltliche Melodramatik suggeriert hauptsächlich ihr unaufhörlich gequälter, angestrengter Gesichtsausdruck.
Das aus sich wiederholenden Phrasen bestehende Tanzduett von De Keersmaeker und Pomero danach ist eine Ankündigung hinsichtlich der kommenden Affäre, keine echte Begegnung, so, als ob sich beide, unabhängig von einander, die Liebesnacht vorstellen würden: es ist ein unpersönliches Treffen, in kurzen, synchronen Momenten, ohne richtige Berührung und gegenseitigen Blickkontakt. – Hier wollen sich zwei Menschen nicht kennen lernen, sondern einander einfach geben, was sie gerade brauchen. Unterstrichen wird die Anonymisierung durch die Unscheinbarkeit der Farbe Grau, die beide tragen. Die identen Kleider von Hose und T-Shirt verheißen darüber hinaus die Belanglosigkeit von Geschlechtern und Konventionen in diesem Moment, wo doch nur noch der Tod wartet. Alle Erinnerungen an diese Liebesnacht gehen verloren ... sowie ihr Leben in der Grauzone, wo nichts Persönliches bleibt, als ein, sein Leben opfernder Mann, der ein Familienerbe hinterlässt.
Interessant ist – wie immer bei ImPulsTanz, das je nach Stück, ein vollkommen anderes Publikum anzuziehen vermag –, hier innerhalb dieser älteren „Konzerthaus- und Literaturgesellschaft“-Besucher Kulturstadtrat Andreas Mailath Pokorny neben seinen Subventionsgebern anzutreffen. Haben diese Leute das Stück in seiner Gesamtheit begriffen, dann können wir stolz sein, solche Kulturpolitiker in Wien zu haben. Denn dafür braucht es ein gewisses Hintergrundwissen. Aber: ein antikes Gedicht (Urfassung 1899) über die Zeit der Türkenbelagerung (1663) zu hören, ist an sich ja auch anregend. Insbesondere in der heutigen Zeit. e.o.
DAS URTEIL DE KEERSMAEKER ZEIGT SICH IN IHRER RILKE-UMSETZUNG
ROMANTISCH, OHNE ROMANTISCHES EINZUSETZEN. MAN ERFÄHRT, WELCHE GEFÜHLE SICH IN
IHREM KOPF ABSPIELEN, WENN SIE IHREN KÜHLEN TANZ DARBIETET. MAN IST GERÜHRT UND
SCHÄTZT, DASS SIE AUS IHREM ALTER KEIN GEHEIMNIS MACHT. - KEINE GRAUE, SONDERN
EINE ZIEMLICH SPANNENDE ZONE!
TANZ Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph
Rilke * Von: Anne Teresa De Keersmaeker * Kreation und Performance: A.T. De
Keersmaeker, Michael Pomero, Chryssi Dimitriou * Text: Die Weise von Liebe und
Tod des Cornets Christoph Rilke von Rainer Maria Rilke * Musik: Opera per
flauto, Salvatore Sciarrino Imagine fenicia, All´aure in una lontananza * Ort:
Odeon Wien * Zeit: 15., 17., 18.7.2016, 21h
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