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Friday, April 17, 2015

MUSIK: MIT „STOP TIME“ SCHLÄGT JON REGEN EIN NEUES KAPITEL SEINES SELBSTBEWUSSTSEINS AUF

In Stop Time reflektiert Jon Regen über die Innenwelt und die (mediale) Außenwelt des Menschen. Welche davon die stärkere und begehrenswertere ist, sagt die Intimität seiner neuen CD. (Foto © Rebecca Meek)

REIGEN WIEN AM 3. JUNI 2015 IST ES WIEDER SO WEIT: DER US-SINGER-SONGWRITER, BLUES- UND JAZZ-PIANIST JON REGEN GASTIERT MIT TRIO IN ÖSTERREICH. ENDE APRIL ERSCHEINT SEINE NEUE CD STOP TIME. ES IST EINE TIEFGRÜNDIGE ABHANDLUNG ÜBER DEN STATUS QUO SEINES LEBENS, SEINER LIEBE UND EINE MUSIKALISCHE LOSSAGUNG VON JEDER KOMMERZIELLEN ANBIEDERUNG.


Einen langjährigen Fan werden die ersten drei Nummern seiner neuen CD Stop Time kaum überraschen: obschon das drei melodisch meisterlich gemachte Blues-Kompositionen sind, wie man sie von dem geschmackvollen Singer-Songwriter Jon Regen kennt. Das erste Lied I Will Wait besticht allerdings durch textlich außergewöhnliche Raffinesse. Es eröffnet, um was es in den zehn Nummern gehen wird: um Jon Regens Liebe zu seiner zweiten Frau Kristin, die er letzten Frühsommer geheiratet hat, sowie seine damit einhergehende Selbstfindung als ein in der Lebensmitte stehender Mann. Und bei all dem Glück, das man dem lange „Flirtenden“ für die Paar-Entscheidung wünscht, echt spannend wird man seine existenziellen Erkenntnisse aus Lebenserfahrung finden: weil sie ihn auch kompositorisch zu Neuem führen.
Produzent Mitchell Froom hatte für die neue CD die Idee, der Intimität von Regens Liedern ein ebensolches Setting zu verschaffen. Dadurch wurde sie selbstbewusster als jede andere zuvor, wo mehr Instrumentalisten und weniger Experimente mitspielten. Die ganz nah ins Mikrofon singende Stimme Regens und sein Klavierspiel werden nur von zwei Koryphäen am Bass und am Schlagzeug unterstützt: Davey Faragher (bass) und Pete Thomas (dr), den Band-Mitgliedern von Elvis Costello and the Imposters. Gezielte Text-Stellen ergänzen Froom und Regen durch rare Keyboard-Effekte, die umso stärker auffallen und die Aussage noch signifikanter machen. Dadurch wird die souveräne „Liedermacher-Persönlichkeit Jon Regen“ präsentiert, so wie Frooms  Label-Stars, Randy Newman und Paul McCartney, oder wie in den 90er Jahren die ebenfalls stark Text-Lied-orientierte Suzanne Vega (Luka, 1987, My Favorite Plum, 1996), mit der Froom zu jener Zeit auch verheiratet war.

Der Dichter Jon Regen über Ego und Liebesfindung


Der „Dichter“ Regen zeigt sich nun in I Will Wait, indem er akustisch wiederholt scheinende Textzeilen so minimal abwandelt, dass sie einen wendungsreichen, psychologisch fundierten Sinn ergeben:

Well, there´s millions of people 
(Es gibt Millionen von Leuten)
Adrift in this world
(treibend (auch: herrenlos) in dieser Welt)
Hoping to find themselves a boy or a girl
(Sie hoffen, sich selbst zu finden – ein Junge oder ein Mädchen)

Regen sah sich als einer von diesen suchenden Leuten, bis er jene - gerade weit entfernte - Frau fand, auf die er wartet. Die Sehnsucht nach ihr bringt ihn dazu, über sich selbst und seine Veränderung durch sie nachzudenken. Um den Kitsch zu entschärfen, baut er Situationskomik ein, die noch einmal doppeldeutig mit dem „herrenlosen“ Tier spielt: „I´d sleep with your cat, But I´m scared he might bite, Before the day I met you, I was losing my mind“  / dt: „ich könnte (Anm. Red.: statt mit ihr) - mit deiner Katze schlafen, fürchte aber, sie könnte beißen, Bevor ich dich traf, War ich dabei, meinen Verstand zu verlieren“.

Well, there´s millions of people
(Es gibt Millionen von Leuten)
Alive in this world
(Die in dieser Welt leben)
Hoping to find them a boy or a girl
(Sie hoffen, auf ein Mädchen oder einen Jungen zu treffen)

Mit der Nuance-haften Verkürzung von „themselves“ (sich selbst) auf „them“ (für sich) gelingt Regen die psychologische Erkenntnis, dass sich die Suche nach sich selbst eigentlich mit dem Finden des passenden Partners erledigt. Sich damit zufrieden zu geben, ist für jeden Single in dieser Welt, der sich bindet, das Zeugnis zur Paar-Reife.

Über den Partner zu sich selbst


Diese Erkenntnis verleitet Regen im zweiten, dynamisch-beschwingten und positiv motivierten Blues-Song Morning Papers noch zu einer Steigerung der Prioritäten-Setzung von individuellen Bestrebungen in Bezug auf die in Zeitungen gepriesene Außenwelt, wo über „Gewinner und Nehmer“, „Fusionierungen und schöne Wolkenkratzer“, „Mogule-Treffen und Fernseh-Vortäuscher“ berichtet wird. Zu jenen möchte der Einzelne in seinen Träumen gehören, so auch Regen, der das aber mit an Unechtem orientiertem „Größenwahn“ vergleicht. In Wahrheit bringe der Austausch über diese Außenwelt mit dem Partner die tatsächlich erstrebenswerte Echtheit. „Die Außenwelt“ mündet als akustische Verdoppelung des Texts in einem Echo-haften Künstlichkeitston, der zunächst zaghaft mitspielt, und am Ende wie im unwirklichen Film als Schall und Rauch vor dem übrig bleibenden, „echten“ Klavier in der Ferne ausklingt.
Das dritte Lied Run To Me richtet sich in der einschlägig melancholischen Blues-Stimmung an die Partnerin, die er ermutigt, zu ihm, dem „Kompass-Zeiger, dem Freund, dem Geliebten“ zu kommen, wenn sie ihren Halt oder Glauben verloren hätte. Und er endet mit dem Medien-Anknüpfungspunkt des zweiten Songs:  „Wenn deine wildesten Pläne weggeworfen werden, wie die Magazine des letzten Monats, Und wenn nichts mehr übrig bleibt, als zu schreien, Kannst du zu mir eilen.“ Damit meint er, dass sich auch die Partnerin – so wie er zuvor – darüber bewusst werden muss, dass „er“ die vertrauenswürdigere Garantie von Nähe bringt als jedes ehrgeizige Streben nach Anerkennung von der Außenwelt.

