Sunday, December 10, 2006

MODERNES BALLETT: MARK MORRIS MIT AUSGEREIFT GUTEN "MOZART DANCES"

Zwei soziale Außenseiter: Eine so kleine Ballerina (mit roten Locken) hat man wahrscheinlich noch nie gesehen: bei Morris wird sie zur Solistin.

Ein schwarzer Ballerino mit zuviel Körper-Kraft: bei Morris bekommt er den Leading-Part. Denn Ausgrenzung ist das Thema dieses Auftragswerks. Foto: © Stephanie Berger


NEW CROWNED HOPE MARK MORRIS VERSETZT DAS MUSEUMSQUARTIER IN EUPHORIE: DANKBAR SIND DIE ÖSTERREICHER FÜR SO VIEL MODERN DANCE IN MOZART DANCES. DENN MODERNES BALLETT BEKOMMEN SIE HIER JA NICHT MEHR ZU SEHEN

Wieder ein Auftragswerk für New Crowned Hope, und wieder geht es um Ausgrenzung von Minderheiten. Der amerikanische Choreograf Mark Morris hat dieses menschlich-tierische Ausschlußverhalten in die Welt des Balletts übertragen. Seine Mozart Dances sind in drei Teile geteilt. Es begint mit Eleven zum Musik-Konzert für Klavier und Orchester Nr. 11, übrigens wie alle Morris-Aufführungen mit live-Musik (hier: Camerata Salzburg mit Klaviersolo von Emanuel Ax, exakt dirigiert von Louis Langrée):

Ausgegrenzte Frau

Eine ungewöhnlich kleine, rothaarige Frau tanzt das Solo. Sie ist ob ihrer körperlichen Nicht-Entsprechung bei proportional auch noch zu kräftigen Beinen im Ballett eine Außenseiterin, so gut sie auch tanzen mag. Die großen, kräftigen Frauen in Grau machen ihr das Tänzerdasein schwer, ihr, dem unangepaßten "Klavier", dessen Melodie sie notensynchron modern tanzt. Ein schwarzer Pinseltupfer als Bühnenbild unterstreicht optisch ihren eigenwilligen Standpunkt. Manchmal wirkt sie recht komisch - so drollig wie eben sehr kleine Menschen automatisch wirken. Und doch, nach langer Auseinandersetzung mit der Gruppe, gelingt es ihr manchmal, die großen Gleichgesinnten an der Nase herum zu führen, sie zu manipulieren. Wirkt sie also aufgrund ihrer Form nicht sofort attraktiv, so bekommt sie von einem zumindest gleich mehr zugeschrieben: individuellen Charakter.

Ausgegrenzter Mann

In Double zu Mozarts Sonate in D für 2 Klaviere, wobei Emanuel Ax von Yoko Nozaki unterstützt wird, ist nun ein energiegeladener Schwarzer, mit zuviel männlicher Kraft und Oberkörpereinsatz, das Ausschlußobjekt. Im schwarzen Frack strebt er nach Aufnahme bei den gewohnt zierlich-athletischen Tutti-Männern in Grau, so wie sich an der Bühnenrückwand, schwarze Tupfer an grauen Farbflächen anhängen. Während jene Männer auch Frauen zu tanzen bekommen, entschwindet dem Schwarzen die Partnerin wieder. Trotzig schreitet er davon. Und kommt wieder, um von Neuem zu versuchen, aufgenommen zu werden. Die Männer bilden eine Kreisformation, jeder von ihnen kann auf die Stütze des anderen zählen, falls einer fällt, wird er aufgefangen. Nur der Schwarze findet in diesem Kreis nicht gleich Entgegenkommen. Morris findet für diesen Gedanken ungewohnt harmonische Konstellationen, schöne, überraschend neue Tanzbilder. Doch gegen Ende kann der Schwarze die Gruppe dann doch auch überzeugen, sodass er sie sogar einmal anführen darf.

