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Tuesday, August 23, 2016

impulstanz 2016 – Tagebuch 8: „CLAPTRAP“-AMOUR FOU VON DER „JUNGEN“ MARION DUVAL MIT DEM „ALTEN“ MARCO BERRETTINI


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Was sich dieser Mann (Marco Berrettini) nicht alles gefallen lässt, von der mächtigen Frau (Marion Duval), die ihn ....

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... nicht einmal liebt. Oder vielleicht liebt, aber nur mit ihm arbeiten will ...
(Fotos © Yvonne Dickopf)

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Solange sie auf der Bühne stehen, läuft alles perfekt. Selbst die „größte“ Zaubernummer: da gibt Duval sogar seine Assistentin.

 
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Hinter der Bühne aber ist sie „Claptrap“, ein quasselnder, gefühlszerrissener Roboter zwischen Macht- und Ohnmacht-Obsessionen. Da kann sich Berrettini noch so sehr anpassen, sie will ihn als Liebespartner nicht erhören. (Fotos: © Dorothée Thébert Filliger)



Welch unmögliches, passendes Paar!




3.8., gegen 24h, im Wiener Schauspielhaus:




Was zählt für eine mittelalterliche Frau, wie mich, am Ende dieser 2h45min-dauernden Aufführung Claptrap?
– Das Dilemma der darin gezeigten Amour-fou-Beziehung.
Und dass ich ohne schlechtes Gewissen schmunzeln konnte.
Beides nicht selbstverständlich beim ImPulsTanz-Festival.

Beziehungen spielen sich hier in den Aftershow-Parties ab, zu denen ich nicht hingehe.
Ich bedanke mich an dieser Stelle, weil mich die Einladungen trotzdem freuen.
Die ImPulsTanz-Leute sind ja sehr angenehme Menschen ohne versteckte Aggressionen. Sie bewegen und diskutieren sich den Alltagsfrust sozusagen von der Seele.
Ginge ich hin, würde ich kein Wort über die Stücke schreiben.
Weil ich schon vieles ausgesprochen hätte.
Und alles Nur-Ausgesprochene wird in der Regel wieder vergessen.


Mich beschäftigt die „junge“ Marion Duval wegen ihres im Stück dargestellten Gefühlszustands.
Sowie der„erfahrene“ Marco Berrettini, wie er als Mann mit der ihm eigentümlichen Distanz auf „ihr“ Gefühlswirrwarr reagiert.
Ihr Altersunterschied von zwanzig Jahren erscheint mir nicht zu groß.
Wenn jüngere Frauen auf ältere Männer stehen, zeichnet sich das sowieso im Kindesalter ab.
Das ist so ähnlich wie mit der Homosexualität.
Der von Marion Duval empfundene Unterschied im Alter ist daher weniger der Grund für die Unmöglichkeit ihrer Beziehung als jener ihrer Charaktere.
Es gibt unterschiedliche Charaktere, die insgesamt harmonieren, und es gibt unterschiedliche Charaktere, die für eine gewisse Zeit für einander spannend sind, am Ende aber nicht harmonieren.


Da wird also das Stück von dieser selbst bezeichnet talentiert-geltungssüchtigen, quasselnden Künstlerin (eh schon 32 Jahre!) zwischen Bühne und Zuschauerreihen eröffnet. Neben ihr der etablierte, für gewöhnlich auf Reflexion bedachte Performance-„Star“ und ihr ehemaliger Geliebter, Marco Berrettini (eh erst 53!). Bei ihm sitzt jede Pointe, originell, kein Wort zu viel. Sie ist zerrissen, sowohl in plötzlich zwischen Manie und Depression kippenden Emotionsgegensätzen, als auch in ihren Gedanken.

Was sie an einander fasziniert, ist ihr („schweizerischer“) Humor, ihr Lachen über unmögliche, „geschmacklose“ Pointen. Deshalb auch das Prinzip der unpassenden Szenenabfolgen dieser „Groteske“. Möglicherweise liegt es an Duval, der „zuliebe“ sich Berrettini darauf einlässt: „Ich wäre ohne sie nicht da, weil ImPulsTanz „meine“ Show nicht gekauft hätte“, gibt er trocken während der Kommunikationseinführung mit dem Publikum zu bedenken. „Ohne entsprechende Stimmung kann das Stück nicht beginnen“, ergänzt sie, die hier für Regie und Konzept verantwortlich ist. „Pina ist tot, und Cunningham ist tot, und ich fühl mich dabei nicht so gut“, meint Berrettini über sich selbst lachend, „und das war noch mein bester Witz für heute“. Dann gibt´s noch ein paar Angriffe aufs österreichische Publikum, um die letzten Schranken zu brechen: „Vienna Calling, sagte Regensburger zu mir, Leute aus den 80ern verstehen das. Rock Me Amadeus ist kein Nazi-Spruch.“ Und die Aussicht: „Es wird noch richtige Drachen geben.“

Damit beginnt die eigentliche Show des einmal auch privaten Paares: Nach dem legeren Erstauftritt erscheint Berrettini im Smoking und animiert die im schwarzen Abendkleid mit sensationellem Dekolleté auftretende Duval zum übermäßigen Sektgenuss. Das ist der Auftakt zur slapstickhaften Doppelconférence, wo zwar klar ist, wer der klügere, aber nicht, wer der mächtigere ist. Sie ist mächtig, weil sie privat inzwischen einen anderen und hier die Führungsrolle hat. Sie raucht ihm ins Gesicht, er lässt es sich gefallen. Sie küsst ihn, aber ohne Zunge, was ihn stört. Darauf folgt eine Zauberer-Assistentin-Nummer zur Musik Nino Rotas, wo jeder konventionelle Trick in der Offensichtlichkeit endet. Jetzt erst öffnet sich der Bühnenvorhang und zwei riesige Papierdrachen erscheinen: Berrettini und Duval befinden sich in den Drachen, einander drohend umgarnend und bekämpfend. Bis die Bühne mit Schachbrettboden zusammenfällt. Pause.
 
Nach einem erfrischend leichten Gene-Kelly-Steppduett wird es spannend: die beiden Künstler ziehen sich auf der Bühne um, die jetzt zur Garderobe geworden ist. Als Duval ihren BH öffnet, ist man erst mal verblüfft, dass ihr Busen tatsächlich so übermäßig groß ist, sichtlich, ohne operiert worden zu sein. Vom schwarzen Hosenanzug wechseln sie ins weiße Paar-Outfit. Und alles, was das Publikum sieht, sind die Auf- und Abläufe über eine quergestellte Treppe, was es hört, sind Applaus und Dialoge von der seitlichen Hinterbühne. Wir erleben also die nüchterne Realität hinter der Illusion des schillerndes Ex-Pärchens, das da in angespannter zwischenmenschlicher Stimmung seinen Bühnenjob verrichtet.

Nach der Show zieht sich Duval Rollschuhe an, die ihre jugendliche Befindlichkeit verstärken. Er solle nicht bleiben, meint sie. Sie findet aber den Weg nicht hinaus und stolpert ununterbrochen über Stühle. Als sie hinter der Bühne verschwindet, kommt er mit einem zu ihren Rollen passenden Scooter in gut ausgefüllter Unterhose daher, deren Inhalt sich aber wenig später als Banane offenbart. – Duval ist mit ihrem Busen also „echt“ sexy, er tut nur so. – Sie erscheint in einer unförmig riesigen Schaumstoff-Roboter-Polsterung mit eckigem Gesichtsausschnitt, sodass sie, wenn auch geschützt vor Prellungen, noch ungelenker herumkugelt. Jetzt ist seine Zeit gekommen, wo „er“ ihr Herr sein kann: er tritt und hüpft auf sie drauf. Sein Liebesbekenntnis über das Mikrofon danach hilft nichts, „ich vertraue dir nicht“, sagt sie. „Ich bin deshalb noch in der Show, weil ich dich liebe“, antwortet er, und das klingt echt echt. Das knappe, gefühlsmäßige Verpassen ihrer beider Bedürfnisse zeigt ihre Kleidung, die sie wechseln, wobei er aber erst dann ihren Stil und ihre Farben trägt, wenn sie sich schon wieder umgekleidet hat. „Komm, lass uns ins Burgtheater gehen“, sagt der routinierte Berrettini, um das Spiel mit der After-Show-Party endlich zu beenden. Aber eben diese Routine reicht der Duval nicht, sie erkennt: „Ich will stärker und Opfer zugleich sein. Du bist alt, ich bin jung.“ Das hört er aber nicht mehr, und vielleicht ist das auch besser für ihn.

Ich lese später nach, was „Claptrap“ eigentlich bedeutet: Es handelt sich dabei um einen kleinen, schreckhaften Spielkonsolen-Roboter in der Form eines Kastens mit einem Bildschirm als Auge.
Wegen eines Programmierungsfehlers quasselt er ununterbrochen, schlicht, weil er alles, was er denkt, aussprechen muss.
Von akuter Geltungssucht geplagt, hält er sich für den Größten, sodass sein Spieler, dem er die Türen öffnet, immer nur Untertan sein kann.
Verblüffender Weise ist er trotz seiner Ungelenkigkeit von einem Rad als Beine ein guter Tänzer: er steppt virtuos, seine Schwäche sind jedoch Treppen.
– Es zeugt doch für große Selbstironie und Distanzfähigkeit, sich als Frau mit so etwas charakterlich gleichzusetzen.
Und vielleicht ist Fräulein Duval ja in Wahrheit weniger weit von Berrettini entfernt, als sie glaubt.