Kein Woody Allen, aber ein New Yorker mit Borderline-Problem


Ab Song Nr. 4 kann sich dann der treueste Jon-Regen-Kenner fünf Nummern lang überraschen lassen, weil nicht nur jedes Lied sehr speziell, fein und künstlerisch eigenständig ist, sondern auch inhaltlich und akustisch Außergewöhnliches bietet. Borderline beschreibt das Bild des New Yorker Stadtneurotikers, allerdings nicht so, wie man sich eine Woody-Allen-Figur vorstellt, sondern den enttäuschten Musik-Künstler Jon Regen, der eben jede Hoffnung verloren hat und deshalb durch die Stadt irrt. „Geschlagen von Feinden, Und aufs Kreuz gelegt von Freunden, So dass es schwierig ist, auszumachen, wer ehrlich ist und wer sich verstellt...“ Darauf folgt der Refrain, und der ist als psychoanalytische Selbstdiagnose gleichermaßen brutal wie als Liedtext über das Stilmittel der Übertreibung komisch: „Cause I´m Stuck in the middle on the borderline ...“ (Denn ich stecke mitten in der Borderline) – was „Grenzlinie vor einer Entscheidung“ oder eben die „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ bedeuten kann. Beides ist aufgrund des restlichen Textes plausibel, weil Gefühle der Leere und Instabilität in Beziehungen, Stimmung und Selbstbild beschrieben werden. Gegensätzlicher Weise wirkt der Refrain aber wie ein guter alter, Zufriedenheit ausdrückender American Country-Song, wozu der zweistimmige Chor (Val McCallum und Davey Faragher) einstimmt und beruhigende Gitarretöne erklingen (McCallum). Die Abreise aus der Weltstadt aufs Land ist also praktisch schon zu hören, bevor der Entschluss „zu gehen“ am Ende ausgesprochen wird. Motivierend und hell signalisiert das Keyboard die innere Erstarkung, bis es nach dem Tief zu dieser „Erleuchtung eines Neuanfangs“ kommen kann.

Ein kleines Kunstwerk: Stop Time als Einheit von Form und Inhalt


Mit Stop Time folgt in seiner Leichtigkeit, in seinem Schalk, in seiner künstlerischen Komplexität von musikalischer Form und Inhalt, kurz in seiner Originalität, ein Highlight der CD. Nicht umsonst trägt sie ja auch den Titel dieses Liedes. Der Rhythmus des Schlagzeugs ist schon einmal komplett a-typisch für Jazz und Blues, und für Jon Regen an sich, sodass man allein deshalb zuhören muss. Marschartig, als ticke der Sekundenzeiger einer lauten Uhr, treibt es einen humorvoll ausgeglichenen Mann an, den Blick auf sein bisheriges Leben zu richten. Er steht allerdings noch nicht so abgeklärt über allem darüber, denn sich mit seinen amourösen und materiellen Rückschlägen sowie dem Altern abfinden, das will er nicht. Lieber möchte er mit der Fantasie eines Kindes die Zeit stoppen und sie zu jenen Momenten zurückdrehen, um Fehler des Lebens auszubessern: „When I was a boy, I had it all too good, No one ever said, it would turn to soot, Getting old´s a bitch, I don´t believe you should, Stand in line like all these fools, I will not lay down, I won´t turn to dust, I´m gonna crack this code like a scientist“ („Als ich ein Junge war, hatte ich es rundum gut, Niemand sagte jemals, es würde sich alles in Ruß verwandeln, Alt zu werden, ist eine Schlampe, ich glaube, du solltest nicht wie all die Narren in der Schlange  stehen, Ich werde mich nicht hinlegen, ich werde nicht zu Staub zerfallen, Ich werde diesen Code knacken wie ein Wissenschaftler“) Das Schöne und Geistreiche an der Nummer ist allerdings, dass die Musik diesen Wunsch konterkariert. In der Mitte gibt es zwar einen rhythmischen „Stop“, worauf eine den Reparatur-Willen des kleinen Jungen ausdrückende Kinderlied-Passage folgt. Diese geht aber in einem ausufernden Swinging-Jazz-Piano-Solo auf, sodass dem Zuhörer über die Virtuosität vor Begeisterung der Atem stockt. Damit wird klar, dass in der Kunst alle Irrwege und Lebensbruchstellen willkommen sind, es geht nur darum, sie gekonnt und harmonisch ins geradlinige Ganze einzubetten. Und letztendlich gilt das auch für das Leben und die innere Reife des Menschen an sich.

Feinheiten zum Nachdenken, sinnlich träumen und experimentell ankommen


Darauf folgen drei ruhige, ernste Lieder. Walk On Water ist mit melancholischer Moll-Note ein Aufruf an jeden Einzelnen, die schmerzlichen Herausforderungen des Lebens anzunehmen; es ist zum puren Klavier einnehmend intim und hat mit den Bildern „über Wasser oder durch Feuer zu gehen“ religiösen Charakter. Das Klavier geht diesen Weg der lohnenden Überwindung im kurzen Solo vor. Nur so könne ein Neuanfang gelingen, der die ureigenen Träume wahr werden ließe.
Verführerisch ist Annie, wobei die „Verführte“ die Gitarre von Val McCallum ist, die im Duett von Jon Regens sensibel-liebevollem Wurlitzer-Spiel zu einer unglaublichen Einfühlung gelangt: Erotischer und sinnlicher kann die Musik zweier zusammen spielender Instrumentalisten kaum sein. Da ist es fast hinfällig zu bemerken, dass auch der Text von der „geflohenen Annie“ nichts anderes will als Sex und Liebe, Geben und Nehmen, und das auch noch mit Ewigkeitsversprechen.
Home Again hat mit subtiler Anspielung an Message In A Bottle von The Police - eine von Jon Regen verehrte Band - am meisten Pop-Charakter. – Es ist der erste Song, den es von Regen in diesem Stil gibt. – Denn es werden durchgehend Verfremdungseffekte verwendet. In der reduzierten Anwendung bleibt der Song aber künstlerisch fein und experimentell. Regens Stimme arbeitet mit Echo, als sei die singende Person weit weg, und die Musik wird wie aus der Ferne ins Jetzt eingeführt. Regen träumt „von dort“ vom Gesicht der Geliebten, das vor seinen Augen schwebt. Er zählt die Meilen, die noch fehlen, um wieder daheim zu sein. Wobei das „Wieder Daheim“ generell auf „sie“ als Person gerichtet ist, die ihm endlich wieder dieses Gefühl von Zuhause geben kann.

Wem das zu verdanken ist


Chapter Two ist der fröhliche Ausklang, eine Hymne an „Sie“ als sein „zweites Kapitel“, das er diesmal durchzieht, obwohl er nicht genau weiß, was an ihr eigentlich so speziell ist. Und er resümiert über sich: „Mir gehen die Gründe aus, warum ich alleine lebe, All die leeren Versprechen enden mit dir, Ich weiß, ich kann jetzt für immer lieben.“ Als Nachspiel ist wohl das kurze These Are the Days gedacht, (möglichweise hat er es am Tag vor seiner Hochzeit geschrieben). Jon Regen allein an seinem Klavier. Er sinniert über die kleinen Erdbeben dieses Lebens: über das Regeln-Befolgen in der Kindheit und deren Brechen in der Jugend, über die Fehler und großen, unwirklichen Träume, die nun, mit „ihr“ als Partnerin, vorüber sind und nur noch als Erinnerung bleiben. Die machten ihn alt, während „sie“ ihn jetzt verjünge ... e.o.

