Tuesday, September 20, 2016

impulstanz 2016 – Tagebuch 9: WIM VANDEKEYBUS´ BLICK INS „SPEAK LOW IF YOU SPEAK LOVE ...“-UNBEWUSSTE

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--> Vandekeybus kehrt das Sprichwort „Liebe macht blind“ um: bei ihm sind die ohne Kopfstrumpfmaske die Sehenden: sie sehen ins Unbewusste, das die Liebe zulässt.
--> Solange die Menschen die Kopfmasken tragen, wehren sie sich gegen das verführerisch-zerstörerische Dirigat der Venus (Jazz-Sängerin Tutu Puoane in samtigen Operntönen), die sie mit dem Seil in ihren Liebesbann zieht. Denn sie ahnen, dass sie ihre süchtige Leidenschaft durch abrupte Paartrennung oder Seelenschmerz beenden wird.
--> Mit der Venus im Bunde steht der Teufel: Musiker Mauro Pawlowski. Er verführt wie sie mit seiner Musik.
--> Gegen die gefürchteten Qualen wappnen sich die Menschen in der Gruppe. Sie entledigen sich dank einheitlicher Frauenkleidung ihrer Herkunft, Geschlechter und Vorurteile ...
--> ... sie begeben sich in einen archaischen Kriegstanz, der dem irischen Volkstanz entlehnt ist und in eine allgemeingültige Tanzsprache transferiert wurde.
--> Der Entschluss, sich auf die ungewisse Reise der Liebe zu begeben, entspricht einem Wikinger, der sich per Schiff mit schützender Galionsfigur gegen das zu erwartende Unheil wappnet. (Fotos © Danny Willems)


Wie ein Traum, der einen vor Leidenschaft und Angst schwitzen lässt.


4.8., gegen 23h, im Wiener Volkstheater:




Keine Frage, die 16 Jahre sind erkennbar, die zwischen dem zu Beginn des ImPulsTanz-Festivals gezeigten Revival: In Spite of Wishing and Wanting und dem 2015 uraufgeführten Speak low if you speak love ... stehen. Wäre ja auch ungewöhnlich, wenn ein sensibler Mann wie Vandekeybus dramaturgisch nichts hinzu lernen würde. Im Gegensatz zum frühen Stück ist dieses neue Werk innerhalb der Szenen so verstrickt, dass eingeführte Elemente und Personen später wieder kehren oder eine Wendung erfahren. So wird die Erzählweise filmisch und spannend.

Zudem balanciert der Choreograf die Widersprüche  der, seinem Stück zugrunde liegenden, klassischen Stoffe gekonnt aus: das antike Mythos (sechs verschiedene Begriffe für sechs verschiedene Arten der Liebe bei den Griechen), Shakespeare („Speak low if you speak love“ ist ein Zitat aus Viel Lärm um nichts und bedeutet sinngemäß: „Sprich leise, wenn du es mit der Liebe ernst meinst“) sowie den Musicalursprung (dasselbe Zitat verwendete Kurt Weill im Schlüsselsong des Musicals One Touch of Venus). Das ganze Stück schwingt somit zwischen Himmel und Hölle, Rock und Lyrik, ohne die Gegensätze getrennt oder einander feindlich gesinnt, sondern von einander abhängig und sich bedingend darzustellen. Selten hat etwas so schön harmoniert wie hier, wenn klassisch ausgebildete Balletttänzer mit wagemutigen, persönlichkeitsstarken Ultima-Vez-Tänzern zur achtköpfigen Einheit verschmelzen: Jamil Attar, Livia Balazova, Chloé Beillevaire, David Ledger, Tomislav English, Nuhacet Guerra Segura, Sandra Geco Mercky und Maria Kolegova. Und doch erreicht diese Einheit durch die filigrane Ballettnote insbesondere der Damen, die hier in gewohnt temperamentvoller, leidenschaftlicher und alles gebender Vandekeybus-Sprache tanzen, erst jene edle Nuance, die das Stück für seinen archaischen Ausdruck und seine allgemein gültige Liebesbotschaft braucht.

Das Wesen der Liebe pendelt ebenso in einander bedingenden Gegensätzen von Beginn und Ende, Hoffnung und Enttäuschung, Leidenschaft und Leid. Es ist die mit schwarzer Afro-Stimme singende Venus Tutu Puoane, die den unberechenbaren Verlauf zwischen Glück und Unglück bringt. Sie steht im Bunde mit dem „Teufel“, dem Musiker Mauro Pawlowski, der mit seiner Gitarre zur darstellenden Besetzung gehört. Insofern begleitet hier die Musik nicht, sondern sie spielt das Geschehen steuernd und personalisiert „mit“.


Dieses Stück entspricht aus Sicht der Opern-Theater-Entwicklung einem echten Gesamtkunstwerk in Wagnerschem Sinne, das die Nummernoper eines Verdi (die ich erzähltechnisch in Revival: In Spite of Wishing and Wanting sah) als Vorläufer der heutigen zeitgenössischen Oper „ablöste“ (interessant, dass diese Komponisten gleichzeitig lebten, der eine in Deutschland, der andere in Italien). Wim Vandekeybus mit den Opernkomponisten Verdi und Wagner zu vergleichen, ist berechtigt, weil er wie beide von großen Gefühlen erzählt und wie Wagner Zeitdehnung betreibt. Kaum ein zeitgenössischer, Geschichten erzählender Choreograf macht heute noch so lange Stücke wie Vandekeybus: 110 bis 120 Minuten ohne Pause. Und sind Stücke lang, spielt eben die Spannungshaltung und das Ineinandergreifen von jedem kleinsten Element zu einem permanent fließenden Ganzen eine enorme Rolle.