Schön, dass sich Berrettini und Duval trotz ihrer gefühlsmäßig deklarierten Unvereinbarkeit am Ende mit lachenden Gesichtern verbeugt haben. Denn, was ist schon echte Liebe? – Hauptsache, man kann etwas Intensives miteinander schaffen. e.o.




DAS URTEIL MARION DUVAL IST IN IHRER WEIBLICHEN GEFÜHLSZERRISSENHEIT UND -ÜBERLADUNG AUSSERGEWÖHNLICH KOMISCH. MARCO BERRETTINIS KNAPP UND EXAKT PLATZIERTE POINTEN SIND ABER DIE HÖHERE KUNST. WEIL EIN PRINZIP DER KUNST DAS WEGLASSEN IST. – DENNOCH EINE ERFRISCHENDE, DA WAHRHAFTIGE BEZIEHUNGSKISTE INNERHALB DES IMPULSTANZ-PROGRAMMS.



THEATER - PERFORMANCE Claptrap * Konzept & Text: Marion Duval * Performance: Marco Berrettini, Marion Duval * Künstlerische Mitarbeit: Louis Bonard* Bühnenbild: Florian Leduc * Kostüm: Severine Besson * Dramaturgie: Adina Secretan * Skulpturen: Djonam Saltani * Choreografie: Noémie Maton Dujardin * Ort: Schauspielhaus Wien * Zeit: 3.8., 21h; 5.8.2016, 23h

Saturday, April 21, 2012

MUSIK: JON REGEN KOMMT MIT "REVOLUTION" WIEDER NACH WIEN

Im Wiener Birdland waren Jon Regens Konzerte stets gut besucht gewesen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass er nach seinem Revolution-Konzert am 8. Mai 2013 im Wiener Reigen an seinem Erfolg anknüpfen kann. (Foto © Elfi Oberhuber)

REIGEN WIEN DASS ZUM LETZTEN KONZERT DES BEGNADETEN US-MUSIKERS UND SEINER EUROPABAND NUR WENIGE - ALLERDINGS SCHWER BEGEISTERTE - BESUCHER KAMEN, IST UNFASSBAR. ES WAR JEDENFALLS EIN TOP-KONZERT. MIT LIEDERN DER NEUESTEN CD REVOLUTION KOMMT DIE JON REGEN BAND AM 8. MAI 2013 WIEDER. HIER IST SCHON MAL DIE KRITIK ZU SEINEM MEISTERWERK.

Es ist ein heiliger Moment im Klangreich der neuen CD Revolution des US-Singer-Songwriters und Jazz-Pianisten Jon Regen, als mit der Neunten von zehn Nummern Spirits of the Soul die Sonne aufgeht. "The blues is fresh, but the music is old" (der Blues ist frisch, aber die Musik ist alt) ist die tragende Textzeile, die literarisch elegant in die menschliche Gefühlszone dringt, sodass sich der Hörer erneut seinem Konzentrationssensorium hingeben muss, wo er doch ohnehin seit Anbeginn lauscht. Denn eine Jon-Regen-CD ist immer ein bis ins kleinste Detail durchdachtes, komplexes Folgewerk, wo man von vorne bis hinten zuhört und nicht abschalten kann, selbst wenn beinahe jede Nummer ein potentieller Hit ist und für sich selbst steht. Die Aufmerksamkeit des Hörers taucht zu diesem Zeitpunkt in eine traurige, zeitlos schöne "Chopin"-Atmosphäre ein, ja, in klassischen "Chopin", obwohl das Blues und Jazz und Pop - und zwischendurch auch Rock - ist, was da zu hören ist. Regen spielt dieses Lied einfühlsamer und ernster, nicht mit dem Swing-Drive, den er sonst so gekonnt drauf hat.

Gleich präsent wie er, wenn nicht sogar präsenter, ist Ex-The-Police-Gitarrist Andy Summers mit seinem beginnenden Bossa-Rhythmus und seiner lautmalerisch fortsetzenden, metallen-tscheppernden Konzertgitarre, die er zupft, während ihn Julia Kent am Cello begleitet. Ihre Saiten klingen so klar und endlos-wichtig, als erzählten auch sie den Inhalt von Jon Regens-Stimme. Es geht um Erinnerungen, die Regens Gemüt wie Stalker heimsuchen, nachdem ihn eine geliebte Person verlassen hat. Sie bescheren ihm ein Gefühl der Leere und Schuld, wie er es schon oft erfahren mußte. Er, der Musiker, schöpft aber letztlich aus diesem Gefühl für seinen typischen Stil: "The blues is fresh but the music is old", eben. Das hat auf entrückter Ebene subtilen, schwarzen Humor, wie er einige Male mehr oder weniger verhalten auf Revolution zu finden ist.


Kein toller Höhepunkt ohne gigantisches Vorspiel


Spirits of the Soul ist auf der CD Höhepunkt und leichter Stilbruch zugleich. Und er wäre weniger herausragend, würde die immer spannender werdende Abfolge der Lieder zuvor nicht sein. Scheinbar unterliegt das ganze Konzept der Reihung einer (werbe)psychologisch gewinnenden Strategie. Es beginnt mit der "Einführungsnummer" und dem Titellied Revolution, dem einzigen schwächeren Lied, nebenbei bemerkt. Möglicherweise liegt die Schwäche an den plump gesetzten Instrumenten Cello und Percussion im einfach gestrickten Hauptteil, wodurch auch der Text etwas konstruiert wirkt. Doch Regens raffiniertes Klaviersolo signalisiert dann doch noch die Ruhe vor dem Sturm (die Revolution), der bereits mit der zweiten Nummer aufkommt. Seine Windstärke liegt bis zur vierten Nummer vor allem auf der Wort-Ebene, d.h., der Hörer wird geistig erfaßt und emotional für die klanglich in der Instrumentation immer wieder wechselnde und anwachsende Musik der kommenden Songs "geöffnet".


Erste Gefangennahme durch Worte


So also, wenn Regen in She´s Not You davon singt, dass er in diesem billigen Hotel feststecke, wo der Fernseher kaputt sei, und er sich nicht wohlfühle, sodass er sich gemüßigt sieht, in die Bar zu gehen. Und: "Da war "sie". Sie könnte deine Schwester sein!" Doch: "Sie ist nicht du, aber heute Nacht muss sie es sein". Die Begeisterung für die Frau hält zu angenehm lockeren Rockswing-Klängen fast bis zum Ende an, bis er durchblicken läßt: "Ich hänge immer noch an dir." Dieselbe amouröse Leichtigkeit mit einem Hauch schwarzen Humors und Selbstironie bezüglich der eigenen Rührseligkeit und Musikerexistenz hält auch in Delores an. Das Lied beginnt schon so: "Alle schönen Frauen sind beschäftigt, alle netten Kerle sind betrunken. So lass uns ausgehen, Delores, um uns ein bißchen zu vergnügen. Nun, deine Mutter sagt, ich sei verrückt. Dein Bruder sagt, ich bin zu alt. Du hast einen Vater in der Marine, er sagt, ich passe nicht zu Eurer Lebensweise..." Sie solle doch tun, was sie wolle, denn sie hätte ihr Leben in der eigenen Hand. Dass "seine" andere Lebensweise allerdings auch einiges zu bieten hat, bekräftigt die zärtlich-elegant swingende Hammond-B3-Orgel von Benmont Tench im präsenten Back- und Sologround, dem ersten Gaststar-Musiker auf der CD. Im vierten Just Waiting For Now wird die Ironie zwischen Text und Musik noch stärker, indem sich der Inhalt um eine philosophische Abhandlung vom Fallen und auf dem Boden aufkommen, vom Wegrennen und Eingeholtwerden, und dem "Warten auf das Jetzt" einem locker-fröhlichen Pop-Blues-Orchester aus Akkordeon, Melodica (auch von Jon Regen gespielt) und Orgel neben den "Standards" Piano, Bass und Schlagzeug gegenüber stellt.


Überwältigung durch die Musik


Ab Excuse Me, But It´s Not Supposed To End Like This, dem fünften Song, geht die musikalische Größe schließlich ganz auf, sodass der Text zweitrangig wird, wenn Regen (wie schon in früheren Nummern auf der CD Let It Go) von seinem Trennungsschmerz singt. Mit dem Tenorsaxophon von Mike Karn und Trompeter Jim Rotondi bekommt die CD einmalig eine neue, vollere Klangfarbe. Dadurch kommt das wieder reduzierte One Part Broken, Two Parts Blue mit den Frontinstrumenten Akkordeon und Klavier neben der einfühlsamen Background-Orgel von Matt Rollings erst recht beim Hörer an. Vor allem auch wegen der treffend schönen, traurigen Metapher einer Empfindung "Ein Teil zerstört, zwei Teile melancholisch (=blue(s))", passend zu einem Morgen in New York, wo Jon Regen zuhause ist. Fighting For Your Love ist dann die sexuell befreiende, rockig-schnelle Lebensfreude als Antwort, musikalisch und inhaltlich. Sowohl die Akteure - Regen am charismatischen Piano und mit seiner männlichen Mikrofonstimme neben seiner erdig-rauen Co-Sängerin Dana Fuchs - als auch die Unterstreicher, der gas-gebende Schlagzeuger John Miller und der dynamische Bassist PJ Phillips, sowie der rassige Gitarrist George Marinelli, stehen hier für den aktiven Kampf ums Liebesglück schlechthin. Die darauffolgende Nummer If You´re Here beginnt wieder ruhig und extrem stark mit den zwei genialen Solisten, E-Gitarrist Matt Beck und Ricky Peterson an der Hammond-B3-Orgel, sodass auch Jon Regen - aus der verbalen Orientierungslosigkeit ohne die Stabilität der geliebten Person - an der Orgel und am Wurlitzer zu seiner Hochblüte gelangt.