Glückliches Paar

Der letzte Teil Twenty-seven im Konzert für Klavier und Orchester Nr. 27 ist vor roter Pinselrückwand schließlich der Paarbildung mit dem anderen Geschlecht gewidmet. Haben sich Mann und Frau innerhalb ihres eigenen Befindens und sozialen Umfelds erst einmal positioniert - ja, wenn die beiden vormaligen Außenseiter jetzt in der Gruppe tanzen, fällt ihre äußerliche Andersartigkeit tänzerisch und schritttechnisch gar nicht mehr auf -, können sie sich auch der Liebe widmen. Es läge nahe, zu denken, dass sich die beiden vielleicht finden, sie treffen sich aber nur kurz; denn der und die Richtige liegt für beide in der anatomischen Entsprechung (also ausgerechnet da, wodurch sie sich von den anderen unterscheiden!): die Frau springt in konventionellen Paarschritten mit einem zarten, dunklen, nicht allzu großen Partner über die Bühne, der Schwarze findet sich eine ebenfalls recht kräftige schwarze Partnerin. Dass diese Sprünge sämtlicher Paare etwas lange dauern, liegt leider an der Musik Mozarts, der sich zu oft wiederholt. Der lange Ausklang kann der reif durchdachten, fließend-formschönen Gesamtarbeit aber nichts anhaben. e.o.


DAS URTEIL EIN INHALTLICH UND FORMAL SCHÖNES WERK, WO SICH BEIDES BEDINGT; WO KEINE TYPISCH PERFEKTEN BALLETTKÖRPER SCHÖNSTE BALLETTBILDER UND MENSCHLICHE URFRAGEN TRANSPORTIEREN. DIE TANZCHOREOGRAPHISCHE BESONDERHEIT LIEGT IM MITTELTEIL.

BALLETT Mozart Dances * Choreografie: Mark Morris * Orchester: Camerata Salzburg * Dirigent: Louis Langrée * Tanz: Mark Morris Dance Group * Ort: Halle E/ MQ * Zeit: 10.12., 20h

Saturday, December 09, 2006

MUSICAL: ESTHER MUSCHOL MACHT AUS "A GOOD MAN" SCHLECHTES JUGENDTHEATER


A Good Man - schrecklich hausbackene Regie (was auch das "Vorstadttheater"-Bühnenbild zeigt), gute charismatische Sänger: Cedric Hayman, Stephen Shivers, Alvin Le Bass, Lerato Sebele, Carole Alston, Amber Schoop, Foto © Christian Husar


WIENER KAMMEROPER NACH DEM SENSATIONELLEN AIN´T MISBEHAVIN´ IM LETZTEN JAHR IST DAS DIESJÄHRIGE AFRO - AMERIKANISCHE MUSICAL A GOOD MAN GERADEZU SCHLECHT - ZUMINDEST WAS DIE REGIE ANBELANGT.

Vor zwei Jahren startete die Wiener Kammeroper mit einer Musical-Schiene, die primär durch starke schwarze Interpreten besticht. Wo auch immer diese Sänger und Tänzer ihr Charisma und ihr Talent herhaben - eines ist auf alle Fälle klar: mit diesen Darstellern geht nichts schief. Da mag die Regie noch so dilettantisch sein, wie etwa heuer von der Münchnerin Esther Muschol. - Was soll das sein: ein Kinderstück, ein Vorstadttheater für amusische Bauersleute, ein Schwank für Analphabeten?

Nach dem schlicht inszenierenden Alonso Barros bei Avenue X, dem glamourös sexy und augenzwinkernd dynamisch regieführenden Giorgio Madia bei Ain´t Misbehavin´, ist die Welturaufführung von A Good Man nun der enttäuschende Schuß nach hinten. Vielleicht liegt es ja nur an der banalen Geschichte, die in Mississippi um 1946 spielt, und die von Ray Leslee und Philip S. Goodman 2002 geschrieben und in den letzten Jahren in diversen Workshop-Produktionen "weiterentwickelt" worden ist. - Diesen Workshop-Charakter, den merkt man leider.