Siehe auch Link: Jon Regen Stop Time-Album-Trailer
 
Sowie Link: Für das Lied Home Again gibt es bereits ein Studio-Video
Sowie Link: Studio-Video von I Will Wait


DAS URTEIL JON REGEN WIRKT MIT SEINER NEUEN CD STOP TIME SELBSTBEWUSSTER DENN JE. TROTZ INSTRUMENTALER REDUKTION UND WEGEN EXPERIMENTELLEN ÜBERRASCHUNGSMOMENTEN. VIELLEICHT IST SEINE ERKENNTNISFÄHIGKEIT ALS MANN DER LEBENSMITTE DER GRUND DAFÜR, VIELLEICHT HAT IHN SEINE NEUE, GROSSE LIEBE „BEFREIT“.  ER IST JETZT INTIMER, KLARER, FEINER – UND LOCKERER IN SEINEM SCHWARZEN HUMOR.

CD & KONZERT Stop Time * Jon Regen Solo 2016 * Mit: Jon Regen (piano, voc) * Ort: Reigen Wien * Zeit: 29.9.2016: 20h30 
CD Erscheinungsdatum: 28. 4. 2015 bei Motéma Music * Musik und Text: Jon Regen * Produzent: Mitchell Froom * Mit: Jon Regen (piano, wurlitzer, voc), Davey Faragher (bass), Peter Thomas (drums), Mitchell Froom (keyboards), Val McCallum (guitar), Don Heffington (congas)

Saturday, April 21, 2012

MUSIK: JON REGEN KOMMT MIT "REVOLUTION" WIEDER NACH WIEN

Im Wiener Birdland waren Jon Regens Konzerte stets gut besucht gewesen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass er nach seinem Revolution-Konzert am 8. Mai 2013 im Wiener Reigen an seinem Erfolg anknüpfen kann. (Foto © Elfi Oberhuber)

REIGEN WIEN DASS ZUM LETZTEN KONZERT DES BEGNADETEN US-MUSIKERS UND SEINER EUROPABAND NUR WENIGE - ALLERDINGS SCHWER BEGEISTERTE - BESUCHER KAMEN, IST UNFASSBAR. ES WAR JEDENFALLS EIN TOP-KONZERT. MIT LIEDERN DER NEUESTEN CD REVOLUTION KOMMT DIE JON REGEN BAND AM 8. MAI 2013 WIEDER. HIER IST SCHON MAL DIE KRITIK ZU SEINEM MEISTERWERK.

Es ist ein heiliger Moment im Klangreich der neuen CD Revolution des US-Singer-Songwriters und Jazz-Pianisten Jon Regen, als mit der Neunten von zehn Nummern Spirits of the Soul die Sonne aufgeht. "The blues is fresh, but the music is old" (der Blues ist frisch, aber die Musik ist alt) ist die tragende Textzeile, die literarisch elegant in die menschliche Gefühlszone dringt, sodass sich der Hörer erneut seinem Konzentrationssensorium hingeben muss, wo er doch ohnehin seit Anbeginn lauscht. Denn eine Jon-Regen-CD ist immer ein bis ins kleinste Detail durchdachtes, komplexes Folgewerk, wo man von vorne bis hinten zuhört und nicht abschalten kann, selbst wenn beinahe jede Nummer ein potentieller Hit ist und für sich selbst steht. Die Aufmerksamkeit des Hörers taucht zu diesem Zeitpunkt in eine traurige, zeitlos schöne "Chopin"-Atmosphäre ein, ja, in klassischen "Chopin", obwohl das Blues und Jazz und Pop - und zwischendurch auch Rock - ist, was da zu hören ist. Regen spielt dieses Lied einfühlsamer und ernster, nicht mit dem Swing-Drive, den er sonst so gekonnt drauf hat.

Gleich präsent wie er, wenn nicht sogar präsenter, ist Ex-The-Police-Gitarrist Andy Summers mit seinem beginnenden Bossa-Rhythmus und seiner lautmalerisch fortsetzenden, metallen-tscheppernden Konzertgitarre, die er zupft, während ihn Julia Kent am Cello begleitet. Ihre Saiten klingen so klar und endlos-wichtig, als erzählten auch sie den Inhalt von Jon Regens-Stimme. Es geht um Erinnerungen, die Regens Gemüt wie Stalker heimsuchen, nachdem ihn eine geliebte Person verlassen hat. Sie bescheren ihm ein Gefühl der Leere und Schuld, wie er es schon oft erfahren mußte. Er, der Musiker, schöpft aber letztlich aus diesem Gefühl für seinen typischen Stil: "The blues is fresh but the music is old", eben. Das hat auf entrückter Ebene subtilen, schwarzen Humor, wie er einige Male mehr oder weniger verhalten auf Revolution zu finden ist.


Kein toller Höhepunkt ohne gigantisches Vorspiel


Spirits of the Soul ist auf der CD Höhepunkt und leichter Stilbruch zugleich. Und er wäre weniger herausragend, würde die immer spannender werdende Abfolge der Lieder zuvor nicht sein. Scheinbar unterliegt das ganze Konzept der Reihung einer (werbe)psychologisch gewinnenden Strategie. Es beginnt mit der "Einführungsnummer" und dem Titellied Revolution, dem einzigen schwächeren Lied, nebenbei bemerkt. Möglicherweise liegt die Schwäche an den plump gesetzten Instrumenten Cello und Percussion im einfach gestrickten Hauptteil, wodurch auch der Text etwas konstruiert wirkt. Doch Regens raffiniertes Klaviersolo signalisiert dann doch noch die Ruhe vor dem Sturm (die Revolution), der bereits mit der zweiten Nummer aufkommt. Seine Windstärke liegt bis zur vierten Nummer vor allem auf der Wort-Ebene, d.h., der Hörer wird geistig erfaßt und emotional für die klanglich in der Instrumentation immer wieder wechselnde und anwachsende Musik der kommenden Songs "geöffnet".