Erfüllung durch Wort und Musik


Und damit sind wir beim anfangs beschriebenen Spirits of the Soul, das den Hörer bis ins Detail gefangen nimmt. Dieser Song wurde übrigens neben Regen von Tenor David McAlmont co-geschrieben, der im letzten Song Run Away im Duett mit dem Bandleader, oder besser, als Lead-Sänger auftritt und noch einmal eine komplett neue Klangfarbe mitbringt. Diese beiden Stimmen - wie schon die Regen-Kombination mit Dana Fuchs zuvor - sind dermaßen originell und gleichzeitig stimmig ergänzend, dass es dem Zuhörer die Sprache verschlägt. So originell und stimmig, wie es durchgezogen die Instrumental-Arrangements der ganzen CD sind.

Mit einem Wort: Jon Regen und seine Co-Produzenten Matt Rollings , Juan Patino und Mischer John Porter, Michael H. Brauer haben sich mit dieser CD Revolution übertroffen. Eine extreme Befriedigung für jeden Musikfetischisten, und vor allem Qualitätskenner!      e.o.
          

DAS URTEIL DIE NEUE JON REGEN - CD  REVOLUTION IST EIN MUSIKALISCHES KUNSTWERK, DAS UNS ÜBERLEBEN WIRD. ES BLEIBT ZU HOFFEN, DASS DAS MUSIKLAND ÖSTERREICH DIESE PERLE BEIM NÄCHSTEN KONZERT ZU SCHÄTZEN WEISS.

CD & KONZERT Revolution * Jon Regen Band Tour 2013 * Ort: Reigen Wien * Zeit: 8.5.2013: 20h30

Thursday, May 26, 2011

OPER: GIORGIO MADIA LIEBESMYTHISCH IN "LE PAUVRE MATELOT" UND "VENUS IN AFRICA"


Weil sie so treu ist, hängt die Liebende (Diana Higbee) in Le pauvre matelot der alten Liebe, dem lange gegangenen Matrosen (re: Pablo Cameselle), nach, anstatt den neuen Anwärter (li.: Andreas Jankowitsch) zuzulassen ...
Es ist nötig, "Licht" in ihre verdrehte, dunkle Seele zu bringen: der Matrose kommt "entstellt" zurück ...
... und will sie prüfen, ob sie für ihre Treue untreu wird: sie soll sich für Perlen verkaufen, um ihn zurück zu bekommen. Sie entscheidet sich besser: sie bringt den fremd gewordenen Geliebten (unterbewußt) um und sagt es dem unvermögenden Vater (Mentu Nubia).

Um irritierende Gefühle ins Bewußtsein zu holen und richtig zu deuten, ist es manchmal gut, jene aufzuschreiben: fürs Publikum tun das in Venus in Africa die streitsam Liebenden Yvonne (Diana Higbee) und Charles (Andreas Jankowitsch) ...
... manch einen könnte der Streit im Ringkampf so verunsichern, dass er sich fragt, ob diese Partnerin wirklich die Richtige ist, ...







... das sagt Charles dann die verführerische Venus (Nazanin Ezazi), die ihm eigentlich als Partnerin viel lieber wäre, obwohl sie untreu
und rastlos ist und ihn unfrei macht. Doch sie scheint besser aussprechen zu können, was ihn wirklich ängstigt. Bis auch er es weiß. (Fotos © Christian Husar)



 

WIENER KAMMEROPER MIT DER LIEBE UMGEHEN ZU LERNEN IST FÜR MANN UND FRAU EINE LEBENSAUFGABE. WIE ABSTRAKT MAN DABEI DENKEN LERNT, EBENSO. - BEIM FRANZÖSISCHEN KOMPONISTEN MILHAUD UND AMERIKANISCHEN ANTHEIL WIRD BEIDES UNTER GIORGIO MADIAS REGIE ZUM SPANNENDEN VERGNÜGEN


Treffende Sätze über die verwirrenden Gefühle einer Liebesprojektion erzählt zu bekommen, ist immer wieder anregend für den Menschen, wenn er selbst schon ein paar mehr oder weniger heftige solcher Episoden erleben mußte. Man könnte aus der Distanz auch sagen: durfte. Denn eine im Moment des Erlebens quälende Liebeserfahrung eröffnet dem Betroffenen eine abstrakte Dimension des Fühlens, zu der nur der Mensch fähig ist. Sie ist spannend, weil sie für ihn ein Rätsel ist. Manch einer könnte diese Befindlichkeitslage auch als psychisch krank bezeichnen, denn alles, was der "Liebende" hier tut und denkt, ist wortwörtlich "ver-rückt" unvernünftig. Und Vernunft soll im Gegensatz dazu ja auch des Menschen Eigenschaft sein, zu der er seit der Epoche der Aufklärung tendiert. Das ausgelieferte Objekt wird durch seine Vernunft zum bestimmenden Subjekt. Der Unterlegene zum Herrn. Um jedoch die Vernunft, oder anders gesagt, den Verstand in Anspruch nehmen zu können, muß der Betroffene seine Gefühle zuerst verstehen.

Wenn die verwirrte Frau liebt

Inmitten dieses Verwirrspiels befindet man sich in der Wiener Kammeroper bei den Stücken Le pauvre matelot von Darius Milhaud und Venus in Africa von George Antheil. Eine äußerst geglückte Doppelinszenierung von Giorgio Madia, mit ähnlich intelligenten Verbindungen wie sie 2007 Nicola Raab im Dove-Maxwell-Davies-Zweierabend (siehe Kritik-Nachlese) machte, nur dass der Regie-Gesamtstil bei Madia purer und edler anmutet und dass die Doppelbesetzungen der Darsteller eine zusätzliche Interpretation ermöglichen. In dem, obwohl szenisch reduzierten, dramaturgisch raffinierteren ersten Stück Le pauvre matelot, worin eine von einem Matrosen verlassene Liebende (Schönsängerin Diana Higbee) jahrelang auf ihren Geliebten wartet, sodass sich ihr Liebesobjekt inzwischen in eine Wahnvorstellung verschoben haben muss, fallen hochinteressante Sätze an ihren Vater (eindringlicher Bass: Mentu Nubia) wie: "Ich könnte ihn betrügen, wenn sein Foto nicht auf dem Nachttisch stünde."

Die folgende Geschichte läßt sich als Produkt ihres Geistes verstehen, worin sie versucht, den sie zurückwerfenden, in ihrem Herzen selbst-errichteten moralischen Stillstandsklotz, los zu werden. Dafür steht auch das abrupte Ende. Denn in ihrem konzentrierten Wahn, wo der Geist ständig um dasselbe kreist - Madia versinnbildlicht das durch eine permanente kleine Drehbühne mitten auf der gerahmten (= eingekapselten) Bühne, wo die Darsteller, und vor allem die Frau, auf- und abgehen - kommt der Matrose (nicht sehr männlich, aber gesanglich o.k.: Tenor Pablo Cameselle) völlig entstellt zurück, um ihr eine Treue-Prüfung aufzuerlegen: er will wissen, ob sie bereit sei, sich für Geld (bzw. eine Perlenkette) zu verkaufen, um mit dem Erlös ihren Geliebten zurück zu bekommen.

Ihr seelischer Befreiungsschlag kann nur eintreten, wenn sie für sich einsieht, dass der "Geliebte" seinerseits selbst untreu war und "moralisch" weit weniger wert ist als sie. Für diesen Gewissenskampf stehen die einzigen zwei Farben des Stücks: schwarz und weiß. Nicht umsonst ist ihr Objekt der Begierde ja ein Matrose, das Mythos für den Ungebundenen auf Reisen schlechthin. Tatsächlich erschlägt sie - nach einer handlungsrhythmisch einschneidenden, entscheidungsfindenden Erleuchtungsdrehung - den insgeheim erkannten fremden Geliebten, also den für ihre Absichten als falsch beschlossenen Liebespartner. Damit ist sie endlich frei und offen für eine neue Liebe (sehr männlich und gesanglich gut: Andreas Jankowitsch) oder auch das Licht, das sie aus dem psychischen Dunkel führt - ein ebenfalls gesetztes Stilmittel des Regisseurs (spannendes Lichtdesign: Christian Weißkirchner).