Nach diesem Prinzip ergreifen dramatische Bilder tatsächlich: wenn zu Beginn ein mit Kopfstrumpf alltagsblinder Mann mit einem Wurfseil versucht, das Publikum auf die risikoreiche Liebesseite hinüber zu ziehen.
Dorthin, wo
der „Wald“ steht, der wie in der mythologischen Symbolik eines Shakespeare zum Finden der wahren Liebe beiträgt, indem er die eintreffenden Menschen von ihren Konventionen und herkunftsmäßigen Anlagen wie Geschlecht, Überzeugungen und Vorurteilen befreit.
Dorthin, wo
die Voodoo-Sirene Puoane ihre Befehle der Verführung gibt, wo Lust und Vertrauen nach großer Hingabe durch plötzlichen Entzug „bestraft“ werden.
Aber was kann das Leben der kopfstrumpfblinden Menschengruppe sonst bieten – einen existenzialistischen, grazilen Bodentanz, der auch ohne Sex und Liebe nur Angst und Gefahr bringt.
Da ist es doch für einen auserwählt Sehenden unter den Blinden besser, sich von der heimtückischen Venus den Schleier entfernen und sich mit vom Musikerteufel übergebenem Gold beschenken zu lassen, das auf den Boden fällt. Allein der Klang genügt, damit die anderen sich blind, instinktiv und gierig darauf stürzen. Daraufhin tanzt ein Paar zur Kirchenorgelmusik, während Pawlowski singt, „without my eyes, I keep on sleeping“.

Die Venus fängt mit ihrem Seil weitere Paare im blinden Schlafzustand ein, die ziehend dagegen ankämpfen, auch der einzige Sehende unter ihnen zittert vor Angst. Bis alle ihre Angst überwinden und ihre Kopfbinden abnehmen. Damit kann das bewusste Abenteuer ins Reich der unbewussten Gefühlsodyssee beginnen. Asiatisch-fremde Gitarrenklänge begleiten ein harmonisches Männerduett, das auf Dirigat der Venus von einer nackten Frau gestört wird. Dann quält die Venus einen Mann im Frauenkleid. Ein irisch-rhythmischer Torero-Stepptanz der ganzen Truppe in demselben Kleid mit „Hey“-Rufen zum Schlagzeug-Solo, zu dem auch Puoane im Afrotanz einstimmt, gleicht einem ästhetisch schönen, kriegerischen Aufruf, sich dem Risiko, der Gefahr und dem Schmerz zu stellen. Mit Hecht- und Rundsprüngen werfen sich die Paare hinein, in ein treibendes Musikuniversum aus zwei Schlagzeugen und einer Tabla, wobei ein Schlagzeug samt Spieler auf einem Teppich über die Bühne gezogen wird.

Daraufhin fährt ein Mann wie auf einem Schiff einher, vor seinem Mast eingespannt ist eine Frau, die als Galionsfigur den Kurs des Schiffes beobachten und vor Unglück bewahren soll. Der mit Holzbrettern auftretende Urtyp eines Mannes, Tomislav English, passt bestens dazu. Er erinnert an die ungestümen Wikinger-Seefahrer. Aus den Brettern wird später ein Sarg gemacht, in den sich ein Liebender legen muss, nachdem die Venus befunden hat, dass seine Liebe zu einer Frau plötzlich nicht mehr sein darf. Jene Frau weint dem Mann zunächst nach, begegnet dann aber einer neuen Liebe. Und auch der Mann im Sarg wird später schreiend aufwachen und weiter auf Liebessuche gehen. So wie etliche Paare, die Liebesschmerzen bis aufs Blut hinnehmen werden.


Atemberaubend elegant und geheimnisvoll spannend ist vor den wachsamen Augen eines Mannes das leidenschaftliche Duett der blonden Ballerinas in Herrenkleidung, Slowakin Livia Balazova und Russin Maria Kolegova, die eine mit langem Haar, die andere mit kurzem. Das Duett mündet in einem edlen Gruppentanz mit vier drehenden, heterogenen und gleichgeschlechtlichen Paaren. Ein kurzes Bild von einem Mann mit einer schwangeren Frau zeigt, dass hinter all dem dramatischen Beziehungsgeflecht – wie nebenbei – die Fortpflanzung stattfindet. Und doch möchte jeder dem Liebesleid entgehen.

Vandekeybus stellt in Aussicht, wie es wäre, wenn die Venus im Sarg weggesperrt würde: dann würde der nicht spielende, nur berechnende Teufel regieren, und das wäre weit deprimierender, weil die schöne, berauschende, Glückshormone ausschüttende Seite dann auch fehlen würde. Deshalb entkommt die Venus wieder, und das Spiel mit einer Tänzerin, die einen Zuschauer mit dem Lasso einfängt, kann von Neuem beginnen ... e.o.