Erste Gefangennahme durch Worte


So also, wenn Regen in She´s Not You davon singt, dass er in diesem billigen Hotel feststecke, wo der Fernseher kaputt sei, und er sich nicht wohlfühle, sodass er sich gemüßigt sieht, in die Bar zu gehen. Und: "Da war "sie". Sie könnte deine Schwester sein!" Doch: "Sie ist nicht du, aber heute Nacht muss sie es sein". Die Begeisterung für die Frau hält zu angenehm lockeren Rockswing-Klängen fast bis zum Ende an, bis er durchblicken läßt: "Ich hänge immer noch an dir." Dieselbe amouröse Leichtigkeit mit einem Hauch schwarzen Humors und Selbstironie bezüglich der eigenen Rührseligkeit und Musikerexistenz hält auch in Delores an. Das Lied beginnt schon so: "Alle schönen Frauen sind beschäftigt, alle netten Kerle sind betrunken. So lass uns ausgehen, Delores, um uns ein bißchen zu vergnügen. Nun, deine Mutter sagt, ich sei verrückt. Dein Bruder sagt, ich bin zu alt. Du hast einen Vater in der Marine, er sagt, ich passe nicht zu Eurer Lebensweise..." Sie solle doch tun, was sie wolle, denn sie hätte ihr Leben in der eigenen Hand. Dass "seine" andere Lebensweise allerdings auch einiges zu bieten hat, bekräftigt die zärtlich-elegant swingende Hammond-B3-Orgel von Benmont Tench im präsenten Back- und Sologround, dem ersten Gaststar-Musiker auf der CD. Im vierten Just Waiting For Now wird die Ironie zwischen Text und Musik noch stärker, indem sich der Inhalt um eine philosophische Abhandlung vom Fallen und auf dem Boden aufkommen, vom Wegrennen und Eingeholtwerden, und dem "Warten auf das Jetzt" einem locker-fröhlichen Pop-Blues-Orchester aus Akkordeon, Melodica (auch von Jon Regen gespielt) und Orgel neben den "Standards" Piano, Bass und Schlagzeug gegenüber stellt.


Überwältigung durch die Musik


Ab Excuse Me, But It´s Not Supposed To End Like This, dem fünften Song, geht die musikalische Größe schließlich ganz auf, sodass der Text zweitrangig wird, wenn Regen (wie schon in früheren Nummern auf der CD Let It Go) von seinem Trennungsschmerz singt. Mit dem Tenorsaxophon von Mike Karn und Trompeter Jim Rotondi bekommt die CD einmalig eine neue, vollere Klangfarbe. Dadurch kommt das wieder reduzierte One Part Broken, Two Parts Blue mit den Frontinstrumenten Akkordeon und Klavier neben der einfühlsamen Background-Orgel von Matt Rollings erst recht beim Hörer an. Vor allem auch wegen der treffend schönen, traurigen Metapher einer Empfindung "Ein Teil zerstört, zwei Teile melancholisch (=blue(s))", passend zu einem Morgen in New York, wo Jon Regen zuhause ist. Fighting For Your Love ist dann die sexuell befreiende, rockig-schnelle Lebensfreude als Antwort, musikalisch und inhaltlich. Sowohl die Akteure - Regen am charismatischen Piano und mit seiner männlichen Mikrofonstimme neben seiner erdig-rauen Co-Sängerin Dana Fuchs - als auch die Unterstreicher, der gas-gebende Schlagzeuger John Miller und der dynamische Bassist PJ Phillips, sowie der rassige Gitarrist George Marinelli, stehen hier für den aktiven Kampf ums Liebesglück schlechthin. Die darauffolgende Nummer If You´re Here beginnt wieder ruhig und extrem stark mit den zwei genialen Solisten, E-Gitarrist Matt Beck und Ricky Peterson an der Hammond-B3-Orgel, sodass auch Jon Regen - aus der verbalen Orientierungslosigkeit ohne die Stabilität der geliebten Person - an der Orgel und am Wurlitzer zu seiner Hochblüte gelangt.


Erfüllung durch Wort und Musik


Und damit sind wir beim anfangs beschriebenen Spirits of the Soul, das den Hörer bis ins Detail gefangen nimmt. Dieser Song wurde übrigens neben Regen von Tenor David McAlmont co-geschrieben, der im letzten Song Run Away im Duett mit dem Bandleader, oder besser, als Lead-Sänger auftritt und noch einmal eine komplett neue Klangfarbe mitbringt. Diese beiden Stimmen - wie schon die Regen-Kombination mit Dana Fuchs zuvor - sind dermaßen originell und gleichzeitig stimmig ergänzend, dass es dem Zuhörer die Sprache verschlägt. So originell und stimmig, wie es durchgezogen die Instrumental-Arrangements der ganzen CD sind.

Mit einem Wort: Jon Regen und seine Co-Produzenten Matt Rollings , Juan Patino und Mischer John Porter, Michael H. Brauer haben sich mit dieser CD Revolution übertroffen. Eine extreme Befriedigung für jeden Musikfetischisten, und vor allem Qualitätskenner!      e.o.
          

DAS URTEIL DIE NEUE JON REGEN - CD  REVOLUTION IST EIN MUSIKALISCHES KUNSTWERK, DAS UNS ÜBERLEBEN WIRD. ES BLEIBT ZU HOFFEN, DASS DAS MUSIKLAND ÖSTERREICH DIESE PERLE BEIM NÄCHSTEN KONZERT ZU SCHÄTZEN WEISS.

CD & KONZERT Revolution * Jon Regen Band Tour 2013 * Ort: Reigen Wien * Zeit: 8.5.2013: 20h30

Sunday, November 25, 2007

MUSIK: JULIA KENT UND BEN WEAVER WECKEN VERLORENE GEFÜHLE

Julia Kent, die auch bei Jon Regen spielt, wurde als Solistin mit eigenem Klang im WUK praktisch überquatscht ...

Ben Weaver hatte mit seiner typischen Trendmusik die völlige Aufmerksamkeit des jungen Publikums. - Das wegen der geschäftigen Bewerbungspraxis leider fehlgesteuert wird!


WUK US-CELLISTIN JULIA KENT WURDE EIN OPFER DER BEWORBENEN MASSENBEWEGUNG DER JUGENDKULTUR: WEIL ALLE AUF DEN KANADISCHEN SINGERSONGWRITER BEN WEAVER WARTETEN, ÜBERSAHEN SIE IHRE QUALITÄT

Es ist immer wieder erstaunlich zu entdecken: Je mehr Kunst, Kultur, Theater, Tanz, Musik, ... man besucht und miteinander vergleicht, desto mehr wird man sich bewußt, dass den individuellen Betrachter nicht unbedingt das Kunstfertigste oder in sich geschlossenste Werk am meisten berührt, so dass es danach noch in ihm arbeitet, sondern das, was ihn selbst, einschließlich seiner Schwächen und Erinnerungen des Scheiterns, am meisten entspricht. Ein Kritiker sollte sich deshalb von sich selbst distanzieren und auf Fakten besinnen, weil ihm sonst nur fünf Prozent allen Vorgeführten tatsächlich gefiele: andererseits liest man genau deshalb so viel Abgeschriebenes, rein Beschreibendes oder Gebrauch-Geschriebenes, das im Groben schon mehrmals woanders zu lesen gewesen schien. - Wenn man für´s Kritiken schreiben bezahlt wird, passiert es also aus dem dienenden Rollenverständnis heraus, und so dirigiert letztendlich die "Worthülse" das Geschehen. Weil´s eben auch ein Geschäft ist. Bestes Beispiel dafür zeigen die Ergebnisse bei der Suche nach speziellen Kritiken über Google. Bis man hier eine ehrliche Meinung findet, wird man wahrscheinlich bis Seite 20 gelangen... Gleichzeitig zeigt es, dass zu viele - Slogans von einander kopierende - Kultur-Werbetreibende (ohne echtem Interesse für die von ihnen beschriebene Kunst) tätig sind, die jene, die sich die Mühe machen, sich mit einem Künstler oder Werk tatsächlich auseinander zu setzen, verdecken. Mit einem Wort, im Internet entwickelt sich dasselbe Phänomen wie zuvor in der massenmedialen Print- und Fernsehlandschaft: indem das mengenmächtige Oberflächliche, der Ankündigungsjournalismus, das rare Originäre aussticht.