Wenn der verwirrte Mann liebt

Den Kern dieser Obsession, der Sehnsucht nach absoluter und garantiert ewiger Liebe, trifft Madia in seinem Vorwort auch in Bezug auf das folgende Antheil-Stück Venus in Africa: "Um sich von der lustvollen Last zu befreien, Venus ausweglos verfallen zu sein, ist es nötig, ihre Unnahbarkeit anzuerkennen." Im Gegensatz zur - typisch weiblichen - Liebenden im ersten Stück, bezieht sich die krankhafte Sehnsucht hier auf den - typisch männlichen - Liebenden, Charles. Charles ist mit Yvonne zusammen, die für ihn etliche Opfer gebracht hat: sie hat sich die Haare gefärbt, ihren Hund, ihr Haus und ihren Freund verlassen. Ohne zu wissen, was für Zweifel und Ängste er eigentlich hat, kommt es zwischen ihnen, an einer "unsicher" von der Decke hängenden überlangen Theke, zum Streit. Es fällt der für eine Anfangsliebe typische Satz, "was ist eigentlich passiert? Wir waren nie richtig zusammen."

Um die Worte realer ins Bewußtsein zu holen, als sie es den beiden sind, werden ihre Sätze auf Tafeln ins Publikum gehalten. Die Gefühle sind einfach nicht zu begreifen und machen, vor allem ihm, Angst. Charles greift zu einer Lektion und schickt Yvonne mit vom - auch eine Perlenkette anbietenden - Matrosen des Vorstücks gekauftem Falschgeld in ein Hotel. Mit einem, "man muss diese verdammt weibliche Unabhängigkeit austreiben" bleibt er zurück, traurig konstatierend, "ich habe gewonnen und bin allein". In seiner Ratlosigkeit erscheint ihm Venus. Er verfällt ihren, mit einem langen Band symbolisierten Verführungskünsten auf einer mit bunten Lichtern bepflasterten Showbühne (für die treffenden Bühnendetails ist wieder Cordelia Matthes zuständig), ihr, "dem Rastplatz für Männer", die von der Alternative, viele Weiber zu haben, spricht, und wo er sich fragen kann, "bist du real?". Da sticht ihm, wie dem Publikum, das grelle Licht ins Gesicht, und Venus meint: "Alle Liebenden sind kurzsichtig."

Sie schläft mit ihm, er ist hingerissen, und sie verläßt ihn, auf Yvonne verweisend, die ihm im Gegensatz zu ihr doch treu sei. Und langsam siegt die Vernunft über ihn, Yvonne wird immer mehr zu seiner Venus (sie trägt deren Umhang), selbst wenn, oder gerade weil er mit ihr im Ringkampf steht (superkurze, witzige Szene). Denn die wieder beschilderte "Liebe" bedeute "Kampf, Schmerz, Mühsal", und "dem Wesen zu vertrauen, das dir wehtut". Mit dieser Erkenntnis tanzen alle übermütig heiter und vergnügt, Venus (einzig neue Darstellerin: Nazanin Ezazi) mit dem Falschgeldverkäufer (dem "Matrosen" Cameselle), der Barkeeper (Nubia), Yvonne (Higbee) mit Charles (Jankowitsch). Zu guter Letzt stellt sich sogar das Falschgeld als echt heraus, weil die zuvor als falsch vermutete Liebe doch echt war. Und das heißt denn auch für den Mann: für die Frau und ihre beider Nachkommen finanziell aufkommen zu müssen. Oder: es mit dieser Sicherheit auch zu wollen.

Zu Unrecht verdrängte Musik

Bei dem Verfolgen des spannenden Textes und Geschehens vergißt man leider, bewußt auf die Musik zu hören. Man sollte sich das Ganze daher ein zweites Mal ansehen. Dennoch, Milhaud ist abstrakter (und minimaler) als Antheil, und Antheil weit weniger abstrakt als man von ihm, dem Co-Erfinder der ungestörten Mobiltelefonie, im Allgemeinen glaubt. Beide Komponisten unterstreichen mit ihrem Klang die Handlung, und besonders Antheil nutzt Jazz und Varietémusik. Außerdem: bei beiden fällt in Sachen Musik kurz das Themen-bezogene Motiv der Juden-Konnotation auf: Obwohl Milhaud (1892-1974) aus einer wohlhabenden, jüdisch-provenzalischen Familie stammte, was für ihn ein Leben lang von stark prägendem Einfluß war, läßt Librettist Jean Cocteau den Matrosen in ihrem Stück (UA 1927) zur Liebenden sagen: "Sie sind stolz. Morgen werde ich einen Juden finden, der die Perlen schätzt." Und später erklingt im Venus-Stück Antheils (UA 1957) mit dem Auftritt des Falschgeld-Verkäufers jüdisch-östliche Klezmer-Musik ... Dabei emigrierte Franzose Milhaud nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs in die USA, und Amerikaner Antheil kehrte 1933 von Paris in die USA zurück, weil seine Musik unter den Nationalsozialisten nicht mehr verkäuflich war. e.o.


DAS URTEIL EIN KLAR ERZÄHLTES, RAFFINIERT SYMBOLREICHES OPERNDOPPEL ÜBER DIE LIEBE. TEXTLICH UND INSZENATORISCH SO EDEL, SPANNEND UND LEHRREICH, DASS MAN GANZ VERGISST, AUF DIE SCHÖNE MUSIK ZU ACHTEN.

OPER Le pauvre matelot / Venus in Africa * Von: Darius Milhaud / George Antheil * Regie: Giorgio Madia * Musikalische Leitung: Daniel Hoyem-Cavazza * Mit: Kammerensemble der Wiener Kammeroper * Bühne & Kostüme: Cordelia Matthes * Mit: Mentu Nubia, Diana Higbee, Andreas Jankowitsch, Pablo Cameselle, Nazanin Ezazi * Ort: Wiener Kammeroper * Zeit: 26., 28., 31.5., 2., 4., 7., 9.,11.6. 2011: 19h30

Sunday, June 29, 2008

TANZTHEATER: ILLUSIONSPLÄDOYER VON JAMES THIÉRRÉE IN "AU REVOIR PARAPLUIE"



















Die Liebe fängt schwierig an, wenn sich ein Mann eine abgehobene Frau auf Seilen als Liebessubjekt (Satchie Noro) wählt
(Foto © Mario Del Curto) ...

Da wird die Anforderung (Kaori Ito) so gross, dass der Mann (James Thiérrée) seinen Grips wirklich anstrengen muss, um sie zu bekommen.

Der Mann Thiérrée schafft es mit seinem leidenschaftlichen Ungestüm, aber das Glück der Harmonie aller inneren Alter Egi (links: Magnus Jakobsson) des Liebespaars währt nicht lange ...

... sodass sich der wieder einsam Verlassene im zeitlichen Rücklauf auf die Suche nach dem Moment machen muss, als die Harmonie zerbrach ...

... diese Suche als Gang durch den Sumpf heißt: sich mit neuen, unheimlichen Wesen und eigenen Erkenntnissen zu konfrontieren.

... sich für den Entschluß zur Liebe selbst zu bekämpfen, an sich zu arbeiten, und sich dabei auch noch zusehen zu können ...

... dafür gibt es dann vielleicht den gemeinsamen, harmonischen Flug in der Luft - weil der Mann in die (Zirkus-)Welt der Frau wirklich bereit ist, einzutauchen. (Fotos © Jean Louis Fernandez)


HALLE E - WIENER FESTWOCHEN JAMES THIÉRRÉE HAT ÜBER DIE KONFRONTATION MIT DEM UNGLÜCK WIEDER ZUM MASSLOSEN GLÜCK DES THEATERS GEFUNDEN: IN AU REVOIR PARAPLUIE

Alles, was die Wiener Festwochen nach James Thiérrées La Veillée des Abysses 2004 im Bereich "Zirkustheater" eingeladen haben, - ob Tanztheater- oder Theaterakrobatik-Produktion - vermochte nicht annähernd an die Komplexität und Musikalität des Theaters dieses französisch-schweizerischen Universalgenies heran zu kommen. Das 2008 in Wien zu sehende Nachfolgewerk Au revoir parapluie hat das einmal mehr bestätigt. Thiérrées ins Surreale verpackte Slapstickmelodram der Körpersprache, entspricht in seinem ästhetischen Ausdrucksumfang ganz der logischen Erbfolge, Enkelsohn Charlie Chaplins, sowie Sohn des Zirkusehepaars Jean-Baptiste Thiérrée und Victoria Chaplin zu sein, mit dem der heute 34-jährige Akrobat, Tänzer, Mime und Violinist schon als Kleinkind in verschiedenen Zirkusformationen auf der Welt auftrat. Von daher erklärt sich die Reife im philosophisch-abstrahierenden Themenzugang voller zeitlich zerschnittener Erzählsprünge samt schwierigster Bewegungsinterpretationen dieses doch noch jungen Mannes. Das müßte hinsichtlich professioneller Einverleibung eigentlich von einem mindestens fünfzigjährigen Welt(star)künstler stammen. Dass er diese geistig reflektierte Vollendung mit seinem zart-starken Körper selbst tanzen kann, ist ein wahrer Glücksfall, für den das Publikum ihm oder auch Gott unendlich dankbar sein will.