DAS URTEIL EIN PERFEKT ABGESTIMMTES EMOTIONSABENTEUER DURCH DIE GEHEIMNISVOLLEN HÖHEN UND TIEFEN DER EROTIK UND LIEBE. EIN DRAMATISCHES GESAMTKUNSTWERK, GETANZT VON LEIDENSCHAFTLICH-FEINEN TANZKÖNNERN ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE, ERHABENHEIT UND ERDIGKEIT. – ZEITGEMÄSSER UND DETAILBEDACHTER LÄSST SICH EIN SHAKESPEARE-MYTHOS KAUM DARSTELLEN.



TANZTHEATER Speak low if you speak love ... * Regie, Choreografie, Bühnenbild: Wim Vandekeybus * Von und mit: Jamil Attar, Livia Balazova, Chloé Beillevaire, David Ledger, Tomislav English, Nuhacet Guerra Segura, Sandra Geco Mercky und Maria Kolegova * Originalmusik (Live): Mauro Pawlowski, Elko Blijweert, Jeroen Stevens, Tutu Puoane * Künstl. Assistenz, Dramaturgie: Greet Van Poeck * Styling: Isabelle Lhoas * Lichtdesign: Davy Deschepper, Wim Vandekeybus * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 2.+ 4.8.2016, 21h

Tuesday, August 23, 2016

impulstanz 2016 – Tagebuch 8: „CLAPTRAP“-AMOUR FOU VON DER „JUNGEN“ MARION DUVAL MIT DEM „ALTEN“ MARCO BERRETTINI


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Was sich dieser Mann (Marco Berrettini) nicht alles gefallen lässt, von der mächtigen Frau (Marion Duval), die ihn ....

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... nicht einmal liebt. Oder vielleicht liebt, aber nur mit ihm arbeiten will ...
(Fotos © Yvonne Dickopf)

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Solange sie auf der Bühne stehen, läuft alles perfekt. Selbst die „größte“ Zaubernummer: da gibt Duval sogar seine Assistentin.

 
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Hinter der Bühne aber ist sie „Claptrap“, ein quasselnder, gefühlszerrissener Roboter zwischen Macht- und Ohnmacht-Obsessionen. Da kann sich Berrettini noch so sehr anpassen, sie will ihn als Liebespartner nicht erhören. (Fotos: © Dorothée Thébert Filliger)



Welch unmögliches, passendes Paar!




3.8., gegen 24h, im Wiener Schauspielhaus:




Was zählt für eine mittelalterliche Frau, wie mich, am Ende dieser 2h45min-dauernden Aufführung Claptrap?
– Das Dilemma der darin gezeigten Amour-fou-Beziehung.
Und dass ich ohne schlechtes Gewissen schmunzeln konnte.
Beides nicht selbstverständlich beim ImPulsTanz-Festival.

Beziehungen spielen sich hier in den Aftershow-Parties ab, zu denen ich nicht hingehe.
Ich bedanke mich an dieser Stelle, weil mich die Einladungen trotzdem freuen.
Die ImPulsTanz-Leute sind ja sehr angenehme Menschen ohne versteckte Aggressionen. Sie bewegen und diskutieren sich den Alltagsfrust sozusagen von der Seele.
Ginge ich hin, würde ich kein Wort über die Stücke schreiben.
Weil ich schon vieles ausgesprochen hätte.
Und alles Nur-Ausgesprochene wird in der Regel wieder vergessen.


Mich beschäftigt die „junge“ Marion Duval wegen ihres im Stück dargestellten Gefühlszustands.
Sowie der„erfahrene“ Marco Berrettini, wie er als Mann mit der ihm eigentümlichen Distanz auf „ihr“ Gefühlswirrwarr reagiert.
Ihr Altersunterschied von zwanzig Jahren erscheint mir nicht zu groß.
Wenn jüngere Frauen auf ältere Männer stehen, zeichnet sich das sowieso im Kindesalter ab.
Das ist so ähnlich wie mit der Homosexualität.
Der von Marion Duval empfundene Unterschied im Alter ist daher weniger der Grund für die Unmöglichkeit ihrer Beziehung als jener ihrer Charaktere.
Es gibt unterschiedliche Charaktere, die insgesamt harmonieren, und es gibt unterschiedliche Charaktere, die für eine gewisse Zeit für einander spannend sind, am Ende aber nicht harmonieren.


Da wird also das Stück von dieser selbst bezeichnet talentiert-geltungssüchtigen, quasselnden Künstlerin (eh schon 32 Jahre!) zwischen Bühne und Zuschauerreihen eröffnet. Neben ihr der etablierte, für gewöhnlich auf Reflexion bedachte Performance-„Star“ und ihr ehemaliger Geliebter, Marco Berrettini (eh erst 53!). Bei ihm sitzt jede Pointe, originell, kein Wort zu viel. Sie ist zerrissen, sowohl in plötzlich zwischen Manie und Depression kippenden Emotionsgegensätzen, als auch in ihren Gedanken.