Wie Werbung edle Einzelgänger aussticht

Beim Ben-Weaver-Konzert im Wiener WUK nun, das von der Solo-Cellistin Julia Kent eingeleitet wurde, erlebt man denselben Effekt auch live. Abgesehen davon, dass hier der Sog der Jugendkultur mitschwingt, wo die oberflächliche Massenbegeisterung gegenüber einer Sache so schnell entsteht wie sie vergeht. Obendrein fällt einem die damit einhergehende Verlogen- und Verlorenheitsatmosphäre der eigenen Jugendzeit wieder ein, die man als Erwachsener längst hinter sich glaubte.

Voraus geschickt sei an dieser Stelle, dass die Kritikerin dieses Konzert primär besuchte, weil sie vom New Yorker Blues-Jazz-Singersongwriter Jon Regen restlos begeistert ist - von der Atmosphäre seiner Persönlichkeit bis zu Musik und Texten - weil er eben - rein gefühlsmäßig - sehr viel mit ihrer Befindlichkeit und Erfahrung gemein zu haben scheint. Weil also in seiner CD Julia Kent die Cello-Begleitung verantwortete, und ihr elektronisches Solo-Spiel nach einem ersten Check auf My Space noch einmal anders und interessant klingt, ging sie auf dieses Konzert (mit der Hoffnung, dass dieser Ben Weaver vielleicht auch etwas vom sehr eigenständigen Jon Regen haben möge).

Die Mode der Jugend-Verlorenheit

Da steht man also, in einem dunklen Raum, während die einsame Julia Kent spielt, erahnt die vielleicht acht Zuhörer, die aufmerksam zuhören und die zwanzig Schatten im Hintergrund, die laut schwatzend stören. Dieser Frau, die hier als Häuflein Elend ihre Nummern herunter spult, weil sie die Ignoranz gegenüber ihres Stils in dieser Stätte total mitkriegt, entzieht das Publikum die Anerkennung, die ihr aufgrund ihres Könnens gebührte. Ein Stil, der nicht nur fachlich anspruchsvoll ist, sondern auch emotional berührend wäre, würde die Haltung der Musikerin mit 0-Show-Effekt nicht mit jedem doch so schön gespielten Ton sagen: "Eigentlich würde ich am liebsten im Erdboden versinken." - Julia Kent ist ein Opfer der massenmedialen Bewerbung dieses Konzerts, die allein Ben Weaver diente, der eine gänzlich andere - jugend-mainstream-akurate - Musik macht. Dabei würde ihre, in der technischen Handhabe aufregend zu beobachtende Musik mit dem klassischen Cello, das mit Elektronik, Loop, Verstärkung und Verzerrung, modern verfremdet ist, in minimalistischen Wiederholungsmotiven und Klang bestens zur Jugend passen. Leider ist die Jugend "als Menge" aber nicht in der Lage, das zu registrieren, weil sie schlichtweg mainstreamorientiert gesteuert ist, was auf nichts anderem fußt, als auf dem emotionalen Drang nach Zusammengehörigkeit.

Alleweltsdarlinge für Alleweltsmenschheit

Nein, die Jugend akzeptiert den Trauerflor des Verlorenseins erst bei Weaver, der mit seiner Band aus Schlagzeug, zwei Streichern (eine davon Kent) und sich selbst an Syntheziser oder Gitarre, etwas Bekanntes zwischen Tom Waits und Leonard Cohen repäsentiert. Zugegeben, seine Show und Freude beim Spielen, nimmt das Publikum gleich gefangen, sodass nun niemand mehr von den jetzt fünfzig Zuhörern quatscht. Und doch spielt sich in der Kritikerin genau das ab, was sie schon als Jugendliche, als sie mit Freunden zu Konzerten ging, erlebte: eine insgeheime Aversion gegen diesen durchgehenden Druck, etwas gut finden zu müssen, weil es scheinbar alle mögen. Selbst wenn es als Musik mit Variationsweisen wie durch ein neuartigstes elektronisches Luftstreichinstrument in sich Qualitäten hat - Weavers Klangfarbe ist so eindeutig einzuordnen, dass es reiner Massenware entspricht. So viel Persönlichkeit und sprachfertig tiefgründige Worte er zu liefern scheint, so reicht es dennoch nicht, sich nach dem Konzert damit näher auseinander setzen zu wollen. Es geht um Liebe, um Orientierungslosigkeit, um Kälte, um Angst. - Jugendgefühle eben. - Das Problem dabei aber ist, dass es ein pauschales Lebensgefühl aus Prinzip zu beschreiben scheint, weil dieser Mensch, Ben Weaver, letztlich als Typ ebenfalls etwas repräsentiert, das man in seiner Jugend als "zu pauschal" kennen gelernt und bereits abgelegt hat.

Es könnte auch sein, dass er als Mann, zusätzlich und ehrlicherweise - obwohl an-sich sympathisch -, unattraktiv auf die Kritikerin wirkt. Das sei vollständigkeitshalber angefügt. Bei diesem Detail merkt man jedoch wieder, was nicht alles bei der U-Musik vom Sänger bis zum Klang mitspielen muss, damit eine Darbietung tatsächlich bewegt ... wobei aber auch dann prinzipiell gilt: einen typischen Alleweltsdarling wird nur der attraktiv finden, wer sich selbst zur Alleweltsmenschheit zählen kann - und als solcher hätte man es wahrscheinlich leichter im Leben... echt mißmutig gesagt (weil es der Vielfalt der Kultur und der Menschheit entgegen läuft)! e.o.


DAS URTEIL INDIVIDUALISTEN BEVORZUGEN JULIA KENT VOR BEN WEAVER - SELBST WENN ER DER SYMPATHISCHERE SHOWMAN IST ALS SIE.

Link zu Julia-Kent-Musik
Link zu Ben-Weaver-Musik

Friday, November 02, 2007

MUSIK: MELANCHOLIE DES LOSLASSENS - JON REGEN UND "LET IT GO"

Die zwei Seiten des Jon Regen: Innen melancholisch und verletzlich - nach den Scherben seiner Liebesbeziehung, von denen er in der neuen CD Let It Go erzählt ...