Fabulöse Archetypen als Liebeskummer-Bringer

Zu Beginn erscheint eine Art Fee, die Schwedin mit Barockopernstimme und in schwarzem Fabelkostümgerüst (Kostüme: Victoria Thiérrée, Manon Gignoux), Maria Sendow, mit einem sagenumwobenen Brief in der Hand. Sie könnte auch Schicksalsgöttin oder innere Stimme des "Liebeskummernden" sein (Thiérrée, dem das Herz durch einzelne Körperteile wandert, sodass "es" an seinem Knie oder Schenkel "klopft"). Dieses Ohmen legt sich als Allmacht in Form einer schwarzen Tuchwolke mit mühsam zu durchwandernden Bauschblasen über die Bühne, "worauf" sich nachfolgende Geschichte in albtraumhaften Sequenzen abspielt: die freuden- und leidensvolle Liebesgeschichte des darauf stapfenden Träumers Thiérrée. Dass sie letztenendes nur durch sein Hirn so kompliziert wird, zeigt eine witzige Szene mit Partner bzw. der weiteren inneren Stimme Thiérrées, Magnus Jakobsson, der durch blitzschnelles Heben von Thiérrées Haarschopf wissen will, was da eigentlich drunter sei, das dem Mann so zu schaffen macht... - Insofern gilt einmal mehr: "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied". (Doch böte die Geschichte nur lineares Glück, wäre sie nicht außergewöhnlich genial ...)

Es fängt damit an, dass der Mann sich zum Liebesobjekt eine Frau wählt, die auf Stricken über den gewöhnlichen Dingen dieser Welt steht: Asiatin Satchie Noro, die zu poetischen Klaviertönen in der Luft tanzt. Und obwohl in diesen Stricken viele tote Herrenköpfe hängen, die wahrscheinlich Ähnliches wollten, läßt sich der junge Mann nicht davon abhalten, ihr - sich wild zu ihr raufschwingend - einen Kuss zu rauben. Und siehe da, es geschehen noch Wunder: Sie verliebt sich in ihn, angedeutet durch die Sängerin, die jetzt zur Leierkastenmusik ein Liebeslied singt. Den Liebeszauber, den die Beiden erleben, zeigt Jakobsson, der allerhand Zauberstücke mit Karten, Vögeln und einer erwartungshaltungsbrechenden Schere auf Lager hat. Das Unglück hat sich mit dem Glück automatisch barockmusikalisch archetypisch mitentwickelt: es taucht in Person der gnomhaft-asiatischen, zeitgenössischen Tänzerin Kaori Ito auf, die sich phasenweise auch als skeptische, innere Sphinx-Stimme des Träumers zu erkennen gibt. - Insofern wäre also auch jeder seines eigenen Unglückes Schmied.

Der Kampf mit sich selbst als Weg zum Glück

Denn das Paar, das jetzt zur Trio-Familie geworden ist, hat sich plötzlich im Unisono gegen den aufkommenden, überwältigenden Gegenwind des Alltags zu wehren. Es bewegt sich gleichförmig rückwärts, als wolle es die Zeit zurückdrehen, wo alles Unglück begann. Man sieht, wie die Liebesliedsängerin aus dem Bild gezerrt wird, wie der geliebten Frau im Bett sitzend statt vor Liebe frohlockend nur noch traurig die Haare vor dem Gesicht hängen. Dass sie zu zweifeln beginnt, zeigt ein schizophrenes Duett mit der sich nun ident bewegenden und aussehenden Kaori Ito. Dabei war die Liebe mit ihrem Mann unter der roten Decke gerade noch so schön. - "Wie schaffte es dieser Störfaktor Ito nur drunter zu kriechen?", denkt sich der Mann. Wie kam es, dass ihm plötzlich seine Jacke nicht mehr passen wollte, und es ihm geschah, dass er sich - beim Zusammenfalten - gleich mitfaltete? Warum wollen ihn seine Füße, seine Hände verlassen, obwohl sich sein Wille dagegen stämmt?

Nachdem er verwirrt allein ist, diktiert ihm daraufhin die Sängerin (in seinem Kopf) einen Brief, um die Einst-Geliebte vielleicht doch zurück zu gewinnen. Mit ihrer Retour-Antwort beutelt es ihn in seinem Schaukelstuhl derart, dass er ganze Rollen schlägt. Er tanzt in geistiger Wiedervereinigungs-Vorfreude in einem harmonisch-symmetrischen, zeitgenössischen Trio (Thiérrée kann also auch das bei erkennbar klassischer Ballettbasis perfekt!) und macht sich auf Wanderschaft, sie zurück zu holen. Doch dabei quält ihn auch schon wieder die einhergehende Skepsis, denn er gerät in eine mit elektronischer Musik durchflutete Sumpflandschaft mit unübersichtlichem Gestrüpp, worin er sich verirrt. Er begegnet einem unheimlich menschengroßen Fisch aus Bast, der sich in eine tanzende Bast-Grille verwandelt, schlägt sich zum Grillengezirpe mit kegelartigen Rutenbüscheln, indem er mit ihnen (also mit seinen Ängsten) leidenschaftlich schlagend jongliert. Schließlich fragt er einen vorbeikommenden Passanten (Jakobsson = sich selbst) um den richtigen Weg (die endgültige Entscheidung). - Wie ahnungslos dumm er ihm (er sich selbst) dabei vorkommt, zeigt dabei die (stummfilmlachreife!) Gesichtsmimik Thiérrées. Dann muss er sich im Sumpf in angstvoller Ohnmacht wieder mit der asiatischen Tänzerin, mit der Sängerin als Sensenfrau konfrontieren, die ihn anschreien, und die er danach als Gewissenskampf mit sich herumschleppt, bis er seinen inneren Schweinehund endgültig überwinden kann, indem er sich (Jakobsson) im virtuos wurfreifen Rutenfechtkampf besiegt. Oder auch nicht. - Denn man fragt sich: "Ist das Schicksal grundsätzlich gegen das Liebespaar?"

Der plötzliche Sprung zur Erkenntnis

In einem plötzlichen Szenenwechsel bekommt man als Antwort "nur" ein Musikquintett geboten, als müßten alle Akteure erst mal auf Distanz gehen, um sich selbst in ihren Entscheidungen bewerten zu lernen. Doch am Ende sind das Paar und die asiatische innere Stimme (des Mannes) auf einem Seil zu sehen, wie sie sich fragil aufeinander zu bewegen und phasenweise darauf harmonisch gleich tanzen. Da sind aber auch eine Menge schirmartiger weißer Federbälle, die von der Decke regnen. Sie stehen wohl für Thiérrées Vision, dass das Leben und die Liebe am besten unterm Zirkuszelt zu betrachten seien, denn ein ganzes Zelt stellen sie in Windeseile auch noch mitten in der Halle E im Museumsquartier auf ... Und wahrscheinlich hat er recht: Leben, Liebe und (sein) Theater bleiben mit urtümlich archetypischen Waagenfahrrädern ja tatsächlich am schönsten als staunenswerte Illusion zwischen Liebe und Hass, Glück und Unglück: Solange es unter der Schutzplane des mythischen Zaubers geschieht, dürfen die ewigen Gesetze für das Funktionieren von Gefühlen und Unterhaltung auch nicht anders lauten. e.o.


DAS URTEIL JAMES THIÉRRÉES ZIRKUSTHEATER IST DAS UNGLAUBLICH SCHÖNSTE, WAS ES AN UNTERHALTUNG UND ILLUSION AUF DER WELT GIBT ...

THEATER Au revoir parapluie * Von: James Thiérrée (Regie und Bühne) * Mit: Kaori Ito, Maria Sendow, Magnus Jakobsson, Satchie Noro, James Thiérrée * Sound Design: Thomas Delot * Ort: Halle E, Museumquartier im Rahem der Wiener Festwochen 2008 * Zeit 27.5.-1.6.08

Wednesday, March 12, 2008

THEATER: STEPHAN MÜLLER FINDET DEN ANSTAND IN GOETHES "CLAVIGO"

Die um den guten Ruf der französischen Familie besorgte Verwandte (Heike Kretschmer) und der vorhersehende Familienfreund Buenco (Till Firit) reden auf Marie Beaumarchais (Luisa Katharina Davids) ein ...

... ihr Bruder (Günter Franzmeier) will Clavigo, der in Spanien aus Karrieregründen sein Liebesversprechen an Marie brach, zu einer anstandswahrenden Erklärung zwingen, ...

... da beschließt Clavigo (Raphael von Bargen) doch, Marie zu heiraten, merkt aber, dass er sie tatsächlich nicht mehr liebt ...

... wahrscheinlich, weil ihn der windig-aalglatte Carlos (Michael Wenninger) auf kalt-starken, homoerotisch-neoliberal kalkuliernden Händen zu manipulieren versteht. (Fotos © Nathalie Bauer)


VOLKSTHEATER NACHDEM SICH "VERLETZTER STOLZ" VON SITZENGELASSENEN FRAUEN HEUTE ÜBER DIE MEDIEN ZU "KEINEM STOLZ" WANDELT, SCHEINT DIE ZEIT REIF ZU SEIN FÜR STIL UND NIVEAU IN EINEM SELBST - STEPHAN MÜLLER DRÜCKT DAS IN SEINER REGIE VON CLAVIGO MIT EINDRINGLICHEM FORMALEM SUBTEXT AUS

"Es gibt nichts erbärmlicheres, als einen unentschlossenen Menschen", sagt Freund Carlos zum zwischen persönlichem Versprechen und Wortbruch taumelnden Clavigo. Dieser Clavigo des gleichnamigen Goethe-Stücks von 1774 wird derzeit im Volkstheater vom "jungen, ehrgeizigen Schriftsteller"-Helden zu jenem des "Journalisten". Bezeichnenderweise. Ein ehrgeiziger, auf sein Gewissen nicht hörender Schreiber, kann heute nur ein Journalist sein. Weil die meisten Journalisten entweder nur mit Sensations-Klatsch oder mit meinungserkauften PR-Arbeiten auf Durchschnittsniveau existieren können - dazu sind auch jene Berichte zu zählen, die im Rahmen des "offiziellen Nachrichtenwesens", sprich in "seriösen" Tageszeitungen und Magazinen, erscheinen ...
Dass die krassierende Manipulationswahrscheinlichkeit über die Jahrhunderte hinweg stets talentierte, aber mittellose Menschen ergreift, die sich von Null emporkämpfen müssen, scheint da generell bedenklich. Ein Mechanismus, der in jeder Berufssparte zu finden ist. Dass es in diesem Fall ein Schreiber sein mußte, ist dem Bedürfnis des jungen Sturm und Drängers Goethe zuzuschreiben, den echten, innerpsychischen Kampf so eines Zerrissenen exakt in Worte fassen zu wollen; wie hätte er das realistischer tun können, als aus seinen eigenen Gewissensbissen schöpfend, die er gegenüber seiner Jugendliebe hatte. - Beim Emporkömmling werden sich diese inneren Gefühlswirren mit nutzenorientierter Entscheidung allerdings im Sinne von (Stück-Zitat) "ohne Stand keine Eh(r)e" auf vielen Ebenen zeigen, nicht nur in der Liebe.