Was sie an einander fasziniert, ist ihr („schweizerischer“) Humor, ihr Lachen über unmögliche, „geschmacklose“ Pointen. Deshalb auch das Prinzip der unpassenden Szenenabfolgen dieser „Groteske“. Möglicherweise liegt es an Duval, der „zuliebe“ sich Berrettini darauf einlässt: „Ich wäre ohne sie nicht da, weil ImPulsTanz „meine“ Show nicht gekauft hätte“, gibt er trocken während der Kommunikationseinführung mit dem Publikum zu bedenken. „Ohne entsprechende Stimmung kann das Stück nicht beginnen“, ergänzt sie, die hier für Regie und Konzept verantwortlich ist. „Pina ist tot, und Cunningham ist tot, und ich fühl mich dabei nicht so gut“, meint Berrettini über sich selbst lachend, „und das war noch mein bester Witz für heute“. Dann gibt´s noch ein paar Angriffe aufs österreichische Publikum, um die letzten Schranken zu brechen: „Vienna Calling, sagte Regensburger zu mir, Leute aus den 80ern verstehen das. Rock Me Amadeus ist kein Nazi-Spruch.“ Und die Aussicht: „Es wird noch richtige Drachen geben.“

Damit beginnt die eigentliche Show des einmal auch privaten Paares: Nach dem legeren Erstauftritt erscheint Berrettini im Smoking und animiert die im schwarzen Abendkleid mit sensationellem Dekolleté auftretende Duval zum übermäßigen Sektgenuss. Das ist der Auftakt zur slapstickhaften Doppelconférence, wo zwar klar ist, wer der klügere, aber nicht, wer der mächtigere ist. Sie ist mächtig, weil sie privat inzwischen einen anderen und hier die Führungsrolle hat. Sie raucht ihm ins Gesicht, er lässt es sich gefallen. Sie küsst ihn, aber ohne Zunge, was ihn stört. Darauf folgt eine Zauberer-Assistentin-Nummer zur Musik Nino Rotas, wo jeder konventionelle Trick in der Offensichtlichkeit endet. Jetzt erst öffnet sich der Bühnenvorhang und zwei riesige Papierdrachen erscheinen: Berrettini und Duval befinden sich in den Drachen, einander drohend umgarnend und bekämpfend. Bis die Bühne mit Schachbrettboden zusammenfällt. Pause.
 
Nach einem erfrischend leichten Gene-Kelly-Steppduett wird es spannend: die beiden Künstler ziehen sich auf der Bühne um, die jetzt zur Garderobe geworden ist. Als Duval ihren BH öffnet, ist man erst mal verblüfft, dass ihr Busen tatsächlich so übermäßig groß ist, sichtlich, ohne operiert worden zu sein. Vom schwarzen Hosenanzug wechseln sie ins weiße Paar-Outfit. Und alles, was das Publikum sieht, sind die Auf- und Abläufe über eine quergestellte Treppe, was es hört, sind Applaus und Dialoge von der seitlichen Hinterbühne. Wir erleben also die nüchterne Realität hinter der Illusion des schillerndes Ex-Pärchens, das da in angespannter zwischenmenschlicher Stimmung seinen Bühnenjob verrichtet.

Nach der Show zieht sich Duval Rollschuhe an, die ihre jugendliche Befindlichkeit verstärken. Er solle nicht bleiben, meint sie. Sie findet aber den Weg nicht hinaus und stolpert ununterbrochen über Stühle. Als sie hinter der Bühne verschwindet, kommt er mit einem zu ihren Rollen passenden Scooter in gut ausgefüllter Unterhose daher, deren Inhalt sich aber wenig später als Banane offenbart. – Duval ist mit ihrem Busen also „echt“ sexy, er tut nur so. – Sie erscheint in einer unförmig riesigen Schaumstoff-Roboter-Polsterung mit eckigem Gesichtsausschnitt, sodass sie, wenn auch geschützt vor Prellungen, noch ungelenker herumkugelt. Jetzt ist seine Zeit gekommen, wo „er“ ihr Herr sein kann: er tritt und hüpft auf sie drauf. Sein Liebesbekenntnis über das Mikrofon danach hilft nichts, „ich vertraue dir nicht“, sagt sie. „Ich bin deshalb noch in der Show, weil ich dich liebe“, antwortet er, und das klingt echt echt. Das knappe, gefühlsmäßige Verpassen ihrer beider Bedürfnisse zeigt ihre Kleidung, die sie wechseln, wobei er aber erst dann ihren Stil und ihre Farben trägt, wenn sie sich schon wieder umgekleidet hat. „Komm, lass uns ins Burgtheater gehen“, sagt der routinierte Berrettini, um das Spiel mit der After-Show-Party endlich zu beenden. Aber eben diese Routine reicht der Duval nicht, sie erkennt: „Ich will stärker und Opfer zugleich sein. Du bist alt, ich bin jung.“ Das hört er aber nicht mehr, und vielleicht ist das auch besser für ihn.