... außen ein sanguinischer Pianist, der voller Lebensfreude alles gibt, um sich selbst und sein Publikum durch Lust und hohen Anspruch zu befriedigen. (Fotos © Merri Cyr 2007)


BIRDLAND BLUES-JAZZER JON REGEN GASTIERTE IN WIEN UND IST PROFESSIONELLER DENN JE. EIN GLEICHERMASSEN PIANO-KUNSTFERTIG BESCHWINGTER WIE RÜHRENDER ABEND. DIE SONGS SEINER NEUEN CD LET IT GO BESCHÄFTIGEN VIELE GÄSTE AUCH NOCH ZUHAUSE...

Das Jon Regen Trio gastierte Ende Oktober im Wiener Birdland. Wie beim letzten Mal verströmte der amerikanische Singer-Songwriter eine gehörige Ladung Gefühl. Es gibt derzeit keinen Musiker, der direkter auf Billy Joels Spuren sein Liebesleben preisgibt und dabei aber anspruchsvollen, pianistisch-virtuosen Blues-Jazz spielt. Das fast übermütige Konzert Anfang Februar ist einem sehr Professionellen in atmender Abfolge und perfektem Arrangement gewichen: statt langer Reden ertönen lange Jazz-Pianosoli zwischen den Songs. Besonders die Lieder der ersten Singer-Songwriter-CD Almost Home hat Jon Regen so verinnerlicht, dass die aufwändigen Ausflüge in die improvisierende Abstraktion vom Einen zum Anderen mit Anwachsen des Abends immer spannender werden. Dass der Musiker von der Tiefe seiner körperlichen Energie über Tonleitern und Achtelnoten spielend gleich einem Hochleistungssportler nur so schwitzt, erhöht die Energie noch. - Da kann man sich nur wünschen: Gibt es bald eine CD "Almost-Home-Jazz-Extended"?

Von der Live-Vitalität zur gelebten inneren Trauer

Diese sprühend-lockere Vitalität findet durch die melancholische Kehrseite der neuen CD Let It Go ihren Gegenpart, an deren Kompositionen sich der Musiker live noch sehr stark hält. Doch diese Lieder drücken ihre echte Qualität erst im Stillen mit Konzentration auf den tiefsinnigen Text richtig aus; deshalb ließ sich Elfi Oberhuber als Zuhörerin zuhause zur direkten Assoziation, ja fast zum Gespräch mit Jon Regen animieren - in unten nachfolgender Reaktion auf jede einzelne Nummer: Der kaum zu verkraftende Abschied von einer Frau wächst über das Gefühl von Leere und Weltpessimismus zum Vorsatz einer Selbstfindung an, ist somit auch als fortlaufender innerer Monolog einer zusammenhängenden Geschichte zu interpretieren. Gewidmet ist die CD einer anderen Freundin von Jon Regen, die sich das Leben nahm. Bereichert wird sie durch phasenweise Begleitungen von The-Police-Gitarrist Andy Summers, sowie den radikalen Solistinnen Martha Wainwright - selbst Singer-Songwriterin - und Cellistin Julia Kent, die hier - nicht wieder erkennbar - zu Engelsmusikerinnen mutieren. Die ganze CD strotzt vor Details bei theatral punktgenauer Betonung in Stimme und Pausen. Sodass der besungene Inhalt tatsächlich lebt.

Ein Highlight des Abends ist die Interpretation des situationskomischen Songs Only My Credit Card Remembers Where I´ve Been, mit tollem rhythmischem Vorspiel, das in große Spielfreude ausartet, unterbrochen durch das Schlagzeug-Solo von John Miller und das verbale Extro von Regen kurz vor der Pause. Das normalerweise verträumte Little One, ein Song an ein Kind, spielt der liebenswerte Pianist danach gehackt, mit ebenfalls ausuferndem Pianopart, wozu Miller, der manchmal etwas zu laut ausgesteuert ist, zusammen mit dem zurückhaltenden Bassisten PJ Phillips in größter Einfühlung begleiten. Dieses Miteinander als Kommunikation zu beobachten ist Lustbefriedigung von reinstem Herzen. Sie findet ihre Vollendung im weiteren Highlight des Abends, der Interpretation des The Police-Songs How Fragile We Are, eingeleitet von mitreißendem lyrisch-klassischem Jazz-Vorspiel. I Told You So, eine leichte Rhythmik mit viel Klavier bei subtiler Melancholie, gibt es leider noch nicht auf CD, ein Grund, warum man kein Konzert von Jon Regen verpassen sollte. - Der Applaus wollte nicht enden, Regen brachte ihn mit zwei Zugaben zum betretenen Verstummen: dem komplex-romantischen Don´t Stop Believing und The Last Song, dem "allerletzten Song an die Ex", was Regen - wie einsam zurück bleibend - sehr traurig alleine spielte ... e.o.


Jon Regens CD Let It Go - eine Gemütswanderung für die Zuhörer(in)

1) Let It Go
Rhythmisch und kompositionstrukturell einfach, fast lustig,
der Text über den Abschied von einer Frau aber ist zynisch roh.
Als wäre es ein Genuß für ihn, den eigenen Schmerz in ihrem Gesicht zu sehen.
Große Anklagen: "The only friend you need is right inside yourself".
Doch überschlagen sich ihm als Pianisten die Tasten,
und seine Stimme im letzten Refrain.
Brutalität als Umkehrung der eigenen Verletzlichkeit.
Die gibt es oft bei Männern.
Am Beziehungsende.
Warum?

2) It´s Alright By Me
Jon spielt neben dem Piano auch Orgel,
das ist subtil feierlich!
Der Mann freut sich über die Frau, die sich zu ihm setzt,
ihm den Tag rettet.
Nur, um zu reden, ihm die Einsamkeit zu vertreiben,
mit ihrem Lächeln,
trotz ihrer tausend Termine.
Nein, ich denke, sie hält ihn nicht für einen Langeweiler.
Möchte wie er, sie küßt ihn in diesem Moment,
aus dem Nichts heraus, ohne Absicht, ohne Verpflichtung.
Und gerade dann verliebt es sich so leicht.
Wünsche, sein "Lord I´m hoping you´ll stay
Cause I feel like I´m home" erfährt keine Täuschung ...

3) Close To Me
Tat Jon unrecht,
dachte Andy Summers Gitarre würde seine Songs kommerzialisieren.
Stimmt nicht.
Klingt auf My Space übers Internet auch ganz anders als von der Stereoanlage.
Das ist rockig, Erde, wie Sex,
wenn es um nichts anderes zu gehen hat.
Oh ja, "sie" hat ihn "aufgeweckt"
- "I´ ve learned To let you into places I had left for dead" -
Geschah das wirklich innerhalb von neun Stunden am Flughafen?
Kennt er sie noch?
Oder erzählt er "die Geschichte, die er am ersten Tag mit ihr begann",
jetzt einer anderen weiter?
- Sorry Jon, I guess, I´m jealous ...

4) I Come Undone
Jon hat also auch eine Freundin verloren, die sich das Leben nahm.
Tina.
Wenn diese Leute nur wüßten,
was sie denen antun,
die zurück bleiben.
"I try to run away
I´m calling out
Running round
I´ve fallen down."
Das Klavier fällt die Tonleiter runter.
"I´m not so good at this...
It isn´t so
That time will heal a broken heart
I tried, they lied, I´m torn apart."
- Fand das Background-Gesäusel von Martha Wainwright zuerst kitschig,
als ich noch nicht auf den Text achtete.
Jetzt find ich es sehr sensibel.
Denn das ist doch auch der (Frei)Tod: sensibel.