Verletzter Stolz, der sich heute zu Keinem wandelt

In der Liebe ist das schlechte Gewissen eigentlich nicht mehr vonnöten, beanstandet zu werden. Wenn ein junger Mann einem Mädchen vor seinen Studienjahren die Ehe (seine Liebe) versprach, er dieses Versprechen dann aber nicht einhält, ist das heute höchstens bedauernswert, sicher nicht anstößig. Im Grunde ist es nicht einmal bemerkenswert. Das jetzt noch relevante Thema liegt allein im Moment, wo dieser Mann merkt, nur mit einer gesellschaftlich (einfluß)reichen Lebenspartnerin Karriere machen zu können; und dass dadurch die einstigen Liebesgefühle (tatsächlich!) verklingen. Der Nutzeninstinkt manipuliert so den reinen herzorientierten Bindungsinstinkt. Mit der Absage wird der Betroffene seinen wahren Gefühlen - und damit sich selbst - also nicht untreu. Zu schaffen machen ihm nur Moral-, Verantwortungs- und Schuldgefühl, Gefühle, die heute - im Zeitalter des Opportunismus - ebenso keine Rolle mehr spielen. Denn der Opportunist ist in dieser geschäftstüchtigen Gesellschaft ein Held, wo es nicht einmal gilt, einen ehrbaren Schein zu wahren.

Im ausklingenden 18. Jahrhundert dagegen, war Anstand noch etwas wert. Gesellschaftlich geächtet wurde, wer sich ehrenlos verhielt. Besonders wenn das zulasten eines hilflosen Mädchens (in Clavigo: Marie von Beaumarchais) geschah, das dann mit dem Ruf der "Sitzengelassenen" leben mußte. Für manche Frau ist das auch heute noch kaum zu ertragen. Dann kann sie sich aber immerhin mit ihrem verletzten Stolz an die Medien wenden, sich in Talkshows und Society-Schluderblättern ausheulen, die diesen verletzten Stolz entsprechend ihres Opportunismus in "gar keinen Stolz mehr" lenken. Dadurch macht sich so eine Frau endgültig zum bedauernswerten Gespött aller, vielleicht ohne es zu merken, weil sie die allgemeine Aufmerksamkeit verkennt: die als öffentliche Anteilnahme verpuppte Schadenfreude.

Hinsichtlich dieser perversen Steigerung von heute, konnte sich Goethe noch privilegiert fühlen, denn immerhin lebte er in einer Zeit, wo man Gefühle noch ernst nahm und nicht mit ihnen (etwa aus bloßer Popularitätsgeilheit) spielte. - Ein volleres Niveau, das der 57-jährige, schweizer Regisseur Stephan Müller mit Theater- und Tanzausbildung glücklicherweise erhalten bzw. wieder auferweckt hat. Inhaltlich und ästhetisch, rhythmisch und symbolhaft abstrahiert, in der typengerechten Besetzung mit viel gestisch-tänzerischem Körperspiel sowie im klaren Bühnenbild voll subtextlicher Details.

Erstrebenswerter Stolz als Sehnsucht in äußerer Form

Der Anstand der damaligen Zeit findet sich somit als etwas-zumindest-Erstrebenswertes im äußeren Schein des leeren, weitläufigen, bronze-farbenen Raums von Bühnenbildner Hyun Chu, in Carlos´ karrieresüchtigem Nadelstreifanzug, Clavigos naiv-eitlem Rüschenhemd, im unschuldig-weißen und dann liebeshoffend-roten Kleid der ausgeliefert-barfüßigen Marie (adretter Anblick: Luisa Katharina Davids) von Kostümbildnerin Birgit Hutter; und menschlich im Stakkato-Sprechgesang von Carlos und Clavigo, die in ihrer gemeinsamen Karriereliebe und der eindringlichen Art Carlos´ (glaubwürdig neureich-neoliberal und damit passend unsympathisch wirkend: Michael Wenninger) auf Clavigo einzuhetzen, einen homoerotischen Touch aussenden, der einerseits die Unsicherheit der Orientierung manifestiert, andererseits das Hin-und-Her von Clavigos wankenden Gefühlen (zwiespältig-labil: Raphael von Bargen). Große Ausstrahlung in seinem edel geschnittenen, braunen Mantel besitzt Maries Bruder Beaumarchais (Günter Franzmeier), der um die Ehre seiner kleinbürgerlich-fragilen Schwester in Frankreich kämpft, der aber von den in Spanien - mit seinen kräftig-mondänen Frauen als Aussicht - lebenden Burschen (v.a. Carlos) so trickreich hinters Licht geführt wird, dass er letztendlich selbst bis zur Gefängnisstrafe sein Ansehen verliert.

Von der Intrige zur Lebensmoral

Intrige bei doppelter Wortbrüchigkeit funktionierte demnach schon vor zweihundertfünfzig Jahren, sie läßt sich, je nach Rechtssituation des Landes, zu jederzeit mit verdrehten Mitteln zugunsten des Bauernschlausten-ohne-Skrupel auslegen. Interessant dabei ist, dass jenen Leuten, die die Dinge durchschauen und Entwicklungen vorhersehen (wie hier Buenco - maniriert gut: Till Firit), nie Glauben geschenkt wird, weil sie offensichtlich zu wenig bestimmt und klüngelhaft auftreten.

- Bei all den menschlichen Abgründen können nur Schuld, Strafe und Buße reinigen: Marie und Clavigo müssen sterben. Das Schlußbild der Inszenierung ist dafür wieder versöhnend kitschig - wohl gedacht, als Lehre für das Gute im Menschen - wenn die einst Liebenden gemeinsam im Grab ein (englisches!) Poplied singen. Das bedeutet Entschuldigung und Verzeihung im Jenseits zugleich, und somit die erstrebenswerte Moral zu Lebzeiten für das Publikum. e.o./a.c.


DAS URTEIL SCHÖNER ANBLICK. INTELLIGENTES SUBTEXT-KÖRPERSPIEL VON GUT BESETZTEN DARSTELLERN. DETAILREICHE PSYCHOENTWICKLUNG EINER LIEBE, DIE WEGEN DER KARRIERE VERGEHT. UND EIN PLÄDOYER FÜR DIE WIEDERAUFERWECKUNG VON STIL UND ANSTAND IN UNSERER (MEDIEN)ZEIT.

THEATER Clavigo * Von: Johann Wolfgang von Goethe * Regie: Stephan Müller * Musik: Thomas Luz * Dramaturgie Hans Mrak * Mit: Luisa Katharina Davids, Heike Kretschmer, Raphael von Bargen, Till Firit, Günter Franzmeier, Thomas Kamper, Michael Wenninger, Markus Westphal * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 12., 19.6.2008: 19h30-21h

Monday, December 10, 2007

PERFORMANCE: MEG STUART UND PHILIPP GEHMACHER IN "MAYBE FOREVER"-ROMANTIK

Im poetischen Liebesabschied: Meg Stuart und Philipp Gehmacher finden eine sperrige, doch innerlich gelebte Ausdrucksweise...













... sodass ihr weiblicher und sein männlicher Körper (ausnahmsweise bei den Zeitgenossen auch einmal) sinnlich wirkt. (Foto © Dieter Hartwig)


TANZQUARTIER MEG STUART UND PHILIPP GEHMACHER LERNEN GLAUBWÜRDIG ZU FÜHLEN, UND DAS AUCH NOCH AUF SPANNEND ABARTIGE UND NEUE WEISE - IN IHREM GEMEINSAMEN PROJEKT MAYBE FOREVER

Das ist ja jetzt mal etwas ganz Neues. Zeitgenössische Tänzer, die tatsächlich in ihrem Körperinneren etwas fühlen und sogar imstande sind, das auszudrücken. Der Romantische Konzeptualismus erobert demnach nicht nur das Ausstellungswesen der Bildenden Kunst, sondern auch die Performance-Szene. Das ist schön, das ist wichtig, das tangiert das Publikum. Ganz besonders wenn es um das Thema Verlust und Abwesenheit geht. So spannend war schon lange nichts mehr im Tanzquartier. Die eigenartige Künstlerkombination aus der psychoschüttelnden Amerikanerin mit Company Damaged Goods in Belgien, Meg Stuart, mit dem österreichischen Minimalgestikulierer Philipp Gehmacher setzt mit diesem Duo einen neuen Maßstab, nicht nur als Tanzkunst an sich, sondern auch für ihre jeweils individuellen Tänzerprofile. Es ist erstaunlich, wie gut die Beiden harmonieren, wie spannend sie sich ergänzen, wie bereichernd sie einander weiter bringen.