Ich lese später nach, was „Claptrap“ eigentlich bedeutet: Es handelt sich dabei um einen kleinen, schreckhaften Spielkonsolen-Roboter in der Form eines Kastens mit einem Bildschirm als Auge.
Wegen eines Programmierungsfehlers quasselt er ununterbrochen, schlicht, weil er alles, was er denkt, aussprechen muss.
Von akuter Geltungssucht geplagt, hält er sich für den Größten, sodass sein Spieler, dem er die Türen öffnet, immer nur Untertan sein kann.
Verblüffender Weise ist er trotz seiner Ungelenkigkeit von einem Rad als Beine ein guter Tänzer: er steppt virtuos, seine Schwäche sind jedoch Treppen.
– Es zeugt doch für große Selbstironie und Distanzfähigkeit, sich als Frau mit so etwas charakterlich gleichzusetzen.
Und vielleicht ist Fräulein Duval ja in Wahrheit weniger weit von Berrettini entfernt, als sie glaubt.


Schön, dass sich Berrettini und Duval trotz ihrer gefühlsmäßig deklarierten Unvereinbarkeit am Ende mit lachenden Gesichtern verbeugt haben. Denn, was ist schon echte Liebe? – Hauptsache, man kann etwas Intensives miteinander schaffen. e.o.




DAS URTEIL MARION DUVAL IST IN IHRER WEIBLICHEN GEFÜHLSZERRISSENHEIT UND -ÜBERLADUNG AUSSERGEWÖHNLICH KOMISCH. MARCO BERRETTINIS KNAPP UND EXAKT PLATZIERTE POINTEN SIND ABER DIE HÖHERE KUNST. WEIL EIN PRINZIP DER KUNST DAS WEGLASSEN IST. – DENNOCH EINE ERFRISCHENDE, DA WAHRHAFTIGE BEZIEHUNGSKISTE INNERHALB DES IMPULSTANZ-PROGRAMMS.



THEATER - PERFORMANCE Claptrap * Konzept & Text: Marion Duval * Performance: Marco Berrettini, Marion Duval * Künstlerische Mitarbeit: Louis Bonard* Bühnenbild: Florian Leduc * Kostüm: Severine Besson * Dramaturgie: Adina Secretan * Skulpturen: Djonam Saltani * Choreografie: Noémie Maton Dujardin * Ort: Schauspielhaus Wien * Zeit: 3.8., 21h; 5.8.2016, 23h

Wednesday, August 17, 2016

impulstanz 2016 – Tagebuch 7: IVO DIMCHEV IN SEINER SADO-MASO-OPERNSTADT „OPERVILLE“

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Stimmt es, dass der höchste Punkt der Trio-Vereinigung in der Oper nur durch koitale Intensität entstehen kann?

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Oder stimmt es, dass sich einer von den Dreien dafür stets zum Hund unterwerfen und demütigen lassen muss?

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Es stimmt auf alle Fälle, dass sich ein Sänger in den anderen so einfühlen muss, dass sie zusammen verschmelzen können. Hier fühlt sich allerdings nur der Bass-Bariton Nickolay Voynov in den nervös-dominanten Ivo Dimchev ein: er bekommt dessen Perücke aufgesetzt und verliert sein Gesicht. (Fotos © Ivo Dimchev)



„this stage is an ugly wired paradise“



25.7., gegen 22h15, im Akademietheater:


Was habe ich gelacht,
plötzlich befreit von schier unendlich großer, innerer Anspannung,
als der querste aller queeren Künstler,
Bulgare Ivo Dimchev,
ob seiner eigenen seelischen Verkrampftheit,
an die Rampe tappt,
und versucht,
das Keyboard hervorzuzerren,
das unter einer schwarzen Abdeckung am vorderen Bühnenrand
verborgen liegt.


„with hard pain“


Dieser zögerliche Moment war keinesfalls geplant,

und doch hat ihn Dimchev zur eigenen Befreiung genutzt,
um stoßzornig auszurufen,
was ihn ununterbrochen bedrückt.
Jene helle Erlösung
war ausreichend,
um das gesamte restliche Stück,
mit Augenzwinkern zu betrachten.

„I´m partly forbidden in this country“


Denn die hysterische Leidensgeschichte Dimchevs,
worin er sich als unpassend „Widerlicher“ ständig selbst bemitleidet,
ist im Grunde nebensächlich;
seine Anklage,
als geschmacklos wie ein Sandler gekleideter Queerer
in der obligatorischen Dreierkonstellation
aus schönem, designer-weiß tragendem, selbstsicheren Bassbariton
und routinierter, samt-eleganter Soprandiva in Rot,
nervös und aggressiv wie ein Tier
nicht den vollwertigen, dritten Tenor-Teil auszumachen,
unbegründet.

Selbst wenn er diese emotionale
und seelische Überzeugung braucht,
um das zu schaffen,
was diese hohe Kunst ausmacht.


„The tragedies: being dead is political correct“


Hier „leidet“ und profitiert ein hochmusikalischer Künstler,
er offenbart die Oper als ein Genre, das
– bewiesenermaßen –,
musikalisch noch lange nicht erschlossen ist.


„whores and banks are friends with diseases, we prefer dirty dicks“


Da mag es die zeitgenössische (Geräusche-)Oper geben,
die Arien-Überlieferte mit ihren Klassikern;
wenn ein Dimchev
mit seinem exakt platzierten Halskraulen, Krächzen, Jammern, Jaulen,
vor Schmerz – wie ein Elefant – Trompeten
und Brüllen wie ein Löwe,
mit Pop-Rock-Zitaten der 70er-80er Jahre,
mit Jazz-Stoßwörtern in Kabuki-Atmosphäre,
mit taktgenauem Rapp,
anfängt, zu zeigen,
was klanglich im Opernarrangement schön ist,
ohne dem Bekannten anzugehören,
dann sorgt das für ein Aha-Erlebnis,
das vergessen macht,
in welchem Rahmen diese Musik stattfindet.