5) Something To Hold
Sanft verträumtes Wurlitzer-Piano anfangs,
Cello von Julia Kent im Refrain.
Jon singt jetzt (ausschließlich) über sich.
Über seinen pessimistischen, enttäuschten Status Quo im Leben.
Mit Monden, die ihm geschenkt und wieder genommen wurden,
mit Räumen aus Nichts, nur Stille.
Die Poeten und Prediger sind aus seinem Herzen ausgezogen.
Er: "I´m looking for something to hold."
"This is my battle cry."
Das ist mein 1. Lieblingslied.

6) Better Days
Einsames Piano,
einsamer Mann
doch mit dem streichelnden Schlagzeug von Bill Dobrow
gewinnt auch Jons Stimme an Hoffnung.
Auf bessere Tage,
Ich hör´s an seinem Spiel voller Kraft und Fülle.

7) Piano-Interlude
Doch da ist noch immer so viel Trauer.
I´d like to hold you, Jon.
Like a mother.
Who ever you are.

8) Finished With This
Der Mann ist an eine Lügnerin geraten,
wie ich vor langer Zeit an einen Lügner.
"When you told me
you burned for my body and heart,
Were you reading from papers,
were you playing a part?"
Nur sind das meist keine Lügner,
sondern ängstliche Pragmatiker,
ohne Fantasie
für ein individuelles Leben.
Das sind die Krankenschwester-,
die Kindergärtnerinnen-,
die Volkschullehrerinnen-,
die Sicherheits-Liebhaber.
Die Bankangestellten-,
die Manager-,
die Beamten-Liebhaberinnen.
Die nicht wissen,
dass die größte Sicherheit im größten Gefühl liegt.
Vielleicht können sie vergessen,
was Jon so sinnlich singt,
"the shape of your kiss";
vielleicht können sie verdrängen,
wovon er sich fragt,
"Did your chest burn like mine did,
when we walked away?"
Es bleibt tatsächlich nur,
den Schlußstrich zu ziehen,
hinter der Frage an sich selbst nach einer einseitigen Einbildung:
"Was it all in my head?".
- Mein 2. Lieblingslied.

9) Photographs Of You
Ja, die Photos -
man sollte sie wegwerfen,
oder weit unten im Dachbodenschrank vergraben.
Die Tapferkeitsausflüchte werden mit ihnen nicht weniger:
"I hardly think about you -
Maybe most of the time."
Was wir dafür aufheben,
ist Jon und sein pures Klavier.

10) Finding My Way Back To Me
Hurra,
er ist über´n Berg.
Bei The-Police-Anspielungen
und Andy Summers "blumiger" Elektrogitarre.
Er war zwar gegangen,
"But I´m not running anymore, from anything at all",
hatte den endgültigen Zusammenbruch riskiert,
um jetzt zu wissen,
"Leaving my past so far behind, it´s just memory.
That will remind me of who I never want to be."
Er findet über jede Note, jeden Meter, seinen Weg,
und nimmt sich ab nun vor: "every song´s a little sweeter".

11) Disappear
Rückfall.
Oder einfach Angst vor dem nächsten unehrlichen Endlosspiel?
Der tödlichen Mischung aus Begehren und Täuschung.
Magische Tricks, die den Liebenden verwirren.
Hoffnung: "Do you dream of me at night?"
Sarkastik: "I bet you don´t, your conscience won´t."
Anfangs ihr kaltes Herz durchschaut, hatte er sie fast fallen gelassen,
und wurde es dann aber von ihr:
"Only you could break us apart."
Wer soll also endlich verschwinden,
sie aus ihm, oder er von hier?

12) The Last Song
Ihre Nummer aus dem Telefon zu löschen,
fällt ihm schwer.
Letztes Wiedersehen,
das Cello klingt nach Tod.
Doch sein Galgenhumor wird Jons Anker sein:
"Could you have stayed away?
Would it have killed you, not to see me once again?"
Selbst wenn der Körper protestiert:
"When you hold my hand,
please understand the blood runs through my veins so fast
I wonder If I´ll pass this test at all
I try to act so cool,
so confident I´ll make you come to me, I say
But just one look at you, and there I fall."
Gebrochener Stolz,
Hoffnung,
dass die Zeit den Raum zwischen Kopf und Herz kalt werden läßt.
- Diesen allerletzten Song an sie,
singt Jon am Ende eines jeden Konzerts.
Hope she has earned this big attention!


DAS URTEIL JON REGEN - EIN GROSSER JAZZPIANIST, EIN GROSSER KONZERT-PERFEKTIONIST, EIN GEFÜHLSMENSCH MIT MELANCHOLISCHER LUST AN DEN SCHATTENSEITEN DER LIEBE UND DES LEBENS

Link zu Songs und Tourdaten von Jon Regen:
www.jonregen.com

Nächstes Jon Regen-Konzert in Wien:
KONZERT Jon Regen * Ort: Birdland, Wien * Zeit: 15.05.2008: 20h
Und: Am 17.5.2008 wird JON REGEN´s Trio ab 20h live am Wiener Rathaus beim Life-Ball zu sehen sein. Das Event wird im ORF und per 3-Sat übers Fernsehen übertragen!

Wednesday, February 07, 2007

MUSIK: ENTDECKUNG JON REGEN AUF "ALMOST HOME"-TOUR IN WIEN

Cover der CD Almost Home von ©Jon Regen.






Jon Regen mit seinen aus Großbritannien importierten Sidemen an Baß und Schlagzeug: gefühls- und energiegeladen bestritten sie ihr Blues´n´Jazz-Konzert im Wiener Birdland, Fotos © Elfi Oberhuber





BIRDLAND MIT DER NEW YORKER ENTDECKUNG JON REGEN STIRBT "BILLY JOEL" NICHT AUS. BEI SEINEM LIVE-KONZERT IN WIEN BEWIES DER ENTERTAINER AUSSERDEM, DASS ER EIN GROSSER JAZZ-PIANIST UND "THE POLICE" - INTERPRET IST. UND SEIN CHARME IST GERADEZU STÜRMISCH

Mit geballter Ladung Präsenz sitzt er hinter seinem Klavier. Bevor er sich wie nebenbei, aber zielsicher "seinen" Tasten widmet, schmettert er einen handfesten Witz von sich. Doch nichts ist bei diesem Mann aufgesetzt, alles strömt als natürliche Energie und Leidenschaft aus ihm heraus. Selbst seine anspruchsvollen Jazz-Soli, die er als Zwischenspiel in seine Blues-Songs einbaut, sind Klangerlebnisse, die mehr aus dem Körper, als aus dem Geist fließen, während er leicht und unsentimental von seinen innersten Sehnsüchten und Gedanken singt. Jon Regen ist schlicht und ergreifend ein Schatz, ein Hitzefeuer an genußsüchtigen Sinnesfreuden.