Neue Erzählweise im zeitgenössischen Tanz: das Liebesdrama

Neu ist auch der Weg, das Thema zu transportieren. Im Grunde verläuft er über die Erzählung eines klassischen Liebesdramas. Durch die Abstraktion in der Form, wo neue Zeichen und Gesten für etwas Bekanntes stehen, bekommt jenes aber eine geheimnisvolle Dimension. Verstärkt wird sie durch die Erzählweise, die nicht chronologisch ist, sondern in doppeldeutigen Abschnitten aus realen bzw. scheinbaren Rückblenden, Introspektionen, Monologen erfolgt; und doch ist sie insgesamt wieder linear. Das Bühnenbild von Janina Audick wirft ein weiteres Rätsel auf. Es zeigt eine halbrunde Bühne mit seitlichen Vorhängen und Kinoleinwand in der Mitte - was für literarisch erzählte Geschichten steht, für das Theater, und damit für das eigene Theater, das sich jeder Mensch aus seiner eigenen Liebesgeschichte macht. Poetisch wird irgendwann das Bild einer Pusteblume eingeblendet, die den Raum mit wehmütiger Vergänglichkeit füllt.

Poesie trotz Konzeptualismus und Trauer

Poesie dominiert daher, obwohl Meg Stuart, so cool wie sie ist, mit tiefer und fester Stimme ins Mikrofon spricht, sie habe eine Postkarte geschrieben, worin sie gesagt habe, sie könne nicht ohne "ihn" leben. - "Ich nehme es zurück." Sie meinte, es sei heute unnötig, romantisch zu sein. - "Ich nehme es zurück." - Ihre Arme gleiten angewinkelt zur Seite. - Sie wollte ihn (sein), obwohl er gar nicht ihr Typ war. - "Ich nehme es zurück." - Ihre Arme rucken parallel nach oben. - Sie hätte Angst vor der Nähe gehabt. - "Ich nehme alles zurück." Die Poesie dominiert, weil bereits zuvor ihre aneinander geschmiegten Körper, jener des Mannes, jener der Frau, mit wiederkehrender Abweisung kämpften, Körper, deren Inneres expressive und doch subtile Emotion fühlten, und die ein kalter Wind und Glockenklänge in Dröhnsound umwehte, als sie endgültig auseinander gegangen waren. Ausgeläutet hatte ihre Beziehung der sehr professionell-stimmige, fast duchgehend auf der Bühne präsente Brüsseler Singer-Songwriter mit Elektrogitarrenspiel Niko Hafkenscheid. Er sang: "It may be forever." - So auch der Titel der Performance, Maybe Forever, selbst wenn dessen Sinn nur noch als Utopie für die Zukunft in anderer Paarkonstellation gelten kann, denn tatsächlich haben sich diese Liebenden ja verloren.

Zwischen Erinnerung und Zukunft

Obwohl sie momentweise als Körper wieder zusammen kommen, scheint das doch in Abwesenheit des Anderen statt zu finden, als Bild ihrer Sehnsucht nach ihm, seiner nach ihr, während sie sich gegenseitig langsam, jeder für sich allein, von einander lösen. Die sperrigen Haltungen stehen für den psychischen Kampf ihrer Beziehungsunmöglichkeit. Zielen ihre beiden Arme synchron nach oben, steht das aber doch wieder für deren insgeheim erhoffte Möglichkeit, selbst jetzt noch, wo es aus ist. In den Momenten, wo die Gesten zum Takt der Gitarre harmonieren, scheint auch alles zuversichtlich, trotz des offensichtlichen Schmerzes. Auch wenn der Sänger einen Walzer ankündigt, der dann keiner ist. Und dann zieht Meg ihre Schuhe aus, läßt sie als Erinnerung für "ihn" (Philipp) auf der Bühne zurück, während sie hinter den Vorhang geht, aus seinem Leben geht, aus ihrer beider Liebesgeschichte.

Die Jahreszeiten ziehen vorbei, und sie kommt wieder zurück, denn manchmal holt sie beide die frühere Abhängigkeit ein. Sie versuchen gemeinsam zu fliegen, mit schwachen, eingeknickten Flügelarmen. Zwischen Todesgedanken und lautstarker Eigenmotivation eines erzwungenen Ausrufs von "next, next, next...". Und so verblaßt das "Zurück" irgendwann endgültig gegenüber dem "Nach Vorne". "Du hast mir den Beginn meiner Geschichte gegeben", sagt Meg, und sie findet im roten Glitterkleid ihre neue, echte, passende Liebe (im Singer-Songwriter), und "Ich bin bereit ....", sagt Philipp im schwarzen Anzug, während seine Finger eine Geste des "... zu gehen" zeichnen. e.o.


DAS URTEIL DAS IST ROMANTISCHER KONZEPTTANZ MIT NACHWIRKUNG - ENDLICH ZWEI ZEITGENOSSEN, DEREN KÖRPER EIN INNENLEBEN HABEN! ENDLICH WIEDER MAL WAS GUTES IM TANZQUARTIER.

Unser nächster Tanztipp im Tanzquartier
Le Sacre du Printemps * trockene Studie übers Dirigieren (möglicherweise auch zum Lachen) * Von und mit: Xavier Le Roy (F) * Ort: Tanzquartier / Halle * Zeit: 13.-15.12.2007: 20h30

Friday, November 02, 2007

MUSIK: MELANCHOLIE DES LOSLASSENS - JON REGEN UND "LET IT GO"

Die zwei Seiten des Jon Regen: Innen melancholisch und verletzlich - nach den Scherben seiner Liebesbeziehung, von denen er in der neuen CD Let It Go erzählt ...












... außen ein sanguinischer Pianist, der voller Lebensfreude alles gibt, um sich selbst und sein Publikum durch Lust und hohen Anspruch zu befriedigen. (Fotos © Merri Cyr 2007)


BIRDLAND BLUES-JAZZER JON REGEN GASTIERTE IN WIEN UND IST PROFESSIONELLER DENN JE. EIN GLEICHERMASSEN PIANO-KUNSTFERTIG BESCHWINGTER WIE RÜHRENDER ABEND. DIE SONGS SEINER NEUEN CD LET IT GO BESCHÄFTIGEN VIELE GÄSTE AUCH NOCH ZUHAUSE...

Das Jon Regen Trio gastierte Ende Oktober im Wiener Birdland. Wie beim letzten Mal verströmte der amerikanische Singer-Songwriter eine gehörige Ladung Gefühl. Es gibt derzeit keinen Musiker, der direkter auf Billy Joels Spuren sein Liebesleben preisgibt und dabei aber anspruchsvollen, pianistisch-virtuosen Blues-Jazz spielt. Das fast übermütige Konzert Anfang Februar ist einem sehr Professionellen in atmender Abfolge und perfektem Arrangement gewichen: statt langer Reden ertönen lange Jazz-Pianosoli zwischen den Songs. Besonders die Lieder der ersten Singer-Songwriter-CD Almost Home hat Jon Regen so verinnerlicht, dass die aufwändigen Ausflüge in die improvisierende Abstraktion vom Einen zum Anderen mit Anwachsen des Abends immer spannender werden. Dass der Musiker von der Tiefe seiner körperlichen Energie über Tonleitern und Achtelnoten spielend gleich einem Hochleistungssportler nur so schwitzt, erhöht die Energie noch. - Da kann man sich nur wünschen: Gibt es bald eine CD "Almost-Home-Jazz-Extended"?

Von der Live-Vitalität zur gelebten inneren Trauer

Diese sprühend-lockere Vitalität findet durch die melancholische Kehrseite der neuen CD Let It Go ihren Gegenpart, an deren Kompositionen sich der Musiker live noch sehr stark hält. Doch diese Lieder drücken ihre echte Qualität erst im Stillen mit Konzentration auf den tiefsinnigen Text richtig aus; deshalb ließ sich Elfi Oberhuber als Zuhörerin zuhause zur direkten Assoziation, ja fast zum Gespräch mit Jon Regen animieren - in unten nachfolgender Reaktion auf jede einzelne Nummer: Der kaum zu verkraftende Abschied von einer Frau wächst über das Gefühl von Leere und Weltpessimismus zum Vorsatz einer Selbstfindung an, ist somit auch als fortlaufender innerer Monolog einer zusammenhängenden Geschichte zu interpretieren. Gewidmet ist die CD einer anderen Freundin von Jon Regen, die sich das Leben nahm. Bereichert wird sie durch phasenweise Begleitungen von The-Police-Gitarrist Andy Summers, sowie den radikalen Solistinnen Martha Wainwright - selbst Singer-Songwriterin - und Cellistin Julia Kent, die hier - nicht wieder erkennbar - zu Engelsmusikerinnen mutieren. Die ganze CD strotzt vor Details bei theatral punktgenauer Betonung in Stimme und Pausen. Sodass der besungene Inhalt tatsächlich lebt.