Nichtsdestotrotz: die Darsteller singen blendend, sodass sich Geschichte und naiv-dumme Regie phasenweise vergessen lassen. Erstaunlich ist Carole Alston als alte "Granny": den Fake erkennt man zwar sofort, aber dass Alston die Altennummer durchzieht - ja selbst "alt" singt - das ist innerhalb der schlechten Verkleidungsidee doch erstaunlich gut. Als einzig interessanter Charakter kommt Alvin Le Bass rüber: "Hardway" gerät im allgemeinen schwierigen Kampf der schwarzen Bevölkerung um Selbstbehauptung auf die schiefe Bahn und endet im Opportunismus. Alle anderen Darsteller sind reine schwarze Klischeetypen, keine echten Charaktere.

Eine interessante Wandlung gegenüber letztem Jahr machte nur der musikalische Leiter Michael Schnack durch. Nach der Fats-Waller-Klavier-Jazzmusik kommt er heuer mit ein paar Musikern des Wiener Kammerorchesters als Blues´n´Rock´n´Roller daher. Diese Musik hat Schmiß und fetzt Gott-sei-Dank schnell durch den zweieinhalbstündigen Abend.
Übrigens Schnack leitet im Jänner die konzertante Operette The Gondoliers u.a. mit zwei Top-Sängern aus Ain´t Misbehavin`: Aisha Lindsey und Previn Moore! a.c.


DAS URTEIL GUTE SÄNGER, BANALE REGIE: SCHADE UM DIESES ALLJÄHRLICHE AFROAMERIKANISCHE MUSICAL-HIGHLIGHT.

MUSICAL: A Good Man * Musik: Ray Leslee * Buch: Philip S. Goodman basierend auf einer Novelle von Jefferson Young * Musikalische Leitung: Michael Schnack * Regie: Esther Muschol * Mit: Amber Schoop, Lerato Sebele, David Durham, Quintin Gray, Carole Alston, Stephen Shivers, Cedric Hayman, Alvin Le Bass, Charlie Hensley * Mit: Orchester der Wiener Kammeroper * Ort: Wiener Kammeroper * Zeit: 12., 14*., 16., 19*., 21.12., 19h30

OPERETTE: The Gondoliers * Von: William Gilbert und Arthur Sullivan * konzertant * Musikalische Leitung: Michael Schnack * Mit: Previn Moore, Aisha Lindsey, u.a. * Ort: Wiener Kammeroper * Zeit: 6.,8.1.07, 19h30

MUSIK: SANFTER VOGEL MARIA SCHNEIDER IN "CERULEAN SKIES"

Maria Schneider ist ungewöhnlich: sanft und sinnlich führt sie ihr Musikerheer durch vogelreiches Gezwitscher. Etwas Feuer hätte dem Abend im Wiener Konzerthaus aber auch nicht geschadet. Foto: © David Korchin.


NEW CROWNED HOPE KOMPONISTIN MARIA SCHNEIDER BRINGT WEIBLICHKEIT IN DEN JAZZ. ALS SINNLICHER ENGEL TÄNZELT SIE VOR IHRER BIG BAND "MARIA SCHNEIDER ORCHESTRA" DURCH EIN SANFTES FLÜGELSCHLAGEN UND GEZWITSCHER IM AUFTRAGSWERK CERULEAN SKIES

Jazz ist Kopfmusik und deshalb männlich. Wurde dieses Klischee inzwischen erfolgreich aufgebrochen, indem Frauen als Jazz-Musikerinnen und - Sängerinnen bewiesen, dass auch sie durchaus intellektuell veranlagt sein können, so lenkt Maria Schneider den Vorbehalt noch einmal in die andere Richtung: Sie reichert den Jazz emotional an. Nun gab es auch das schon mittels Milonga, sprich Brasilianischem Jazz. - Wurde das aber schon von einer Jazz-Big-Band gespielt? - Kaum.

Emotionale Kompositions- und Dirigiertechnik

Die Emotionalität erreicht Maria Schneider in der Komposition über individuelle Orchestrierung: ein blumiger Klangteppich aus Akkordeon, Frauenstimme (die wie ein Instrument ausschließlich summt), Perkussion-Naturtönen und Flöten ist bei ihr mindestens genauso präsent wie das obligatorische Saxophon, die Trompete, Klarinette, Posaune und das Schlagzeug. Dämpfer auf dem Blech führen ihre Big Band - übrigens mit ungewöhnlich vielen Frauen besetzt - zur leicht-beschwingten, gefühlvollen Muse.