„somebody died in the back of the theater“


Dass sich diese drei
einander mit einer Fantasiesprache des Subtexts
konkurrierenden
und um gegenseitige Liebe gierenden Gesangskünstler
– auf Anstachelung Dimchevs –
untereinander
in sadomasochistischer Manier demütigen,
zum Hund degradieren,
und um die Vereinigung in koitaler Intensität betteln,
wobei aber stets einer das Nachsehen hat,
mag überzeichnet dem Bild der Realität entsprechen.
Und doch kommen Sänger nur an diese Spitzen heran,
wenn sie die grenzüberschreitende innere Tiefe anstreben,
wenn sie via Perücken-, Körperhaltungs- und Positionstausch
in den anderen hineinschlüpfen,
was sich hier allerdings nur auf den Körper Dimchevs bezieht.
Und das ist auch o.k., weil er jemand ist,
der die anderen beiden in ein neues Universum führen kann.


„there are too many pessimists in this country“


So entstehen die schönsten Duette und Trios
in eigener Musikalität
und körpergrafischer Anordnung.
Verzweifelte, um einander ringende Ausdrücke,
im Sinne der auf die Bühnenrückwand platzierten Gedanken,
„there´s only one person I love, it´s not you“
die immer wieder in akustisch wohlklingenden,
wundersamen Harmonien münden.

Die Oper ist eine Landschaft des Seelenschmerzes.
Da passt das zelebrierte Selbstmitleid
eines Nicht-Gesellschaftsfähigen
bestens dazu.


„we are social-democrats, we love prostitutes of all colours“


Traurig,
dass die Schönheit der Klänge am Ende vergeht,
wie der Wind,
den Dimchev im Finale zitiert,
denn der Verstand erinnert sich wohl an die Rührung
durch die verzückenden, unbekannten Melodien,
vergessen ist aber,
wie die Melodien waren.
„Sie sind“, tatsächlich, „die stummen Qualen eines sterbenden Windes“.
Und keine Kritik wird ihnen gerechter
als jene der sprachlichen Poesie. e.o.




DAS URTEIL
IVO DIMCHEV IST MIT OPERVILLE DIE WEITERENTWICKLUNG SEINER MUSIKALISCHEN SPITZENWERKE LILI HANDEL, CONCERTO UND SONGS FROM MY SHOWS GELUNGEN. DAS LEIDENSSPEKTRUM DES GROTESKEN HYSTERIKERS BEGRÜNDET HIER DIE DIENENDE NEBENROLLE. DIE HAUPTROLLE ÜBERNIMMT SEIN UNKONVENTIONELL KOMBINATORISCHES GESPÜR FÜR MELODIEN, RHYTHMUS UND GRAFISCHE (KÖRPER)ARRANGEMENTS. DA IST DIMCHEV ERFINDUNGSREICH UND – WENN AUCH OBSTRUS – EXTREM FEIN.


OPERNTANZ Operville * Text, Choreografie, Vocal Scores: Ivo Dimchev * Performance, Improvisation: Plamena Girginova, Nickolay Voynov, Ivo Dimchev * Musik: Chopin, Stephan Hristov und anderen * Ort: Akademietheater * Zeit: 25.7.2016, 21h

Friday, August 12, 2016

impulstanz 2016 – Tagebuch 6: UNEITLER „MACHO“ ISRAEL GALVÁN IN „FLA.CO.MEN“

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Israel Galván
beginnt FLA.CO.MEN mit einer ironischen Einführung des Flamenco: die Geigerin Eloísa Cantón übersetzt seine Zeichensprache überspitzt ins Englische.
--> Pure Faszination geht von dem Rhythmusgott Galván in spannender Lichtsetzung aus.


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Auf Geldmünzen barfuß zu tanzen, hört sich noch einmal anders an, es hat in Sachen Flamenco und dessen Geschichte jedoch gewiss eine tiefere Bedeutung. (Fotos © Hugo Gumiel)

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Was für eine Erscheinung! Dieser Rebell voller unberechenbarer Lebensfreude.



22.7., gegen 22h45, im Wiener Volkstheater:



Standing Ovations für Spanier Israel Galván.

Ich bin eine von jenen, die ihn anhimmeln.

Für jemanden wie mich,

der andauernd in Vorstellungen geht,

ist diese Form von Begeisterung selten.


Man wird ja irgendwann routiniert,

vielleicht sogar abgestumpft.

Es muss etwas ganz außergewöhnlich sein,

damit man sich von seinem Sessel erhebt.


Nun hatte Israel Galván wahrscheinlich nicht einmal seinen besten Tag. Man sah, als er sich verbeugte, dass seine beiden Beine bandagiert waren. Außerdem fehlte eine bestimmte Tanzsequenz, die im Video für vorab berichtende Journalisten zu sehen war. Jene Szene, wo Galván drei bis vier blitzschnelle Pirouetten dreht, um dann in der rasenden Bewegung ganz plötzlich mit dem Fuß auf der ausgestreckten Hand des Gitarristen Caracafé Proyecto Lorca abrupt zum Stillstand zu kommen.