Diesen Eindruck hinterließ die neueste Entdeckung aus New York mit seinem "The Jon Regen Trio" (Klavier + Gesang: Jon Regen, Bass: PJ Phillips aus GB sprang kurzfristig für Jonathan Sanborn ein, Paul John Miller am Schlagzeug für Eric Addeo) Samstag abend, während seines Konzerts im Wiener Birdland, wo es im Rahmen der Almost Home - Großbritannien - Wien - Italien - Tour stationierte. Doch spielte Regen nicht nur Songs seines bisher größten Einspielerfolgs, sondern auch Neues, das Anfang April 2007 auf seiner Let It Go-CD zu hören sein wird. Dem ihm - trotz interessanterer, da herberer, Stimme - anhaftenden "Billy Joel"-Vergleich wird er darin in Lied-Arrangement und Melodiebau wieder gerecht. Der augenscheinliche Bezug besteht aber eher nur live, wie während des Solo- bzw. Trio-Auftritts zu hören war. Denn die neue CD soll "popiger" nach "The Police" und "Sting" klingen, da sie mit zusätzlichen Instrumenten, Musikern und Stimmen (Ex-The Police-Elektrogitarrist Andy Summers (!), den Sängerinnen Martha Wainwright / Kami Thompson, Schlagzeuger Matt Johnson, Cellistin Julia Kent und Gitarrist Jimmy Vivino) sowie von Produzent Brad Albetta aufgenommen wird, zu dessen Schützlingen Martha Wainwright, Teddy Thompson und der derzeitige Senkrechtstarter Sean Lennon gehören.

Jon Regen birgt allerdings noch viel mehr Facetten in sich. Und das macht ihn so hinreißend: Schon die Zusammenarbeit als Sideman von Jazz-Sängerikone Jimmy Scott und -Bassist Kyle Eastwood läßt erahnen, wieviel technisches Piano-Virtuosentum in ihm stecken mag. Bestätigt wird das in seiner CD Tel Aviv, die der 36-jährige Steinway-Artist-Titelträger 2001 aufgenommen hat.

Jon Regens Liebesodyssee

In einer Zeit exzessiven Tourens 2002/03 fielen Regen die schönsten Liebeslieder ein , die er in einsamen Stunden an seine damalige Freundin (und spätere Ehefrau?) richtete. Jede andere Frau, die sie hört, wünschte, er (= ein Mann) würde ihr Solches sagen: "Hotelbars und Limousinen sind nett, doch ich würde lieber meine Tage mit dir verbringen, als Cocktails mit Fremden zu trinken. Die Weckrufe am frühen Morgen klingen nicht nach dir und riechen nicht wie du. Alles sagt mir, wie weit du von mir entfernt bist.... Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich vermisse, den Geschmack deiner Lippen, die Berührung deiner Fingerspitzen. Wenn du dein Herz offen hältst, verspreche ich, dass ich bei dir bleiben werde." - Dieser Titel Hold-Out Your Heart ist das Eröffnungslied seines Konzerts, worauf später noch rhythmisch beschwingt bis getragen sehnsuchtsvoll Better Than Before, A Hundred Days und I Will Be Here folgen, Gedanken, worin er seine eigene Besserwerdung dank "ihr", sein inneres Ankommen zu "ihr" bekennt, wo er aber auch von der Angst spricht, dass "sie" ihn vielleicht gar nicht mehr wollen könnte. Dass diese Hingabe ihn aber zuvor einen Selbstfindungsprozeß in harter Arbeit durchmachen lassen hat, gibt er 2000 mit der CD Tel Aviv zu, wo er im Song Get Out Of Town meinte: "Verschwinde, du berührst mich zu sehr, also verlasse die Stadt!"

Nach seiner Scheidung befinden sich seine Triebe heute wieder auf rastloser Odyssee: Er beklagt sich während des Konzerts vor einem rockigen Jazz-Klavier-Solo, dass ihn eine Frau wegen eines viel weniger Attraktiven verlassen habe. In The Last Song macht er entgültig Schluß mit "ihr ", doch ist er in It´s All Right By Me auch damit zufrieden, wenn er "sie nur heute Nacht halten kann". Den Titel I Fell in Love With A Lesbian hat er schließlich zu Let It Go umbenannt, wie er larmoyant in der Einleitung erklärt, weil man so einen Titel einfach nicht behalten könne. "Aber das nächste Mal soll so eine doch bitte vor den vielen Abendessen sagen, dass sie lesbisch ist!", fügt er im Nachsatz hinzu... und haut mit Freude in seine Tasten, sodass es eine wahre Freude ist! - Diese traurige Heiterkeit ist die generelle Symbiose aus Texten, Spiel und Performance dieses - wie es scheint - typischen Stier-Geborenen. Wobei die Texte in virtuosen Wendungen auch sprachliche Qualität besitzen.

Von der Selbstreflexion zu "The Police"

In der CD Almost Home bezogen sich die Reflexionen des Jon Regen in erzählerisch poetischer Weise wie in What Am I Supposed To Do From Here auf Entscheidungen, die auch von späterem Standpunkt aus betrachtet noch die Richtigen sind, bzw. in Little One auf liebevolle Ratschläge an ein Kind, sich in Ruhe mit einem Schritt vor dem nächsten zufrieden zu geben, denn die schnelle Welt sei verrückt. Und auf der CD Let It Go denkt er auch politisch: in Better Days ist er "reif für bessere Tage", in Don´t Stop To Believe ruft er dazu auf, "nicht aufzuhören zu glauben", und in I Come Undone widmet er sich einer verstorbenen Freundin.

Scheint Let It Go als CD auch im Klang teilweise nach "The Police" zu klingen, so hat Regen im Live-Programm zwei echte "The Police"-Nummern, die er auf sehr interessante Weise und hochwertig verjazzt. Lediglich die Textzeile How Fragile We Are läßt noch eindeutig das Original erkennen. Mehr von diesem "echten" Jazz würde die Musik insgesamt noch ein bißchen mehr aufwerten - sofern das überhaupt möglich ist. e.o.


DAS URTEIL JON REGEN IST ALS ENTERTAINER EIN FREUDIGES ENERGIEBÜNDEL, ALS TEXTER EIN SENSIBLER GEFÜHLSMENSCH UND ALS JAZZ-PIANIST EIN GROSSER VIRTUOSE. EINE INTERESSANTE MISCHUNG ALSO, DIE SICH HOFFENTLICH NICHT ZU SEHR IN RICHTUNG POP ENTWICKELT, WIE ZULETZT ETWA JAMIE CULLUM. LIVE WAR DAVON GLÜCKLICHERWEISE NICHTS ZU MERKEN. SPRÜHEND!

Auf intimacy: art (www.intimacy-art.com) in artists / talks / visions spricht Jon Regen im O-Ton über seine tatsächliche Einstellung zu Musik und Liebe!


CDs: Tel Aviv 2001 * Almost Home 2004 * Let It Go: erscheint Anfang April 2007 * link: www.jonregen.com