Ein Highlight des Abends ist die Interpretation des situationskomischen Songs Only My Credit Card Remembers Where I´ve Been, mit tollem rhythmischem Vorspiel, das in große Spielfreude ausartet, unterbrochen durch das Schlagzeug-Solo von John Miller und das verbale Extro von Regen kurz vor der Pause. Das normalerweise verträumte Little One, ein Song an ein Kind, spielt der liebenswerte Pianist danach gehackt, mit ebenfalls ausuferndem Pianopart, wozu Miller, der manchmal etwas zu laut ausgesteuert ist, zusammen mit dem zurückhaltenden Bassisten PJ Phillips in größter Einfühlung begleiten. Dieses Miteinander als Kommunikation zu beobachten ist Lustbefriedigung von reinstem Herzen. Sie findet ihre Vollendung im weiteren Highlight des Abends, der Interpretation des The Police-Songs How Fragile We Are, eingeleitet von mitreißendem lyrisch-klassischem Jazz-Vorspiel. I Told You So, eine leichte Rhythmik mit viel Klavier bei subtiler Melancholie, gibt es leider noch nicht auf CD, ein Grund, warum man kein Konzert von Jon Regen verpassen sollte. - Der Applaus wollte nicht enden, Regen brachte ihn mit zwei Zugaben zum betretenen Verstummen: dem komplex-romantischen Don´t Stop Believing und The Last Song, dem "allerletzten Song an die Ex", was Regen - wie einsam zurück bleibend - sehr traurig alleine spielte ... e.o.


Jon Regens CD Let It Go - eine Gemütswanderung für die Zuhörer(in)

1) Let It Go
Rhythmisch und kompositionstrukturell einfach, fast lustig,
der Text über den Abschied von einer Frau aber ist zynisch roh.
Als wäre es ein Genuß für ihn, den eigenen Schmerz in ihrem Gesicht zu sehen.
Große Anklagen: "The only friend you need is right inside yourself".
Doch überschlagen sich ihm als Pianisten die Tasten,
und seine Stimme im letzten Refrain.
Brutalität als Umkehrung der eigenen Verletzlichkeit.
Die gibt es oft bei Männern.
Am Beziehungsende.
Warum?

2) It´s Alright By Me
Jon spielt neben dem Piano auch Orgel,
das ist subtil feierlich!
Der Mann freut sich über die Frau, die sich zu ihm setzt,
ihm den Tag rettet.
Nur, um zu reden, ihm die Einsamkeit zu vertreiben,
mit ihrem Lächeln,
trotz ihrer tausend Termine.
Nein, ich denke, sie hält ihn nicht für einen Langeweiler.
Möchte wie er, sie küßt ihn in diesem Moment,
aus dem Nichts heraus, ohne Absicht, ohne Verpflichtung.
Und gerade dann verliebt es sich so leicht.
Wünsche, sein "Lord I´m hoping you´ll stay
Cause I feel like I´m home" erfährt keine Täuschung ...

3) Close To Me
Tat Jon unrecht,
dachte Andy Summers Gitarre würde seine Songs kommerzialisieren.
Stimmt nicht.
Klingt auf My Space übers Internet auch ganz anders als von der Stereoanlage.
Das ist rockig, Erde, wie Sex,
wenn es um nichts anderes zu gehen hat.
Oh ja, "sie" hat ihn "aufgeweckt"
- "I´ ve learned To let you into places I had left for dead" -
Geschah das wirklich innerhalb von neun Stunden am Flughafen?
Kennt er sie noch?
Oder erzählt er "die Geschichte, die er am ersten Tag mit ihr begann",
jetzt einer anderen weiter?
- Sorry Jon, I guess, I´m jealous ...

4) I Come Undone
Jon hat also auch eine Freundin verloren, die sich das Leben nahm.
Tina.
Wenn diese Leute nur wüßten,
was sie denen antun,
die zurück bleiben.
"I try to run away
I´m calling out
Running round
I´ve fallen down."
Das Klavier fällt die Tonleiter runter.
"I´m not so good at this...
It isn´t so
That time will heal a broken heart
I tried, they lied, I´m torn apart."
- Fand das Background-Gesäusel von Martha Wainwright zuerst kitschig,
als ich noch nicht auf den Text achtete.
Jetzt find ich es sehr sensibel.
Denn das ist doch auch der (Frei)Tod: sensibel.

5) Something To Hold
Sanft verträumtes Wurlitzer-Piano anfangs,
Cello von Julia Kent im Refrain.
Jon singt jetzt (ausschließlich) über sich.
Über seinen pessimistischen, enttäuschten Status Quo im Leben.
Mit Monden, die ihm geschenkt und wieder genommen wurden,
mit Räumen aus Nichts, nur Stille.
Die Poeten und Prediger sind aus seinem Herzen ausgezogen.
Er: "I´m looking for something to hold."
"This is my battle cry."
Das ist mein 1. Lieblingslied.

6) Better Days
Einsames Piano,
einsamer Mann
doch mit dem streichelnden Schlagzeug von Bill Dobrow
gewinnt auch Jons Stimme an Hoffnung.
Auf bessere Tage,
Ich hör´s an seinem Spiel voller Kraft und Fülle.

7) Piano-Interlude
Doch da ist noch immer so viel Trauer.
I´d like to hold you, Jon.
Like a mother.
Who ever you are.

8) Finished With This
Der Mann ist an eine Lügnerin geraten,
wie ich vor langer Zeit an einen Lügner.
"When you told me
you burned for my body and heart,
Were you reading from papers,
were you playing a part?"
Nur sind das meist keine Lügner,
sondern ängstliche Pragmatiker,
ohne Fantasie
für ein individuelles Leben.
Das sind die Krankenschwester-,
die Kindergärtnerinnen-,
die Volkschullehrerinnen-,
die Sicherheits-Liebhaber.
Die Bankangestellten-,
die Manager-,
die Beamten-Liebhaberinnen.
Die nicht wissen,
dass die größte Sicherheit im größten Gefühl liegt.
Vielleicht können sie vergessen,
was Jon so sinnlich singt,
"the shape of your kiss";
vielleicht können sie verdrängen,
wovon er sich fragt,
"Did your chest burn like mine did,
when we walked away?"
Es bleibt tatsächlich nur,
den Schlußstrich zu ziehen,
hinter der Frage an sich selbst nach einer einseitigen Einbildung:
"Was it all in my head?".
- Mein 2. Lieblingslied.

9) Photographs Of You
Ja, die Photos -
man sollte sie wegwerfen,
oder weit unten im Dachbodenschrank vergraben.
Die Tapferkeitsausflüchte werden mit ihnen nicht weniger:
"I hardly think about you -
Maybe most of the time."
Was wir dafür aufheben,
ist Jon und sein pures Klavier.

10) Finding My Way Back To Me
Hurra,
er ist über´n Berg.
Bei The-Police-Anspielungen
und Andy Summers "blumiger" Elektrogitarre.
Er war zwar gegangen,
"But I´m not running anymore, from anything at all",
hatte den endgültigen Zusammenbruch riskiert,
um jetzt zu wissen,
"Leaving my past so far behind, it´s just memory.
That will remind me of who I never want to be."
Er findet über jede Note, jeden Meter, seinen Weg,
und nimmt sich ab nun vor: "every song´s a little sweeter".

11) Disappear
Rückfall.
Oder einfach Angst vor dem nächsten unehrlichen Endlosspiel?
Der tödlichen Mischung aus Begehren und Täuschung.
Magische Tricks, die den Liebenden verwirren.
Hoffnung: "Do you dream of me at night?"
Sarkastik: "I bet you don´t, your conscience won´t."
Anfangs ihr kaltes Herz durchschaut, hatte er sie fast fallen gelassen,
und wurde es dann aber von ihr:
"Only you could break us apart."
Wer soll also endlich verschwinden,
sie aus ihm, oder er von hier?

12) The Last Song
Ihre Nummer aus dem Telefon zu löschen,
fällt ihm schwer.
Letztes Wiedersehen,
das Cello klingt nach Tod.
Doch sein Galgenhumor wird Jons Anker sein:
"Could you have stayed away?
Would it have killed you, not to see me once again?"
Selbst wenn der Körper protestiert:
"When you hold my hand,
please understand the blood runs through my veins so fast
I wonder If I´ll pass this test at all
I try to act so cool,
so confident I´ll make you come to me, I say
But just one look at you, and there I fall."
Gebrochener Stolz,
Hoffnung,
dass die Zeit den Raum zwischen Kopf und Herz kalt werden läßt.
- Diesen allerletzten Song an sie,
singt Jon am Ende eines jeden Konzerts.
Hope she has earned this big attention!


DAS URTEIL JON REGEN - EIN GROSSER JAZZPIANIST, EIN GROSSER KONZERT-PERFEKTIONIST, EIN GEFÜHLSMENSCH MIT MELANCHOLISCHER LUST AN DEN SCHATTENSEITEN DER LIEBE UND DES LEBENS

Link zu Songs und Tourdaten von Jon Regen:
www.jonregen.com

Nächstes Jon Regen-Konzert in Wien:
KONZERT Jon Regen * Ort: Birdland, Wien * Zeit: 15.05.2008: 20h
Und: Am 17.5.2008 wird JON REGEN´s Trio ab 20h live am Wiener Rathaus beim Life-Ball zu sehen sein. Das Event wird im ORF und per 3-Sat übers Fernsehen übertragen!