Diese akrobatische Spitzenleistung gab es heute nicht, dafür war alles radikaler und übermütiger als im „Konzert“ der früheren Vorstellung.


Ich frage mich,

wie dieser vor Energie, Frechheit und Freude
sprühende Mann

in der Premiere vor zwei Tagen war.

Ich bin mir sicher, dass jede Vorstellung anders ist,

auch wenn – wie Galván versichert –,

alles, bis ins kleinste Detail geprobt ist.


So viel Spontaneität lässt sich nicht einstudieren.

Oder liegt gerade in dieser Charaktereigenschaft
die größte Begabung dieses Künstlers?

Es wie „das erste Mal“ aussehen zu lassen?


Die dem Stück zugrunde liegende Botschaft des legendären Flamenco-Komponisten und Sängers Enrique Morente, ,„beim Flamenco geht es darum, die Tradition zu übertragen und sich dabei des Verrats bewusst zu sein, der bei diesem Unterfangen immer mitschwingt“, ist in diesem Konzert mehr als nur präsent, wobei man aber als „Nicht-Flamencoaner“ dazu neigt, eher den „bewussten Verrat“ zu attestieren;
– der eine mit mehr Begeisterung,
– der andere mit weniger.
(Und das hat jetzt gar nichts damit zu tun, ob man nun ein Freund von Folklore ist, oder nicht.)


Jedenfalls meinte der für die Paartänze Sevillanas regieführende artistische Direktor Pedro G. Romero: „Destruktion und Konstruktivismus gehören nicht (nur) zu Galván, sondern zum Flamenco selbst. Die Reihenfolge der Silben (Titel: FLA.CO.MEN) mag verändert sein, es bleibt doch Flamenco.“


Nur so lässt es sich verstehen, dass der rebellische, Finger schnipsende Galván nach einer Trommel-Einlage mit seinem Fuß triumphierend ruft, „na, bin ich ein Zigeuner?“, und der ebenfalls mit dem Fuß paukende Flamenco-Sänger, David Lagos, trotzig antwortet, „ja, bist du!“. – Denn die Zigeuner beeinflussten den Flamenco historisch maßgebend. Und Galván ist genetisch einer von ihnen, dank seiner Flamenco tanzenden Mutter. Dass aus Galván ein Kuriosum werden musste, das ständig seinen Stachel in seinem Fleisch zu spüren scheint, ist schon an seinem Namen abzulesen: „Israel Galván“, mit jüdisch konnotiertem Vornamen bedeutend „Gott streitet (für uns)“ Sohn des Flamenco-Tänzers und Zeugen Jehovas, José Galván, der ihm im Kindesalter beängstigende Sprüche über den Weltuntergang zumutete.

Nun, da unsereinem am Flamenco alles „spanisch“ vorkommt, zählt am Ende nur die vielschichtige Verbindung jedes einzelnen Elementes zu einem für jeden Akteur und Betrachter stimmigen Ganzen. Es ist faszinierend, wie sich die Instrumente E-Bass und Geige (Eloísa Cantón), Gitarre (Caracafé Proyecto Lorca), Saxophon und Gaita del Gastor - ein hornartiges Aerophon (Juan M. Jiménez), Marimba, Kesselpauke, Timbal, Cajón flamenco, und andere Perkussionsinstrumente (Antonio Moreno), sowie die beiden Flamenco-Sänger (David Lagos, Tomás de Perrate) für westliche, am Zahn der Zeit stehende Kunstbefürworter zu einem authentisch „atmenden“ Konzert verbinden lassen, das insbesondere heute – wo die EU vor der Entscheidung steht, eine kulturelle Linie über alle Länder zu ziehen oder ihnen ihre Eigentümlichkeiten zu lassen – auch kulturpolitische Aussagekraft erhält. Doch wäre dieser starke Charismatiker Galván nicht, der dem Kunterbunten letzten Endes mit seinem breiten Kunstverständnis und körperlicher Vielfältigkeit Sinn verleiht, würde da mit Sicherheit gar nichts stimmen. Für wen passt schon Ligeti zur Rondena, Luigi Nono zur Granaina, die US-Band Antony and the Johnsons zur Verdiales und die Tarantella zum Taranto, ohne den Funken des Flamenco zu verlieren?


Da trippelt Galván also zuerst mit der Kochschürze herein. Er erklärt tanzend veranschaulichend, allerdings mit neckender Deutung, die traditionellen Gesten des Flamenco. Dass die Nase nach oben schauen muss, steht für sich selbst und bringt Spott genug. Für jedes kleine Zeichen braucht Galván ein ganzes Notenblatt. So groß scheint die Achtung der selbstbekennenden Traditionalisten vor jeder kleinsten Regel zu sein. Galván tauscht die Schürze gegen ein frauliches Taillenmieder ein (denn die Männer-Frauen-Unterschiede müssen im Flamenco streng eingehalten werden). Dann zerbricht er einen „festzementierten“ Flamenco-Schuh, in den Galván gerade noch im Duett mit der singenden Geigerin Eloísa Cantón geblasen hat. Schon da faszinieren die Qualität der Lichteffekte und des Tons, sowie der rhythmisch genau getimte Ablauf.