Unterstrichen wird diese Kompositionstechnik noch einmal durch den Dirigatstil - was bei Schneiders einmaligem Konzert während des New Crowned Hope Festivals im Wiener Konzerthaus live zu erleben war. Wer die belgische Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker in ihrem Solo Once sah, muß sich wahrscheinlich beim Anblick der dirigierenden Maria Schneider mit einem Déjà Vu beschäftigen: Die zierliche Rothaarige hat die Anatomie und den Ausdruck der Tänzerin und gibt den Takt hauptsächlich mit ihrem Körper vor. Auch ohne Arme könnte sie ihr Musikgefolge mühelos durch den Abend führen, denn das Grundtempo schwingen ihre Hüften, die durch den schenkelhohen Rückschlitz am Rock auf das Publikum zusätzlich sinnlich wirken. Was das Publikum nicht sieht, ist allerdings das Gesicht der Musikerin, mit geschlossenen Augen transportiert sie Farben und Stimmungen, die die Musiker ungewöhnlich oft in ihrem Gesicht abzulesen scheinen.

Ein Abend, dem der Teufel fehlt

So selbstvergessen sie dirigiert, so bewußt gesetzt sind die Lieder, die sie gegensätzlich "plappernd" anmoderiert. - Auch das entspricht eigentlich dem herkömmlichen Klischee einer "kommunikativen Frau". Sie erzählt beim ersten Lied von der Brasilien-Nähe, beim Zweiten von der Rhythmischen - auf Perkussion mit den Händen geschlagen - zu Peru, beim Dritten von der Spanien-Nähe mit geklatschtem und sanft gerasseltem Flamenco sowie zärtlichen Querflöten, aber mit irrem ruckartigen Finale - denn der Rhythmus stammt jetzt aus Afrika. Den Abschluß vor der Pause bildet ein Werk mit Solo der Trompeterin Ingrid Jensen.

Und dann kommt, worauf alle gewartet haben: Das Auftragswerk für New Crowned Hope, Cerulean Skies. Schneider dachte bei dieser Kompostion an eine spezielle Art von blauem Vogel, die wie viele andere Arten aus aller Welt jährlich im Central Park zusammen treffen. - Als fröhliches Get Together "zwitschern" hier Flöten, Trommeln und Streicher um ein Saxophon-Solo herum, den Übergang "piept" das Akkordeon begleitet vom Klavier, die Musiker ziehen Tücher hervor, mit denen sie Flügelschläge imitieren - was Leos Janacek für die Klassik ist, ist daher Schneider für den Jazz. Nur die Musik dazwischen scheint ein wenig einfach und Mainstream-verloren, sodass das Ganze nicht wirklich einzuschlagen vermag.

Plötzlich schießt dem Zuhörer die Fernseh-Serie Unsere kleine Farm in den Kopf. Es muß vom Klangbild der "naiven, mitfühlenden, heilen Welt" herrühren. Und Schneider hat auch bis zum Schluß keine richtigen Sorgen. Ohne Eile, lediglich etwas melancholisch spaziert sie in einem abermals um ein Saxophon-Solo gelegten, sanften Werk sowie einem Brasilianisches Lied ins Finale, getoppt durch ein Zugabe-Werk, das Schneider einst einer an Brustkrebs verstorbenen Freundin gewidmet hatte: Steve Wilson spielt darin das Saxophon-Solo. r.r.


DAS URTEIL MARIA SCHNEIDER LIVE ZU SEHEN, IST ZUNÄCHST BEWUNDERSWERT NEUARTIG: SANFT, WEIBLICH, TÄNZERISCH FÜHRT SIE ENGELSGLEICH IHRE BIG BAND AN. NUR SCHADE, DASS ALLE KOMPOSITIONEN GLEICH UM SOLO-AUFTRITTE GEBAUT SIND. DIE LIEDER SANFTELN DAHIN, RUHIG, MEDITATIV, BESCHEIDEN, BIS SICH DER "MENSCH" FRAGT: KOMMT NUN BALD MAL DER TEUFEL?