Bis die weiteren Musiker auftreten, setzt sich Galván mit einem Packerl Chips essend vor das Publikum. Im Hintergrund läuft derweilen aktuelle Computer-Popmusik, so wie sie in den Straßen Spaniens laufen könnte. Man fühlt sich wie in das Land versetzt. Da fährt die Percussion im Steppduett Galváns stark wie Technodrums unter die Zuschauerhaut. Die beiden versuchen sich als rhythmisches Bauch-Klopf-Duo, woran man merkt, wie Schlagzeug-orientiert Galváns Musikalität doch ist, und Percussionist Moreno tanzt später Flamenco. Allerdings haben alle Flamenco-Musiker und Sänger die Rhythmus-Begabung einverleibt. Ein Highlight ist das Klatschduett zwischen Sänger Lagos und Galván. Doch das andere Highlight, das ständig in der Luft liegt, ist die Unberechenbarkeit. Vor allem, wenn Galván ins Publikum steigt und stampfend, klatschend, steppend durch die Gänge knallt oder am Bühnenrand gegen die Kante hämmert. Bei diesem Schlag-Kommando muss die Bühne präpariert worden sein! Das verleiht der Vorstellung ein modernes Ambiente, das es mit jeder animierenden Disco aufnehmen könnte.


Während der Rock-Nummer holt der Tänzer den Notenständer wieder hervor und klebt sich die Notenblätter auf Kopf und Körper, die sich sogleich im Nirgendwo verteilen. Die Botschaft: Die Noten müssen ständig neu geschrieben werden, damit der Flamenco lebendig bleibt! Der Gitarrist balanciert wie in einer Zirkusnummer und entsprechender Musikbegleitung seine Gitarre auf den Händen – was so viel heißt, wie: „Man kann sich im Flamenco durchaus zum Clown machen! Man muss sich selbst nicht so ernst nehmen, um groß zu wirken.“ Die Stimmen, die Gitarre, sowie die Percussion führen in ihren klassischen Zugängen jedoch immer wieder zum Flamenco zurück, wobei für unsere westlich geprägten Ohren die Instrumente angenehmer klingen als der Vibrato-bestückte Gesang. Aber faszinierend ist und bleibt Galván, wenn er „seinen“ Flamenco tanzt, während ihm jede Sekunde anzusehen ist, wie langweilig ihm das „Normale“ sein würde. So verwundert es nicht, dass er im Zuge des Konzerts die Schuhe auszieht und barfuß auf einem Brett mit Geldmünzen steppt. Das erzeugt einen neuen Klang und wirft die Idee von der Bedeutung des Geldes in dieser Tradition auf.


Die 90 Minuten Konzertdauer vergehen wie im Flug. In höchster Spannung und begeistertem Staunen. Die Faszination steht den Zuschauern sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben, als Galván sich am Schluss im Flamenco-Rüschenkleid verbeugt – ein unvermuteter Gag, der ihm noch einmal Sympathien bringt. Denn manche "Men" = Männer des Flamenco haben genug Eier für eine humorvolle Extraportion Selbstironie.

– Das zeitgemäß Treffendste und – trotz Konzerts – Tänzerischste, was ImPulsTanz heuer unter all dem großen Star- und Qualitätsaufgebot zu bieten hatte! e.o.

DAS URTEIL
ISRAEL GALVÁNS FLA.CO.MEN IST DAS AUFREGENDSTE, WAS IMPULSTANZ JE GEZEIGT HAT. DIESER MANN IST AUF DER BÜHNE WEDER EITEL, ÜBERHEBLICH, NOCH MACHO, DENNOCH EIN DURCH-UND-DURCH-MANN MIT UNGLAUBLICHEM RHYTHMUSGEFÜHL UND CHARISMATISCHER PRÄSENZ. DASS ER AUCH NOCH SO NEUGIERIG IST, EIN SPANNENDES STÜCK MACHEN ZU WOLLEN, IST EINE ZUGABE, DIE IHM WAHRSCHEINLICH WICHTIGER IST ALS DEM PUBLIKUM.


TANZKONZERT FLA.CO.MEN
* Regie, Choreografie, Tanz: Israel Galván * Gesang: David Lagos, Tomás de Perrate * E-Bass und Geige: Eloísa Cantón * Gitarre: Caracafé Proyecto Lorca * Saxophon und Gaita del Gastor: Juan M. Jiménez * Marimba, Kesselpauke, Timbal, Cajón flamenco u.a. Perkussionsinstrumente: Antonio Moreno *Bühnenregie & Choreographie Sevillanas: Pedro G. Romero * Bühnenregie & Choreografie Alegrías: Patricia Caballero * Ort: Volkstheater Wien * Zeit: 20., 22.7.2016, 21h


TANZ & MUSIK LA FIESTA /  Das Fest * Konzept, Choreografie, Tanz: Israel Galván, Patricia Caballero * Mitwirkende: Nino de Elche, El Junco, La Uchi, Minako Seki, u.a. * Musik: Live * Dramaturgie: Pedro G. Romero * Ort: Festspielhaus St. Pölten * Zeit: 6.5.2017, 19h30 WELTPREMIERE!